Donnerstag, 30. April 2020

So. 

Und jetzt mache ich das Ganze auf einer eigens dafür geschaffenen Website weiter. Mein Dank an meine Tochter Paula Radon-Krauß für das Web-Design und an Dennis Fink für die Programmier-Arbeit. Die alten Artikel werde übertragen ergänzt und sind dank der besseren Organisation leichter zu finden. Das Prinzip bleibt das Gleiche und wird bis in die Unendlichkeit weitergeführt...

Der Link:  http://dergrosserockhaus.de

Donnerstag, 20. Februar 2020

1966 – Tim Hardin bis Tim Buckley – Free Folk!

 Nun kann man den apellativen Titel von Ornette Coleman's epochalem Album Free Jazz! auch für Folk verwenden: 1966 wird (auch...) wegen der Befreiung des Folk aus seinen traditionellem Grenzen und Regeln durch Gottvater Bob Dylan in Erinnerung bleiben. Wie im Hauptartikel '66 gesagt – „his Bobness“ hatte Folk nicht nur mit E-Gitarre gespielt – er hatte dazu eine Sprache gefunden, die nicht mehr nur alte Traditionen zitierte, die Folk ins „Heute“ zerrte. Dabei verkennt man im Rückblick gerne die Tatsache, dass er mit seinen neuen Ideen nicht allein stand – und dass – nebenbei - die „traditionelle“ Herangehensweise auch durchaus zu hörenswerten Ergebnissen führte. Da waren an der Westcoast einerseits die Byrds mit noch weit elektrischeren Versionen von Dylan's Songs, die Folk bald in das neu zu erforschende Gebiet der Psychedelik führen würden. Aber da gab es auch einen ganzen Haufen talentierter und inzwischen etablierter Musiker in den Folk-Zirkeln des New Yorker Greenwich Village oder der Bay Area, die Folk durchaus als ihr eigenes, modern interpretiertes Betätigungsfeld sahen. Tim Hardin vermischte Folk, Jazz und Blues – und hatte Drogenprobleme, Fred Neil nutzte Folk als Start-Rampe für Exkursionen in öko-freundlichen Acid Folk, Pat Kilroy war in Marokko gewesen, Judy Collins baute Baroque-Folk und machte Leonard Cohen's Songs bekannt, Buffy Sainte-Marie, David Blue, Eric Andersen – sie alle waren seinerzeit durchaus erfolgreich und hatten den Folk ihrer formativen Jahre in den Clubs in Greenwich Village, aber auch auf Reisen zu den Kollegen nach „good old England“ – neu variiert, elektrifiziert, modernisiert, thematisch entstaubt. Und insbesondere Plattenfirmen wie Elektra und Vanguard machten nun mit. Sie hatten gesehen, dass Dylan mit seiner Blasphemie Erfolg hatte und suchten nun jemanden, der mit dem neuen Rezept den gleichen Erfolg haben könnte. Hat nicht immer geklappt...

Bob Dylan - Blonde On Blonde

(Columbia, 1966)

Dieses Album - und seine beiden Vorgänger - definieren Folk - und vor Allem das, was daraus folgt (das musste ich so formulieren... und die komplette Beschreibung hierzu im Hauptartikel '66). Spätestens ab hier wird nach dem „next Dylan“ gesucht, nach dem nächsten jungen Mann, der Folk in die politisch und gesellschaflich so bewegte Zeit holt. Spätestens ab hier erkennen die Folkies in Greenwich Village oder LA, dass sie IHRE Lebenswirklichkeit verhandeln müssen – und Plattenfirmen wie Elektra und Vanguard erkennen auch, dass sich Künstler mit innovativen Ideen verkaufen. Auch Leute wie...


Simon & Garfunkel - Sounds Of Silence

(Columbia, 1966)

Das zweite Album der ebenfalls in New York beheimateten – aber '65 schon getrennten - Folkies Paul Simon & Art Garfunkel. Die wurden durch das Produzenten-Genie Tom Wilson (Velvet Underground, Zappa...) davon überzeugt, doch weiter zu machen nachdem der den Song „Sounds of Silence“ ohne ihr wissen elektrifizierte und damit einen Hit landete. Aber genaueres darüber lies im Artikel über Tom Wilson...



Simon & Garfunkle - Parsley, Sage, Rosemary and Thyme

(Columbia, 1966)
,

...und nach dem ersten Hit nahmen die beiden dann ihr erstes Meisterwerk auf. Simon hatte in den Folk-Zirkeln England's ein paar Songs gelernt – u.a. den Titel-Track dieses Albums – und lieferte mit Parsley, Sage, Rosemary and Thyme ein weiteres Beispiel für die neue Art von Folk ab. Folk? Singer/Songwriter? Die Grenzen sind ja sowieso nur gedacht. Auch dieses Album beschreibe ich genauer im Artikel überTom Wilson – obwohl der es garnicht prodziert hat.



Tim Hardin


Tim Hardin 1

(Verve, 1966)

Tim Hardin ist eine der tragischen Figuren, deren Talent in den Sechzigern durch die allseits verfügbaren und damals unkritisch angesehenen Drogen wie eine Kerze ausgeblasen wurde. Seine beiden ersten Alben – aufgenommen im Zeitraum zwischen Ende 65 und Anfang 67 - sind ein Versprechen, das er bis zu seinem Tod 1980 nicht mehr einlösen konnte. Hardin hatte schon als Kind nach einer Verletzung ein massives, medizinisch herbeigeführtes Suchtproblem, das sich Ende der 50er, als er bei der Army in Vietnam Heroin entdeckte, noch verschlimmerte. Zu Beginn der Sechziger war er zunächst in Boston, dann in der New Yorker Greenwich Village Folk Szene unterwegs, wo er sich schnell einen Namen machte und mit seinen eigenen Songs und seiner hervorragenden Stimme Aufsehen erregte. Er bewegte sich mit Songs, die die Grenzen des Folk weit überschritten zwischen Folk, Blues und Jazz – was nun angesagt war. Allerdings war er schon zu dieser Zeit wegen seiner Suchtprobleme äußerst schwer zu vermitteln. Obwohl der Mann nur Ärger versprach, war sein Talent so unleugbar, dass er Studiozeit und mit Erik Jacobsen einen duldsamen und fähigen Produzenten bekam, für den er die Tracks solo mit Gitarre und Gesang aufnahm, um dann zu verschwinden und es Jacobsen zu überlassen, die Musik mit den feinen String Arrangements von Artie Butler auszugestalten. Einige der Tracks auf Tim Hardin 1 waren nur als Demo's gedacht, den Unterschied zu den geplanteren Tracks hört man auf dem Album kaum. Hardins Songs sind wundervolle Miniaturen, selten über drei Minuten lang, mit durchdachten Texten und einem Gesang, der sich mit dem eines Van Morrison messen kann. Freund und Bewunderer John Sebastian von den damals enorm angesagten Lovin' Spoonful steuert Mundharmonika bei, der Jazzer Gary Burton spielt Vibraphon – was den Jazz-Charakter von Hardins' Musik betont - und Songs wie „Reason to Believe“ oder „How Can We Hang on to a Dream“ wurden – bald von etlichen anderen gecover – zu Klassikern jenseits aller Genregrenzen. Hardin allerdings vertrug weder den Ruhm noch die wachsenden finanziellen Vorteile und versumpfte zusehends – Und dennoch wurde Tim Hardin 2 noch besser....


