Montag, 29. Mai 2017

1973 - Gram Parsons über The Seldom Scene bis zu Jerry Lee Lewis - Cosmic American Music und Hippie-Cowboys

Insbesondere hier in Deutschland und mit einem Abstand von Jahrzehnten mögen die Unterschiede zwischen Country, Outlaw Country und Cosmic American Music verwischen, die Alben dieser „Genre's“ können mitunter verdammt ähnlich klingen, aber Unterschiede in Stil und Haltung (= Lyrics) sind da, und sie gelten sogar bis heute. Vereinfacht kann man sagen, Country war und ist konservativ, wurde Ende der Sechziger/ Beginn der Siebziger von den Hippies nicht gemocht, gar verachtet, aber es gab Musiker wie Gram Parsons (der den Begriff Cosmic American Music erst ins Spiel gebracht hat...) oder Michael Nesmith, die diese Musik kannten, die Hank Williams und George Jones sogar verehrten, die die altehrwürdigen Traditionen dieser ur-amerikanischen Musik genauso mit Bewunderung betrachteten, wie die Appalachian-Folk Musik oder der Blues der 30er Jahren von der Folk-Szene um Joan Baez, Judy Collins und Bob Dylan Jahre zuvor bewundert und imitiert worden war. Diese junge Generation von Musikern wollten nicht, dass die Oligarchen in Nashville Countrymusik für sich vereinnahmte und sie wollten die Drogen und die musikalische Freiheit, die die amerikanische Gegenkultur zelebrierte, dabei haben. So gibt in den Jahren zu Beginn der Siebziger eine Vielzahl von Musikern, die Songwriting knapp an den Grenzen zur Country-Musik betreiben . Die - einfach gesagt - das Instrumentarium, die Stilelemente und die Bilder dieser ur-amerikanischen Kunstform benutzen, um eine neue, vom Geist der Hippies und/oder vom Folk durchzogene meinetwegen auch „kosmische“ amerikanische Musik zu machen. Dass diese Musik mit allen möglichen Begriffen bezeichnet werden kann, dass die Songs von John Prine oder Gene Clark durchaus auch als Singer/Songwriter Material bezeichnet werden können, zeigt wie durchlässig, unwichtig und unklar Stilbezeichnungen sind. Aber ich habe die Überschrift Cosmic American Music bewusst gewählt - sie passt, weil Gram Parsons' GP eines der ganz wichtigen Alben dieser Zeit ist, und ich versammle hier unten etliche andere Alben, die der heutige Freund von „Americana“ mögen könnte. Und - um auf den Artikel über Outlaw Country einzugehen - dass Musiker wie Willie Nelson und Waylon Jennings sich von der anderen Seite dieser jungen Gegenkultur annäherten war kein Zufall. Aber in dieser Zeit waren die Grenzen noch klar gezogen - und es gibt bis heute noch einen eher weltanschaulichen Unterschied zwischen Country und Americana, dabei sind sich beide Musikformen doch so ähnlich....

Gram Parsons

GP


(Reprise, 1973)

Mit der International Submarine Band hatte Gram Parsons schon 1968 Country und Rock gepaart – wobei er schon damals näher an Country gewesen war, als alle anderen. Mit den Byrds kam auf dem wunderbaren Album Sweetheart of the Rodeo ein Quentchen Psychedelik dazu, mit den Flying Burrito Brothers wurde seine Melange aus Country und Rock noch schmackhafter, er beeinflusste die Stones, brachte ihnen Country bei, erweiterte so ihr stilistisches Spektrum für ihr Meisterstück Exile on Main Street und bekam im Gegenzug eine Heroin-Abhängigkeit verpasst, die die Burrito's veranlasste ihn rauszuwerfen. Nach einer halbherzigen Rehabilitation und einem Aufenthalt in England, bei dem er Rick Grech (Bassist bei Blind Faith etc.) wiedertraf, der ihn nun produzieren wollte, bekam er von Warner die Chance mit diversen Spitzenmusikern (u.a. Elvis' Backing Band mit James Burton und Glen D. Hardin) seine Vision von Country-Rock als Solokünstler zu verwirklichen. Und GP ist in genau dieser Hinsicht perfekt. Es sind nicht nur die fantastischen Musiker, er hatte mit der zuvor wenig erfolgreichen Folk-Sängerin Emmylou Harris eine kongeniale Gesangspartnerin entdeckt, die seiner unsicheren Stimme die nötige pure Schönheit entgegensetzte. Die Harmonies bei Songs wie „We'll Sweep out the Ashes in the Morning“ oder „That's All It Took“ sind fast schmerzhaft schön, Emmylou stellt ihre klare Stimme neben seinen brüchigen Gesang und etablierte sich sofort als eine der besten Stimmen des Country. Tearjerker stehen neben Uptempo Dance-Tunes, mit „She“ und „A Song for You“ schrammt er – wie es sich ja auch gehört - nah am Kitsch vorbei, ohne dabei an Stil zu verlieren, es gibt diverse Coverversionen wie das von Tompall Glaser (siehe Outlaw Country '73) geschrieben „Streets of Baltimore“, die sich perfekt in das Gesamtkonzept einpassen. GP ist von Glen D. Hardin im Stil der Country-Musik der 50er und 60er Jahre arrangierte, und es verkaufte sich seinerzeit nicht sonderlich gut, was Parsons Selbstbewußtsein ziemlich belastete, aber es sollte weit in die Zukunft weisen und beeinflusste neben den Stones in späteren Jahren auch Musiker wie Elvis Costello oder Ryan Adams, mal ganz abgesehen von all den „Americana“ Bands der 90er. Er „erfand“ diese neue Art der Countrymusik, die er bewusst so nicht nannte: In seiner Idealvorstellung spielte eine Soulband aus den Südstaaten Gospelmusik auf einer Steel Guitar – und das war seine Cosmic American Music. Diese Vision konnte er selber allerdings dank seines Akohol- Kokain und Heroinkonsumes nicht mehr weiterverfolgen. Gram Parsons schaffte noch ein weiteres Album, ehe seine Drogensucht ihn noch in diesem Jahr umbrachte. Den '74er Release des Nachfolgealbums Grievous Angel erlebte er nicht mehr. 

John Prine

Sweet Revenge


(Atlantic, 1973)

John Prine's Debüt ist eines der besten Singer/Songwriter Alben der beginnenden 70er (durchaus mit den hier hin passenden Country-Elementen). Seine hohe Reputation als großartiger Erzähler hatte er also schon seit diesem Album, und vielleicht weil das Debüt so beeindruckend war – und das zweite Album gegen alle Erwartungen eine ziemlich spartanisch Angelegenheit - hielten ihn manche für einen Frühvollendeten – von dem nicht mehr viel kommen würde. Aber Sweet Revenge, Prines drittes Album, ist nahezu auf Augenhöhe mit dem Debüt. Es ist lauter, schneller und zynischer als das zweite Album, voller rowdy Country-Rocker, an Rock'n' Roll orientiert, produziert diesmal von Stax-Haus Gitarrist Steve Cropper, mit Titeln die mehr auf Mainstream-Erfolg zu zielen scheinen. Natürlich konnte Prine immer noch Balladen, aber der Grundton war immer noch zu zynisch für wahre Sentimentalität. Und auch wenn Sweet Revenge nicht so konsistent ist wie John Prine sind auch hier mit (unter anderem) „Please Don't Bury Me“, „Christmas in Prison“ oder „Blue Umbrella“ etliche Songs dabei, die von anderen Musikern gerne gecovert wurden und die in Prine's beeindruckende Reihe von großen Songs passen..

Mary McCaslin

Way Out West


(Philo, 1973)

Geboren in Indiana, war die Singer/ Songwriterin und Gitarristin Mary McCaslin in jungen Jahren mit ihrer Familie nach Süd-Kalifornien gezogen und hatte sich dort von Westernfilmen und den Cowboy-Songs eines Marty Robbins sowie der Laurel Canyon-Folk Innovatorin Joni Mitchell inspirieren lassen und 1969 ein erstes Album aufgenommen. Ihre ganz eigene Stimme entwickelte sie jedoch erst richtig auf ihrem Debüt bei Philo – einem Label, das das Motto: „We encourage the artist to assume full creative control of his or her album.“ tatsächlich bis heute ernst meint. Der Titelsong des Debüts wurde zu Mary McCaslin's Signature Tune. „Way Out West“ ist ein sehnsüchtiger Song, der die Weite der Prärie auf erstaunlich unkitschige Weise darstellt, gesungen mit hoher, klarer Stimme, dezent arrangiert, mehr in Folk verwurzelt als in Country. Eine Rezeptur die sie mit erfreulichen Ergebnissen beibehalten sollte - Ihre folgenden beiden Alben für Philo sind auf jeden Fall ebenfalls schätzenswert. McCaslin blieb zwar ungerechterweise vollkommen unbekannt, aber diese Zeilen sollen ja gerade Musiker wie sie in Erinnerung rufen. Auf Way Out West coverte sie noch sehr schön Randy Newman's „Living Without You“ und dann ist da auch noch ihr vielleicht bekanntester Song, der „San Bernardino Waltz“ und das schöne „Circle of Friends“.... aber das sind nur ein paar Highlights unter einem Haufen von hervorragendem Material. McCaslin tat sich alsbald mit dem Hallodri und Country-Sänger Jim Ringer zusammen (und heiratete ihn..) und verlegte sich fast komplett auf's covern von Songs – aber mindestend das folgende Album Prairie in the Sky zeigt, was für ein Talent sie hatte.

