Und
schon wieder: Ein Genre, eine Schublade, eine Bezeichnung für Musik
einer bestimmten Zeit, die Bands mit im Grunde völlig
unterschiedlichen Ideen unter einen Hut stopfen. Die Fakten: Nach der
„Explosion“ des Punk, nachdem sich junge Musiker von der
vorherigen - etablierten – Generation von Musikern emanzipiert
hatten, indem sie die Rockmusik wieder auf ihre einfachsten Elemente
reduziert hatten, kamen nun wieder Elemente hinzu, die Alles wieder
etwas komplexer machten. Die Musiker des Post Punk sind nicht mehr
von Blues und Beat beeinflusst, sie bauen nicht auf Folk oder Country
auf, sie holen sich ihre Einflüsse aus anderen Ecken – aus Dub,
Elektronischer Musik a la Kraftwerk, aus Funk und Krautrock, Art Rock
und Experimentalmusik. Vom Punk nehmen sie die Freiheit, ohne
allzuviel Zierrat und Virtuosität arbeiten zu müssen, aber im
Unterschied zum Punk wollen sie nicht nur abreißen, sie wollen etwas
Neues bauen. Mag sein, dass der Anbruch des neuen Jahrzehnts dazu
Anlass bot, aber es kamen auch etliche weitere Faktoren dazu, die die
Musik frischer klingen ließen, als zuvor. Die Gesellschaft hatte
sich verändert, war - mit der Wahl Thatcher's in England - kälter
geworden, Illusionen über ihre Veränderbarkeit waren dahin,
zugleich war auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der jungen
Generation der zu dieser Zeit 15-20 jährigen ein Anderes – jetzt
waren junge Leute auf sich gestellt und konnten nicht mehr annehmen,
in eine bunte und friedvolle Zukunft zu starten. So klingen dann die
Bands dieser neuen Generation entweder wütender, zynischer oder
verzweifelter als ihre Vorgänger. Selbstverständlich kann man das
Jahr 1980 nicht konkret als Zeitpunkt festlegen, an dem Post-Punk
begann, die ersten Bands die solche Musik machten sind da schon
Veteranen ( Talking Heads,Pere Ubu in den USA, Wire, The Fall, PIL im
UK), und deren Vorbilder wiederum (Bowie, Iggy Pop, Kraftwerk etc)
haben Wurzeln in den frühen Siebzigern. Aber 1980 haben etliche
Bands, die man mit „Post-Punk“ verbindet, ihre Album-Premiere.
Und dieser Sound des Post-Punk hat weit mehr als Punk die Musik der
kommenden Jahrzehnte geprägt..... Was auch daran liegt, dass er so
heterogen ist, dass man nur mit viel Großzügigkeit – oder weil es
einfach praktisch ist - von einem Genre sprechen kann. Gemeinsam ist
zumindest den meisten Bands ein starker, oft pulsierender Rhythmus,
mal nervös und funky, mal maschinenhaft und minimalistisch,
spinnenhafte Gitarren ohne solistische Eskapaden, monotoner Gesang,
der mit den Prog-Rock Sängern oder Blues-Shoutern der frühen
Siebziger nichts zu tun haben will und eine kalte, enweder düster
oder grell überfärbte Atmosphäre – man sieht schon, viel
Spielraum für Unterschiedlichkeiten. Hier einige Beispiele aus 1980,
die ich an anderer Stelle in einem zweiten Kapitel um noch weitere
Alben (Soft Boys, Durutti Column etc...) ergänzen werde
WIE
wichtig das Jahr 1980 für die Entwicklung des Post-Punk in England
(...und in den USA) ist – oder umgekehrt – wie wichtig Post-Punk
für die Musik des beginnenden Jahrzehntes ist, sehe ich allein schon
daran, dass ganze vier Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ im
Kapitel Post-Punk '80 ihren Platz haben könnten bzw. müssten. Aber
die vier wurden dort hinreichend gewürdigt, lies bitte nach – und
beschäftige dich zur Vertiefung mit den hier unten gewürdigten
weiteren 12 Bands mit ihren Alben des Jahres 1980. Es lohnt sich -
denn so manches Album könnte genauso gut im Hauptartikel Platz
finden...
Joy
Division - Closer - (Factory,
1980)
Joy
Division waren immer eine Nummer für sich. Ihr depressiver Post-Punk
– 1980 auch noch durch den Suizid ihres Sängers Ian Curtis mit
einer zugegebenermaßen perversen Glaubwürdigkeit ausgestattet –
wurde im Laufe der Jahrzehnte zum Vorbild für Hunderte von Epigonen
und ist zugleich ähnlich unnachahmlich geblieben wie der Sound von
Curtis' Vorblildern The Velvet Underground.