Fred Neil


s/t

(Elektra, 1966)

Der Songwriter Fred Neil und Tim Hardin kannten sich, sie waren im Greenwich Village gemeinsam aufgetreten und Neil mag Hardin auch bewundert haben – aber erhatte selber genug zu bieten. Sein zweites Album für Elektra wurde zwar kein Hit, ist aber ein inzwischen nicht mehr ganz so heimlicher Klassiker des Folk – oder besser, des Singer/Songwriter Genres? Neil hatte den jungen Dylan protegiert, wurde selber - von Tim Buckley etwa - nachgeahmt, aber sein tiefer Bariton blieb letztlich einzigartig. Seine Songs allerdings wurden von etlichen Musikern erfolgreich gecovert – als bekanntestes Beispiel mag man das hier vertretene „Everybody's Talkin'“ nennen, das für den Film Easy Rider von Harry Nilsson gecovert zum Evergreen werden sollte. Fred Neil ist ein Album, das jeder, der etwa Tim Buckley zu schätzen weiss, hören sollte. Diese Musik ist definitiv kein puristischer Folk mehr, John Forsha und Peter Childs steuern fließende elektrische Gitarrenchords bei, Al Wilson von den Canned Heat spielt Harp und die Rhythmen erinnern an die Acid-Rock Bands dieser Zeit. Zu den Aufnahmen setzten die Musiker sich im Kreis zusammen, ließen die Musik fliessen und es entstand eine Atmosphäre, die anmutet wie eine kühle Brise an einem heißen Sommertag. Der Song, der Fred Neil am wichtigsten war (und der ebenfalls etliche Male gecovert wurde) ist die Öko Hymne „The Dolphins“. Neil litt unter massivem Lampenfieber, war heroinabhängig und verabscheute dazu noch das Musik Business. Das bewog ihn wohl bald dazu, sich in den kommenden Jahren dem Schutz der besungenen Meeressäuger zu widmen und nur noch sehr sporadisch ein Studio zu besuchen. Es gibt ein nachfolgendes Album mit dem Titel Sessions, das passend unkonzentriert klingt, Neil jammte in den folgenden Jahren mit unterschiedlichsten Musikern, aber Fred Neil sollte sein letztes richtiges Album bleiben. 2001 starb er dann „eines natürlichen Todes“ - nicht selbstverständlich in diesen Kreisen


Judy Collins


In My Life

(Elektra, 1966)

Nach ihrem schlicht Fifth' benannten Album vom Vorjahr beschloss auch Judy Collins, die stilistischen Grenzen der traditionellen Folk-Musik auf ihre Weise zu überschreiten - was nicht nur ihrem innovativen Geist geschuldet gewesen sein mag. Immerhin stand sie in der Anerkennung der Folk-Gemeinde irgendwo hinter Musikern wie Dylan, Baez oder sogar Peter, Paul & Mary, und es muss sie ziemlich gewurmt haben, dass Letztere ihr mit der ein paar Wochen früher veröffentlichten Version des Gordon Lightfood-Covers „Early Morning Rain“ zuvorgekommen waren. Dabei hatte sie schon auf ihrem '63er Album Judy Collins #3 auf die Songs junger Songwriter zurückgegriffen. Aber ihre Interpretationen hatten immer noch traditionell geklungen und so beschloss sie, weitere Quellen für ihre Songs aufzutun und vor Allem ihren Sound zu verändern - sich den Veränderungen der letzten beiden Jahre über elaboriertere Arrangements zu öffnen. Sie nahm sich des Off-Broadway Materials der Drei-Groschen Oper an und coverte „Pirate Jenny“, sah sich in Frankreich um und entdeckte einen Künstler namens Jacques Brel und dessen „La Colombe“, das sie mit ihrem glasklaren Sopran und dem Klang eines Kammerorchesters interpretierte. Und sie entdeckte den nicht mehr ganz so jungen Kanadier Leonard Cohen und coverte mit dessen „Suzanne“ und „Dress Rehearsel Rag“ gleich zwei Songs eines Dichters, der zu dieser Zeit als Musiker noch ein unbeschriebenes Blatt war. Für die Aufnahmen mit kleinem Orchester unter dem Arrangeur Joshua Rifkin ging sie nach England und verpasste ihrer Musik eine Chamber-Pop Behandlung. Das war immerhin ein mutiger Schritt, wenn man bedenkt, dass so Mancher im Folk-Zirkel der USA auch '66 nicht weniger fundamentalistisch war, als viele religiöse Fanatike. Aber es war ein gelungener Schritt mit einer gewissen Logik, weil sie zum Einen als klassisch ausgebildete Musikerin wusste, was sie tat, und weil sie mit ihrer charkteristischen Stimme und der durchdachten Songauswahl und -Interpretation den richtigen Ton traf. Das Experiment gelang, In My Life verkaufte sich gut und gilt als ihr künstlerischer Durchbruch. Ein Album, das auch heute noch mindestens charmant klingt.


