Samstag, 17. September 2016

2002 -Der Euro kommt und George Bush Jun. ist so dumm wie befürchtet - von Wilco bis Beth Gibbons & Rustin' Man

Die europäische Gesamtwährung „Euro“ wird eingeführt und die EU wird um 10 Mitglieder erweitert. In Mitteleuropa kommt es an Elbe und Donau durch Hochwasser zu riesigen Überschwemmungen, die Hunderttausende kosten . In Afghanistan wird Hamid Karsai „fast“ demokratisch zum Staatsoberhaupt gewählt, das Land selber aber ist noch weit vom Frieden entfernt und teilweise immer noch in der Hand der Taliban. Aus Sympathie zum Terroristen Osama bin Laden fliegt in Tampa in Florida ein 15-jähriger mit einem Kleinflugzeug in ein 42-stöckiges Bankgebäude. Er ist das einziges Opfer dieses Selbstmordattentats. George W. Bush entpuppt sich immer mehr als unfähiger US Präsident, dessen Reaktionen auf Anfeindungen der USA von den erzkonservativen Republikanern seiner Regierung vorgegeben werden. Die Saat für den Terror der kommenden Jahre geht damit in diesen Jahren auf. Alice in Chains' Sänger Layne Staley, John Entwistle (The Who), Joe Strummer von the Clash und Dee Dee Ramone sterben. Viele etablierte Bands und Musiker warten mit hervorragenden Platten auf. Wilco veröffentlichen ihr Meisterwerk auf eigene Verantwortung zunächst ohne Label, die Flaming Lips bleiben auf ihrem hohen Niveau, die New Yorker Rock-Szene ist lebendig wie seit Jahren nicht mehr (Interpol) und bringt uns Post-Post Punk aus Amerika - und aus England kommt postwendend die Antwort (The Libertines). Bruce Springsteen äußert sich und ist damit der erste wichtige amerikanische Musiker der explizit 09/11 behandelt. Johnny Cash's vierter Teil der American Recordings erscheint. Es soll sein letztes Album zu Lebzeiten sein. Freak-Folk beginnt seinen kurzen Hype mit Devendra Banhart und anderen, an den Randbereichen der Rockmusik – wie im Black Metal oder im Noise-Bereich ebenso wie in der elektronischen Musik und im Drone erscheinen hervorragende Alben. Und natürlich gibt es immer noch einiges im Radio-Pop Bereich, das die Medien und die Verkaufs-Charts beherrscht, mich aber eher anwidert. Da macht zum Berispiel Tanzäffchen Justin Timberlake sein Solo-Debut, und Millionen finden das gut, oder da ist der schreckliche Erfolg von Nickelback - die sind 2002 mit Singles ganz groß, und ich verstehe das nicht – genausowenig wie Schmusesänger Ronan Keating, Shania Twain's Country-Pop, Creed's Rrrrock, oder Nelly's und Ashanti's Plastik R'n'B.... die alle werden hier kein Thema sein.

Wilco

Yankee Hotel Foxtrot


(Nonsuch, 2002)

Über Wilco's viertes Album wurde in der Musikpresse seinerzeit viel geschrieben. Die Einen sahen die Gelegenheit für harsche Kritik an der Musikindustrie, die wieder einmal die künstlerische Freiheit beschnitt (und sich damit selbst schadete) indem sie die Band nicht veröffentlichen ließ was sie wollte, Andere sahen in Yankee Hotel Foxtrot den zwanghaften Versuch einer ehemaligen Americana-Band, ihre Entwicklung a la Radiohead Richtung experimentellerer Klänge zu forcieren. Wie sich zeigte, sollte die erste Gruppe recht behalten. YHF ist experimentell, aber es hat zugleich alle Stärken einer exzellenten Band, die schon in den Jahren zuvor die Grenzen der alternativen Countrymusik weit voran geschoben hatte. Auf dem Vorgänger Summer-teeth hatten sie mit den Sounds experimentiert, bei YHF nahm Band-Kopf Jeff Tweedy sein eigenes, Folk-bzw. Americana-informiertes Material komplett auseinander und setzte es mit seiner Band unter Weglassung aller traditioneller Elemente neu zusammen. Dass das funktionierte, ist sowohl den starken Songs als auch den Fähigkeiten der Musiker – insbesondere der Mitarbeit des experimentierfreudigen Sonic Youth Teilzeit - Mitgliedes Jim O'Rourke zu verdanken. So bleiben bei "Ashes of American Flags" nur die spartanischen Vocals und das Feedback der Gitarren übrig – und der Song funktioniert dadurch nicht nur, er hebt regelrecht ab. Die Behauptung, Wilco sind die Radiohead des Alt Country, hebt sie auf ein sehr hohes Podest, aber mit diesem Album verließen sie – tatsächlich ähnlich wie Radiohead es mit Kid A in ihrer Sparte getan hatten – die gewohnten Bahnen ihres Genres. Da war die Begeisterung solch konservativer Beobachter wie Rolling Stone oder Mojo sogar verwunderlich. Und Yankee Hotel Foxtrot ist auch heute noch ein Album, das man ob seiner Songs und seiner klugen Ideen kaum kritisieren will.

Boards of Canada

Geogaddi


(Warp, 2002)

Michael Sandison und Marcus Eoin, die beiden Schotten von Boards of Canada mögen nicht die Erfinder von Ambient sein, da ist Brian Eno, da ist Aphex Twin – aber die Beiden haben dieser Musik nach der Jahrtausendwende einen erstaunlichen Popularitätsschub gegeben. Das Vorgängeralbum Music Has the Right to Children (1998) und die EP Twoism von '95 waren mit ihren Kindermelodien, ihrer verträumten Atmosphäre, mit der Verbindung von Elektronik, Pop, TripHop und Intellekt bahnbrechend – und Boards of Canada äußerst erfolgreich. Aber wie würde der langersehnte Nachfolger jetzt klingen? In der elektronischen Musik, in IDM, Downtempo, Ambient wird es schwierig, aus einer definierten Ecke herauszurücken, ohne unkenntlich zu werden – wenn man nicht, wie Boards of Canada – einen bestimmten Charakter = einen klar erkennbaren Sound hat. Und das war immer der Vorteil, den BoC anderen Acts ihres Genres voraus hatten. Bei aller Elektronik, sie klingen immer seltsam analog – nach den Ruinen alter Computer und Klangerzeuger aus den Siebzigern, nach „Mensch“, sie klingen warm: Siehe „Alpha and Omega“, dessen Sounds an Jean Michel Jarre's Oxygene erinnern, das durchsetzt ist von Stimmen und orientalischen Flöten und den Störgeräuschen alter PC's, Oder das liebliche „1969“ - mit kosmischen Computerklängen und körperlosen Stimmen, die den Chorus trillern, bei „Sunshine Recorder“ berichtet ein Vocal-Sample von blumenartigen Gewächsen, die Tiefseeroboter am Boden des Ozeans fanden, während sich ein TripHop Rhythmus langsam voranschiebt. Geogaddi ist voll solcher Einzelteile, was es doch eigentlich – bei einer Dauer von über einer Stunde – etwas zerrissen klingen lassen sollte. Aber selbst die kurzen Zwischenstückchen von 20 Sekunden bis zu anderthalb Minuten erfüllen ihren Zweck und fügen sich ein wie kleine Sandkörner zwischen Steinen. Es ist kaum noch verwunderlich, dass Eoin und Sandison so einen langen Zeitraum brauchten, um Geogaddi zu erschaffen. All die kleinen Teile zu einem Ganzen zusammenzusetzen, dass einen solchen „Flow“ hat, muss Ewigkeiten gedauert haben.

William Basinski

The Disintegration Loops


(2062, 2002)

Die Disintegration Loops hier in einer Reihe mit Yankee Foxtrot Hotel und anderen „Rockmusik“ Alben zu besprechen, mag seltsam erscheinen. William Basinski ist eher „bildender Künstler“ als „Rockmusiker“. Er erschafft Klangräume – er baut Klanginstallationen und bewegt sich dafür im Bereich der seriellen Musik, des Minimalismus, der Tape-Musik – was aber wiederum seit Brian Eno's Ambient Alben – seit seiner Definition von Musik als Einrichtungs - Accessoir in bestimmten Kreisen der „pop(uläre) Musik - Hörenden“ wohlwollend wahr-genommen wird. Seine Musik ist natürlich avantgardistisch, sie hat mit dem, was Wilco oder die Libertines machen wenig bis gar nichts zu tun, aber der oben genannte Begriff „populäre Musik“ erfasst seit den vergangenen 50 Jahren ein so weites Feld, dass es Sinn macht, wenn man auf diesen Bereich hinweist – zumal bald andere, durchaus auch vergleichbare Alben von Musikern wie Robert Rich oder Max Richter - aber auch die Drone-Epen von Earth oder Birchville Cat Motel ein ähnliches Feld beackern. Die Fakten zu den Disintegration Loops (... von Vieren ist dies der erste Teil...): Der Komponist William Basinski wollte ein paar Tonbänder mit Loops aus dem Jahre 1982 digitalisieren, und musste feststellen, dass beim „abrollen“ der Tapes die Oberfläche der Bänder abblätterte, und die Musik sich so immer mehr in ihre Fragmente auflöste. Die pastoralen Klavier-Melodiebögen „desintegrierten“ in eine immer geisterhafter wirkende Ambient-Struktur (...und sind sie somit auch ein Zufallsprodukt - wie die Idee Brian Eno's zu seinen Ambient-Alben, die ihm kam, als er – nach einem Unfall ans Bett gefesselt - nicht in der Lage war das leiernde Tape im Kassettenrekorder zu stoppen - und da auf den Gedanken kam, Musik zu verfremden). Basinski bemerkte den Reiz dieser Klänge im Sommer 2001, und als er ihnen am dubiosen 11.09.2001 auf dem Dach seines Appartements in Brooklyn lauschte, rasten die beiden von Terroristen gesteuerten Flugzeuge in die nicht weit entfernten Twin-Towers des World Trade Centers. Dieses Ereignis verlieh den Loops einen fatalen Subtext, der sie inzwischen bei Ausstellungen über 09/11 in New York zur beliebten Sound-Tapete machen. Tatsache ist allerdings auch, dass ich, als ich die Disintegration Loops erstmals hörte, von diesem Subtext nichts wusste, mich aber dem Reiz der beiden 63 – bzw. 11 Minuten langen „Stücke“ nicht entziehen konnte. Mir schien es, als wäre es jemandem gelungen, das vergehen von Zeit hörbar zu machen – und zwar auf eine zugleich traurige, unheimliche wie ermutigende Weise. Die zu Beginn hörbare Melodie löst sich langsam, fast unmerklich (über 63 Minuten ! ) in Ihre Bestandteile auf, man „sieht“ buchstäblich, wie sie zu Staub zerfällt. Das macht so manchen potentiell aggressiv, mich hielt es in andauernder Spannung, nach einer gewissen Zeit wusste nur noch ich selber, was zu Beginn zu hören war, jeder der neu hinzukam, hatte die ursprüngliche Schönheit und Ruhe der Klänge nicht mehr vor Augen (...bzw. Ohren...), ich aber verfolgte gebannt, wie gleichsam vom ursprünglichen Blatt eines Laubbaumes allmählich das fragile Gerippe übrig blieb, das sich dann auch noch langsam zersetzte. Das war wunderbar - Ich wollte mehr – und bekam noch die Teile II bis IV.

