New
York war und ist die Welt (Sub-)Kultur Hauptstadt. Das manifestierte
sich Mitte der Siebziger Jahre in einem kleinen Club mit dem Kürzel
CBGB's (der volle Name lautet überigens CBGB's OMFUG - steht für
Country – Bluegrass and Blues Club - Other Music For Uplifting
Gourmandizers) und dieser Club wurde entgegen seinem Namen zur
Keimzelle des Punk in den USA. So einfach. Das CBGB's selber
existierte schon seit 1973 – aber ab ca '75 versammelten sich dort
Musiker einer alternativen Szene (Siehe Review Television...), eine
Szene, die mit den Hippies nichts zu tun hatte – eine Szene mit
Musikern, die sich mitunter bewusst kleideten wie die Penner auf der
Strasse – und deren pekuniäre Lage wohl oft auch nicht mehr
hergab. Diese „Punks“ waren das, was die Hippies in den
Sechzigern waren - Gegenkultur eben - und das CBGB war ihr Fillmore.
Patti Smith, The Ramones und auch die anderen hier unten vertretenen
Bands haben schon ein bis zwei Jahre zuvor ihre musikalischen
Statements auf Singles oder mit einem Debütalbum gemacht, aber bei
einigen der wichtigsten Vertreter dieser Szene sind die ersten LP's
erst im Jahr '77 erschienen. Ich vermute, dass die Singles und ersten
Alben der Ramones und Patti Smith's auch im von Punk erschütterten
England gehört wurden – und dort auf offene Ohren trafen. Die
Aufzählung der Namen dieser CBGB's Bands jedenfalls liest sich wie
ein Who's Who der Geschichte der alternativen Musik – Television,
The Ramones, Talking Heads, Heartbreakers und Richard Hell, aber auch
Bands und Musiker wie The Plasmatics, Lou Reed, Jim Carol, Dead Boys,
Sonic Youth, Mink Deville, B-52’s - sie alle kreisen um diesen
Club - und die Liste der Namen derer, die sie beeinflusst haben, wäre
noch länger, die Namen noch illustrer...... Im Unterschied zum Punk
in England gaben diese New Yorker Bands eher ein künstlerisches und
nur unterschwellig an die Gesellschaft gerichtetes Statement ab –
während die britischen Bands oft weit deutlicher ihren Unwillen
gegenüber den herrschenden politischen Klassen - und den
musikalischen Zuständen zeigten. Punk aus den USA ist oft ganz
anders als Punk aus dem United Kingdom/Europa. Aber lies weiter...
Television
Marquee
Moon
(Elektra,
1977)
Als
zwei gerade mal Zwanzigjährige Jugendliche die Bowery in New York
heruntergehen, sehen sie wie gerade das neue Schild für den “Country
Bluegrass and Blues.”- Club aufgehängt wird. Sie sprechen den
Manager an und behaupten, Country sei genau die Musik, die sie spielen.
Sie bekommen einen Gig.... und werden in kürzester Zeit zur Hausband des
bald legendären CBGB: Des Clubs, der sich mit ihnen und der Szene,
die sich um sie herum bildet, zur Brutstätte für Literatur und Kunst
in der aufblühenden New Yorker Punkszene entwickelt. Televisions
Debüt Marquee Moon ist in all den Jahren seitdem ein zeitloses Stück
Musik geblieben, mit den beiden vorgenannten Alben der Briten Sex
Pistols und The Clash ist es DAS wichtigste Stück Musik des Jahres
'77. Television entwickelten ihre Songs aus einem bluesfreien aber
dennoch psychedelischen Sound, interpretierten ihn für ihre Zwecke
und schufen so einen eigenen musikalischer Kosmos, mit sich
umschlingenden Gitarrenlinein, seltsam leidenschaftslosem Gesang und
existentialistischen Lyrics. Aber dieses Album nur zu beschreiben ist
wenig sinnvoll, es ist eine Hörerfahrung, die man selber machen muß,
um die Rockmusik am Ende der 70er zu verstehen. Und zugleich gibt es
bis heute wenige bis gar keine Bands die etwas vergleichbares dieser
Art schafften. Tracks wie der Titelsong oder „See No Evil“ sind
zeitloser Post Punk und psychedelischer Gitarrenrock in Einem – und
somit doch eigentlich garnicht das, was wir uns unter Punk vorstellen
? Kein Wunder, war das, was in New York Punk hieß, doch weit mehr
„Kunst“, als die „proletarischeren" Klänge aus Old Britan, Marquee
Moon IST Punk, nur eben in der New Yorker Version - aber vor Allem: Es
ist ein komplettes Album ohne eine einzige schwache Minute.
Heartbreakers
L.A.M.F.
(Track,
1977)
Die
Heartbreakers könnte man musikalisch als eine Band bezeichnen, die
besonders typisch für die Musik und die personellen Hintergründe im
CBGB's steht. Sie haben einen Sound zwischen dreckigem Rock'n'Roll,
60ies Pop, Punk und Chaos, ihre Geschichte beginnt mit dem
Aufeinandertreffen der beiden Ex-New York Dolls Johnny Thunders (g,
voc) und Jerry Nolan (dr) mit Richard Hell, dem ersten Bassisten von
Television. Letzterer versucht nach einiger Zeit das Zepter an sich
zu reissen (zuviele Ego's in einer Band...), worauf Thunders und
Nolan die Band verlassen - und den zweiten Gitarristen Walter Lure
und den Bandnamen mitnehmen. Darauf gründet Hell seine neue Band The
Voidoids und macht ein formidables Album (siehe unten) während die
Heartbreakers dem Angebot ihres britischen Freundes und Sex Pistols
Managers Malcolm McLaren zu einer Support Tour der Pistols nach
England folgen. Die Tour bricht im Chaos zusammen, Thunders legt sich
eine massive Heroin-Sucht zu, die Band versumpft ziemlich und hat
kaum noch das Geld zur Rückkehr nach New York, aber ihr Manager
verschafft ihnen ein paar (gelungene) Auftritte und damit einen
Vertrag beim englischen The Who-Label Track Records - sowie die
Produktion des Debütalbums L.A.M.F. (soll heissen Like a
Motherfucker). Die Aufnahmen verlaufen noch ganz ok, vielleicht etwas
chaotisch, aber dann zerstreiten sich Thunders und Nolan, jedes
Bandmitglied mixt das Album nach eigenen Vorstellungen – und am
Ende kommt ein Album mit etlichen gelungenen Songs aber mit dumpfem
Sound in die Läden und wird entsprechend bedauert bis verrissen.
Inzwischen gibt es optimierte Fassungen der Songs auf den Reissues –
und man kann sich vorstellen, dass L.A.M.F. - in NY unter anderen
Bedingungen aufgenommen – zu den ganz großen Alben seiner Art und
Szene gehören könnte. Songs wie „Born to Lose“, „It's Not
Enough“ oder „Let Go“ haben eine schmutzige Glorie, die selbst
der schlechteste Mix nicht dämpfen kann. So aber brach die Band
auseinander, Nolan kam bei der anschliessenden Tour als Miet-Bassist
mit, aber die Luft war 'raus. L.A.M.F. Kann man jetzt aber wunderbar
anhören. Immerhin.
Richard
Hell & The Voidoids
Blank
Generation
(Sire,
1977)
Dieses
mag ein etwas weniger bekanntes Album des New Yorker Punk sein –
aber es ist in Allem eine Art Querschnitt der Musik aus der Szene
um's CBGB's. Richard Hell (eigentlich Richard Meyers aus Kentucky –
der Arme) war bei Television, hat die Heartbreakers (mit)begründet,
um dann wie oben beschrieben ihr Auseinanderbrechen zu bewirken, er
hat aber auch den Kleidungs- und Frisurstil des Punk begründet,
indem er dem da noch in NY ansässigen Malcolm McLaren
Sicherheitsnadel und mit Zuckerwasser verwilderte Frisuren gezeigt
hat, er ist eher Literat als Bassist (die Frisur hat er sich
angeblich beim literarischen Vorbild Rimbaud abgeschaut...), er hat
personality galore, und er ist als Texter und Songwriter durchaus
fähig, wenn er im richtigen Moment die richtigen Leute um sich hat –
wie man am ersten Album seiner neu fromierten Voidoids hören kann.