Buffy Sainte-Marie


Little Wheel Spin and Spin

(Vanguard, 1966)

Buffy Sainte-Marie war in der florierenden Folk Szene der USA ein Paradiesvogel: Allein schon ihre Herkunft und ihr Aussehen – als Kind von Cree-Indianern in Kanada geboren – machte sie zu einer auffälligen Erscheinung. Dazu kam, dass sie von Beginn an ihre eigenen Songs interpretierte, mit „Universal Soldier“ einen Hit und Klassiker des modernen Folk geliefert hatte. Ihr drittes Album nun bewies ein weiteres Mal, dass sie sich auf völlig natürliche Weise immer ein bisschen ausserhalb der Regularien ihrer Zunft bewegte. Little Wheel Spin and Spin enthält mit dem ambitionierten Protest-Song „My Country 'Tis of Thy People You're Dying“ eine über 6-minütige Anklage an die Nachkommen derer, die die indigene Bevölkerung Amerika's nahezu ausgerottet hatte: „Blankets for your land, so the treaties attest / Oh well, blankets for land is a bargain indeed / And the blankets were those Uncle Sam had collected / From smallpox-diseased dying soldiers that day...“ Dass sie mit diesem Son ein weiteres Mal die konservativen Machthaber in den USA gegen sich aufbrachte, war klar. Und dieses Gegenstück zu Dylan's „With God on Our Side“ ist nicht der einzige hörenswerte Track hier. Der schottische Traditional „Waly Waly“ wird nur mit Maultrommel und exaltiertem Gesang aus dem bekannten Regelwerk geholt, der Titeltrack des Albums ist spinnenhafter Acid-Folk, auch für Sainte-Marie erstmals mit einer elektrischen Gitarre (von Bruce Langhorn). Dass „Timeless Love“ mit Orchester Arrangements von Felix Pappalardi überzuckert wird, will ich verzeihen, ein paar Ausfälle sind auf diesem Album durchaus dabei. Aber Songs wie die grausame Ballade über den auf See um's Leben gekommenen „Sir Patrick Spens“ sind wunderbar ungewöhnlich, Sainte-Marie's Stimme und ihre Art des Vortrag ist ein Genuss und ihre eigenen Songs sind mit guten Melodien, klugen Texten und klaren Aussagen sehr hörenswert. Ihre Experimentierlust würde sie zunächst in die Irre – und dann in zwei Jahren zu einem der ungewöhnlichsten Alben seiner Zeit führen. Illunminations von 1969 ist visionär – auch wenn es von den US-Behörden wegen Sainte-Marie's politischer Position mit Radio-Boykott belegt wurde und unterging. Dass Buffy Sainte-Marie später mit dem von ihr verfassten Hit „Up Where We Belong“ zu Geld kam, gönne ich ihr von Herzen.


David Blue


s/t

(Elektra, 1966)

Man kann Stuart David Cohen – aka David Blue – auf seinem Debüt-Album wohl zu Recht eine gewisse Anlehnung an den elektrifizierten Folk von Dylan attestieren. Cohen hatte in den in diesem Artikel schon so oft erwähnten New Yorker Folk-Clubs Teller gewaschen, begonnen Songs zu schreiben und zu perfomen, sich eine gewisse Reputation erarbeitet, mit Dylan und Eric Andersen (siehe unten) angefreundet und war von den beiden dazu bewegt worden, seinen Namen in David Blue zu ändern. Sein gleichnamiges erstes Solo-Album erinnert tatsächlich in vielen Faktoren an Dylan: Blue sprech-singt auf ähnliche Weise wie Dylan, Produzent Arthur Gorson hat dieses Album ähnlich „elekrtisch“ ausgelegt, Paul Harris' Electric Piano liegt unter jedem Track, die Gitarren von Monte Dunn zischen giftig, Harvey Brooks Bass pumpt – und sie alle hatten zuvor Dylan begleitet, die Atmosphäre wäre gerne Highway 61 Revisited … sogar die Frisur auf dem Cover erinnert an Dylan auf dessen einen Monat zuvor veröffentlichtem Blonde on Blonde. Aber David Blue musste sich zu seinem Unglück mit einem messen, der zu dieser Zeit in Hochform war – Ein Problem, das einige unbekanntere in den kommenden Monaten hatten. Wenn er sich ein bisschen vom Vorbild entfernt, wird er glaubwürdiger. „Midnight Through Morning“ ist ruhiger und folkiger und nicht ganz so nah an Dylan, flottere Tracks wie „It Ain't the Rain That Sweeps the Highway Clean“ mögen klingen wie Dylan via Byrds, sind zwar nicht ganz auf dem Niveau des Vorbildes – aber mitnichten schlecht oder langweilig. Wer hier hinhört, muss man anerkennen - Blue war von all den Dylan-Wannabe's seiner Tage zweifellos einer der Besten.


Pat Kilroy


Light of Day

(Elektra, 1966)

Hier nun Einer, der völlig vergessenen wurde: Der in San Francisco geborene Patrick Anthony Kilroy hatte eine für diese Zeit sehr eigensinnige Vision davon, wie Folk aussehen könnte. Er hatte sich in den Clubs in der Bay Area als hervorragender Sänger etabliert und war Mitte '65 mit seinen Freunden Susan Graubard und Bob Amacker nach New York gegangen, um ein Solo-Album aufzunehmen. Vor der Fertigstellung machte er einen Trip nach Marokko und brachte von dort Einflüsse mit, die sich auf Light of Day – dem „ersten Acid Folk Album“ - deutlich niederschlugen. Man kann diese Einflüsse begrüßen oder nervig finden, die Tatsache bleibt bestehen, dass Kilroy eine sehr gute Stimme hatte, die fast an die von Tim Buckley heranreichte, dass einige der von Tablas und Flöte durchzogenen Tracks abenteuerlich, aber auch von einer fremdartigen Schönheit sind. Dass Kilroy's Debüt nach Jahrzehnten der Obskurität von der Freak-Folk-Gemeinde der 00er Jahre wieder-entdeckt wurde, scheint mir schlüssig. In deren Kreisen hätte er sich wohl zuhause gefühlt. Für einige Tracks holte er sich die Hilfe des Gitarristen Stefan Grossman und des Harp Players Eric Kaz – und der „Mississippi Blues“ mag im Vergleich zu anderen Tracks konservativ klingen, aber er zeigt eben deutlicher, was da an Talent zu finden war. Das darauf folgende „Vibrations“ stellt eine organische Verbindung von Blues und Eastern Folk dar – und zeigt, dass Light of Day zu jeder Zeit ziemlich allein gestanden hätte. Kilroy gründete in den folgenden Monaten mit Susan Graubard und Jeffrey Stewart das Trio The New Age, trat mit The Gratefuld Dead oder Quicksilver Messenger Service auf, traf in England u.a. die Incredible String Band - die sich einiges von ihm abgehört haben dürften – und starb dann 1967 völlig überraschend an einem Lymphom. Dass sein Album - wie viele Folk-Alben jener Zeit – in Vergessenheit geriet, ist verständlich: Diese Art von Folk hat eine Naivität, die nach den Sechzigern verloren ging, mit der man umgehen wollen muss. Dann aber erkennt man Musik, die eigentlich zeitlos ist. Ich empfehle, dieses Album zumindest mal anzuhören.