The Flaming Lips

Yoshimi Battles The Pink Robots


(Warner Bros., 2002)

Anstatt zu versuchen, das leuchtende Meisterwerk The Soft Bulletin zu wiederholen, vereinfachten die Flaming Lips auf dem Nachfolger Yoshimi Battles The Pink Robots ihren Sound und schafften es zugleich variabler als zuvor zu klingen. Das Album hat eine beseelte, fließende Schönheit, die auch bei solchen Meilensteinen wie Astral Weeks, Pet Sounds oder Revolver findet. Aber Sound und Konzept sind originär Flaming Lips'. Ihre Fusion aus elektronischen Texturen und purem Pop mag nicht „neu“ sein, aber diese Art von Musik wurde selten so meisterhaft und zugleich exzentrisch ausgeführt wie auf Yoshimi.... Hier werden philosophische Betrachtungen, die verdrehte Pop-Sensibilität der Lips und ihre kindliche Experimentierlust zu perfektem psychedelischem Pop verschmolzen. Die Single „Do You Realize“ ist traurig und positiv zugleich indem sie die nackte Tatsache der Sterblichkeit in Engels-Chöre und Wolken aus Streichern kleidet. Beim überbordenden Chaos von „Yoshimi Battles the Pink Robots, Pt. 2“ donnern mächtige Drums gegen den Gesang des Japaners Yoshimi P-We an – seines Zeichens Mitglied der Noise-Veteranen und Brüder im Geiste Boredoms. Und der wunderschöne Opener „Fight Test“ zitiert Cat Stevens' „Father and Son“. Angeblich ist die Grundthematik des Album's – die Sterblichkeit und der Kampf ums (Über)Leben beeinflusst von der Korrespondenz mit einem jungen, krebskranken japanischen Fan – was einerseits nicht überraschen würde, wenn man sieht, aus welchen Quellen die Flaming Lips ihre Inspirationen ziehen, was andererseits aber dem seltsam psychotischen Image, hinter dem sich insbesondere Bandkopf Wayne Coyne versteckt, widersprechen würde – er selber verneinte die Frage nach einem Konzept immer wieder. Letztlich ist es ja auch egal, denn Yoshimi Battles the Pink Robots ist unabhängig davon ein Meisterwerk des modernen psychedelischen Rock.

Sonic Youth

Murray Street


(DGC, 2002)

Der in dieser Zeit omnipräsente Jim O'Rourke ist möglicherweise der Hauptgrund für die Wiedererstarkung der Indie-Institution Sonic Youth zu Beginn der 00er Jahre. O'Rourke hatte schon den Vorgänger NYC Ghosts & Flowers produziert, man verstand sich gut, und nun verkündeten die vier Insdie-Veteranen, dass er ihr neues, fünftes Mitglied sei... - und das ist dann auch eigentlich das Neueste an Murray Street – denn letztlich kann man zu Recht sagen, dass Sonic Youth hier zum Sound und zum Konzept ihres Meisterwerkes Daydream Nation zurückkehrten. Natürlich mit moderneren Mitteln, mit den Texturen, die ein erfinderischer Geist wie Jim O'Rourke unterlegen kann, mit der zusätzlichen Erfahrung und meinetwegen auch Altersweisheit, die sie seit 1988 erlangt hatten – aber die „Maschine“ Sonic Youth und ihre inzwischen traumwandlerische Fähigkeit, bei Improvisationen aufeinander einzugehen, macht eine eventuelle Routiniertheit in diesem Falle wett. Und ich denke, sie hatten Nichts mehr zu beweisen, waren locker und zugleich unter Spannung. Die Aufnahmen in New York hatten vor 09/11 begonnen, waren durch das Attentat auf das World Trade Center und nachfolgende Benefiz-Auftritte unterbrochen, und vielleicht ist das Gedenken an die Opfer und die Trotzreaktion auf den Anschlag auf die Kultur, für die auch Sonic Youth stehen, ein Grund für die Energie in der Musik auf Murray Street. Mit „Karen Revisited“ wird dem Idol Karen Carpenter ein weiteres mal gehuldigt und zugleich ein Bogen in die eigene Vergangenheit geschlagen (...siehe „Tunic ( Song for Karen)“ vom '90er Album Goo...). Und mit „Rain on Tin“ ist einer ihrer stärksten Songs überhaupt dabei – inklusive Television/ Marquee Moon Gitarrensolo. Ja – sie benutzten Mittel, die man von Ihnen kannte, aber sie taten das mit großer Effektivität und Energie. So ist Murray Street nach ein paar - relativ – schwachen Alben eine Rückkehr zu alter Form. Von dieser Art Musik gibt es nie zu viel..

Interpol

Turn On The Bright Lights


(Matador, 2002)

Dies ist die Zeit, in der der Post Punk der Beginnenden 80er der angesagte Scheiß ist, die Zeit, in der Bands wie Joy Division, Gang of Four, PIL etc. von einem jungen Publikum wiederentdeckt werden... oder genauer: Deren Sound wird wiederentdeckt und mit den Mitteln moderner Studiotechnik reproduziert. Allerdings sind nicht nur die 30 Jahre Zeitunterschied zwischen Interpol und den im Zusammenhang mit den New Yorkern immer genannten Joy Division eine gewaltige Kluft. Der prägnante Sound Joy Divisions war aus den eingeschränkten Mitteln ihrer Zeit und ihrer Situation beim Factory Label entstanden und nicht nur gewähltes Stilmittel. Die Themen der Songs, die Düsternis und Kälte spiegelten das gesellschaftliche Klima England's in den Thatcher-Jahren wider - Interpol's Düsternis scheint im Vergleich eher Pose als gefühlte Frustration. Die Frage stellt sich, ob diese Tatsachen Turn on the Bright Lights - das Debütalbum von Interpol – disqualifizieren ? Die Antwort muss Lauten: Nein, es mag sein, dass Interpol in ihrem „Design“ konservativ sind, die Ästhetik des Album schreit regelrecht „1980“, auch wenn sie so perfekt ist, wie kein Album der Vorbilder je geklungen hat, aber – ganz einfach – zu jeder Zeit haben sich Musiker auf Vorbilder einer vorherigen Generation berufen. Dass Interpol das nun in solcher Perfektion schaffen, ist auch der Tatsache geschuldet, dass inzwischen durch das Internet jede Musik eingehend studiert werden kann. Und dann: Der New Wave der beginnenden 80er war keine kommerziell vielversprechende oder gar erfolgreiche Musik, sondern ein Wagnis. Um diese Musik ins neue Jahrtausend zu tragen braucht man keinen Masterplan sondern Leidenschaft. Eine Leidenschaft, die man dem Album bei aller Perfektion anhört. Und Interpol beziehen sich auf IHR New York, auf ihre Situation und ihre Geschichte – mit musikalischen Mitteln, die erfreulich reduziert sind, die man kennt, wenn man Joy Division etc kennt, die aber immer sinnvoll und ästhetisch waren, die vielleicht zwischendurch mal aus der Mode kamen, die aber eben jetzt wieder passen. Bands wie die Strokes oder Franz Ferdinand oder The National zitieren ebenfalls – und sie tun es – jedenfalls mit ihren ersten Alben – auf sehr gekonnte Weise, und sich hinzustellen, und zu sagen „die Originale waren besser“ ist angesichts solcher Songs wie „Hands Away“ oder „Say Hello to the Angels“ arrogant, dumm und reaktionär. Ich sage: Was zählt sind die famosen Songs, ist die wunderbar ausbalancierte Atmosphäre. Wären Interpol 32 Jahre früher zur Welt gekommen, so wären sie auch eine der „großen“ Bands geworden. Turn on the Bright Lights mag nicht innovativ sein, aber es ist schön. Das ist eine Qualität, die gerne unterschätzt wird. Dass sie so ernst klingen, macht sie nicht automatisch unglaubwürdig.

