Insbesondere
hier in Deutschland und mit einem Abstand von Jahrzehnten mögen die
Unterschiede zwischen Country, Outlaw Country und Cosmic American
Music verwischen, die Alben dieser „Genre's“ können mitunter
verdammt ähnlich klingen, aber Unterschiede in Stil und Haltung
(= Lyrics) sind da, und sie gelten sogar bis heute. Vereinfacht kann
man sagen, Country war und ist konservativ, wurde Ende der Sechziger/
Beginn der Siebziger von den Hippies nicht gemocht, gar verachtet,
aber es gab Musiker wie Gram Parsons (der den Begriff Cosmic American
Music erst ins Spiel gebracht hat...) oder Michael Nesmith, die diese
Musik kannten, die Hank Williams und George Jones sogar verehrten,
die die altehrwürdigen Traditionen dieser ur-amerikanischen Musik
genauso mit Bewunderung betrachteten, wie die Appalachian-Folk
Musik oder der Blues der 30er Jahren von der Folk-Szene
um Joan Baez, Judy Collins und Bob Dylan Jahre zuvor bewundert und
imitiert worden war. Diese junge Generation von Musikern wollten nicht, dass die
Oligarchen in Nashville Countrymusik für sich vereinnahmte und sie
wollten die Drogen und die musikalische Freiheit, die die
amerikanische Gegenkultur zelebrierte, dabei haben. So gibt in den
Jahren zu Beginn der Siebziger eine Vielzahl von Musikern, die
Songwriting knapp an den Grenzen zur Country-Musik betreiben . Die - einfach gesagt - das Instrumentarium, die Stilelemente und die Bilder
dieser ur-amerikanischen Kunstform benutzen, um eine neue, vom Geist
der Hippies und/oder vom Folk durchzogene meinetwegen
auch „kosmische“ amerikanische Musik zu machen. Dass diese Musik
mit allen möglichen Begriffen bezeichnet werden kann, dass die Songs
von John Prine oder Gene Clark durchaus auch als Singer/Songwriter
Material bezeichnet werden können, zeigt wie durchlässig, unwichtig und unklar
Stilbezeichnungen sind. Aber ich habe die Überschrift Cosmic American Music bewusst
gewählt - sie passt, weil Gram Parsons' GP eines der ganz wichtigen Alben dieser Zeit ist, und ich versammle hier unten etliche andere Alben, die der heutige
Freund von „Americana“ mögen könnte. Und - um auf den Artikel
über Outlaw Country einzugehen - dass Musiker wie Willie Nelson und
Waylon Jennings sich von der anderen Seite dieser jungen Gegenkultur
annäherten war kein Zufall. Aber in dieser Zeit waren die Grenzen
noch klar gezogen - und es gibt bis heute noch einen eher
weltanschaulichen Unterschied zwischen Country und Americana, dabei
sind sich beide Musikformen doch so ähnlich....
Gram
Parsons
GP
(Reprise,
1973)
Mit
der International Submarine Band hatte Gram Parsons schon 1968
Country und Rock gepaart – wobei er schon damals näher an Country
gewesen war, als alle anderen. Mit den Byrds kam auf dem wunderbaren
Album Sweetheart of the Rodeo ein Quentchen Psychedelik dazu, mit den
Flying Burrito Brothers wurde seine Melange aus Country und Rock noch
schmackhafter, er beeinflusste die Stones, brachte ihnen Country bei,
erweiterte so ihr stilistisches Spektrum für ihr Meisterstück Exile
on Main Street und bekam im Gegenzug eine Heroin-Abhängigkeit
verpasst, die die Burrito's veranlasste ihn rauszuwerfen. Nach einer
halbherzigen Rehabilitation und einem Aufenthalt in England, bei dem
er Rick Grech (Bassist bei Blind Faith etc.) wiedertraf, der ihn nun
produzieren wollte, bekam er von Warner die Chance mit diversen
Spitzenmusikern (u.a. Elvis' Backing Band mit James Burton und Glen
D. Hardin) seine Vision von Country-Rock als Solokünstler zu
verwirklichen. Und GP ist in genau dieser Hinsicht perfekt. Es sind
nicht nur die fantastischen Musiker, er hatte mit der zuvor wenig
erfolgreichen Folk-Sängerin Emmylou Harris eine kongeniale
Gesangspartnerin entdeckt, die seiner unsicheren Stimme die nötige
pure Schönheit entgegensetzte. Die Harmonies bei Songs wie „We'll
Sweep out the Ashes in the Morning“ oder „That's All It Took“
sind fast schmerzhaft schön, Emmylou stellt ihre klare Stimme neben
seinen brüchigen Gesang und etablierte sich sofort als eine der
besten Stimmen des Country. Tearjerker stehen neben Uptempo
Dance-Tunes, mit „She“ und „A Song for You“ schrammt er –
wie es sich ja auch gehört - nah am Kitsch vorbei, ohne dabei an
Stil zu verlieren, es gibt diverse Coverversionen wie das von Tompall
Glaser (siehe Outlaw Country '73) geschrieben „Streets of
Baltimore“, die sich perfekt in das Gesamtkonzept einpassen. GP ist
von Glen D. Hardin im Stil der Country-Musik der 50er und 60er Jahre
arrangierte, und es verkaufte sich seinerzeit nicht sonderlich gut,
was Parsons Selbstbewußtsein ziemlich belastete, aber es sollte weit
in die Zukunft weisen und beeinflusste neben den Stones in späteren
Jahren auch Musiker wie Elvis Costello oder Ryan Adams, mal ganz
abgesehen von all den „Americana“ Bands der 90er. Er „erfand“
diese neue Art der Countrymusik, die er bewusst so nicht nannte: In
seiner Idealvorstellung spielte eine Soulband aus den Südstaaten
Gospelmusik auf einer Steel Guitar – und das war seine Cosmic
American Music. Diese Vision konnte er selber allerdings dank seines
Akohol- Kokain und Heroinkonsumes nicht mehr weiterverfolgen. Gram
Parsons schaffte noch ein weiteres Album, ehe seine Drogensucht ihn
noch in diesem Jahr umbrachte. Den '74er Release des Nachfolgealbums
Grievous Angel erlebte er nicht mehr.
John
Prine
Sweet
Revenge
(Atlantic,
1973)
John
Prine's Debüt ist eines der besten Singer/Songwriter Alben der
beginnenden 70er (durchaus mit den hier hin passenden
Country-Elementen). Seine hohe Reputation als großartiger Erzähler
hatte er also schon seit diesem Album, und vielleicht weil das Debüt
so beeindruckend war – und das zweite Album gegen alle Erwartungen
eine ziemlich spartanisch Angelegenheit - hielten ihn manche für
einen Frühvollendeten – von dem nicht mehr viel kommen würde.
Aber Sweet Revenge, Prines drittes Album, ist nahezu auf Augenhöhe
mit dem Debüt. Es ist lauter, schneller und zynischer als das zweite
Album, voller rowdy Country-Rocker, an Rock'n' Roll orientiert,
produziert diesmal von Stax-Haus Gitarrist Steve Cropper, mit Titeln
die mehr auf Mainstream-Erfolg zu zielen scheinen. Natürlich konnte
Prine immer noch Balladen, aber der Grundton war immer noch zu
zynisch für wahre Sentimentalität. Und auch wenn Sweet Revenge
nicht so konsistent ist wie John Prine sind auch hier mit (unter
anderem) „Please Don't Bury Me“, „Christmas in Prison“ oder
„Blue Umbrella“ etliche Songs dabei, die von anderen Musikern
gerne gecovert wurden und die in Prine's beeindruckende Reihe von
großen Songs passen..
Mary
McCaslin
Way
Out West
(Philo,
1973)
Geboren
in Indiana, war die Singer/ Songwriterin und Gitarristin Mary
McCaslin in jungen Jahren mit ihrer Familie nach Süd-Kalifornien
gezogen und hatte sich dort von Westernfilmen und den Cowboy-Songs
eines Marty Robbins sowie der Laurel Canyon-Folk Innovatorin Joni
Mitchell inspirieren lassen und 1969 ein erstes Album aufgenommen.
Ihre ganz eigene Stimme entwickelte sie jedoch erst richtig auf ihrem
Debüt bei Philo – einem Label, das das Motto: „We encourage the
artist to assume full creative control of his or her album.“
tatsächlich bis heute ernst meint. Der Titelsong des Debüts wurde
zu Mary McCaslin's Signature Tune. „Way Out West“ ist ein
sehnsüchtiger Song, der die Weite der Prärie auf erstaunlich
unkitschige Weise darstellt, gesungen mit hoher, klarer Stimme,
dezent arrangiert, mehr in Folk verwurzelt als in Country. Eine
Rezeptur die sie mit erfreulichen Ergebnissen beibehalten sollte -
Ihre folgenden beiden Alben für Philo sind auf jeden Fall ebenfalls
schätzenswert. McCaslin blieb zwar ungerechterweise vollkommen
unbekannt, aber diese Zeilen sollen ja gerade Musiker wie sie in
Erinnerung rufen. Auf Way Out West coverte sie noch sehr schön Randy
Newman's „Living Without You“ und dann ist da auch noch ihr
vielleicht bekanntester Song, der „San Bernardino Waltz“ und das
schöne „Circle of Friends“.... aber das sind nur ein paar
Highlights unter einem Haufen von hervorragendem Material. McCaslin
tat sich alsbald mit dem Hallodri und Country-Sänger Jim Ringer
zusammen (und heiratete ihn..) und verlegte sich fast komplett auf's
covern von Songs – aber mindestend das folgende Album Prairie in
the Sky zeigt, was für ein Talent sie hatte.