Blank Generation liegt exakt zwischen Television, Talking Heads und
den Heartbreakers, Gitarrist Robert Quine - den Hell im Buchladen
kennengelernt hat - macht den Twin-Guitars von Television zusammen
mit Ivan Julian Konkurrenz, Hell's hämische Vocals, seine Texte
zwischen Wut und Obszönität tauchen die Songs wieder in die Punk
Suppe, die Vorbilder Stooges und MC5 werden mit entsprechender
Reduktion zitiert, aber in Songs wie „Another World“ ist auch der
Kunst-Gedanke der New Yorker Szene deutlich erkennbar. Mit Marc Bell
hat er den späteren Drummer (dann Marky Ramone) der Ramones dabei und mit
dem zweiten Gitarristen Ivan Julian hat er einen Partner für's
Songwriting, mit dem Songperlen wie „Liar's Beware“ gelingen.
Bekanntester Song auf Blank Generation ist das schön oszöne „Love
Comes in Spurts“ - Punk in Reinform, aber das Album schwebt
irgendwie zwischen Prä- und Post Punk, sitzt zwischen den Stühlen
und ist zugleich nicht ganz so ausserhalb aller Kategorien wie etwa
Marquee Moon. Das mag ein Grund für den geringeren Stellenwert von
Blank Generation sein – und das ist natürlich ungerecht.
Hinderlich für breiteren Erfolg der Voidoids war aber sicher auch
die Tatsache, dass es wegen Hell's Drogenkonsum fünf Jahre bis zum
nächsten (nicht ganz so tollen) Album dauern sollte – da war Punk
schon lange vorbei. Danach konzentrierte Hell sich komplett auf die Literatur.
The
Ramones
Leave
Home
(Sire,
1977)
The
Ramones
Rocket
To Russia
(Sire,
1977)
...
noch mehr New York und CBGB's ... Das erste Album der Ramones (vom
Vorjahr...) ist einer DER Klassiker der Rockmusik. Simpel, eingängig,
rasant, Perfektion in Pop. Und sie hatten mit ihrer Musik schnell ein
hungriges, junges Publikum erreicht, hatten ihren Bekanntheitsgrad
über die Grenzen von New York hinaus erweitert und nahmen nun –
mit deutlich höherem Budget und mit mehr künstlerischer Freiheit
More of the Same auf. Tatsächlich gehörten die 14 Songs auf ihrem
Zweitling Leave Home allesamt schon vor dem Debüt zu ihrem
Live-Repertoire, haben die gleichen schlagwortartigen Titel, die man so
liebt („Gimme Gimme Shock Treatment“), Da wird der Wunsch
geäußert, zum Killer zuwerden („Glad to see you go“) da ist
alles von Kriegs- und Horrorfilmen beeinflusst. Der Song „Carbona
Not Glue“ wurde zunächst von der Plattenfirma gestrichen, da er
deren Meinung nach „die Inhalation von Dämpfen zum Drogenkonsum
verherrlicht“ - was natürlich stimmt – nur wäre „verherrlichen“ da der falsche Ausdruck. Das Cover – nun in Farbe und nicht zur Ikone geworden - die
Produktion durch den „sechsten Ramone“ Ed Stasium, der sie in den
folgenden Jahren begleiten soll, all das mag die naiven
Wildheit des Debütalbums vermissen lassen, was eben dazu führt, dass es
als weniger epochal gilt als The Ramones oder der noch im selben
Jahr aufgenommene dritte Streich: DAS ist das Album, das sich Manche
vielleicht als Nachfolder des Debüt's erhofft hatten. Rocket to
Russia sieht auch in der Covergestaltung so aus wie
die Fortsetzung von The Ramones. Und teilweise wird die Klasse des Debüt's
übertroffen: Die Produktion - wieder von Ed Stasium - ist
kraftvoller, Gitarrist Johnny Ramone hatte „God Save the Queen“
von den Pistols gehört - und verlangt, dass die neue LP besser
klingen soll, als die der Kopisten und Konkurrenten aus Great
Britain. Zumal die Ramones nun als Songschreiber auf der Höhe ihrer Kunst sind: Es beginnt mit dem absurd-fröhlich hirnlosen „Cretin Hop“,
da ist der Surf Punk von „Rockaway Beach“ - natürlich angelehnt
an die Musik von Bands wie den Thrashmen – die wiederum mit
„Surfin' Bird“ gecovert werden. Das zweite Cover auf dem Album
ist der Klassiker „Do You Wanna Dance“ - und mit der
Außenseiterstory „Sheena is a Punk Rocker“ und dem
selbsterklärenden „Teenage Lobotomy“ sind zwei Klasssiker der Band
dabei. Und es gibt nun sogar so etwas wie „Balladen“ - wobei das
Tempo des Albums nach wie vor rasant ist. Rocket to Russia ist ohne
Zweifel der Höhepunkt einer Trilogie von Klassikern des Punk – und
Blaupause für den Punk etlicher US Bands der folgenden Jahre (siehe
Bad Religion). Diese drei LP's plus das nachfolgende Album enthalten
Alles, was man über die Ramones wissen muß (Man kann antürlich auch das Live-Album dazu zählen, nur ich mag es nicht so sehr...)
Talking
Heads
Talking
Heads: 77
(Sire,
1977)
Auch
am Debüt der Talking Heads kann man die stilistische Breite der
Bands aus dem Umfeld des CBGB's erkennen. Chris Frantz (dr), Tina
Weymouth (b) und David Byrne (voc, g) gründen die Band '75 während ihres Kunst-Studiums und ergänzen sie 1977 um dem Ex-Modern Lovers
Gitarristen (und Architekturstudenten) Jerry Harrison. Ihre Optik bei
den Auftritten ist das Gegenteil von prätentiös oder rebellisch –
sie sehen so „normal“ aus, dass das eindeutig Programm ist –
und ihre Musik ist so reduziert und nackt, wie man es bisher nicht
kannte.. Dazu
haben sie mit David Byrne einen Sänger, der so seltsam autistisch
wirkt, dessen Stimme doch eigentlich Singen nicht erlauben sollte und
dessen Auftreten manchmal so ausserirdisch wirkt, dass es schmerzt -
und dessen Lyrics so fremd, gar beängstigend sind... dass eine
solche Musik sich wohl nur im Kunst-Umfeld des CBGB's entwickeln kann.
Nach der komischerweise erfolgreichen Single „Psycho Killer“ (Das
Thema in den US-Charts?) und nach etlichen gelungenen Auftritten
nehmen die Talking Heads ihr Debüt Talking Heads: 77 unter der Ägide
des erfahrenen Soul- Produzenten Tony Bongiovi auf (...Ja - der ist
mit dem überflüssigen 90er Hardrock Posterboy Jon Bon Jovi verwandt
und hat dessen Karriere mit zu verschulden...), aber hier macht er alles richtig. Er lässt die Talking Heads reduziert
klingen, er betont die Rhythmik, er lässt Byrne's Stimme kippen und
gibt der Band die Freiheit ihre durchaus pop-tauglichen Melodien mit
all den Haken und Verschiebungen zu versehen, die das Album von jedem
Verdacht befreit, zu nah am Pop gebaut zu sein. Der Opener „Uh Oh,
Love Comes to Town“ hat Calypso-Anklänge, wird aber im Verlauf
völlig verdreht. „New Feeling“ könnte ebenso berechtigt ein Hit
sein wie der Stampfer „Psycho Killer“, „Don't Worry About
the Government“ hat eine wunderbar poppige Melodie - und wieder
Lyrics, die jeden Gedanken an Kommerz verbieten. Talking Heads: 77 ist noch nicht von dem perkussiven Dauerfeuer durchschossen, das die
Band mit Brian Eno ab dem nächsten Album entwickelt, aber es zeigt,
dass hier verdammt kluge Köpfe Musik machen. Es ist ein Startpunkt,
der überall hätte hinführen können – es wäre immer eine
interessante Richtung gewesen.