The
Cure - Seventeen Seconds - (Fiction,
1980)
Mit
ihrem zweiten Album legen The Cure die Fundamente für eine über
Dekaden andauernde Karriere - und für einen kompletten Stil: Gothic
– den sie mit Siouxie and the Banshees (siehe weiter unten)
erstmals klar formulieren.
Echo
and the Bunnymen - Crocodiles - (Korova,
1980)
Dass
Post-Punk und Psychedelic Music gut zusammen gehen, lässt sich an
diesem Debüt-Album wunderbar beweisen. Aber Echo and the Bunnymen
sind da nicht die Einzigen, ich HÄTTE auch Teardrop Explodes in den
Hauptartikel setzen können. Habe ich aber nicht – vielleicht weil
Echo and the Bunnymen dann auf noch mindestens drei weiteren Alben
ihre Klasse bewiesen haben
The
Comsat Angels - Waiting for a Miracle - (Polydor,
1980)
The
Comsat Angels sind eine dieser persönlichen Vorlieben. Ihr Sound ist
einzigartig, ihre Songs sind groß und ihr Debüt gehört zu den
vielen anderen Klassikern des Post-Punk. Sie sind der (eigentlich
unnötige...) Beweis für den Facettenreichtum des Genre's Post-Punk
– so wie...
The
Sound
Jeopardy
(Korova,
1980)
Der
Kopf der Band The Sound (… dummer Name eigentlich...) Adrian
Borland hatte schon einige Erfahrung mit seiner vormaligen Punk- Band
The Outsiders gesammelt. 1979 benannten sie sich in The Sound um und
veröffentlichten ihr Debüt Jeopardy. - eines dieser Alben, die
trotz unzweifelhafter Qualitäten obskurer geblieben sind, als
verdient – vielleicht weil es ein paar Bands gab, die ihnen
durchaus ähnelten. Borlands Gesang zum Beispiel erinnert an den von
Ian McCullough von Echo & the Bunnymen und neben seinem feurigen
Gitarrenspiel prägte der melodische, an Joy Division erinnernde Bass
den Sound der Band. Der erste Song der LP, „I Can't Escape Myself“
beginnt noch recht sparsam mit spinnenhaften Gitarren und
NEU!-artigen Synthie-Sounds ehe er im Chorus mit aller Gewalt
losbricht. „Heartland“ ist ein komplexes Meisterstück, eine
Mischung aus XTC-Nervosität und U2-Hymne. „Hour of Need“
erinnert an Joy Division's „Passover“ mit Synthies, die dem Song
eine zusätzliche Farbe verleihen. „Unwritten Law“ kommt als
Mid-Tempo Song daher und zeigt wie man mit dünnen Synthie-Schlieren
einen Song effektiv ausschmücken kann. Es ist wieder so ein Fall, in
dem ich nicht verstehe, warum Jeopardy nicht gleichberechtigt und
verehrt neben den bekannteren Platten aus dieser Phase der Rockmusik
besteht The Sound haben in Bands wie Interpol definitiv Nachahmer
gefunden, aber die Tatsache, dass sie stilistisch immer irgendwo
zwischen - und manchmal eben zu nah an - den vorgenannten Bands
saßen, mag größeren Erfolg verhindert haben. Dabei hatten sie
wirklich gute Songs und einen interessanten Sound. Sie sollten
bekannter sein – und ihre Alben sollten leichter erhältlich sein,
als sie zur Zeit sind..
Killing
Joke
s/t
(e.G.,
1980)
Kann
es zu Beginn der 80er schon den Begriff „Industrial Punk“ gegeben
haben? Es ist jedenfalls eine passende Etikettierung für die Musik
auf Killing Joke... aber zu dieser Zeit wurde von Punk beeinflusste
Musik einfach New Wave genannt. Die 1979 in London gegründete
gleichnamige Band verband auf ihrem Debüt Punk mit einem Sound, der
damals keinen Namen hatte, der auf Jaz Colemans aggressivem,
parolenhaften Gesang, kraftvollen, maschinenhaften Drums und dem
trockenen Spiel des Bassisten Youth basiert, über das Gitarrist
Geordie eher Metal-Riffs schweißte, als sie zu spielen. Dass
Coleman's Lyrics dazu von Umweltzerstörung, Ausbeutung und
Entfremdung handeln, dass er immer leicht psychotisch und äußerst
wütend klingt, macht das Album wunderbar intensiv. Eigentlich hat
dieses Debüt einen Sound, der erst Jahre später von Musikern und
Produzenten wie Steve Albini oder Al Jourgenson (Ministry) etabliert
wurde. Songs wie „Requiem“ oder „The Wait“ würden auf Alben
kommender Generationen von Thrash Metal oder Hardcore Acts passen.