Michael
Nesmith
Pretty
Much Your Standard Ranch Stash
(RCA,
1973)
Sein
vorheriges Album And the Hits Just Keep on Comin' hatte Michael
Nesmith nur mit Pedal Steel-As Red Rhodes aufgenommen. Für Pretty
Much Your Standard Ranch Stash holte er sich wieder den vollen Sound
einer Band. Aber das vorherige Album hatte ihn wohl an das bekannte
und immer kluge Motto „Weniger ist Mehr“ erinnert und trotz einer
Besetzung mit sechs Musikern hielt der Ex-Monkee die Arrangements
hier wohltuend zurückhaltend und tight. Ja, manchmal klang die Band
hinter ihm wieder so unmittelbar und frisch wie die First National
Band auf seinen ersten drei Alben (die '70 schon diese Musik gemacht
hatten und damit einem Trend weit vorgegriffen hatten...). Star des
Ensembles war natürlich wieder Steeler Red Rhodes, aber der Rest der
Band – insbesondere die Gitarren von Jay Lacy und Dr. Robert
Warford sowie das solide Drumming von Danny Lane wußte zu
überzeugen. Nesmith hatte mit „Winonah“ einen seiner besten und
reinsten Country Songs dabei, mit „Some of Shelly's Blues“ eine
Reminiszenz an seine Tage bei den Monkees und mit „Back Porch and a
Fruit Jar Full of Iced Tea“ ein tief in Bluegrass getauchtes
Medley. Leider verkaufte sich auch dieses letzte Album für RCA trotz
all seiner Qualitäten kaum, vielleicht stand Nesmith sein Ruf als
Ex-Monkee im Weg. Heute lohnt es sich auf jeden Fall diese Cosmic
American Music zu hören.
Michael
Murphy
Cosmic
Cowboy Souvenir
(A&M,
1973)
Dass
in desem Jahr ein Album mit dem Titel „Cosmic Cowboy“ auftaucht
ist natürlich wunderbar für diesen Artikel. Aber Cosmic Cowboy
Souvenir will ich nicht nur wegen des Titels erwähnen oder
empfehlen. Es ist ein wundervolles Singer/ Songwriter Album mit
starken Country-Einflüssen, eines, das sich neben den Alben von
McCaslin, Nesmith oder Prine nicht verstecken muss. Michael Martin
Murphy hatte im Vorjahr mit Geronimo's Cadillac (… dass ein
deutscher „Musiker“ diesen Titel Jahre später ebenfalls
verwendete, ist nicht seine Schuld...) einen veritablen Hit gehabt
und seine Art, Countryelemente in der Musik mit modernem Songwriting
und kontemplativen Lyrics zu verbinden setzte ihn zwischen alle
Stühle. Eine Position, die er wohl gerne einnahm. Und auf dem Debüt
und diesem zweiten Album machte er auch alles richtig. Die Songs sind
teils wunderschön, der Quasi-Titelsong und der "South Canadian
River Song" haben genau die notwendige Einfachheit, die sie vor
Kitsch bewahren, er hält sich klug von allzu traditionellen Themen
und Arrangements fern – nennt sich schließlich selber einen
„non-traditional“– Country-Musician. Und das Album funktioniert
durch das gleichbleibend hohe Niveau der Songs als Ganzes - „Alleys
of Austin“, „Prometheus Busted“ oder „Drunken Lady of the
Morning“ sind nicht schwächer als die Highlights des Albums und
sind bei aller Romantik auch noch erfreulich unkonventionell. Die
sentimentale Tiefgründigkeit der Texte mag bald zur Pose geworden
sein, aber Cosmic Cowboy Souvenir ist ein extrem gelungenes Beispiel
dafür, was man mit Countrymusik machen kann, wenn man sich von den
Limitierungen traditioneller Rezepte nicht beschränken lässt.
Gene
Parsons
Kindling
(Warner
Bros., 1973)
...und
Nein: Gene Und Gram sind nicht verwandt, allerding spielten beide bei
den Byrds, Gram als Songwriter und prägendes Mitglied für ein Album
(Sweetheart of the Rodeo) und Gene als Drummer und Songwriter über
vier ihrer späteren Alben - in der Zeit als die Byrds mit McGuinn,
Skip Battin und Clarence White ihr bei weitem bestes Live-Lineup
hatten und mit (Untitled) - (siehe 1970) ein hervorragendes Dokument
ihrer Stärke veröffentlichten. Gene indes war mehr als nur
Takthalter und als McGuinn ihn schließlich feuerte kam das Angebot
von Produzent Russ Titelman ein Solo Album zu machen gerade Recht,.
Gene war Multi-Instrumentalist, hatte gemeinsam mit seinem früheren
Bandpartner Clarence White eine Art des „String Bendings“
erfunden, hatte ausreichend Kontakte zu einigen der besten Musiker
und auch ein paar eigene Songs für Kindling beisammen. Dazu spielte
er noch eine feine Version von Little Feat's „Willin'“ und von
„Drunkard's Dream“ von den Stanley Brothers, deren Ralph Stanley
höchstpersönlich die Harmony-Vocals beisteuerte. Sein „I Must Be
a Tree“ muß sich allerdings auch nicht vor den
Fremdkompositionen verstecken, das ganze Album klingt entspannt und
homogen, dazu die Fiddles von Vassar Clements und Gib Guilbeau, mit
dem er auch schon vor den Byrds zusammengespielt hatte. Kindling ist
das Album auf dem der großartige Clarence White das letzte Mal vor
seinem tragischen Unfalltod Gitarre spielen sollte, die geplante Tour
wurde daraufhin abgesagt, Gene Parsons zog sich erst einmal vom
Musikbusiness zurück und verlegte sich nach ein paar erfolglosen
Alben zu Beginn der Achtziger auf den Bau von Gitarrenzubehör.Und
übrig bleibt ein weiteres vergessenes Album zwischen Country und
Rock.
Gene
Clark
Roadmaster
(A&M,
1973
Roadmaster
ist das Album zwischen Gene Clarks beiden Solo-Meisterwerken White
Light und No Other, und es ist aufgebaut aus Aufnahmen diverser
Solo-Sessions sowie Sessions mit den Byrds und den Flying Burrito
Brothers, aber bei einem so exzellenten Songwriter wie Clark kann man
dennoch nicht von schnöder Resteverwertung reden. Natürlich sind
die Musiker bei den jeweiligen Songs – Mitglieder der Byrds und der
Flying Burrito's... - vom Feinsten, aber es mag auch sein, daß der
Sound auf dem Album durch die unterschiedlichen Musiker ein wenig zu
heterogen ist, aber das schadet nicht wirklich, denn Clarks Stimme
hält Alles zusammen. „She's the Kind of Girl“ hätte mit jangly
Guitars und Flute gut auf ein Byrds Album gepasst, mehr noch aber
klingt „One in a Hundred“ nach den Byrds. Andere Songs, wie „Here
Tonight“ und eines der Highlights, der „Full Circle Song“, sind
Hommagen an den Sound Gram Parsons' – Country Rock der besten Art,
vollkommen kitschfrei und melodisch ausgefeilt. Und dann ist da noch
„In a Misty Morning“, wiederum einer der Songs wie ihn nur Gene
Clark schreiben konnten.... Es soll hier nicht der Eindruck erweckt
werden, dass Gene Clark wie einer der hier genannten Künstler klang,
er machte seine Art von Cosmic American Music (freilich ohne sich für
einen solchen Begriff zu interessieren), aber er war mit dieser Musik
seinerzeit sogar noch erfolgloser als Gram Parsons. So wurde
Roadmaster aus unerfindlichen Gründen nur in Holland (!)
veröffentlicht und ging kommerziell vollkommen unter.
Chris
Darrow
s/t
(United
Artists, 1973)
Chris
Darrow war '73 ein Veteran der südkalifornischen Psychedelic Rock
Szene, hatte mit Kaleidoscope und der Nitty Gritty Dirt Band schon
Country, Rock und Weltmusik vereint. Aber eigentlich war er immer
Bandmitglied gewesen, Zuspieler für Leute wie David Lindley, und
nicht so bekannt als Songwriter als vielmehr als versierter Gitarrist
und Multi-Instrumentalist. Dabei hatte schon sein Debut vom Vorjahr
Klasse, und auch auf dem Zweitling gab es mit dem Opener "Albuquerque Rainbow“, direkt mal ein Highlight,
stilistisch irgendwo einzuordnen zwischen den Allman Brothers und den
Stones im Exile On Main Street Modus und mit Gram Parsons als
Leadsänger, komplett mit an die Allman's erinnernden gedoppelten
Guitar Leads und feinen Steel-Ornamenten. „Take Good Care of
Yourself“ wiederum antizipiert den Bluegrass/Reggae Sound, den
Kaleidoscope-Kollege David Lindley später etablieren sollte. Dann
ist da das Double-Mandolin Instrumental „Devil's Dream“ oder der
Old-timey Country von „We're Living on $15 a Week“. Chris Darrow
konnte Alles – wie er ja schon mit Kaleidoscope bewiesen hatte, und
was vielleicht hier das Problem ist: Einen durchgehenden Flow
vermisst man auf Chris Darrow etwas – ein Problem das er aber auch
nicht allein hat – siehe das weit erfolgreichere Album der Eagles weiter unten. Leider hatte das Album einen äußerst überschaubaren
kommerziellen Erfolg. Ein bisschen Schade, denn es ist mitunter sehr
schön.
The
Eagles
Desperado
(Asylum,
1973)
Zu
Beginn der Siebziger hatte sich in L.A. - im Laurel Canyon - eine
Szene etabliert, die Folk, Singer/ Songwriter-Kunst und Country zu
einem zunächst noch recht geschmackvollen Gebräu zusammenmischte.
