Montag, 31. Oktober 2016

1981 – Ronald Reagan und die NATO und Solidarnosc in Polen – Black Flag bis The Cramps

Der Iran-Irak Krieg ist auf seinem Höhepunkt, während in den USA mit dem republikanischen Dummkopf Ronald Reagan ein ehemaliger Schauspieler und politischer Hardliner zum Präsidenten gewählt wird, der den wahnwitzigen und sinnlosen Rüstungswettlauf mit der UdSSR forciert und die NATO als Verteidigungsbündnis gegen die UdSSR ausbaut. Viele Menschen in Europa sind mit dieser Zuspitzung des Kalten Krieges nicht einverstanden - es ist die Zeit, in der die Anti-Kriegs Bewegung ebenso wie die Anti-Atom und Umweltschutz-Bewegung in Europa an Stärke gewinnt und es ist eine Zeit der Unruhen und Unzufriedenheit mit der sozialen Kälte im von Maggie Thatcher regierten Großbritannien – man muß dabei traurigerweise bedenken: Diese Politik ist eine in demokratischen Entscheidungsprozessen gewählte – Dummheit regierte wohl auch damals schon. Derweil ist in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc auf Konfrontationskurs gegen die kommunistische Partei – es ist ein erstes Aufbäumen gegen das System, ein erster Hinweis auf die Umbrüche, die in einigen Jahren folgen werden. Und dann: Erstmals wird von AIDS berichtet. Bob Marley stirbt in diesem Jahr an Krebs. Die Musikindustrie scheint keinen Erfolg auf der Suche nach DEM Trend der 80er zu haben. Man bleibt auf der sicheren Seite, kommerziell erfolgreich ist nur belanglose Musik: Soul verliert seine Seele an Disco, Country wird zu Pop, Pop wird mit den seltsamen Stars on 45 Mixes vollkommen beliebig. Aber wer sich nicht nur an den Charts orientiert wird (wie immer) erstaunlich vielfältige und interessante Musik finden: Junge Bands wie The Cure oder Echo & the Bunnymen machen in England düstere Musik zur Zeit, Soft Cell stellen mit Synth Pop – einem der fruchtbarsten Trend der Zeit - den Hedonismus der Schwulen-Szene zur Schau, in den USA beginnen mit Verspätung Bands wie Black Flag oder Hüsker Dü ihre unironische Version des Punk – den Hardcore-Punk – unter die Leute zu bringen, und gehen direkt in unterschiedliche Richtungen. Ein paar etablierte Musiker wie Rickie Lee Jones musizieren weiterhin auf hohem Niveau, in Deutschland machen diverse Bands eine ansprechende, teutonische Version des New Wave. All das ist (noch) Musik außerhalb des Mainstream. Gute Musik zu machen und dann zu verkaufen scheint '81 sehr schwer zu sein – prominent ignorierte wird hier von mir auch Phil Collins erstes Solo-Album (der hat Millionen davon verkauft... das macht dem nichts aus – und nzwischen gibt es genug Verrückte, die diese Musik im Nachhinein sogar ganz schön toll und wertvoll finden) oder zum Beispiel Foreigner's, Rick Springfield's, REO Speedwagon's fortgesetztes beliefern der Charts mit übelstem Schlock. ICH hätte in den Charts lieber folgende Alben gesehen....

Black Flag

Damaged


(SST, 1981)

Damaged gilt als eines der ersten Alben des West Coast Hardcore, der amerikanischen Reaktion auf die Punk-Revolte Englands und es definierte damals sofort durch seine Intensität und seine Kraft ein ganze Genre. Black Flag existierten zur Zeit des Releases schon seit fünf Jahren,sie hatten unter anderem mit dem mit dem dann zu den Circle Jerks abgewanderten Keith Morris diverse EP's und Singles aufgenommen (Die im folgenden Jahr auf dem Album Everything Went Black zusammengefasst wurden). Aber der wirkliche Durchbruch in Form von weltweiter Aufmerksamkeit (... in gewissen Kreisen jedenfalls...) kam erst jetzt. Ein paar Wochen vor den Aufnahmen kam mit Henry Rollins ein neuer Sänger, dessen physische Präsenz und wütende Energie dieses Album mindestens genauso prägte wie das rasante und virtuose Gitarrenspiel von Bandkopf und SST Labeleigner Greg Ginn. Der hatte nicht nur ein paar feine Songs geschrieben, sondern neben den üblichen Themen (Entfremdung, Langeweile, Wut) auch eine gehörige Portion giftigen Humor in die Lyrics gepackt. Einen Humor, mit dem sich Legionen von Jugendlichen '81 wunderbar identifizieren konnten. Das geniale Black Flag-Logo mit den vier Balken unter dem Namen zog sich bald kilometerweit über Hauswände, Songs wie die Proto-Slacker Hymne „TV Party“ oder „Rise Above“ wurden nicht nur von Punks gehört, sondern auch vom Metal-Publikum beachtet. So mancher später erfolgreiche Thrash-Metaller an der Westküste wird sich Damaged mehr als einmal angehört haben. Das Cover übrigens zeigt Henry Rollins in einem Spiegel, den er zuvor mit einem Hammer zerstört hat. Und das Blut ist Marmelade – also keine Angst.

Kraftwerk

Computerwelt


(Warner Bros., 1981)

Nach dem Erfolg von Die Mensch-Maschine brauchte das Düsseldorfer Kollektiv Kraftwerk erst einmal drei Jahre, um das eigene Kling-Klang Studio aufzurüsten und ein neues Album aufzunehmen. In diesen drei Jahren entdeckten Teile der Popwelt tatsächlich ebenfalls die von den Düsseldorfern mit erfundene Elektronik in der Musik: Sie hatten es vorgemacht, Bowie ließ sich von ihnen beeinflussen, dann kamen Bowie-Adepten wie Gary Numan, OMD, oder John Foxx (von Ultravox) nahmen den Ball weiter auf. So kam es, dass Computerwelt zu einem Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als die Musikwelt allmählich Anschluss an die Visionen der Elektronik-Pioniere fand. Und Ralf und Florian hatten nun keine Lust mehr, nur íhrer Zeit voraus zu sein und feierten stattdessen die Ankunft der Welt, die sie schon so lange versprochen hatten. Dafür hatten sie natürlich wieder einige feine Melodien parat. Diesmal gab es kurze Stücke die eine gewisse kühle Fröhlichkeit ausstrahlten: „Taschenrechner“ wurde als Single in unterschiedlichen Sprachen veröffentlicht und enthielt tatsächlich Samples von Rechnern von Casio und Texas Instrument – was den Song heute auf seltsame Weise modern und altmodisch zugleich klingen lässt. „Computer Liebe“ wiederum ist zeitloser Techno, bevor es Techno überhaupt gibt, bei „Nummern“ wird in verschiedenen Sprachen von Eins bis Acht gezählt und die Musik nimmt die vertrackten Rhythmen von IDM zuvor. Durch solche Elemente und durch das kluge „Songwriting“ behält Computerwelt – wie das Meiste, was die Düsseldorfer erschufen - bis heute seinen zeitlosen Charakter. Die Musik zu Beginn der 80er hatte wie gesagt mit den oben genannten Acts Vieles von dem übernommen, was Kraftwerk in den 70ern vorgemacht hatten - aber mit ihrer selbstverständlichen Hinwendung zum Pop waren Kraftwerk – vielleicht ungewollt – wieder Allen einen Schritt voraus.

This Heat

Deceit


(Rough Trade, 1981)

Bands wie This Heat waren und sind bis heute in kommerzieller Hinsicht völlig irrelevant - und zugleich künstlerisch so visionär und singulär, dass man sie nur als kostbare Solitäre betrachten kann... Ein Schicksal, dass sie mit vielen anderen bedeutenden Musikern spätestens seit Ende der Sechziger teilen (The Red Crayola, Captain Beefheart; etc). Ihre Erbe findet sich dementsprechend nur bei den freien Radikalen der Rockmusik, in Genres wie Drone, Prog, Freier Improvisationsmusik, Elektronischer Musik und Punk wieder – bei denjenigen, die Entwicklungen vorantreiben, an denen sich dann andere, banalere Acts bereichern. 1981 ist eines dieser Jahre, in denen es schwer vorstellbar ist, welcher „Szene“ eine Band wie This Heat angehört haben mag, wer so etwas gehört haben mag. Sie klangen – und klingen immer noch - völlig out of place. Höchstens Bands wie die Art Bears (die Art-Rock Band aus der Canterbury Szene) oder Family Fodder beackerten seinerzeit ein ähnliches Feld – allerdings aus einer anderen Richtung sozusagen. Die gleichberechtigten Multi-Instrumentalisten Charles Hayward, Charles Bullen und Gareth Williams' hatten 1977 mit ihrem Debüt immerhin John Peel's Aufmerksamkeit erlangt. Mit einem Debüt, das schon durch Bestandteile der später so unpassend genannten Weltmusik durchzogen war, einem Album, auf dem sie künstlerisch Neuland nicht bloß betreten, sondern komplett durchquert hatten. Ihr zweites und letztes Album Deceit ist deutlich mehr vom Punk beeinflusst und gilt damit als als das Konventionellere . Aber natürlich klangen sie nicht wie die Sex Pistols oder die Ramones, Punk ist nur eine Option die neben Krautrock, Tape Manipulationen, freiem Jazz und Toncollagen genutzt wird. Einzelne Songs zu benennen ist schwierig, jedes Teil hier steht für sich, ist aber seltsamerweise immer dieser speziellen Band zuzuordnen. Ich sag's mal so: Versuche dir eine wilde Mischung aus Can, afrikanischer Musik, Pere Ubu ohne Gesang, Soft Machine und kaputtem Radio vorzustellen. Es ist Post Punk, ehe Punk Geschichte ist. Und ist so was wie „Radio Prague“ überhaupt Musik ? Und ist „Hi Baku Shyo“ nicht schrecklich und zugleich schön ?