The Libertines

Up The Bracket


(Rough Trade, 2002)

...und hier noch eine Band mit Zitat-Post-Punk. The Libertines gelten als die erste britische Band, die eine ernsthafte Konkurrenz für die „The“-Bands aus den USA darstellten und ihr Debüt Up The Bracket schien die direkte Antwort auf This Is It von den Strokes. Natürlich waren die Vorbilder der Briten eben nicht The Velvet Underground oder die Stooges sondern die Bands der Mod-, Punk- und Brit-Pop-Szene und passender-weise war Mick Jones (einstmals The Clash) der Produzent dieses Albums. Die exzellente Debut-Single „What a Waster“ kam - wie es sich im United Kingdom gehört - zunächst nicht auf das Album, wurde aber auf späteren Versionen hinzugefügt. Die Songs auf Up the Backet zeigen die Libertines zu diesem Zeitpunkt in einer perfekten, aber auch deutlich fragilen Brillianz. Bei „Vertigo“, „Death on the Stairs“ oder dem großartigen „Boys in the Band“ wechselten die Gitarren zwischen Merseybeat und Garagenrock und die Cockney-Vocals klingen mal nach Brit-Pop, mal nach Punk-Snarls. Aber in der Kombination der Elemente war das alles hier zwar postmodern, klang aber auch so herrlich pathetisch und frisch, dass der Hype berechtigt war: Vor Allem weil die Libertines in ihrer gloriosen Energie und Großmäuligkeit – aber auch an Musikalität - an Bands wie The Who The Jam oder die Kinks heranzureichen vermochten. Ob sie dabei beabsichtigten, auf eine „Welle“ aufzuspringen, wage ich zu bezweifeln. Sie klingen so, als könnten sie einfach nicht anders, und es ist meiner Meinung nach eher so, dass sie zur rechten Zeit am rechten Ort waren. Leider brach die Band – insbesondere aufgrund der Unberechenbarkeit von Enfant Terrible Pete Doherty im folgenden Jahr nach einem zweiten, glorreich desolaten Album auseinander. Auf Up The Bracket allerdings sind sie – wie das Insekt im Harztropfen - in aller Perfektion eingefangen.

Broken Social Scene

You Forgot It In People


(Arts & Crafts, 2002)

Bei Erscheinen dieses Albums war die Broken Social Scene noch völlig obskur – ein Side Projekt der beiden kanadischen Musiker (.. genauer, aus Toronto...) Brendan Canning und Kevin Drew, die 2001 schon ein ambient-artiges Album titels Feel Good Lost veröffentlicht hatten, das mit seinen sanften Klängen keineswegs darauf vorbereitet hatte, was hier kommen würde. Das Rezept zum zweiten Album: Man holt einfach einen ganzen Haufen Musiker/Freunde aus der regen Toronto'er Indie-Rock Szene zusammen - gerne mit ganz unterschiedlicher musikalischer Ausrichtung - und versucht das Beste aus Allem, was diese Gruppe zusammenbraut zu destillieren. Ein Konzept, das ganz übel in die Hose gehen kann, hier aber vortrefflich gelang. Die ersten beiden Tracks erinnern noch an das erste Album des Projektes, der Opener kommt gar ohne Gesang aus, aber spätestens bei „Stars and Suns“ wird klar, dass hier ganz groß Pop 'drauf geschrieben wird. Die Songs bekommen Stimme und Chorus, der Rhythmus wird schneller - ein bisschen ist You Forgot It In People so etwas wie eine Compilation voller wohlüberlegter und -ausgeführter Beispiele für kraftvollen Indie-Rock – von noisy Blowouts („Almost Crimes“) über Improv-Jams („Looks Just Like The Sun“) bis zu delikaten Pop-Tunes wie „Anthems For A Seventeen-Year-Old Girl“'. Dass die Zehn+ Teilnehmer an diesem Projekt sich nicht gegenseitig die Show stehlen, mag an gegenseitiger Achtung liegen, oder an Freundschaft, oder vielleicht sind die beiden Begründer von Broken Social Scene kluge Diktatoren, aber bei den Sessions hat jeder selbstlos seinen Beitrag geleistet, und es ist sogar so, dass sich im Nachhinein kaum verifizieren ließ, Wer Wann Was gespielt hatte. Man höre nur, wie die Stimmen von Kevin Drew und Leslie Feist beim „Hit“ „Almost Crimes“ umeinander kreisen – da ist kein Versuch den anderen zu übertreffen, da wird dem Song gedient. Selbst bei mäandernden Jams wie „Shampoo Suicide“ - einem experimentell Song bei dem Sänger Kevin Drew scheinbar in Stimmen spricht - hält das Musik-Kombinat die Spannung hoch. Und da ist Sängerin Emily Haines – die bald eine recht erfolgreiche Karriere mit ihrer Synth-Post-Punk-Pop Band Metric hinlegen würde – die der Musik mit ihrer luftigen Stimme eine gewisse Sexyness verleiht. Und da ist natürlich auch die oben genannte Leslie Feist, die hier erstmals auf sich aufmerksam machte und bald eine veritable Karriere als moderne Indie – Singer/ Songwriterin machen würde. You Forgot it in People ist das perfekte Beispiel dafür, dass eine große Menge an Musikern ihre Talente wie verschiedene Variablen zu einer Gleichung zusammenführen können, die tatsächlich aufgeht. Der Reiz dieses Albums ist schwer zu beschreiben: Es ist ja eigentlich nur Indie-Rock – inzwischen ein sehr abgenutzter Begriff – aber dieser ist so ausgezeichnet gelungen, dass er weit aus der Masse herausragt.

Isis

Oceanic


(Ipecac, 2002)

Die Bostoner Band Isis war Ende der Neunziger als eine Art Neurosis Rip-Off gestartete. Keine Häme - die Hardcore Innovatoren hatten es verdient, dass sich jemand an ihrem Sound orientiert und abarbeitet, zumal Isis doch schon bald die notwendige Abzweigung vom Sludge/ Hardcore-Pfad fanden. Das 2000er Debüt Celestial klang noch etwas hölzern, hatte aber durch elektronische Störgeräusche schon seinen eigenen Charakter, aber dann kam der Wechsel zum experimentellen Noise-Label Ipecac des Hyperaktiven Mike Patton - und damit der Start in stilistisches Neuland – wobei auch hier gilt – ganz Neu ist alles, was hier zusammenkommt nicht. Die einzelnen Bestandteile kennt man: Von Neurosis, von den Melvins, von den schottischen Post-Rockern Mogwai, meinetwegen auch von Grindcore-Veteranen wie Napalm Death – wenn man deren Singles auf 33 1/3 abspielen würde... aber die Kombination lässt etwas entstehen, das man nur Post-Metal nennen kann. Diese Mischung und die Intensität, in der die Sounds auf Oceanic gegen die Klippen brandet ist neu. Das maritime Thema mag im Metal gern genommen werden, aber Isis gaben all dem einen intellektuellen Anstrich und vor Allem: Sie hatten die Songs, die Kraft und die Technik, um den Ozean aufbranden oder still da liegen zu lassen, ohne dass der Gedanke an eine Flaute aufkommt. Laut Aussage des Bandkopfes Aaron Turner entstanden die Songs in komplizierten Probe-Sessions, ein Weg, der ihnen dank des Labels eröffnet war, das sie einfach manchen ließ und das Endprodukt unzensiert veröffentlichte. Die Typologie dieser Songs wird schon mit dem Opener „The Beginning and the End“ vorgegeben: Hardcore Brüllgesang wechselt sich mit langsamen, atmosphärischen Passagen ab, das Schlagzeug klopft wie von Steve Albini produziert, der Metal-Kenner wird die Riffs bewundern, der Jazz-Liebhaber kann die rhythmischen Komplexitäten einfach nicht verleugnen, und all das wird von Melodiebögen zusammengehalten, die sich auf kluge Weise hier und da wiederholen. Isis mögen aus alten Quellen geschöpft haben, aber der „Blend“, der dabei herauskam, war nicht nur sehr wohlschmeckend, sondern auch so neu, dass bald Nachfolger wie Pelican oder Rosetta sie wiederum nachahmen wollten.

Beth Gibbons & Rustin' Man

Out Of Season


(Go ! Beat, 2002)

Seit fünf Jahren schon hatte man Beth Gibbons' Stimme nicht mehr zu hören bekommen. Eine unverzeihliche Sünde. Und es war 2002 auch nicht mehr vorstellbar oder gar absehbar, dass Portishead sich noch mal „äußern würden (...tatsächlich dauerte es noch sechs Jahre zum dritten Album...), da kam dieses Album ganz Recht. Und dann auch noch ihre Stimme im Zusammenspiel mit Ex-Talk Talk Bassist und Produzent Paul Webb aka Rustin' Man (Nicht völlig überraschend, die beiden kennen sich von der Talk Talk Nachfolge-Band 'O'Rang). Dem Conaisseur lief das Wasser im Munde zusammen – der schäbige Rest hat es nicht bemerkt. Out of Time ist tatsächlich unauffällig, es ist weniger in TripHop Sounds getaucht als vielmehr dunkler Folk, auch wenn „Tom the Model“ mit den Scratches und Sounds von Portishead vorstellbar wäre und die Streicher es in Richtung des wunderbaren Portishead-Live Albums schieben. Beth Gibbons Stimme wird sowieso immer mit den TripHop Meistern verbunden werden, aber hier steht sie noch mehr im Mittelpunkt, hier nutzt sie die Bühne, um noch andere Facetten zu präsentieren, so klingt sie bei „Show“ wie eine Widergängerin von Billie Holiday, beim von Paul Webb geschriebenen „Sand River“ beunruhigend sanft, und bei „Resolve“ nach sehnsüchtiger Folksängerin britischer Schule. Für jeden Song lässt sie eine neue Facette aufleuchten. Out of Season ist sublimer noch als die Alben von Portishead, die Songs brauchen länger um ins Ohr zu kriechen, aber einen Song wie „Romance“ will man spätestens nach dem zweiten Hören nicht mehr vergessen, er schwebt wie eine Nebelschwade vorbei, die man festhalten möchte. Paul Webb's Arbeit ist es zu verdanken, dass das Album die fantastische Stimme Beth Gibbons' in den Vordergrund stellt, aber der eigene Sound und damit der eigene Charakter - die Alleinstellung von Out of Time gelingt. Dann kommt „Drake“ mit seinem an den großen britischen Folkmusiker Nick Drake angelehnten Sound, mit diesem klugen akustischen Bass und eleganten Streichern, und am Schluß schießt Paul Webb Beth Gibbons Stimme zusammen mit der Talk Talk - Mundharmonika in den elektronischen Äther und man wünscht sich mehr von dieser Musik. Es braucht wie gesagt Zeit und Konzentration, all diese Qualitäten zu erkennen – was seinen geringen kommerziellen Erfolg begründen mag. Out of Time ist ein Herbst-Album, dem man wirklich „zuhören“ muss, erst dann erkennt man seine Schönheit.






