Aber dort wurden diese Einflüsse langsam in eine Art Soft-Rock
transformiert, der sein Gesicht 1973 noch nicht in seiner ganzen
Hässlichkeit zeiget. Das zweite Album der Laurel Canyon-Gewächse
Eagles wurde vom Kritikerpapst Robert Christgau dennoch schon als
mißlungener Soundtrack zu einem imaginären Sam Peckinpah- Western
bezeichnet. Ein bisschen gemein eigentlich, vor Allem weil er ja in
Teilen Recht damit hat, aber die Stärken der Eagles dabei
verschweigt. Die Eagles waren letztlich die Nutznießer einer Vision,
die Leute wie Rick Nelson, Michael Nesmith, die Byrds und die Burrito
Brothers mit weit weniger Erfolg verfolgt hatten. Nicht umsonst waren
Randy Meisner und Bernie Leadon bei den oben genannten dabei gewesen,
aber der Unterschied war, sie hatten mit Glenn Frey und Don Henley
zwei Hit-Schreiber, sie hatten die besten Satzgesänge, und sie waren
sogar hier schon erstaunlich pop-affin. Desperado war noch nicht der
goße Durchbruch. Das Album war ein loses Konzept-Album um Aufstieg
und Fall eines Rock-Outlaws, mit Parallelen zur Dalton-Gang – den
Legenden der Western-Zeit und sie hatten mit dem Titelsong und
„Tequila Sunrise“ mindestens zwei wirklich tolle Songs dabei,
aber eben auch einige weniger gelungene Tracks dabei und vor Allem –
trotz Konzept will sich kein richtiger roter Faden finden lassen. Die
Stücke sind zu unterschiedlich, jedes Bandmitglied hat seine eigene
Stimme, und die passen vielleicht klanglich ganz toll, aber
musikalisch passt es noch nicht perfekt. Mit der Zeit sollte sich das
bessern, das kompsitorische Niveau glich sich an, allerdings wurde
die Musik dabei auch immer glatter, um dann in Dekadenz zu versinken.
Sie machten aus Outlaw-Träumen letztlich Albträume – was sogar
einen seltsamen Reiz hatte, aber „wirklich“ guten Country-Rock
mußt du woanders suchen. Zum Beispiel bei...
Poco
Crazy
Eyes
(Epic,
1973)
...Poco.
Die aus Buffalo Springfield hervorgegangene Laurel Canyon Band
nämlich hatte schon in den Jahren zuvor eine feine Vereinigung von
Country, Rock und Pop – mit Beimengungen von Psychedelic –
geschaffen. Crazy Eyes war auch schon ihr 6. Album und die Chemie
innerhalb der Band stimmte, obwohl sie schon diverse
Besetzungs-wechsel hinter sich hatten war der Kern der Band erhalten
gebliebenund sie hatten einen weit homoge-neren Sound als ihre später
weit erfolgreicheren Konkurrenten von den Eagles (die immer wieder
Mitglieder von Poco zu sich holen sollten). Das Konzept war dabei dem
von Desperado nicht einmal unähnlich: Hier handelte es sich um eine
Hommage an Gram Parsons, der ja im September '73 verstorben war.
Richie Furay hatte den komplexen neun-minütigen Titeltrack mit
Parsons zusammen geschrieben und coverte dazu noch dessen „Brass
Buttons“, Paul Cotton kam mit zwei politischen Songs daher („Blue
Water“ und „A Right Along“) und coverte JJ Cale's „Magnolia“
kongenial, und Timothy B. Schmit (der bald zu den Eagles wechseln
sollte) brachte eine tolle Ballade mit („Here We Go Again“). Und
mit Rusty Young hatten sie ja sowieso einen der besten Pedal-Steel
Player der Szene dabei – und der kam mit der Bluegrass-Nummer
„Fools Gold“ daher, die andere Bands des Genres schlecht aussehen
ließ. Der Ex Buffalo Springfield Mastermind Richie Furay sollte bald
darauf ebenfalls die Band verlassen, um mit Chris Hillmann von den
Burrito Brothers und J.D. Souther eine Art Supergroup zu bilden –
was künstlerisch ziemlich in die Hose ging – aber auf Crazy Eyes
zeigt sich, dass das Verdikt Poco wären die Poor Man's Eagles“
eigentlich umgekehrt gültig ist. Fünf Musiker, die auf einem Album
ihre Talente bündeln und tolle Musik schaffen – West Coast Rock
sagt man auch dazu - von höchster Klasse.
Jackson
Browne
For
Everyman
(Asylum,
1973)
Spätestens
jetzt hat sich die Musik aus dem Laurel Canyon auch in diesem Artikel
festgesetzt. Natürlich hat der Songwriter Jackson Browne seine
Wurzeln auch in der Musikszene L.A.'s, aber seine country-infizierten
Songs sind eben auch weit von Nashville und von Musikern wie Willie
Nelson oder Waylon Jenninge entfernt. Browne hatte im Vorjahr ein
hervorragendes Debütalbum vorgelegt, und musste nun schnell
nachlegen. So nahm er ein paar ältere Songs auf, die es nicht auf's
Debüt geschafft hatten, schrieb ein paar neue und holte sich mit dem
Ex-Kaleidoscope-Saitenvirtuosen David Lindley seinen Partner für die
kommenden Jaher an Bord. Er spielt hier seine Version der '72er
Eagles Hitsingel „Take it Easy“ - die hatte er schließlich mit
Glenn Frey gemeinsam geschrieben, er spielt seine Version von „These
Days“, das zuvor von Nico gecovert worden war, er hat mit u.a. Joni
Mitchell, David Crosby und Bonnie Raitt namhafte Gäste aus dem
Laurel Canyon und etabliert hier seinen eigenen Stil. Noch sind die
Lyrics hauptsächlich selbstreflektierend, noch fehlt die politische
Positionierung, noch sucht er seine Stimme, aber For Everyman ist
besser als mindestens 90 % der restlichen Songwriter-Ergüsse seiner
Zeit – wobei daran insbesondere David Lindley's schneidende
Slide-Gitarre einen nicht unbeträchtlichen Anteil hat. Es gibt noch
ein paar weniger gelungene Songs, Browne würde noch besser werden,
aber es ist erkennbar, dass hier ein großer seiner Zunft
heranwächst.... Und die Frage, ob das Musik ist, die zum Titelthema
dieses Kapitels fällt, beantworte ich mit einem klaren „kann
sein...“. Der Terminus Cosmic American Music ist kein klarer,
womöglich fehlt in diesem Fall die sychedelische Komponente, aber
bei For Everyman höre ich - wie bei Desperado und Crazy Eyes (zu dem
Parsons wie gesagt beigetragen hatte...) – eine Hippie/Country
Stimmung im Vordergrund, die mich diese Alben in einen Topf werfen
lässt. Ich könnte sie auch in andere Töpfe werfen, aber der Zufall
- und Gram Parsons GP - wollen, dass '73 für mich das Jahr der
kosmischen Countrymusik ist. Also weiter im Text mit anderen Alben,
die ich da rein werfen kann...
The
Seldom Scene
Act
Two
(Rebel,
1973)
Nun
zu einer Sparte – oder einer Form – der Countrymusik, die
einerseits uralt ist, aber andererseits in den Jahren nach '67
diverse mitunter sogar „psychedelische“ Modernismen in sich
aufgenommen hat. Seit den Tagen von Bill Monroe (ab Ende der
Vierziger) ist viel Wasser die Bäche der Apallachen
heruntergeflossen und inzwischen haben Musiker wie der just in diesem
Jahr mit Ende 20 verstorbene Clarence White, die Dillards, Jerry
Garcia oder John Hartford diesem Genre neben ihrer Virtuosität auch
eine weniger traditionelle, weniger christliche Dimensionen
hinzugefügt. So werden auf dem Zweitling der Seldom Scene „Paradise“
von John Prine, „Train Leaves Here This Morning“ von John Leadon
und Gene Clark und Ricky Nelson's „Hello Mary Lou“ in Bluegrass
übersetzt. Und die Ausführenden beeindrucken in allen Belangen –
so sehr, dass manchmal die Technik fast die Idee überdecken will.
Aber keine Sorge: Der Spaß ist hörbar, die Songs sind wohlgewählt
und die Harmonie-Gesänge herzerweichend. Leadsänger John Starling
hat eine angenehme Folk-Stimme, John Duffey's Tenor schwebt
ergötzlich darüber und Dobro-Virtuose Mike Auldridge's Stimme
ergänzt das Alles zu einer modernen und eigenständigen Version des
„High Lonesom“ Sounds der Apallachen. Es werden auch
traditionellere Songs wie Hank Williams' „House of Gold“ oder
Earl Scruggs' „I've Lost You“ gecovert und die eigenen Songs
passen auch in den Rahmen - The Seldom Scene Act Two bietet ein
Komplettpaket des modernen Bluegrass, wodurch die Band tatsächlich
in fundamentalistischen Bluegrass-Kreisen auf Ablehnung stieß. Aber
es war eben erklärtes Ziel der Seldom Scene neue Saiten im Bluegrass
aufzuziehen. Hier gelang es perfekt – und sie waren mit ihrer
Mission nicht alleine:
Country
Gazette
Don't
Give Up Your Day Job
(United
Artists, 1973)
Fiddler
Byron Berline, Bassist Roger Bush, beide zuvor bei den Flying Burrito
Brothers sowie Ex-The Kentucky Colonels Banjo-Player Billy Ray Latham
und die Gitarristen Allan Munde und Kenny Wertz hatten sich unter dem
Namen Country Gazette auch schon mit ihrem Debüt A Traitor In Our
Midst einen Namen als Bluegrass Innovatoren gemacht. Nach diversen
Touren – unter anderem in Europa - gingen sie ins Studio und
überließen John Dickinson für ihr zweites Album Don't Give Up Your
Day Job den Produzentenstuhl. Zu der Zeit war ihre erneuerte Version
des Bluegrass in gewissen Kreisen ein großes Ding, eine junge
Generation von Hörern ließ sich auf diesen Old Timey Stuff ein und
kaufte und hörte zu – wenn das Songmaterial nicht nur aus den
üblichen christlich eingefärbten Traditionals bestand. Für ihr
zweites Album holte die Band sich reihenweise Gäste dazu, Leute wie
Herb Pedersen, den Ex-Kentucky Colonel und Ex-Byrd Clarence White
(bei 5 Songs!), Leland Sklar und Ex-Burrito Brother Al Perkins. Das
Songmaterial war so erlaucht – und ebenfalls von modernem Material
durchzigen wie bei der Seldom Scene: Stephen Stills "The Fallen
Eagle“ gelang genauso wie Graham Nash's „Teach Your Children“.