Glenn Branca

The Ascension


(99 Records, 1981)

.. und aus gegebenem Anlass noch so ein Album, das keiner kennt, aber alle kennen sollten (... ich will diesmal eine Weile im "experimentelleren Bereich der Populärmusik verweilen). Aber irgendwie ist es ja auch verzeihlich, dass ein Musiker wie Glenn Branca und der Lärm den er mit vier voll aufgedrehten Gitarren, Bass und Schlagzeug macht, nicht jedem gefällt. Branca hatte in New York mit den Theoretical Girls No Wave mitgemacht, die Bereiche in denen Punk und Kunst zusammenlaufen begannen mitgestaltet, war der klassischen Musik sowenig fremd wie der gerade entstehenden Noise-Szene, aus der Bands wie Sonic Youth und die Swans erwachsen sollten. Und so ist The Ascension die Vorwegnahme all dessen, was diese beiden und etliche andere Bands bis weit ins kommende Jahrtausend tragen sollte – Nebenbei, wen wundert es da, dass einer der hier mitspielenden Gitarristen Lee Ranaldo ist (später bei eben jenen Sonic Youth) Komponiert wie eine Symphonie (...später aufgenommene Alben würde Branca dann explizit „Symphony No...“ nennen) arrangiert er sein Orchester aus ohrenbetäubenden Gitarren, Bass Drums um minimalistische Tonsequenzen. Ohne die Vorarbeit in Stücken wie dem über 12-minütigen „The Spectacular Commodity“ hätte Michael Gira vermutlich niemanden gefunden, der mit ihm drei Töne über 20 Minuten anschwellen lässt, bis das Trommelfell blutet. Branca und seine fünf Mitstreiter nahmen The Ascension zwischen Tourdates in den USA und einem Europatrip auf – in einem „Rock“ - Studio, was den Facetten seiner Musik nur zum Teil entspricht – aber die Band war hörbar eingespielt, so dass dieses Album ein wunderbares Dokument seiner Zeit ist. Und es ist in der Tat anstrengend - ich persönlich kann den Lärm zu bestimmten Zeiten auch mal langweilig finden. Aber dann höre ich eben die Moody Blues, um mir dann wieder die Ohren von The Ascension freiblasen zu lassen.

Massacre

Killing Time


(Celluloid, 1981)

Und noch mehr davon ? Massacre war ein weiteres Trio aus dem No Wave/Free Jazz Umfeld in New York (... und hat nichts mit gleichnamigen Death-Metal Acts zu tun.... wobei....). Auch hier sind die Musiker zwar namhaft, aber nicht populär. Der britische Gitarren-Radikale Fred Frith, Drummer Fred Maher, der mit dann bald Lou Reed ebenso zusammenarbeitete wie mit Lloyd Cole und der hyperaktive Bassist/Produzent und Hansdampf in allen Gassen Bill Laswell. Ihr einziges Album Killing Time ist ein Meisterstück in Kakophonie und Dissonanz, irgendwo zwischen Punk, Noise und freiem Jazz – also mithin genau da, wo man es bei diesen Musikern vermuten würde - und es ist dabei doch irgendwie erstaunlich genießbar. Nein - nicht wie ein Album von Television oder Sonic Youth, eher wie ein Aspekt von etwas, auf das sich die oben erwähnten This Heat hätten konzentrieren könnten. Das Ergebnis ist einerseits akademisch, andererseits merkt man dem Titelstück etwa ganz deutlich den Spaß an, den Fred Frith hatte, als er auf die Saiten eindrosch, die Disziplin, mit der Laswell und Maher Rhythmus und Struktur in den Noise von „Corridor“ legen. Daß die Songs (...ja, es sind Songs) meist die 3-Minuten Grenze nicht überschreiten, dass sie tatsächlich immer wieder durch kleine Gadgets wie Bass-Flageolet-Töne, stöhnende Gitarrensounds oder das Schaben auf Saiten aufgelockert werden, dass sie im Grunde simpel, oft sogar minimalistisch bleiben, lässt mich Killing Time hier voller Begeisterung empfehlen – denn das ist ein echtes Qualitätsmerkmal. Jazz für Art-Punks, Punk für Free Jazzer.

King Crimson

Discipline


(E.G., 1981)

Und wenn ich schon mal dabei bin, passt es ja, die Brücke zu King Crimsons Wiedererweckung in Form des Albums Discipline zu schlagen. Was Robert Fripp dazu bewogen haben mag, die Band, die einen Ruf als „coole“ progressiv-Rock Formation zu verlieren hatte, neu zusammenzustellen, weiß ich nicht - und es hat mich damals auch nicht interessiert. Es könnte die Erstarkung der experimentellen Musik (im Untergrund zwar, aber das hat er sicher bemerkt...) gewesen sein, oder die Tatsache, dass er in den Jahren mit Brian Eno die richtigen Musiker gefunden hatte. Es kann auch sehr esoterische Gründe haben – Fripp spütrte laut Interviews den „Geist des scharlachroten Königs“ wieder. Aber wie gesagt – es ist egal. King Crimson hatten auf sehr hohem Niveau Pause gemacht (mit dem großartigen Album Red – 1974). Nun hatte Fripp wieder Bill Bruford als Drummer zu sich geholt, aber er hatte nun den Peter Gabriel Bassisten Tony Levin mit an Bord und als Jungbrunnen den Talking Heads/ Brian Eno Gitarristen Adrian Belew dazu geholt. Das neue Album klang wie eine Fortsetzung von Red, versetzt mit der zappeligen Energie der Talking Heads, aber dann diszipliniert durch Fripp's Sinn für Struktur und Ordnung (Discipline eben...). Oder anders: Als hätten die Talking Heads ein paar Jahre an ihren Instrumenten geübt - denn Adrian Belews Gesang klingt sehr nach David Byrne – hör' dir nur „Elephant Talk“ an – aber die Virtuosität, mit der Fripp und Belew sich gegenseitig an den Gitarren umspielen, hat mit den New Wave Meistern wiederum nichts gemein. Und auch wenn das sanfte „The Sheltering Sky“ zunächst nach einem Ausflug der Heads nach Afrika klingt, verwandelt es sich doch bald in eine runderneuerte Version der ruhigeren Sound- und Melodiecollagen King Crimson's, und das furiose „Frame by Frame“ mit seinen Auf-und-Ab Gitarrenläufen ist dann tatsächlich Progressive-Rock in modern.

Brian Eno & David Byrne

My Life in the Bush of Ghosts


(Sire, 1981)

Bei Brian Eno und David Byrne waren wir gerade, also...: Eno genoß mit Byrne (und den Talking Heads) eine so fruchtbare Zusammenarbeit, dass ein Solo-Album der Beiden irgendwie logisch war. Und dass dabei alles andere als gewöhnliche Popmusik entstehen würde, war auch klar. Tatsächlich wurden die meisten Songs von My Life in the Bush of Ghosts während der Aufnahmen zu Remain in Light aufgenommen, dem von Eno produzierten Album, bei dem Einflüsse afrikanischer Musik den wichtigsten Bestandteil im Sound der Heads bilden. Auf Bush of Ghosts... werden diese Ideen ausformuliert, verändert, und um etliche Faktoren erweitert. Das Album ist eine komplette Sound-Collage aus Radioschnipseln, den Gesängen libanesischer Bergbauern, christlichen Predigern, muslimischen Gesängen, ägyptischer Popmusik und Soundspuren eines Exorzismus-Rituals. Über all das legen Musiker wie Bill Laswell (siehe Massacre übrigens... hier hängt Alles zusammen), David Van Tieghem oder Talking Heads Bassist Chris Frantz gemeinsam mit etlichen Percussionisten einen Funk-Teppich. Dass sich daraus eine muskulöse Einheit bildet, dass es wie eine Erweiterung der Rhythmus- und Soundideen der Talking Heads klingt, ist einerseits logisch, zeigt andererseits aber auch die Meisterschaft sowohl des Visionärs Eno, wie auch des nervös-autistischen Schlaukopfes Byrne. Die beiden nahmen mit dieser Sample-Orgie unter Funk-Rhythmus etliches vorweg, was in den kommenden Jahren in der populären Musik geschehen sollte. ... Bush of Ghosts... mag heute nicht mehr so revolutionär klingen wie 1981, aber man kann sich immer noch trefflich in den Klüften und Spalten seiner Soundlandschaften verlieren.

Motörhead

No Sleep 'til Hammersmith


(Bronze, 1981)

Es wird ja immer wieder gerne der Versuch gemacht, Motörhead irgendwie zu intellektualisieren – was meiner Meinung nach völlig unnötig ist. Wenn man rohen ungezügelten Rock'n'Roll, - mit den Mitteln der Beginnenden Achtziger in völlig eigenständigem Stil hören will, dann muss No Sleep 'til Hammersmith her (Oder eines der ersten Studioalben desTrios) – und dann braucht es keine wortgewandte Rechtfertigung. Die drei Musiker um den ehemaligen Hawkwind Bassisten und Rock- Veteranen Lemmy Kilmister hatten vor Allem mit Overkill (79) und Ace o' Spades (80) phänomenale Studioalben gemacht, die genauso gerne von Black Sabbath/ Deep Purple Fans gehört wurden, wie von Fans der Sex Pistols oder The Damned (mit denen sie auf Tour waren). Letztlich aber haben Motörhead immer nur nach sich selbst geklungen. Da sind Elemente aus Heavy Metal und Punk, da ist auch der psychedelische Rock von Hawkwind, nur eben eingedampft auf seine härteste Essenz, da ist Lemmy's Stimme, die so ungekünstelt nach Suff und Proletariat klingt, nach jemandem, der noch den konsequentesten Nihilisten auslacht und da sind Songtitel, die wie definitive Parolen klingen. No Sleep 'til Hammersmith könnte man auch als schnöde Best of... der ersten Alben bezeichnen, aber die bekannten Songs sind so mitreissend gespielt, klingt so „live“, dass man gerne dabei gewesen wäre – wenn man nicht um seine Ohren fürchten müsste. Alle elf Songs sind Hits. Ob „Ace of Spades“, „Bomber“ oder „Overkill“ - egal. Alles essenziell und alles auch ein bisschen gleich.... Jaja, wie man so sagt: Im Grunde braucht man von Motörhead nur ein Album – maximal – aber dann will man doch immer noch ein bisschen mehr von dieser staunenswerten Urgewalt hören. Dies ist KEIN Heavy Metal. Es ist Motörhead.