Eric Andersen


'Bout Changes & Things

(Vanguard, 1966)

Eines der Beispiele für den ernsthaften, akustischen Folk, der bis 1964-65 DAS Ding war – und für den das Vanguard-Label noch eine ganze Weile stehen sollte. Natürlich sind die Dylan-vor-65/Tom Paxton – Einflüsse deutlich herauszuhören (Paxton hatte Andersen entdeckt und von San Francisco nach New York geholt). Aber für den Dylan-Freund Andersen war die Modernisierung oder gar Elektrifizierung des Folk kein zwingendes Verdikt, noch gab es ein Publikum für seine mehr oder weniger traditionelle Herangehesweise – und vor Allem für die politischen Aussagen, die man seinerzeit durchaus regelkonform/folky oder ver“poppt“ präsentieren konnte. So ist 'Bout Changes and Things nicht nur wegen des Titles Eric Andersens The Times They Are A-Changing, es ist auch erwähnenswert, weil es neben dem traditionellen Sounds vor Allem durch feine Songs glänzt – und weil es ein oder zwei Jahre zuvor womöglich mehr Bdeutung erlangt hätte. War das Debüt aus dem Vorjahr noch unausgereift, so hatte Eric Andersen hier mit seiner Version von Arthur Crudups „That's Alright Mama“ eine überraschende Folk-Version des Elvis-Hits dabei. Er nutzte seine Stärke als Lyriker, der nicht explizit politisch ist, bei eigenen Songs wie „Violets of Dawn“, hatte mit „Thirsty Boots“ aber auch seinen Song für's Civil Rights Movement. Bei „The Hustler“ verschiesst er Wortsalven wie Dylan, aber „It's Alright Ma...“ und "Champion at Keeping Them Rolling" oder "Blind Fiddler" klingen wiederum wie traditionelle British Folk Balladen (Andersen war '65 beim Cambridge Folk Festival aufgetreten und hat dort vermutlich einige britische Kollegen getroffen) und „Hey Babe Have You Been Cheatin'“ klingt so, als wäre Buddy Holly Folkmusiker. 'Bout Changes & Things ist ein Album voller Abwechslung, von einem Künstler, der seinen Weg noch sucht – der ihn dann in den folgenden Jahren nicht wirklich fand – erst 1972 sollte er mit Blue River einen kurzen kommerziellen und künstlerischen Höhepunkt erreichen - um dann wieder zu einem Fall für Spezialisten zu werden.


Tim Buckley


s/t

(Elektra, 1966)

1966 war Tim Buckley gerade mal 19 Jahre alt -ein gutaussehender Jüngling mit zugegebenermaßen famoser Stimme, auf seinem Debüt aber noch ohne die vokale Pyro-Technik der kommenden Alben auskommend. Es war wohl zunächst geplant ihn als eine Art Folk-Teenidol zu vermarkten, aber schon auf Tim Buckley ließ der selbstbewusste Jung- Musiker sich nicht wirklich an den Teenager Markt anpassen. Das Album ist ein Hybrid aus folkigem Byrds-Jangle und von Jack Nitzsche orchestriertem Baroque Pop mit adoleszenten Lyrics. Buckley selber war mit dem in drei Tagen aufgenommenen Album höchst unzufrieden – sagte, es klinge nach „Disneyland“, aber selbst für die Top 40 zubereitete Songs wie „Aren't You the Girl“ oder „I Can't See You“ haben deutlich einen hohen Anspruch, und Songs wie „Strange Street Affair Under Blue“ mit Dreigroschenoper-Flair oder der hypnotische „Song Slowly Song“ weisen in Richtung späterer Alben. Mit Van Dyke Parks hatte er ein riesiges Talent als Begleiter an Piano und Harpsichord und mit dem Jazz-informierten Gitarristen Lee Underwood hatte er schon hier seinen Begleiter an der Gitarre für die kommenden Jahre gefunden. Buckley mag das Album wie gesagt nicht hoch geschätzt haben, aber wer dieses leider in den Siebzigern ausgebrannte und dann verstorbene Gesangs-Genie in „normalem“ 60er Jahre Sound hören will, wird hier fündig. Tim Buckley ist - wie so manche Alben dieser Zeit - die Entsprechung eines in Bernstein eingefrorenen Insekt's. Die folgenden Alben immerhin werden dann zu zeitlosen Meisterwerken, die die Grenzen des Folk transzendieren.