Mink
DeVille
s/t (Cabretta)
(EMI,
1977)
Die
hier mit ihren Alben vorgestellten Bands aus dem CBGB's sind
zweifellos Vorreiter oder Ikonen des Punk, aber in diesem Club gibt es zu
dieser Zeit auch ein paar Gestalten, die wirklich schwer zu der
Vorstellung passen, die wir heute von „Punk“ haben. Die Band Mink
DeVille um den in NY aufgewachsenen Exzentriker Willy DeVille
(eigentlich William Paul Borsey) klingt schon auf ihrem
Debüt nur entfernt nach Punk, waren aber von '75 bis '77 Hausband
im Club und verkehrten ganz zweifelsohne als Kollegen unter Kollegen
– sie machten eben (wie alle anderen – ganz nebenbei) ihr eigenes
Ding. Das bestand in diesem Falle aus einer Musik, die bestimmt wird
von DeVille's dreckiger Soul-Stimme und von Songs, die sich im Umfeld
von 50ies-Soul, R&B, Blues und Rock bewegen, die zwar durchaus auch
reduziert sind, aber zugleich auf etwas schmierige Weise
„distinguiert“ klingen. Als Produzent konnte für das nur in den
USA Cabretta genannte Album (in Europa ohne Titel...) Phil
Spector-Schüler und Jagger/Stones Freund Jack Nitzsche gewonnen
werden, die famose Single „Spanish Stroll“ kam im United Kingdom in die
Charts, die Auftritte der Band konnten an guten Abenden glorreich
sein: Mit einem in Zuhälter-Klamotten gekleideten Willy DeVille,
einem großartigen Frontmann der gerne eine Leopardenfell-Gitarre
spielte und den harten Kerl mit weichem Kern mimte, mit Bläsern und
einer tighten Band, mit Stories direkt aus einer verraucheten Bar,
waren sie ein optisches und akustisches Erlebnis. Und sie hatten eben
auch die entsprechenden Songs. Mick Jagger war von „Mixed Up, Shook
Up“ begeistert, eine Ballade wie der Album-Closer „Party Girl“
zeigt die Band in voller Pracht... Mag sein, dass diese Musik mit der
Vorstellung, die wir von Punk haben, nichts zu tun hat – aber dass
das CBGB's nicht auf ungestüme Wildheit und 'rausgerotzte Songs
reduziert ist, dürfte klar sein. Um Musik zu beschreiben, die da
schon eher dem Klischee entspricht, muss man sich.....
Dead
Boys
Young
Loud And Snotty
(Sire,
1977)
...
Young Loud and Snotty von den Dead Boys anhören. Die entsprechen
schon eher dem Klischeebild von Punk – optisch wie musikalisch. Die
Dead Boys entstehen in Cleveland aus der Asche der Prä-Punk
Institution Rocket From the Tombs - deren Archiv-Alben großartig
sind und deren Sänger David Thomas '77 mit Pere Ubu eine der
Speerspitzen des Post-Punk gegründet hat. Cheetah Chrome, Gitarrist
der Rockets, gründet mit dem Sänger Stiv Bators zunächst in
Cleveland Frankenstein, die sich dann in Dead Boys umbenennen, auf
Anraten von DeeDee Ramone nach New York umsiedeln und im CBGB's bald
für Furore sorgen. Musikalisch wurde die Kraft der Rockets
mitgenommen, deren experimentelle Noise-Elemente über Bord geworfen
und noch ein zusätzlicher Schuss Garage-Rock hinzugefügt. Und die
Dead Boys halfen dabei, den Look und Sound des „Punk“ zu
definieren, sie waren mit ihrer unverfälschen Agressivität genauso
typisch – und genauso gut – wie die Sex Pistols – hatten aber
nicht deren Erfolg – so sind die USA eben... Das von den Rockets
mitgebrachte „Sonic Reducer“ ist eine prächtige Punk-Hymne die
nur zu unbekannt geblieben ist, Songs wie „All This and More“ und
„What Love is“ sind voller Teenage Angst, Kraft und Häme,
durchzogen von einer ernsthafteren Wut als die zynischen Pamphlete
der Pistols. Cheetah Chrome's Gitarrensalven lassen an den
Stooges-Gitarristen Ron Asheton denken und Stiv Bator's Howls klingen
nach dem Irrsinn und der Verlorenheit, die Johnny Rotten nie erlebt
haben dürfte. Seltsamerweise gelten die Dead Boys als eine Punk-Band
der zweiten Stunde – als Nachahmer also... Das sind sie definitiv
nicht, sie sind eine rohe, kraftvolle Rock'n'Roll Band, die den Punk
mit geprägt hat, und Young Loud and Snotty ist genau das, was der
Titel verspricht.
Und
sonst so?
Wie
immer – Dieser Artikel bezieht sich auf EIN Jahr - und natürlich
sind die definitiven Alben aus dem Umfeld der (Punk)-Szene im CBGB
über mehrere Jahre verteilt. Müsste ich also die soundsoviel besten
Alben aus dieser Szene in der formativen Zeit Ende der Siebziger
blablabla... dann würde ich zu den hier reviewten noch folgende
empfehlen:
Patti
Smith – Horses (1975)
The
Dictators – Go Girl Crazy! (1975)
The
Ramones – s/t (1976)
Suicide
– s/t (1977)... welches ich im „Hauptartikel“ über das Jahr '77
reviewt habe... http://derkleinerockhaus.blogspot.de/2017/11/1977-sex-pistols-bis-kraftwerk.html
Blondie
– Plastic Letters (1978)
Blondie
– Parallel Lines (1978)
Talking
Heads – More Songs About Building and Food (1978)
und
die Compilation No New York (1978), welche die avantgardistische No
Wave Bands Contortions, D.N.A., Teenage Jesus & the Jerks und
Mars versammelt.
Und
dann treiben sich in dieser Zeit auch noch Bands wie The Cramps, The
Feelies, The Fleshtones, Bad Brains etc... in und um diesen Club
herum - und im kommenden Jahrzehnt weitet sich der Einfluss dieser
Szene über die ganze Welt aus. Also: Das hier ist nur ein
Schlaglicht auf eine extrem heterogene Szene.
Das
CBGB's übrigens blieb bis in die Achtziger Schmelztiegel und
Kreißsaal für neue Musik – und wurde zuschlechterletzt 2006 wegen immer höherer
Mietkosten in der inzwischen gentrifizierten Lower East Side
geschlossen... Kapitalismus eben.
Jimmy
Carter wird 39. Präsident der Vereinigten Staaten, in Deutschland
sind die Links-Terroristen der Roten Armee Fraktion extrem aktiv -
Arbeigeberpräsident Schleyer wird entführt und ermordet, Deutsche
Bank Vorstandschef Jürgen Ponto wird ermordet, in Stammheim bringen
sich inhaftierte Mitglieder der RAF um, das Passagier-Flugzeug
„Landshut“ wird entführt und von der Sondereinheit der
Bundeswehr GSG 9 gestürmt. All das nennt man später den „Deutschen
Herbst“. Derweil finden in Spanien erstmals seit 41 Jahren
demokratische Wahlen statt. Der Blockbuster„Star Wars“ kommt ins
Kino, der Boxerfilm „Rocky“ mit Sylvester Stallone bekommt einen
Oscar und die Disco-Schnulze „Saturday Night Fever“ wird
uraufgeführt. Am 16. August stirbt mit Elvis Presley der
Urknall-Erzeuger des Rock'n'Roll an einer Überdosis Pillen. Auch
Marc Bolan (T.Rex) stirbt und Ronnie Van Zant und Steve Gaines von
Lynyrd Skynyrd kommen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, bei dem
auch die anderen Bandmitglieder schwer verletzt werden, woraufhin die
Band sich auflöst. Musikalisch ist 1977 ein ungemein interessantes
Jahr. Etablierte Bands der 70er wie ELO oder Supertramp machen
kommerziell recht erfolgreiche Platten, aber vor allem
veröffentlichen jetzt all die großen Bands des „Punk“ - nach
den epochalen Singles - ihre Debüt-Alben. Die Sex Pistols, The
Clash, The Damned aus dem United Kingdom, in den USA – genauer in
New York - The Ramones, Television, die Talking Heads - alles was
später mal Rang und Namen hat macht nun Longplayer. David Bowie und
Iggy Pop sind in Berlin und haben den richtigen Riecher für die
Musik zur (kommenden) Zeit, Reggae beginnt im Gleichschritt mit Punk
seinen kommerziellen Siegeszug, aber auch in anderen Genres wie
Country und Folk gibt es interessante Veröffentlichungen, die jedoch
von Punk noch wenig beeinflusst scheinen. Punk ist jedenfalls der
frische Wind in die stagnierende Entwicklung der Rockmusik - wobei
man sich erinnern sollte: Die Masse der Musikhörenden bemerken das
zunächst noch nicht. Sie hängen noch an Althergebrachtem – wie
zum Beispile am aufgeblähten Bombast von Meat Loaf's Bat out of
Hell, das hiermit seine einzige Erwähnung finden soll, oder an den
Primitivstampfern von Ram Jam, oder dem süsslichen Schmalz der
ondulierten Softrocker Styx. Vergessen wir das Alles und kümmern wir
uns um Wichtiges und Bleibendes wie....