The Gun Club

Fire Of Love


(Slash, 1981)

Das Debüt des Gun Club muß zu Zeiten von New Wave und Synth-Pop für den Charts-Hörer äußerst unzeitgemäß geklungen haben – wenn es dann von so jemandem gehört wurde. Fire of Love vermischt Rockabilly, Roots/ Blues Music und Punk zu einem Gebräu, das man heute Gothic Americana nennt, Musik, die inzwischen meist von einem berechneten Image lebt - aber auf diesem Album gibt es keine Unze Berechnung. Der Kopf der Band, Jeffrey Lee Pierce, war – nachweislich - ein Getriebener, der keine andere Wahl hatte, als diese Musik zu machen. Mit seiner Stimme zwischen unirdischem Geheul und besessenem Gesang klang er wie ein Punk, der Zynismus mit Leidenschaft vertauscht hatte, der uralte Geschichten von Sex, Mord und Drogen zu erzählen hatte. „Sex Beat“ hat einen simplen Country-Shuffle Rhythmus, nimmt aber bald rasant Tempo auf. Das durch den Blues Giganten Robert Johnson bekannte „Preachin' the Blues“ wird im Stakkato vorgetragen und mit glühender Slide angesengt. „Ghost on the Highway“ ist Punk-Blues, „For the Love of Ivy“ läßt Bilder von KKK-Ritualen in den Sümpfen der Südstaaten entstehen. Diese Art Blues war giftig und neu (oder auch uralt), und Pierce wird sich gewiss nicht gefragt haben, welches Genre er hier bediente. 20 Jahre später fragte Jack White von den White Stripes vollkommen zu Recht „..why are these songs not taught in schools?

Wipers

Youth Of America


(Park Avenue, 1981)

Die Wipers werden mir immer ein Rätsel bleiben. Ihre Songs sind episch, aber meist kurz, voller Pathos und zugleich ungemein ökonomisch – ja regelrecht sparsam. Die ersten drei Alben sind unverzichtbar, ob das Debut Is this Real ? aus dem Vorjahr oder das folgende Album Over the Edge besser ist, als Youth of America, spielt keine Rolle. Man muss alle drei haben. Aber ihre Einordnung und ihre Beliebtheit bei einem Publikum, das sich zu Hardcore oder Punk bekennt, ist ein bisschen verwunderlich. Ihre Musik mag spartanisch sein, aber Gitarrensoli... diese Hippie-Melodik...die Länge der Songs ? Wichtigster Faktor für den Sound der Wipers ist ohne Zweifel Gitarrist/ Sänger / Songwriter Greg Sage – ein Getriebener, ähnlich wie Gun Club's Jeffrey Lee Pierce – nur kompromissloser und diktatorischer als dieser. Und einer, der sich irgendeiner Szene vermutlich nicht „zuordnen“ würde. Seine Mitspieler sind im Grunde austauschbar, er definiert Alles an der Musik seiner Band. War das Debüt noch eine Sammlung kurzer, harter Songs gewesen, in Tempo und Haltung durchaus „Punk“ - so wollte Sage sich mit dem Nachfolger nach eigener Aussage bewusst von den Bands der US Punk-Szene absetzen. Ich vermute, da spielt einerseits der unbedingte Wille, sich von Nichts und Niemandem vereinnahmen lassen zu wollen eine Rolle als auch der Umstand, dass Sage mit fast 30 Jahren ganz einfach einer anderen Generation angehörte. Jedenfalls sind Stücke wie „Pushing the Extreme“ oder der über 10-minütige Titeltrack kein Punk – und ein Fast-Instrumental wie „When It's Over“ ist von Zeitgenossen wie Black Flag, den Ramones oder Dead Kennedy's meilenweit entfernt. Es ist schwer zu beschreiben, was die Wipers genau machen – sie klingen getrieben, kompromisslos, rau, aber vor Allem klingen auch sie wie keine andere Band.

The Cramps

Psychedelic Jungle


(I.R.S., 1981)

Und wenn ich die letzten beiden Alben hier hingestellt habe, darf ich dieses nicht weglassen... denn auch die Cramps haben in den sumpfigen Bereichen gewildert, in denen der Gun Club residierte. Sie waren mindestens ebenso besessen, und auf ihrem zweiten Album liehen sie sich auch noch den Gun Club Gitarristen Kid Congo Powers aus – aber sie hatten mehr Humor. Es gelang ihnen auf diesem zweiten Longplayer erneut, thrashigen Punk und Rockabilly mit Spuren von Blues und Country und stilbewußter B-Movie Attitüde zu verbinden. Einzig die Tatsache, dass sie selber das Album später als „zu konzeptionell“ - und damit als zu langsam bezeichnen würden, könnte man beklagen. Aber gerade diese Eigenschaften sprechen vielleicht auch für Psychedelic Jungle. Lux Interior und Poison Ivy waren jedenfalls immer noch die Vordenker der Band, Interior sang auch hier als würde er gleich überschnappen und Poison Ivy's Behandlung der Gitarre war einzigartig primitiv. Psychedelic Jungle ist für Cramps-Verhältnisse tatsächlich fast „ruhig“ und dadurch auch irgendwie ...psychedelisch. Sie coverten mit „Greenfuz“ oder „Goo Goo Muck“ obskursten Garage Punk aus den Sechzigern, verfielen bei „Don't Eat that Stuff on the Sidewalk“ in Zappa-eske Freak-Outs, und wurden dann bei „Rockin' Bones“ fast subtil.... aber zum Glück nur fast. Denn da gibt es noch „Caveman“ und das brilliante „The Natives Are Restless“...All you need is Rock and Roll and B-Movies, fellow cave dwellers.

















































Montag, 24. Oktober 2016

1989 - George Bush d.Ä. kommt und der Kommunismus endet - New Order bis Beastie Boys

George Bush wird Präsident der USA, und löst Ronald Reagan ab - ein Idiot wird also gegen ein Arschloch ausgetauscht. Vor Alaska havariert der Öltanker Exxon Valdez und löst die größte Ölpest in der Geschichte der Vereinigten Staaten – und damit der gesamten Welt.... bislang - aus. Irans religiöser Staatsführer Ayatolla Khomeini stirbt und im Ostblock lösen sich die Herrschaftssysteme der Kommunistischen Parteien auf. Zuerst In Ungarn, dann in Polen in der CSSR und in der UdSSR, und dann auch in der DDR müssen die kommunistischen Regimes dem Druck ihrer Bevölkerungen nachgeben und freie Wahlen zulassen und die Grenzen zum Westen öffnen. Estland, Lettland und Litauen werden selbstständig. Die Truppen der UdSSR ziehen sich aus Afghanis-tan zurück. In Rumänien wird der Diktator Nicolai Ceausescu hingerichtet und in der CSSR wird der Schriftsteller Vaclav Havel Staatspräsident. Die Demokratie hat also gesiegt? Mitnichten, gewonnen hat nur der Kapitalismus, aber das wird man dann noch sehen... Der Gameboy kommt in Japan auf den Markt. Salvatore Dali stirbt, R.E,M, bekommen einen hoch dotierten Vertrag bei einem Major. Und in der Musik beginnen Acid House und Dance ihren Einfluß auf die Rockmusik auszuweiten, Independent ist nicht mehr ganz so unabhängig, hat aber einige Highlights, Neil Young wird wieder wach, und auch Lou Reed beginnt seinen dritten Frühling, in Seattle machen sich einige Bands zum Sprung bereit, die mit Punk und Pop und Rock aufgewachsen sind, Death Metal erhebt sich aus dem modrigen Untergrund und definiert sich durch einige Klassiker, HipHop und Crossover machen sich auf den Weg in den Mainstream. Es erscheinen diverse gute Platten, die kommende Entwicklungen andeuten, aber Manches ist auch erschreckend medioker, anscheinend warten etliche ehemals Kreative auf das neue Jahrzehnt. Und natürlich gibt es wie immer haufenweise Musik, die sich elend gut verkauft, die aber richtig schlecht ist – Ich erwähne mal Milli Vanilli – oder die nicht völlig entsetzlichen Simply Red und den Mainstreamservice, den uns Phil Collins mit seinen Hitsingles bietet. Sie Alle verkaufen Unmengen von Alben, aber ich will und werde sie nicht meiner Aufmerksamkeit würdigen.

New Order

Technique


(Factory, 1989)

Während der drei Jahres Pause nach dem Vorgängeralbum hatten New Order die Sommer auf Ibiza verbracht und dort, beeinflusst von der inzwischen vor allem dort regelrecht explodierenden Dance-Szene, die Rhytmustracks zu ihrem neuen Album aufgenommen. Mit diesen als Basisi gingen sie zurück nach Manchester, und nahmen ihre bis dato optimistischste und tanzbarste LP auf. Mit Technique begruben New Order endgültig Ian Curtis und setzten sich an die Spitze der Club Szene. Ein Stimmungsumschwung der schon auf dem wieder von Factory Designer Peter Saville entworfenen Cover erkennbar wird – das erset New Order Sleeve Design, das wirklich „bunt“ zu nennen ist und die strenge Goth-Ästhetik durchbricht. Und die Musik hinter dem Cover ist tatsächlich New Order in hellsten Farben: Ihre Musik war nie wirklich kompliziert, auch zu Joy Division-Zeiten nicht, und auch danach gab es immer eine reduzierte Melodik und -mit den - ohne Curtis - manchmal fast peinlich simplen Texte von Bernard Sumner, aber gerade das passt im Konetxt von Techno und Disco doch ehrlich gesagt ganz wunderbar zur Musik, gibt ihr sogar den besonderen Kick. So ist die erste Single „Fine Time“ einer ihrer tanzbarsten Songs, zwar wie gesagt mit Wegwerf-Lyrik, aber mit einem ansteckenden Beat und einem tollen Riff. Allerdings ist der Hit soundmäßig im Vergleich zum Rest des Albums am wenigsten würdevoll gealtert. Besser klingen heute Songs wie „Round and Round“ und „Mr. Disco“, die ebenfalls den Dancefloor bedienen. Andere Songs - wie „Love Less“ oder „Run“ - hingegen haben noch das Flair bleichen Alternative-Rock's -vor Allem wegen des unnachahmlichen Bass-Drive's, der New Order immer auszeichnete und der Technique zum gelungenen Spagat zwischen Disco und Indie macht – und letztlich ist Modernität hier Mode – und die kommen und gehen... und kommen auch wieder.