Michael Nesmith

Pretty Much Your Standard Ranch Stash


(RCA, 1973)

Sein vorheriges Album And the Hits Just Keep on Comin' hatte Michael Nesmith nur mit Pedal Steel-As Red Rhodes aufgenommen. Für Pretty Much Your Standard Ranch Stash holte er sich wieder den vollen Sound einer Band. Aber das vorherige Album hatte ihn wohl an das bekannte und immer kluge Motto „Weniger ist Mehr“ erinnert und trotz einer Besetzung mit sechs Musikern hielt der Ex-Monkee die Arrangements hier wohltuend zurückhaltend und tight. Ja, manchmal klang die Band hinter ihm wieder so unmittelbar und frisch wie die First National Band auf seinen ersten drei Alben (die '70 schon diese Musik gemacht hatten und damit einem Trend weit vorgegriffen hatten...). Star des Ensembles war natürlich wieder Steeler Red Rhodes, aber der Rest der Band – insbesondere die Gitarren von Jay Lacy und Dr. Robert Warford sowie das solide Drumming von Danny Lane wußte zu überzeugen. Nesmith hatte mit „Winonah“ einen seiner besten und reinsten Country Songs dabei, mit „Some of Shelly's Blues“ eine Reminiszenz an seine Tage bei den Monkees und mit „Back Porch and a Fruit Jar Full of Iced Tea“ ein tief in Bluegrass getauchtes Medley. Leider verkaufte sich auch dieses letzte Album für RCA trotz all seiner Qualitäten kaum, vielleicht stand Nesmith sein Ruf als Ex-Monkee im Weg. Heute lohnt es sich auf jeden Fall diese Cosmic American Music zu hören.

Michael Murphy

Cosmic Cowboy Souvenir


(A&M, 1973)

Dass in desem Jahr ein Album mit dem Titel „Cosmic Cowboy“ auftaucht ist natürlich wunderbar für diesen Artikel. Aber Cosmic Cowboy Souvenir will ich nicht nur wegen des Titels erwähnen oder empfehlen. Es ist ein wundervolles Singer/ Songwriter Album mit starken Country-Einflüssen, eines, das sich neben den Alben von McCaslin, Nesmith oder Prine nicht verstecken muss. Michael Martin Murphy hatte im Vorjahr mit Geronimo's Cadillac (… dass ein deutscher „Musiker“ diesen Titel Jahre später ebenfalls verwendete, ist nicht seine Schuld...) einen veritablen Hit gehabt und seine Art, Countryelemente in der Musik mit modernem Songwriting und kontemplativen Lyrics zu verbinden setzte ihn zwischen alle Stühle. Eine Position, die er wohl gerne einnahm. Und auf dem Debüt und diesem zweiten Album machte er auch alles richtig. Die Songs sind teils wunderschön, der Quasi-Titelsong und der "South Canadian River Song" haben genau die notwendige Einfachheit, die sie vor Kitsch bewahren, er hält sich klug von allzu traditionellen Themen und Arrangements fern – nennt sich schließlich selber einen „non-traditional“– Country-Musician. Und das Album funktioniert durch das gleichbleibend hohe Niveau der Songs als Ganzes - „Alleys of Austin“, „Prometheus Busted“ oder „Drunken Lady of the Morning“ sind nicht schwächer als die Highlights des Albums und sind bei aller Romantik auch noch erfreulich unkonventionell. Die sentimentale Tiefgründigkeit der Texte mag bald zur Pose geworden sein, aber Cosmic Cowboy Souvenir ist ein extrem gelungenes Beispiel dafür, was man mit Countrymusik machen kann, wenn man sich von den Limitierungen traditioneller Rezepte nicht beschränken lässt.

Gene Parsons

Kindling


(Warner Bros., 1973)

...und Nein: Gene Und Gram sind nicht verwandt, allerding spielten beide bei den Byrds, Gram als Songwriter und prägendes Mitglied für ein Album (Sweetheart of the Rodeo) und Gene als Drummer und Songwriter über vier ihrer späteren Alben - in der Zeit als die Byrds mit McGuinn, Skip Battin und Clarence White ihr bei weitem bestes Live-Lineup hatten und mit (Untitled) - (siehe 1970) ein hervorragendes Dokument ihrer Stärke veröffentlichten. Gene indes war mehr als nur Takthalter und als McGuinn ihn schließlich feuerte kam das Angebot von Produzent Russ Titelman ein Solo Album zu machen gerade Recht,. Gene war Multi-Instrumentalist, hatte gemeinsam mit seinem früheren Bandpartner Clarence White eine Art des „String Bendings“ erfunden, hatte ausreichend Kontakte zu einigen der besten Musiker und auch ein paar eigene Songs für Kindling beisammen. Dazu spielte er noch eine feine Version von Little Feat's „Willin'“ und von „Drunkard's Dream“ von den Stanley Brothers, deren Ralph Stanley höchstpersönlich die Harmony-Vocals beisteuerte. Sein „I Must Be a Tree“ muß sich allerdings auch nicht vor den Fremdkompositionen verstecken, das ganze Album klingt entspannt und homogen, dazu die Fiddles von Vassar Clements und Gib Guilbeau, mit dem er auch schon vor den Byrds zusammengespielt hatte. Kindling ist das Album auf dem der großartige Clarence White das letzte Mal vor seinem tragischen Unfalltod Gitarre spielen sollte, die geplante Tour wurde daraufhin abgesagt, Gene Parsons zog sich erst einmal vom Musikbusiness zurück und verlegte sich nach ein paar erfolglosen Alben zu Beginn der Achtziger auf den Bau von Gitarrenzubehör.Und übrig bleibt ein weiteres vergessenes Album zwischen Country und Rock.

Gene Clark

Roadmaster


(A&M, 1973

Roadmaster ist das Album zwischen Gene Clarks beiden Solo-Meisterwerken White Light und No Other, und es ist aufgebaut aus Aufnahmen diverser Solo-Sessions sowie Sessions mit den Byrds und den Flying Burrito Brothers, aber bei einem so exzellenten Songwriter wie Clark kann man dennoch nicht von schnöder Resteverwertung reden. Natürlich sind die Musiker bei den jeweiligen Songs – Mitglieder der Byrds und der Flying Burrito's... - vom Feinsten, aber es mag auch sein, daß der Sound auf dem Album durch die unterschiedlichen Musiker ein wenig zu heterogen ist, aber das schadet nicht wirklich, denn Clarks Stimme hält Alles zusammen. „She's the Kind of Girl“ hätte mit jangly Guitars und Flute gut auf ein Byrds Album gepasst, mehr noch aber klingt „One in a Hundred“ nach den Byrds. Andere Songs, wie „Here Tonight“ und eines der Highlights, der „Full Circle Song“, sind Hommagen an den Sound Gram Parsons' – Country Rock der besten Art, vollkommen kitschfrei und melodisch ausgefeilt. Und dann ist da noch „In a Misty Morning“, wiederum einer der Songs wie ihn nur Gene Clark schreiben konnten.... Es soll hier nicht der Eindruck erweckt werden, dass Gene Clark wie einer der hier genannten Künstler klang, er machte seine Art von Cosmic American Music (freilich ohne sich für einen solchen Begriff zu interessieren), aber er war mit dieser Musik seinerzeit sogar noch erfolgloser als Gram Parsons. So wurde Roadmaster aus unerfindlichen Gründen nur in Holland (!) veröffentlicht und ging kommerziell vollkommen unter.

Chris Darrow

s/t


(United Artists, 1973)

Chris Darrow war '73 ein Veteran der südkalifornischen Psychedelic Rock Szene, hatte mit Kaleidoscope und der Nitty Gritty Dirt Band schon Country, Rock und Weltmusik vereint. Aber eigentlich war er immer Bandmitglied gewesen, Zuspieler für Leute wie David Lindley, und nicht so bekannt als Songwriter als vielmehr als versierter Gitarrist und Multi-Instrumentalist. Dabei hatte schon sein Debut vom Vorjahr Klasse, und auch auf dem Zweitling gab es mit dem Opener "Albuquerque Rainbow“, direkt mal ein Highlight, stilistisch irgendwo einzuordnen zwischen den Allman Brothers und den Stones im Exile On Main Street Modus und mit Gram Parsons als Leadsänger, komplett mit an die Allman's erinnernden gedoppelten Guitar Leads und feinen Steel-Ornamenten. „Take Good Care of Yourself“ wiederum antizipiert den Bluegrass/Reggae Sound, den Kaleidoscope-Kollege David Lindley später etablieren sollte. Dann ist da das Double-Mandolin Instrumental „Devil's Dream“ oder der Old-timey Country von „We're Living on $15 a Week“. Chris Darrow konnte Alles – wie er ja schon mit Kaleidoscope bewiesen hatte, und was vielleicht hier das Problem ist: Einen durchgehenden Flow vermisst man auf Chris Darrow etwas – ein Problem das er aber auch nicht allein hat – siehe das weit erfolgreichere Album der Eagles weiter unten. Leider hatte das Album einen äußerst überschaubaren kommerziellen Erfolg. Ein bisschen Schade, denn es ist mitunter sehr schön.