Freitag, 14. Februar 2020

1986 – Sonic Youth bis High Rise – Noise wird schön

Genau wie Hardcore, Punk, Blues – wie alle Genre's und ihre Bezeichnungen – ist auch Noise-Rock ein äußerst ungenaues Wort für Musik von Bands, die Einflüsse aus unterschiedlichen Richtungen mit EINER Gemeinsamkeit verbinden: Es ist lauter, fieser, nicht-transkribierbarer Lärm in, über, unter den Punk, Pop, Psychedelic Rock oder Hardcore gelegt wird. Dissonanzen, Distortion, Rückkopplungen sind mindestens genauso wichtig wie der „Song“, Lautstärke und Kontrollverlust spielen eine größere Rolle als ohrfreundliche Melodieseligkeit. Damit ist die Generation der Post-Punk, Post-Hardcore Bands der Mitt-Achtziger in den USA natürlich nicht wirklich innovativ. Vorbilder gibt es spätestens seit den Sechzigern mit The Velvet Underground, den Stooges, Red Crayola, aber auch mit den Japanern Les Rallizes Denudes (wenn man die in den USA kennt...). Auch „klassische“ Minimalisten wie John Cage oder LaMonte Young haben Einfluss auf das Geschehen – sind (bei Sonic Youth) sogar unmittelbare Lehrer. Man bewundert die Briten Public Image Ltd. ob ihrer Weigerung, den „Regeln“ des Punk zu folgen, ebenso wie den schillernden Dreck, den die Birthday Party bis zu ihrem Ende 1983 abgesondert haben. Man kennt wahrscheinlich auch Kraut-Rock, die Einflüsse aus der New Yorker No Wave Szene, aus Punk und dem daraus in den USA entstandenen Hardcore Punk laufen zusammen, etliche Musiker haben keine Lust dazu, den wachsenden Fundamentalismus und die damit einher gehenden stilistischen Limitierungen insbesondere in Hardcore-Kreisen zu befolgen und machen ihr eigenes Ding, indem sie sich optisch und stilistisch abgrenzen. So gibt es ab Anfang der Achtziger entgrenzten Lärm, gepaart mit Strukturen aus der Rockmusik – und man nennt das Noise-Rock. Erste Lautzeichen gibt es schon vor '86 mit Debüt-Alben der Swans und ihrer New Yorker Kollegen Sonic Youth und Live Skull, mit den EP's und Alben der Butthole Surfers, Big Black, Flipper, Squirrel Bait. Manche Hardcore-Flaggschiffe wie Minutemen oder Black Flag haben die Grenzen des Hardcore schon lange überschritten und werden möglicherweise von den selben Leuten geliebt, die auch Swans und Butthole Surfers hören. Aber machen die Noise-Rock? Wer das so nennen will, darf das tun – und so ist der Artikel über das SST-Label 1986 die Ergänzung zu diesem hier. Wollte ich 80er Noise-Rock definieren und das Jahr benennen, in dem er erstmals in beachtenswerter Zahl in Album-Form entzückte, so ist IMO '86 das beste Jahr dafür - denn es gab folgende Alben:

Sonic Youth


EVOL

(SST, 1986)

Mit Punk bzw Hardcore haben Sonic Youth wenig zu tun. Sie entstammen eher der Avantgarde-Ursuppe New Yorks, haben sich seit ihrer Gründung 1981 als intellektuelle, lärmende Seite des NY-No Wave etabliert, mit ihren beide vorherigen Alben Confusion is Sex und Bad Moon Rising unter klugen Köpfen mit Geschmack schon Interesse geweckt, aber durch die konsequente Vermeidung aller „Rockismen“ noch nicht so viel Erfolg, wie man sich ihnen wünscht. Aber nun wechseln sie auf Bitten von Greg Ginn zu dessen Label SST (der will 'raus aus der engen Hardcore-Kiste – siehe weiter unten), sie tauschen ihren Drummer Bob Bert gegen Steve Shelley von den (da noch) Anarcho-Punks Crucifucks und beginnen nun erstmals ihrem bis dato bewusst formlosen Noise Form zu verleihen, lassen Melodie zu, gar so etwas wie „Romantik“... Nicht missverstehen – sie sind noch weit von 1990 und Goo entfernt, aber sie schlagen jetzt den Weg Richtung Daydream Nation ein. Und so ist EVOL das erste wirklich große - „bedeutende“ - Album der New Yorker Noise-Rock Institution, eines, das mit Tracks wie dem unheimlichen Duo „Shadow of a Doubt“ und „Star Power“ samtene Düsternis verbreitet, das mit „Expressway to Yr. Skull“ tatsächlich eine der „Hymnen“ des Noise Rock liefert. Am Rande zu bemerken sei noch, dass bei „In the Kingdom #19“ der Minutemen-Bassist Mike Watt mittut – dessen Freund D Boon ein paar Wochen zuvor bei einem Auto-Unfall ums Leben kam und dem die Vier hiermit helfen wollten. Zu bemerken sei, dass Kim Gordon schon hier die coolste aller Sängerinnen und Bassistinnen ist, dass Steve Shelley's präzises Drumming die Songs nun zusammenhält, dass das traumhafte Zusammenspiel dieser Band schon hier hörbar ist – dass Sonic Youth eine beeindruckende Band waren – und das mit EVOL auch einem normalen Indie-Publikum Noise-Rock als konsumerabler Stil angedient wurde.


Swans


Greed

(K422, 1986)

Swans


Holy Money

(K422, 1986)

