Der
Iran-Irak Krieg ist auf seinem Höhepunkt, während in den USA mit
dem republikanischen Dummkopf Ronald Reagan ein ehemaliger
Schauspieler und politischer Hardliner zum Präsidenten gewählt
wird, der den wahnwitzigen und sinnlosen Rüstungswettlauf mit der
UdSSR forciert und die NATO als Verteidigungsbündnis gegen die UdSSR
ausbaut. Viele Menschen in Europa sind mit dieser Zuspitzung des
Kalten Krieges nicht einverstanden - es ist die Zeit, in der die
Anti-Kriegs Bewegung ebenso wie die Anti-Atom und
Umweltschutz-Bewegung in Europa an Stärke gewinnt und es ist eine
Zeit der Unruhen und Unzufriedenheit mit der sozialen Kälte im von
Maggie Thatcher regierten Großbritannien – man muß dabei
traurigerweise bedenken: Diese Politik ist eine in demokratischen
Entscheidungsprozessen gewählte – Dummheit regierte wohl auch
damals schon. Derweil ist in Polen die Gewerkschaft Solidarnosc auf
Konfrontationskurs gegen die kommunistische Partei – es ist ein
erstes Aufbäumen gegen das System, ein erster Hinweis auf die
Umbrüche, die in einigen Jahren folgen werden. Und dann: Erstmals wird
von AIDS berichtet. Bob Marley stirbt in diesem Jahr an Krebs. Die
Musikindustrie scheint keinen Erfolg auf der Suche nach DEM Trend der
80er zu haben. Man bleibt auf der sicheren Seite, kommerziell
erfolgreich ist nur belanglose Musik: Soul verliert seine Seele an
Disco, Country wird zu Pop, Pop wird mit den seltsamen Stars on 45
Mixes vollkommen beliebig. Aber wer sich nicht nur an den Charts
orientiert wird (wie immer) erstaunlich vielfältige und interessante
Musik finden: Junge Bands wie The Cure oder Echo & the Bunnymen
machen in England düstere Musik zur Zeit, Soft Cell stellen mit
Synth Pop – einem der fruchtbarsten Trend der Zeit - den Hedonismus
der Schwulen-Szene zur Schau, in den USA beginnen mit Verspätung
Bands wie Black Flag oder Hüsker Dü ihre unironische Version des
Punk – den Hardcore-Punk – unter die Leute zu bringen, und gehen
direkt in unterschiedliche Richtungen. Ein paar etablierte Musiker
wie Rickie Lee Jones musizieren weiterhin auf hohem Niveau, in
Deutschland machen diverse Bands eine ansprechende, teutonische
Version des New Wave. All das ist (noch) Musik außerhalb des
Mainstream. Gute Musik zu machen und dann zu verkaufen scheint '81
sehr schwer zu sein – prominent ignorierte wird hier von mir auch
Phil Collins erstes Solo-Album (der hat Millionen davon verkauft...
das macht dem nichts aus – und nzwischen gibt es genug Verrückte,
die diese Musik im Nachhinein sogar ganz schön toll und wertvoll
finden) oder zum Beispiel Foreigner's, Rick Springfield's, REO
Speedwagon's fortgesetztes beliefern der Charts mit übelstem
Schlock. ICH hätte in den Charts lieber folgende Alben gesehen....
Black
Flag
Damaged
(SST,
1981)
Damaged
gilt als eines der ersten Alben des West Coast Hardcore, der
amerikanischen Reaktion auf die Punk-Revolte Englands und es
definierte damals sofort durch seine Intensität und seine Kraft ein
ganze Genre. Black Flag existierten zur Zeit des Releases schon seit
fünf Jahren,sie hatten unter anderem mit dem mit dem dann zu den
Circle Jerks abgewanderten Keith Morris diverse EP's und Singles
aufgenommen (Die im folgenden Jahr auf dem Album Everything Went
Black zusammengefasst wurden). Aber der wirkliche Durchbruch in Form
von weltweiter Aufmerksamkeit (... in gewissen Kreisen
jedenfalls...) kam erst jetzt. Ein paar Wochen vor den Aufnahmen kam
mit Henry Rollins ein neuer Sänger, dessen physische Präsenz und
wütende Energie dieses Album mindestens genauso prägte wie das
rasante und virtuose Gitarrenspiel von Bandkopf und SST Labeleigner
Greg Ginn. Der hatte nicht nur ein paar feine Songs geschrieben,
sondern neben den üblichen Themen (Entfremdung, Langeweile, Wut)
auch eine gehörige Portion giftigen Humor in die Lyrics gepackt.
Einen Humor, mit dem sich Legionen von Jugendlichen '81 wunderbar
identifizieren konnten. Das geniale Black Flag-Logo mit den vier
Balken unter dem Namen zog sich bald kilometerweit über Hauswände,
Songs wie die Proto-Slacker Hymne „TV Party“ oder „Rise Above“
wurden nicht nur von Punks gehört, sondern auch vom Metal-Publikum
beachtet. So mancher später erfolgreiche Thrash-Metaller an der
Westküste wird sich Damaged mehr als einmal angehört haben. Das
Cover übrigens zeigt Henry Rollins in einem Spiegel, den er zuvor
mit einem Hammer zerstört hat. Und das Blut ist Marmelade – also
keine Angst.
Kraftwerk
Computerwelt
(Warner
Bros., 1981)
Nach
dem Erfolg von Die Mensch-Maschine brauchte das Düsseldorfer
Kollektiv Kraftwerk erst einmal drei Jahre, um das eigene Kling-Klang
Studio aufzurüsten und ein neues Album aufzunehmen. In diesen drei
Jahren entdeckten Teile der Popwelt tatsächlich ebenfalls die von
den Düsseldorfern mit erfundene Elektronik in der Musik: Sie hatten
es vorgemacht, Bowie ließ sich von ihnen beeinflussen, dann kamen
Bowie-Adepten wie Gary Numan, OMD, oder John Foxx (von Ultravox)
nahmen den Ball weiter auf. So kam es, dass Computerwelt zu einem
Zeitpunkt veröffentlicht wurde, als die Musikwelt allmählich
Anschluss an die Visionen der Elektronik-Pioniere fand. Und Ralf und
Florian hatten nun keine Lust mehr, nur íhrer Zeit voraus zu sein
und feierten stattdessen die Ankunft der Welt, die sie schon so lange
versprochen hatten. Dafür hatten sie natürlich wieder einige feine
Melodien parat. Diesmal gab es kurze Stücke die eine gewisse kühle
Fröhlichkeit ausstrahlten: „Taschenrechner“ wurde als Single in
unterschiedlichen Sprachen veröffentlicht und enthielt tatsächlich
Samples von Rechnern von Casio und Texas Instrument – was den Song
heute auf seltsame Weise modern und altmodisch zugleich klingen
lässt. „Computer Liebe“ wiederum ist zeitloser Techno, bevor es
Techno überhaupt gibt, bei „Nummern“ wird in verschiedenen
Sprachen von Eins bis Acht gezählt und die Musik nimmt die
vertrackten Rhythmen von IDM zuvor. Durch solche Elemente und durch
das kluge „Songwriting“ behält Computerwelt – wie das Meiste,
was die Düsseldorfer erschufen - bis heute seinen zeitlosen
Charakter. Die Musik zu Beginn der 80er hatte wie gesagt mit den oben
genannten Acts Vieles von dem übernommen, was Kraftwerk in den 70ern
vorgemacht hatten - aber mit ihrer selbstverständlichen Hinwendung
zum Pop waren Kraftwerk – vielleicht ungewollt – wieder Allen
einen Schritt voraus.
This
Heat
Deceit
(Rough
Trade, 1981)
Bands
wie This Heat waren und sind bis heute in kommerzieller Hinsicht
völlig irrelevant - und zugleich künstlerisch so visionär und singulär, dass man sie nur als kostbare Solitäre
betrachten kann... Ein Schicksal, dass sie mit vielen anderen
bedeutenden Musikern spätestens seit Ende der Sechziger teilen (The
Red Crayola, Captain Beefheart; etc). Ihre Erbe findet sich
dementsprechend nur bei den freien Radikalen der Rockmusik, in Genres
wie Drone, Prog, Freier Improvisationsmusik, Elektronischer Musik und
Punk wieder – bei denjenigen, die Entwicklungen vorantreiben, an
denen sich dann andere, banalere Acts bereichern. 1981 ist eines
dieser Jahre, in denen es schwer vorstellbar ist, welcher „Szene“
eine Band wie This Heat angehört haben mag, wer so etwas gehört
haben mag. Sie klangen – und klingen immer noch - völlig out of
place. Höchstens Bands wie die Art Bears (die Art-Rock Band aus der
Canterbury Szene) oder Family Fodder beackerten seinerzeit ein
ähnliches Feld – allerdings aus einer anderen Richtung sozusagen.
Die gleichberechtigten Multi-Instrumentalisten Charles Hayward,
Charles Bullen und Gareth Williams' hatten 1977 mit ihrem Debüt
immerhin John Peel's Aufmerksamkeit erlangt. Mit einem Debüt, das
schon durch Bestandteile der später so unpassend genannten Weltmusik
durchzogen war, einem Album, auf dem sie künstlerisch Neuland nicht
bloß betreten, sondern komplett durchquert hatten. Ihr zweites und
letztes Album Deceit ist deutlich mehr vom Punk beeinflusst und gilt
damit als als das Konventionellere . Aber natürlich klangen sie
nicht wie die Sex Pistols oder die Ramones, Punk ist nur eine Option
die neben Krautrock, Tape Manipulationen, freiem Jazz und Toncollagen
genutzt wird. Einzelne Songs zu benennen ist schwierig, jedes Teil
hier steht für sich, ist aber seltsamerweise immer dieser speziellen
Band zuzuordnen. Ich sag's mal so: Versuche dir eine wilde Mischung
aus Can, afrikanischer Musik, Pere Ubu ohne Gesang, Soft Machine und
kaputtem Radio vorzustellen. Es ist Post Punk, ehe Punk Geschichte
ist. Und ist so was wie „Radio Prague“ überhaupt Musik ? Und ist
„Hi Baku Shyo“ nicht schrecklich und zugleich schön ?
Glenn
Branca
The
Ascension
(99
Records, 1981)
..
und aus gegebenem Anlass noch so ein Album, das keiner kennt, aber alle kennen sollten (... ich will diesmal eine Weile im "experimentelleren Bereich der Populärmusik verweilen).