Sex
Pistols
Never
Mind The Bollocks – Here's The Sex Pistols
(Virgin,
1977)
Das
Debütalbum der Sex Pistols ist definitiv eine der wichtigsten
Veröffentlichungen des Jahres '77 - der Siebziger - der Rockmusik
insgesamt... oder ? ...denn es ist zugleich ein perfektes Beispiel
für den „Ausverkauf“ von Idealen. Es gibt keine Platte, die vom
Songmaterial bis zum Coverdesign so sehr für die in diesem Jahr
losbrechende Vereinfachung gegen die aufgeblähten Rockismen der
Siebziger steht, wie Never Mind the Bollocks.. - und die gleichzeitig
so wenig mit dem Gedanken, der hinter dem Begriff „Punk“ steht,
zu tun hat. Denn Never Mind.... ist in Wahrheit nicht mehr als eine
billige Best Of Kopplung der bahnbrechenden Singles der Sex Pistols,
und wer die Musik dieser Band erst mit der wohlfeilen LP
kennenlernte, hatte alles Wichtige verpasst. Sie hatten im Jahr zuvor
das gesamte Establishment, Politiker, die Queen und die
Musikindustrie verprellt, alles nach dem genialen Masterplan des
Impressarios Malcolm McLaren, sie sprachen allen Unterprivilegierten
und Wütenden aus der Seele, inspirierten mit ihren Live-Shows und
ihrer aufs notwendigste reduzierten Musik hunderte von Musikern - und
machten dann mit der Veröffentlichung dieses Albums – übrigens
Monate nach den Alben der anderen Protagonisten des Punk erschienen -
noch mal schnell das große Geld, ehe die Band implodierte. Aber
irgendwie kann es ja auch egal sein, dieses Prinzip, dass man von
Anfang an dabei gewesen sein muss um „echt“ zu sein, hat
schließlich auch eine große Arroganz, und wer 1976 nicht gerade der
entsprechenden Generation angehörte, kommt naturgemäß zu spät -
und bei aller Häme muß man anerkennen, dass in Ermanglung der
Singles diese LP mit Songs wie „Holidays in the Sun, „Anarchy in
the UK“, „God Save the Queen“ etc unersetzlich ist. Vielleicht
also in kleinen Portionen hören, oder zur Erhöhung der Coolness
irgendwie die Singles erwerben.
The
Clash
s/t
(CBS,
1977 )
Streng
genommen ist das Debüt von The Clash (das übrigens Monate vor Never
Mind the Bollocks erschien...) ihre einzige richtige „Punk“- LP,
und es ist sicher ein klassisches und zugleich eines der wichtigsten
Alben des Punk. The Clash hatten die Energie, den „Leftism“, den
Willen zur Revolution, den man sich heute – im Nachhinein und mit
verklärtem Blick - beim Begriff Punk vorstellt, und erfüllten somit
etliche Klischees. Allerdings teilten sie nicht den
selbstzerstörerischen Zynismus der Pistols. Noch wichtiger – und
zugleich untypisch für Punk – war, dass sie im Gegensatz zur
allgemeinen Vorstellung mehr als nur drei Akkorde drauf hatten - was
wiederum Basis ihrer weiteren Karriere sein sollte. Auf The Clash
allerdings spielen sie vor Allem erst einmal hart, schnell, präzise,
simpel und mit ungeheurer Energie. Mit einer Energie, die durch die
dünne (Nicht-) Produktion und den unwillentlich reduzierten Sound
nur um so deutlicher wird. Mit Sänger Joe Strummer und Gitarrist
Mick Jones hatten sie gleich zwei hervorragende Songwriter die auch
in dieser frühen Phase schon mit anderen Stilarten experimentierten.
Da ist zum Beispiel jetzt schon Reggae (die Cover Version von Junior
Murvins „Police & Thieves“), dessen Einfluss auf dem nächsten
Album schon sehr viel deutlicher werden sollte aber natürlich stehen
insbesondere Songs wie „Remote Control“, „White Riot“ oder
„London's Burning“ mit ihrer Rohheit und Energie exemplarisch für
den Punk Im Jahr 1977 – dem Jahr mithin, in dem die Bands dieser
Klasse ihre Debüt-Alben auf den Markt warfen. Aber tatsächlich ist
The Clash weit mehr als nur Punk – unabhängig von allen Moden höre
ich auf dem Album einfach zeitlose, kraftvolle Rockmusik.
The
Damned
Damned,
Damned, Damned
(Stiff
Rec., 1977)
„Klassischer“
Punk: The Damned waren die erste Punk-Band mit einem Plattenvertrag,
die erste mit einer (erfolgreichen) Single und ihr Debüt war die
erste LP ihrer Art. Sie wollten nicht die Welt verändern wie The
Clash und sie negierten nicht die Gesellschaft wie die Sex Pistols –
sie wollten Spaß. Dass Nick Lowe sie produzierte, ist eine nette
Beigabe, ihr Punk hat viel mit dem Rock'n'Roll der Stooges gemein -
und mit Power Pop, der die Beatles kennt und die Stones und den
Pub-Rock der letzten Jahre. Aber The Damned sind Young, Loud, and
Sloppy, gehören einer jüngeren Generation an. Der Mann mit den
Songs war Gitarrist Brian James und auf dem Debut gibt es PowerPop/
Punk Klassiker wie „Neat Neat Neat“, die Single „New Rose“
und „Fan Club“. Die Band spielt schnell und hart und Rat Scabies
prügelt sich mit seinen Drums und Cymbals die Seele aus dem Leib -
und die Art in der Dave Vanian sein „bawrnnn to keeel"
rausgröhlt ist unbezahlbar. Damned Damned Damned hat die Zeit
erstaunlich gut überstanden und The Damned haben auch danach noch
einige erwähnenswerte Alben gemacht und damit gezeigt, dass sie mehr
drauf hatten als nur einen kurzlebigen Trend zu bedienen. Bands wie
Green Day oder Blink 182 haben ihnen definitiv eine Menge zu verdanken
Wire
Pink
Flag
(Harvest,
1977)
Punk
war eigentlich sofort Geschichte. In New York waren die Bands aus dem
CBGB's teilweise schon seit Jahren aktiv - Patti Smith hatte ihr
Debut schon '75 gehabt und die Ramones hatten schon '76 alles gesagt,
was ihnen einfallen sollte – in UK hatten die Pistols mit ihrem
Debüt ihr ganzes Pulver verschossen und auch The Clash hatten die
Songs ihres Debüts nur noch aufnehmen müssen. Eigentlich
sollte es dann wohl nicht verwundern, dass es schon eine Band wie
Wire gab. Eine, die Punk dekonstruierte. Ihr Debüt Pink Flag ist
eine der eigenständigsten Platten des Genres – wenn man sie denn
in dieses Genre packen will. Schon
mit dem Kurzwellen-Signal Basslauf des Openers „Reuters“ wird
einerseits die Simplizität von Punk heraufbeschworen, wenn dann aber
die atonalen Gitarrenchords einsetzen und die Stimme von Sänger
Colin Newman erklingt, die viel zu wenig nach Rotz und Häme für
Punk klingt, wird klar, dass Pink Flag eben mehr ist als nur ein
weiteres Punk Album. Man muß heute vermutlich klarstellen, dass das
Klischee vom saufenden, gröhlenden Misanthropen mit Iro und Bierdose
mit Punk Nichts zu tun hat. Punk mag „proletarisch“ sein, aber
grundsätzlich steht er in meinen Augen für die sehr uneitle Haltung
des „Jeder kann Alles was er will“ - auch ohne irgendeine formale
Ausbildung. So nenne ich das Album eine Prog-Rock Suite in 35
Minuten, bestehend aus minimalistischen und eben nicht virtuosen
Songschnipseln. Tatsächlich ist die Mehrzahl der Stücke unter zwei
Minuten lang, Zeit für die Wiederholung eines Refrains lassen die
vier Musiker nicht, jedes Stück ist in Lyrics, Instrumenten und
Melodie vollkommen ökonomisch. Man könnte Pink Flag auch eine
extreme, intellektuelle Variante des „Cartoon-Punk“ der Ramones
bezeichnen - egal was man dazu sagt: Dieses Debüt und die beiden
folgenden Alben gehören mit zum Besten, was aus dem kurzen Erblühen
des Punk entstand.