Tatsächlich wurde letzterer Song von Metallica gecovert, tatsächlich
nannten Bands wie die New Yorker Hardcore Institution Prong später
Killing Joke ausdrücklich als Inspiration – und rekrutierten
zwischenzeitlich deren Bassisten. Damit kein Missverständnis
aufkommt: Killing Joke ist Post Punk, aber der breitett ja – wie
oben gesagt – schnell über ein sehr weites Feld von Einflüssen
und Sounds aus. Killing Joke klingen härter und metallischer als der
Rest ihrer Zeitgenossen. John Peel förderte die Band wohlwollend,
und sie hatten das Selbstbewusstsein, zwei ihrer besten Songs nur als
Single zu veröffentlichten. Das Album Killing Joke ist ein so großes
Versprechen, dass die Band es in den nächsten Jahren schwer haben
sollte, das in aller Konsequenz einzulösen.
The
Teardrop Explodes
Kilimanjaro
(Mercury,
1980)
Dass
Julian Cope ein großer Fan des Kraut-Rock und des Psychedelic Rock
ist, weiss man jetzt (wenn man ihn und sein literarisches
Standardwerk über diese Musik kennt), dass er das schon 1980 war,
als er mit seiner damaligen Band Teardrop Explodes bekannt wurde
(...der Name allein...) kann jeder erkennen, der ihr Debüt
aufmerksam anhört. Sie waren neben Echo & the Bunnymen die
führende Neo-Psychedelic Band in Liverpool (sie teilen auf ihren
jeweiligenen Debütalben sogar den Song „Read it in Books“), und
Cope war damals schon ein zumindest erratisches Genie und der Umgang
mit ihm soll schwierig genug gewesen sein. Der notorische Musik-Nerd
versuchte auf Kilimanjaro seine Musik-Kollektion in ein Album zu
destillieren: Da ist die Love/Doors Achse, da sind die pulsierende
Krautrock Rhythmen von „Poppies in the Field“ sowie seine
durchaus kreative Version Syd Barret'scher Poesie. Dazu kommt eine
Energie, die an Pere Ubu denken lässt, die einen anspringt, die nur
nicht ganz so urban ist wie die der Band aus Cleveland. Kilimanjaro
ist Post Punk im besten Sinne, so wie vieles hier auf diesen Seiten.
Seite Eins des Albums ist fast fehlerlos, der Sound mag manchmal zu
poppig geraten sein – sicher nicht von Cope beabsichtigt – aber
das schadet brillianten Songs wie „Sleeping Gas", "Treason",
"Second Head" und dem obengenannten"The Poppies Are In
The Field" (mit der bezeichnenden Textzeile „but don't ask me
what that means") nicht. Die zweite Seite fällt etwas ab, aber
da gibt es dann noch das Highlight „When I Dream“ - ein Song der
so catchy ist, dass nicht einmal der endlose Unsinns – Refrain mit
seinem „and I go op bop bop bop bop bop bop bop bop bop
bop-bop-bop-bop bu-u-u-um“ stört. Witzig und bezeichnend, dass sie
gerade damit die unteren Ränge der amerikanischen Billboard Charts
erreichten
Siouxie
& The Banshees
Kaleidoscope
(Polydor,
1980)
Janet
Susan Ballion aka Siouxie und ihre Banshees waren im Vorjahr mit
Robert Smith als Aushilfs-Gitarrist auf Tour gewesen, und - wer weiss
– vermutlich haben die Beiden da einige Gemeinsamkeiten entdeckt –
und beschlossen, eine dunkel getönte Ästhetik des Morbiden als
Grundlage für ihre weiteren musikalischen Projekte zu entwickeln.
Smith und Siouxie sind Individualisten in höchstem Maße, dass ihre
Musik sich deutlich unterscheidet, ist klar, aber es ist interessant
zu sehen, dass sowohl Seventeen Seconds von The Cure als auch
Kaleidoscope von Siouxie und ihren neu formierten Banshees im
vergleich zu den vorherigen Alben der Bands ein echter Stil-Wechsel
sind. Über Seventeen Seconds lies bitte an anderer Stelle,
Kaleidoscope ist ein weiterer Meilenstein des Post-Punk – und
ebenfalls eine Defintion von Gothic. Im Gegensatz zu Seventeen
Seconds farbiger, getragen von Siouxie's kühler, eleganter Stimme,
von einer Band, der man nicht anmerkt, dass sie sich gerade neu
finden musste, mit Songs, die für mich näher an „Pop“ sind, die
tatsächlich Ohrwurm-Qualität haben (was The Cure natürlich auch
hatten). Die Reduziertheit des Sounds mit den klar definierten
Grund-Elemente aus Siouxies Stimme, Budgie's schlicht-effektiven
Drums, dem melodischen Bass von Steven Severin und den
Gitarren-Splittern von John McGeoch – der gerade Magazine verlassen
hatte und der mit seiner ökonomischen Spielweise den New
Wave-Gitarren-Sound regelrecht erfand, ist einerseits fast
klischeehaft, andererseits wegen der zeitlosen Songs doch so
besonders. Tracks wie „Happy Hous“, „Hybrid“, „Christine“
oder „Red Light“ sind zeitloser Pop, würden in fast jedem Gewand
gut aussehen, sind aber eben im Gothic-Style perfekt. Man kann
Siouxie and the Banshees tatsächlich nicht so leicht beschreiben –
Eine Frau als Band-Kopf war seinerzeit noch ungewöhnlicher als
heutzutage, aber dieser Frau wurde damals mit jedem denkbaren Recht
eine Anerkennung gezollt, wie sie eine Künstlerin wie PJ Harvey zehn
Jahre später bekommen würde. Und Kaleidoscope ist nur eines von
mehreren tollen Alben.