Aber irgendwie ist es ja auch verzeihlich, dass ein Musiker wie Glenn
Branca und der Lärm den er mit vier voll aufgedrehten Gitarren, Bass
und Schlagzeug macht, nicht jedem gefällt. Branca hatte in New York
mit den Theoretical Girls No Wave mitgemacht, die Bereiche in denen
Punk und Kunst zusammenlaufen begannen mitgestaltet, war der
klassischen Musik sowenig fremd wie der gerade entstehenden
Noise-Szene, aus der Bands wie Sonic Youth und die Swans erwachsen
sollten. Und so ist The Ascension die Vorwegnahme all dessen, was
diese beiden und etliche andere Bands bis weit ins kommende
Jahrtausend tragen sollte – Nebenbei, wen wundert es da, dass einer
der hier mitspielenden Gitarristen Lee Ranaldo ist (später bei eben
jenen Sonic Youth) Komponiert wie eine Symphonie (...später
aufgenommene Alben würde Branca dann explizit „Symphony No...“
nennen) arrangiert er sein Orchester aus ohrenbetäubenden Gitarren,
Bass Drums um minimalistische Tonsequenzen. Ohne die Vorarbeit in Stücken wie dem über
12-minütigen „The Spectacular Commodity“ hätte Michael Gira
vermutlich niemanden gefunden, der mit ihm drei Töne über 20
Minuten anschwellen lässt, bis das Trommelfell blutet. Branca und
seine fünf Mitstreiter nahmen The Ascension zwischen Tourdates in
den USA und einem Europatrip auf – in einem „Rock“ - Studio,
was den Facetten seiner Musik nur zum Teil entspricht – aber die
Band war hörbar eingespielt, so dass dieses Album ein wunderbares
Dokument seiner Zeit ist. Und es ist in der Tat anstrengend - ich
persönlich kann den Lärm zu bestimmten Zeiten auch mal langweilig
finden. Aber dann höre ich eben die Moody Blues, um mir dann wieder
die Ohren von The Ascension freiblasen zu lassen.
Massacre
Killing
Time
(Celluloid,
1981)
Und
noch mehr davon ? Massacre war ein weiteres Trio aus dem No Wave/Free
Jazz Umfeld in New York (... und hat nichts mit gleichnamigen Death-Metal Acts zu tun.... wobei....). Auch hier sind die Musiker zwar namhaft,
aber nicht populär. Der britische Gitarren-Radikale Fred Frith,
Drummer Fred Maher, der mit dann bald Lou Reed ebenso
zusammenarbeitete wie mit Lloyd Cole und der hyperaktive
Bassist/Produzent und Hansdampf in allen Gassen Bill Laswell. Ihr
einziges Album Killing Time ist ein Meisterstück in Kakophonie und
Dissonanz, irgendwo zwischen Punk, Noise und freiem Jazz – also
mithin genau da, wo man es bei diesen Musikern vermuten würde - und
es ist dabei doch irgendwie erstaunlich genießbar. Nein - nicht wie
ein Album von Television oder Sonic Youth, eher wie ein Aspekt von
etwas, auf das sich die oben erwähnten This Heat hätten
konzentrieren könnten. Das Ergebnis ist einerseits akademisch,
andererseits merkt man dem Titelstück etwa ganz deutlich den Spaß
an, den Fred Frith hatte, als er auf die Saiten eindrosch, die
Disziplin, mit der Laswell und Maher Rhythmus und Struktur in den
Noise von „Corridor“ legen. Daß die Songs (...ja, es sind Songs)
meist die 3-Minuten Grenze nicht überschreiten, dass sie tatsächlich
immer wieder durch kleine Gadgets wie Bass-Flageolet-Töne, stöhnende
Gitarrensounds oder das Schaben auf Saiten aufgelockert werden, dass
sie im Grunde simpel, oft sogar minimalistisch bleiben, lässt mich
Killing Time hier voller Begeisterung empfehlen – denn das ist ein
echtes Qualitätsmerkmal. Jazz für Art-Punks, Punk für Free Jazzer.
King
Crimson
Discipline
(E.G.,
1981)
Und
wenn ich schon mal dabei bin, passt es ja, die Brücke zu King
Crimsons Wiedererweckung in Form des Albums Discipline zu schlagen.
Was Robert Fripp dazu bewogen haben mag, die Band, die einen Ruf als
„coole“ progressiv-Rock Formation zu verlieren hatte, neu
zusammenzustellen, weiß ich nicht - und es hat mich damals auch
nicht interessiert. Es könnte die Erstarkung der experimentellen
Musik (im Untergrund zwar, aber das hat er sicher bemerkt...) gewesen
sein, oder die Tatsache, dass er in den Jahren mit Brian Eno die
richtigen Musiker gefunden hatte. Es kann auch sehr esoterische
Gründe haben – Fripp spütrte laut Interviews den „Geist des
scharlachroten Königs“ wieder. Aber wie gesagt – es ist egal.
King Crimson hatten auf sehr hohem Niveau Pause gemacht (mit dem
großartigen Album Red – 1974). Nun hatte Fripp wieder Bill Bruford
als Drummer zu sich geholt, aber er hatte nun den Peter Gabriel
Bassisten Tony Levin mit an Bord und als Jungbrunnen den Talking
Heads/ Brian Eno Gitarristen Adrian Belew dazu geholt. Das neue Album
klang wie eine Fortsetzung von Red, versetzt mit der zappeligen
Energie der Talking Heads, aber dann diszipliniert durch Fripp's Sinn
für Struktur und Ordnung (Discipline eben...). Oder anders: Als hätten die Talking Heads
ein paar Jahre an ihren Instrumenten geübt - denn Adrian Belews
Gesang klingt sehr nach David Byrne – hör' dir nur „Elephant
Talk“ an – aber die Virtuosität, mit der Fripp und Belew sich
gegenseitig an den Gitarren umspielen, hat mit den New Wave Meistern
wiederum nichts gemein. Und auch wenn das sanfte „The Sheltering
Sky“ zunächst nach einem Ausflug der Heads nach Afrika klingt,
verwandelt es sich doch bald in eine runderneuerte Version der
ruhigeren Sound- und Melodiecollagen King Crimson's, und das furiose
„Frame by Frame“ mit seinen Auf-und-Ab Gitarrenläufen ist dann
tatsächlich Progressive-Rock in modern.
Brian
Eno & David Byrne
My
Life in the Bush of Ghosts
(Sire,
1981)
Bei
Brian Eno und David Byrne waren wir gerade, also...: Eno genoß mit
Byrne (und den Talking Heads) eine so fruchtbare Zusammenarbeit, dass
ein Solo-Album der Beiden irgendwie logisch war. Und dass dabei alles
andere als gewöhnliche Popmusik entstehen würde, war auch klar.
Tatsächlich wurden die meisten Songs von My Life in the Bush of
Ghosts während der Aufnahmen zu Remain in Light aufgenommen, dem
von Eno produzierten Album, bei dem Einflüsse afrikanischer Musik
den wichtigsten Bestandteil im Sound der Heads bilden. Auf Bush of
Ghosts... werden diese Ideen ausformuliert, verändert, und um
etliche Faktoren erweitert. Das Album ist eine komplette
Sound-Collage aus Radioschnipseln, den Gesängen libanesischer
Bergbauern, christlichen Predigern, muslimischen Gesängen,
ägyptischer Popmusik und Soundspuren eines Exorzismus-Rituals. Über
all das legen Musiker wie Bill Laswell (siehe Massacre übrigens... hier hängt Alles zusammen), David Van Tieghem oder
Talking Heads Bassist Chris Frantz gemeinsam mit etlichen
Percussionisten einen Funk-Teppich. Dass sich daraus eine muskulöse
Einheit bildet, dass es wie eine Erweiterung der Rhythmus- und
Soundideen der Talking Heads klingt, ist einerseits logisch, zeigt
andererseits aber auch die Meisterschaft sowohl des Visionärs Eno,
wie auch des nervös-autistischen Schlaukopfes Byrne. Die beiden
nahmen mit dieser Sample-Orgie unter Funk-Rhythmus etliches vorweg,
was in den kommenden Jahren in der populären Musik geschehen sollte.
... Bush of Ghosts... mag heute nicht mehr so revolutionär klingen
wie 1981, aber man kann sich immer noch trefflich in den Klüften und
Spalten seiner Soundlandschaften verlieren.
Motörhead
No
Sleep 'til Hammersmith
(Bronze,
1981)
Es
wird ja immer wieder gerne der Versuch gemacht, Motörhead irgendwie
zu intellektualisieren – was meiner Meinung nach völlig unnötig
ist. Wenn man rohen ungezügelten Rock'n'Roll, - mit den Mitteln der
Beginnenden Achtziger in völlig eigenständigem Stil hören will,
dann muss No Sleep 'til Hammersmith her (Oder eines der ersten
Studioalben desTrios) – und dann braucht es keine wortgewandte
Rechtfertigung. Die drei Musiker um den ehemaligen Hawkwind Bassisten
und Rock- Veteranen Lemmy Kilmister hatten vor Allem mit Overkill
(79) und Ace o' Spades (80) phänomenale Studioalben gemacht, die
genauso gerne von Black Sabbath/ Deep Purple Fans gehört wurden, wie
von Fans der Sex Pistols oder The Damned (mit denen sie auf Tour
waren). Letztlich aber haben Motörhead immer nur nach sich selbst
geklungen. Da sind Elemente aus Heavy Metal und Punk, da ist auch der
psychedelische Rock von Hawkwind, nur eben eingedampft auf seine
härteste Essenz, da ist Lemmy's Stimme, die so ungekünstelt nach
Suff und Proletariat klingt, nach jemandem, der noch den
konsequentesten Nihilisten auslacht und da sind Songtitel, die wie
definitive Parolen klingen. No Sleep 'til Hammersmith könnte man
auch als schnöde Best of... der ersten Alben bezeichnen, aber die
bekannten Songs sind so mitreissend gespielt, klingt so „live“,
dass man gerne dabei gewesen wäre – wenn man nicht um seine Ohren
fürchten müsste. Alle elf Songs sind Hits. Ob „Ace of Spades“,
„Bomber“ oder „Overkill“ - egal. Alles essenziell und alles
auch ein bisschen gleich.... Jaja, wie man so sagt: Im Grunde braucht
man von Motörhead nur ein Album – maximal – aber dann will man
doch immer noch ein bisschen mehr von dieser staunenswerten Urgewalt
hören. Dies ist KEIN Heavy Metal. Es ist Motörhead.