The Stone Roses

s/t


(Silvertone, 1989)

Tanzbarkeit: Ende der Achtziger ist das ein immens wichtiger Faktor in der Musik, egal ob im Mainstream oder ausserhalb. Ich habe mal gelesen, dass das Debut der Stone Roses als eine Art Nevermind für Great Britain angesehen wird. Und tatsächlich entstand um diese unglückliche Band - wie zwei Jahre später um Nirvana - schnell ein gewaltiger Hype, der auch durchaus berechtigt war - jedenfalls wenn man nur dieses erste Album hört. Ihre Mischung aus dem Sound der Byrds und Rave, die wunderbar leichtfüßigen Gitarren-Chords von John Squire und die Dance-Rhythmen von Reni und Mani... dazu der coole und zugleich so britisch arrogante Gesang von Ian Brown, den sich der kleine Liam Gallagher damals sicher öfters angehört hat - und dann noch die wunderbaren Songs: Es sind die Hymnen für die aufkommende „Madchester Scene“, die die Stone Roses durch das Album und durch ihre Auftritte mit begründeten, und die Tanzbarkeit und einen gewissen „independent spirit“ in sich vereinen. Bei „Elephant Stone“ oder „She Bangs the Drum“ wird Neo-Psychedelia und Dance gepaart, „I Wanna Be Adored“ klingt zurecht herrlich arrogant, mit diesen klingelnden Gitarrenschichten ist es einfach adorable. Und wenn am Ende der LP Ian Brown „I am The Resurrection“ singt, mag er sich wie der Erlöser vorkommen, das acht-minütige Monster aus Gitarrenlärm und rollenden Rythmen aber läßt doch wirklich buchstäblich Tote auferstehen. Es ist tragisch und leider zugleich auch wenig verwunderlich, dass die Band nach diesem formidablen Debut an Vertragsquerelen aber auch an der eigenen Arroganz grandios scheiterte.

Pixies

Doolittle


(4ad, 1989)

...und um wieder auf Nirvana zurückzukommen... Nicht umsonst wurde Kurt Cobain nie müde, die Pixies als eine seiner absoluten Lieblingsbands und Black Francis seinen liebsten Songwriter zu loben. Die Pixies waren – für den der sie nicht kennt - Ein dicklicher Schreihals mit einer Vorliebe für Surf- und Punkrock, gesegnet mit einer immensen Popsensibilität und eine Backing-Band, die aus Musikern mit genug eigenem Profil für jeweils eigene Bands ausgestattet waren. Sie spielten auf den dreieinhalb Alben ihrer ersten Karrierephase Popsongs mit den Mitteln des Garagenrock und der manischen Intensität von Heilanstalts-Insassen. Natürlich landeten sie damit auch zur Zeit der Veröffentlichung dieses inzwischen schon dritten Albums keine großen Radio-Hits – das war Ende der Achtziger – vor „Smells Like Teen Spirit“ eben – noch nicht zu erwarten. Dazu waren die kommerziellen Radiostationen und MTV zu feige und zu bequem Aber sie lösten in Musikerkreisen und bei einer jungen Generation von Hörern einen Erdstoß aus, der unter anderem bis nach Seattle reichte, und der Bands wie Nirvana den Weg freisprengen sollte. Es ist schon all das versammelt, was die Musik der 90er ausmachen würde. Preziosen wie die unwiderstehlichen Singles „Here Comes Your Man“ und „Debaser“ oder der surrealen Love Song „La La Love You“. Produzent Gil Norton verlieh dem ganzen gerade genug Struktur, um den lyrischen wie soundtechnischen Irrwitz des Black Francis im Zaum zu halten. Songs wie „Monkey Gone to Heaven“ machte die Pixies zu Underground-Helden und Doolittle zu einer der besten LP's dieses Jahres. Aber es zeigte auch die Probleme auf, an der die Pixies letztlich scheitern sollten: Nur bei einem Song noch („Sliver“) bekam die Bssistin Kim Deal einen Credit. Der Rest war vom Diktator Black Francis befohlen. Bald würde die Band am Egoismus Franci' zerbrechen und auch in ihrer zweiten Inkarnation 25 Jahre später nicht mehr an diese Zeit anknüpfen können. In Seattle allerdings gab es einen jungen Mann, der ganz genau zugehört hatte.

Nirvana

Bleach


(Sub Pop, 1989)

..Genau: In Seattle gab es einen gewissen Kurt Cobain, einen jungen, ein bisschen disfunktionalen, aber ehrgeizigen Musiker, der sich die furchtlose Vermischung von Pop, Punk und Wahnsinn bei den Pixies genau angehört hatte und der in den letzten Jahren ein kleines Trio um sich versammelt hatte – noch mit vakantem Platz am Schlagzeug, aber mit einem freundlichen Riesen als Bassisten. Und dieser Typ hatte natürlich auch bei den Beatles und bei The Clash und den Stooges und bei seinen Kumpels von den Melvins zugehört... Kurt Cobain's Inspirationen sind „musically correct“ in höchstem Maße. Und seine Musik mag beeinflusst sein von Anderen – wie soll es zu Beginn der Neunziger – also nach 25 Jahren Rockmusik auch anders sein - sie war aber auch immer seine eigene Vision. Das Debut von Nirvana wurde für gerade mal 600 $ vom Indie-Produzenten Jack Endino in ein paar Tagen aufgenommen, was Cobain's Ethos entsprach, und man sollte es einfach NICHT vergleichen mit Nevermind, DEM Mega-Seller und Markstein des Alternative-Rock.. In gewisser Weise spiegelt Bleach viel stärker die Vorstellung von Musik wieder, die Nirvana Zeit ihrer Existenz hatten, und ist ganz nebenbei weit näher an der Atmosphäre ihrer Live-Auftritte. Bassist Krist Novolesic war wie oben angedeutet (bis zuletzt) Cobain's engster Vertrauter, an den Drums half bei diesem Album noch Melvins-Schalgzeuger Dale Crover aus, Dave Grohl sollte erst einige Monate später zu der Band stossen. Es wäre sicher interessant, sich vorzustellen, die Produktion wäre ähnlich „kommerziell“ wie beim Nachfolger (diese Anführungszeichen sind sehr ernst gemeint, Nevermind ist meiner Meinung nach auch nie „kommerziell“ gemeint gewesen). Die meisten Songs sind nicht weniger von Pop geprägt, als der Über-Hit und Durchbruch „Smells Like Teen Spirit“. „About a Girl“ etwa hat durchaus schon die Qualitäten der Songs des kommenden Albums, genauso wie der Opener „Blew“ oder das Cover „Love Buzz“. Manchmal versinkt das Album im „Sludge“ (= Schlamm) - und das war genauso gewollt - aber selbst Monster wie „Paper Cuts“ haben ihre Qualität. Dass Bleach erst im Gefolge des Nevermind -Erfolges zum Big Seller werden sollte ist berechtigt. Es ist nicht so (gut) wie Nevermind, aber andere Bands hätten auf solch einem Album eine Karriere aufgebaut. Was Nirvana letztlich ja auch taten. Zunächst aber war dem Album nur ein moderater Erfolg für ein Indie-Debutalbum beschieden... oder besser: Noch hat keiner was bemerkt.

The Cure

Disintegration


(Fiction, 1989)

Was haben The Cure in den 80ern nicht für Meisterwerke abgeliefert. Schon ihr zweites Album – Seventeen Seconds – ist ein Klassiker. Die nachfolgenden Alben gehören zum Sound der Achtziger und sind zugleich extrem eigenständig. Es gibt kaum eine Band, die klingt wie The Cure. Manche lehnen sich an deren Sound an, aber die Paarung von Gothic, New Wave und Pop-Elementen mit dem eigenartigen Klang von Robert Smith's Stimme ist einzigartig. Und irgendwie schaffte Robert Smith es in diesen Jahren immer wieder, neue Facetten seiner Vorstellung von Popmusik zu zeigen. Disintegration ist zu gleichen Teilen aus der Düsternis von Faith und der Experimentierlust auf Kiss Me, Kiss Me... zusammengesetzt, die verwaschene Synthesizer und Keyboardsounds unterlegen die Songs mit einem Gefühl der Erhabenheit, Bass und Schlagzeug treiben die Melodie an, und Smith singt zutiefst persönliche Texte, die aber zugleich von universellen Sehnsüchten und Ängsten handeln könnten. Bei den Aufnahmen war Bandmitglied Simon Tolhurst zwar zugegen, aber meistens betrunken. Der Musik und ihrer Qualität tat dies keinen Abbruch. Wieder einmal schrieb Smith einige unsterbliche Popsongs - wie etwa das klaustrophobe „Lullabye“ oder den schon fast zu romantischen „Lovesong“. Natürlich ist das Musik, die hauptsächlich auf die Emotionen zielt – wie The Cure es von Beginn an spielten, und es ist zugleich perfekte Pop-Musik – mit einem ganz eigenen Sound. Disintegration ist ein weiteres Meisterwerk von The Cure und eines der ganz großen Alben der Achtziger – und es ist zeitlos geblieben – wie man das bei wirklich guter Popmusik manchmal findet..

Galaxie 500

On Fire


(Rough Trade, 1989)

Galaxie 500 sind eine der Bands, die man keiner Zeit zuordnen kann. Natürlich gibt es im Sound, in der Produktion ihrer drei Alben gewisse Hinweise auf die End-Achtziger/ beginnenden Neunziger, aber zu dieser Zeit gab es meiner Meinung nach - natürlich auch Dank der Fähigkeiten des Produzenten Kramer - bei manchen Alben wieder eine gewisse Neutralität in Produktion und Sound – was der Musik bis heute gut tut. Die New Yorker Band um Songwriter Dean Wareham stand aber auch in scharfem Kontrast zu anderen Acts aus ihrer Stadt – war nicht so abgeklärt und urban wie Lou Reed etwa, sondern klang eher nach introvertierter Melancholie und warmem Sonnenuntergang am Pazifik Sie mögen dem Noise-Rock Sonic Youth's und der Swans ein paar Gitarrentöne zu verdanken haben, aber der Bezug zur psychedelischen Musik der Sechziger ist weit deutlicher. Aber genug der Vergleiche – denn die haben Galaxie 500 wahrlich nicht nötig. Ihr zweites Album (von drei gleichwertigen übrigens...) erschafft seine ganz eigene Atmosphäre aus surrealen Slacker-Lyrics, slow-motion Gitarren - einen monochromen Sound, der zu jeder Zeit einzigartig bleiben würde. Wareham's Vorbilder mögen erkennbar sein, aber seine zurückhaltende Stimme klingt immer ein bisschen verschnupft aus dem Off, und das Rhythmus Gespann aus Naomi Yang (b) und Damon Krukowski (dr) spielt zwar unauffällig, aber ungeheuer melodisch und einfallsreich. Die Musik erzeugt eine Stimmung von positivem Fatalismus und sie bekommt Dank Wareham's simplem aber einfallsreichem Gitarrenspiel immer im rechten Moment eine Dosis Spannung verpasst. Am Ende des Albums wird mit „Isn't It a Pity“ George Harrison gecovert – ein Verwandter im Geiste vermutlich. Hier fügt Produzent Mark Kramer sein „cheap organ“ hinzu, anderswo hilft Tom Waits' Trompeter Ralph Carney aus, aber all das haben die Songs nicht unbedingt nötig. Für On Fire mag ich keine Highlights benennen können, dafür aber bewegt sich die Musik durchgehend ganz unauffällig auf extrem hohem Niveau. In den vier Jahren ihrer Existenz haben Galaxie 500 ganz nebenbei dreimal die perfekte Quintessenz psychedelischer Musik auf Vinyl gepresst. Dass sie inzwischen als Klassiker gelten, geschah völlig zu Recht. Produzent Mark Kramer sollte ein paar Jahre später die Slowcore Könige Low entdecken, eine von vielen Bands, deren Musik von ganz klar Galaxie 500 beeinflusst ist.