Bauhaus
In
the Flat Field
(Beggars
Banquet, 1980)
Wer
Gothic sagt, sagt auch Bauhaus – und obwohl Bauhaus-Sänger Peter
Murphy darüber arg in Zorn geraten wäre, gilt das mindestens für
die ersten Jahre in der Karriere der Band aus Northampton, die im
Vorjahr mit den neun Minuten der Single „Bela Lugosi's Dead“....
na ja – zumindest eine der besten Singles des Post-Punk
veröffentlicht hatte, und die jetzt ihr Debüt-Album In the Flat
Field nachlieferte. Es stimmt ja – sie haben das Beste von Bowie,
den Velvets, Iggy Pop und Joy Division genommen, und dem noch einen
Twist in Richtung samtener Morbidität gegeben. Das Alles wird mit
der in dieser Zeit angesagten Reduktion im Sound und in den Mitteln
erzeugt. Es hat den Geist des Punk in sich, weil auch hier
Virtuosität keine Rolle spielt, Der Song und die Atmosphäre der
Musik dafür umso wichtiger ist. Und was Dramatik angeht, machte
Bauhaus so gut wie keiner etwas vor. Man höre nur die hysterischen
Gitarren, das bedrohlich monotone Gerumpel von Bass und Drums und
Murphy's unheilschwangeren Bariton beim Titeltrack. Bauhaus waren
genau genommen „nur“ eine weitere Post-Punk Kapelle, die mit den
bekannten Zutaten eine Suppe mit eigenem Geschmack erzeugten. Auch
bei ihnen spielte die Gitarre von Daniel Ash abgehackte Licks, auch
hier spielte David J einen prominenten Bass, auch hier war das
Drumming von Kevin Haskins nicht selbstverliebt, sondern ein
effektiver Motor. In the Flat Field wird immer als eines der ersten
Gothic-Alben genannt werden, weil Bauhaus sich – wie Siouxie and
the Banshees und The Cure - einer bestimmten Ästhetik bedienten. Und
natürlich finde auch ich Tracks wie „A God in an Alcove“ oder
„Stigmata Martyr“ nicht nur wegen ihrer Titel „gothic“. Die
distanzierte Kühle, die skelettierte Musik, die seltsamen Geräusche
und das Image, das Bauhaus sich seit ihrer ersten Single selber
verpasst hatten, spielen zusammen – und machen In the Flat Field zu
einem Solitär des Post Punk.
Swell
Maps
In
„Jane from Occupied Europe“
(Rough
Trade, 1980)
...aber
britische Post-Punk Bands können auch „arty“ klingen – können
Kunst von ähnlicher Konsequenz und vordergründiger Unzugänglichkeit
erzeugen, wie man sie bei US-Post-Punk Bands wie Tuxedomoon, Pere Ubu
oder den Residents findet. Die Swell Maps waren britischer Art Punk,
bezogen sich auf die Motorik von Kraut-Rock Bands wie Can oder Neu!,
hatten mit Adrian Godfrey aka Nikki Sudden einen Noise-Gitarristen,
der monolithische Wälle baute und mit dessen Bruder Kevin Godfrey
aka Epic Soundtracks einen Pianisten und Sound-Manipulator, dessen
Ideen verrückt genug waren, die Swell Maps weit ausserhalb des
Mainstreams zu halten, den bald Bands wie The Cure oder U2 erobern
würden. Swell Maps In „Jane from Occupied Europe“ war das zweite
Album einer Band, die klang wie eine Land-Kommune, die man aus der
Hippie-Zeit in die Post-Punk Ära gebeamt hatte. Ihre beiden Alben –
dieses und der Vorgänger A Trip to Marinville - zeigen, wie
experimentelle Musik mit UK-Post-Punk Hintergrund ist. Ein Track wie
„The Helicopter Spies“ dürfte später Bands wie Sonic Youth und
Pavement mit seiner Kombination aus textlichem Dadaismus,
ungestimmten Gitarren und schlampigem Drumming massiv beeinflusst
haben. „Cake Shop“ wiederum ist reiner Pop – allerdings in Lärm
getaucht und so nachlässig behandelt, dass man ihn fast nicht
erkennt. Man kann es den Swell Maps vorhalten, dass sie sich nicht
einmal ansatzweise Mühe gaben, irgend jemandem zu gefallen. Aber es
gibt ja auch Leute, die genau das zu schätzen wissen.