The
Gun Club
Fire
Of Love
(Slash,
1981)
Das
Debüt des Gun Club muß zu Zeiten von New Wave und Synth-Pop für den
Charts-Hörer äußerst unzeitgemäß geklungen haben – wenn es
dann von so jemandem gehört wurde. Fire of Love vermischt
Rockabilly, Roots/ Blues Music und Punk zu einem Gebräu, das man
heute Gothic Americana nennt, Musik, die inzwischen meist von einem
berechneten Image lebt - aber auf diesem Album gibt es keine Unze
Berechnung. Der Kopf der Band, Jeffrey Lee Pierce, war –
nachweislich - ein Getriebener, der keine andere Wahl hatte, als
diese Musik zu machen. Mit seiner Stimme zwischen unirdischem Geheul
und besessenem Gesang klang er wie ein Punk, der Zynismus mit
Leidenschaft vertauscht hatte, der uralte Geschichten von Sex, Mord
und Drogen zu erzählen hatte. „Sex Beat“ hat einen simplen
Country-Shuffle Rhythmus, nimmt aber bald rasant Tempo auf. Das durch
den Blues Giganten Robert Johnson bekannte „Preachin' the Blues“
wird im Stakkato vorgetragen und mit glühender Slide angesengt.
„Ghost on the Highway“ ist Punk-Blues, „For the Love of Ivy“
läßt Bilder von KKK-Ritualen in den Sümpfen der Südstaaten
entstehen. Diese Art Blues war giftig und neu (oder auch uralt), und
Pierce wird sich gewiss nicht gefragt haben, welches Genre er hier
bediente. 20 Jahre später fragte Jack White von den White Stripes
vollkommen zu Recht „..why are these songs not taught in schools?“
Wipers
Youth
Of America
(Park
Avenue, 1981)
Die
Wipers werden mir immer ein Rätsel bleiben. Ihre Songs sind episch,
aber meist kurz, voller Pathos und zugleich ungemein ökonomisch –
ja regelrecht sparsam. Die ersten drei Alben sind unverzichtbar, ob
das Debut Is this Real ? aus dem Vorjahr oder das folgende Album Over
the Edge besser ist, als Youth of America, spielt keine Rolle. Man
muss alle drei haben. Aber ihre Einordnung und ihre Beliebtheit bei
einem Publikum, das sich zu Hardcore oder Punk bekennt, ist ein
bisschen verwunderlich. Ihre Musik mag spartanisch sein, aber
Gitarrensoli... diese Hippie-Melodik...die Länge der Songs ?
Wichtigster Faktor für den Sound der Wipers ist ohne Zweifel
Gitarrist/ Sänger / Songwriter Greg Sage – ein Getriebener,
ähnlich wie Gun Club's Jeffrey Lee Pierce – nur kompromissloser
und diktatorischer als dieser. Und einer, der sich irgendeiner Szene
vermutlich nicht „zuordnen“ würde. Seine Mitspieler sind im
Grunde austauschbar, er definiert Alles an der Musik seiner Band. War
das Debüt noch eine Sammlung kurzer, harter Songs gewesen, in Tempo
und Haltung durchaus „Punk“ - so wollte Sage sich mit dem
Nachfolger nach eigener Aussage bewusst von den Bands der US
Punk-Szene absetzen. Ich vermute, da spielt einerseits der unbedingte
Wille, sich von Nichts und Niemandem vereinnahmen lassen zu wollen
eine Rolle als auch der Umstand, dass Sage mit fast 30 Jahren ganz
einfach einer anderen Generation angehörte. Jedenfalls sind Stücke
wie „Pushing the Extreme“ oder der über 10-minütige Titeltrack
kein Punk – und ein Fast-Instrumental wie „When It's Over“ ist
von Zeitgenossen wie Black Flag, den Ramones oder Dead Kennedy's
meilenweit entfernt. Es ist schwer zu beschreiben, was die Wipers
genau machen – sie klingen getrieben, kompromisslos, rau, aber vor
Allem klingen auch sie wie keine andere Band.
The
Cramps
Psychedelic
Jungle
(I.R.S.,
1981)
Und wenn ich die letzten beiden Alben hier hingestellt habe, darf ich dieses nicht weglassen... denn auch
die Cramps haben in den sumpfigen Bereichen gewildert, in denen der
Gun Club residierte. Sie waren mindestens ebenso besessen, und auf
ihrem zweiten Album liehen sie sich auch noch den Gun Club
Gitarristen Kid Congo Powers aus – aber sie hatten mehr Humor. Es
gelang ihnen auf diesem zweiten Longplayer erneut, thrashigen Punk
und Rockabilly mit Spuren von Blues und Country und stilbewußter
B-Movie Attitüde zu verbinden. Einzig die Tatsache, dass sie selber
das Album später als „zu konzeptionell“ - und damit als zu
langsam bezeichnen würden, könnte man beklagen. Aber gerade diese
Eigenschaften sprechen vielleicht auch für Psychedelic Jungle. Lux
Interior und Poison Ivy waren jedenfalls immer noch die Vordenker der
Band, Interior sang auch hier als würde er gleich überschnappen und
Poison Ivy's Behandlung der Gitarre war einzigartig primitiv.
Psychedelic Jungle ist für Cramps-Verhältnisse tatsächlich fast
„ruhig“ und dadurch auch irgendwie ...psychedelisch. Sie coverten
mit „Greenfuz“ oder „Goo Goo Muck“ obskursten Garage Punk aus
den Sechzigern, verfielen bei „Don't Eat that Stuff on the
Sidewalk“ in Zappa-eske Freak-Outs, und wurden dann bei „Rockin'
Bones“ fast subtil.... aber zum Glück nur fast. Denn da gibt es
noch „Caveman“ und das brilliante „The Natives Are
Restless“...All you need is Rock and Roll and B-Movies, fellow cave
dwellers.
George Bush wird
Präsident der USA, und löst Ronald Reagan ab - ein Idiot wird also gegen ein Arschloch ausgetauscht. Vor Alaska havariert
der Öltanker Exxon Valdez und löst die größte Ölpest in der
Geschichte der Vereinigten Staaten – und damit der gesamten
Welt.... bislang - aus. Irans religiöser Staatsführer Ayatolla
Khomeini stirbt und im Ostblock lösen sich die Herrschaftssysteme
der Kommunistischen Parteien auf. Zuerst In Ungarn, dann in Polen in
der CSSR und in der UdSSR, und dann auch in der DDR müssen die
kommunistischen Regimes dem Druck ihrer Bevölkerungen nachgeben und
freie Wahlen zulassen und die Grenzen zum Westen öffnen. Estland,
Lettland und Litauen werden selbstständig. Die Truppen der UdSSR
ziehen sich aus Afghanis-tan zurück. In Rumänien wird der Diktator
Nicolai Ceausescu hingerichtet und in der CSSR wird der
Schriftsteller Vaclav Havel Staatspräsident. Die Demokratie hat also
gesiegt? Mitnichten, gewonnen hat nur der Kapitalismus, aber das
wird man dann noch sehen... Der Gameboy kommt in Japan auf den Markt.
Salvatore Dali stirbt, R.E,M, bekommen einen hoch dotierten Vertrag
bei einem Major. Und in der Musik beginnen Acid House und Dance ihren
Einfluß auf die Rockmusik auszuweiten, Independent ist nicht mehr
ganz so unabhängig, hat aber einige Highlights, Neil Young wird
wieder wach, und auch Lou Reed beginnt seinen dritten Frühling, in
Seattle machen sich einige Bands zum Sprung bereit, die mit Punk und
Pop und Rock aufgewachsen sind, Death Metal erhebt sich aus dem
modrigen Untergrund und definiert sich durch einige Klassiker, HipHop
und Crossover machen sich auf den Weg in den Mainstream. Es
erscheinen diverse gute Platten, die kommende Entwicklungen andeuten,
aber Manches ist auch erschreckend medioker, anscheinend warten
etliche ehemals Kreative auf das neue Jahrzehnt. Und natürlich gibt
es wie immer haufenweise Musik, die sich elend gut verkauft, die aber
richtig schlecht ist – Ich erwähne mal Milli Vanilli – oder die
nicht völlig entsetzlichen Simply Red und den Mainstreamservice, den
uns Phil Collins mit seinen Hitsingles bietet. Sie Alle verkaufen
Unmengen von Alben, aber ich will und werde sie nicht meiner
Aufmerksamkeit würdigen.
New Order
Technique
(Factory, 1989)
Während der drei Jahres
Pause nach dem Vorgängeralbum hatten New Order die Sommer auf Ibiza
verbracht und dort, beeinflusst von der inzwischen vor allem dort
regelrecht explodierenden Dance-Szene, die Rhytmustracks zu ihrem
neuen Album aufgenommen. Mit diesen als Basisi gingen sie zurück
nach Manchester, und nahmen ihre bis dato optimistischste und
tanzbarste LP auf. Mit Technique begruben New Order endgültig Ian
Curtis und setzten sich an die Spitze der Club Szene. Ein
Stimmungsumschwung der schon auf dem wieder von Factory Designer
Peter Saville entworfenen Cover erkennbar wird – das erset New
Order Sleeve Design, das wirklich „bunt“ zu nennen ist und die
strenge Goth-Ästhetik durchbricht. Und die Musik hinter dem Cover
ist tatsächlich New Order in hellsten Farben: Ihre Musik war nie
wirklich kompliziert, auch zu Joy Division-Zeiten nicht, und auch
danach gab es immer eine reduzierte Melodik und -mit den - ohne
Curtis - manchmal fast peinlich simplen Texte von Bernard Sumner,
aber gerade das passt im Konetxt von Techno und Disco doch ehrlich
gesagt ganz wunderbar zur Musik, gibt ihr sogar den besonderen Kick.
So ist die erste Single „Fine Time“ einer ihrer tanzbarsten
Songs, zwar wie gesagt mit Wegwerf-Lyrik, aber mit einem ansteckenden
Beat und einem tollen Riff. Allerdings ist der Hit soundmäßig im
Vergleich zum Rest des Albums am wenigsten würdevoll gealtert.
Besser klingen heute Songs wie „Round and Round“ und „Mr.
Disco“, die ebenfalls den Dancefloor bedienen. Andere Songs - wie
„Love Less“ oder „Run“ - hingegen haben noch das Flair
bleichen Alternative-Rock's -vor Allem wegen des unnachahmlichen
Bass-Drive's, der New Order immer auszeichnete und der Technique zum
gelungenen Spagat zwischen Disco und Indie macht – und letztlich
ist Modernität hier Mode – und die kommen und gehen... und kommen
auch wieder.