Donnerstag, 15. September 2016

1960 - John F. Kennedy und Psycho und Lukas der Lokomotivführer - von Elvis bis Hank Mobley

In den USA gewinnt John F. Kennedy die Präsidentschaftswahlt – mit ihm als Hoffnungsträger einer jungen Generation beginnt eine etwas „demokratischere“ Phase in der Geschichte des Landes. So kommt es in diesem Jahr zum Beispiel zum ersten Protest – einem Sit-In – von schwarzen Amerikanern gegen Diskriminierung. Die Anti-Baby Pille kommt in den USA auf den Markt und ist direkt ein Renner – zum Entsetzen der konservativen Kräfte in den USA. In Afrika werden 18 (!) ehemalige Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen. Die OPEC (Organisation Erdölproduzierender Länder) wird gegründet. Als erste Lebewesen werden die Hunde „Belka“ und „Strelka“ von den Sowjets in den Weltraum geschossen. Hitchcocks „Psycho“ kommt in die Kinos und Michael Ende's Lukas der Lokomotivführer kommt in die Buchläden. Bei einem Erdbeben in Marokko kommen bis zu 15.000 Menschen ums Leben. 1960 ist das Geburtsjahr von Michael Stipe (R.E.M.) und Paul David Hewson – auch bekannt als Bono (U2). Bei einer Tour in England stirbt Eddie Cochran und Gene Vincent wird schwer verletzt. In St. Pauli tritt eine junge Band namens The Beatles auf. Elvis Presley hat derweil seine Militärzeit beendet und kehrt in ein Amerika zurück, in dem Rock'n'Roll von „leichteren“ Musikern wie Bobby Darin und den Everly Brothers weich gespült wird. In England gibt es derweil mit Cliff Richard und Billy Fury ein paar recht selbstbewusste Kopisten. Die wirklich gute (= abenteuerliche) Musik kommt aus dem Blues und – wie schon länger – dem Bereich des Jazz. Hier geht’s immer mehr Richtung „Avantgarde“, während etliche der alten Bluemusiker nun auf Longplayern reüssieren. 1960 ist auch ein recht gutes Jahr für Country-Freunde, mit tollen Alben von Johnny Cash und George Jones. Auch schwarze Musik ausserhalb der Jazz-Grenzen wie die von Ray Charles hat einen überraschenden Crossover Erfolg und mit James Brown erscheint ein weiterer Begründer des Soul auf der Szene. Alle in Allem ist zwar einiges Los, aber wie sehr sich die Musikwelt – gemeinsam mit der Gesellschaft - in den Sechzigern verändern wird, ist noch nicht absehbar. In den Charts der damaligen Zeit prominent, mir aber aus persönlichen Geschmacksgründen zu unwichtig erscheinen: Bobby Vee, Connie Francis, Paul Anka (immer noch) und vor Allem – Lolita mit ihrem dollen Hit „Seemann, deine Heimat ist das Meer“. Als hätte es dieser Information bedurft.

Elvis Presley

Elvis Is Back


(RCA, 1960)

Ich zitiere hier das Review von W. Doebeling für den Rolling Stone – der als erstes John Lennon zitiert...: “Elvis starb nicht erst jetzt, sondern schon als er zur Army ging”, sagte John Lennon 1977. Ein flott formuliertes Verdikt, das politisch und moralisch Sinn machen mag, im Hinblick auf den musikalischen Output des King allerdings lachhaft ist - auch wenn Rock'n'Roll hiernach zumindest in den USA arg zu schwächeln begann. Der Erwartungsdruck auf Elvis bei seiner Rückkunft aus Deutschland war enorm. Die globale Fangemeinde begehrte zu wissen: war Elvis' Spirit bei Uncle Sam auf der Strecke geblieben, zusammen mit seiner Tolle? Die Antwort fiel unzweideutig aus. Elvis Is Back kickstartete die neue Dekade, war zugleich Warnung und Wiedergeburt. Von Chet Atkins penibel produziert und dennoch von ungestümer Vitalität, singt Elvis mit einer Hingabe, als wäre er nie weg gewesen. Scotty Moore spielt ökonomisch auf den Punkt, und die Songs holt Elvis sich von bewährten Kräften wie Otis Blackwell und Jerry Leiber & Mike Stoller. Ein wahrhaftig brilliantes Album, das mit „Fever“ einen jener Songs beinhaltet, die auf immer mit Elvis verbunden werden sollten und mit „Reconsider Baby“ einen der großen – eher unbekannteren Songs. Dazu komen auf den Re-Issues noch Songs wie „Are You Lonesome Tonight“, ebenfalls bei den Sessions zu Elvis Is Back entstanden. Auch wenn das Ergebnis manchen Fundamentalisten zu glattgebügelt war. Damals galt: back with a bang – zumindest bis Elvis sich dann völlig den Wünschen seines Managers fügte, und seine Karriere (musikalisch allerdings mit einigen glorreichen Ausnahmen) im Film- und Las Vegas Unterhaltungs-Business versanden ließ.

Eddie Cochran

12 of His Biggest Hits


(Liberty, 1960)

Während Elvis' Auszeit bei der Army war der Rock'n'Roll in den USA ins Hintertreffen geraten, und die anderen Protagonisten waren entweder gestorben (Buddy Holly, Richie Valens), oder hatten ein neues, begeisterteres Püblikum in Britannien gefunden. Aber auch dort sollte das Schiksal zuschlagen: Eddie Cochran war auf der gemeinsamen England-Tour mit Gene Vincent im Frühjahr dieses Jahres bei einem Autounfall umgekommen. Was für ein Verlust das für die Musik war, wurde allerdings erst später bewußt wahrgenommen. Tatsache ist, dass die Wertschätzung für Cochrane's Musik immer noch weit hinter ihrer Bedeutung liegt. Zu Lebzeiten hatte er es nur auf ein paar – allerdings recht erfolgreiche – Singles gebracht. Songs, die später einen gewaltigen Bekanntheitsgrad erreichten, und die posthum auf diversen Compiltions immer wieder aufs Neue versammelt wurden. Songs wie „Summertime Blues“ oder „C'mon Everybody“, wurden später von The Who, Blue Cheer und Anderen immer wieder gecovert. Die wenige Monate nach seinem Tod zusammengestellte Compilation 12 of His Biggest Hits zeigt einen Musiker, der als Komponist seiner eigenen Songs glänzte, einen hervorragenden Gitarristen und Sänger, der die damalige Studiotechnik – er arbeitete hier schon mit Overdubs - kreativ nutzte. Ein fantastischer Musiker, der mit gerade mal 21 Jahren viel zu früh gestorben war

Cliff Richard

Me & My Shadows


(Columbia, 1960)

Und noch einmal zitiere ich W. Doebeling... Wie gerade gesagt: In England war mit einer gewissen Verspätung auch die Seuche namens Rock'n'Roll ausgebrochen, und ein paar junge Musiker hatten auf mehr oder weniger authentische Weise begonnen, ihren Vorbildern aus den USA nachzueifern. Erster – und am erfolgreichsten damit - war damals (das mag heute unglaublich erscheinen...) ein gewisser Cliff Richard mit seiner Band, den Drifters. Ursprünglich ein juveniles Abziehbild des rock‘n‘rollenden Elvis bis hin zu Koteletten und frenetischem Hüftwackeln, pendelte der in den Jahren 1960 bis 1963 beständig zwischen seinem Teenie-Boy Credo der Fifties und jenem harmlosen Teen-Idol-Appeal, der sich später so mühelos in fades, fadenscheiniges Family-Entertainment verwandeln sollte. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts ließ man ihn noch einmal ganz nach eigenem Gusto agieren, nur begleitet von seiner gerade in The Shadows umgetauften Backing Band (Die US-Drifters hatten sich beschwert), und frei von Norrie Paramors oft syrupartigen Streicher-Arrangements. Fünf Jahre später würde Richards beginnen zu frömmeln, acht Jahre später macht er sich beim Eurovision Song Contest zum Affen, 36 Jahre später wurde er von der Queen geadelt, aber 1960 hat er die besten Songs und die beste Band diesseits des Atlantik. Und die perfekte Stimme für Popmusik, denn nichts anderes ist Me And My Shadows: furioser, knalliger, protobritischer Twang-Pop, der lediglich vom weiter unten reviewten Billy Fury noch getoppt werden sollte... ein Album mit einem überragenden Cliff Richard, der aner hiernach - wie gesagt - keinerlei Bedeutung mehr hatte.

Roy Orbison

Lonely And Blue


(Monument , 1960)

Roy Orbison begann seine Karrierev zusammen mit Elvis Presley, Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins bei Sun, hatte dort ein paar kleinere Hits und wechselte dann - ähnlich wie Elvis – zunächst zu RCA, wo er allerdings nur eine einzige Single veröffentlichte. Dann aber kam er zum Monument-Label - und betonierte dort seinen Stil, sein Image und damit seinen Erfolg. Er kam eigentlich auch aus der Country/Rockabilly Tradition, aber als er bei Monument ankam, drehte er seinen Stil Richtung Pop – wobei es immer seine einzigartige Stimme bleiben würde, die ihn von seinen Zeitgenossen – ja von allen anderen Musikern unterscheiden sollte. Klar, kraftvoll, und mit einer überraschenden Range, war sie für bombastischen Pop wie gemacht, hätte bei schnödem Rock'n'Roll vielleicht sogar fehl am Platze gewirkt – und konnte Tragik und Tiefe so gut transportieren, dass es irgendwie immer logisch erschien, dass sein Leben voller Kalamitäten verlaufen sollte. 1960 freilich waren diese noch nicht abzusehen. Lonely and Blue war sein erstes komplettes Album, beinhaltet die übliche Zusammenstellung von Hits und Coverversionen der angesagten Songs der Saison – mal mehr, mal weniger gelungen. Orbison ist ein Singles-Künstler – ganz klar – aber die LP's aus dieser Zeit haben einen eigenen Charme – auch und gerade wegen der „schlechteren“ Songs – und hier sind natürlich auch Perlen wie sein erster großer Hit, „Only the Lonely“, eine frühere, weniger erfolgreiche, aber nicht minder berührende Single titels „I'm Hurtin'“ und Songs wie „Blue Angel“, Blue Avenue“ und „Cry“.... da ist in den Titeln ja schon alles gesagt. Tragik, Dramatik, dazu Orbisons Outfit in schwarz, mit schwarzer Sonnenbrille und schwarzem Haar – es gibt dezentere Images, aber es gibt auch schlechtere – und in den USA war Heino unbekannt. Lonely and Blue und die beiden nachfolgenden Alben gehören in den Kanon der Popmusik, aber wer sich dafür nicht interessiert, kann sich ja an einer der unendlich vielen Singles-Compilations delektieren.