The Eagles

Desperado


(Asylum, 1973)

Zu Beginn der Siebziger hatte sich in L.A. - im Laurel Canyon - eine Szene etabliert, die Folk, Singer/ Songwriter-Kunst und Country zu einem zunächst noch recht geschmackvollen Gebräu zusammenmischte. Aber dort wurden diese Einflüsse langsam in eine Art Soft-Rock transformiert, der sein Gesicht 1973 noch nicht in seiner ganzen Hässlichkeit zeiget. Das zweite Album der Laurel Canyon-Gewächse Eagles wurde vom Kritikerpapst Robert Christgau dennoch schon als mißlungener Soundtrack zu einem imaginären Sam Peckinpah- Western bezeichnet. Ein bisschen gemein eigentlich, vor Allem weil er ja in Teilen Recht damit hat, aber die Stärken der Eagles dabei verschweigt. Die Eagles waren letztlich die Nutznießer einer Vision, die Leute wie Rick Nelson, Michael Nesmith, die Byrds und die Burrito Brothers mit weit weniger Erfolg verfolgt hatten. Nicht umsonst waren Randy Meisner und Bernie Leadon bei den oben genannten dabei gewesen, aber der Unterschied war, sie hatten mit Glenn Frey und Don Henley zwei Hit-Schreiber, sie hatten die besten Satzgesänge, und sie waren sogar hier schon erstaunlich pop-affin. Desperado war noch nicht der goße Durchbruch. Das Album war ein loses Konzept-Album um Aufstieg und Fall eines Rock-Outlaws, mit Parallelen zur Dalton-Gang – den Legenden der Western-Zeit und sie hatten mit dem Titelsong und „Tequila Sunrise“ mindestens zwei wirklich tolle Songs dabei, aber eben auch einige weniger gelungene Tracks dabei und vor Allem – trotz Konzept will sich kein richtiger roter Faden finden lassen. Die Stücke sind zu unterschiedlich, jedes Bandmitglied hat seine eigene Stimme, und die passen vielleicht klanglich ganz toll, aber musikalisch passt es noch nicht perfekt. Mit der Zeit sollte sich das bessern, das kompsitorische Niveau glich sich an, allerdings wurde die Musik dabei auch immer glatter, um dann in Dekadenz zu versinken. Sie machten aus Outlaw-Träumen letztlich Albträume – was sogar einen seltsamen Reiz hatte, aber „wirklich“ guten Country-Rock mußt du woanders suchen. Zum Beispiel bei...

Poco

Crazy Eyes


(Epic, 1973)

...Poco. Die aus Buffalo Springfield hervorgegangene Laurel Canyon Band nämlich hatte schon in den Jahren zuvor eine feine Vereinigung von Country, Rock und Pop – mit Beimengungen von Psychedelic – geschaffen. Crazy Eyes war auch schon ihr 6. Album und die Chemie innerhalb der Band stimmte, obwohl sie schon diverse Besetzungs-wechsel hinter sich hatten war der Kern der Band erhalten gebliebenund sie hatten einen weit homoge-neren Sound als ihre später weit erfolgreicheren Konkurrenten von den Eagles (die immer wieder Mitglieder von Poco zu sich holen sollten). Das Konzept war dabei dem von Desperado nicht einmal unähnlich: Hier handelte es sich um eine Hommage an Gram Parsons, der ja im September '73 verstorben war. Richie Furay hatte den komplexen neun-minütigen Titeltrack mit Parsons zusammen geschrieben und coverte dazu noch dessen „Brass Buttons“, Paul Cotton kam mit zwei politischen Songs daher („Blue Water“ und „A Right Along“) und coverte JJ Cale's „Magnolia“ kongenial, und Timothy B. Schmit (der bald zu den Eagles wechseln sollte) brachte eine tolle Ballade mit („Here We Go Again“). Und mit Rusty Young hatten sie ja sowieso einen der besten Pedal-Steel Player der Szene dabei – und der kam mit der Bluegrass-Nummer „Fools Gold“ daher, die andere Bands des Genres schlecht aussehen ließ. Der Ex Buffalo Springfield Mastermind Richie Furay sollte bald darauf ebenfalls die Band verlassen, um mit Chris Hillmann von den Burrito Brothers und J.D. Souther eine Art Supergroup zu bilden – was künstlerisch ziemlich in die Hose ging – aber auf Crazy Eyes zeigt sich, dass das Verdikt Poco wären die Poor Man's Eagles“ eigentlich umgekehrt gültig ist. Fünf Musiker, die auf einem Album ihre Talente bündeln und tolle Musik schaffen – West Coast Rock sagt man auch dazu - von höchster Klasse.

Jackson Browne

For Everyman


(Asylum, 1973)

Spätestens jetzt hat sich die Musik aus dem Laurel Canyon auch in diesem Artikel festgesetzt. Natürlich hat der Songwriter Jackson Browne seine Wurzeln auch in der Musikszene L.A.'s, aber seine country-infizierten Songs sind eben auch weit von Nashville und von Musikern wie Willie Nelson oder Waylon Jenninge entfernt. Browne hatte im Vorjahr ein hervorragendes Debütalbum vorgelegt, und musste nun schnell nachlegen. So nahm er ein paar ältere Songs auf, die es nicht auf's Debüt geschafft hatten, schrieb ein paar neue und holte sich mit dem Ex-Kaleidoscope-Saitenvirtuosen David Lindley seinen Partner für die kommenden Jaher an Bord. Er spielt hier seine Version der '72er Eagles Hitsingel „Take it Easy“ - die hatte er schließlich mit Glenn Frey gemeinsam geschrieben, er spielt seine Version von „These Days“, das zuvor von Nico gecovert worden war, er hat mit u.a. Joni Mitchell, David Crosby und Bonnie Raitt namhafte Gäste aus dem Laurel Canyon und etabliert hier seinen eigenen Stil. Noch sind die Lyrics hauptsächlich selbstreflektierend, noch fehlt die politische Positionierung, noch sucht er seine Stimme, aber For Everyman ist besser als mindestens 90 % der restlichen Songwriter-Ergüsse seiner Zeit – wobei daran insbesondere David Lindley's schneidende Slide-Gitarre einen nicht unbeträchtlichen Anteil hat. Es gibt noch ein paar weniger gelungene Songs, Browne würde noch besser werden, aber es ist erkennbar, dass hier ein großer seiner Zunft heranwächst.... Und die Frage, ob das Musik ist, die zum Titelthema dieses Kapitels fällt, beantworte ich mit einem klaren „kann sein...“. Der Terminus Cosmic American Music ist kein klarer, womöglich fehlt in diesem Fall die sychedelische Komponente, aber bei For Everyman höre ich - wie bei Desperado und Crazy Eyes (zu dem Parsons wie gesagt beigetragen hatte...) – eine Hippie/Country Stimmung im Vordergrund, die mich diese Alben in einen Topf werfen lässt. Ich könnte sie auch in andere Töpfe werfen, aber der Zufall - und Gram Parsons GP - wollen, dass '73 für mich das Jahr der kosmischen Countrymusik ist. Also weiter im Text mit anderen Alben, die ich da rein werfen kann...

The Seldom Scene

Act Two


(Rebel, 1973)

Nun zu einer Sparte – oder einer Form – der Countrymusik, die einerseits uralt ist, aber andererseits in den Jahren nach '67 diverse mitunter sogar „psychedelische“ Modernismen in sich aufgenommen hat. Seit den Tagen von Bill Monroe (ab Ende der Vierziger) ist viel Wasser die Bäche der Apallachen heruntergeflossen und inzwischen haben Musiker wie der just in diesem Jahr mit Ende 20 verstorbene Clarence White, die Dillards, Jerry Garcia oder John Hartford diesem Genre neben ihrer Virtuosität auch eine weniger traditionelle, weniger christliche Dimensionen hinzugefügt. So werden auf dem Zweitling der Seldom Scene „Paradise“ von John Prine, „Train Leaves Here This Morning“ von John Leadon und Gene Clark und Ricky Nelson's „Hello Mary Lou“ in Bluegrass übersetzt. Und die Ausführenden beeindrucken in allen Belangen – so sehr, dass manchmal die Technik fast die Idee überdecken will. Aber keine Sorge: Der Spaß ist hörbar, die Songs sind wohlgewählt und die Harmonie-Gesänge herzerweichend. Leadsänger John Starling hat eine angenehme Folk-Stimme, John Duffey's Tenor schwebt ergötzlich darüber und Dobro-Virtuose Mike Auldridge's Stimme ergänzt das Alles zu einer modernen und eigenständigen Version des „High Lonesom“ Sounds der Apallachen. Es werden auch traditionellere Songs wie Hank Williams' „House of Gold“ oder Earl Scruggs' „I've Lost You“ gecovert und die eigenen Songs passen auch in den Rahmen - The Seldom Scene Act Two bietet ein Komplettpaket des modernen Bluegrass, wodurch die Band tatsächlich in fundamentalistischen Bluegrass-Kreisen auf Ablehnung stieß. Aber es war eben erklärtes Ziel der Seldom Scene neue Saiten im Bluegrass aufzuziehen. Hier gelang es perfekt – und sie waren mit ihrer Mission nicht alleine:

Country Gazette

Don't Give Up Your Day Job


(United Artists, 1973)

Fiddler Byron Berline, Bassist Roger Bush, beide zuvor bei den Flying Burrito Brothers sowie Ex-The Kentucky Colonels Banjo-Player Billy Ray Latham und die Gitarristen Allan Munde und Kenny Wertz hatten sich unter dem Namen Country Gazette auch schon mit ihrem Debüt A Traitor In Our Midst einen Namen als Bluegrass Innovatoren gemacht. Nach diversen Touren – unter anderem in Europa - gingen sie ins Studio und überließen John Dickinson für ihr zweites Album Don't Give Up Your Day Job den Produzentenstuhl. Zu der Zeit war ihre erneuerte Version des Bluegrass in gewissen Kreisen ein großes Ding, eine junge Generation von Hörern ließ sich auf diesen Old Timey Stuff ein und kaufte und hörte zu – wenn das Songmaterial nicht nur aus den üblichen christlich eingefärbten Traditionals bestand. Für ihr zweites Album holte die Band sich reihenweise Gäste dazu, Leute wie Herb Pedersen, den Ex-Kentucky Colonel und Ex-Byrd Clarence White (bei 5 Songs!), Leland Sklar und Ex-Burrito Brother Al Perkins. Das Songmaterial war so erlaucht – und ebenfalls von modernem Material durchzigen wie bei der Seldom Scene: Stephen Stills "The Fallen Eagle“ gelang genauso wie Graham Nash's „Teach Your Children“. Es gab Naheliegendes wie Lester Flatt and Earl Scruggs' „Down the Road“ oder auch eine ungewöhnliche Version von Elton John's „Honky Cat“. Hauptsache bei dieser Musik – bei Allen Revivals – alles klingt nach Spaß. Bluegrass ist - wie vorher schon gesagt - immer virtuos, mitunter sehr temperamentvoll, aber durch die Songauswahl bekam die Musik die zusätzliche Dimension, näherte sich manchmal den mehr Pop- und Rock-orientierten Bands der Stunde an und entfernte sich somit auf ähhnliche Weise vom althergebrachten Bluegrass, wie sich Gram Parsons vom traditionellen Country entfernt hatte