The
Stranglerrs
Stranglers
IV - Rattus Norvegicus
(EMI,
1977)
The
Stranglers
No
More Heroes
(EMI,
1977)
Die
Stranglers werden von denjenigen, die Sparten brauchen, dem Punk
zugeordnet - was aber eigentlich falsch ist: Sie waren schon seit `74
aktiv – also bevor Punk aus New York nach England importiert wurde,
ihre Musik klingt häufig - wenn man genau hinhört - eher nach
progressivem Rock als nach Punk. Ein schmutziger Prog-Rock zugegeben,
und wahrscheinlich ist es nur ihre Haltung – der zynische Sexismus
den sie zu dieser Zeit nach außen trugen und die bewusste political
incorrectness - die sie in den Topf fallen ließ, in dem sie ihren
Stil zusammenkochten. Natürlich hatten sie tatsächlich einen
reduzierten, dünnen Sound, aber der wird getragen von einem an die
Doors erinnernden Hammond-Organ , und die Songs haben eine grimmige
und bedrohliche Aggressivität, die zum Bandnamen passt. Heute
sind die Kategorien unwichtig geworden. 1977 aber spielten sie mit
den anderen Protagonisten eines neuen Sounds bei den selben Konzerten
vor dem selben Publikum, und auch wenn Songs wie der Closer des
Debut-Albums „Down in the Sewer“ mit mehr als sieben Minuten
Länge und diversen Tempowechseln für Punk untypisch ist, oder wenn
die Band bei „Princess of the Streets“ das Tempo stark
verlangsamt, oder wenn der Opener und etliche andere Stücke nicht
vom simplen Grundgerüst Gitarre/Bass/ Drums getragen werden - in
seiner Misoygnie und Misanthropie ist Rattus Norvegicus dann doch
irgendwie Punk – was auf den Nachfolger No More Heroes noch mehr
zutrifft: Hier
gaben die Stranglers die zuvor noch eventuell vorhandene Zurückhaltung
bezüglich geschmackloser textlicher Aussagen vollends auf. Auf
„Dagenham Dave“ wird ohne großes Bedauern vom Selbstmord eines
Fans berichtet, „Bring on the Nubiles“ ist offen sexistisch,
auf „I Feel Like a Wog“ ätzen sie (immerhin) über Rassismus,
kurz: Sie machten ihrem Namen alle Ehre – und die Empörung des
Establishments war natürlich mit einkalkuliert. Die Musik dazu wurde
aggressiver - und zugleich poppiger. Einige der Stücke waren schon
ein paar Monate zuvor für das Debüt aufgenommen worden, hatten da
aber – vielleicht eben weil sie „kommerzieller“ waren - keinen
Platz gefunden. Nun zeigte die Band, dass sich Wut und Popmusik
tatsächlich verbinden lassen. Die Frage, ob sie „Punk“ seien,
werden sie sich sowieso nicht gestellt haben, und die Frage nach
ihrer Glaubwürdigkeit dürfte sie eher zum Lachen gebracht haben.
Dafür bekommt man mit No More Heroes eine Vorstellung von der Art
Musik, die nach Punk kommen kann, die dessen Reduziertheit übernimmt
aber nicht einfach nur blind und besoffen vor sich hin wütet.
Suicide
s/t
(Red
Star, 1977)
1977
– und mit diesem Jahr das Ende des Punk und der Beginn all dessen,
was man Post-Punk nennen wird - mag ein passendes Jahr für das
Erscheinen des Debütalbums des Duos Suicide sein, aber tatsächlich
wühlte die Musik der beiden New Yorker Extremisten Alan Vega und
Martin Rev den Unterdrund schon seit Beginn der Siebziger auf. Sänger
Alan Vega fühlte sich inspiriert von Elvis und von den
selbstzerstörerischen Shows der Stooges Ende der Sechziger,
Instrumentalist Martin Rev bediente zur „Untermalung“ des Gesangs
ein schrottiges Hammond Organ mit ein paar Effektgeräten sowie ein
simples Rhythmusgerät – und damit bekamen die beiden ein paar
Auftritte im Mercer Arts Center. Meist gingen die Shows nach ein paar
Minuten in den Buh-Rufen des Publikums unter – aber Rev und Vega
fanden das - siehe oben – wohl nicht störend und machten
unverdrossen weiter.... mit Publikumsbeschimpfung. Bald
traten sie im berühmten CBGB's neben den aufstrebenden Punk-Bands
auf, das kleine Label Red Star gab ihnen einen Plattenvertrag und in
vier Tagen wurden die jahrelang erprobten Tracks in NY aufgenommen.
Der Produzent hatte zuvor mit diversen Reggae-Acts gearbeitet und
nutzte seine Erfahrungen mit Dub und Echo dazu, Songs wie
„Ghostrider“, „Frankie Teardrop“ oder „Che“ in eine bis
dato unbekannte Minimal-Dub-Elektronik mit Gene Vincent Gesangsparts
zu übersetzen. Suicide klang wie nichts zuvor – und klingt bis
heute wie nichts danach. Bands wie Joy Division, The Jesus an Mary
Chain, Ministry oder Nine Inch Nails sind sicher schwer beeinflusst,
aber die Musik auf diesem Album ist letztlich unkopierbar geblieben,
weil ihre Primitivität nicht gestellt ist, weil das Wissen, dass
hier etwas ganz Neues und Unerhörtes entsteht aus allen Tönen zu
kriechen scheint. Man stelle sich eine desillusioniertere, von den
Geistern des Rock'n'Roll besessene Version der Velvet Underground mit
elektronischen Sounds vor – und auch das wird Suicide nicht
gerecht... Wie so viele Alben ausserhalb normaler Kategorien ist die
Anzahl der namhaften Bewunderer groß (von Springsteen bis Peaches),
die derjenigen, die es nie gehört haben aber noch größer. Also...
Und
Was geschah sonst ?
Aber
natürlich gibt es nicht nur all die feinen Alben aus der Punk-Ecke
– eigentlich ist Punk im Jahr 1977 sowieso schon durch den Sell-Out
der Sex Pistols mit ihrer Never Mind the Bollocks Compilation und nach der Veröffentlichung einer ganzen Reihe von LP's implodiert... denn Punk ist eigentlich eine Musik, die sich durch das 7'' Format
definiert. Zu dieser Zeit gibt es noch klare Positionen unter
Musikinteressierten – man hört entweder Punk - oder andere Musik
wie die von Pink Floyd und Yes... oder Queen oder das Electric Light
Orchestra oder Fleetwood Mac... (deren Rumours eigentlich auch hier
hin gehören könnte) oder man hört sogar Meat Loaf oder Disco
(Donna Summer – aber die definiert sich auch durch ihre Singles)
oder Boney M undsoweiter. Und es gibt Musik am Rande aller Stile, die
fatastisch ist (dafür steht hier Suicide, aber da gibt auch
Throbbing Gristle z.B....). Und auch etliche schon
länger etablierte Künstler entwickeln mehr oder weniger unberührt vom
aktuellen Trend ihre Musik. So gibt es 1977 neben den Longplayern des
Punk auch so wunderbare Alben wie :..
Pink
Floyd
Animals
(EMI,
1977)
Als
Animals 1977 erschien, waren seit dem mega- erfolgreichen Vorgänger
Wish You Were Here nicht einfach nur zwei Jahre vergangen: Es hatte
der erwähnte Umbruch in der populären Musik stattgefunden. Punk
hatte wieder daran erinnert, dass Rock'n'Roll wild, revolutionär,
simpel sein konnte, und damit weit mehr Kraft transportieren, weit
mehr Spaß machen konnte als vergeistigte Hippie-Musik oder komplexe
Instrumental-Epen von hoch über den Massen schwebenden Superstars.