Muddy Waters

Sings Big Bill Broonzy


(Chess, 1960)



Muddy Waters

Muddy Waters At Newport


(Chess, 1960)

Mit dem Aufkommen des Longplayers begann für die alten Bluesmusiker Ende der Fünfziger eine neue Zeit. Muddy Waters hatte in den End-Vierzigern und Fünfzigern mit seinem rohen, elektrifizierten Chicago Blues etliche Single-Hits gehabt, hatte 1957 mit seinem ersten Longplayer – einer Compilation dieser Hits (Später auch als Sail On veröffentlicht) - das LP-Format für sich entdeckt und dankte nun auf seinem ersten regulären Album seinem Mentor Big Bill Broonzy dafür, dass der ihn in die Blues-Szene Chicagos eingeführt hatte. Der 1958 verstorbene Broonzy war einer der Überlebenden der ersten Generation von Blues Musikern gewesen - er war - 1893 geboren - Zeitgenosse von Robert Johnson und Son House – und seine Songs aus dem Ende der 20er bis in die 30er Jahre waren tief im Country Blues verwurzelt – akustisch eingespielt und eher sanft klingend. Muddy Waters hat Broonzy gewiss respektiert, aber er drückte den Songs auf ... Sings Big Bill Broonzy nichtsdestotrotz seinen stilistischen Stempel auf und machte sie sich damit zu eigen. Zwar spielt er hier und da akustische Gitarre, aber der Sound ist dennoch elektrisch, urban – eben seine Art von Chicago Blues. Etwas, das den meisten Stücken durchaus auch gut zu Gesicht steht. Zu der Schnelligkeit und dem urbanen Sound trägt neben Waters' virilem Gesang vor Allem die virtuose Harp von James Cotton bei. Man höre nur „Moppers Blues“ oder den eigentlich vom weissen Banjo Virtuosen Bill Monroe geschriebenen „Lonesome Road Blues“. Songs, denen das moderne Gewand hervorragend steht, die eben weil sie gute Songs sind – zeitlos bleiben. Weitere Highlights solltest du selber herausfinden, ich empfehle etwa „Southbound Train“, „When I Get to Thinking“ und das flotte „Hey, Hey“. Im selben Jahr noch wurde Waters zum Newport Jazz Festival eingeladen und nutzte mit der Aufnahme der Live-LP Muddy Waters at Newport die Gelegenheit, ein junges, weißes Publikum auf seine Musik aufmerksam zu machen. Der Blues galt Ende der Fünfziger in der schwarzen Community als altmodische Musik, was so manchen Veteranen in den letzten Jahren dazu gebracht hatte, im fernen Europa sein Glück zu suchen. Auch Muddy Waters hatte in Europa vor einem jungen Publikum gespielt – hier in Newport konnte er nun auch vor jungen weissen Amerikanern spielen – und er nutzte seine Chance. Am Vortag war es beim Auftritt Ray Charles' zu Tumulten gekommen, die Polizei hätte den Rest des Festivals beinahe abgebrochen, aber der Veranstalter berief sich auf die Absicht, der Welt den Blues zu präsentieren, und Waters ließ es zum Abschluss des Festivals noch mal so richtig Krachen. Die Band um Waters, mit seinem Halbbruder Otis Spann am Bar-Piano und mit einem hochmotivierten James Cotton an der Harmonika spielt sich durchHits wie „I Got My Brand on You“, „I've Got My Mojo Workin“ oder „(I'm Your) Hoochie Cootchie Man“ und gerät vor Begeisterung fast außer sich. Waters spielt kaum Gitarre, ist dafür aber als Sänger immens präsent und machte mit ...at Newport wohl eines der wichtigsten Alben, die den Blues ins neue Jahrzehnt überführten.

John Coltrane

Giant Steps


(Atlantic, Rec. 1959, Rel. 1960)

Im Mai 1959 aufgenommen und erst im Januar '60 der staunenden Musikwelt präsentiert, enthält Giant Steps einige der großartigsten Aufnahmen des genialen Saxophonisten, bevor der sich bald komplett den freien und spirituellen Seiten des Jazz zuwandte . An Tranes Seite sorgte Hard-Bop erprobtes Personal wie Bassist Paul Chambers und Schlagzeuger Jimmy Cobb mal für einen Blues-gefärbten Grundton - oder, je nach Temperament des erstmals exklusiv von Coltrane komponierten Materials - für sanften Swing, der lyrische Soli erlaubt. So auf dem bezaubernden „Naima“, der balladesken Ode an 'Tranes Ehefrau, die nicht nur atmosphärisch mit „Freddie Freeloader“ verwandt zu sein scheint, den man von Miles Davis 59er Meister-werk Kind Of Blue kennt. Kein Wunder, denn das Quartett, hier mit dem jungen Wynton Kelly am Klavier, spielte bei beiden Sessions. Ein geradezu beängstigendes Tempo legt hingegen der Titeltrack vor, während Trane improvisatorische Skalen erprobt, wild entschlossen wie selten. Hier ist eine der Wasserscheiden zwischen traditionellem Jazz, und dem Jazz, der im Free Jazz münden sollte. Coltrane machte mit Giant Steps das Solo zum zentralen Element seiner Musik und erschuf erstmals seine „Sheets of Sound“ (Klangfächen). Aber all die Theorien von Entwicklungen vom Be Bop über den Hard Bop zum Free Jazz und weiter sollten beim Hören solcher Stücke wie dem seiner Stieftochter gewidmeten „Syeeda's Song Flute“ keine Rolle spielen. Die Qualität in Coltranes Musik liegt hier – wie so oft in den kommenden Jahren – in der offensichtlichen Inspiration, mit der er musizierte. Das hier mag Jazz sein, aber es ist vor Allem Musik, die voller Begeisterung versucht, Grenzen zu überschreiten. Das ist für mich ihr Reiz.

Charles Mingus

Blues & Roots


(Atlantic, Rel. 1960)

Wie Charlie Mingus es in den Liner Notes beschreibt: Atlantic Boss Ahmet Ertegun hatte ihm ein paar Jahre zuvor vorgeschlagen, mal ein ganzes Album mit Bluesmusik aufzunehmen. Und dann hatten ihm Kritiker auch noch vorgeworfen, sein Musik „swinge“ nicht, sei zu intellektuell. Dieses „ZU“ war natürlich Quatsch, seinerzeit waren Kritiker allerdings insbesondere im Jazz-Bereich äußerst konservativ und Mingus war nun mal das Gegenteil davon. Aber der Exzentriker war wohl milder Stimmung, und beschloss tatsächlich, die Wurzeln seiner Musik zu untersuchen. Er holte sich ein großes Ensemble zusammen, namhaften Leuten wie Jackie McLean und Brooker Ervin, mit vier Saxophonen, zwei Posaunen, Klavier, Bass und Schlagzeug um ein Album mit dem programmatischen Titel Blues & Roots aufzunehmen. Natürlich ist auch auf seinem „traditionellen“ Album seine moderne Auffassung von Jazz erkennbar: Die Musik ist komplex, die Unisono-Passagen kontrolliert, aber – das ist eben auch typisch für Mingus – jeder bekommt seinen Freiraum. Die Aufnahmesessions sollen Berichten zufolge chaotisch gewesen sein - was vermutlich sogar gewollt gewesen ist, sogar zum Programm gehört haben wird. Schon beim ersten Song, dem „Wednesday Night Prayer Meeting“ ließ er Gospel anklingen, wobei die Blasinstrumente die Gesangssoli übernahmen und die Musiker sich mit Zwischenrufen und Klatschen antreiben. Der „Cryin Blues“ klingt so wie er heißt, „Moanin'“ setzt ein klassisches Grundgerüst unter beseelte Soli, „My Jelly Roll Soul“ trägt einen der alten Jazzmusiker im Namen. Das Ganze wird mit erfreulichem Spaß und voller Inspiration gespielt. Der Titel Blues & Roots mag nach Althergebrachtem klingen, aber der Name Charlie Mingus steht nicht umsonst und somit auch hier für Spannung. Es ist Mingus' souligstes Album und ein wirklich gutes. 

 

Miles Davis

Sketches Of Spain


(CBS, 1960)



 

Miles Davis hatte schon zweimal mit Arrangeur Gil Evans + Orchester zusammengearbeitet – erfolgreich, sowohl kommerziell als auch künstlerisch (Auf Miles Ahead und Porgy & Bess), nun nahm er sich mit Evans zusammen der spanischen Volksmusik an – er war wohl bei den Aufnahmen zum Stück „Flamenco Sketches“ von Kind of Blue auf den Geschmack gekommen. Dass Miles Davis ein Jahrhundertmusiker ist, dessen besonderer Ton auch hier durch Alles hindurch schimmert, darf nicht von der Leistung Gil Evans' ablenken. Sketches of Spain ist recht eigentlich ein Evans-Album mit besonderer Betonung auf das Spiel des Trompeters Davis'. Da ist natürlich das über 16-minütige wunderschöne „Concierto de Aranjuez“ bei dem Orchester und die Begleitmusiker (u.a. Paul Chambers am Bass) Schicht für Schicht auf Joaquín Rodrigo's Komposition mit diesen so typischen hispanischen Melodie-Motiven aufbauen und über dem Miles Davis Trompete zu schweben scheint. Er hält die Musik zusammen und gibt ihr seinen charakteristischen Ton. Improvisation ist hier allerdings nicht das Ziel. Das klassische Stück, das Davis zuvor bei einem Freund gehört hatte, wird nur sehr dezent in den Jazz überführt. Da sind drei Kompositionen von Gil Evans, das völlig spanische „The Pan Piper“ sowie das Song-Duo „Saeta“ mit einem ziemlich tollen Trompeten-Solo Davis' und „Solea“, gekonnte Fingerübungen in Stimmung und Arrangement und natürlich auch das Ballett-Stück „Will o' the Wisp“ von Manuel De Falla. Miles Davis war zu dieser Zeit einfach auf der Höhe seines Könnens, egal was er machte, es gelang ihm - und es fand auch sein Publikum – Sketches of Spain ist ein völlig anderes Album als das so erfolgreiche Kind of Blue – Und auf die Aussage etlicher abgehalfterter Jazz-Professoren, dass Sketches of Spain für sie doch gar kein Jazz ist, kann man trefflich mit Davis' eigenem Kommentar antworten: „Es ist Musik, und ich mag es...“