Swans sind von den hier versammelten Bands wohl diejenigen, die am wenigsten mit Punk bzw. Hardcore zu tun haben. Ihr Gehirn Michael Gira dürfte zwar grundsätzlich andere Musik als Seine wahrgenommen – aber nicht als Inspiration gesehen haben. Der hat von Beginn an sein eigenes Ding gemacht. Dass die vorherigen Alben und EP's dem Noise-Rock zugeordnet werden, hat mehr mit den Leuten zu tun, vor bzw. mit denen seine Band ihre ohrenbetäubenden Konzerte zelebrierte, als mit der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Bands. Dass Filth von 1983 eines der ganz großen Noise-Alben ist – dessen Klasse u.a. auf seiner stilistischen Einzigartigkeit beruht - sollte Appetit auch auf das '86er Duo Greed und Holy Money machen. Beide Alben sind gleichzeitig in New York – wieder mit Martin Bisi - aufgenommen worden und - natürlich – thematisch miteinander verbunden. Und - beide Alben stehen gemeinsam für den Moment, in dem Swans bzw. Gira sich von der reinen kompromisslosen Härte und dem übertriebenen Machismo der Anfangstage hin zu einer gewissen „Milde“ bewegen – die irgendwann in den Neunzigern zum Gothic Folk führen wird. Aber! Greed und Holy Money sind immer noch Brocken aus Noise. Beton-Klötzen aus Drums, Gebet und Lärm, tief in den Boden gerammt. „Fool“, der Opener von Greed klingt nach einer abgemagerten, hasserfüllten Version eines Bad Seeds Songs, „Heaven“ wiederum lässt heutige Wissende an manchen Funeral Doom-Act denken – die wiederum den Noise aus dem NY der Mitt-Achtziger und die Swans insbesondere sicher kennen werden. Dass auf dem Titelsong des ersten Albums Gira's neue Muse Jarboe mit Piano und ihrer majestätischen, aber eindeutig femininen Stimme für ein bisschen Milde sorgt, macht Greed zum Album des Überganges bei dem Gira das neue Konzept noch nicht ganz durchdacht hatte. Greed scheint so der„schwächere“ Teil des Alben-Duo's. Für Holy Money hat Gira dann anscheinend die besseren - weil besser durchkomponierten - Songs zusammengestellt (...zur Erinnernung, beide Alben entstammen den selben Sessions). Schon der Opener „A Hanging“ hat eine gewissermaßen unterdrückte Bedrohlichkeit, zeigt eine Dimension mehr, als die pure Misanthropie vorheriger Alben. Jarboe's Chorgesang mag manches Gebet hier irgendwie „menschlicher“ wirken lassen, obwohl die Texte und das Konzept dieses Albums sich nach wie vor um Isolation, sexuelle Abhängigkeit und andere unerfreuliche Bestandteile der menschlichen Existenz dreht. Und bei „A Screw (Holy Money)“ hilft auch Jarboes femininer Einfluss nicht: Da donnern mehrere Schlagzeuge und Gira fordert dazu auf, sich vor dem neuen Gott „ Geld“ zu erniedrigen. Beide Alben sind – wie eigentlich alle Swans-Alben – schwer und anstrengend, aber Swans sind auch einmalig und schon zu diesem Zeitpunkt schon von einer beeindruckenden Konsequenz. Ich halte es für wichtig, auf folgendes hinzuweisen: Gira hat in den 00er Jahren diese beiden Alben sowie die Vorgänger Cop und Young God als Doppel-CD imt geändertem Tracklistnig veröffentlicht – was insbesondere bei Greed/Holy Money aus naheliegenden Gründen durchaus Sinn macht. Hier ist die Mischung gelungen, die eventuell schwächeren Tracks von Greed werden erhoben, das Konzept bleibt schlüssig, beide Alben bilden die Einheit, die '86 noch nicht erkennbar war. Hier empfehle ich also tatsächlich ausnahmsweise mal die CD... Aber Filth sollte als LP in die Sammlung...


Live Skull


Cloud One

(Homestead, 1986)

Dass Sonic Youth oder Swans irgendwann zumindest zum künstlerischen Establishment der populären Musik gehören würden, wurde Mitte der 80er höchstens von den Optimisten vorhergesehen, die sich mit gleicher Berechtigung auch für deren Fellows Live Skull begeisterten. Diese '82 gegründete NY-Noise Band war bei etlichen Konzerten Co-Headliner, war im CBGB's zuhause, hatte mit Bringing Home the Bait im Vorjahr sogar schon ein ausgereiftes Debüt geboten, ging zum gleichen Produzenten wie die Kollegen (Martin Bisi) und hatte – da noch im Gegensatz zu Sonic Youth und vor Allem Swans – die Fähigkeit Noise mit Songs zu verbinden. '86 waren die Vier eine solide Einheit, die beiden Gitarren von Tom Paine und Mark C. ein wunderbarer Wall of Noise, der aber auch Licht durchließ, die Stimme von Bassistin Marnie Greenholz genauso cool wie die von SY's Kim Gordon, die Drums von James Lo so kraftvoll und flink wie die von Steve Shelley. Vor Allem diese beiden waren zu dieser Zeit die beste Rhythm-Section in New York – man höre nur ihr komplexes Zusammenspiel auf „I'll Break You“. Der rezitierte misanthropische Text, der Gitarrenwirbel darunter – da würden Sonic Youth erst in ein paar Monaten hin kommen. Dass ihre Lyrics mitunter leicht psychotische Tendenzen haben, mag den Radio-Rock Hörer gestört haben - das von No Wave und Swans abgehärtete Publikum wohl nicht. So beenden sie Cloud One – mit seinem durchaus unheimlichen Cover - mit dem Track „The Loved One" mit den lebensfrohen Zeilen: You know I'm coming / to wreck your life / to tear your face off drive the stake / through the heart of your loved one „ Hier machten sie alles richtig, aber sie hatten nicht die Ausdauer der beiden anderen Noise-Rock-Institutionen. Sie machten mit Dusted und Positraction (da schon mit Thalia Zedek statt Marnie Greenholz) noch zwei sehr schöne Alben, aber dann war Schluss und Live Skull verschwanden vom Radar. Ihre ersten vier Alben dürften jeden Noise-Interessenten erfreuen.


Big Black


The Hammer Party

(Homestead, Rec. '81-'83, Rel. 1986)

Big Black


Atomizer

(Homestead, 1986)