The Blue Nile

Hats


(Linn, 1989)

Gerade habe ich noch über den etwas zeitloseren Sound in der Populärmusik berichtet, der Ende der Achtziger langsam wieder einzukehren scheint. Der Sound von Blue Nile, insbesondere die Art der Produktion von Drums und Synthesizern auf ihren beiden wunderbaren Alben A Walk Across the Rooftops und Hats allerdings ist massiv den modischen Prinzipien der Achtziger ausgesetzt, ist sehr „Eighties“ und somit modisch im schlechteren Sinne - aber das Songwriting und die Themen der Songs, genauso wie Paul Buchanan's Stimme sind von zeitloser Güte. Hats ist ein weiteres Album voller verzweifelter Hoffnung und vergeblichem Begehren, das es trotzdem schafft, nie düster zu klingen. „Let's Go Out Tonight“ und „Downtown Lights“ ragen heraus, aber jeder einzelne der gearde mal sieben Songs hier ist ein essentielles Beispiel für außerordentlich kunstvoll konstruierte Musik. Die Präzision, mit der die Band arbeitete – sie brauchten nicht umsonst ganze fünf Jahre, um den Nachfolger zum formidablen Vorgänger A Walk Across the Rooftops zu erschaffen – ist aus jeder Note, jeder Melodie und jedem Beat herauszuhören. Die Songs haben cineastische Qualität, ohne je zu ausladend zu werden. Bilder werden angedeutet, eine suggestive Atmosphäre dazu erschaffen und der Rest spielt sich im Kopf des Hörers ab. Es sind Bilder von nächtlichen Bars, glitzernden Skylines, Subways und Neon-Laternen, die entstehen, unter denen der Protagonist voller melancholischer Erinnerungen nach Hause schlendert. Es ist eine Atmosphäre, wie sie Frank Sinatra für seine Generation 25 Jahre zuvor mit In the Wee Small Hours so perfekt erschuf. Die beiden ersten Alben von Blue Nile sind unverzichtbare Klassiker der „sophisticated“ Popmusik, und die Frage, ob sie in zeitloserem Klanggewand besser geklungen hätten, ist lediglich akademisch.

Neil Young

Freedom


(Reprise, 1989)

Neil Young hatte in den 80ern zwar einige wirklich schlechte Platten aufgenommen, aber ab Life (1987) hatte die Formkurve aufwärts gezeigt, und This Note's For You vom Vorjahr war zwar ein etwas unbehauenes und unbeholfenes Experiment in Blues, aber auch da waren einige Lichtblicke dabei gewesen. Den Return to Form auf Freedom hätte man allerdings dann doch nicht erwartet (Ganz nebenbei - dasselbe gilt für Lou Reed, der in diesem Jahr 1989 mit New York ein ebenso überraschendes kreatives Comeback hatte, das hier genauso einen Platz verdient hätte...). Young jedenfalls hatte auf seinem neuen Album gleich mehrere Stücke für die Ewigkeit ! Da ist das Straßenepos „Crime in the City“ mit tollen Lyrics, das rührselige, aber sooo schöne „Wrecking Ball“ die Mariachi Ballade „Eldorado“, und gleich zweimal „Keep on Rockin' in the Free World“ (wie auf Tonight's the Night einmal akustisch und einmal elektrisch und wie diese bald ein Live-Favorit) und das fatalistische „No More“. Es gab auch ein paar Filler, mehr als man einem Musiker von Young's Statur eigentlich zugestehen sollte, aber dann gab er einige ziemlich konfuse Konzerte, taumelte durch's eigene Repertoire, hatte dabei immer mehr magische Momente, trug dieselben Hemden, wie die aufkommende Generation Grunge, und der Gedanke erschien auf einmal doch nicht mehr so abwegig, dass einer (oder zwei - siehe oben) der Helden der 60er und 70er doch noch etwas zu sagen haben könnte.

Morbid Angel

Altars Of Madness

(Earache, 1989)

Wenige Alben waren für die Entwicklung des Death Metal – und somit für Metal oder sogar extreme Musik an sich - so wichtig wie Altars of Madness. Morbid Angel setzten neben Chuck Schuldiners' Band Death mit High Speed Riffs, komplexen Song-Strukturen und den chaotischen Soli von Trey Azagthoth einen Standard, dem bald haufenweise anderer Bands nacheifern würden. Die Texte von Sänger David Vincent und Azagthoth wurden aufgrund ihrer satanistischer Thematik als extrem provokant angesehen (dabei sind sie inzwischen - nach Black Metal - höchstens „Standard“...), und sie waren so eindeutig, dass niemand sie als Pose mißverstehen konnte – was zur erhofften Empörung in den Metal-Magazinen führte... David Vincents Stimme (das sog „Growlen“) klang auf diesem Album noch „höher“ als auf den folgenden Werken, was neben den kontroversen Inhalten der Lyrics ein weiterer Grund sein mag, warum die skandinavische Black Metal Szene der 90er explizit dieses Album von Morbid Angel als Vorbild bezeichneten. Im Sound gab es noch reichlich Thrash-Elemente, was die Band seltsamerweise immer leugnete, aber Altars of Madness ist in allen Belangen zweifellos und eindeutig Death-Metal (somit ein Kind des Thrash...) und hat mit „Chapel of Ghouls“ mindestens einen Klassiker des Genres an Bord. Und auch wenn das Album im Vergleich zu den folgenden Werken amateurhaft aufgenommen war, ist es eines der einflussreichsten Metal Alben der 80er – und somit eines der einflussreichsten Alben der populären Musik.

 De La Soul

3 Feet High And Rising


(Tommy Boy, 1989)

3 Feet High and Rising ist mit Sicherheit bis heute eine der einflussreichsten und einfallsreichsten Platten des HipHop, und eine der innovativsten und positivsten ihrer Zeit. De La Soul erfanden mit diesem Album eine Art des HipHop, der sich nicht mit den üblichen Street- und Gewalt Themen sondern mit Liebe, Spaß und ihrer „Daisy Age“ Philosophie befasste. Sie stellten sich nicht einfach nur zum Kampf gegen zu dieser Zeit angesagte Acts wie Public Enemy oder Boogie Down Productions, sie wollten aufzeigen, dass es auch positive Seiten im Leben gibt, wollten etwas positives gegen die Gangsta Attitüde setzen und ihre Leute auf ihre afrikanischen Wurzeln hinweisen. Und dabei entstand nicht einfach HipHop, sondern eine Art Pop, der Samples aus ganz anderen Quellen als den im HipHop üblichen verwandte. Steely Dan, Johnny Cash, Hall & Oates und die Turtles werden gesamplet, bei „Pothouse in my Lawn“ erklingt eine Mouthharp und Country-Yodeling (im Chorus!), die Texte handeln ´von der wahren Liebe („Eye Know“) oder mahnen vor den üblen Folgen von Drogenmissbrauch („Say No Go“). Der größte Hit „Me, Myself and I“ ist purer, selbstbewusster Spaß und die ganze Musik ist mit ihren Verweisen auf andere Künstler und hintergründigen In-Jokes fast so etwas wie eine DJ-Platte, die mit Spaß mehr zu tun hat als mit hartem Ghetto-Alltag. Die Rhymes sind flüssig und so ungeheuer positiv aufgeladen wie man es zuvor nicht kannte. De La Soul waren in dieser Hinsicht die Ersten und definierten ein ganzes Genre – und das über eine erstaunlich lange Zeit. Letztlich klang und klingt bis heute kein Album so wie dieses.

Beastie Boys

Paul's Boutique


(Grand Royal, 1989)

Und hier die zweite große HipHop LP des Jahres 1989. Ebenso genre definig wie 3 Feet High... , sicher etwas weniger intellektuell, mehr Spaß um des Spaßes willen. Die Beatsie Boys hatten schon mit dem Vorgänger Licensed to Ill und dem Party Hit „Fight for Your Right..“ genau das gemacht: Party Rap, aber mit Paul's Boutique machten die drei weißen B-Boys aus Broolkyn nun das definitive Statement für diese Art von HipHop. Sie sampeln die Geräusche aus der Nachbarschaft des dubiosen Ladens "Pauls Boutique", grölen zu dem von den Dust Brothers immens geschickt verwickelten Soundsalat, machen Frauen an, geraten in Gangscharmützel und erzählen von allem Möglichen. Irgendwie gelang es ihnen damit, Punk und HipHop zu einem ziemlich eigenen Gebräu zu vermischen, einem das keine andere Crew je nachkochen konnte oder wollte. Und es ist eben nicht nur die Tatsache, dass das Wild-durch-die-Gegend sampeln in zwei Jahren aufgrund von „urheberrechtlichen“ Regelungen nicht mehr möglich sein würde, die es zu einer festzemetierten Tatsache macht, daß dieses definitive Statement nie adäquat wiederholt werden konnte. So wie die Beastie Boys 1989 klangen, könnte auch heute niemand mehr klingen. Dieses Album ist - genau wie 3 Feet High.. - ein Schnappschuss aus der Zeit, als HipHop wirklich spannend und neu war...



