Muleskinner

s/t


(Warner Bros., 1973)

und wenn ich die beiden vorherigen Alben gelobt habe, darf ich Muleskinner nicht aussen vor lassen. Die Band aus (schon wieder) Clarence White, Peter Rowan und dem Mandolinen Virtuosen David Grisman - beide Ex-Earth Opera, und Bill Keith und Richard Greene – alle auch bei Bill Monroe’s Bluegrass Boys hatten die gleiche Absicht wie die Seldom Scene- und Country Gazette-Musiker: Sie wollten Bluegrass aus der etwas verstaubten Ecke des christlich – hinterwäldlerischen Apallachian Bluegrass herausholen. Und Warner Bros war schlau genug, das Album zu finanzieren – gab es doch wie gesagt in diesem Moment eine Ex-Hippie-Gemeinde, der diese modernisierte Version des Bluegrass gefiel. Muleskinner ist in der Songauswahl vielleicht eine Spur näher an den Originalen aus den Vierzigern und Fünfzigern, da werden Bill Monroe und Jimmie Rogers gecovert, aber David Grisman's „Opus 57 in G Minor“ ist mehr Klassik/Jazz als Bluegrass, Peter Rowans „Runways of the Moon“ ist fast Psychedelic Bluegrass – mit Schlagzeug! Und der Traditional „Rain and Snow“ wiederum wäre von keinem alten Bluegrass-Meister so verziert und verbogen worden. Das Album ist seltsamer und schräger als die beiden vorher reviewten Beispiele für den modernisierten Bluegrass der frühen Siebziger, es klingt nach Jerry Garcia und nach Psychedelik und zugleich uralt. Wie gesagt: Clarence White starb in diesem Jahr und Muleskinner blieb das einzige Album dieser Gruppe von Musikern. Und es lohnt sich.

Eric Weissberg & Steve Mandel

Dueling Banjos: From the Original Soundtrack of Deliverance


(Warner Bros., 1973)

Ich kann jetzt wieder versuchen eine thematische Verbindung zur Cosmic American Music zu konstruieren – oder ich kann darauf verweisen, dass der Soundtrack zum Film Deliverance mit seiner Bluegrass-Musik ganz einfach wunderbar zu den drei zuvor beschriebenen Alben passt, und dass das Publikum dieses Filmes vermutlich nicht der konservativen Country-Gemeinde angehörte, sondern eher einer progressiveren jungen Generation. In Deliverance wird der Ausflug von vier Großstädtern in die hinterwäldlderischen Berge der Apallachen verfilmt. Die Vier machen eine Rafting Tour, die im Albtraum einer männlichen Vergewaltigung (die Szene mit dem Opfer, das bei seiner Vergewaltigung wie ein Schwein quieken soll, ist der reine Horror) und in drei Morden endet, aber eine der prägendsten Szenen dieses popkulturellen Phänomen's ist das Banjo/ Gitarren Duell zwischen Hauptdarsteller Ronny Cox und dem Banjo-Boy – einem gecasteten Ortsansässigen, der in Wahrheit keinen Ton spielen konnte. Die wirklichen Ausführenden von „Dueling Banjo's“ sind der großartige Gitarrist und Multi-Instrumentalist Eric Weissberg (der mit der Blue Velvet Band schon '69 ein Album gemacht hatte, das hier hin passen würde...) und der Banjo-Player Steve Mandel, die hier einen alten Song mit dem Originaltitel „Feudin Banjos“ covern – tatsächlich als Duell zwischen Gitarre und Banjo. Der Rest des Soundtracks brachte den Bluegrass vermutlich einer noch breiteren Hörerschaft ins Bewusstsein, als es Bands wie die Seldom Scene oder Country Gazette gelang. Dabei sind die restlichen Tracks sogar noch weit puristischer, als Alles, was die oben vorgestellten Bands je veröffentlichten. Tatsache ist, dass die übrigen Titel des Soundtracks ein Re-Issue der '63er Elektra-LP New Dimensions in Banjo and Bluegrass sind. Und die Musik auf diesem Album, damals von Weissberg und Marshall Brickman aufgenommen, ist flirrender, komplexer und rasanter Bluegrass in Reinform. Eine Art von Musik, die wirklich auf alten Traditionen beruht, die sich hier nicht hinter Pop-Tunes verbirgt, sondern in all ihrer Virtuosität vollkommen originalgetreu bleibt. Die Songs sind meist Traditionals, Marshall Brickman war ein echter Virtuose, der mit Weissberg diese LP aufgenommen hatte, dann noch mit den späteren Mama's and the Papas Michelle und John Phillips als The New Journeyman gespielt hatte – und inzwischen als Drehbuchautor für Woody Allan arbeitete. Wie gesagt: Der Titel des Soundtracks mag ein Etikettenschwindel sein, Steve Mandel spielt nur auf dem berühmten Theme-Track mit, aber für den Bluegrass – und für die „rurale“ Art der amerikanischen Volksmusik - ist dieses Album eine Erweckung – und ein Riesenspaß...

Jerry Lee Lewis

Southern Roots


(Mercury, 1973)

Inzwischen waren Jerry Lee Lewis' Verfehlungen aus den Fünfzigern vielleicht vergeben, aber vergessen waren sie vermutlich noch nicht. Aber das hat den Exzentriker vermutlich sowieso nicht wirklich angefochten. Seit den Mitt-Sechzigern hatte Lewis sich immer tiefer in die Countrymusik eingearbeitet, sie an seinen eigenen energetischen Stil angepasst und in den Country-Charts damit einige Erfolge gefeiert. Für das '73er Album Southern Roots (eines von drei Alben in diesem Jahr übrigens) kehrte er Nashville den Rücken und ging nach Memphis zurück um seine Rock'n'Roll Roots wiederzufinden und ein weiteres Comeback zu lancieren. Er holte sich den Produzenten Huey P. Meaux, die Stax-Begleitband MG's (ohne Booker T Jones) mit den Memphis Horns sowie ein paar Cracks wie den Rock'n'Roll-Kollegen Carl Perkins oder Sir Douglas Organisten Augie Meyers um ein Album zu machen, das Gram Parsons Vorstellung von Cosmic American Music (eine Soulband aus den Südstaaten spielt Gospelmusik auf einer Steel Guitar...) von der Konstellation her sehr nah kommt. Den Bogen zu Gram Parsons' Begrifflichkeit muss ich ja schlagen – aber es ist wie gesagt egal, ob es da nur von mir gezogene Verbindungen gibt – wichtig ist die Klasse von Southern Roots. Jerry Lee's Country der Vorjahre wird tatsächlich von Rock'nRoll durchschossen und mit den Soul-Kenntnissen der MG's und Memphis Horns gewürzt. Er selber klingt selbstbewusst und energiegeladen – dabei waren die drei-tägigen Sessions wohl eigentlich ein Albtraum. Er hatte miese Laune, weil er wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten war (fahren unter Drogeneinfluss), er trank und nahm Medikamente, er bedrohte den Produzenten und einen Fotografen, aber diese Wut taucht in der Musik nur als Energie auf. Und auto-destruktiv war er immer noch. Man höre Doug Sahm's „Revolutionary Man“ auf dem er das Piano traktiert, man höre „Meat Man“ - einen Song über die Freuden des Oral-Verkehrs – den er als Single auserkor, man höre seine Angeber-Version von „When a Man Loves a Woman“... Jerry Lee Lewis war mal wieder an der Grenze zum Wahnsinn, das musikalische Ergebnis war erfreulich, auch wenn manche beklagen, dass die Country-Elemente zwangsweise zurückgefahren worden wären – eine Meinung, die ich nicht teile, aber das Jahr '73 entwickelte sich privat zur Katastrophe. Sein Sohn Jerry Lee Jr. starb im November '73 bei einem Autounfall und vier Wochen später ließ sich sein vierte Frau von ihm scheiden. Das Album kam bis auf Platz 6 der Charts, aber es würde sein letztes wirklich gelungenes bleiben.