Und Superstars waren die vier Musiker von Pink Floyd inzwischen, dazu
auch noch solche, die aus der Hippie-Tradition stammten, deren Musik
im Vergleich zum Punk weit weniger unmittelbar erschien. Aber Pink
Floyd hatten ja Roger Waters – auch damals schon der ewige
Zweifler, derjenige, den der Status als Superstar eher mit Unwillen und Abscheu erfüllte. Und er war der unangefochtene Kopf der
Band – zumindest war er der Kopf hinter der Entscheidung ein
finsteres und für Pink Floyd regelrecht spartanisches Album wie
Animals zu machen. Ein Album, das sich offen an George Orwell's
dystopische Fabel Animal Farm anlehnt, diese aber nicht nur einfach
in musikalische Form gießt, sondern deren Elemente für eigene
Gesellschaftskritik nutzt. Hier sind die „Pigs“ die
heuchlerischen Moralaposteln, die „Dogs“ die Ausbeuter und die
„Sheep“ die breite Masse, die unter beiden zu leiden hat. Und so
einfach wie dieses System ist das musikalische Prinzip. Auch Animals
hat ein melodisches Thema, das sich durch das ganze Album zieht,
das nicht so sehr von Synthesizern getragen wird, als vielmehr von
David Gilmour's Gitarrensounds. Die musikalische
Stimmung ist düster und spartanisch – heute würde man sagen Pink
Floyd klingen, als wollten sie Post-Punk spielen - es gibt drei den
jeweiligen Tieren zugeordnete Stücke voller für Pink Floyd typischer
Effekte und Sounds (z.B. Vocoder-Sounds mit der Gitarre) und ein
kurzes akustisches Intro und Outro. Animals enthielt keine Hits, es
ist ein unbequemes Album, eines das für alte Hippies erschreckend nihilistisch klingt und es galt den Fans der Band seinerzeit als
Rückschritt im Vergleich zu den Vorgängern. Das wird heute anders bewertet,
Animals ist zwar düsterer als die „Hit-Alben“ der Band, aber es
ist überraschend zeitlos geblieben – sogar besser geworden.
Die Musiker spielten es auf der darauffolgenden Tour – und dann nie
mehr, denn danach kam The Wall und dann der Zusammenbruch der Band.
John
Martyn
One
World
(Island,
1977)
Ob
John Martyn Punk mitbekommen hat ? Da bin ich mir sicher – und ich
kann mir sogar vorstellen, dass er für die Rückkehr zu den
Ursprüngen des Rock'n'Roll Sympathien hatte. Aber mit ihm und seiner
Musik hatte das eher wenig zu tun. Er ging seinen eigenen Weg – kam
vom Folk, integrierte Jazz und hatte in den Jahren vor One World
daraus seine völlig eigene Stimme entwickelt. Nach Sunday's Child
('75) ging er erst einmal nicht mehr ins Studio und stoppte auch noch
das Touren - er war ausgebrannt und wollte Distanz zum Musik-Business
und seinen Verpflichtungen. So ging er auf Anraten seines
Label-Bosses Chris Blackwell nach Jamaika, um dort frische Energie zu
tanken, und ein paar dieser „Reggae-Musiker“ kennenzulernen. Dass
er mit Lee „Scratch“ Perry hervorragend klar kam, ist kaum
verwunderlich – seine Gitarrensounds waren schon früh durch
Echo-Geräte gewandert, die tiefen Rhythmen der jamaikanischen Musik
dürften ihm gefallen haben – also nahm er an diversen Sessions
teil, und nahm dann im Sommer '77 in England ein neues Album in
Angriff. Und auf One World sind die Dub-Einflüsse deutlich zu hören
- Da ist das mit Lee Perry geschrieben „Big Muff“, und das
betäubende „Small Hours“ und natürlich der Titeltrack. Aber
Martyn war sich durchaus noch seiner Folk-Einflüsse bewusst.
Erstaunlicherweise paarte er die auf diesem Album mit regelrecht
poppigem Songwriting. Songs wie „Couldn't Love You More,"
"Smiling Stranger", oder "Certain Surprise“
verbinden all seine Einflüsse und die neu gefundene Freude an
Soundexperimenten mit regelrechter Melodieseligkeit. Man merkt bei
One World, dass Chris Blackwell voll hinter Martyn's neuen Ideen
stand. Der produzierte das Album und dazu kam ein Cast von ganz
famosen Begleitern – Danny Thompson und Dave Pegg aus dem
Folk-Umfeld, aber auch Steve Winwood und Morris Pert und Bassist
Hansford Rowe. Und aus Jamaika hatte er den Trombonisten Rico
Rodriguez mitgebracht, der das elegante „Certain Surprise“ mit
einem Solo verfeinerte. One World ist völlig entspannt, bietet
erstaunliche und organische Sound-Experimente mit Martyn's besten
Songs zusammen. Es ist für mich sein bestes Album. Und auch bei ihm
gilt – das will was heißen.
Dennis
Wilson
Pacific
Ocean Blue
(Caribou,
1977)
In
der Story der Beach Boys ist der zweite Wilson-Bruder Dennis eine
vielleicht noch tragischere Figur als Brian – der ja immerhin noch
lebendig ist. Dennis war der Schöne, der Coole, der Surfer (der
Einzige nebenbei...), er hatte sich an den Drum-Stuhl gesetzt, weil
kein anderes Instrument mehr frei war (und wurde im Studio in der
Regel von Session Cracks ersetzt) und hatte die raue, gebrochene
Stimme im Vokal-Verbund . In den Siebzigern, als die Beach Boys aus
den Charts verschwanden und höchstens noch als Erinnerung lebten,
war er auf Droge und hatte eine dubiose Beziehung zu Charles Manson
und seiner mörderischen Family. Aber er entpuppte sich in dieser
Phase, in der Mastermind Brian nur noch selten pässlich war, als
veritabler Komponist. Insbesondere zum späten Klassiker Sunflower
trug er einige wundervolle Songs bei, aber dass er ein komplettes
Solo-Album zustande bringen würde war dann doch überraschend. Mit
Hilfe etlicher Musiker aus dem Umfeld der Beach Boys-Tour Band packte
der ungeschulte Musiker einige seiner besten Songs auf dem ersten
Solo-Album eines Beach Boys zusammen – und überraschte Alle mit
der Qualität und vor Allem Atmosphäre seiner Songs. Mag sein, dass
Wilson's tragische Geschichte – er ertrank 1983 mit Alkohol und
Drogen im Blut - den Blick auf Pacific Ocean Blue verklärt, aber
Songs wie der „River Song“, „Moonshine“ oder „Rainbows“
sind Soft-Rock mit einer Tiefe, mit einer glühenden spätsommerlichen
Atmosphäre, die einzigartig ist. Pacific Ocean Blue könnte nicht
von den Beach Boys sein, die Befürchtung, dass er mit seinen Songs
für die Boys sein Pulver verschossen hatte, war unbegründet.
Dennis Wilsons Stimme ist völlig eigen, das Album ist nicht
experimentell oder gar avantgardistisch, es ist das Album eines
Musikers, der nichts beweisen will – oder gar muss – der seine
Stimme als Komponist gerade gefunden hat, der zumindest insofern in
sich ruht, als er genau das macht, was er gerade tun will. Es ist
genau so, wie man es von dem Gesicht auf dem Cover erwartet. Danach
wollte er noch ein zweites Album titels Bambu machen, aber die Drogen
ließen seine Karriere immer mehr absaufen. Inzwischen gibt es die
Doppel CD mit Pacific Ocean Blue + den Bambu-Sessions in
sommerlicher Perfektion.