Es gab Naheliegendes wie Lester Flatt and Earl Scruggs' „Down the
Road“ oder auch eine ungewöhnliche Version von Elton John's „Honky Cat“.
Hauptsache bei dieser Musik – bei Allen Revivals – alles klingt
nach Spaß. Bluegrass ist - wie vorher schon gesagt - immer virtuos, mitunter sehr temperamentvoll, aber durch die Songauswahl bekam
die Musik die zusätzliche Dimension, näherte sich manchmal den mehr
Pop- und Rock-orientierten Bands der Stunde an und entfernte sich
somit auf ähhnliche Weise vom althergebrachten Bluegrass, wie sich
Gram Parsons vom traditionellen Country entfernt hatte
Muleskinner
s/t
(Warner
Bros., 1973)
… und
wenn ich die beiden vorherigen Alben gelobt habe, darf ich
Muleskinner nicht aussen vor lassen. Die Band aus (schon wieder)
Clarence White, Peter Rowan und dem Mandolinen Virtuosen David
Grisman - beide Ex-Earth Opera, und Bill Keith und Richard Greene –
alle auch bei Bill Monroe’s Bluegrass Boys hatten die gleiche
Absicht wie die Seldom Scene- und Country Gazette-Musiker: Sie
wollten Bluegrass aus der etwas verstaubten Ecke des christlich –
hinterwäldlerischen Apallachian Bluegrass herausholen. Und Warner
Bros war schlau genug, das Album zu finanzieren – gab es doch wie
gesagt in diesem Moment eine Ex-Hippie-Gemeinde, der diese
modernisierte Version des Bluegrass gefiel. Muleskinner ist in der
Songauswahl vielleicht eine Spur näher an den Originalen aus den
Vierzigern und Fünfzigern, da werden Bill Monroe und Jimmie Rogers
gecovert, aber David Grisman's „Opus 57 in G Minor“ ist mehr
Klassik/Jazz als Bluegrass, Peter Rowans „Runways of the Moon“
ist fast Psychedelic Bluegrass – mit Schlagzeug! Und der
Traditional „Rain and Snow“ wiederum wäre von keinem alten
Bluegrass-Meister so verziert und verbogen worden. Das Album ist
seltsamer und schräger als die beiden vorher reviewten Beispiele für
den modernisierten Bluegrass der frühen Siebziger, es klingt nach
Jerry Garcia und nach Psychedelik und zugleich uralt. Wie gesagt:
Clarence White starb in diesem Jahr und Muleskinner blieb das einzige
Album dieser Gruppe von Musikern. Und es lohnt sich.
Eric
Weissberg & Steve Mandel
Dueling
Banjos: From the Original Soundtrack of Deliverance
(Warner
Bros., 1973)
Ich
kann jetzt wieder versuchen eine thematische Verbindung zur Cosmic
American Music zu konstruieren – oder ich kann darauf verweisen,
dass der Soundtrack zum Film Deliverance mit seiner Bluegrass-Musik
ganz einfach wunderbar zu den drei zuvor beschriebenen Alben passt,
und dass das Publikum dieses Filmes vermutlich nicht der
konservativen Country-Gemeinde angehörte, sondern eher einer
progressiveren jungen Generation. In Deliverance wird der Ausflug von
vier Großstädtern in die hinterwäldlderischen Berge der Apallachen
verfilmt. Die Vier machen eine Rafting Tour, die im Albtraum einer
männlichen Vergewaltigung (die Szene mit dem Opfer, das bei seiner
Vergewaltigung wie ein Schwein quieken soll, ist der reine Horror)
und in drei Morden endet, aber eine der prägendsten Szenen dieses
popkulturellen Phänomen's ist das Banjo/ Gitarren Duell zwischen
Hauptdarsteller Ronny Cox und dem Banjo-Boy – einem gecasteten
Ortsansässigen, der in Wahrheit keinen Ton spielen konnte. Die
wirklichen Ausführenden von „Dueling Banjo's“ sind der
großartige Gitarrist und Multi-Instrumentalist Eric Weissberg (der
mit der Blue Velvet Band schon '69 ein Album gemacht hatte, das hier
hin passen würde...) und der Banjo-Player Steve Mandel, die hier
einen alten Song mit dem Originaltitel „Feudin Banjos“ covern –
tatsächlich als Duell zwischen Gitarre und Banjo. Der Rest des
Soundtracks brachte den Bluegrass vermutlich einer noch breiteren
Hörerschaft ins Bewusstsein, als es Bands wie die Seldom Scene oder
Country Gazette gelang. Dabei sind die restlichen Tracks sogar noch
weit puristischer, als Alles, was die oben vorgestellten Bands je
veröffentlichten. Tatsache ist, dass die übrigen Titel des
Soundtracks ein Re-Issue der '63er Elektra-LP New Dimensions in Banjo
and Bluegrass sind. Und die Musik auf diesem Album, damals von
Weissberg und Marshall Brickman aufgenommen, ist flirrender,
komplexer und rasanter Bluegrass in Reinform. Eine Art von Musik, die
wirklich auf alten Traditionen beruht, die sich hier nicht hinter
Pop-Tunes verbirgt, sondern in all ihrer Virtuosität vollkommen
originalgetreu bleibt. Die Songs sind meist Traditionals, Marshall
Brickman war ein echter Virtuose, der mit Weissberg diese LP
aufgenommen hatte, dann noch mit den späteren Mama's and the Papas
Michelle und John Phillips als The New Journeyman gespielt hatte –
und inzwischen als Drehbuchautor für Woody Allan arbeitete. Wie
gesagt: Der Titel des Soundtracks mag ein Etikettenschwindel sein,
Steve Mandel spielt nur auf dem berühmten Theme-Track mit, aber für
den Bluegrass – und für die „rurale“ Art der amerikanischen
Volksmusik - ist dieses Album eine Erweckung – und ein
Riesenspaß...
Jerry
Lee Lewis
Southern
Roots
(Mercury,
1973)
Inzwischen
waren Jerry Lee Lewis' Verfehlungen aus den Fünfzigern vielleicht
vergeben, aber vergessen waren sie vermutlich noch nicht. Aber das
hat den Exzentriker vermutlich sowieso nicht wirklich angefochten.
Seit den Mitt-Sechzigern hatte Lewis sich immer tiefer in die
Countrymusik eingearbeitet, sie an seinen eigenen energetischen Stil
angepasst und in den Country-Charts damit einige Erfolge gefeiert.
Für das '73er Album Southern Roots (eines von drei Alben in diesem
Jahr übrigens) kehrte er Nashville den Rücken und ging nach Memphis
zurück um seine Rock'n'Roll Roots wiederzufinden und ein weiteres
Comeback zu lancieren. Er holte sich den Produzenten Huey P. Meaux,
die Stax-Begleitband MG's (ohne Booker T Jones) mit den Memphis Horns
sowie ein paar Cracks wie den Rock'n'Roll-Kollegen Carl Perkins oder
Sir Douglas Organisten Augie Meyers um ein Album zu machen, das Gram
Parsons Vorstellung von Cosmic American Music (eine Soulband aus den
Südstaaten spielt Gospelmusik auf einer Steel Guitar...) von der
Konstellation her sehr nah kommt. Den Bogen zu Gram Parsons'
Begrifflichkeit muss ich ja schlagen – aber es ist wie gesagt egal,
ob es da nur von mir gezogene Verbindungen gibt – wichtig ist die
Klasse von Southern Roots. Jerry Lee's Country der Vorjahre wird
tatsächlich von Rock'nRoll durchschossen und mit den
Soul-Kenntnissen der MG's und Memphis Horns gewürzt. Er selber
klingt selbstbewusst und energiegeladen – dabei waren die
drei-tägigen Sessions wohl eigentlich ein Albtraum. Er hatte miese
Laune, weil er wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten war (fahren
unter Drogeneinfluss), er trank und nahm Medikamente, er bedrohte den
Produzenten und einen Fotografen, aber diese Wut taucht in der Musik
nur als Energie auf. Und auto-destruktiv war er immer noch. Man höre
Doug Sahm's „Revolutionary Man“ auf dem er das Piano traktiert,
man höre „Meat Man“ - einen Song über die Freuden des
Oral-Verkehrs – den er als Single auserkor, man höre seine
Angeber-Version von „When a Man Loves a Woman“... Jerry Lee Lewis
war mal wieder an der Grenze zum Wahnsinn, das musikalische Ergebnis
war erfreulich, auch wenn manche beklagen, dass die Country-Elemente
zwangsweise zurückgefahren worden wären – eine Meinung, die ich
nicht teile, aber das Jahr '73 entwickelte sich privat zur
Katastrophe. Sein Sohn Jerry Lee Jr. starb im November '73 bei einem
Autounfall und vier Wochen später ließ sich sein vierte Frau von
ihm scheiden. Das Album kam bis auf Platz 6 der Charts, aber es würde sein letztes wirklich gelungenes bleiben.
Im
Jahr 1955 endet die Besetzung der BRD und der DDR durch die
Alliierten nach dem 2. Weltkrieg. Die nun getrennten Länder werden
in die NATO bzw. den Warschauer Pakt aufgenommen. In den USA weigert
sich die Schwarze (damals heißt das dort „Negerin“...) Rosa
Parks in einem Bus ihren Platz für einen Weißen zu räumen
und wird darauf verhaftet. Der darauffolgende Montgomery Bus Boycott
wird zur Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den
USA. Winston Churchill beendet seine politische Karriere, in
Deutschland sorgt Kanzler Adenauer dafür, dass die letzten
Kriegsgefangenen aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen
werden. Ein ganzer Haufen von Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern
rät von der Weiterentwicklung der Atomwaffen ab – ohne Erfolg wie
sich zeigen wird. Der Krieg zwischen Süd– und Nord Vietnam
beginnt. Marilyn Monroe lässt im Film „Das verflixte siebente
Jahr“ ihren Rock über dem U-Bahn-Schacht fliegen und Jugendidol
und Schauspieler James Dean kommt bei einem Autounfall ums Leben.