Dienstag, 23. Mai 2017

1955 - BRD und DDR und Sarah Parks im Bus - Sarah Vaughan bis Bill Haley - Vocal Jazz


Im Jahr 1955 endet die Besetzung der BRD und der DDR durch die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg. Die nun getrennten Länder werden in die NATO bzw. den Warschauer Pakt aufgenommen. In den USA weigert sich die Schwarze (damals heißt das dort „Negerin“...) Rosa Parks in einem Bus ihren Platz für einen Weißen zu räumen und wird darauf verhaftet. Der darauffolgende Montgomery Bus Boycott wird zur Geburtsstunde der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA. Winston Churchill beendet seine politische Karriere, in Deutschland sorgt Kanzler Adenauer dafür, dass die letzten Kriegsgefangenen aus sowjetischer Gefangenschaft entlassen werden. Ein ganzer Haufen von Wissenschaftlern und Nobelpreisträgern rät von der Weiterentwicklung der Atomwaffen ab – ohne Erfolg wie sich zeigen wird. Der Krieg zwischen Süd– und Nord Vietnam beginnt. Marilyn Monroe lässt im Film „Das verflixte siebente Jahr“ ihren Rock über dem U-Bahn-Schacht fliegen und Jugendidol und Schauspieler James Dean kommt bei einem Autounfall ums Leben. 1955 ist auch das Todesjahr von Jazz-Innovator Charlie Parker. Steve Earle, Pete Shelley (Buzzcocks) und Alan Moulding (XTC) werden geboren. In diesem Jahr startet der Rock'n'Roll durch– es gibt zwar noch keine kompletten Alben – das sind zu jener Zeit wenn überhaupt, dann nur Compilations als Zweitverwertung - aber Chuck Berry nimmt seine erste Single auf, Bill Haley's „Rock Around the Clock“ aus dem Vorjahr wird zum No. 1 Hit in den USA, Little Richard nimmt „Tutti Frutti“ auf, bei einem Konzert von Elvis kommt es zu tumultartigen Szenen, er hat nun mit Colonel Tom Parker einen neuen Manager, der ihm einen besser dotierten Vertrag bei RCA verschafft, Johnny Cash nimmt bei Sun Records in Memphis – bei Elvis' alter Plattenfirma (die von dem nur Singles aufgenommen hatte) - seinen „Folsom Prison Blues“ auf. All diese Singles sind recht erfolgreich, die junge Generation hungert offenbar nach Alternativen zum weichgespülten Sound der Prä-Rock'n'Roll Ära. Auch Folk Musiker und Bürgerrechts-Aktivist Pete Seeger (mit den Weavers) hat trotz Kommunistenhetze und Radioboykott Erfolg bei Reunion Konzerten. Nach Jazz, der eine Musik der „Schwarzen“ ist, wird langsam auch Musik, die bei „weißen“ Jugendlichen ankommt, rebellisch. Aber ! Noch existieren diese "Auswüchse" der Jugendkultur nicht in dem Album-Format, das ich hier behandeln will. Also, Geduld bis zu den Einträgen für die Jahre '56 + '57 und hinhören bei der in diesem Jahr so fruchtbaren Form des Jazzgesanges...

Sarah Vaughan

...with Clifford Brown


(EmArcy, 1955)

Jazz Sängerin Sarah Vaughan hatte schon in den 40ern mit Musikern wie Charlie Parker und Dizzie Gillespie ihren an BeBop geschulten Vokalstil entwickelt. Ihre mühelose Phrasierung machte sie zu einer der besten Jazz Sängerinnen ihrer Zeit. Aber in den frühen 50ern spielte sie mit diversen Orchestern meist leichteres Material ein, und erst auf diesem Album arbeitete sie wieder mit einem der Großen des Jazz, dem zu dieser Zeit sehr angesagten Trompeter Clifford Brown zusammen. Das Album wurde erst später mit dem Titelzusatz ..with Clifford Brown versehen, weil dessen Popularität nach seinem Tod im Sommer '56 sprunghaft anstieg. Hier sang Vaughan neun Standards und ließ den Solisten Brown, Herbie Mann (Flute) und Paul Quinichette (Saxophon) viel Raum für ihre Soli. Sie war natürlich bestens bei Stimme und spielte definitive Versionen von „April in Paris“, „Jim“ und „Lullaby of Birdland“ ein. Auf dem Highlight des Albums, „Embraceable You“ wurde sie zwar nur von Piano, Bass und Schalgzeug begleitet, aber Sarah Vaughan with Clifford Brown ist dennoch eine Showcase beider Musiker und eines der ganz großen Jazz-Alben der 50er – und übrigens eines, das NICHT von Norman Granz produziert/initiiert worden war. Der Mann hinter diesem Album war EmArcy Boss Bob Shad, der insbesondere mit Clifford Brown gearbeitet hatte und der hier dem Trend zum reduzierten Vocal JazzTribut zollte...

Helen Merrill

s/t


(EmArcy, 1955)

...wie auf dem Debütalbum der Sängerin Helen Merrill (geboren als Jelena Ana Milcetic). Das könnte eigentlich auch mit dem Zusatz „with Clifford Brown“ versehen werden, denn der unterstützt unter der Ägide des jungen Quincy Jones hier das Instrumentale Backing und spielt einige schöne Trompetensoli, ebenso wie der Jazz-Bassist/ Cellist Oscar Pettiford und der Gitarrist Barry Galbraith – was von der Stimme der damals 25-jährigen (Ja, das Coverfoto hat mich auch arg getäuscht) nicht ablenken soll. Helen Merrill's Stimme nämlich ist auf einem Niveau mit Sarah, Billy und Anita. Leicht angeraut, mühelos und gekonnt phrasierend und voller „Feeling“ ist diese Sängerin sehr zu Unrecht heute noch weniger bekannt als die Flaggschiffe des Vocal Jazz – was daran liegen mag, dass sie sich zu Beginn der Siebziger nach Europa und nach Japan absetzte. Mitte der Fünfziger jedenfalls hatte sie ein Händchen für die richtigen Begleiter und ging mit den Vorlagen ganz mühelos um: Ob Uptempo Nummern wie Cole Porter's „You'd Be So Nice to Come Home To“ oder „Falling in Love with Love“ und „S'Wonderful“ – ob langsame Nummern wie „Born to be Blue“, sie alle macht sie sich gekonnt zu eigen. Und die musikalischen Begleiter machen das Album dann zu etwas ganz Besonderem, wenn sie die Musik zwischen Hard Bop und Cool Jazz changieren lassen. Noch ein ganz großes Album des Vocal Jazz – am besten zusammen mit dem Nachfolger Helen Merrill with Strings erwerben – das ist anders, ich würde sagen kitschiger, aber nicht schlechter. Weitere Alben von ihr werden folgen, siehe Dream of You von '56 ...

Dinah Washington

For Those in Love


(EmArcy, 1955)

Und wieder das Label EmArcy vom Produzenten, Jazz-Liebhaber Bob Shad – wieder eine bestimmte Art, das LP-Cover zu gestalten, wieder eine der ganz großen Jazz-Sängerinnen. Dinah Washington hat, wie die beiden vorher reviewten Sängerinnen, schon eine lange Karriere als Big Band Sängerin, als Pop-Star ihrer Zeit, hatte sogar '51 mit Hank Williams' „Cold Cold Heart“ einen Hit gehabt – einem Country-Stück, was zu dieser Zeit für eine schwarze Künstlerin sehr unüblich war. Und nun nahm sie ebenfalls mit kleiner Besetzung mit For Those In Love (ohne Clifford Brown, dafür mit Clark Terry übrigens...) eine Reihe von Standards auf. Sie klingt wie eine etwas weniger ausgepowerte Billi Holiday, dadurch vielleicht aber auch etwas weniger „bluesig“ und gefühlvolle, weiss aber selbstverständlich mit ihrer Stimme und den Texten umzugehen – und lässt auf diesem Album den Solisten erstaunlich viel Platz, sich zu entfalten. Da ist Clark Terry's sanfte Trompete, Paul Quinichette's an Lester Young geschultes Saxophon, Posauen und Piano solieren geschmackvoll und der junge Quincy Jones – ein weiterer Protege von Bob Shad – hat alles wunderbar arrangiert. Mit „This Can't Be Love“ und „I Could Write a Book“ sind zwei echte Highlights dabei, aber For Those in Love ist nicht das beste Vocal-Jazz-Album seiner Tage, es ist eben „nur“ ein sehr gutes, das ich hier erwähnen will...

Anita O'Day

Anita


(Verve, 1955)

mehr beeindruckt hat mich da das erste Verve Album von Anita O'Day, welches auch das erste Album auf dem von Norman Grantz gerade gegründeten Label ist. Auch Anita O'Day war 1955 eine 37-jährige Sängerin mit langjähriger Erfahrung in Swing und Big Bands mit Gene Krupa oder Stan Kenton – und sie hatte via Drogen (Sie hatte '54 grde eine Gefängnisstrafe abgesessen...), Sex-Skandale (50er Style, die waren also nach aussen noch recht „dezent“...) und durch Alkohol-Exszesse schon einiges mitgemacht. Norman Granz hatte anscheinend ein Faible für die gebrochenen Charaktere – siehe Billie Holiday – und beschloss nun, O'Day - ähnlich wie Peggy Lee oder eben jene Lady Day - ein Album zumindest teilweise mit kleinerer Besetzung aufnehmen zu lassen. Dieses erste Album beim neuen Label war für O'Day willkommener Anlass, ihren Stil dem zeitgenössischen Jazz anzupassen. Teils wird ihr jazziger Gesang vom Buddy Bergman Orchestra überpudert, was bei O'Day, die eine ziemlich „toughe“ Stimme hat, manchmal ein wenig unpassend klang. Sie hat eine gewisse Schärfe in der Stimme, die ruhigere Stücken sehr herb klingen lässt. Daher sind manche der Titel auf diesem sehr guten Album etwas zu kalt und technisch für meinen Geschmack, aber Songs wie „A Nightingale Sang In Berkeley Square“ sind perfekt, voller Rhythmus und Feuer. This Is Anita ist ein großartiges Debüt und ein weiteres Highlight im Vocal Jazz der 50er.