Ornette Coleman

Change of the Century


(Atlantic, Rec. 1959, Rel. 1960)

Ornette Coleman hatte auf jeden Fall ein Händchen für selbstbewusste Albumtitel: The Shape of Jazz to Come, Something Else !!!, oder eben Change of the Century: Coleman wusste, dass das, was er hier machte wirklich neu war und den Jazz der kommenden Jahre (mit)formen würde. Leider würde er die Musik aus der Zeit zwischen 58 und 62 wohl nie übertreffen – auch wenn er später manchmal an sie heranreichte – der innovative Impetus bei seiner Erfindung des Free Jazz ist mitreißend, und die hier aufgenommene Session für Atlantic (...die übrigens schon im Vorjahr stattgefunden hatte) halten das sehr gut fest. Im Gegensatz zu den anderen Protagonisten des Jazz dieser Zeit bestand Coleman auch auf einen guten Song: So hat diese Album mit „Rambiln'“ und „Bird Food“ Tunes, die regelrecht Hitpotential haben. Er wechselt sich mit dem Trompeter Don Cherry bei den Soli ab, Charlie Haden und Billy Higgins wandern rhythmisch auf der vorgelegten Straße, während Saxophon und Pocket Trompete die Wege manchmal tatsächlich Richtung Free Jazz verlassen, und all dem ist eine überraschende Fröhlichkeit unterlegt. Coleman war eigentlich nie der Typ „ernsthafter, düsterer“ Künstler, er hatte Spaß beim Spielen und Spaß am Wagnis. Grundlagen für die Erfindung des Free Jazz...

Hank Mobley

Soul Station


(Blue Note, 1960)

Uns nun zur etwas weniger "abenteuerlustigen" Fraktion: Hank Mobley ist einer der unbesungenen Helden des Bop, also des Stils, der zur Hoch- Zeit des Jazz (Ende der 50er Anfang der 60er) die Grundlage für die weiteren Entwicklungen – und etliche fantastische Platten – bildete. Ein Kritiker nannte ihn ganz treffend mal den „Middle-weight-Champion of the tenor saxophone“. Mobley klang nie so „lush“ wie etwa der ebenfalls technisch enorm versierte Stan Getz, war aber auch nicht so abenteuerlustig, klang nie so aggressiv und intensiv wie Coltrane oder gar Coleman – Aber er spielte in deren Klasse. So sind es die beiden in diesem Jahr aufgenommenen Alben Soul Station und das dann erst 1961 veröffentlichte Roll Call, die ihn auf seiner Höhe als Solo-Artisten sahen. Er hatte mit seinem ehemaligen Messengers-Boss Art Blakey (dr) und seinen zukünftigen Kollegen bei Miles Davis – (Wynton Kelly (p) und Paul Chambers (b) kongeniales Personal bei den Sessions dabei, spielte auf Irving Berlin's „Tomorrow“ noch etwas zurückhaltend und „Fünfziger“-mäßig, aber bei den folgenden Titeln – vier Eigenkompositionen von Mobley - spielen die Musiker immer eleganter umeinander. Soul Station ist somit sozusagen das Ideal-Album des Hard Bop, selten hört man so ein elegantes und melodisch reiches Saxophon, selten kommunizieren die Begleitmusiker so mühelos miteinander. Als Sideman bei Miles Davis war er für die lyrischeren Töne zuständig, und das kann man verstehen, wenn man dieses Album hört. Das zweite Stück „This I Dig of You“ ist rasant und immens abwechslungsreich und „Split Feelin's“ weist schon in Richtung Post-Bop. Mobley mag wie gesagt kein Innovator sein – der Grund für seinen vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrad – aber er war einer der besten Saxophonisten dieser Zeit, und Soul Station jedenfalls ist sein Meisterstück und eines der schönsten Alben auf dem Blue Note Label.












Freitag, 2. September 2016

2001 - 9/11 und der Wandel in der Weltpolitik zum Extremismus - The White Stripes bis The Stars of the Lid


Nach einem schmutzigen Wahlkampf wird George Bush Jr. als 43.Präsident der Vereinigten Staaten und Marionette seiner Familie und der Konservativen in den USA vereidigt, in Afghanistan zerstören die Taliban zwei 1500 Jahre alte riesige Buddha-Statuen, dort und im Iran/Irak ist der gesellschaftliche und politische Druck gewaltig – die Zeichen stehen auf Krieg. Am 11.09.2001 rasen zwei von Al-Kaida Terroristen gesteuerte Düsenflugzeuge in New York in die Twin Towers und bringen diese zum Einsturz. Damit gerät das gesamte westliche Wertesystem ins wanken und 9/11 wird politisch zum bestimmenden Faktor für die kommenden Jahre. Zunächst erklären die USA den Krieg gegen den Terror und rechtfertigen damit große Einschnitte in den Freiheitsrechten aller - auch der eigenen – Bürger. Zugleich werden sie in Afghanistan, am Horn von Afrika und auf den Philippinen militärisch und geheimdienstlich tätig. Die westliche Welt ist erschüttert und Terror und Angst breiten sich weltweit aus und der Konflikt zwischen der muslimischen und der westlichen Welt nimmt an Schärfe zu.. Die (Pop)-musikalische Welt reagiert noch nicht auf 9/11, dazu ist es noch zu früh. Soul-Pop Sängerin Aaliyah stirbt im Jahr 2001, ebenso wie John Fahey, John Lee Hooker und George Harrison, die Strokes und die White Stripes setzen ein Garage-Rock Revival in Gang („The“- Bands ist das Wort der Stunde), die Aufsplitterung in viele mikroskopisch kleine Nischen nimmt Fahrt auf und es gilt was auch 2000 galt: Es gibt eine Vielzahl guter Alben, ob Elektronik, HipHop, Americana oder Metal, man kann in all diesen Genres einen Favoriten finden, bemerkenswert sind auch Alben aus dem als „Freak-Folk“ wiederbelebten Folkbereich und aus den lauteren Ecken des Post-Rock. Björk oder Radiohead - etablieren sich weiter als musikalische Vorreiter, indem sie gute Musik machen, in die Einflüsse aus der elektronischen Musik organisch einfliessen. und immer mehr Musiker scheinen immer weniger Lust zu haben, sich in Kategorien packen zu lassen. Gut so. Die Compilation mit den No 1 Hits der Beatles ist kommerziell immens erfolgreich – gibt es denn nichts Neues, das den Aufwand lohnt ? Na ja, Blink 182's Pop-Punk für Dummköpfe lohnt nicht – ebensowenig wie Crazy Town's weichgespülter Crossover-Pop, Staind's angestaubter ROCK oder der nächste Versuch Robbie Williams' sich das Frank Sinatra-Jackett anzuziehen. Immerhin gibt es gelungenen Po(p) von Kylie Minogue – wenn man denn Radio hören will.



The White Stripes

White Blood Cells


(Sympathy for the Record Industry,2001)



Die White Stripes sind zweifellos die farb-orientierteste Band der Rock Geschichte. Das durch die komplette Karriere durchgezogene Schwarz / Weiss / Rot Konzept ist genauso konsequent wie ihre Anlehnung an die alte Tante Blues. Das Überraschende war, dass sie damit – nach zwei ebenso tollen wie erfolglosen Alben – 2001 auf einmal Erfolg hatten. White Blood Cells klingt alt und neu zugleich, etwa wie ein Exile on Main Street Tour Stop im legendären Punk-Schuppen CBGB's. Es ist minimalistischer Rock mit einem Fuß in Blues Traditionen und dem anderen Fuß im New Yorker Rinnstein. Auf ihrem hiermit dritten Album ließen die Stripes den reinen Blues vom Vorgänger De Stijl hinter sich und der vor Energie und Ehrgeiz sprühende Jack White haute massive Riffs zu emotionalen Lyrics raus, beispielsweise beim Citizen Kane Zitat „The Union Forever“. Und damit gab er der Musik eine Tiefe, die man bei normalen Garagenbands nie finden würde. Songs wie „The Same Boy You've Always Known“ oder das nostalgische „We're Going to Be Friends“ wurden in kürzester Zeit zu Klassikern, und wer dachte, der Rock der Altvorderern wäre nicht mehr zeitgemäß, altmodisch gar, der wurde eines Besserern belehrt. Und auf einmal war da wieder die Hoffnung, dass sich Qualität und Geschmack durchaus auch mal durchsetzen können und dass Rock aus der Garage ein breiteres Publikum finden kann. Eine Hoffnung, die noch befeuert wurde durch.....



The Strokes

Is This It


(Rough Trade, 2001)



...fünf Kinder aus privilegierten Familien, die ohne Skrupel Velvet Underground, Television und Wire ca. Pink Flag kopieren, die von der britischen Presse noch vor dem Album-Release nur aufgrund einer EP mit Lob überschüttet werden, die ihr Debut dann trotz eines wohldotierten Plattenvertrages so klingen lassen, als wäre es in der Garage aufgenommen worden: Es gab und gibt eine Unzahl von Gründen dafür, die Strokes zu hassen – oder eben auch zu lieben. Von der ersten Note von Is This It an jedoch sollte den Geschmacksaposteln klar gewesen sien, dass das Album das Zeug zum Klassiker hatte. Und bei aller Voreingenommenheit, es ist schwer, Fehler zu finden. Die Arrangements sind glasklar und auf's Notwendigste reduziert, Die Songs haben Hooks und Attitüde, The Strokes spucken klassische Proto-Punk Tunes aus als wäre das keine Kunst. Selbst das an Andy Warhol erinnernde Cover hat eine Ästhetik die in ihrer Coolness an die Cover der anderen, früheren NY Größen wie The Ramones, Blondie oder Television erinnert und es war zugleich provozierend genug war, dass es in den USA verboten wurde. Dereinst mag 2001 als das Jahr gelten, in dem The Strokes loslegten, um dann im Nirgendwo zu enden, aber wer die Bedeutung ihres Debuts für die Beginnenden 00er Jahre nicht anerkennt, ist ignorant oder einfach nur neidisch, und wer nicht die Klasse von Songs wie „Last Nite“ oder „New York City Cops“ erkennt, hat etwas eminent Wichtiges in der Rockmusik nicht verstanden.