Dienstag, 18. Oktober 2016

2006 - Religiöse Konflikte, Wetter-Extreme und Saddam's Ende - Joanna Newsom bis Natural Snow Buildings

Im Iran und Irak, in Israel, im ganzen Nahen Osten ist die politische und gesellschaftlich/religiöse Situation enorm angespannt. 2006 ist das Jahr, in dem jeder gegen jeden irgendeinen Kampf ausficht, das Jahr, in dem die meisten Journalisten in Ausübung ihres Berufes umkommen und ein weiteres Jahr in dem Hunderte durch politisch und religiös motivierte Selbstmordattentate sterben müssen und in dem in der westlichen Welt diverse Attentatsversuche vereitelt werden. Derweil ziehen sich immer mehr Länder aus dem Irak-Krieg zurück. Die Akzeptanz für diesen Krieg sinkt und sinkt. Am Ende des Jahres wird Saddam Hussein, der ehemalige Staatschef des Irak hingerichtet. Die Stimmung zwischen konservativen Moslems und weniger religiösen Menschen wird weltweit immer schlechter, insbesondere alberne Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen führen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Fundamentalisten verstehen da keinen Spaß. Und die klimatischen Verhältnisse werden weltweit merklich immer schlechter – es kommt zu Extrem-Wetter Katastrophen durch Stürme und Schneeschmelzen (Elbhochwasser in Deutschland, Hitze-Notstand in New York) – eine Entwicklung, die sich schon seit Jahren fortsetzt. Die weltpolitische Lage ist durch all diese Entwicklungen äußerst unruhig. In diesem Jahr sterben der legendäre Ex-Pink Floyd Musiker Syd Barrett und Arthur Lee (von Love). Musikalische Highlights gibt es auch in diesem Jahr aus allen möglichen Genres: Ob Folk, Post Punk, elektronische Musik, Metal, Post Rock, Screamo, klassische Singer/Songwriter.... Da sind die Alben von Joanna Newsom, Brand New, Burial, da ist der enorm erfolgreiche Retro-Soul von Amy Winehouse, das Debüt der durch das Web bekannt gewordenen Arctic Monkeys etc. Aber wirklich innovativ ist mal wieder kaum jemand. Gute Musik zuhauf, und meine persönlichen Favoriten sind die Alben von Rachel Unthank und ihrer Folk-Familie, von Joanna Newsom und Corrina Repp. Folk von Frauen in verschiedenen Varianten... und ein stundenlanges Folk/Drone Monster von den obskuren aber majestätischen Natural Snow Buildings. Und welche Musik missfällt mir ? Ich mag die Scissor Sisters nicht, deren „I Don't Feel Like Dancin'“ aber auch irgendwie gut ist, ich kann immer noch nichts mit Rihanna oder Nelly Furtado anfangen, deren Musik mir einfach ZU geplant ist – genau wie die von Justin Timberlake, den toll zu finden irgendwie hip zu sein scheint. Aber ganz schlimm ist der Erfolg von James Blunt dem singenden Soldaten mit Quäkstimme, oder etwa der Teen-Pop-Hype um Tokio Hotel. Also, Nichts mehr davon, sondern lieber....

Joanna Newsom

Ys


(Drag City, 2006)

Als Ys 2006 herauskam, wurde es sofort und einhellig als DAS Ereignis des Jahres gefeiert. Joanna Newsom hatte schon zwei Jahre zuvor mit The Milk-Eyed Mender ein ungewöhnliches und auch ungewöhnlich schönes Album gemacht, eines, das sicher – insbesondere wegen ihrer Stimme - polarisierte, dessen schiere Musikalität aber selbst der größte Verächter ihrer gewöhnungsbedürftigen Stimme nicht verleugnen konnten. Dass sie aus einer Hippie-Famile stammte, dass sie Harfe spielte und eine durchaus elfenhafte Schönheit besaß – all das trug natürlich dazu bei, dass man neugierig war, was als nächstes kommen würde. Und dann hatte auch noch der weise alte Van Dyke Parks seine Hände beim neuen Album im Spiel, ebenso wie die Indie Koryphäen Steve Albini und Jim O'Rourke - und Bill Callahan (Smog) war dabei, der Leonard Cohen der Internet-Generation ! Ys musste zwingend gut und vor allem ungewöhnlich werden. Es ist für sich alleine gesehen schon keine geringe Leistung, dass diese Erwartungen erfüllt wurden. „Ys“ ist der Name einer Stadt in der Bretagne, deren Reichtum so legendär war, wie die Schönheit ihrer Königstochter, und die dann vom Ozean verschlungen wurde – und unter solch bedeutsamen Mythen macht Joanna Newsom es auch nicht. Aber die Texte behandeln nicht einfach nur Märchenhaftes, sie schicken den Hörer natürlich in Phantasiewelten, kehren dann aber erfreulicherweise doch immer wieder auf die Erde zurück, lassen Spielraum für Imagination und Interpretation (was man ihnen auch vorwerfen mag...) und sind vielleicht auch einfach nur vokaler Hintergrund, der sich einem klaren Konzept unterwerfen soll. Das Album ist ein Gesamtkunstwerk, das durch seine Individualität besticht. Und wer sich auf den Reiz der Stimme von Joanna Newsom und ihr klassisches Harfenspiel einlässt, das so delikat von Van Dyke Parks Orchestrierungen untermalt wird, der kann die Klasse von Ys nicht mehr leugnen. Natürlich ist die musikalische Ausführung superb, Alles wird bis ins Detail ausgeschmückt - das Cover des Albums ist nicht nur in dieser Hinsicht bezeichnend - „Only Skin“ mit seine fast 17 Minuten Dauer mag manchem zuviel sein, das ganze Album ist sehr barock, mit seinen Varianten und Veränderungen in der Textur, mit seinen ruhigen und dann wieder voluminösen Passagen, das Songwriting ist versponnen – aber wer hätte unter solchen Voraussetzungen etwas anderes erwartet ? Der 12- minütige Eröffnungstrack „Emily“ mit dem fast erschreckend abrupten Vocal-Einsatz ihrer Stimme und mit Texten, die zwischen Fantasiebildern und Konkretem wechseln ist bezeichnend für das ganze Album: "That the meteorite is a source of the light, and the meteor's just what we see... You came and laid a cold compress upon the mess I'm in. Threw the windows wide and cried, 'Amen, Amen, Amen...'" Tatsache ist, es ist eines diese unerklärlichen Alben in der Tradition etwa von Van Morrison's Astral Weeks oder Robert Wyatts Rock Bottom - Ausdruck purer Individualität und nur in seiner Ganzheit verständlich. Kein Wunder, dass es in fast allen Publikationen abgefeiert wurde. Es ist ein Meisterwerk im klassischen Sinne.

Amy Winehouse

Back To Black


(Island, 2006)

Ob Musik einen künstlerischen Anspruch erfüllen kann, und zugleich kommerziell extrem erfolgreich sein kann? Es gibt etliche Beispiele dafür, und mich hat solch ein Erfolg dann immer eher gefreut, als Zweifel an so etwas diffusem wie „Glaubwürdigkeit" zu erwecken. In den 00er Jahren war das zweite Album der Soul-Sängerin Amy Winehouse eines dieser kommerziell erfolgreichen Exemplare mit großen Qualitäten. Back to Black ist einerseits altmodisch – mit einem Vintage-Sound, mit einer Soul-Stimme, die sich an Vorbilder aus den 60ern, an altem Reggae/Ska und am Sound der Girl-Groups der Mitt-Sechziger orientiert - und die Hochleistungs-R&B-Sängerinnen der 80er und 90er komplett ignoriert. Ein Album mit Songs, die so sehr nach altem Soul/Ska/Rhythm 'n Blues klingen, dass man vermuten möchte, sie entstammen den Federn altvorderer Songwriter – was man allein schon als Kunststück bezeichnen könnte. Zumal die Vermischung der Einflüsse so mühelos gelingt und in so hitparadentauglicher Form ausgeführt wird, dass gar nicht auffällt, dass hier bislang disparate Elemente in eine ganz neue Form gegossen werden. Und all das funktioniert vor Allem, weil Amy Winehouse's Stimme mit einer unglaublichen Mühelosigkeit alle erforderlichen Emotionen aufruft, ohne technisch zu klingen und so an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Die Hitsingle „Rehab“ war wirklich nicht erst im Nachhinein nachvollziehbar, die Frau, die sich bei „Love Is a Loosing Game“ selber aufgibt, konnte man sich auch vor Bekanntwerden von Amy's katastrophaler Beziehung zu ihrem zeitweisen Ehemann/Drogenlieferanten vorstellen. Und die Stärke und Coolness, die sie bei „Tears Dry on Their Own“ besang, hätte man ihr im Nachhinein gewünscht – 2006 dachte man noch, sie stünde vor einer großen Karriere. Back to Black ist ein Album mit fantastischen Songs, postmodern und geschmackvoll, stylish, voller Versprechen auf Mehr - und der jahrelange Niedergang der so entsetzlich öffentlichen Person Amy Winehouse ändert nicht das Geringste an seiner Qualität. Sie starb dann zuletzt zu Niemandes Überraschung im Jahr 2011 ohne die Versprechen einlösen zu können. Um zu erkennen wie traurig das ist, muss man nur noch einmal zuhören... und noch einmal... und noch einmal...