The Stone Roses
s/t
(Silvertone, 1989)
Tanzbarkeit: Ende der
Achtziger ist das ein immens wichtiger Faktor in der Musik, egal ob
im Mainstream oder ausserhalb. Ich habe mal gelesen, dass das Debut
der Stone Roses als eine Art Nevermind für Great Britain angesehen
wird. Und tatsächlich entstand um diese unglückliche Band - wie
zwei Jahre später um Nirvana - schnell ein gewaltiger Hype, der auch
durchaus berechtigt war - jedenfalls wenn man nur dieses erste Album hört. Ihre
Mischung aus dem Sound der Byrds und Rave, die wunderbar
leichtfüßigen Gitarren-Chords von John Squire und die
Dance-Rhythmen von Reni und Mani... dazu der coole und zugleich so
britisch arrogante Gesang von Ian Brown, den sich der kleine Liam
Gallagher damals sicher öfters angehört hat - und dann noch die
wunderbaren Songs: Es sind die Hymnen für die aufkommende
„Madchester Scene“, die die Stone Roses durch das Album und durch
ihre Auftritte mit begründeten, und die Tanzbarkeit und einen
gewissen „independent spirit“ in sich vereinen. Bei „Elephant
Stone“ oder „She Bangs the Drum“ wird Neo-Psychedelia und Dance
gepaart, „I Wanna Be Adored“ klingt zurecht herrlich arrogant,
mit diesen klingelnden Gitarrenschichten ist es einfach adorable. Und
wenn am Ende der LP Ian Brown „I am The Resurrection“ singt, mag
er sich wie der Erlöser vorkommen, das acht-minütige Monster aus
Gitarrenlärm und rollenden Rythmen aber läßt doch wirklich
buchstäblich Tote auferstehen. Es ist tragisch und leider zugleich
auch wenig verwunderlich, dass die Band nach diesem formidablen Debut
an Vertragsquerelen aber auch an der eigenen Arroganz grandios
scheiterte.
Pixies
Doolittle
(4ad, 1989)
...und
um wieder auf Nirvana zurückzukommen... Nicht umsonst wurde Kurt
Cobain nie müde, die Pixies als eine seiner absoluten Lieblingsbands
und Black Francis seinen liebsten Songwriter zu loben. Die Pixies
waren – für den der sie nicht kennt - Ein dicklicher Schreihals
mit einer Vorliebe für Surf- und Punkrock, gesegnet mit einer
immensen Popsensibilität und eine Backing-Band, die aus Musikern mit
genug eigenem Profil für jeweils eigene Bands ausgestattet waren. Sie
spielten auf den dreieinhalb Alben ihrer ersten Karrierephase
Popsongs mit den Mitteln des Garagenrock und der manischen Intensität
von Heilanstalts-Insassen. Natürlich landeten sie damit auch zur
Zeit der Veröffentlichung dieses inzwischen schon dritten Albums
keine großen Radio-Hits – das war Ende der Achtziger – vor
„Smells Like Teen Spirit“ eben – noch nicht zu erwarten. Dazu
waren die kommerziellen Radiostationen und MTV zu feige und zu bequem
Aber sie lösten in Musikerkreisen und bei einer jungen Generation
von Hörern einen Erdstoß aus, der unter anderem bis nach Seattle
reichte, und der Bands wie Nirvana den Weg freisprengen sollte. Es
ist schon all das versammelt, was die Musik der 90er ausmachen würde.
Preziosen wie die unwiderstehlichen Singles „Here Comes Your Man“
und „Debaser“ oder der surrealen Love Song „La La Love You“.
Produzent Gil Norton verlieh dem ganzen gerade genug Struktur, um den
lyrischen wie soundtechnischen Irrwitz des Black Francis im Zaum zu
halten. Songs wie „Monkey Gone to Heaven“ machte die Pixies zu
Underground-Helden und Doolittle zu einer der besten LP's dieses
Jahres. Aber es zeigte auch die Probleme auf, an der die Pixies
letztlich scheitern sollten: Nur bei einem Song noch („Sliver“)
bekam die Bssistin Kim Deal einen Credit. Der Rest war vom Diktator
Black Francis befohlen. Bald würde die Band am Egoismus Franci'
zerbrechen und auch in ihrer zweiten Inkarnation 25 Jahre später
nicht mehr an diese Zeit anknüpfen können. In Seattle allerdings
gab es einen jungen Mann, der ganz genau zugehört hatte.
Nirvana
Bleach
(Sub Pop, 1989)
..Genau: In Seattle gab
es einen gewissen Kurt Cobain, einen jungen, ein bisschen
disfunktionalen, aber ehrgeizigen Musiker, der sich die furchtlose
Vermischung von Pop, Punk und Wahnsinn bei den Pixies genau angehört
hatte und der in den letzten Jahren ein kleines Trio um sich
versammelt hatte – noch mit vakantem Platz am Schlagzeug, aber mit
einem freundlichen Riesen als Bassisten. Und dieser Typ hatte
natürlich auch bei den Beatles und bei The Clash und den Stooges und
bei seinen Kumpels von den Melvins zugehört... Kurt Cobain's
Inspirationen sind „musically correct“ in höchstem Maße. Und
seine Musik mag beeinflusst sein von Anderen – wie soll es zu
Beginn der Neunziger – also nach 25 Jahren Rockmusik auch anders
sein - sie war aber auch immer seine eigene Vision. Das Debut von
Nirvana wurde für gerade mal 600 $ vom Indie-Produzenten Jack Endino
in ein paar Tagen aufgenommen, was Cobain's Ethos entsprach, und man
sollte es einfach NICHT vergleichen mit Nevermind, DEM Mega-Seller
und Markstein des Alternative-Rock.. In gewisser Weise spiegelt
Bleach viel stärker die Vorstellung von Musik wieder, die Nirvana
Zeit ihrer Existenz hatten, und ist ganz nebenbei weit näher an der Atmosphäre
ihrer Live-Auftritte. Bassist Krist Novolesic war wie oben angedeutet
(bis zuletzt) Cobain's engster Vertrauter, an den Drums half bei
diesem Album noch Melvins-Schalgzeuger Dale Crover aus, Dave Grohl
sollte erst einige Monate später zu der Band stossen. Es wäre
sicher interessant, sich vorzustellen, die Produktion wäre ähnlich
„kommerziell“ wie beim Nachfolger (diese Anführungszeichen sind
sehr ernst gemeint, Nevermind ist meiner Meinung nach auch nie
„kommerziell“ gemeint gewesen). Die meisten Songs sind nicht
weniger von Pop geprägt, als der Über-Hit und Durchbruch „Smells
Like Teen Spirit“. „About a Girl“ etwa hat durchaus schon die
Qualitäten der Songs des kommenden Albums, genauso wie der Opener
„Blew“ oder das Cover „Love Buzz“. Manchmal versinkt das
Album im „Sludge“ (= Schlamm) - und das war genauso gewollt -
aber selbst Monster wie „Paper Cuts“ haben ihre Qualität. Dass
Bleach erst im Gefolge des Nevermind -Erfolges zum Big Seller werden
sollte ist berechtigt. Es ist nicht so (gut) wie Nevermind, aber
andere Bands hätten auf solch einem Album eine Karriere aufgebaut.
Was Nirvana letztlich ja auch taten. Zunächst aber war dem Album nur
ein moderater Erfolg für ein Indie-Debutalbum beschieden... oder
besser: Noch hat keiner was bemerkt.
The Cure
Disintegration
(Fiction, 1989)
Was haben The Cure in den
80ern nicht für Meisterwerke abgeliefert. Schon ihr zweites Album –
Seventeen Seconds – ist ein Klassiker. Die nachfolgenden Alben
gehören zum Sound der Achtziger und sind zugleich extrem
eigenständig. Es gibt kaum eine Band, die klingt wie The Cure.
Manche lehnen sich an deren Sound an, aber die Paarung von Gothic,
New Wave und Pop-Elementen mit dem eigenartigen Klang von Robert
Smith's Stimme ist einzigartig. Und irgendwie schaffte Robert Smith
es in diesen Jahren immer wieder, neue Facetten seiner Vorstellung
von Popmusik zu zeigen. Disintegration ist zu gleichen Teilen aus
der Düsternis von Faith und der Experimentierlust auf Kiss Me, Kiss
Me... zusammengesetzt, die verwaschene Synthesizer und Keyboardsounds
unterlegen die Songs mit einem Gefühl der Erhabenheit, Bass und
Schlagzeug treiben die Melodie an, und Smith singt zutiefst
persönliche Texte, die aber zugleich von universellen Sehnsüchten
und Ängsten handeln könnten. Bei den Aufnahmen war Bandmitglied
Simon Tolhurst zwar zugegen, aber meistens betrunken. Der Musik und
ihrer Qualität tat dies keinen Abbruch. Wieder einmal schrieb Smith
einige unsterbliche Popsongs - wie etwa das klaustrophobe „Lullabye“
oder den schon fast zu romantischen „Lovesong“. Natürlich ist
das Musik, die hauptsächlich auf die Emotionen zielt – wie The
Cure es von Beginn an spielten, und es ist zugleich perfekte
Pop-Musik – mit einem ganz eigenen Sound. Disintegration ist ein
weiteres Meisterwerk von The Cure und eines der ganz großen Alben
der Achtziger – und es ist zeitlos geblieben – wie man das bei
wirklich guter Popmusik manchmal findet..
Galaxie 500
On Fire
(Rough Trade, 1989)
Galaxie 500 sind eine der
Bands, die man keiner Zeit zuordnen kann. Natürlich gibt es im
Sound, in der Produktion ihrer drei Alben gewisse Hinweise auf die
End-Achtziger/ beginnenden Neunziger, aber zu dieser Zeit gab es
meiner Meinung nach - natürlich auch Dank der Fähigkeiten des Produzenten Kramer - bei manchen Alben wieder eine gewisse Neutralität in Produktion
und Sound – was der Musik bis heute gut tut. Die New Yorker Band um
Songwriter Dean Wareham stand aber auch in scharfem Kontrast zu
anderen Acts aus ihrer Stadt – war nicht so abgeklärt und urban
wie Lou Reed etwa, sondern klang eher nach introvertierter
Melancholie und warmem Sonnenuntergang am Pazifik Sie mögen dem
Noise-Rock Sonic Youth's und der Swans ein paar Gitarrentöne zu
verdanken haben, aber der Bezug zur psychedelischen Musik der
Sechziger ist weit deutlicher. Aber genug der Vergleiche – denn die
haben Galaxie 500 wahrlich nicht nötig. Ihr zweites Album (von drei
gleichwertigen übrigens...) erschafft seine ganz eigene Atmosphäre
aus surrealen Slacker-Lyrics, slow-motion Gitarren - einen
monochromen Sound, der zu jeder Zeit einzigartig bleiben würde.