Radiohead

Amnesiac


(EMI, 2001)


Das unter Anderem in dieser netten Form – als Büchlein + CD - veröffentlichte Album Amnesiac schwamm stilistisch sozusagen noch im Fruchtwasser des epochalen Vorgängers Kid A und ist daher vermutlich – wie ein ungewolltes zweites Kind – das vernachlässigte Album danach. Dabei gab es - bei Radiohead doch eigentlich selbstverständlich - auch auf diesem Album wieder ein paar Veränderungen. Da ist einerseits eine Rückkehr zu den kommerzielleren Seiten von OK Computer, aber auch eine Weiterentwicklung und - Erforschung neuer Soundwelten. Und wo auf Kid A manches mal das Experiment den Song überdecken wollte, traten Radiohead nun einen Schritt zurück. Vor allem insofern, als sie mit den elektronischen Sounds etwas subtiler umgingen. Da gibt es wieder fein arrangierte orchestrale Passagen im „Pyramid Song“ und bei „Morning Bell“. Das ganze Album bekommt eine trügerisch sanfte und ruhige Atmosphäre verpasst, die zwar den Songreigen zusammenhält, die aber auch immer wieder durchbrochen wird „Knives Out“ und „You and Who's Army“ sind noch am nächsten an den Songs von OK Computer und waren auch Live schon vielfach erprobt worden. „Life in a Glasshouse“ über-rascht gar mit einer taumelnden New Orleans Begräbnis Kapelle. Ja, Amne-siac mag „nur“ die Fortsetzung von Kid A sein, aber was heißt schon „nur“ bei der besten Band der Welt ?



System Of A Down

Toxicity


(American, 2001)



Was soll man über das beste Album von System of a Down sagen ? Toxicity hat alle Stärken des Debüts - und noch eine ganze Menge mehr. SOAD sind sowieso die originellste und virtuoseste Band des unseligen Nu-Metal Genres, eines Genres in das sie letztlich auch nicht wirklich passen, das für sie viel zu eng ist. Sie hatten nach ihrem Debüt drei Jahre lang exzessiv getourt, um im Anschluss mit Toxicity alle Vorgaben ihres ersten Albums zu überbieten. Sie wurden einerseits kommerzieller indem sie noch mehr Melodik in ihre halsbrecherischen Songs einfließen ließen, ja sie hatten mit dem wundervollen „Aerials“ sogar so etwas wie eine Ballade dabei, aber selbst die war so abgefahren und geschmackvoll zugleich, dass da nicht der geringste Verdacht an Ausverkauf hätte aufkommen können. Sie waren explizit politisch, mit Hinweisen auf ihre armenische Herkunft und der massiven Anklage gegen den Völkermord an ihren Vorfahren in der Türkei – aber auch das kam nie oberlehrerhaft rüber – der Spaß und das Engagement für die eigene Musik – auch an den eigenen Musiktraditionen, die man in den Harmonien ihrer Songs immer wiederfindet – bleibt immer Hauptbestandteil ihrer Musik. Und selbst die chaotischsten Stücke sind immer noch catchy, klingen wie die perfekte Symbiose aus Zappa und Slayer unter armenischer Flagge, und genau dadurch sind SOAD immer und vor allem Sie selbst geblieben...und „Chop Suey“ ist einer der beste „Metal“ Hits aller Zeiten. Toxicity ist eigenständer Metal der besten Sorte, das Einzige, was man ihnen vorwerfen kann, ist dass sie in allem fast zu perfekt sind.



Unwound

Leaves Turn Inside You


(Matador, 2001)



Das Trio Unwound aus Olympia, Washington hatte in den Jahren zuvor mit intelligentem Hardcore geglänzt, war aber unter all den Grunge Bands ihrer Zeit begraben worden. 1997 beschlossen sie in ihrer Heimatstadt ein eigenes Studio unter dem Namen Magrecone einzurichten und ihr nächstes Album selber zu produzieren. So ein Entschluss kann fatale Folgen haben, wenn die Band sich in den Möglichkeiten, die ein eigenes Studio bietet, verzettelt – und der Gedanke, dass das hier passiert war, lag eingedenk der 3-jährigen Dauer der Aufnahmen nahe. Aber Leaves Turn Inside You ist ein Beweis dafür, dass so was auch gut gehen kann. Ja. Das Album ist mit 74:38 Minuten sehr lang, und ja: Die Band hatte sich verändert, war experimentell geworden. Aber nicht zu ihrem Schaden. Die Beschreibung „If Radiohead had a baby with Sonic Youth and Slint was somewhere in the family tree“ ist so lang und albern wie passend – nicht nur bezüglich der Stilistik, sondern auch qualitativ. Leaves Turn Inside You ist der ultimative Soundtrack für einen kalten, grauen Tag, Frontmann Justin Trosper singt über gefrorene Sommertage, über Dämonen, Geister und eine Zukunft ohne Hoffnung. Aber die musikalische Ausführung ist mitnichten eintönig: Das atmosphärische „One Lick Less“ paart Hardcore mit My Bloody Valentine, “October All Over“ kommt mit Trosper’s leierndem Gesang über einem seltsam schrägen Riff in anderer Tonart daher – ein für Unwound charakteristischer Zug. Zentrales Stück ist das epische 9+ Minuten Monster „Terminus“. Da nutzten sie das eigene Studio und die unbegrenzten Zeitressourcen wirklich aus - mit einer dreiteiligen Suite bestehend aus einem ihrer typischen gitarren-getriebenen Vocal-Parts, einer Godspeed You! Black Emperor- artigen Orchester-Sektion und einem kreiselndem Gitarre/ Keyboard Instrumental. Leaves Turn Inside You ist Unwound’s Äquivalent zu Fugazi’s The Argument. Eine experimentelle Hardcore-Platte mit String Section, Mellotron und Spoken Word Passagen. Die 78 Minuten sind harter Stoff, aber es lohnt sich, das Album anzuhören – mehrmals – Es ist in vieler Hinsicht einzigartig geblieben - und einziger Konkurrent 2001 war ...



Fugazi

The Argument


(Dischord, 2001)



ein Album, das man als Abbey Road des Punkrock bezeichnen sollte. Na ja, sobald eine Band bislang unübliche Melodik in ihre Musik einfließen lässt, werden die Beatles als Vergleich herangezogen. Es war jedenfalls ein langer Weg vom Straight Edge Hardcore von Fugazi's Debüts bis hierhin. Wobei - auf The Argument ist beileibe kein Softcore oder dergleichen zu hören. Wie die meisten großen Alben verweigert sich auch dieses der Schubladisierung, und das, obwohl im selben (Inner Ear-) Studio mit denselben Leuten aufgenommen wurde, wie bei den vorherigen Alben. Fugazi's Sound verbindet nun Schönheit und Noise, sie schaffen es Musik zu machen, die melodisch und zugänglich und zugleich dicht und herausfordernd ist. Ein Kontrast, den man wunderbar bei „Full Disclosure“ präsentiert bekommt – wenn weibliche Backing Vocals den Chorus so wunderbar catchy und fast fröhlich klingen lassen, und dann der Rest des Songs in kreischendem, atonalen Gitarrenlärm versinkt. Bei „Cashout“ erinnert man sich noch an die alten Fugazi, die zwar auch schon immer ihren eigene Identität hatten, die aber manches Experiment, das hier vorkommt, noch nicht gewagt hätten. So spielt nun meist der zweite Drummer/ Percussionist Jerry Busher mit, so weden fast alle Songs mit Sounds von Piano, Cello, sogar akustischer Gitarre ergänzt. Das brilliante „Strangelight“ wird mit Piano und Cello ausgestattet, die am Ende des Songs ein Riff solange wiederholen, bis es zu einer abstrakten Form zu mutieren scheint – was noch ? Ian MacKaye's raues Geschrei wird auf diesem Album tatsächlich zu Gesang, es gibt bei jedem Song eine Kombination aus Experiment und regelrechtem Pop, The Argument ist der Schritt einer reifen Band heraus aus ihrem sicheren Bereich in neues Territorium – und die Tatsache, dass sie dabei weder an Glaubwürdigkeit noch an Kraft einbüßten, spricht für sie.