1955 ist auch das Todesjahr von Jazz-Innovator Charlie Parker. Steve
Earle, Pete Shelley (Buzzcocks) und Alan Moulding (XTC) werden
geboren. In diesem Jahr startet der Rock'n'Roll durch– es gibt zwar
noch keine kompletten Alben – das sind zu jener Zeit wenn
überhaupt, dann nur Compilations als Zweitverwertung - aber Chuck
Berry nimmt seine erste Single auf, Bill Haley's „Rock Around the
Clock“ aus dem Vorjahr wird zum No. 1 Hit in den USA, Little
Richard nimmt „Tutti Frutti“ auf, bei einem Konzert von Elvis
kommt es zu tumultartigen Szenen, er hat nun mit Colonel Tom Parker
einen neuen Manager, der ihm einen besser dotierten Vertrag bei RCA
verschafft, Johnny Cash nimmt bei Sun Records in Memphis – bei
Elvis' alter Plattenfirma (die von dem nur Singles aufgenommen hatte)
- seinen „Folsom Prison Blues“ auf. All diese Singles sind recht
erfolgreich, die junge Generation hungert offenbar nach Alternativen
zum weichgespülten Sound der Prä-Rock'n'Roll Ära. Auch Folk
Musiker und Bürgerrechts-Aktivist Pete Seeger (mit den Weavers) hat
trotz Kommunistenhetze und Radioboykott Erfolg bei Reunion Konzerten.
Nach Jazz, der eine Musik der „Schwarzen“ ist, wird langsam auch
Musik, die bei „weißen“ Jugendlichen ankommt, rebellisch. Aber !
Noch existieren diese "Auswüchse" der Jugendkultur nicht
in dem Album-Format, das ich hier behandeln will. Also, Geduld bis zu
den Einträgen für die Jahre '56 + '57 und hinhören bei der in
diesem Jahr so fruchtbaren Form des Jazzgesanges...
Sarah
Vaughan
...with
Clifford Brown
(EmArcy,
1955)
Jazz
Sängerin Sarah Vaughan hatte schon in den 40ern mit Musikern wie
Charlie Parker und Dizzie Gillespie ihren an BeBop geschulten
Vokalstil entwickelt. Ihre mühelose Phrasierung machte sie zu einer
der besten Jazz Sängerinnen ihrer Zeit. Aber in den frühen 50ern
spielte sie mit diversen Orchestern meist leichteres Material ein,
und erst auf diesem Album arbeitete sie wieder mit einem der Großen
des Jazz, dem zu dieser Zeit sehr angesagten Trompeter Clifford Brown
zusammen. Das Album wurde erst später mit dem Titelzusatz ..with
Clifford Brown versehen, weil dessen Popularität nach seinem Tod im
Sommer '56 sprunghaft anstieg. Hier sang Vaughan neun Standards und
ließ den Solisten Brown, Herbie Mann (Flute) und Paul Quinichette
(Saxophon) viel Raum für ihre Soli. Sie war natürlich bestens bei
Stimme und spielte definitive Versionen von „April in Paris“,
„Jim“ und „Lullaby of Birdland“ ein. Auf dem Highlight des
Albums, „Embraceable You“ wurde sie zwar nur von Piano, Bass und
Schalgzeug begleitet, aber Sarah Vaughan with Clifford Brown ist
dennoch eine Showcase beider Musiker und eines der ganz großen
Jazz-Alben der 50er – und übrigens eines, das NICHT von Norman
Granz produziert/initiiert worden war. Der Mann hinter diesem Album
war EmArcy Boss Bob Shad, der insbesondere mit Clifford Brown
gearbeitet hatte und der hier dem Trend zum reduzierten Vocal
JazzTribut zollte...
Helen
Merrill
s/t
(EmArcy,
1955)
...wie auf dem
Debütalbum der Sängerin Helen Merrill (geboren als Jelena Ana
Milcetic). Das könnte eigentlich auch mit dem Zusatz „with
Clifford Brown“ versehen werden, denn der unterstützt unter der
Ägide des jungen Quincy Jones hier das Instrumentale Backing und
spielt einige schöne Trompetensoli, ebenso wie der Jazz-Bassist/
Cellist Oscar Pettiford und der Gitarrist Barry Galbraith – was von
der Stimme der damals 25-jährigen (Ja, das Coverfoto hat mich auch
arg getäuscht) nicht ablenken soll. Helen Merrill's Stimme nämlich
ist auf einem Niveau mit Sarah, Billy und Anita. Leicht angeraut,
mühelos und gekonnt phrasierend und voller „Feeling“ ist diese
Sängerin sehr zu Unrecht heute noch weniger bekannt als die
Flaggschiffe des Vocal Jazz – was daran liegen mag, dass sie sich
zu Beginn der Siebziger nach Europa und nach Japan absetzte. Mitte
der Fünfziger jedenfalls hatte sie ein Händchen für die richtigen
Begleiter und ging mit den Vorlagen ganz mühelos um: Ob Uptempo
Nummern wie Cole Porter's „You'd Be So Nice to Come Home To“ oder
„Falling in Love with Love“ und „S'Wonderful“ – ob langsame
Nummern wie „Born to be Blue“, sie alle macht sie sich gekonnt zu
eigen. Und die musikalischen Begleiter machen das Album dann zu etwas
ganz Besonderem, wenn sie die Musik zwischen Hard Bop und Cool Jazz
changieren lassen. Noch ein ganz großes Album des Vocal Jazz – am
besten zusammen mit dem Nachfolger Helen Merrill with Strings
erwerben – das ist anders, ich würde sagen kitschiger, aber nicht
schlechter. Weitere Alben von ihr werden folgen, siehe Dream of You
von '56 ...
Dinah
Washington
For
Those in Love
(EmArcy,
1955)
Und
wieder das Label EmArcy vom Produzenten, Jazz-Liebhaber Bob Shad –
wieder eine bestimmte Art, das LP-Cover zu gestalten, wieder eine der
ganz großen Jazz-Sängerinnen. Dinah Washington hat, wie die beiden
vorher reviewten Sängerinnen, schon eine lange Karriere als Big Band
Sängerin, als Pop-Star ihrer Zeit, hatte sogar '51 mit Hank
Williams' „Cold Cold Heart“ einen Hit gehabt – einem
Country-Stück, was zu dieser Zeit für eine schwarze Künstlerin
sehr unüblich war. Und nun nahm sie ebenfalls mit kleiner Besetzung
mit For Those In Love (ohne Clifford Brown, dafür mit Clark Terry
übrigens...) eine Reihe von Standards auf. Sie
klingt wie eine etwas weniger ausgepowerte Billi Holiday, dadurch
vielleicht aber auch etwas weniger „bluesig“ und gefühlvolle,
weiss aber selbstverständlich mit ihrer Stimme und den Texten
umzugehen – und lässt auf diesem Album den Solisten erstaunlich
viel Platz, sich zu entfalten. Da ist Clark Terry's sanfte Trompete,
Paul Quinichette's an Lester Young geschultes Saxophon, Posauen und
Piano solieren geschmackvoll und der junge Quincy Jones – ein weiterer
Protege von Bob Shad – hat alles wunderbar arrangiert. Mit „This
Can't Be Love“ und „I Could Write a Book“ sind zwei echte
Highlights dabei, aber For Those in Love ist nicht das beste
Vocal-Jazz-Album seiner Tage, es ist eben „nur“ ein sehr gutes,
das ich hier erwähnen will...
Anita
O'Day
Anita
(Verve,
1955)
… mehr
beeindruckt hat mich da das erste Verve Album von Anita O'Day,
welches auch das erste Album auf dem von Norman Grantz gerade
gegründeten Label ist. Auch Anita O'Day war 1955 eine 37-jährige
Sängerin mit langjähriger Erfahrung in Swing und Big Bands mit Gene
Krupa oder Stan Kenton – und sie hatte via Drogen (Sie hatte '54
grde eine Gefängnisstrafe abgesessen...), Sex-Skandale (50er Style,
die waren also nach aussen noch recht „dezent“...) und durch
Alkohol-Exszesse schon einiges mitgemacht. Norman Granz hatte
anscheinend ein Faible für die gebrochenen Charaktere – siehe
Billie Holiday – und beschloss nun, O'Day - ähnlich wie Peggy Lee
oder eben jene Lady Day - ein Album zumindest teilweise mit kleinerer
Besetzung aufnehmen zu lassen. Dieses erste Album beim neuen Label
war für O'Day willkommener Anlass, ihren Stil dem zeitgenössischen
Jazz anzupassen. Teils wird ihr jazziger Gesang vom Buddy Bergman
Orchestra überpudert, was bei O'Day, die eine ziemlich „toughe“
Stimme hat, manchmal ein wenig unpassend klang. Sie hat eine gewisse
Schärfe in der Stimme, die ruhigere Stücken sehr herb klingen
lässt. Daher sind manche der Titel auf diesem sehr guten Album etwas
zu kalt und technisch für meinen Geschmack, aber Songs wie „A
Nightingale Sang In Berkeley Square“ sind perfekt, voller Rhythmus
und Feuer. This Is Anita ist ein großartiges Debüt und ein weiteres
Highlight im Vocal Jazz der 50er.