Kraftwerk
Trans-Europa
Express
(Kling
Klang, 1977)
Über
die Musik in diesem Jahre zu reden, ohne Kraftwerk zu erwähnen, wäre
ein sträfliches Versäumnis. Natürlich hatten sie mit Punk nichts
zu tun: Zum Einen war Trans-Europa Express schon ihr sechstes
Studioalbum, zum Anderen kamen sie aus einer ganz anderen
musikalischen Ecke, war ihre Musik konzeptuell, konstruiert und zu
dieser Zeit auch in höchstem Maße experimentell. Der Einfluss der
Düsseldorfer allerdings auf David Bowie (siehe unten), auf New Wave
(= Post-Punk), auf die Musik der kommenden Jahre bis heute, kann
nicht überschätzt werden. Sie hatten mit dem 74er Album Autobahn
und dann mit dem rein elektronischen Übergangsalbum Radio-Aktivität
(1976) schon Alles vorbereitet, was sie auf diesem - ihrem
zugänglichsten und archetypischsten Album - nun ausformulierten. Die
vielleicht noch an „Krautrock“ gemahnende monotone Rhythmik,
einfache Synthesizer-Melodien, die wie Werbeslogans im Ohr haften
bleiben, nüchterne, manchmal verfremdete und ebenso sloganhafte
Vocals, die eine futuristische Kälte vermitteln, die dennoch nie
feindselig wirkt. Es ist der Sound einer Metropole, die vor
technischem Leben summt. Fenster von Wolkenkratzern leuchten blau,
Straßenlichter funkeln, Menschen und Maschinen leben in friedlicher
Gleichförmigkeit. Noch lassen die Songs die Tanzbarkeit kommender
Alben vermissen, dafür ist der „Song“ hier noch wichtiger.
„Spiegelsaal“, „Schaufensterpuppen“, „Europa Endlos“ als
Fortsetzung von „Autobahn“, Alles elektronische Musik, die bis
heute visionär und zugleich perfekter Pop bleibt.
Von
1976 bis 1978 bewohnte (der einstmalige) Glam-Star David Bowie für
einige Wochen eine Siebenzimmer-Altbauwohnung in der Hauptstraße 155
im West-Berliner Stadtteil Schöneberg. Damals war die geteilte Stadt
bekannt als „Welthauptstadt des Heroins“ - und Bowie hatte
absurderweise genau hier vor, irgendwie von seiner Heroin-Sucht
loszukommen – und musikalisches Neuland zu betreten. In den Berliner
Hansa-Studios wurde zunächst das mit Brian Eno und Tony Visconti
eingespielte Album Low aufgenommen, das den ersten Teil der
sogenannten Berlin-Trilogie darstellt. Bowie war von deutschen Bands
wie Kraftwerk, Cluster, Can oder Neu!, aber auch von Steve Reich und
eben von dem oben genannten – ebenfalls mit den deutschen Bands
kollaborierenden - Brian Eno beeinflusst. Eigentlich war die
entstandene Musik als Experiment geplant, bei der es nicht um
Verkaufszahlen gehen sollte. Zur Überraschung Aller wurde die aus
Low ausgekoppelte Single „Sound and Vision“ ein großer Hit, der
in Deutschland bis auf Platz 6 stieg, in England sogar Platz 3
erreichte - und das nachfolgende Album Heroes enthielt mit dem
gleichnamigen Titelstück sogar einen defintiven signature tune
Bowies, einen unübertroffenen Klassiker in seiner
Single-Diskografie. Aber das Besondere an beiden Alben sind
zweifellos die ordentlich auf der zweiten LP-Seite untergebrachten
Elektronik-Tracks, denen die Handschrift Brian Eno's besonders
deutlich anzuhören ist. Großartig, dass Bowie den Mut hatte, diese
Experimente gleichberechtigt zu veröffentlichen, erfreulich, dass es
ein Publikum gab, das sich damit beschäftigen musste – und so die
Ohren geputzt bekam für kommende Klänge in New Wave und vielleicht
auch für die Musik, die Brian Eno in den letzten Monaten gemacht
hatte (daher sind seine beiden '77er Alben ebenfalls hier
untergebracht...) Mit Iggy Pop, der mit Bowie nach Berlin kam und im
selben Haus eine Nachbarwohnung bezog, nahm Bowie in dieser Zeit –
sozusagen als Erweiterung seiner eigenen Vision von Rockmusik im
Gegensatz zur Elektronik - die Alben The Idiot und Lust for Life auf
- deren Musik auch größtenteils von ihm geschrieben wurde.
Zusätzlich ging er als Keyboarder mit Iggy Pop auf Tournee. Die in
der Berliner Zeit entstandenen Bowie- und Iggy Pop-Alben sind genau
am Puls der Zeit – oder sogar ihrer Zeit voraus - indem sie vieles
aus dem Post Punk/New Wave der beginnenden 80er vorwegnehmen. Brian
Eno's Alben mit Cluster bzw. mit diversen Kollaborateuren bewegen
sich genau im Umfeld der beiden Elektronik-LP-Seiten der Bowie-Alben
und Eno hat Bowie – wie auf diesen Alben deutlich zu hören ist –
massiv beeinflusst. Also: Bowie und Eno in einem Zug hören!! Es war
allerdings auch das letzte Mal, dass Bowie den Riecher hatte, der ihn
in den frühen Siebzigern zum Visionär gemacht hatte – was auch
eindeutig den Musikern im Hintergrund zu verdanken ist: Eno, Conny
Plank und den deutschen Bands der Stunde. Dieses letzte Mal passte
für Bowie Alles zusammen.
David
Bowie
Low
(RCA,
1977)
David
Bowie
''Heroes''
(RCA,
1977)
Eigentlich
hat Bowies Aufenthalt in Berlin eine Trilogie von Alben
hervorgebracht, es fehlt hier das '78 veröffentlichte Album Lodger,
aber ich halte mich an meine Jahres-Einteilung. Wenn man von seiner
Berlin-Phase redet, ist Low der Startpunkt (obwohl der Vorgänger
Station to Station schon einige Entwicklungen angedeutet hatte...)
und es ist für mich ganz nebenbei sein bestes Album. Bowie hatte
schon wieder genug vom Image des Thin White Duke, genug von den USA,
war nach England zurückgekehrt, hatte dort mit Hitlergruß Fans
verstört und war dann mit Iggy Pop in die geteilte Stadt gezogen,
um dort Kunst zu studieren, sich mit elektronischer Musik zu
beschäftigen, neue Ideen zu finden und mit seiner
Heroin-Abhängigkeit klar zu kommen (was angesichts der Szene in der
geteilten Stadt etwas unlogisch scheint – aber sei's drum...). Low
ist ein Album mit zwei unterschiedlichen Hälften, die erste LP-Seite
bietet Bowie im Songformat, zwar sind die Vocals schon seltsam
gelayert, man bemerkt den Einfluss solcher Elektronik-Acts wie
Kraftwerk in den roboterhaften Rhythmen, aber Songs wie das
wunderbare „Always Crashing in the Same Car“ zeigendass er nach
wie vor „Hits“ schreiben konnte und wollte. Die zweite Hälfte
des Albums aber ist visionär, bildhaft, instrumental, elektronisch
und schwierig ...und sie ist der Grund dafür, dass man den Namen
Bowie noch lange mit Innovation verbindet. Dabei hatte der
Mit-Produzent, Freund und Ambient-Erfinder Brian Eno mindestens genau soviel mit
der Musik der zweiten LP-Seite zu tun wie Bowie selber. Eno hatte die
gleichen Interessen an deutscher Elektronik und war genauso
experimentierfreudig, und so schufen er und Bowie ein zweigeteiltes
Meisterwerk in einer zweigeteilten Stadt. Highlight der
instrumentalen Seite ist wohl „Warszawa“ - experimentelle
Elektronik, die auch heute noch geht, Bowie jedenfalls sollte Brian
Eno sein Leben lang zu Dank verpflichtet sein – auch für den zweiten
Teil der Berlin-Trilogie. ''Heroes'' ist ein Album, das das Konzept
und die Ideen von Low wiederholt und erweitert. Das Album ist
ebenfalls in eine Song- und eine Elektronik-Hälfte unterteilt, die
Songseite hat mit dem Titelsong einen von Bowies größten Hits
dabei, die Rhythmik war besser ausgearbeitet, Robert Fripp trug sein
unheimliches Gitarrenspiel bei. Und dieser Titelsong mag den Rest
überstrahlen, aber „Beauty and the Beast“ und „Sons of the
Silent Age“ sind ebenfalls große elektronische Popmusik und die
Ambient-Seite der LP ist sogar noch gelungener und ausgefeilter als
auf Low. Bowie begann sich im Experimentierlabor heimisch zu fühlen,
„V2-Schneider“ und „Neukölln“ gehören zu den Stücken, die
nun wirklich Bowies Ruhm bis weit in die Neunziger tragen sollte.