Microphones

The Glow, Pt. 2


(K, 2001)



1998 Haben Neutral Milk Hotel mit ihrem In the Aeroplane over the Sea schon einmal so etwas geschafft: Ein Album, das LoFi sein müsste, dafür aber viel zu viele Ideen und Soundschichten aufbietet, eines, das ohne Hype zum Meisterwerk wurde, eines, das sich ein Eigenbrötler ausdenkt, der anscheinend nur seine eigene Vision verfolgt, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgen will. The Glow, Pt 2 hört sich auch an als wäre es völlig aus Zeit und Raum gefallen, es ist ein Album, das irgendwann entstehen musste. The Microphones waren Phil Elvrum, ein Musiker aus Olympia, Washington (... wo auch Unwound herkommen...), der sich in den Jahren zuvor in der Indie Szene seiner Stadt auch als Produzent einen Namen gemacht hatte + wechselnde Begleiter. Unter diesem Namen hatte er schon zwei feine LoFi Alben gemacht, aber für The Glow , Pt. 2 packte er all seine Fähigkeiten und Ideen auf ein ca 70-minütiges Album. Es gibt keine klar voneinander getrennten Songs, die übliche Verse / Chorus Struktur ist nur Option, das Album ist unterlegt vom Rauschen des Tapes, dazu erklingen simple, übereinandergelegte akustische Gitarren, donnernde Drums, Noise - Ausbrüche, Elvrum's sanfte, glaubhafte Stimme, die mal verzerrt, mal gedoppelt wird. Kleine und große Sound-Gadgets wie Steel Drums bei „The Gleam Pt. 2“ zeigen Elvrum's Ideenreichtum, dann lärmt es wie bei einer Black Metal Kapelle über Folk-Melodien und Texte, die vom Werden und Vergehen des Menschen und der Liebe handeln. Da wird im Titelsong mit dem Suizid kokettiert, wenn Elvrum singt: „I faced death / I went in with my arms swinging / But I heard my own breath / I had to face that I'm still living“ oder beim folkigen „I Felt Your Shape“ über die zu große Nähe zum Partner philosophiert, die dann zur Trennung führte. Und all das wird immer wieder ins rechte Verhältnis zur Größe und Schönheit der Natur gesetzt. Es gibt wunderschöne Passagen, dann wieder bricht ein Gewittersturm aus Lärm los, aber alles geht organisch ineinander über, und man muss das Album in einem Stück hören, um dann erschöpft zu Boden zu sinken. Eigentlich ist eine genaue Beschreibung von The Glow, Pt. 2 unmöglich, weil das Album für einfache Worte zu komplex ist. Ganz passen schien mir folgender Vergleich - The Glow Pt 2 ist Henry David Thoreau's Walden übersetzt in Indie-Rock. Oder ich zitiere die Lyrics zu „The Moon“: "And, like the moon, my chest was full because we both knew / We're just floating in space over molten rock / And we felt safe and we discovered that our skin is soft / There's nothing left except certain death / And that was comforting at night out under the moon



Hood

Cold House


(Domino, 2001)




Hood

Home Is Where It Hurts EP


(Domino, 2001)



Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine Zeit, in der etliche Alben erscheinen, die die Sounds und das Songwriting der sogenannten „alternativen“ Rockmusik mit elektronischen Sounds incl. diversen experimentellen Spielereien, Krautrock-Anwandlungen und der Verweigerung der üblichen Spielregeln der normalen Rockmusik verbinden. Es gibt noch Bands, die eindeutig „Kategorien“ angehören (was nicht schlecht oder falsch ist...), aber es gibt auch Bands wie die Briten Hood, die sich der Kategorisierung verweigern – und das ist genauso willkommen. Insbesondere dann, wenn sie dadurch ihre eigene Nische, ihre eigene Kategorie erschaffen. Dass sie damit nicht den verdienten Mega-Erfolg haben, ändert nichts an der Klasse ihres Materials. Hood hatten schon zu Beginn der Neunziger einen eigenwillig unentschiedenen Stil entwickelt, in dem experimenteller Rock auf seltsam ängstlichen Gesang und ein kluges Spiel mit Laut/Leise Dynamik traf. Im Grunde waren sie schon beim Post-Rock, ehe es den gab. Und auf Cold House integrierten sie nun LoFi Elektronik auf eine Weise in ihren Sound, wie Radiohead es nicht besser machten. In der Tat sind die Vergleiche mit den ungekrönten Königen der klugen britischen Popmusik dieser Zeit nicht unpassend, obwohl Hood melancholischer, winterlicher klingen. Es gibt auch den Vergleiche Bark Psychosis meets cLOUDDEAd (von denen zwei Mitglieder hier mittun, ebenso wie MC Dose-One von den anticon-Rappern Why?), aber alle Vergleiche dienen nur der Erklärung eines Sounds, der doch völlig eigenständig bleibt. Die Stimmung, die Sounds auf Cold House - Alles hier ist so kühl und so veränderlich sich wie eine Atemwolke im Winterwind. Songs wie der Opener „They Removed All Trace That Anything Had Ever Happened Here“ oder „Branches Bare“ haben eine melancholische Ergebenheit, die seltsam tröstlich ist. Im Untergrund fließt meist ein Drone von Celli, Keyboards, weißem Rauschen dahin, der den Songs eine pastorale Ruhe verleiht. Dazu erklingen perkussive Elektromik-Sounds, die von Drummer Stephen Royle kunstvoll unterstützt werden. Minimale Gitarren, Keyboards, ein die Rhythmen locker unterstützender Bass, und die immer etwas ängstliche Stimme von Chris Hood. Man kann es ganz einfach sagen. Es gibt keine Band die so klingt wie Hood, und Cold House ist gemeinsam mit der etwas weniger elektronisch verzierten Home is Where It Hurts EP ihre Sternstunde. Das sah wohl auch ihr Label so, das sie jetzt auch dem US-Markt vorstellten. Mit leider nur moderatem Erfolg. Um Hood kennenzulernen beginne man exakt hier und beachte dabei ihre etlichen EP's . Sehr schön finde ich ihre Corporate Identity mit unscharfen Polaroid-Schnappschüssen als Cover-Motiv, die sich durch ihre komplette Diskografie zieht.



Björk

Vespertine


(One Little Indian, 2001)



Nach dem Film „Dancer in the Dark“ - in dem sie auch die Hauptrolle gespielt hatte - und dem dazugehörigen bezaubernd / verstörenden Soundtrack Selmasongs war Björks viertes Studioalbum Vespertine natürlich von ihrer Arbeit an der Filmmusik beeinflusst – Björk und organisches künstlerisches Wachstum gehören zusammen wie die Kuh und Milch... So gibt es auf Verspertine natürlich die vom Soundtrack bekannten verfremdete Beats, Fußstapfen im Schnee, Clicks, Flüstern und Seufzen und nur noch ab und zu tauchen Reminiszenzen an den Widescreen Sound von Post und Homogenic auf. Die neuen Songs klingen im Vergleich zu den ersten Studioalben fragil - und sind doch überraschend robust, und Björk hatte wieder einmal einen abenteuerlichen Cast an Kollaborateuren zusammengerufen: UK Electronic Whizz Herbert, das kalifornische Avant-Laptop Duo Matmos und die Harfenistin Zeena Parkins waren diesmal dabei. Da vertonte sie nun Poesie von E.E.Cummings' bei „Sun in my Mouth“ gepaart mit Glitchy Electronics und einem Chor im Hintergrund und es entstanden Sounds, die eine seltsam verwaschene Atmosphäre schaffen. Aber auf Vespertine ist es vor und über allem Björks Stimme, die sich perfekt in die Atmosphäre einzupassen vermag - vielleicht weil sie – obwohl ihr Gesang immer noch Gläser zerspringen lassen konnte – sich hier etwas zurücknahm, manchmal fast gebrochen klang. Beste Songs auf dem sehr einheitlichen Album herauszuheben ist schwer. „Cocoon“ und „Undo“ wären neben dem oben genannten „Sun in My Mouth“ zu nennen, aber das Album sollte unbedingt als Ganzes gehört werden. Wieder einmal hatte die Isländerin experimentiert und dabei doch - und so völlig selbstverständlich - ihre eigene Stimme behalten. Das Album klingt teilweise so fremd, dass man es mehrmals hören muss, aber – wie bei Radiohead – irgendwann schimmert die Schönheit durch.



Stars Of The Lid

The Tired Sounds of the Stars Of The Lid


(Kranky, 2001)



Die „Stars of the Lid“ sind die Lichtpunkte, die man bei geschlossenen Augen auf der Innenseite der Augenlider zu erkennen meint.... und Stars of the Lid ist dieses Duo aus Austin, Texas, das schon seit Mitte der Neunziger mit seinem Mix aus Klassikelementen, ambienthaften Drones und elektronischen Sounds eine eigenwillige – und vor Allem eigenständige – Musik erschafft. Spätestens mit ihrem dritten Album The Ballasted Orchestra waren sie wirklich spannend geworden, die beiden Nachfolger Per Aspera Ad Astra und Avec Laudenum hatten schon erstaunliche Melodiebögen geboten, aber es sind ihre „Tired Sounds...“, bei denen die beiden vollends erblühen. „Spannend“ ist bei dieser Musik wohl ein irreführender Ausdruck, man gerät eher in eine Art Trance bei dieser Musik – wichtig bei dieser auf durchgehaltene Klänge basierenden Musik sind die strukturellen Veränderungen und – typisch für Stars of the Lid – die darunter liegenden wunderbar warmen, „fetten“ Soundschichten. Auf dieser Doppel-CD / 3-fach LP hatten sie endlich die Tiefe erreicht, die für diese Musik wichtig ist – und sie begannen nun ihre Tracks mit einer Anzahl von Strings, Bläsern, Pianochords auszubauen. Wohlgemerkt: Die zusätzlichen Elemente werden nicht etwa „aufgesetzt“ – beim „Requiem for Dying Mothers Part 1“ etwa sinken die Strings in den Drone ein, werden logischer Bestandteil des Tracks. Dadurch bleibt die Musik im Grundsatz minimalistisch, erreicht aber eine größere Tiefe. Ihre Musik pulsiert langsam und hüllt den Hörer ein. Genau das soll sie ja auch. Auf der zweiten Disc werden bei „Gasfarming“ ein paar kratzende, statische Klänge eingefügt, die die Musik schneller atmen lässt, ihr eine weitere Struktur gibt – was klug ausgedacht ist, weil schon die kleinste Veränderung der Textur wie eine Erlösung klingt. Und diese Veränderungen finden immer wieder in kleinen Dosen statt. Da basiert „Piano Aquieu“ auf einer kleinen Paino-Melodie, auf Chords, die so lange ausklingen, das man meint jede Vibration verfolgen zu müssen. Den beiden Musiker hinter Stars of the Lid ist dafür jedes Mittel recht – ein Drone, ein einzelnes oder multipel aufgeschichtete Instrumente – die beiden Musiker hatten inzwischen alle Tricks auf Lager, um eine Atmosphäre und Texturen zu erschaffen, die diese Art von Musik – die doch so trügerisch einfach „herzustellen“ scheint – doch sehr einzigartig und charakteristisch klingen zu lassen. The Tired Sounds of the Stars of the Lid ist - bis heute – eines der besten Alben seiner Art. Perfekter Minimal Drone, um dem ganzen einen Namen zu geben.