Burial

s/t


(Hyperdub, 2006)

Was elektronische Musik leisten kann ? In den 00er Jahren kann sie schon lange die gleichen emotionalen Extreme anrühren, die früher nur mit Hilfe von Stimme und Gitarre erreicht wurden. Dabei haben Dubstep oder dessen Weiterentwicklung Future Garage ihre Wurzeln im Techno, in Musik mithin, die ausdrücklich Emotionen aussparen will. Und Burial (das Alias, hinter dem sich der Brite William Emmanuel Bevan verbirgt) hat auch – entgegen dem Prinzip der meisten elektronischen Musik – seinen völlig eigenen Stil – ob soundmäßig, oder ob bezüglich seiner Corporate Identity incl. sich gleichenden Sleeves etlicher formidabler EP's. Das erste „Album“ - nach einer wundervollen EP titels South London Boroughs aus 2005 – ist der düstere Soundtrack zu einer Fahrt durch die kalten Industrie-Vororte und die Slums einer dystopischen London. Vocals werden nur noch als kurze Cut-Up Samples eingesetzt, Sirenen, Regentropfen, dazu bass-schwere, gedubbte Sounds, die sich in den Magen graben. Darüber gehetzte Rhythmen, Melodiefragmente, die dem Album gerade genug Zugänglichkeit heben, dass man nicht verzweifelt, Wie ein einzelner Mensch so viele Ideen, so viele Sounds zu einem kohärenten Ganzen verbinden kann, ohne einmal den Faden zu verlieren, bleibt mir ein Rätsel. Bevan/Burial muss wohl ein Genie sein. Und es gibt auch echte Schönheit - „Forgive“ zum Beispiel ist fast schmerzhaft schön – erinnert in seinem Minimalismus an Eno und besten TripHop zugleich. Burial ist zweifellos ein Meilenstein, der aber nur erster (bzw. zweiter) Schritt auf einem langen Weg – siehe Untrue im folgenden Jahr etc pp... Kein Wunder, dass das schlaue Wire Magazin dieses Album als bestes 2006 auswählte.

The Knife

Silent Shout


(Rabid/V2, 2006)

The Knife direkt nach Burial – das ist mitnichten zu viel elektronische Musik. Zum Einen besteht im neuen Jahrtausend ein großer Teil der interessanten Musik aus elektronisch erzeugten Klängen – was zum Zweiten darauf hinweist, wie breit das Spektrum dieser Klänge ist. Die schwedischen Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer machten schon seit 1999 zusammen Musik – Synth-Pop, wenn man es so einfach bezeichnen will. So lange mithin, dass sie 2006 schon aus einem reichen Fundus aus selbst entwickelten Sounds schöpfen können – einen eigenen Stil entwickelt haben, der – siehe Burial – auf seltsame Weise hoch emotionale und zugleich kalte Musik entstehen lässt. Sie sind Herren ihres eigenen Labels – Rabid – haben eine gewisse Reputation, die sich mit Silent Shout massiv vergrößert und sie können „Songs“ schreiben: Da ist zum Beispiel „Like a Pen“ - eine 80er Synth-Pop Ode ins neue Jahrtausend gebeamt, da ist das hüpfende Titelstück, modernistisch und zeitlos zugleich, da ist „We Share Our Mothers Health“, klinisch und lebendig - und das sind nur die drei Singles. Da sind Album-Tracks wie das seltsam beruhigende „From Off to On“ in all seiner minimalistischen Schönheit oder „Forest Families“ mit perfekten Vocals von Karin Dreijer – ein Vorgriff auf ihr Fever Ray Album. The Knife machen Pop-Musik, sie versuchen nicht gewollt intellektuell zu klingen, Silent Shout ist nicht bewusst Avantgarde – und weil das Album so ungewöhnlich klingt, ist es natürlich in hohem Maße avantgardistisch – obwohl die Sounds durchaus auch nach Synth Pop aus den 80ern klingt. Und damit nehmen sie schon die Musik des kommenden Jahrzehnts vorweg. Kein Wunder also, dass Silent Shout von allen Wissenden abgefeiert wurde.

Liars

Drum's Not Dead


(Mute, 2006)

Die Liars: Ein New Yorker Avantgarde-Trio, das mit seinem Debut scheinbar auf der Post-Post-Punk Welle der frühen 00er Jahre mitschwamm, den Part von Gang of Four übernahm, aber beim zweiten Album einen überraschenden Schritt Richtung tribalistischer Hexen-Mythen machte und nun – nach Berlin ging, um in den alten Ost-Berliner Planet Roc Studios ihr drittes Album Drum's Not Dead aufzunehmen. Auch dieses Album hat ein Konzept, das aber etwas rätselhaft ist. Laut Wikipedia sind „Drum“ und „Mount Heart Attack“ zwei fiktionale Charaktere die sich wie Yin und Yang gegenüberstehen, Drum ist die Kreativität, Mount Heart Attack die Destruktion... irgendwie ist es egal, denn die Musik die dabei herauskommt - zugleich elektronisch, symphonisch und von bis ins Mark gehenden Rhythmen angetrieben - entschädigt für den schwer verständlichen Hintergrund. Bei den Aufnahmen im ehemaligen Ost-Studio wurden die verschiedenen Räume und ihre jeweils spezielle Akustik genutzt, um für jeden Song eine eigene Atmosphären zu schaffen und die Songs sind extrem rhythmisch – ja, der Rhythmus - „Drum“ eben – ist das prägende Element. Dazu kommen verzerrte Gitarren, Angus Andrews unirdischer Falsett-Gesang, Drones und immer wieder Tribal-Rhythmen – alles Elemente, die man natürlich mal hier mal dort gehört haben mag, die aber so zusammengesetzt sind, dass sie ein völlig neues, unterschwellig bedrohliches Ganzes bilden. Der Opener „Be Quiet, Mr. Heart Attack“ wird von vielen als bester Song der Liars bezeichnet, für mich steht das komplette Album als Manifest wie ein großer Felsklotz in der musikalischen Landschaft. Um es zu beschreiben, will ich mal vergleichen: Radiohead ohne Prätention, Sonic Youth im neuen Jahrtausend, Gang of Four aus dem Urwald... und all das trifft es nicht genau. Man höre einfach den Drone bei „Hold You, Drum“, man beachte, wie perfekt der Closer „The Other Side of Mr. Heart Attack“ klingt... Es ist ein schwieriges, aber ein lohnendes Album. Lustiges Faktum am Rande: Das vorherige, zweite Album der New Yorker Liars - They Were Wrong, So We Drowned – erhielt 2004 sehr gemischte Reaktionen - aber nach diesem Meisterwerk wurde es offenbar auf einmal verstanden.

J Dilla

Donuts


(Stones Throw, 2006)

J Dilla, Jay Dee, James Yancey, in seiner kurzen Karriere arbeitete dieser Produzent unter verschiedenen Namen, den Moniker Jay Dee änderte er zuletzt in J Dilla, um Verwechslungen auszuschließen. Egal, er war jedenfalls einer der einflussreichsten HipHop Produzenten, die Liste seiner „Klienten“ liest sich wie ein Who's Who des Neo Soul/HipHop: Erykah Badu, Roots, D'Angelo, Common, Pharcyde, DeLa Soul, A Tribe Called Quest, Madlib etc pp... und er war vor Allem Innovator. Donuts nahm der vier Jahre zuvor mit dem Moschcowitz-Syndrom – einer seltenen Bluterkrankung - diagnostizierte J Dilla hauptsächlich im Krankenhaus mit einem Boss SP 303 Sampler und einem kleinen Plattenspieler auf. Es ist ein Instrumental-Album mit 31 Tracks, die eine beeindruckende Show seiner Fähigkeiten darstellen, das aus den diversesten Sounds und Tonschnipseln etwas komplett Eigenes und vor Allem Neues zusammensetzt. Es gibt Samples von Old School R&B, Soul, Zappa, Kool & the Gang, Supremes, Temptations etc, und er lässt diese Samples sich überlagern, verfremdet sie, verlangsamt, legt Beats darüber, erschafft wie ein Free- Jazz Musiker Schichten aus Sounds und macht dadurch etwas bis dahin unerhörtes Neues. Das Album ist wegen seiner Dichte an Ideen anstrengend, es ist tatsächlich so, als würde man einem extrem talentierten DJ dabei zuhören, wie er die von ihm geliebte Musik auf einem einzigen Album zusammenfasst. Und letztlich ist Donuts ja auch genau das. Dass er 31 Tracks von maximal 90 Sekunden Laufzeit zusammenstellte, und dass er selber gerade mal 31 Jahre alt wurde, dürfte geplant gewesen sein. Ihm war wohl klar, dass er bald sterben würde - und drei Tage nach dem Release des Albums starb Yancey tatsächlich. Donuts wurde zum Vermächtnis, das von etlichen Künstlern zitiert – und auch benutzt – wurde. Das wiederum war gewiss auch in seinem Sinne.

Brand New

The Devil and God Are Raging Inside Me


(Interscope, 2006)

Achtung ! Jetzt kommt Emo - und das heißt, der Sänger jammert, er fühlt sich von Allen missverstanden, denkt an Selbstmord, trägt vermutlich meist Schwarz und hat die Haare vor'm Gesicht – soviel zum Klischee, das sich zunächst aufdrängt (zumindest seinerzeit), wenn man sich The Devil and God... erstmals anhört. Aber dieses Album ist kaum im Emotional Hardcore verwurzelt, die Vorbilder heißen eher R.E.M. oder Modest Mouse - und man beachte: Tiefe Emotionen waren immer Voraussetzung für großer Musik. Dass es zu dieser Zeit – Mitte der 00er Jahre – eine Welle von Bands gab, die Indie-Rock mit desperaten Lyrics machten, die mit einem Image auftraten, das Elemente aus Gothic, New Romatic und vielleicht auch ein bisschen Hardcore verbanden – und dass dabei unter genau diesem Etikett Bands wie Fall Out Boy bei einem sehr jungen Publikum Erfolg hatten, hat dazu geführt, dass eine ganze Stilrichtung diskreditiert wurde (Dabei haben im Pop doch immer die jungen Leute verstanden...?). Aber vielleicht kann man mit einem gewissen zeitlichen Abstand eine Band wie Brand New nun mit offeneren Ohren hören. Sänger/ Gitarrist und Songwriter Jesse Lacey jedenfalls weiss genug über kluges Songwriting, über Dynamik und Spannungsbögen, um Songs zu schreiben, die zeitlos im besten Sinne des Wortes sind. Schon das vorherige Album Deja Entendu (2003) war beachtlich gewesen, The Devil... ist nahezu perfekt. Dass die Musiker zur Zeit der Aufnahmen vom Tod von Familienmitgliedern und Freunden regelrecht verfolgt wurden, dass Lacey eine Jugend in einem streng religiösen Elternhaus hinter sich hatte – all das spiegelt sich in den Texten wieder und mag Grund für diese simple Zuordnung sein. So behandelt „Limousine“ den Tod einer 7-jährigen aus der Heimatstadt Lacey's , die bei einem Autounfall ums Leben kam. Lacey beschreibt den Unfall aus verschiedenen Perspektiven. Der Albumtitel bezieht sich auf den an einer bipolaren Störung leidenden Musiker Daniel Johnston, Der Titel des besten Songs des Album lautet „Jesus“, ein um eine simple Gitarrenfigur aufgebaute theatralische Tour De Force mit einem der besten Outro's der Rock-Historie. Ja, Theatralik spielt in der Musik von Brand New eine tragende Rolle, das haben sie mit Bowie, Queen, Roxy Music und Metal gemeinsam. Es ist die perfekte Mischung aus tiefsten Emotionen (um das Wort nochmal zu benutzen) und durchdachten Songs und es ist letztlich kaum verwunderlich, dass The Devil... auch zu dieser Zeit und trotz stilistischer Uncoolness - von etlichen Independent-Medien abgefeiert wurde. Dass die Band wenig Erfolg hatte, liegt an ihrer Weigerung, bei den üblichen Publicity-Ritualen (Video's. Interviews etc) mitzumachen. Wer wirklich wissen will, wie Emo in Gut klingt, sollte hier zuhören, und wer Emo nicht mag: The Devil and God Are Raging Inside Me IST gar kein „Emo“, sondern Hardcore und noch viel mehr.