Julie
London
Julie
Is Her Name
(Liberty,
1955)
Julie
London wurde vom Billboard Magazin von 1955 bis 1957 als populärste
Jazz Sängerin genannt. Das mag zum Teil an ihrem Aussehen gelegen
haben (im 2. Weltkrieg war sie Pin-Up Girl gewesen), zum Teil auch an
ihrer Karriere als Schauspielerin, aber sie war in der Tat auch eine
ausgezeichnete Gesangs-Stilistin. Von sich selbst sagte die
erstaunlich schüchterne Musikerin: "It's only a thimbleful of a
voice, and I have to use it close to the microphone. But it is a kind
of oversmoked voice, and it automatically sounds intimate.“ - und
dem ist auch wenig hinzuzufügen. Ihr Debüt, unter der Ägide ihres
Ehemannes, des Jazz-Komponisten Bobby Troup („Route 66“) u.a. mit
Gitarrist Barney Kessel und Bassist Ray Leatherwood aufgenommen ist
eine außerordentlich zurückhaltende und geschmackvolle Jazz LP.
Highlights waren ihr größter Hit, "Cry Me a River" und
ihre mit rauchiger Stimme eher geflüstert- als gesungenen Versionen
von „I Should Care“, „Say It Isn't So“, „Easy Street“ und
„Gone with the Wind“. Aber das Cover allein macht dieses Album
schon zum 50ies-Collectors Item, und die Musik ist genau so und
mindestens so gut wie das Cover.
Frank
Sinatra
In
The Wee Small Hours
(Capitol.
1955)
Man
kann jetzt trefflich darüber streiten, ob Frank Sinatra ein
Vertreter des „Genre's“ Vocal Jazz ist, aber mir ist die
Genrebezeichnung für Sinatra's drittes Album bei Capitol egal. Er
war einer der ganz großen Vokal Stilisten und In the Wee Small Hours
– wieder arrangiert vom jungen Nelson Riddle – ist vielleicht
sein bestes (da gibt es als Kokurrenz nur noch Songs For Swinging
Lovers! und Frank Sinatra Sings For Only The Lonely ) und es ist in
vieler Hinsicht eines der wichtigsten Alben der Fünfziger.
Frankie-Boy hatte beschlossen immmer im Wechsel ein „Happy“ und
ein „Sad“ Album aufzunehmen, nach dem letztjährigen Swing Easy
war nun das dunkle Album dran – aber er hatte auch Anlass zur
Trauer: Seine Ehe mit Schauspielerin Ava Gardner war in die Brüche
gegangen und er war tief unglücklich – da kam die Idee, eine
konzeptuelle Abfolge von Songs aufzunehmen – sozusagen eine Nacht,
in der er seiner verlorenen Liebe nachtrauert zu vertonen – gerade
richtig. Das hieß aber auch, dass erstmals der Longplayer mit seinen
40 Minuten Spielzeit komplett genutz wurde, In the Wee Small Hours
kann man also nur komplett hören, es ist keine schnöde Abfolge von
mehr oder weniger gelungenen Songs, es gibt eine durchgehende
Stimmung, man sieht die Dunkelheit vor der Dämmerung in jedem Song.
Und Sinatra hatte natürlich die besten Vorlagengeber: Cole Porter,
Richard Rogers, Lorenz Hart etc, und er sagte später, beeinflusst
habe ihn insbesondere die von ihm verehrte Billie Holiday. Daher mag
es kommen , dass Sinatra hier nicht den coolen und maskulinen Angeber
gab, sondern verletzt und verletzlich klang, Echte Gefühle von
Trauer bis zu sehnsüchtigem Verlangen zeigte. Seine Version von
Hoagy Carmichael's „I Get Along Without You Very Well“ ist
herzergreifend, das Titelstück des Albums – extra hierfür
geschrieben - ist sogar noch besser, Nelson Riddle übertrifft sich
in seinen Arrangements selber, und auch wenn dieses Album für eine
Haltung steht, die bald als herzlich reaktionär gilt, sollte es
spätestens in der Postmoderne der 90er eine erstaunliche – und
berechtigte – Neubewertung erhalten. Letztlich sind die
Capitol-Alben Sinatra's heutzutage Kulturgut - mit allen Vor- und
Nachteilen
Clifford
Bropwn & Max Roach
Study
in Brown
(EmArcy,
1955)
Wäre
Clifford Brown nicht im Juni 1956 bei einem Autounfall mit gerade mal
25 Jahren umgekommen, so hätte er möglicherweise einen ebenso hohen
Stellenwert in der modernen Musik wie etwa Miles Davis. So kam er
„nur“ dazu, den Jazz in Form des BeBop weiterzutreiben. Bei
seinem Talent, seiner technischen Brillianz und seinem Interesse an
Neuerungen wäre er wohl so etwas wie ein Gegenpol zum weit weniger
„freundlichen“ Davis gewesen, zumal er Alkohol- und Drogenkonsum
im Gegensatz zu Davis völlig ablehnte. Seine
beste Platte zu benennen ist schwierig, weil eigentlich alle Alben,
die er mit Max Roach zu Lebzeiten aufnahm, hörenswert sind, und weil
er auch als Begleiter etwa Sarah Vaughan's oder Helen Merrill's
(Siehe weiter vorne..) Großes geleistet hat. Study in Brown –
ebenfalls mit Max Roach aufgenommen - ist schon allein wegen des
Klassikers „Cherokee“ hörenswert, auch Songs wie „Swingin'
oder „Sandu“ gehören zum Kanon der Jazz-Klassiker, das Quintett
aus Brown, Roach (dr), Harold Land (t.sax), George Morrow (b), und
Richie Powell (p) ist extrem eingespielt, und man hört hier einen
Trompeter, der tatsächlich Innovation aus Tradition erschafft. Ein
es der großen Alben des modernen Jazz.
Bill
Haley (and his Comets
Rock
Around the Clock
(Decca,
1955)
... OK, hier also die erste "LP" mit Rock'n'Roll. Bill
Haley gilt Manchen als erster Rock'n'Roll Star und als „Begründer“
einer Musik, die bald zum Massenphänomen werden sollte. Was
natürlich nie ganz klar entschieden werden kann, und so wohl auch nicht ganz
richtig ist. Er war mit dem Titelsong dieser Compilation allerdings
tatsächlich der erste Vertreter des Rock'n'Roll, der einen No.1 Hit
landete, aber wenn man zum Beispiel die Musik auf Rock Around the
Clock mit Elvis Debüt oder dem Debüt des Rock'n'Roll Trio von
Johnny Burnette vergleicht, klingt es reichlich zahm. Haley hatte
1955 schon fast zehn Jahre im Musikbusiness auf dem Buckel, er hatte
als Country-Musiker begonnen, hatte 1944 Kenny Roberts bei den
Downhomers ersetzt, war mit diversen Countrybands mindestens lokal
erfolgreich gewesen, hatte 1951 schon mit „Rocket 88“ einen
Vorläufer des Rock'n'Roll erfolgreich ins Rennen geschickt und mit
„Rock Around the Clock“ eigentlich nur das fortgesetzt, was ihm
Spaß machte: Country in einer flotteren, sexuell aufgeladeneren
Variante als üblich zu spielen. Die anderen Tracks auf der
Original-EP waren genau das: Country mit höllisch schnellem Rhythmus
– man kann es eben auch Rock'n'Roll nennen - aber wirklich los ging es dann erst im folgenden Jahr - auch wenn es '55 - wie ganz oben gesagt - schon etliche Singles der jungen Wilden gab.
Hank
Williams
Ramblin'
Man
(MGM,
Rel. 1955)
Wie
an anderer Stelle schon gesagt: Hank Williams ist zum Einen seit dem
1.Januar '53 tot, und seine Bedeutung für die Country-Musik íst bis
heute nicht zu überschätzen. Er hat in seiner kurzen Karriere zu
Lebzeiten ein einziges „Album“ - in diesem Falle eine 10'' –
veröffentlicht. Sein musikalischer Output besteht aus Singles, den
Erfolg baut er mit den damals üblichen Radioauftritten und mit
Konzerten auf. Die Vermarktung seiner Songs im längeren Vinyl-Format
beginnt erst nach seinemTod. Und sie hält bis heute an. Die Anzahl
von mehr oder weniger gelungenen Compilations ist Legion, es gibt ein
paar logische und gelungene Best-Of Zusammenstellungen, empfohlen
seien die 40 Greatest Hits von 1978, da ist alles drauf, was seinen
Ruhm bis heute begründet, und für Wahnsinnige gibt es natürlich
die Box The Complete Hank Williams von '98. Aber die ist erstens
teuer und zweitens viel zu lang. Sehr schön sind dann solche
Re-Issues mit den gezeichneten Covermotiven von dazumal, inzwischen
oft ergänzt um ein paar Tracks aus zeutgleich stattgefundenen
Sessions. „Ramblin' Man“ war so etwas wie ein signature tune für
Williams, 1951 als Single einer der ersten wirklich großen Hits des
damals 27-jährigen. Einer der wenigen in Moll gefassten, mehr
gesungenen als gesprochenen Story-Songs, der in unnachahmlich
poetischen Worten die klassische Geschichte vom ruhelosen Wanderer
erzählt, den es an keinem Ort hält. Zunächst wurde „Ramblin'
Man“ mit drei weiteren Songs als 7'' veröffentlicht, dann - schon
'55 - auf zwölf Songs zur LP aufgestockt. Logisch, dass die
ergänzten Songs sich ebenfalls um den heimatlosen Cowboy drehen,
logisch, dass da dann wieder ein paar absolut zeitlose Tracks dabei
sind: „Lonesome Whistle“, „My Son Calls Another Man Daddy“,
„Nobody's Lonesome for Me“ und „I Can't Help It (If I'm Still
in Love With You)“ sind Kulturgut. Heutzutage gibt es Ramblin' Man
mit völlig anderem Tracklisting aber gleichen Sleeve-Design als
schicke 180g LP. Museumswärter mögen das veränderte Tracklistng
beklagen, mir ist es egal, ich denke, man kann sich eine der guten
Compilations als CD kaufen und dann die Vinyl-Versionen wegen der
angenehm kurzen Laufzeit von maximal 35 Minuten erwerben und hören.