Wareham's Vorbilder mögen erkennbar sein, aber seine zurückhaltende
Stimme klingt immer ein bisschen verschnupft aus dem Off, und das
Rhythmus Gespann aus Naomi Yang (b) und Damon Krukowski (dr) spielt
zwar unauffällig, aber ungeheuer melodisch und einfallsreich. Die
Musik erzeugt eine Stimmung von positivem Fatalismus und sie bekommt
Dank Wareham's simplem aber einfallsreichem Gitarrenspiel immer im
rechten Moment eine Dosis Spannung verpasst. Am Ende des Albums wird
mit „Isn't It a Pity“ George Harrison gecovert – ein Verwandter
im Geiste vermutlich. Hier fügt Produzent Mark Kramer sein „cheap
organ“ hinzu, anderswo hilft Tom Waits' Trompeter Ralph Carney aus,
aber all das haben die Songs nicht unbedingt nötig. Für On Fire mag
ich keine Highlights benennen können, dafür aber bewegt sich die
Musik durchgehend ganz unauffällig auf extrem hohem Niveau. In den
vier Jahren ihrer Existenz haben Galaxie 500 ganz nebenbei dreimal
die perfekte Quintessenz psychedelischer Musik auf Vinyl gepresst.
Dass sie inzwischen als Klassiker gelten, geschah völlig zu Recht.
Produzent Mark Kramer sollte ein paar Jahre später die Slowcore
Könige Low entdecken, eine von vielen Bands, deren Musik von ganz
klar Galaxie 500 beeinflusst ist.
The Blue Nile
Hats
(Linn, 1989)
Gerade habe ich noch über den etwas zeitloseren Sound in der Populärmusik berichtet, der Ende der Achtziger langsam wieder einzukehren scheint. Der Sound von Blue Nile,
insbesondere die Art der Produktion von Drums und Synthesizern auf ihren beiden wunderbaren
Alben A Walk Across the Rooftops und Hats allerdings ist massiv den modischen
Prinzipien der Achtziger ausgesetzt, ist sehr „Eighties“ und somit modisch im schlechteren Sinne
- aber das Songwriting und die Themen der Songs, genauso wie Paul
Buchanan's Stimme sind von zeitloser Güte. Hats ist ein weiteres
Album voller verzweifelter Hoffnung und vergeblichem Begehren, das es
trotzdem schafft, nie düster zu klingen. „Let's Go Out Tonight“
und „Downtown Lights“ ragen heraus, aber jeder einzelne der gearde mal sieben Songs hier
ist ein essentielles Beispiel für außerordentlich kunstvoll
konstruierte Musik. Die Präzision, mit der die Band arbeitete –
sie brauchten nicht umsonst ganze fünf Jahre, um den Nachfolger zum
formidablen Vorgänger A Walk Across the Rooftops zu erschaffen –
ist aus jeder Note, jeder Melodie und jedem Beat herauszuhören. Die
Songs haben cineastische Qualität, ohne je zu ausladend zu werden.
Bilder werden angedeutet, eine suggestive Atmosphäre dazu erschaffen
und der Rest spielt sich im Kopf des Hörers ab. Es sind Bilder von
nächtlichen Bars, glitzernden Skylines, Subways und Neon-Laternen,
die entstehen, unter denen der Protagonist voller melancholischer
Erinnerungen nach Hause schlendert. Es ist eine Atmosphäre, wie sie
Frank Sinatra für seine Generation 25 Jahre zuvor mit In the Wee
Small Hours so perfekt erschuf. Die beiden ersten Alben von Blue Nile
sind unverzichtbare Klassiker der „sophisticated“ Popmusik, und die Frage, ob sie in zeitloserem Klanggewand besser geklungen hätten, ist lediglich akademisch.
Neil Young
Freedom
(Reprise, 1989)
Neil Young hatte in den
80ern zwar einige wirklich schlechte Platten aufgenommen, aber ab
Life (1987) hatte die Formkurve aufwärts gezeigt, und This Note's
For You vom Vorjahr war zwar ein etwas unbehauenes und unbeholfenes
Experiment in Blues, aber auch da waren einige Lichtblicke dabei
gewesen. Den Return to Form auf Freedom hätte man allerdings dann
doch nicht erwartet (Ganz nebenbei - dasselbe gilt für Lou Reed, der in diesem Jahr 1989 mit New York ein ebenso überraschendes kreatives Comeback hatte, das hier genauso einen Platz verdient hätte...). Young jedenfalls hatte auf seinem neuen Album gleich mehrere Stücke für die
Ewigkeit ! Da ist das Straßenepos „Crime in the City“ mit tollen
Lyrics, das rührselige, aber sooo schöne „Wrecking Ball“ die
Mariachi Ballade „Eldorado“, und gleich zweimal „Keep on Rockin' in
the Free World“ (wie auf Tonight's the Night einmal akustisch und
einmal elektrisch und wie diese bald ein Live-Favorit) und das fatalistische „No More“. Es gab auch
ein paar Filler, mehr als man einem Musiker von Young's Statur
eigentlich zugestehen sollte, aber dann gab er einige ziemlich
konfuse Konzerte, taumelte durch's eigene Repertoire, hatte dabei
immer mehr magische Momente, trug dieselben Hemden, wie die
aufkommende Generation Grunge, und der Gedanke erschien auf einmal doch nicht
mehr so abwegig, dass einer (oder zwei - siehe oben) der Helden der 60er und 70er doch noch
etwas zu sagen haben könnte.
Morbid
Angel
Altars
Of Madness
(Earache,
1989)
Wenige
Alben waren für die Entwicklung des Death Metal – und somit für
Metal oder sogar extreme Musik an sich - so wichtig wie Altars of
Madness. Morbid Angel setzten neben Chuck Schuldiners' Band Death mit
High Speed Riffs, komplexen Song-Strukturen und den chaotischen Soli
von Trey Azagthoth einen Standard, dem bald haufenweise anderer Bands
nacheifern würden. Die Texte von Sänger David Vincent und Azagthoth
wurden aufgrund ihrer satanistischer Thematik als extrem provokant
angesehen (dabei sind sie inzwischen - nach Black Metal - höchstens
„Standard“...), und sie waren so eindeutig, dass niemand sie als
Pose mißverstehen konnte – was zur erhofften Empörung in den
Metal-Magazinen führte... David Vincents Stimme (das sog „Growlen“)
klang auf diesem Album noch „höher“ als auf den folgenden
Werken, was neben den kontroversen Inhalten der Lyrics ein weiterer
Grund sein mag, warum die skandinavische Black Metal Szene der 90er
explizit dieses Album von Morbid Angel als Vorbild bezeichneten. Im
Sound gab es noch reichlich Thrash-Elemente, was die Band
seltsamerweise immer leugnete, aber Altars of Madness ist in allen
Belangen zweifellos und eindeutig Death-Metal (somit ein Kind des
Thrash...) und hat mit „Chapel of Ghouls“ mindestens einen
Klassiker des Genres an Bord. Und auch wenn das Album im Vergleich zu
den folgenden Werken amateurhaft aufgenommen war, ist es eines der
einflussreichsten Metal Alben der 80er – und somit eines der
einflussreichsten Alben der populären Musik.
De La Soul
3 Feet High And Rising
(Tommy Boy, 1989)
3 Feet High and Rising
ist mit Sicherheit bis heute eine der einflussreichsten und
einfallsreichsten Platten des HipHop, und eine der innovativsten und
positivsten ihrer Zeit. De La Soul erfanden mit diesem Album eine Art
des HipHop, der sich nicht mit den üblichen Street- und Gewalt
Themen sondern mit Liebe, Spaß und ihrer „Daisy Age“ Philosophie
befasste. Sie stellten sich nicht einfach nur zum Kampf gegen zu
dieser Zeit angesagte Acts wie Public Enemy oder Boogie Down
Productions, sie wollten aufzeigen, dass es auch positive Seiten im
Leben gibt, wollten etwas positives gegen die Gangsta Attitüde
setzen und ihre Leute auf ihre afrikanischen Wurzeln hinweisen. Und
dabei entstand nicht einfach HipHop, sondern eine Art Pop, der
Samples aus ganz anderen Quellen als den im HipHop üblichen
verwandte. Steely Dan, Johnny Cash, Hall & Oates und die Turtles
werden gesamplet, bei „Pothouse in my Lawn“ erklingt eine
Mouthharp und Country-Yodeling (im Chorus!), die Texte handeln ´von
der wahren Liebe („Eye Know“) oder mahnen vor den üblen Folgen
von Drogenmissbrauch („Say No Go“). Der größte Hit „Me,
Myself and I“ ist purer, selbstbewusster Spaß und die ganze Musik
ist mit ihren Verweisen auf andere Künstler und hintergründigen
In-Jokes fast so etwas wie eine DJ-Platte, die mit Spaß mehr zu tun
hat als mit hartem Ghetto-Alltag. Die Rhymes sind flüssig und so
ungeheuer positiv aufgeladen wie man es zuvor nicht kannte. De La
Soul waren in dieser Hinsicht die Ersten und definierten ein ganzes
Genre – und das über eine erstaunlich lange Zeit. Letztlich klang
und klingt bis heute kein Album so wie dieses.
Beastie Boys
Paul's Boutique
(Grand Royal, 1989)
Und hier die zweite große
HipHop LP des Jahres 1989. Ebenso genre definig wie 3 Feet High...
, sicher etwas weniger intellektuell, mehr Spaß um des Spaßes willen.
Die Beatsie Boys hatten schon mit dem Vorgänger Licensed to Ill und
dem Party Hit „Fight for Your Right..“ genau das gemacht: Party
Rap, aber mit Paul's Boutique machten die drei weißen B-Boys aus
Broolkyn nun das definitive Statement für diese Art von HipHop. Sie
sampeln die Geräusche aus der Nachbarschaft des dubiosen Ladens "Pauls Boutique",
grölen zu dem von den Dust Brothers immens geschickt verwickelten
Soundsalat, machen Frauen an, geraten in Gangscharmützel und
erzählen von allem Möglichen. Irgendwie gelang es ihnen damit, Punk
und HipHop zu einem ziemlich eigenen Gebräu zu vermischen, einem das
keine andere Crew je nachkochen konnte oder wollte. Und es ist eben nicht nur die
Tatsache, dass das Wild-durch-die-Gegend sampeln in zwei Jahren
aufgrund von „urheberrechtlichen“ Regelungen nicht mehr möglich
sein würde, die es zu einer festzemetierten Tatsache macht, daß
dieses definitive Statement nie adäquat wiederholt werden konnte. So
wie die Beastie Boys 1989 klangen, könnte auch heute niemand mehr
klingen. Dieses Album ist - genau wie 3 Feet High.. - ein
Schnappschuss aus der Zeit, als HipHop wirklich spannend und neu
war...