Julie London

Julie Is Her Name


(Liberty, 1955)

Julie London wurde vom Billboard Magazin von 1955 bis 1957 als populärste Jazz Sängerin genannt. Das mag zum Teil an ihrem Aussehen gelegen haben (im 2. Weltkrieg war sie Pin-Up Girl gewesen), zum Teil auch an ihrer Karriere als Schauspielerin, aber sie war in der Tat auch eine ausgezeichnete Gesangs-Stilistin. Von sich selbst sagte die erstaunlich schüchterne Musikerin: "It's only a thimbleful of a voice, and I have to use it close to the microphone. But it is a kind of oversmoked voice, and it automatically sounds intimate.“ - und dem ist auch wenig hinzuzufügen. Ihr Debüt, unter der Ägide ihres Ehemannes, des Jazz-Komponisten Bobby Troup („Route 66“) u.a. mit Gitarrist Barney Kessel und Bassist Ray Leatherwood aufgenommen ist eine außerordentlich zurückhaltende und geschmackvolle Jazz LP. Highlights waren ihr größter Hit, "Cry Me a River" und ihre mit rauchiger Stimme eher geflüstert- als gesungenen Versionen von „I Should Care“, „Say It Isn't So“, „Easy Street“ und „Gone with the Wind“. Aber das Cover allein macht dieses Album schon zum 50ies-Collectors Item, und die Musik ist genau so und mindestens so gut wie das Cover.

Frank Sinatra

In The Wee Small Hours


(Capitol. 1955)

Man kann jetzt trefflich darüber streiten, ob Frank Sinatra ein Vertreter des „Genre's“ Vocal Jazz ist, aber mir ist die Genrebezeichnung für Sinatra's drittes Album bei Capitol egal. Er war einer der ganz großen Vokal Stilisten und In the Wee Small Hours – wieder arrangiert vom jungen Nelson Riddle – ist vielleicht sein bestes (da gibt es als Kokurrenz nur noch Songs For Swinging Lovers! und Frank Sinatra Sings For Only The Lonely ) und es ist in vieler Hinsicht eines der wichtigsten Alben der Fünfziger. Frankie-Boy hatte beschlossen immmer im Wechsel ein „Happy“ und ein „Sad“ Album aufzunehmen, nach dem letztjährigen Swing Easy war nun das dunkle Album dran – aber er hatte auch Anlass zur Trauer: Seine Ehe mit Schauspielerin Ava Gardner war in die Brüche gegangen und er war tief unglücklich – da kam die Idee, eine konzeptuelle Abfolge von Songs aufzunehmen – sozusagen eine Nacht, in der er seiner verlorenen Liebe nachtrauert zu vertonen – gerade richtig. Das hieß aber auch, dass erstmals der Longplayer mit seinen 40 Minuten Spielzeit komplett genutz wurde, In the Wee Small Hours kann man also nur komplett hören, es ist keine schnöde Abfolge von mehr oder weniger gelungenen Songs, es gibt eine durchgehende Stimmung, man sieht die Dunkelheit vor der Dämmerung in jedem Song. Und Sinatra hatte natürlich die besten Vorlagengeber: Cole Porter, Richard Rogers, Lorenz Hart etc, und er sagte später, beeinflusst habe ihn insbesondere die von ihm verehrte Billie Holiday. Daher mag es kommen , dass Sinatra hier nicht den coolen und maskulinen Angeber gab, sondern verletzt und verletzlich klang, Echte Gefühle von Trauer bis zu sehnsüchtigem Verlangen zeigte. Seine Version von Hoagy Carmichael's „I Get Along Without You Very Well“ ist herzergreifend, das Titelstück des Albums – extra hierfür geschrieben - ist sogar noch besser, Nelson Riddle übertrifft sich in seinen Arrangements selber, und auch wenn dieses Album für eine Haltung steht, die bald als herzlich reaktionär gilt, sollte es spätestens in der Postmoderne der 90er eine erstaunliche – und berechtigte – Neubewertung erhalten. Letztlich sind die Capitol-Alben Sinatra's heutzutage Kulturgut - mit allen Vor- und Nachteilen

Clifford Bropwn & Max Roach

Study in Brown


(EmArcy, 1955)

Wäre Clifford Brown nicht im Juni 1956 bei einem Autounfall mit gerade mal 25 Jahren umgekommen, so hätte er möglicherweise einen ebenso hohen Stellenwert in der modernen Musik wie etwa Miles Davis. So kam er „nur“ dazu, den Jazz in Form des BeBop weiterzutreiben. Bei seinem Talent, seiner technischen Brillianz und seinem Interesse an Neuerungen wäre er wohl so etwas wie ein Gegenpol zum weit weniger „freundlichen“ Davis gewesen, zumal er Alkohol- und Drogenkonsum im Gegensatz zu Davis völlig ablehnte. Seine beste Platte zu benennen ist schwierig, weil eigentlich alle Alben, die er mit Max Roach zu Lebzeiten aufnahm, hörenswert sind, und weil er auch als Begleiter etwa Sarah Vaughan's oder Helen Merrill's (Siehe weiter vorne..) Großes geleistet hat. Study in Brown – ebenfalls mit Max Roach aufgenommen - ist schon allein wegen des Klassikers „Cherokee“ hörenswert, auch Songs wie „Swingin' oder „Sandu“ gehören zum Kanon der Jazz-Klassiker, das Quintett aus Brown, Roach (dr), Harold Land (t.sax), George Morrow (b), und Richie Powell (p) ist extrem eingespielt, und man hört hier einen Trompeter, der tatsächlich Innovation aus Tradition erschafft. Ein es der großen Alben des modernen Jazz.

Bill Haley (and his Comets

Rock Around the Clock


(Decca, 1955)

... OK, hier also die erste "LP" mit Rock'n'Roll. Bill Haley gilt Manchen als erster Rock'n'Roll Star und als „Begründer“ einer Musik, die bald zum Massenphänomen werden sollte. Was natürlich nie ganz klar entschieden werden kann, und so wohl auch nicht ganz richtig ist. Er war mit dem Titelsong dieser Compilation allerdings tatsächlich der erste Vertreter des Rock'n'Roll, der einen No.1 Hit landete, aber wenn man zum Beispiel die Musik auf Rock Around the Clock mit Elvis Debüt oder dem Debüt des Rock'n'Roll Trio von Johnny Burnette vergleicht, klingt es reichlich zahm. Haley hatte 1955 schon fast zehn Jahre im Musikbusiness auf dem Buckel, er hatte als Country-Musiker begonnen, hatte 1944 Kenny Roberts bei den Downhomers ersetzt, war mit diversen Countrybands mindestens lokal erfolgreich gewesen, hatte 1951 schon mit „Rocket 88“ einen Vorläufer des Rock'n'Roll erfolgreich ins Rennen geschickt und mit „Rock Around the Clock“ eigentlich nur das fortgesetzt, was ihm Spaß machte: Country in einer flotteren, sexuell aufgeladeneren Variante als üblich zu spielen. Die anderen Tracks auf der Original-EP waren genau das: Country mit höllisch schnellem Rhythmus – man kann es eben auch Rock'n'Roll nennen - aber wirklich los ging es dann erst im folgenden Jahr - auch wenn es '55 - wie ganz oben gesagt - schon etliche Singles der jungen Wilden gab.

 

Hank Williams

Ramblin' Man

(MGM, Rel. 1955)


Wie an anderer Stelle schon gesagt: Hank Williams ist zum Einen seit dem 1.Januar '53 tot, und seine Bedeutung für die Country-Musik íst bis heute nicht zu überschätzen. Er hat in seiner kurzen Karriere zu Lebzeiten ein einziges „Album“ - in diesem Falle eine 10'' – veröffentlicht. Sein musikalischer Output besteht aus Singles, den Erfolg baut er mit den damals üblichen Radioauftritten und mit Konzerten auf. Die Vermarktung seiner Songs im längeren Vinyl-Format beginnt erst nach seinemTod. Und sie hält bis heute an. Die Anzahl von mehr oder weniger gelungenen Compilations ist Legion, es gibt ein paar logische und gelungene Best-Of Zusammenstellungen, empfohlen seien die 40 Greatest Hits von 1978, da ist alles drauf, was seinen Ruhm bis heute begründet, und für Wahnsinnige gibt es natürlich die Box The Complete Hank Williams von '98. Aber die ist erstens teuer und zweitens viel zu lang. Sehr schön sind dann solche Re-Issues mit den gezeichneten Covermotiven von dazumal, inzwischen oft ergänzt um ein paar Tracks aus zeutgleich stattgefundenen Sessions. „Ramblin' Man“ war so etwas wie ein signature tune für Williams, 1951 als Single einer der ersten wirklich großen Hits des damals 27-jährigen. Einer der wenigen in Moll gefassten, mehr gesungenen als gesprochenen Story-Songs, der in unnachahmlich poetischen Worten die klassische Geschichte vom ruhelosen Wanderer erzählt, den es an keinem Ort hält. Zunächst wurde „Ramblin' Man“ mit drei weiteren Songs als 7'' veröffentlicht, dann - schon '55 - auf zwölf Songs zur LP aufgestockt. Logisch, dass die ergänzten Songs sich ebenfalls um den heimatlosen Cowboy drehen, logisch, dass da dann wieder ein paar absolut zeitlose Tracks dabei sind: „Lonesome Whistle“, „My Son Calls Another Man Daddy“, „Nobody's Lonesome for Me“ und „I Can't Help It (If I'm Still in Love With You)“ sind Kulturgut. Heutzutage gibt es Ramblin' Man mit völlig anderem Tracklisting aber gleichen Sleeve-Design als schicke 180g LP. Museumswärter mögen das veränderte Tracklistng beklagen, mir ist es egal, ich denke, man kann sich eine der guten Compilations als CD kaufen und dann die Vinyl-Versionen wegen der angenehm kurzen Laufzeit von maximal 35 Minuten erwerben und hören. Hank Williams hat etliche Theme-Songs geschrieben, die ein vergleichbares Konzept haben, aber die waren nicht für das LP Format gedacht. Wenn man also heute eine LP zuammenstellt, hat man die freie Wahl unter über 100 Songs. Das war auch '55 so, das gilt heute noch. Somit seien diese LP sowie Hank Williams Sings, I Saw the Light und Honky Tonk auf Vinyl empfohlen. Alles LP's mit klassischem Cover und klassischen Songs.