The
Fall
Grotesque
(After The Gramme)
(Rough
Trade, 1980)
Na
ja, Mark E. Smith ist tot und ich kann ihn ohne Widerspruch in diesen
Zusammenhang stellen. Ich vermute, der Querkopf würde sich weigern,
mit Bauhaus, The Sound oder Swell Maps in einem Atemzug genannt zu
werden – aber The Fall sind tatsächlich einfach immer nur The
Fall. Das galt, als sie im Vorjahr mit Live at the Witch Trails und
Dragnet den britischen Post-Punk Underground erstmals aufschreckten
und das würde für die kommenden 38 Jahre gelten. Ihr drittes
Studio-Album (nach einem mir etwas ZU rohen Live-Album – da
empfehle ich eher In a Hole von '83) zeigt dieses Projekt immer noch
im Such.Modus... wobei – den hat Mark E. Smith irgendwie nie
verlassen. Grotesque (After the Gramme) verbrät alle zu dieser Zeit
bekannten Stilarten der Popmusik, wird von einer Band eingespielt,
die all das völlig verfremdet und in den Zusammenhang mit Smith's
Lyrics und seinen Schimpf-Tiraden stellen muss. Natürlich hatten The
Fall Kollegen, mit denen sie auf Tour waren, die ihnen ein bisschen
ähnlicher waren, aber auch auf dieser Leistungsschau hier kann ich
nicht sagen, dass The Fall klingen wie..... Da wäre zum Beispiel
Rockabilly bei „The Container Drivers“, der dadurch, dass Smith
seinen Spott über dumme Truck Driver ergießt, jede Unschuld
verliert. Die absurde Geschichte über den Hundezüchter, der seine
Tiere ein bisschen ZU lieb hat, wird musikalisch von irgend etwas
zwischen Punk, Noise und Kraut unterlegt – und wieder formt die
Story den Song. Bei längeren Tracks wie „The NWRA“ oder „C'n'C-S
Mithering“ wird Kraut-Rock benutzt und in The Fall-Musik
verwandelt, und mit „A New Face in Hell“ machen The Fall fast so
etwas wie netten Pop – bei dem Smith eine paranoide
Detektiv-Geschichte hervor-kreischt. The Fall wurden besser und
besser, ihr drittes Album Grotesque... ist ein Kaleidoskop von
Möglichkeiten, die allesamt in den kommenden Jahren eingelöst
werden. Ich habe es anderswo schon gesagt: Die ersten acht (ja, 8!)
Studio-Alben von The Fall sind unersetzliches Kulturgut. Und unter
den restlichen 30 sind auch noch etliche Perlen.
Magazine
The
Correct Use Of Soap
(Virgin,
1980)
Magazine
Play.
(Virgin,
1980)
Dass
Magazine – die formidable Band um den Ex-Buzzcock Howard Devoto –
so erfolglos war, dass ihr Gitarrist John McGeoch sie noch Mitte '80
verließ, zeigt, dass man mit Post-Punk seinerzeit offenbar doch noch
nicht wirklich reich werden konnte. Es gibt zwar in den Jahren um '80
etliche Alben, die zu Klassikern des Post-Punk wurden und heute den
entsprechenden Stellenwert haben – aber reich wurden die Musiker in
ihren Zwanzigern damals erst einmal nicht. Dabei hätten Magazine das
wahrlich verdient. Alle drei Studio-Alben von Magazine sind nah an
der Perfektion. In der Trilogie von Real Life ('78) über Secondhand
Daylight ('79) bis zum '80er The Correct Use of Soap findet man
Alles, was Post-Punk spannend und visionär macht. Magazine waren
experimentier-freudig, sie hatten großartige Musiker in ihren
Reihen, sie hatten Songs, die Pop und Anspruch verbinden, sie hatten
einen eigenen Stil – was nur fehlte, war der ganz große Erfolg,
den Howard Devoto sich gewünscht hatte. Für ihr drittes Album
wandten Magazine sich – dem Trend der Stunde folgend – noch
weiter dem Sound der Synthesizer zu, sie baten Factory/Joy Division
Produzenten Martin Hannett um seine Hilfe, kamen mit dem Album
tatsächlich auch in die Top 30 im UK – aber das reichte Devoto
nicht und McGeoch fühlte sich im Umfeld all der Synthies unerwünscht
– und so begann der Anfang vom Ende von Magazine. Bedauerlich, wenn
man Song-Perlen wie „Model Worker“, „Philadelphia“ oder „Song
from Under the Floorboards“ hört. Devoto ist ein fast so zynischer
Texter wie Mark E. Smith ("I know the meaning of life, and it
hasn't helped me a bit"), er hat aber nicht dessen Art zu
Schimpfen, klingt eher kühl und roboter-haft – was zur Musik
passt. Seine Songs sind progressiver Punk/Power-Pop, gefiltert durch
Roxy Music, und Barry Adamson's Bass und John Doyle's Drums sind so
rhythmisch, dass es mir passend erscheint, dass sie hier sogar Sly &
The Family Stone's „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“