Im
Iran und Irak, in Israel, im ganzen Nahen Osten ist die politische
und gesellschaftlich/religiöse Situation enorm angespannt. 2006 ist
das Jahr, in dem jeder gegen jeden irgendeinen Kampf ausficht, das
Jahr, in dem die meisten Journalisten in Ausübung ihres Berufes
umkommen und ein weiteres Jahr in dem Hunderte durch politisch und
religiös motivierte Selbstmordattentate sterben müssen und in dem
in der westlichen Welt diverse Attentatsversuche vereitelt werden.
Derweil ziehen sich immer mehr Länder aus dem Irak-Krieg zurück.
Die Akzeptanz für diesen Krieg sinkt und sinkt. Am Ende des Jahres
wird Saddam Hussein, der ehemalige Staatschef des Irak hingerichtet.
Die Stimmung zwischen konservativen Moslems und weniger religiösen
Menschen wird weltweit immer schlechter, insbesondere
alberne Mohammed-Karikaturen in europäischen Zeitungen führen zu
gewalttätigen Auseinandersetzungen, die Fundamentalisten verstehen da keinen Spaß. Und die klimatischen Verhältnisse
werden weltweit merklich immer schlechter – es kommt zu
Extrem-Wetter Katastrophen durch Stürme und Schneeschmelzen
(Elbhochwasser in Deutschland, Hitze-Notstand in New York) – eine
Entwicklung, die sich schon seit Jahren fortsetzt. Die weltpolitische
Lage ist durch all diese Entwicklungen äußerst unruhig. In diesem
Jahr sterben der legendäre Ex-Pink Floyd Musiker Syd Barrett und
Arthur Lee (von Love). Musikalische Highlights gibt es auch in diesem
Jahr aus allen möglichen Genres: Ob Folk, Post Punk, elektronische
Musik, Metal, Post Rock, Screamo, klassische Singer/Songwriter.... Da
sind die Alben von Joanna Newsom, Brand New, Burial, da ist der enorm
erfolgreiche Retro-Soul von Amy Winehouse, das Debüt der durch das
Web bekannt gewordenen Arctic Monkeys etc. Aber wirklich innovativ
ist mal wieder kaum jemand. Gute Musik zuhauf, und meine persönlichen
Favoriten sind die Alben von Rachel Unthank und ihrer Folk-Familie,
von Joanna Newsom und Corrina Repp. Folk von Frauen in verschiedenen
Varianten... und ein stundenlanges Folk/Drone Monster von den
obskuren aber majestätischen Natural Snow Buildings. Und welche
Musik missfällt mir ? Ich mag die Scissor Sisters nicht, deren „I
Don't Feel Like Dancin'“ aber auch irgendwie gut ist, ich kann
immer noch nichts mit Rihanna oder Nelly Furtado anfangen, deren
Musik mir einfach ZU geplant ist – genau wie die von Justin
Timberlake, den toll zu finden irgendwie hip zu sein scheint. Aber
ganz schlimm ist der Erfolg von James Blunt dem singenden Soldaten
mit Quäkstimme, oder etwa der Teen-Pop-Hype um Tokio Hotel. Also,
Nichts mehr davon, sondern lieber....
Joanna
Newsom
Ys
(Drag
City, 2006)
Als
Ys 2006 herauskam, wurde es sofort und einhellig als DAS Ereignis des
Jahres gefeiert. Joanna Newsom hatte schon zwei Jahre zuvor mit The
Milk-Eyed Mender ein ungewöhnliches und auch ungewöhnlich schönes
Album gemacht, eines, das sicher – insbesondere wegen ihrer Stimme
- polarisierte, dessen schiere Musikalität aber selbst der größte
Verächter ihrer gewöhnungsbedürftigen Stimme nicht verleugnen
konnten. Dass sie aus einer Hippie-Famile stammte, dass sie Harfe
spielte und eine durchaus elfenhafte Schönheit besaß – all das
trug natürlich dazu bei, dass man neugierig war, was als nächstes
kommen würde. Und dann hatte auch noch der weise alte Van Dyke Parks
seine Hände beim neuen Album im Spiel, ebenso wie die Indie
Koryphäen Steve Albini und Jim O'Rourke - und Bill Callahan (Smog)
war dabei, der Leonard Cohen der Internet-Generation ! Ys musste
zwingend gut und vor allem ungewöhnlich werden. Es ist für sich
alleine gesehen schon keine geringe Leistung, dass diese Erwartungen
erfüllt wurden. „Ys“ ist der Name einer Stadt in der Bretagne,
deren Reichtum so legendär war, wie die Schönheit ihrer
Königstochter, und die dann vom Ozean verschlungen wurde – und
unter solch bedeutsamen Mythen macht Joanna Newsom es auch nicht.
Aber die Texte behandeln nicht einfach nur Märchenhaftes, sie
schicken den Hörer natürlich in Phantasiewelten, kehren dann aber
erfreulicherweise doch immer wieder auf die Erde zurück, lassen
Spielraum für Imagination und Interpretation (was man ihnen auch
vorwerfen mag...) und sind vielleicht auch einfach nur vokaler
Hintergrund, der sich einem klaren Konzept unterwerfen soll. Das
Album ist ein Gesamtkunstwerk, das durch seine Individualität
besticht. Und wer sich auf den Reiz der Stimme von Joanna Newsom und
ihr klassisches Harfenspiel einlässt, das so delikat von Van Dyke
Parks Orchestrierungen untermalt wird, der kann die Klasse von Ys
nicht mehr leugnen. Natürlich ist die musikalische Ausführung
superb, Alles wird bis ins Detail ausgeschmückt - das Cover des
Albums ist nicht nur in dieser Hinsicht bezeichnend - „Only Skin“
mit seine fast 17 Minuten Dauer mag manchem zuviel sein, das ganze
Album ist sehr barock, mit seinen Varianten und Veränderungen in der
Textur, mit seinen ruhigen und dann wieder voluminösen Passagen, das
Songwriting ist versponnen – aber wer hätte unter solchen
Voraussetzungen etwas anderes erwartet ? Der 12- minütige
Eröffnungstrack „Emily“ mit dem fast erschreckend abrupten
Vocal-Einsatz ihrer Stimme und mit Texten, die zwischen
Fantasiebildern und Konkretem wechseln ist bezeichnend für das ganze
Album: "That the meteorite is a source of the light, and the
meteor's just what we see... You came and laid a cold compress upon
the mess I'm in. Threw the windows wide and cried, 'Amen, Amen,
Amen...'" Tatsache ist, es ist eines diese unerklärlichen Alben
in der Tradition etwa von Van Morrison's Astral Weeks oder Robert
Wyatts Rock Bottom - Ausdruck purer Individualität und nur in
seiner Ganzheit verständlich. Kein Wunder, dass es in fast allen
Publikationen abgefeiert wurde. Es ist ein Meisterwerk im klassischen
Sinne.
Amy
Winehouse
Back
To Black
(Island,
2006)
Ob
Musik einen künstlerischen Anspruch erfüllen kann, und zugleich
kommerziell extrem erfolgreich sein kann? Es gibt etliche Beispiele
dafür, und mich hat solch ein Erfolg dann immer eher gefreut, als
Zweifel an so etwas diffusem wie „Glaubwürdigkeit" zu erwecken. In
den 00er Jahren war das zweite Album der Soul-Sängerin Amy Winehouse
eines dieser kommerziell erfolgreichen Exemplare mit großen Qualitäten. Back to Black ist einerseits altmodisch – mit einem Vintage-Sound, mit einer
Soul-Stimme, die sich an Vorbilder aus den 60ern, an altem
Reggae/Ska und am Sound der Girl-Groups der Mitt-Sechziger
orientiert - und die Hochleistungs-R&B-Sängerinnen der 80er und 90er komplett ignoriert. Ein Album mit Songs, die
so sehr nach altem Soul/Ska/Rhythm 'n Blues klingen, dass man
vermuten möchte, sie entstammen den Federn altvorderer
Songwriter – was man allein schon als Kunststück
bezeichnen könnte. Zumal die Vermischung der Einflüsse so mühelos
gelingt und in so hitparadentauglicher Form ausgeführt wird,
dass gar nicht auffällt, dass hier bislang disparate Elemente in eine ganz
neue Form gegossen werden. Und all das funktioniert vor Allem,
weil Amy Winehouse's Stimme mit einer unglaublichen Mühelosigkeit
alle erforderlichen Emotionen aufruft, ohne technisch zu klingen und so an Glaubwürdigkeit zu
verlieren. Die Hitsingle „Rehab“ war wirklich nicht erst im
Nachhinein nachvollziehbar, die Frau, die sich bei „Love Is a
Loosing Game“ selber aufgibt, konnte man sich auch vor
Bekanntwerden von Amy's katastrophaler Beziehung zu ihrem zeitweisen
Ehemann/Drogenlieferanten vorstellen. Und die Stärke und Coolness,
die sie bei „Tears Dry on Their Own“ besang, hätte man ihr im
Nachhinein gewünscht – 2006 dachte man noch, sie stünde vor einer großen Karriere. Back to Black ist ein Album mit fantastischen Songs, postmodern und geschmackvoll, stylish, voller
Versprechen auf Mehr - und der jahrelange Niedergang der so
entsetzlich öffentlichen Person Amy Winehouse ändert nicht das
Geringste an seiner Qualität. Sie starb dann zuletzt zu Niemandes
Überraschung im Jahr 2011 ohne die Versprechen einlösen zu
können. Um zu erkennen wie traurig das ist, muss man nur noch einmal
zuhören... und noch einmal... und noch einmal...