Hank Williams hat etliche Theme-Songs geschrieben, die ein
vergleichbares Konzept haben, aber die waren nicht für das LP Format
gedacht. Wenn man also heute eine LP zuammenstellt, hat man die freie
Wahl unter über 100 Songs. Das war auch '55 so, das gilt heute noch.
Somit seien diese LP sowie Hank Williams Sings, I Saw the Light und
Honky Tonk auf Vinyl empfohlen. Alles LP's mit klassischem Cover und
klassischen Songs.
Ein
paar Worte über "das Album" und den Vocal Jazz.
Es
gibt immer wieder parallele Entwicklungen in der Geschichte der
populären Musik – so wie es in jedem anderen Bereich der
Geschichte ist: So war Mitte der 50er eine junge Generation von
Hörern herangewachsen. Menschen, die den Krieg nicht bewusst
mitgemacht hatten, die ein sorgenfreieres Leben gehabt hatten als
ihre Eltern - die zwar in den Jahren des 2. Weltkrieges geboren
waren, aber zu jung gewesen waren, um ihn zu erleiden. Diese
Generation wollte mehr Spaß, musste sich nicht von erlittenen
Strapazen erholen, diese Generation wollte sich abgrenzen, sie
wollten Rock'n'Roll, und würde ihn sehr bald bekommen. Zu jener Zeit
wurde auch Jazz zu Kunst, die teuren Big Bands verließen die
Konzerthallen und es wurde in kleineren Besetzungen in Clubs gespielt
– was auch wieder ein junges Publikum anzog, das vielleicht nicht
ganz so juvenil war wie die Fans des Rock'n'Roll, das aber auch
Veränderung spürte und wollte. Gleichzeitig bekam das „Album“
(… welches so hieß, weil man zunächst ein paar 7'' oder 10'' in
Buchform verpackt...) als Medium allmählich Bedeutung. Zunächst war
das 12'' Format der Klassik vorbehalten und wurde meist von
Erwachsenen gekauft, die sich das leisten konnten. Aber
Jazz-Impressarios wie Norman Grantz und Bob Shad und Musiker wie
Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, oder Sarah Vaughan, Julie London,
Anita O'Day etc... nutzten mit der Zeit das LP-Format, um Songzyklen
– mitunter im nun angesagten kleinen Bandformat – zu präsentieren
um damit besagtes junges Publikum zu erreichen. Sie boten
das, was ich hier Vocal-Jazz nenne. Die meisten dieser Sänger/innen
hatten schon lange Erfahrung in größeren Orchestern gesammelt und
waren nun vielleicht auch selber auf der Suche nach Veränderungen.
Sie spürten, dass sich die Zeiten geändert hatten – und ließen sich auf einen neuen Stil ein. Vocal-Jazz hatte seine
Zeit Mitte bis Ende der Fünfziger und galt dann lange als unmodern.
Ein bisschen schade, aber Trends kehren wieder, in den Neunzigern
waren dann Musikerinnen wie Cassandra Wilson oder Norah Jones wieder
mit vergleichbarem Konzept erfolgreich. Ich denke, wenn man sich auf
dieses Zeug aus den Fünfzigern einlässt, kann man sehr „coole“
Musik und ein paar fantastische Stimmen entdecken. ..... Und noch was
anderes: Dass sich zur damaligen Zeit das Repertoir der Musiker/innen
in solchem Maße überschnitt, hat seine Gründe. Zum Einen waren die
wenigsten Sänger/innen selber Songwriter, es war sogar so, dass
Songwriter eine eigene Profession war, die das "Ausführen"
des Materials nicht beinhaltete, und dann muss man bedenken, dass
Mitte der Fünfziger der Erwerb von Musik in Albumform eher ein
Ereignis als Normalfall gewesen sein muss. Musik in dieser Form war
ein Luxusgut – Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk etwa – und
wer sich ein Album von Sarah Vaughn kaufte, hat sich nicht direkt
noch das neue Album von Helen Merrill und Anita O'Day gekauft. Die
Überschneidungen im Material fielen wohl kaum auf. Musik als Luxus.
Heute unvorstellbar...
1954 endet
der Indochina-Krieg mit der Niederlage der Französischen Truppen bei
Điện Biên Phủ. Bei der folgenden Indochina-Konferenz in Genf
wird Vietnam von den Großmächten USA, UdSSR und China in einen
(kommunistischen) Nord- und einen „demokratischen“ Südteil
unterteilt. Damit ist die Saat für den Vietnam-Krieg der 60er/70er
ausgebracht. Zugleich beginnt ein blutiger Kolonialkrieg in Algerien,
in dem die FLN brutal gegen die französischen Besatzer und das
eigene Volk vorgeht – soweit es ansatzweise mit den Franzosen
sympathisiert. Viele ehemalige Kolonien wollen sich in diesen Jahren
von den Kolonialmächten lösen. Derweil wird in den USA die
Rassentrennung in Schulen verboten – offiziell jedenfalls – aber
die Trennlinien zwischen Schwarz und Weiss sind nach wie vor scharf
gezogen und die Gesellschaft ist noch weit von Gleichberechtigung
entfernt (… und das hat sich bis heute nur graduell geändert). Mit
dem Communist Control Act erreicht derweil die McCarthy Ära ihren
Höhepunkt - Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei wird
darin kriminalisiert. Der erste Burger-King nimmt in den USA den
Betrieb auf und der erste Farbfernseher kommt auf den Markt – und
das erste Atomkraftwerk wird in der UdSSR in Betrieb genommen. Der 11.
April 1954 soll später von Wissenschaftlern als der langweiligste
und ereignisloseste Tag des Jahrhunderts ermittel werden. 1954 ist
das Geburtsjahr von Elvis Costello, Pat Metheney und Stevie Ray
Vaughan. Das Buch Der Herr der Ringe von JRR Tolkien wird
veröffentlicht. Ein junger Mann namens Elvis Presley nimmt in den
Sun Studios in Memphis, Tennessee den Blues-Song „That's Alright“
auf und beginnt seine Karriere als Musiker. Bill Haley nimmt „Rock
Around the Clock“ auf, einen Song, der als eine der
Initialzündungen für den Rock'n'Roll gilt. Aber es sind Singles,
die diese neue Musik transportieren - keine LP's. Dieses Format ist
klassischer musik vorbehalten und in der populären Musik oder im
Jazz noch sehr unüblich. Erstmals wird für eine Show der Begriff
Rock'n'Roll verwendet – er steht übrigens für die Begeisterung
bei spirituellen Messen in den Kirchen der Schwarzen – und für
Sex. Noch sind die Stars am Musikhimmel Leute wie Doris Day, Perry
Como, Eddie Fisher und Frank Sinatra. Auch der sog. DooWop von heute
vergessenen Acts wie den Penguins oder den Moonglows ist ein
populärer Stil – in dem ebenfalls die 45'' das gewählte Format
ist und im Blues sind es Singles wie „Hoochie-Coochie Man“ von
Muddy Waters, die Erfolg haben – die dann in ein paar Jahren auf
Compilations im LP-Format auftauchen werden. Im Jazz sind es die hier
erwähnten Alben – meist noch 10''es - die wirklich interessant
sind, und die auch erst später auf LP-Länge erweitert werden.
Clifford
Brown & Max Roach
s/t
(EmArcy,
1954)
Dass
sich der aufstrebende Trompeter Clifford Brown und Max Roach -
Schlagzeuger bei etlichen Sessions solcher Größen wie Monk oder
Charlie Parker - zusammentaten, ließ bei den progressiven Jazzfans
seinerzeit wohl den Puls höher schlagen. Und tatsächlich sollte
ihre Zusammenarbeit sich als wegweisend für den BeBop erweisen.
Clifford Brown and Max Roach enthält nicht nur Jazz auf höchstem
technischem Niveau, es sprüht auch -bis heute erkennbar - vor
Inspiration. Browns Trompetenklang ist warm und unverkennbar, Roach
spielt schnell, mühelos und einfallsreich. Der auf dem Cover nicht
genannte Saxophonist Harold Lane gibt mal den Charlie Parker, mal den
Benny Goodman, klingt mal angenehm und schmeichelnd, dann beim
verführerischen „Deliah“ expressiv und wild bei „The Blues
Walk“ oder „Parisian Thoroughfare“ bei dem er mit Brown
atemberaubende Unisono-Passagen in reinem New York Jazz-Club-Style
spielt. Hier wird perfekt die Balance zwischen schnellem HardBop und
ruhigen Balladen gehalten. Dieses Album bietet Bop in bester und
reinster Form und es ist eben nicht nur deshalb von Interesse, weil
Clifford Brown tragischerweise ein Jahr später bei einem Autounfall
ums Leben. Der weder Alkohol noch Drogen konsumierende Brown wäre
einer der ganz Großen geworden und er wäre eine ernsthafte
Konkurrenz für den '54 noch tief in seiner Drogensucht steckenden Miles Davis
geworden.
Louis
Armstrong
Louis
Armstrong Plays W.C.