covern. Immerhin war es mit diesem Album noch nicht vorbei. Magazine
gingen auf Tour und nahmen in Melbourne am 6. September das
Live-Album Play. auf. Für - den wie gesagt zu Siouxie and the
Banshees gewechselten - McGeoch nahmen sie den Ex-Ultravox
Gitarristen Robin Simon mit, der McGeoch hervorragend ersetzte. Dass
genug Songs da waren, um ein spannendes Konzert zu liefern, ist mit
drei so gelungenen Studio-Alben im Rücken wohl logisch, die
Reduziertheit und Energie des Punk, gepaart mit intellektueller
Kühle, einem glasklaren Sound und einer gehörigen Portion
Dringlichkeit machen Play. zu mehr, als einer bloßen Best-Of
Kopplung mit Applaus. Play. wird zu Recht als eines der besten
Live-Alben seiner Zeit bezeichnet, auch Dave Formula's
Keyboards/Synthsizer sind organisch in die alten Songs eingebaut. Ich
bin davon überzeugt, dass Magazine auch in den kommenden Jahren
hätten Erfolg haben können. Sie hatten nur nicht die Geduld von
Zeitgenossen wie Simple Minds oder U2. ...und das ist aber auch ein
bisschen egal. Es gibt mindestens drei großartige Post-Punk Alben,
die ich jedem empfehle, der sie noch nicht kennt.
XTC
Black
Sea
(Virgin,
1980)
Ich
weiss nicht genau, ab wann XTC keine bervöse New Wave Band mehr
waren, sondern eine Band in einer so eigenen Kategorie, dass es mir
schwer fällt, einen beschreibenden Begriff dafür zu finden.
Post-Punk? Na gut, die zeitliche Einordnung passt, aber
allerspätestens 1979 mit dem Album Drums and Wires verließ XTC jede
Punk-Anwandlung. Und mit dem Nachfolger Black Sea wandten Andy
Partridge und sein Kollege Colin Moulding sich in Richtung
Kunst-Lied, das höchstens in seiner Nervosität an Zeitgenossen wie
Magazine, in den psychedelischen Anmutungen vielleicht an Teardrop
Explodes denken ließ. Aber wenn ich alle Schubladen vergesse, ist
Black Sea einfach nur ein abwechslungsreiches Album voller dermaßen
ausgefeilter Songs, dass es anstrengend ist, in dieses Kaleidoskop zu
blicken. Acht Songs vom hyper-aktiven Genie Partridge, drei vom
zurückhaltenden Genie Moulding – kein einziger Ausfall. Direkt ins
Ohr geht der Opener „Respectable Street“ - Kinks und Beatles in
die Achtziger geholt, „Mouldings' „Generals and Majors“
wiederum ist ein regelrechter Ohrwurm in ober-schlau „Living
Through Another Cuba“ - eigentlich viel zu komplex um im Ohr zu
bleiben - schafft es aber trotzdem. „Burning With Optimism's
Flames“, mit diesen seltsam versch(r)obenen Rhythmen und wieder
einer bezaubernden Melodie, und als Abschluss des Albums mit „Travels
in Nihilon“ tatsächlich so etwas wie ein absurd-düsteres Prog/New
Wave Epos... Und das in einer Zeit, in der die „New Wave“ gerade
erst losrollt. Ganz lustig, dass auch hier der Produzent Steve
Lillywhite ist, der bei den Psychedelic Furs auf deren Debüt (siehe
hier unten) weit weniger detailliert zur Sache geht – weil er es
nicht muss, würde ich sagen.
The
Psychedelic Furs
s/t
(CBS,
1980)
Was
die Sex Pistols '76 und '77 alles ausgelöst haben (sollen) … Die
Butler-Brüder Simon, Tim und Richard waren bei einem der ersten
Konzerte der damals noch ungesignten Pistols gemeinsam mit The Clash
und den gerade entstandenen Siouxie and the Banshees gewesen – und
beschlossen nach diesem Erlebnis, ebenfalls Musik zu machen.
Vorbilder kamen aus dem Elternhaus: Dylan, Woody Guthrie, Edith Piaf,
dazu lernte Richard in der Kunstschule die Velvets, Bowie und Roxy
Music kennen, und die Tatsache, dass anscheinend jeder Musik mit
Haltung machen konnte, war so befreiend, dass sich schnell eine Band
für Konzerte zusammenfand. Lärm, Energie, Begeisterung, bald eine
Single, die John Peel gefiel – und der Plattenvertrag war da. Das
Debüt der so bezeichnend „Nach-Punk“ benannten Band ist ein
Konglomerat der Einflüsse der genanntenVorbilder und zugleich wieder
ein Zeichen dafür, WIE sehr Punk und das, was sich daraus
entwickelte die populäre Musik erneuert hat. Von der Band selber
wurde die Musik als „Beautiful Chaos“ bezeichnet, in der Tat hört
man, dass Sänger Richard Butler Dylan genau so wie Johnny Rotten
liebte – aber seine raue Stimme hat einen so eigenen Charakter,
dass man sich wünschte, sie würde nicht so oft im Mix verschwinden.