Burial
s/t
(Hyperdub,
2006)
Was
elektronische Musik leisten kann ? In den 00er Jahren kann sie schon
lange die gleichen emotionalen Extreme anrühren, die früher nur mit
Hilfe von Stimme und Gitarre erreicht wurden. Dabei haben Dubstep
oder dessen Weiterentwicklung Future Garage ihre Wurzeln im Techno,
in Musik mithin, die ausdrücklich Emotionen aussparen will. Und
Burial (das Alias, hinter dem sich der Brite William Emmanuel Bevan
verbirgt) hat auch – entgegen dem Prinzip der meisten
elektronischen Musik – seinen völlig eigenen Stil – ob
soundmäßig, oder ob bezüglich seiner Corporate Identity incl. sich
gleichenden Sleeves etlicher formidabler EP's. Das erste „Album“
- nach einer wundervollen EP titels South London Boroughs aus 2005 –
ist der düstere Soundtrack zu einer Fahrt durch die kalten
Industrie-Vororte und die Slums einer dystopischen London. Vocals
werden nur noch als kurze Cut-Up Samples eingesetzt, Sirenen,
Regentropfen, dazu bass-schwere, gedubbte Sounds, die sich in den
Magen graben. Darüber gehetzte Rhythmen, Melodiefragmente, die dem
Album gerade genug Zugänglichkeit heben, dass man nicht verzweifelt,
Wie ein einzelner Mensch so viele Ideen, so viele Sounds zu einem
kohärenten Ganzen verbinden kann, ohne einmal den Faden zu
verlieren, bleibt mir ein Rätsel. Bevan/Burial muss wohl ein Genie
sein. Und es gibt auch echte Schönheit - „Forgive“ zum Beispiel
ist fast schmerzhaft schön – erinnert in seinem Minimalismus an
Eno und besten TripHop zugleich. Burial ist zweifellos ein
Meilenstein, der aber nur erster (bzw. zweiter) Schritt auf einem
langen Weg – siehe Untrue im folgenden Jahr etc pp... Kein Wunder,
dass das schlaue Wire Magazin dieses Album als bestes 2006 auswählte.
The
Knife
Silent
Shout
(Rabid/V2,
2006)
The
Knife direkt nach Burial – das ist mitnichten zu viel elektronische
Musik. Zum Einen besteht im neuen Jahrtausend ein großer Teil der
interessanten Musik aus elektronisch erzeugten Klängen – was zum
Zweiten darauf hinweist, wie breit das Spektrum dieser Klänge ist.
Die schwedischen Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof Dreijer
machten schon seit 1999 zusammen Musik – Synth-Pop, wenn man es so
einfach bezeichnen will. So lange mithin, dass sie 2006 schon aus
einem reichen Fundus aus selbst entwickelten Sounds schöpfen können
– einen eigenen Stil entwickelt haben, der – siehe Burial – auf
seltsame Weise hoch emotionale und zugleich kalte Musik entstehen
lässt. Sie sind Herren ihres eigenen Labels – Rabid – haben eine
gewisse Reputation, die sich mit Silent Shout massiv vergrößert und
sie können „Songs“ schreiben: Da ist zum Beispiel „Like a Pen“
- eine 80er Synth-Pop Ode ins neue Jahrtausend gebeamt, da ist das
hüpfende Titelstück, modernistisch und zeitlos zugleich, da ist „We
Share Our Mothers Health“, klinisch und lebendig - und das sind nur
die drei Singles. Da sind Album-Tracks wie das seltsam beruhigende „From
Off to On“ in all seiner minimalistischen Schönheit oder „Forest
Families“ mit perfekten Vocals von Karin Dreijer – ein Vorgriff
auf ihr Fever Ray Album. The Knife machen Pop-Musik, sie versuchen
nicht gewollt intellektuell zu klingen, Silent Shout ist nicht bewusst
Avantgarde – und weil das Album so ungewöhnlich klingt, ist es
natürlich in hohem Maße avantgardistisch – obwohl die Sounds
durchaus auch nach Synth Pop aus den 80ern klingt. Und damit nehmen
sie schon die Musik des kommenden Jahrzehnts vorweg. Kein Wunder
also, dass Silent Shout von allen Wissenden abgefeiert wurde.
Liars
Drum's
Not Dead
(Mute,
2006)
Die Liars: Ein New Yorker
Avantgarde-Trio, das mit seinem Debut scheinbar auf der
Post-Post-Punk Welle der frühen 00er Jahre mitschwamm, den Part von
Gang of Four übernahm, aber beim zweiten Album einen überraschenden
Schritt Richtung tribalistischer Hexen-Mythen machte und nun – nach
Berlin ging, um in den alten Ost-Berliner Planet Roc Studios ihr
drittes Album Drum's Not Dead aufzunehmen. Auch dieses Album hat ein
Konzept, das aber etwas rätselhaft ist. Laut Wikipedia
sind „Drum“ und „Mount Heart Attack“ zwei fiktionale
Charaktere die sich wie Yin und Yang gegenüberstehen, Drum ist die
Kreativität, Mount Heart Attack die Destruktion... irgendwie ist es
egal, denn die Musik die dabei herauskommt - zugleich elektronisch,
symphonisch und von bis ins Mark gehenden Rhythmen angetrieben
- entschädigt für den schwer verständlichen Hintergrund. Bei den
Aufnahmen im ehemaligen Ost-Studio wurden die verschiedenen Räume
und ihre jeweils spezielle Akustik genutzt, um für jeden Song eine eigene Atmosphären zu schaffen und die Songs sind extrem rhythmisch – ja,
der Rhythmus - „Drum“ eben – ist das prägende Element. Dazu
kommen verzerrte Gitarren, Angus Andrews unirdischer Falsett-Gesang,
Drones und immer wieder Tribal-Rhythmen – alles Elemente, die man
natürlich mal hier mal dort gehört haben mag, die aber so
zusammengesetzt sind, dass sie ein völlig neues, unterschwellig
bedrohliches Ganzes bilden. Der Opener „Be Quiet, Mr. Heart Attack“
wird von vielen als bester Song der Liars bezeichnet, für mich steht
das komplette Album als Manifest wie ein großer
Felsklotz in der musikalischen Landschaft. Um es zu beschreiben, will ich mal vergleichen: Radiohead ohne Prätention,
Sonic Youth im neuen Jahrtausend, Gang of Four aus dem Urwald... und
all das trifft es nicht genau. Man höre einfach den Drone bei „Hold
You, Drum“, man beachte, wie perfekt der Closer „The Other Side
of Mr. Heart Attack“ klingt... Es ist ein schwieriges, aber ein
lohnendes Album. Lustiges Faktum am Rande: Das vorherige, zweite Album der New Yorker Liars - They Were
Wrong, So We Drowned – erhielt 2004 sehr gemischte Reaktionen - aber
nach diesem Meisterwerk wurde es offenbar auf einmal verstanden.
J
Dilla
Donuts
(Stones
Throw, 2006)
J
Dilla, Jay Dee, James Yancey, in seiner kurzen Karriere arbeitete
dieser Produzent unter verschiedenen Namen, den Moniker Jay Dee
änderte er zuletzt in J Dilla, um Verwechslungen auszuschließen.
Egal, er war jedenfalls einer der einflussreichsten HipHop
Produzenten, die Liste seiner „Klienten“ liest sich wie ein Who's
Who des Neo Soul/HipHop: Erykah Badu, Roots, D'Angelo, Common, Pharcyde,
DeLa Soul, A Tribe Called Quest, Madlib etc pp... und er war vor Allem
Innovator. Donuts nahm der vier Jahre zuvor mit dem
Moschcowitz-Syndrom – einer seltenen Bluterkrankung -
diagnostizierte J Dilla hauptsächlich im Krankenhaus mit einem Boss
SP 303 Sampler und einem kleinen Plattenspieler auf. Es ist ein
Instrumental-Album mit 31 Tracks, die eine beeindruckende Show
seiner Fähigkeiten darstellen, das aus den diversesten Sounds und
Tonschnipseln etwas komplett Eigenes und vor Allem Neues
zusammensetzt. Es gibt Samples von Old School R&B, Soul, Zappa,
Kool & the Gang, Supremes, Temptations etc, und er lässt diese
Samples sich überlagern, verfremdet sie, verlangsamt, legt Beats
darüber, erschafft wie ein Free- Jazz Musiker Schichten aus Sounds
und macht dadurch etwas bis dahin unerhörtes Neues. Das Album ist wegen
seiner Dichte an Ideen anstrengend, es ist tatsächlich so, als würde
man einem extrem talentierten DJ dabei zuhören, wie er die von ihm
geliebte Musik auf einem einzigen Album zusammenfasst. Und letztlich
ist Donuts ja auch genau das. Dass er 31 Tracks von maximal 90
Sekunden Laufzeit zusammenstellte, und dass er selber gerade mal 31
Jahre alt wurde, dürfte geplant gewesen sein. Ihm war wohl klar,
dass er bald sterben würde - und drei Tage nach dem Release des Albums
starb Yancey tatsächlich. Donuts wurde zum Vermächtnis, das von
etlichen Künstlern zitiert – und auch benutzt – wurde. Das
wiederum war gewiss auch in seinem Sinne.
Brand
New
The
Devil and God Are Raging Inside Me
(Interscope,
2006)
Achtung
! Jetzt kommt Emo - und das heißt, der Sänger
jammert, er fühlt sich von Allen missverstanden, denkt an
Selbstmord, trägt vermutlich meist Schwarz und hat die Haare vor'm
Gesicht – soviel zum Klischee, das sich zunächst aufdrängt (zumindest seinerzeit), wenn
man sich The Devil and God... erstmals anhört. Aber dieses Album
ist kaum im Emotional Hardcore verwurzelt, die Vorbilder heißen eher
R.E.M. oder Modest Mouse - und man beachte: Tiefe Emotionen waren
immer Voraussetzung für großer Musik. Dass es zu dieser Zeit –
Mitte der 00er Jahre – eine Welle von Bands gab, die Indie-Rock mit
desperaten Lyrics machten, die mit einem Image auftraten, das
Elemente aus Gothic, New Romatic und vielleicht auch ein bisschen
Hardcore verbanden – und dass dabei unter genau diesem Etikett
Bands wie Fall Out Boy bei einem sehr jungen Publikum Erfolg hatten,
hat dazu geführt, dass eine ganze Stilrichtung diskreditiert wurde (Dabei haben im Pop doch immer die jungen Leute verstanden...?).
Aber vielleicht kann man mit einem gewissen zeitlichen Abstand eine
Band wie Brand New nun mit offeneren Ohren hören. Sänger/
Gitarrist und Songwriter Jesse Lacey jedenfalls weiss genug über
kluges Songwriting, über Dynamik und Spannungsbögen, um Songs zu
schreiben, die zeitlos im besten Sinne des Wortes sind. Schon das
vorherige Album Deja Entendu (2003) war beachtlich gewesen, The
Devil... ist nahezu perfekt. Dass die Musiker zur Zeit der Aufnahmen
vom Tod von Familienmitgliedern und Freunden regelrecht verfolgt
wurden, dass Lacey eine Jugend in einem streng religiösen Elternhaus
hinter sich hatte – all das spiegelt sich in den Texten wieder und
mag Grund für diese simple Zuordnung sein. So behandelt „Limousine“
den Tod einer 7-jährigen aus der Heimatstadt Lacey's , die bei einem
Autounfall ums Leben kam. Lacey beschreibt den Unfall aus
verschiedenen Perspektiven. Der Albumtitel bezieht sich auf den an
einer bipolaren Störung leidenden Musiker Daniel Johnston, Der Titel
des besten Songs des Album lautet „Jesus“, ein um eine simple
Gitarrenfigur aufgebaute theatralische Tour De Force mit einem der
besten Outro's der Rock-Historie. Ja, Theatralik spielt in der Musik
von Brand New eine tragende Rolle, das haben sie mit Bowie, Queen, Roxy Music und Metal gemeinsam. Es ist die perfekte Mischung aus tiefsten
Emotionen (um das Wort nochmal zu benutzen) und durchdachten Songs
und es ist letztlich kaum verwunderlich, dass The Devil... auch zu
dieser Zeit und trotz stilistischer Uncoolness - von etlichen
Independent-Medien abgefeiert wurde. Dass die Band wenig Erfolg
hatte, liegt an ihrer Weigerung, bei den üblichen Publicity-Ritualen
(Video's. Interviews etc) mitzumachen. Wer wirklich wissen will, wie
Emo in Gut klingt, sollte hier zuhören, und wer Emo nicht mag: The
Devil and God Are Raging Inside Me IST gar kein „Emo“, sondern Hardcore und noch viel mehr.