Diese wunderbare Hardcore/Post-Punk/Noise-Rock Band existiert auch schon seit fünf Jahren, der junge Nerd Steve Albini hat sie irgendwo in Illinoise mit zwanzig Jahren gegründet, sich einen Bassisten und einen weiteren Gitarristen von den von ihme verehrten US-Punk-Lokal-Matadoren Naked Raygun geliehen (deren Throb Throb von '84 zeigt, was er an ihnen fand) und in den Jahren bis '86 auf einigen Singles und EP's seine recht ungewöhnliche Idee von Musik dargestellt. Die Compilation Hammer Party enthält die EP's Lungs ('82) und Bulldozer ('83), auf denen Albini zunächst quasi alleine, dann mit seinen Kumpels und einem Drum-Computer eine Art Prä-Industrial Noise im Songformat entwickelt. Albini – der sich in den kommenden Jahren als enorm einflussreicher und glaubwürdiger Produzent einen Namen machen wird – passte seinerzeit wohl nicht wirklich in die florierende Hardcore-Punk-Szene. Zu sehr „Student“, zu intellektuell vielleicht, zu wenig vordergründig hart, dafür aber auf andere Weise extrem, sind seine ersten EP's mit Big Black Solitäre des riesigen und damals sehr fruchtbaren US-Underground. Lungs spielte Albini noch alleine ein, vieles hier hört sich unentschieden an – Hardcore ist ein Option, Industrial ebenso, die Lyrics kommen aus dunkelsten Tiefen, es geht um Nekrophilie („Dead Billy“), es geht um den eigenen Tod („I Can be Killed“) - dass Albini seine Aggressionen in Musik fasste, ist erfreulich – wo wäre er sonst hin gelangt...? Lungs erinnert in seinem gezwungenermaßen reduzierten Sound an das Debüt von Suicide, die folgende EP Bulldozer zeigt, wie die Ergänzung einer zweiten Gitarre und Bass Albini's Musik in Richtung Hardcore schiebt, beweist aber auch, dass Albini's Idee von „Punk“ mit der anderer Bands jener Zeit wenig zu tun hatte. Die Drum-Machine marschiert voran, die Gitarren von Albini und Santaigo Durango überlagern einander, der Bass baut das Fundament. Auf Bulldozer klingen die Songs ausgereifter, vielleicht ein bisschen gebremst, die Lyrics sind noch immer unerfreulich, aber nicht mehr ganz so persönlich, wenn etwa bei „Cables“ der Schlachtung von Vieh beschrieben wird. Auf der CD-Version von Hammer Party wurde noch die danach folgende EP Racer X ergänzt, auf der der Sound von Bulldozer etabliert wird, die Compilation ist gut, die einzelnen EP's mag ich lieber, aber sie sind mitunter schwer zu finden. Albini hatte seinen Sound gefunden, seine extrem metallisch klirrende Gitarre und die verzerrten Noise-Ausbrüche machen ihn - für mich – zu einem Beispiel für genau das, was ich Noise-Rock nenne. Und die zusammen mit Hammer Party veröffentlichte erste reguläre LP von Big Black – Atomizer – ist dann der vorläufige Endpunkt einer Etwicklung, die mit der einiger anderer Bands zusammenläuft. Mit Dave Riley hatte Albini einen neuen Basisten, der mit der Roland-Drum Machine das nach Fabrik klingende Rhythmus-Gerüst baute, über dem die zwei Gitarren und eine Kreissäge irgendwas zwischen Industrial, Punk und Noise auftürmte. Dass Albini in ausführlichen Liner Notes den Hintergrund zu jedem einzelnen Song erklärt, deute ich als Freundlichkeit, die diesen Songs kein bisschen ihrer Bösartigkeit nimmt. Selbst-Verbrennung als „just something to do“ zu bezeichnen, ist verstörend, der Titel „Fists of Love“ dürfte selbsterklärend sein - Albini war angekommen – er hatte einen einzigartigen Sound, der sich auch von Bands wie Swans oder Sonic Youth deutlich genug unterschied, er hatte sein Konzept zu Ende entwickelt und würde mit dem hierauf folgenden Album Songs About Fucking eine weitere Kurve Richtung Post-Rock-Hardcore nehmen. Es gibt auf Atomizer mit „Kerosene“ eine weitere Noise-Hymne (wenn man so etwas so nennen kann), bei der Albini regelrecht in Flammen aufgeht, „Bad Houses“ klingt, als würden The Cure Hardcore versuchen, das komplette Album ist so hart, anstrengend und so wunderbar wie EVOL und Greed/Holy Money zusammen. So geht Noise-Rock.


Butthole Surfers


Rembrandt Pussyhorse

(Touch and Go, Rec. '84, Rel. 1986)

Butthole Surfers


Cream Corn from the Socket of Davis

(Touch and Go, Rec. 1985)

Nicht Alles, was „Noise-Rock“ genannt wird, kommt also aus den kulturellen Hochburgen der USA: In Texas gibt es auch eine Traditions-Linie exprerimenteller Bands – ich sag' nur 13th Floor Elevators. Und auch die Butthole Surfers kamen aus der studentischen Punk-Szene der texanischen Großstadt San Antonio, hatten sich nach Jahren der Erprobung, nach einem wunderbar chaotischen Debüt-Album (Psychic... Powerless... Another Man's Sac von '84) und nach einer Amerika-Tour einen leisen, aber exzellenten Ruf als wilde Punk/Psychedelic/Avantgarde Band erarbeitet... somit als Band, die dem Noise-Rock zuordnen mag, wer will. Dass die drei Freunde Gibby Haynes (voc), Paul Leary (g, b) und King Coffey (dr) enorm ideenreich und …witzig... waren, dass sie dazu sehr musikalisch waren, kann man an Rembrandt Pussyhorse erstmals wirklich erkennen (Komisch eigentlich, weil sie das Album zum größten Teil schon '84 aufgenommen hatten). Hier jedenfalls etablierten sie sich in ihrer Einzigartigkeit, hier erkennt man, dass die Verwendung von manipuliertem Tape-Material, Propeller-Drums und hämischem, durch alle möglichen Filter gejagtem Geschimpfe Methode hatte. Sie hatten sich eine gebrauchte 16-Spur Bandmaschine zugelegt, spieten nun mit all den wunderbaren Möglichkeiten herum, hatten unter all den Effekten und Lärm-Spuren seltsame Songs zu bieten, die (fast) an Captain Beefheart-Verdrehtheit heranreichten. Bei „Mark Says Alright“ knurrt der Bandeigene Pitbull mit, der Opener „Creep in the Cellar“ enthält Country-Fiddle Teile, die die Vorbesitzer auf einem Tape in der Bandmaschine vergessen hatten und die die Band aus einer Mischung aus Vergesslichkeit und Faszination in ihrem Track beließen, „Strangers Die Everyday“ klingt nach Gothic – wird aber von verfremdeten Radio-Klängen in den Wahnsinn getrieben, ehe es untergeht. Dass sie den patriotischen Guess Who-Hit „American Woman“ kaputt-covern hat eine erfreuliche Logik. Rembrandt Pussyhorse ist (auch wieder) chaotisch und seeeehr experimentell. Die Klammer Noise-Rock wird naturgemäß sehr gedehnt – aber man kann auch sagen, dass dieses Album der Butthole Surfers zeigt, was in Noise-Rock möglich ist. Auf CD Releases dieses Albums war dann noch die nach diesem Album – also '85 – aufgenommene EP Cream Corn from the Sockes of Davis zu finden. Und da hört man dann, was passiert, wenn ein paar Wahnsinnige ein Konzept wie das von Rembrandt... durchdeklinieren. Mit „To Parter“ gibt es einen wirklichen „Hit-Song“, der auf späteren Wahnsinn hinweist, „Moving to Florida“ wiederum hat auch nach Butthole-Standards äußerst bizarre Lyrics: (Well, I been movin' down to Florida / And I'm gonna bowl me a perfect game / Well I'm gonna cut off my leg down in Florida, child / And I'm gonna dance one-legged off in the rain...) – und Gibby Haynes Stimme erreicht erstmals die Muezzin-Qualitäten, die ihn bei allen Freunden des Abseitigen beliebt machen würde. Dass diese Band zu Beginn der Neunziger tatsächlich so etwas wie „Erfolg“ haben würde, scheint ein Wunder – aber sie verorteten ihre Wurzeln angeblich bei Dean Martin, Grand Funk Railroad und den Beatles. Egal – wenn dann solch unglaubliches Zeug dabei herauskommt...