Das Saxophon von Duncan Kilburn mag auch aus Verehrung für Roxy
Music dabei sein, aber es trötet beileibe nicht so artifiziell wie
bei den Vorbildern. The Psychedelic Furs versinkt manchmal
tatsächlich in einem chaotischen Brei, der Opener „India“ mag da
ein fast ZU gutes Beispiel sein – es beginnt mit leisen,
zurückhaltenden Gitarren-Chords, die den Hörer veranlassen, den
Lautstärkeregler hoch zu drehen, ehe Bass, Drums und Gesang in
harter Post-Punk-Manier loslegen. Mit „Sister Europe“ hatten die
Furs einen atmosphärischen Hit, der Richard Butler's Stimme mal so
richtig strahlen lässt. Dem Punk-Ethos entsprechend wurden die
meisten Songs in einem Take eingesungen, der junge Steve Lillywhite
(der bald als Produzent von U2 berühmt werden würde) hatte Butler
hier geraten, mal nicht so los zu brüllen wie auf den anderen Tracks
des Albums. Das rasante „Pulse“ wiederum zeigt die Punk-Wurzeln
der Band – aber sie waren schon auf diesem Debüt mehr als reine
Epigonen. Ich stelle beim Schreiben dieses Artikels immer wieder
fest, dass diese junge Post-Punk Generation ihre Musik-nach-Punk
nicht nur in Opposition zu etablierten Bands der frühen Siebziger
gemacht hat, sondern mitunter auch bereiwillig bestimmte Stilmittel
aus prgressivem Rock, Psychedelic oder Kraut-Rock übernahm – aber
dass das jetzt En Vogue war, sieht man ja auch an Bands wie P.I.L....
Nur überkommene (Rock-)Schemata und die Zur-Schau-Stellung von
Virtuosität wurden bewusst vermieden. Ein Rezept zur Verjüngung,
das bis heute funktioniert.
Ich
habe mich in einem anderen Artikeln zu diesem Jahr speziell auf
Post-Punk aus Großbritannien beschränkt – weil ich immer den
Eindruck hatte, dass diese Musik andere Hintergründe und eine andere
Haltung als Fundament hat, als Post Punk in den USA – obwohl
Künstler beider Ländern sich gerade zu Beginn der Achtziger einem
politischen Rechts-Ruck ausgesetzt sehen (Thatcher in Großbrtannien,
Reagan in den USA...), der ihre Aussagen und ihre Haltung auf
vergleichbaree Weise beeinflusst haben dürfte. Der Post-Punk in den
USA war vielleicht nicht so explizit politisch, wie der in England,
aber jede Kunst ist Reaktion auf gesellschaftliche Zustände – und
harte Zeiten führen meist zu Veränderungen und zu interessanter
Musik. Bands wie die Cleveland-Proto-Punks Pere Ubu oder die San
Franciscan's Residents haben allerdings schon eine lange Geschichte,
die mitunter bis tief in die Sechziger-Gegenkultur reicht – die in
den USA ebenfalls einen anderen, subversiveren Stellenwert hat, als
das in Europa/UK der Fall gewesen zu sein scheint. Und die New Yorker
Szene um Factory/Andy Warhol, das CBGB's oder Max's Kansas City war
sowieso der Punk-Szene in England um ein paar Jahre voraus und ließ
mit Lydia Lunch oder der Jim Carroll Band ausgereifte Künstler auf
die Welt los. All diese Musiker haben die Punk-Explosion in Europa
mitbekommen, haben aber einen „künstlerischeren“ Anspruch, als
die eher gesellschaftskritischen Punk und Post-Punk-Musiker aus dem
UK. Dass bzw. ob die beiden Formen des Post-Punk aus Europa und den
USA irgendwann zusammenfließen... müsste man untersuchen. Musik
wird bald internationaler, aber bis weit in die Neunziger ist der
Unterschied zwischen europäischem und amerikanischem Punk,
Post-Punk, Avantgarde/Noise... und all den aus Punk gewachsenen
Formen der „alternativen“ Rockmusik (um den bösen Begriff
einzuführen) für mich deutlich erkennbar. Ein schönes Spiel ist es
immerhin, sich die Alben in diesem Artikel immer im Wechsel mit denen
des entsprechenden Artikels für Großbritannien anzuhören. Viel
Spaß dabei – und dass The Feelies, Young Marble Giants und Talking Heads hier nut kurz erwähnt werden... die findest du im Hauptartikel '80
WIE
wichtig das Jahr 1980 für die Entwicklung des Post-Punk in den USA
(...und in England) ist – oder umgekehrt – wie wichtig Post-Punk
für die Musik des beginnenden Jahrzehntes ist, sehe ich allein schon
daran, dass ganze drei Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ im
Kapitel Post-Punk '80 ihren Platz haben könnten bzw. müssten, und
hier nur noch mal kurz erwähnt werden. Sie werden hinreichend in
besagtem Artikel gewürdigt, lies bitte dort nach – und beschäftige
dich zur Vertiefung mit den Bands hier unten bzw. mit ihren Alben des
Jahres 1980. Es lohnt sich - denn so manches Album könnte genauso
gut im Hauptartikel Platz finden...