Scott Walker

The Drift


(4AD, 2006)

Künstler wie Scott Walker veröffentlichen nicht in regelmäßig Platten – sie „äußern“ sich in Abständen. Walker hatte seit dem letzten Album – Tilt - elf Jahre vergehen lassen, machte nun mit The Drift in dreißig Jahren gerade mal sein drittes Album, aber dafür kann man ja dankbar sein. Dass er sich vom kommerziellen Musikbetrieb verabschiedet hatte, war schon seit dem '84er Album Climate of Hunter klar und dass es bei seiner Vorstellung von Musik schwierig sein würde, eine veröffentlichungswillige Plattenfirma zu finden ist sicher auch EIN Grund für den Zeitverzug. Aber Scott Walker macht es ja auch niemandem leicht. Wer will, kann The Drift durchaus auch der Kategorie „Kunstkacke“ zurechnen. Auf jeden Fall ist es harter Stoff, es geht um politische Verbrechen in Europa und den USA, da wird bei „Clara“ die Hinrichtung des nationalsozialistischen Diktators Mussolini und seiner Geliebten Clara Petacci behandelt und dazu ganz passend ein Stück Schweinefleisch mit dem Baseballschläger bearbeitet, da erklingen String-Arrangements, die an Angelo Badalamenti und David Lynch erinnern, Gitarren klingen - wenn eingesetzt – nach Sludge und Swans. Drift ist definitiv keine Rockmusik, das Instrumentarium wird im Sinne Neuer Musik oder meinetwegen Avantgarde eingesetzt... „Jesse“ zitiert Elvis' „Jailhouse Rock“´, aber Walker beschreibt den Song als seinen Kommentar zu 9/11 und benutzt dabei das Motiv des totgeborenen Zwillingsbruders der amerikanischen Ikone. Und dann ist da "Cue," die epische, 10-minütige Studie über eine sich ausbreitende Pandemie, mit dem Klang von Holzkisten, aus denen etwas ausbrechen will, mit kreischenden Violinen und unmenschlichen Stimmen – ein Song wie der Abstieg in Dantes' Hölle. Ja, The Drift ist nicht düster, es ist vielmehr unheimlich und auch ein bisschen prätentiös, aber das ist gewollt und genau so auch richtig. Walker's Bariton klingt kaum noch so, wie er mit den Walker Brothers oder auf seinen gloriosen, existenzialistischen Pop-Alben Scott 1 bis 4 der Jahre vor 1970 geklungen hat – aber dennoch kreist die Musik um seine Stimme – man höre nur den mit akustischen Gitarren versehenen Closer „A Lover Loves“, der sogar ein gewisses Maß an Humor verrät, wenn zwischen den Verses ein sanftes „pssst, pssst, pssst“ erklingt. Walker ist einer der Musiker, die nur die Musik machen, die sie wollen, und die bei dem was sie tun nur nach sich selbst klingen. Ulkigerweise erreichte das Album dank guter Kritiken und der Mithilfe des ehrenwerten 4AD Labels tatsächlich Rang 51 in den britischen Charts. Na also, es geht doch...

Wolves in the Throne Room

Diadem of 12 Stars


(Vendlus, 2006)

Ab hier gab es im Black Metal die Option, etwas Anderes zu machen als die barbarischen Black Metal Acts Skandinaviens oder gar die dumpfem NSBM Bands der USA. Wolves in the Throne Room waren drei Musiker, die ohne „Corpse Paint“ und die sonst im BM üblichen Pseudonyme a la „Necroslaughterer“ oder dgl. auskamen. Nathan und Aaron Weaver und Rick Dahlin sagen selber, sie spielen Black Metal, der die Energie ihrer Heimat, der Landschaft der Pazifik-Küste des Nordwestens der USA widerspiegelt. Sie nennen als Einflüsse Old School Black Metal wie Burzum, Bands wie die Amerikaner Weakling und die Sludge-Hardcore Pioniere Neurosis, aber auch Folkmusik und Elektronik Pioniere wie die Krautrock Band Popol Vuh. Auf ihrem fantastischen (regulären - da gibt's natürlich noch Demo's etc) Debüt Diadem of 12 Stars kann man sich trefflich auf die Suche nach all diesen Einflüssen machen, und manchmal wird man sogar fündig. Black Metal ist sicher ein hermetisches Genres, bei dem für den Nicht-Initiierten so ziemlich alles gleich klingt – Songs und Texte verschwinden hinter Wällen aus Noise, der Gesang wird herausgekreischt, die Geschwindigkeit ist so hoch, dass die Musik vorbeizurasen scheint, und all das prägt auch Diadem of 12 Stars – aber den drei Musikern gelang es auf vier überlangen Stücken dennoch, erstaunlich differenziert zu klingen. Schon der Opener „Queen of the Borrowed Light“ hat nicht nur ein paar famose Riffs, es gibt auch überraschende Tempowechsel, irgendwo im Mix erklingen sogar klare Gesänge, zugleich bläst der Song die Ohren frei. „Face in a Night Time Mirror (Part 1)“ wird von einer klaren und wunderbar unkitschigen Folk Passage unterbrochen, gesungen - nicht gekreischt - von Jamie Myers von der Progressive-Metal Band Hammers of Misfortune (man beachte deren diesjähriges Album The Locust Years), es gibt Passagen, die an Post-Rock erinnern, aber bei denen gelingt es der Band, nicht in allzu formalistische Posen zu verfallen, ihre Basis ist und bleibt eindeutig Black Metal mit rasantem Tremolo Picking und höllischem Tempo. Irgendwie gelang es der Band unterschiedlichste Einflüsse organisch und glaubwürdig in ihren Black Metal einzufügen, dabei nicht den Faden zu verlieren und die Einflüsse ihrer kompromisslosen Musik unterzuordnen – wodurch die vier Stücke überraschend abwechslungsreich werden. Das finale, über 20-minütige Titelstück mit Neurosis-artigem Beginn und völlig ausgerastetem Ende ist dann Katharsis und Höhepunkt, Diadem of 12 Stars ist eines der ersten Alben, das Black Metal vom Stigma des elitären Underground befreite. Noch im selben Jahr kamen die Wolves beim Qualitäts-Label Southern Lord unter.

Natural Snow Buildings

The Dance of the Moon and the Sun


(Digitalis, 2006)

Und hier wieder eines der Alben, das kaum einer kennen mag, das ich selber aber für überragend halte. Nerd Kram ? Vielleicht. Erstmal die Kurzfassung: Dies ist eine massive, zweieinhalbstündig ausufernde Song-, Mantra- und Drone-Kollektion, die vom Transzendentalen bis zum Betäubenden reicht, ohne dabei an versponnener Pracht zu verlieren... Aber ich will das gerne besser erklären: Natural Snow Buildings sind die beiden Franzosen Mehdi Ameziane und Solange Gularte, die sich als Studenten in Paris in der Bibliothek kennenlernten, in diversen Bands zusammenspielten ehe sie dann zusammenzuleben und gemeinsam eine ganz seltsame Form der Musik zu kreieren begannen. So weit, so banal. Ihr x-tes Album The Dance of the Moon and the Sun ist natürlich – siehe oben – extrem lang, es handelt sich um 25 Tracks, vier davon teils weit über 10 Minuten lang, und man bemerkt schnell, dass hier so gut wie Alles improvisiert ist, dass den Klängen hinterhergespielt wird, dass der Kosmos, aus dem Songs wie „ Rain Serenade“ oder „All Animals in the Form of Water“ ein schamanistischer sein muß. Zugleich haben die Beiden einen Hang zum Horror (Einer der Songs heißt „John Carpenter“) und bei Ihnen ist definitiv nicht alles nur Blümchen und Schmetterlinge. Trance und Raga rutschen in Albtraum und Verzerrung, schon das erste Stück „Carved Heart“ stellt den Hörer auf eine lange Reise in einen mal folkig-schönen, mal elektronisch verzerrten Klangkosmos ein. Hand-Drums und Finger Cymbals bauen ein Rhythmusgerüst, und unter Allem liegt ein Drone, der immer wieder bedrohlich anschwillt. Über die ganze Länge von The Dance of the Moon and the Sun gelingt es den beiden Musikern die Balance zu halten zwischen hinwegdriften und mal sanft, mal heftiger aufwachen. Das wird - wenn man sich traut zuzuhören - nicht langweilig, sogar eher spannender. Es gibt keine „Songs“ die man herausheben möchte. Der beste lange Song mag der erste sein: „Cut Joint Sinews and Divine Reincarnation“. Manche der kürzeren Songs wie „Away, My Ghosts“ oder „The Cursed Bell“ sind erholsame Ausflüge ins Folkidiom, klingen aber bewusst so, als kämen sie aus einem fernen Autoradio – oder aus einer Welt, aus der man sich soeben verabschiedet hat. Noch eins, ehe du nach der CD suchst: NSB lassen alle Releases immer nur in skandalösen Mini-Stückzahlen veröffentlichen. Man kann ihre Alben (insbesondere Dieses) nur irgendwo downloaden. BaDaBing Records hat ein paar ihrer Alben wiederveröffentlicht, dieses soll vielleicht folgen, Ich empfehle einen Probelauf auf Youtube und bei entsprechender Neugier eine intensive Suche oder Abwarten. Ich finde, es lohnt sich.