Ein paar Worte über "das Album" und den Vocal Jazz.

Es gibt immer wieder parallele Entwicklungen in der Geschichte der populären Musik – so wie es in jedem anderen Bereich der Geschichte ist: So war Mitte der 50er eine junge Generation von Hörern herangewachsen. Menschen, die den Krieg nicht bewusst mitgemacht hatten, die ein sorgenfreieres Leben gehabt hatten als ihre Eltern - die zwar in den Jahren des 2. Weltkrieges geboren waren, aber zu jung gewesen waren, um ihn zu erleiden. Diese Generation wollte mehr Spaß, musste sich nicht von erlittenen Strapazen erholen, diese Generation wollte sich abgrenzen, sie wollten Rock'n'Roll, und würde ihn sehr bald bekommen. Zu jener Zeit wurde auch Jazz zu Kunst, die teuren Big Bands verließen die Konzerthallen und es wurde in kleineren Besetzungen in Clubs gespielt – was auch wieder ein junges Publikum anzog, das vielleicht nicht ganz so juvenil war wie die Fans des Rock'n'Roll, das aber auch Veränderung spürte und wollte. Gleichzeitig bekam das „Album“ (… welches so hieß, weil man zunächst ein paar 7'' oder 10'' in Buchform verpackt...) als Medium allmählich Bedeutung. Zunächst war das 12'' Format der Klassik vorbehalten und wurde meist von Erwachsenen gekauft, die sich das leisten konnten. Aber Jazz-Impressarios wie Norman Grantz und Bob Shad und Musiker wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald, oder Sarah Vaughan, Julie London, Anita O'Day etc... nutzten mit der Zeit das LP-Format, um Songzyklen – mitunter im nun angesagten kleinen Bandformat – zu präsentieren um damit besagtes junges Publikum zu erreichen. Sie boten das, was ich hier Vocal-Jazz nenne. Die meisten dieser Sänger/innen hatten schon lange Erfahrung in größeren Orchestern gesammelt und waren nun vielleicht auch selber auf der Suche nach Veränderungen. Sie spürten, dass sich die Zeiten geändert hatten – und ließen sich auf einen neuen Stil ein. Vocal-Jazz hatte seine Zeit Mitte bis Ende der Fünfziger und galt dann lange als unmodern. Ein bisschen schade, aber Trends kehren wieder, in den Neunzigern waren dann Musikerinnen wie Cassandra Wilson oder Norah Jones wieder mit vergleichbarem Konzept erfolgreich. Ich denke, wenn man sich auf dieses Zeug aus den Fünfzigern einlässt, kann man sehr „coole“ Musik und ein paar fantastische Stimmen entdecken. ..... Und noch was anderes: Dass sich zur damaligen Zeit das Repertoir der Musiker/innen in solchem Maße überschnitt, hat seine Gründe. Zum Einen waren die wenigsten Sänger/innen selber Songwriter, es war sogar so, dass Songwriter eine eigene Profession war, die das "Ausführen" des Materials nicht beinhaltete, und dann muss man bedenken, dass Mitte der Fünfziger der Erwerb von Musik in Albumform eher ein Ereignis als Normalfall gewesen sein muss. Musik in dieser Form war ein Luxusgut – Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk etwa – und wer sich ein Album von Sarah Vaughn kaufte, hat sich nicht direkt noch das neue Album von Helen Merrill und Anita O'Day gekauft. Die Überschneidungen im Material fielen wohl kaum auf. Musik als Luxus. Heute unvorstellbar...














Mittwoch, 17. Mai 2017

1954 - Teilung in Nord- und Süd-Vietnam und McCarthy - Clifford Brown & Max Roach bis Billie Holiday und Norman Grantz

1954 endet der Indochina-Krieg mit der Niederlage der Französischen Truppen bei Điện Biên Phủ. Bei der folgenden Indochina-Konferenz in Genf wird Vietnam von den Großmächten USA, UdSSR und China in einen (kommunistischen) Nord- und einen „demokratischen“ Südteil unterteilt. Damit ist die Saat für den Vietnam-Krieg der 60er/70er ausgebracht. Zugleich beginnt ein blutiger Kolonialkrieg in Algerien, in dem die FLN brutal gegen die französischen Besatzer und das eigene Volk vorgeht – soweit es ansatzweise mit den Franzosen sympathisiert. Viele ehemalige Kolonien wollen sich in diesen Jahren von den Kolonialmächten lösen. Derweil wird in den USA die Rassentrennung in Schulen verboten – offiziell jedenfalls – aber die Trennlinien zwischen Schwarz und Weiss sind nach wie vor scharf gezogen und die Gesellschaft ist noch weit von Gleichberechtigung entfernt (… und das hat sich bis heute nur graduell geändert). Mit dem Communist Control Act erreicht derweil die McCarthy Ära ihren Höhepunkt - Mitgliedschaft in einer kommunistischen Partei wird darin kriminalisiert. Der erste Burger-King nimmt in den USA den Betrieb auf und der erste Farbfernseher kommt auf den Markt und das erste Atomkraftwerk wird in der UdSSR in Betrieb genommen. Der 11. April 1954 soll später von Wissenschaftlern als der langweiligste und ereignisloseste Tag des Jahrhunderts ermittel werden. 1954 ist das Geburtsjahr von Elvis Costello, Pat Metheney und Stevie Ray Vaughan. Das Buch Der Herr der Ringe von JRR Tolkien wird veröffentlicht. Ein junger Mann namens Elvis Presley nimmt in den Sun Studios in Memphis, Tennessee den Blues-Song „That's Alright“ auf und beginnt seine Karriere als Musiker. Bill Haley nimmt „Rock Around the Clock“ auf, einen Song, der als eine der Initialzündungen für den Rock'n'Roll gilt. Aber es sind Singles, die diese neue Musik transportieren - keine LP's. Dieses Format ist klassischer musik vorbehalten und in der populären Musik oder im Jazz noch sehr unüblich. Erstmals wird für eine Show der Begriff Rock'n'Roll verwendet – er steht übrigens für die Begeisterung bei spirituellen Messen in den Kirchen der Schwarzen – und für Sex. Noch sind die Stars am Musikhimmel Leute wie Doris Day, Perry Como, Eddie Fisher und Frank Sinatra. Auch der sog. DooWop von heute vergessenen Acts wie den Penguins oder den Moonglows ist ein populärer Stil – in dem ebenfalls die 45'' das gewählte Format ist und im Blues sind es Singles wie „Hoochie-Coochie Man“ von Muddy Waters, die Erfolg haben – die dann in ein paar Jahren auf Compilations im LP-Format auftauchen werden. Im Jazz sind es die hier erwähnten Alben – meist noch 10''es - die wirklich interessant sind, und die auch erst später auf LP-Länge erweitert werden.

Clifford Brown & Max Roach

s/t


(EmArcy, 1954)

Dass sich der aufstrebende Trompeter Clifford Brown und Max Roach - Schlagzeuger bei etlichen Sessions solcher Größen wie Monk oder Charlie Parker - zusammentaten, ließ bei den progressiven Jazzfans seinerzeit wohl den Puls höher schlagen. Und tatsächlich sollte ihre Zusammenarbeit sich als wegweisend für den BeBop erweisen. Clifford Brown and Max Roach enthält nicht nur Jazz auf höchstem technischem Niveau, es sprüht auch -bis heute erkennbar - vor Inspiration. Browns Trompetenklang ist warm und unverkennbar, Roach spielt schnell, mühelos und einfallsreich. Der auf dem Cover nicht genannte Saxophonist Harold Lane gibt mal den Charlie Parker, mal den Benny Goodman, klingt mal angenehm und schmeichelnd, dann beim verführerischen „Deliah“ expressiv und wild bei „The Blues Walk“ oder „Parisian Thoroughfare“ bei dem er mit Brown atemberaubende Unisono-Passagen in reinem New York Jazz-Club-Style spielt. Hier wird perfekt die Balance zwischen schnellem HardBop und ruhigen Balladen gehalten. Dieses Album bietet Bop in bester und reinster Form und es ist eben nicht nur deshalb von Interesse, weil Clifford Brown tragischerweise ein Jahr später bei einem Autounfall ums Leben. Der weder Alkohol noch Drogen konsumierende Brown wäre einer der ganz Großen geworden und er wäre eine ernsthafte Konkurrenz für den '54 noch tief in seiner Drogensucht steckenden Miles Davis geworden.

Louis Armstrong

Louis Armstrong Plays W.C. Handy


(Columbia, 1954)

Louis Armstrong entstammte einer älteren Generation und war in den 50ern eine Institution, seine Art Jazz war nicht mit der Musik von Charlie Parker oder Monk zu vergleichen. ...Plays W.C. Handy ist insofern eher ein Album mit Musik, die so altertümlich ist wie viele der Songs auf der Anthology of American Folk Music.. Tatsache ist dass der Autor aller elf Songs dieser LP (die tatsächlich als 12'' erschien!) 1954 schon über 80 Jahre alt und blind war. W.C. Handy hatte den Blues in den 20ern populär gemacht und war selbst für den über 50-jährigen Armstrong so etwas wie eine Vaterfigur. Für dieses Album arbeitete Armstrong mit seinen All-Stars (Trombonist Trummy Young, Klarinettist Barney Bigard, Pianist Billy Kyle, Bassist Arvell Shaw, Drummer Barrett Deems, und Sängerin Velma Middleton), sang auf seine unnachahmliche Weise selber einige der Titel ein und improvisierte auf jedem der Songs nach Herzenslust. Das gesamte Album ist ungeheuer rhythmisch und atmet eine Liebe und Begeisterung, die das Alter der Musiker Lügen straft. Höhepunkt ist das fast neun-minütige „St.Louis Blues“ mit seinem fantastischen Trombone-Solo. Also: Dieses Album ist völlig Old-School, nur der Klang ist ein moderner, aber so kann diese Form von Jazz für mich Modernisten funktionieren.