Beide Alben sind bis heute kostbares Kulturgut.
Cluster
& Eno
s/t
(Sky,
1977)
Also
nun der Schritt in Richtung Experiment – genauer – in Richtung
der Musik, die Bowie nach Berlin geführt hatte, und die ihn mit dem
Ex-Roxy Music Innovator Brian Eno zusammenbrachte. Wie oben
beschrieben teilten Bowie und Eno ihr Interesse an Bands und Musikern
aus der Kraut- und vor Allem Elektronik-Szene Deutschlands. Brian Eno
war Bowie in deren Kenntnis um einiges voraus: Er hatte im Vorjahr
mit den beiden Cluster-Musikern Rodelius und Moebius und dem Neu!
Gitarristen Michael Rother – die gemeinsam seit '74 das Projekt
Harmonia betrieben – ein Album eingespielt, dass dann aber zwanzig
Jahre lang unveröffentlicht blieb. Aber immerhin kam im August '77
sein musikalisches Projekt mit den beiden Cluster-Musikern als LP
heraus. Eine in jeder Hinsicht befriedigende Kollaboration, Zu dieser
Zeit mögen diese Sound-Experimente noch ziemlich ungewöhnich
geklungen haben - und heute sind sie vielleicht nicht mehr
überraschend – aber immer noch klingen sie seltsam schön: Das
Moog-Vibrato bei „Schöne Hände“ klingt nach der Spannung bei
der Erforschung eines feindseligen, fremden Planeten, Bei „Wehrmut“
und „Mit Simaen“ steht das Piano im Vordergrund, aber die wenigen
Töne werden von Fremdgeräuschen aus dem Synthesizer aus der
Klassik-Ecke in die experimentelle Musik verschoben. Die Musiker
schaffen es u.a. durch die Kürze der Stücke, aber auch durch ihr
Ohr für Melodie, dass diese „ambiente“ Musik nicht zur
Klangtapete wird. Can Bssist Holger Czukay und Synthesizer Koryphäe
Asmus Tietchens helfen hier und da aus, aber es sind Cluster und Eno
zusammen, die den Mehrwert bewirken. Es ist die perfekte Synthese aus
Krautrock und Eno, es ist das, was die Namen der Musiker
versprechen...und
es zeigt, wie viel Einfluss Cluster auf Eno hatten, und wie viel
Einfluss Eno dann auf
Bowie hatte. Eno jedenfalls ging im folgenden Monat nach Berlin, um
an ''Heroes“ mitzuarbeiten – und Ende '77 kam sein fünftes
Solo-Album heraus.
Brian
Eno
Before
And After Science
(Polydor,
1977)
… und
so kann man Before and After Science als eine Zusammenfassung der
künstlerischen Entwicklungen und Ideen Eno's in den letzten Jahren
betrachten. Die Entstehung dieses Albums zog sich tatsächlich über
zwei Jahre hin – und viele Einflüsse aus diesem Zeitraum sind hier
wiederzufinden. Es ist das letzte Album (für lange Zeit), auf dem
Eno singt, es ist das letzte Album, das in manchen Momenten ein
bisschen verschämt „Pop“ sagt. Eno hatte zunächst zwei Jahre
zuvor dem Art-Pop seiner ersten Alben nach Roxy Music abgeschworen
und in den letzten beiden Jahren meist instrumentale „Ambient“
Musik von funktionaler Schönheit gemacht. Er hatte – wie oben
beschrieben - mit den Pionieren von Harmonia/Cluster
zusammengearbeitet und kehrte mit Before and After Science auf
einigen Songs noch einmal zum Songformat incl. Gesang – zurück.
Aber Eno ist ein Musiker, der seine Erkenntnisse nicht einfach
beiseite schieben kann, er lässt neue Ideen organisch aufeinander
aufbauend in seine Arbeit einfließen. So gibt es auf Before and
After Science Ambient mit Vocals, sogar mit den dazu passenden
Lyrics. Es gibt aber auch Uptempo Stücke, die auch auf Here Come the
Warm Jets gepasst hätten – Songs wie „Kings Lead Head“ (mit
Free Drummer Andy Fraser und einem Titel, der ein Anagramm für den
Bandnamen Talking Heads ist – die er bald produzieren würde..) und
das wunderbar fließende „Here He Comes“ - Art Pop in schönster
Ausführung, „Backeater“ bekommt seine Motorik von Can's Jaki
Liebzeit, Fred Frith streut Gitarrensplitter über das ganze Album,
aber das Beste und Neueste an diesem Album sind die vier
abschließenden Ambient-Stücke.:„Julie With...“ ist der
schwebende Trip durch einen halb-erinnerten Traum, „By this River“
ist Minimalismus par Excellence – geschrieben und eingespielt mit
den beiden Cluster Musikern, „Through Hollow Lands“, ist pure
Atmosphäre und das Schönste sind die viereinhalb Minuten von
„Spider and I“. Pure Majestät, eine außerweltliche Gospel
Hymne. Nur Talk Talk und Mark Hollis auf seinem Solo-Album würden
später auf ähnlich elegante Art eine vergleichbare Atmosphäre
erzeugen.
Iggy
Pop
The
Idiot
(RCA,
1977)
Iggy
Pop
Lust
For Life
(RCA,
1977)
Und
um auf die Prä-Punk-Seite dieser Entwicklung zurückzukommen: Iggy
Pop - der wilde Mann der Stooges – war mit Bowie gemeinsam nach
Berlin gekommen, und beide müssen sich etliche Nächte gemeinsam um
die Ohren geschlagen haben, beide waren Heroin Addicts, und beide
erlebten in dieser Zeit in dieser Stadt ihre musikalische
Wiedergeburt. Bowie half Pop wahrscheinlich mindestens so sehr wie
Brian Eno ihm geholfn hatte. Iggy hatte zwei Jahre zuvor die Stooges
aufgelöst und war dann dermaßen im Drogensumpf untergegangen, dass
man nicht mehr mit ihm gerechnet hatte, zumal er immer wie ein
Musiker gewirkt hatte, dessen Untergang logisch erschien.Mit
seinem ersten echten Solo-Album The Idiot bewies er, dass er doch
mehr war, als das Proto-Punk Tier. Bowie suchte ihm die Band aus,
Bowie schrieb (gemeinsam mit) ihm Songs auf den ausgemergelten Leib,
und Iggy verfasste Lyrics von einer Tiefe, die doch sehr überraschend
kam. Seine Stimme sank um eine Oktave und das komplette Album bekam
eine kraftvolle Tiefe und düstere Eleganz, die es zu einem der
besten Alben seiner Zeit macht. „China Girl“, „Nightclubbing“
oder „Dum Dum Boys“ (über seine vorherige Band) wurden die
feuchten Träume all der Post-Punk Bands, die da kommen sollten. Wie
Low begründet The Idiot Iggy Pops Ruf weit in die Zukunft – und
wie Low mit ''Heroes'' - hat The Idiot einen gleichwertigen (aber etwas
weniger populären) Nachfolger in Lust for Life.Was
möglicherweise daran liegt, dass der Unterschied zwischen den beiden
ersten Soloalben Iggy's größer ist, als der zwischen Bowies beiden
ersten Berlin - Alben. Zwar half Bowie auch hier aus und produzierte,
aber Lust for Life ist Iggy Pop's eigenständige Rückkehr zum
Rock'n'Roll. Immer noch war da eine gewisse düstere Selbstreflektion
zu spüren, aber die beiden Brüder Hunt und Tony Sales an Bass und
Drums waren ein formidables und kraftvolles Rhythmusgespann, das
keine lasche Melancholie zuließ. Gitarrist Ricky Gardiner half nun
beim Songwriting und schrieb mit ihm mit „The Passenger“ einen
Song, der es mit allem, was die Stooges je gemacht haben, locker
aufnehmen konnte.Und
Iggy Pop wuchs auch als Sänger. Er hatte offensichtlich Texte
geschrieben, die ihm ein dringendes Anliegen waren, die er mit Macht
vortragen wollte. Es gelang ihm auf Lust for Life tatsächlich die
Wildheit des letzten Stooges Albums Raw Power zu kanalisieren und mit
der Intelligenz von The Idiot zu vereinen. Dies hier sind Alben, die Berlin für viele Musiker über Jahrzehnte interessant
machten.