Handy
(Columbia,
1954)
Louis
Armstrong entstammte einer älteren Generation und war in den 50ern eine Institution, seine
Art Jazz war nicht mit der Musik von Charlie Parker oder Monk zu
vergleichen. ...Plays W.C. Handy ist insofern eher ein Album mit
Musik, die so altertümlich ist wie viele der Songs auf der Anthology
of American Folk Music.. Tatsache ist dass der Autor aller elf Songs
dieser LP (die tatsächlich als 12'' erschien!) 1954 schon über 80 Jahre alt
und blind war. W.C. Handy hatte den Blues in den 20ern populär
gemacht und war selbst für den über 50-jährigen Armstrong so etwas
wie eine Vaterfigur. Für dieses Album arbeitete Armstrong mit seinen
All-Stars (Trombonist Trummy Young, Klarinettist Barney Bigard,
Pianist Billy Kyle, Bassist Arvell Shaw, Drummer Barrett Deems, und
Sängerin Velma Middleton), sang auf seine unnachahmliche Weise selber einige der Titel ein und improvisierte auf jedem der Songs
nach Herzenslust. Das gesamte Album ist ungeheuer rhythmisch und
atmet eine Liebe und Begeisterung, die das Alter der Musiker Lügen
straft. Höhepunkt ist das fast neun-minütige „St.Louis Blues“
mit seinem fantastischen Trombone-Solo. Also: Dieses Album ist völlig
Old-School, nur der Klang ist ein moderner, aber so kann diese
Form von Jazz für mich Modernisten funktionieren.
Chet
Baker
Chet
Baker Sings
(Pacicfic
Jazz, 1954)
Es
ist eine berechtigte Frage, ob Chet Baker ein Trompeter war, der auch
sang, oder umgekehrt. Als der gerade mal 24-jährige aus Kalifornien
auf diesem Album seine Gesangskarriere begann, war dieser Gesang
mindestens so revolutionär wie das delikate Trompetenspiel. Baker
war Autodidakt und konnte keine Noten lesen, (Daher gibt es kaum
Eigenkompositionen von ihm) in Beidem hatte er einen klaren, gänzlich
vibratofreien Ton, in Beidem klang er leicht und elegant wie kaum ein
Musiker zuvor – so rein, dass sein Jazz immer seltsam feminin
Klang. Seine erste Vocal-Sessions aus dem Februar '54 haben eine
ergreifende Unschuld, sind adoleszent und ein bisschen unperfekt -
und begründeten seine Ruhm als Sänger. Die bekanntere Version
dieses als 10'' veröffentlichten Albums ist sicher die 1956 um sechs
Tracks erweiterte LP-Version, aber egal welches Album man hört –
diese Aufnahmen klingen wie Milch und Schokolade, was auch am etwas
süßlichen Material liegen mag. Songs wie Frank Loesser's „I've
Never Been in Love Before“ und Donaldson/Kahn's „My Buddy“, die
früher aufgenommene und definitive Version von „My Funny
Valentine“, all das mit sparsamer Begleitung aus Piano, Bass und
Drums sowie Baker's sinnlichem Trompetenspiel machen Chet Baker Sings
zu einem Klassiker des West Coast Cool Jazz und des Vocal Jazz
zugleich.
Frank
Sinatra
Songs
for Young Lovers
(Capitol,
1954)
Im
Jahr 1954 war Sinatra – da schon 40 Jahre alt - zu Capitol gewechselt
und mit diesem inzwischen siebten Album begann seine musikalisch
reichste und interessanteste Zeit. Mit dem Alter und der Erfahrung
hatte seine Stimme eine Reife und lässige Klasse, die ihn zu einem
der größten Stilisten und Sänger in der populären Musik machen
sollte. Songs for Young Lovers ist schon deshalb interessant, weil es
als das erste Konzept-Album in der populären Musik gilt. Die
Produzenten wollten das Format des Tonträgers mit (auf der 10'')
acht Songs für mehr als nur eine Aneinanderreihung von Songs nutzen.
Sinatra arbeitete erstmals mit Arrangeur Nelson Riddle zusammen,
wobei der die Arrangements von Sinatras Night-Club-Auftritten nur ein
bisschen erweiterte. Die
Songauswahl ist – wie bei Sinatra in den kommenden Jaher üblich -
vom Allerfeinsten: die Songs entstammen dem American Songbook, sind
u.a. von Cole Porter, Gershwin oder Hart/Rodgers, es gibt eine
Version von „I Get a Kick Out Of You“, noch mit der Kokain-Zeile
("...I Get no Kicks from Cocaine..." - also
wirklich...), es gibt eine klassische Version von
„My Funny Valentine“ mit kleinem Orchester und die wunderbaren
Klassiker „A Foggy Day“ und „They Can't Take That Away From
Me“. Die Atmosphäre ist relaxed und romantisch und die Standards
die hier geboten wurden, mag es in anderen Versionen von anderen
Musikern -insbesondere von den famosen Vocal-Jazz Sängerinnen der
kommenden Jahre geben - aber Sinatra singt sie mit der
unnachahmlichen Lässigkeit, die sie so eigenständig machen. Und das
hier war erst der Beginn: Sinatra sollte in den kommenden Jahren der
50er noch um Einiges besser werden.
Billie
Holiday
s/t
(Clef,
1954)
Billie
Holiday hatte 1953 kein einziges Mal ein Studio betreten, nur
Live-Auftritte gehabt und ihr weiter oben erwähntes Live Album An
Evening With Billie Holiday aufgenommen. 1954 ging sie dann endlich
auf Betreiben von Norman Granz wieder ins Studio und nahm zwei ihrer
frühen Erfolge aus den 30ern neu auf. „What a Little Moonlight
Can Do“ und „I Cried for You“ hatte sie damals, zu Beginn ihrer
Karriere mit dem Teddy Wilson Orchestra aufgenommen, die neuen
Aufnahmen nun waren zugleich sparsamer und gingen tiefer. Das
Downbeat Jazz Magazin jedenfalls war begeistert, dankte dem Herrn und
Mr Grantz jeweils für beide Versionen und pries Holidays Gefühl und
Rhythmus, nannte sie eines der „seven wonders of jazz“. Das
Personal der neuen Tracks entsprach dem ihrer Live Auftritte mit Ray
Brown, Barney Kessel, Oscar Peterson und einem weniger bekannten
Saxophonisten und Trompeter. Die Musik..., wie schon zum Vorgänger,
dem Live Album An Evening With Billie Holiday gesagt: Es ist Vocal
Jazz mit der Tiefe des Blues, anders als all die anderen Sängerinnen
dieser Zeit, ob Ella Fitzgerald, Peggy Lee oder Sarah Vaughn, sie war
ihnen allen voraus – an Lebenserfahrung und Leid, genauso wie an
Technik und Gefühl. Billie Holiday ist singulär, sie wäre auch
heute ein Phänomen und ihre Musik ist letztlich zeitlos geblieben -
und es lohnt sich in höchstem Maße ihre Musik – insbesondere
eben diese späten Aufnahmen - zu hören.
Wer
ist Norman Granz ?
Hier
ein paar Worte über einen Mann, der nicht als Musiker, sondern als
Impressario, Produzent und Visionär die Musik der Fünfziger –
insbesondere den (Vocal)-Jazz geformt hat: Norman Granz war für die
Entwicklung des Jazz in den Fünfzigern mindestens genau so wichtig
wie der etwas jüngere All Star Produzent Rudy Van Gelder. Er war als
Fan in die Jazz-Szene gekommen, war als einer der ersten mit dem
Konzept organisierter Live-Events erfolgreich – mit
Konzert-Tourneen unter dem Namen „Jazz at the Philharmonic“ bei
denen er eine Art Großfamilie von (insbesondere schwarzen)
Jazzmusikern um sich versammelte, die durch seine fairen
Geschäftsgebaren sogar Geld verdienten. JATP funktionierte ohne
teure Big Band im Hintergrund, die Musiker traten in kleinen Combo's
auf und versammelten sich zur Improvisation – ein modernes Konzept.
Er forderte vom Publikum die gleiche Ruhe und den gleichen Respekt
wie bei Konzerten mit klassischer Musik,.... Er war derjenige, der
1955 das Jazz Label Verve gründete (auf dem ganz nebenbei 1967 The
Velvet Underground & Nico erscheinen würde), er hatte schon
Mitte der Vierziger Clef Records gegründet, 1953 mit Norgran ein
weiteres Label für modernen Jazz aufgebaut, und er war derjenige,
der Billie Holiday aus der (erzwungenen) Untätigkeit holte, mit ihr
und einer kleinen Besetzung diverse Live- und auch Studio-Alben
produzierte. Die moderne Form des „Albums“ mit der längeren
Spielzeit passte ihm dafür ganz hervorragend ins Konzept. Als
Produzent nahm er mit Allen auf, die Jazz in der uns bekannten Form
entwickelt hatten und die die kommenden Jahre im Jazz bestimmen
würden. Charlie Parker, Dizzie Gillespie, Louis Armstrong, Oscar
Peterson... – oder Sängerinnen wie Anita O'Day, Blossom Dearie und
er nahm mit Ella Fitzgerald ab 1955 die großartigen Songbook's mit
Kompositionen namhafter amerikanischer Songwriter wie Cole Porter,
Rogers & Hart oder Duke Ellington auf. Dabei war er selber wie
angedeutet kein Musiker, aber er hatte wohl ein feines Ohr für die
Zwischentöne im Jazz, er war als Sohn jüdischer Immigranten ein
entschiedener Anti-Rassist, ließ Konzerte absagen, bei denen
Afro-Amerikaner und weisse Amerikaner im Publikum getrennt sitzen
sollten, verlangte Gleichbehandlung vor und hinter der Bühne und
forderte gleiche Bezahlung für schwarze wie weisse Musiker – was
damals unüblich, skandalös und sogar gefährlich war – all das
auch auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten. Er war mit etlichen
der oben genannten Musiker befreundet, Oscar Peterson benannte sogar
einen seiner Söhne nach ihm, und er war mit Pablo Picasso
befreundet, nach dem er in den Siebzigern auch ein weiteres selbst
gegründetes Jazz-Label benannte. Ende der Fünfziger verkaufte Granz
Verve an MGM und wanderte nach Genf aus – vermutlich auch weil ihn
die Intoleranz innerhalb der amerikanischen Gesellschaft frustrierte.
Aber er blieb als Impressrio und Label Chef bis ins hohe Alter tätig.
Die (für mich) wichtigste und interessanteste Phase seiner Karriere
beginnt in den frühen Fünfzigern. Er ist für mich insbesondere der
Pate des Vocal-Jazz.