Chet Baker

Chet Baker Sings


(Pacicfic Jazz, 1954)

Es ist eine berechtigte Frage, ob Chet Baker ein Trompeter war, der auch sang, oder umgekehrt. Als der gerade mal 24-jährige aus Kalifornien auf diesem Album seine Gesangskarriere begann, war dieser Gesang mindestens so revolutionär wie das delikate Trompetenspiel. Baker war Autodidakt und konnte keine Noten lesen, (Daher gibt es kaum Eigenkompositionen von ihm) in Beidem hatte er einen klaren, gänzlich vibratofreien Ton, in Beidem klang er leicht und elegant wie kaum ein Musiker zuvor – so rein, dass sein Jazz immer seltsam feminin Klang. Seine erste Vocal-Sessions aus dem Februar '54 haben eine ergreifende Unschuld, sind adoleszent und ein bisschen unperfekt - und begründeten seine Ruhm als Sänger. Die bekanntere Version dieses als 10'' veröffentlichten Albums ist sicher die 1956 um sechs Tracks erweiterte LP-Version, aber egal welches Album man hört – diese Aufnahmen klingen wie Milch und Schokolade, was auch am etwas süßlichen Material liegen mag. Songs wie Frank Loesser's „I've Never Been in Love Before“ und Donaldson/Kahn's „My Buddy“, die früher aufgenommene und definitive Version von „My Funny Valentine“, all das mit sparsamer Begleitung aus Piano, Bass und Drums sowie Baker's sinnlichem Trompetenspiel machen Chet Baker Sings zu einem Klassiker des West Coast Cool Jazz und des Vocal Jazz zugleich.

 Chet Baker - My Funny Valentine

Frank Sinatra

Songs for Young Lovers


(Capitol, 1954)

Im Jahr 1954 war Sinatra – da schon 40 Jahre alt - zu Capitol gewechselt und mit diesem inzwischen siebten Album begann seine musikalisch reichste und interessanteste Zeit. Mit dem Alter und der Erfahrung hatte seine Stimme eine Reife und lässige Klasse, die ihn zu einem der größten Stilisten und Sänger in der populären Musik machen sollte. Songs for Young Lovers ist schon deshalb interessant, weil es als das erste Konzept-Album in der populären Musik gilt. Die Produzenten wollten das Format des Tonträgers mit (auf der 10'') acht Songs für mehr als nur eine Aneinanderreihung von Songs nutzen. Sinatra arbeitete erstmals mit Arrangeur Nelson Riddle zusammen, wobei der die Arrangements von Sinatras Night-Club-Auftritten nur ein bisschen erweiterte. Die Songauswahl ist – wie bei Sinatra in den kommenden Jaher üblich - vom Allerfeinsten: die Songs entstammen dem American Songbook, sind u.a. von Cole Porter, Gershwin oder Hart/Rodgers, es gibt eine Version von „I Get a Kick Out Of You“, noch mit der Kokain-Zeile ("...I Get no Kicks from Cocaine..." - also wirklich...), es gibt eine klassische Version von „My Funny Valentine“ mit kleinem Orchester und die wunderbaren Klassiker „A Foggy Day“ und „They Can't Take That Away From Me“. Die Atmosphäre ist relaxed und romantisch und die Standards die hier geboten wurden, mag es in anderen Versionen von anderen Musikern -insbesondere von den famosen Vocal-Jazz Sängerinnen der kommenden Jahre geben - aber Sinatra singt sie mit der unnachahmlichen Lässigkeit, die sie so eigenständig machen. Und das hier war erst der Beginn: Sinatra sollte in den kommenden Jahren der 50er noch um Einiges besser werden.

Frank Sinatra - I Get a Kick Out of You 

Billie Holiday

s/t


(Clef, 1954)

Billie Holiday hatte 1953 kein einziges Mal ein Studio betreten, nur Live-Auftritte gehabt und ihr weiter oben erwähntes Live Album An Evening With Billie Holiday aufgenommen. 1954 ging sie dann endlich auf Betreiben von Norman Granz wieder ins Studio und nahm zwei ihrer frühen Erfolge aus den 30ern neu auf. „What a Little Moonlight Can Do“ und „I Cried for You“ hatte sie damals, zu Beginn ihrer Karriere mit dem Teddy Wilson Orchestra aufgenommen, die neuen Aufnahmen nun waren zugleich sparsamer und gingen tiefer. Das Downbeat Jazz Magazin jedenfalls war begeistert, dankte dem Herrn und Mr Grantz jeweils für beide Versionen und pries Holidays Gefühl und Rhythmus, nannte sie eines der „seven wonders of jazz“. Das Personal der neuen Tracks entsprach dem ihrer Live Auftritte mit Ray Brown, Barney Kessel, Oscar Peterson und einem weniger bekannten Saxophonisten und Trompeter. Die Musik..., wie schon zum Vorgänger, dem Live Album An Evening With Billie Holiday gesagt: Es ist Vocal Jazz mit der Tiefe des Blues, anders als all die anderen Sängerinnen dieser Zeit, ob Ella Fitzgerald, Peggy Lee oder Sarah Vaughn, sie war ihnen allen voraus – an Lebenserfahrung und Leid, genauso wie an Technik und Gefühl. Billie Holiday ist singulär, sie wäre auch heute ein Phänomen und ihre Musik ist letztlich zeitlos geblieben - und es lohnt sich in höchstem Maße ihre Musik – insbesondere eben diese späten Aufnahmen - zu hören.

Wer ist Norman Granz ?

Hier ein paar Worte über einen Mann, der nicht als Musiker, sondern als Impressario, Produzent und Visionär die Musik der Fünfziger – insbesondere den (Vocal)-Jazz geformt hat: Norman Granz war für die Entwicklung des Jazz in den Fünfzigern mindestens genau so wichtig wie der etwas jüngere All Star Produzent Rudy Van Gelder. Er war als Fan in die Jazz-Szene gekommen, war als einer der ersten mit dem Konzept organisierter Live-Events erfolgreich – mit Konzert-Tourneen unter dem Namen „Jazz at the Philharmonic“ bei denen er eine Art Großfamilie von (insbesondere schwarzen) Jazzmusikern um sich versammelte, die durch seine fairen Geschäftsgebaren sogar Geld verdienten. JATP funktionierte ohne teure Big Band im Hintergrund, die Musiker traten in kleinen Combo's auf und versammelten sich zur Improvisation – ein modernes Konzept. Er forderte vom Publikum die gleiche Ruhe und den gleichen Respekt wie bei Konzerten mit klassischer Musik,.... Er war derjenige, der 1955 das Jazz Label Verve gründete (auf dem ganz nebenbei 1967 The Velvet Underground & Nico erscheinen würde), er hatte schon Mitte der Vierziger Clef Records gegründet, 1953 mit Norgran ein weiteres Label für modernen Jazz aufgebaut, und er war derjenige, der Billie Holiday aus der (erzwungenen) Untätigkeit holte, mit ihr und einer kleinen Besetzung diverse Live- und auch Studio-Alben produzierte. Die moderne Form des „Albums“ mit der längeren Spielzeit passte ihm dafür ganz hervorragend ins Konzept. Als Produzent nahm er mit Allen auf, die Jazz in der uns bekannten Form entwickelt hatten und die die kommenden Jahre im Jazz bestimmen würden. Charlie Parker, Dizzie Gillespie, Louis Armstrong, Oscar Peterson... – oder Sängerinnen wie Anita O'Day, Blossom Dearie und er nahm mit Ella Fitzgerald ab 1955 die großartigen Songbook's mit Kompositionen namhafter amerikanischer Songwriter wie Cole Porter, Rogers & Hart oder Duke Ellington auf. Dabei war er selber wie angedeutet kein Musiker, aber er hatte wohl ein feines Ohr für die Zwischentöne im Jazz, er war als Sohn jüdischer Immigranten ein entschiedener Anti-Rassist, ließ Konzerte absagen, bei denen Afro-Amerikaner und weisse Amerikaner im Publikum getrennt sitzen sollten, verlangte Gleichbehandlung vor und hinter der Bühne und forderte gleiche Bezahlung für schwarze wie weisse Musiker – was damals unüblich, skandalös und sogar gefährlich war – all das auch auf eigenes Risiko und auf eigene Kosten. Er war mit etlichen der oben genannten Musiker befreundet, Oscar Peterson benannte sogar einen seiner Söhne nach ihm, und er war mit Pablo Picasso befreundet, nach dem er in den Siebzigern auch ein weiteres selbst gegründetes Jazz-Label benannte. Ende der Fünfziger verkaufte Granz Verve an MGM und wanderte nach Genf aus – vermutlich auch weil ihn die Intoleranz innerhalb der amerikanischen Gesellschaft frustrierte. Aber er blieb als Impressrio und Label Chef bis ins hohe Alter tätig. Die (für mich) wichtigste und interessanteste Phase seiner Karriere beginnt in den frühen Fünfzigern. Er ist für mich insbesondere der Pate des Vocal-Jazz.