Scott
Walker
The
Drift
(4AD,
2006)
Künstler
wie Scott Walker veröffentlichen nicht in regelmäßig Platten –
sie „äußern“ sich in Abständen. Walker hatte seit dem letzten
Album – Tilt - elf Jahre vergehen lassen, machte nun mit The Drift
in dreißig Jahren gerade mal sein drittes Album, aber dafür kann man ja
dankbar sein. Dass er sich vom kommerziellen Musikbetrieb
verabschiedet hatte, war schon seit dem '84er Album Climate of
Hunter klar und dass es bei seiner Vorstellung von Musik schwierig
sein würde, eine veröffentlichungswillige Plattenfirma zu finden
ist sicher auch EIN Grund für den Zeitverzug. Aber Scott Walker
macht es ja auch niemandem leicht. Wer will, kann The Drift
durchaus auch der Kategorie „Kunstkacke“ zurechnen. Auf jeden
Fall ist es harter Stoff, es geht um politische Verbrechen in Europa
und den USA, da wird bei „Clara“ die Hinrichtung des
nationalsozialistischen Diktators Mussolini und seiner Geliebten
Clara Petacci behandelt und dazu ganz passend ein Stück
Schweinefleisch mit dem Baseballschläger bearbeitet, da erklingen
String-Arrangements, die an Angelo Badalamenti und David Lynch
erinnern, Gitarren klingen - wenn eingesetzt – nach Sludge und
Swans. Drift ist definitiv keine Rockmusik, das Instrumentarium wird
im Sinne Neuer Musik oder meinetwegen Avantgarde eingesetzt...
„Jesse“ zitiert Elvis' „Jailhouse Rock“´, aber Walker
beschreibt den Song als seinen Kommentar zu 9/11 und benutzt dabei
das Motiv des totgeborenen Zwillingsbruders der amerikanischen Ikone.
Und dann ist da "Cue," die epische, 10-minütige Studie über
eine sich ausbreitende Pandemie, mit dem Klang von Holzkisten, aus
denen etwas ausbrechen will, mit kreischenden Violinen und
unmenschlichen Stimmen – ein Song wie der Abstieg in Dantes' Hölle.
Ja, The Drift ist nicht düster, es ist vielmehr unheimlich und auch
ein bisschen prätentiös, aber das ist gewollt und genau so auch
richtig. Walker's Bariton klingt kaum noch so, wie er mit den Walker
Brothers oder auf seinen gloriosen, existenzialistischen Pop-Alben
Scott 1 bis 4 der Jahre vor 1970 geklungen hat – aber dennoch kreist die
Musik um seine Stimme – man höre nur den mit akustischen
Gitarren versehenen Closer „A Lover Loves“, der sogar ein
gewisses Maß an Humor verrät, wenn zwischen den Verses ein sanftes
„pssst, pssst, pssst“ erklingt. Walker ist einer der Musiker, die
nur die Musik machen, die sie wollen, und die bei dem was sie tun nur
nach sich selbst klingen. Ulkigerweise erreichte das Album dank guter
Kritiken und der Mithilfe des ehrenwerten 4AD Labels tatsächlich
Rang 51 in den britischen Charts. Na also, es geht doch...
Wolves
in the Throne Room
Diadem
of 12 Stars
(Vendlus,
2006)
Ab
hier gab es im Black Metal die Option, etwas Anderes zu machen als
die barbarischen Black Metal Acts Skandinaviens oder gar die dumpfem
NSBM Bands der USA. Wolves in the Throne Room waren drei Musiker, die
ohne „Corpse Paint“ und die sonst im BM üblichen Pseudonyme a la
„Necroslaughterer“ oder dgl. auskamen. Nathan und Aaron Weaver und
Rick Dahlin sagen selber, sie spielen Black Metal, der die Energie
ihrer Heimat, der Landschaft der Pazifik-Küste des Nordwestens der USA widerspiegelt. Sie nennen als Einflüsse Old School Black
Metal wie Burzum, Bands wie die Amerikaner Weakling und die
Sludge-Hardcore Pioniere Neurosis, aber auch Folkmusik und Elektronik
Pioniere wie die Krautrock Band Popol Vuh. Auf ihrem fantastischen (regulären - da gibt's natürlich noch Demo's etc)
Debüt Diadem of 12 Stars kann man sich trefflich auf die Suche nach
all diesen Einflüssen machen, und manchmal wird man sogar fündig.
Black Metal ist sicher ein hermetisches Genres, bei dem für den
Nicht-Initiierten so ziemlich alles gleich klingt – Songs und Texte
verschwinden hinter Wällen aus Noise, der Gesang wird
herausgekreischt, die Geschwindigkeit ist so hoch, dass die Musik
vorbeizurasen scheint, und all das prägt auch Diadem of 12 Stars –
aber den drei Musikern gelang es auf vier überlangen Stücken
dennoch, erstaunlich differenziert zu klingen. Schon der Opener
„Queen of the Borrowed Light“ hat nicht nur ein paar famose
Riffs, es gibt auch überraschende Tempowechsel, irgendwo im Mix
erklingen sogar klare Gesänge, zugleich bläst der Song die Ohren
frei. „Face in a Night Time Mirror (Part 1)“ wird von einer
klaren und wunderbar unkitschigen Folk Passage unterbrochen, gesungen
- nicht gekreischt - von Jamie Myers von der Progressive-Metal Band
Hammers of Misfortune (man beachte deren diesjähriges Album The
Locust Years), es gibt Passagen, die an Post-Rock erinnern, aber bei
denen gelingt es der Band, nicht in allzu formalistische Posen zu
verfallen, ihre Basis ist und bleibt eindeutig Black Metal mit
rasantem Tremolo Picking und höllischem Tempo. Irgendwie gelang es
der Band unterschiedlichste Einflüsse organisch und glaubwürdig in
ihren Black Metal einzufügen, dabei nicht den Faden zu verlieren und
die Einflüsse ihrer kompromisslosen Musik unterzuordnen –
wodurch die vier Stücke überraschend abwechslungsreich werden. Das
finale, über 20-minütige Titelstück mit Neurosis-artigem Beginn
und völlig ausgerastetem Ende ist dann Katharsis und Höhepunkt,
Diadem of 12 Stars ist eines der ersten Alben, das Black Metal vom
Stigma des elitären Underground befreite. Noch im selben Jahr kamen
die Wolves beim Qualitäts-Label Southern Lord unter.
Natural
Snow Buildings
The
Dance of the Moon and the Sun
(Digitalis,
2006)
Und
hier wieder eines der Alben, das kaum einer kennen mag, das ich
selber aber für überragend halte. Nerd Kram ? Vielleicht. Erstmal
die Kurzfassung: Dies ist eine massive, zweieinhalbstündig
ausufernde Song-, Mantra- und Drone-Kollektion, die vom
Transzendentalen bis zum Betäubenden reicht, ohne dabei an
versponnener Pracht zu verlieren... Aber ich will das gerne besser
erklären: Natural Snow Buildings sind die beiden Franzosen Mehdi
Ameziane und Solange Gularte, die sich als Studenten in Paris in der
Bibliothek kennenlernten, in diversen Bands zusammenspielten ehe sie
dann zusammenzuleben und gemeinsam eine ganz seltsame Form der Musik
zu kreieren begannen. So weit, so banal. Ihr x-tes Album The Dance of
the Moon and the Sun ist natürlich – siehe oben – extrem lang,
es handelt sich um 25 Tracks, vier davon teils weit über 10 Minuten
lang, und man bemerkt schnell, dass hier so gut wie Alles
improvisiert ist, dass den Klängen hinterhergespielt wird, dass der
Kosmos, aus dem Songs wie „ Rain Serenade“ oder „All Animals in
the Form of Water“ ein schamanistischer sein muß. Zugleich haben
die Beiden einen Hang zum Horror (Einer der Songs heißt „John
Carpenter“) und bei Ihnen ist definitiv nicht alles nur Blümchen
und Schmetterlinge. Trance und Raga rutschen in Albtraum und
Verzerrung, schon das erste Stück „Carved Heart“ stellt den
Hörer auf eine lange Reise in einen mal folkig-schönen, mal
elektronisch verzerrten Klangkosmos ein. Hand-Drums und Finger
Cymbals bauen ein Rhythmusgerüst, und unter Allem liegt ein Drone,
der immer wieder bedrohlich anschwillt. Über
die ganze Länge von The Dance of the Moon and the Sun gelingt es den
beiden Musikern die Balance zu halten zwischen hinwegdriften und mal
sanft, mal heftiger aufwachen. Das wird - wenn man sich traut
zuzuhören - nicht langweilig, sogar eher spannender. Es gibt keine
„Songs“ die man herausheben möchte. Der beste lange Song mag der
erste sein: „Cut Joint Sinews and Divine Reincarnation“. Manche
der kürzeren Songs wie „Away, My Ghosts“ oder „The Cursed
Bell“ sind erholsame Ausflüge ins Folkidiom, klingen aber
bewusst so, als kämen sie aus einem fernen Autoradio – oder aus
einer Welt, aus der man sich soeben verabschiedet hat. Noch eins,
ehe du nach der CD suchst: NSB lassen alle Releases immer nur in
skandalösen Mini-Stückzahlen veröffentlichen. Man kann ihre Alben
(insbesondere Dieses) nur irgendwo downloaden. BaDaBing Records hat
ein paar ihrer Alben wiederveröffentlicht, dieses soll vielleicht
folgen, Ich empfehle einen Probelauf auf Youtube und bei entsprechender
Neugier eine intensive Suche oder Abwarten. Ich finde, es lohnt sich.