Kilslug


Answer the Call

(Taang!, 1986)

Noise und „Metal“ - oder Hardcore, verlangsamt bis zum doomigen Black Sabbath-Tempo – ist nicht revolutionär (dafür ist der Black Sabbath-Bezug grundsätzlich ZU altmodisch), aber diese Art Noise-Rock ist Mitte der Achtziger dennoch ein ziemlich neues Konzept. Black Flag und deren Kopf Greg Ginn mit seinem Label SST haben den Doom entdeckt, eine Band wie Flipper (und deren Alben Generic: Flipper ('82) und Gone Fishin' ('84) haben da ein Feld bestellt, das inzwischen auch von anderen beackert wird. Wobei ich zu Beachten gebe, dass Kilslug's erste Single von '82 ist – somit ist hier nicht von Epigonentum auszugehen. Auf ihrem ersten und (bis zu einem Re-Union Album 2012) einzigen Album Answer the Call bekommt man eine erfreulich ungewöhnliche Mischung aus Black Sabbath-Doom, US-Hardcore und dem hämischem Schrei-Gesang von Larry „Lifeless“ Coyle geboten. Der pflegt auf ansprechend „creepy“ Art und Weise seine Misanthropie, murmelt bei „Tart Cart“ vor sich hin, Wen er alles Wie umbringt, und preist beim Proto Grunge von „Make It Rain“ die Freuden des Blut-Trinkens. Es gibt ein paar kurze Intermezzi zwischen den Songs, die nicht nötig wären, aber dafür sind mit „Death Squad“ oder „Devil Red“ wunderbar düstere und kaputte Songs dabei. Answer the Call wirkt mitunter wie eine bewusst übertrieben Verarsche der Hass-Tiraden etlicher Hardcore Acts dieser Zeit. Somit haben Klislug entweder sehr schrägen Humor, oder sind wirklich krank. Aber All das wäre unwichtig, wäre ihr Proto-Sludge langweilig. Denn das originelle Splatter-Konzept ist genauso gelungen wie der Gitarren-Sound und einige der Songs. Keiner klang so, keiner war so seltsam und noisy – was neben der Unerfahrenheit und geringen Vertriebs-Breite des Bostoner Labels Taang! Records vermutlich dazu führte, dass das Album ziemlich unbekannt blieb und erst mit der Zeit seinen Kult-Charakter bekam. Kilslug wären bei SST vielleicht besser aufgehoben gewesen. So ist dieses Album in physischer Form zumindest in Europa nur mit erheblichem finanziellen Aufwand erhältlich. Taang! Rec. Haben es immerhin 2016 in den USA wiederveröffentlicht. Dass Larry Lifeless in den 00er Jahren eine Band mit dem Namen Adolf Satan hatte, bei der der Noise nur noch dumpf war, kann dieses eine Album für mich nicht diskreditieren.


High Rise


II

(PSF, 1986)

Zum Abschluss dieses kleinen Kapitels (das seine Ergänzung in dem Artikel über das Jahr '86 und SST Records finden soll...) MUSS ich die USA – das Land des Noise-Rock – verlassen und mich nach Japan wenden. Denn dort gründen die Wurzeln des Noise Rock mindestens so tief, wie in den USA. Hier gibt es seit Anfang der 80er das Label PSF Records – benannt nach der Band Psychedelic Speed Freaks – die wiederum niemand anders sind, als High Rise zwei Jahre vor ihrem ersten Longplayer. Labelgründer Hideo Ikeezumi hatte eine massive Vorliebe für härtesten psychedelischen (Noise)-Rock, wie ihn in den Jahren zuvor Bands wie Les Rallizes Denudes, Flower Travellin' Band, Love Live Life + One oder Far Out definiert hatten: Es ist seltsam – aber die japanischen Psychedeliker der 70er haben allesamt eine völlig übertriebene Nutzung von Distortion und Feedback gemeinsam. Waren Flower Travellin Band in den Siebzigern aber auch durchaus noch von sanfter Psychedelik beeinflusst, so wurde der Lärm in den 80ern immer größer - und gelangte nun mittels PSF an die wenigen Ohren, die dafür bereit waren. High Rise II ist weißes Rauschen, ist unter Gitarren-Gekreische vergrabene harte Rockmusik, bei der der Gitarrist regelmäßig die Kontrolle verliert. Dass die im Grunde „rockistische“ Musik auf High Rise II für mich unter den Begriff „Noise-Rock“ firmiert, hat nicht nur mit diesen Ausbrüchen zu tun. Das Power Trio aus Bassist/Sänger Ahahito Nanjo, Gitarrist Munehiro Nirita und Drummer Yuro Ujiie war ausdrücklich dem Punk der Ramones genauso verbunden wie dem Psychedelik-Kraft-Rock von Cream. Und dann ist die Aufnahme-Qualität hier bewusst dermaßen roh, hässlich und primitiv, dass es genug Hörer gibt, die dem Album unterstellen, mit kaputtem Equipment in einer Mülltonne aufgenommen worden zu sein - Aber mitnichten! Genau dieser Sound ist gewünscht und essentiell. High Rise waren mit dieser Musik und dieser Haltung in der so „disziplinierten“ Gesellschaft Japans ganz sicher Aussenseiter. Und diese Position wird in dieser Gesellschaft anscheinend mit weit größerer Vehemenz vertreten, als in den USA oder Europa. Danach jedenfalls klingt dieses Album und Songs wie das 13-minütige „Pop Sicle“. High Rise II setzte für Dekaden den Standard für japanischen Noise-Rock Bands wie Fushitsusha, Acid Mothers Temple, Boris, Boredoms, Melt Banana, Mainliner (die Nachfolge-Band von High Rise) etc pp...