Talking
Heads - Remain in Light - (Sire, 1980)
Eines
der besten Alben des Post-Punk – bei mir laut Ratyourmusic auf
Platz drei aller Alben aller Zeiten. Die Talking Heads sind schon '75
im Umfeld des New Yorker CBGB's entstanden. Und sie waren von Beginn
an Post-Punk, nie Punk. QED.
Young
Marble Giants - Colossal Youth - (Rough Trade, 1980)
Berechtigte
Frage: Sind die Young Marble Giants Post-Punk? Ihre Ästhetik passt
in die Zeit, aber ihre Geschichte und ihr einziges Album ist ein
Solitär. Aber – das sind viele Alben aus dieser aufregenden Zeit
und ein Genre-Begriff wie Post-Punk trägt ja das Ungefähre schon in
sich.
The
Feelies - Crazy Rhythms - (Stiff, 1980)
Dass
die Feelies Post-Punk genannt werden, liegt auch eher am Zeitpunkt,
zu dem sie ihr Debüt veröffentlichen. Sie sind die Vorläufer von
Alternative/ Independent Bands wie R.E.M. - und somit ihren Verehrern
um eine Dekade voraus.
The
Residents
Commercial
Album
(Ralph
Rec., 1980)
Als
erstes also: Der Beweis meiner Behauptung, dass Punk in den USA (wenn
dieser Begriff überhaupt anwendbar ist) eine weit längere
Geschichte hat, als Punk - und mit ihm Post-Punk - in UK/Europa. Die
Residents z.B. entstanden irgendwann Ende der Sechziger in San
Francisco und haben schon „historisch“ gesehen mit Punk
eigentlich nichts zu tun. Sie waren und sind Avantgarde, sie sind
experimentelle Parodisten – und ihr Publikum dürfte mit dem von
Bands wie Velvet Underground, Television, Devo, Pere Ubu etc
vergleichbar sein – die auch allesamt NICHT Punk sind, dessen
Ästhetik aber stark beeinflusst haben. 1980 sind die Mitglieder der
Residents noch immer inkognito, verstecken sich inzwischen hinter den
berühmten Eyeball-Masken, sie haben seit '74 sieben Alben
veröffentlicht, die die Pop-Kultur bis zur Unkenntlichkeit
verfremdet und verzerrt haben. Ihre Alben bauen immer auf Konzepten
auf – und jetzt haben sie sich den amerikanischen „Commercial“
- den Werbe-Jingle vorgenommen und machen ein Album mit Vierzig
Ein-minütigen Tracks. Eine Minute – das ist die durchschnittliche
Länge eines Werbe-Clips im US-TV/Radio. Die Residents haben sich
klar gemacht, dass Millionen Zuschauer und -Hörer diese Musik
tagtäglich um die Ohren gehauen bekommen. Diese Jingles sind somit
die wahre populäre Musik des TV-Zeitalters – und so bieten sie den
geneigten Hörern ein komplettes Album voller ein-minütiger Jingles.
Die haben nämlich Alles, was einen Pop-Song ausmacht in wohltuend
komprimierter Form. Ein Refrain, ein Chorus, Fertig. Dass man dabei
immer noch die Residents erkennt, ist für jeden, der sie kennt,
logisch. Tatsächlich sind auf dem Commercial Album mit dem
XTC-Genius Andy Partridge, mit Lene Lovich, Chris Cutler, Bill
Preston von den Mothers of Invention und mit Phil „Snakefinger“
Lithman so viele Gäste dabei, dass man Angst um den Charakter der
Band haben könnte. Aber die ist unbegründet. Die gespenstischen
Synth's die verhallten Percussion, die mitunteretwas gruseligen
Melodien sind geblieben, die Kritik, dass die Ideen nicht
ausformuliert sind, ist sinnlos: Nicht ausformulieren ist hier
Programm. Unter 40 Tracks sind etliche, denen ich die Erweiterung
gönnen würde („Picnic Boy“, „Amber", „Die in Terror",
„Loneliness"...) – aber Verkürzung ist das Konzept beim
Commercial Album. Ist das Post-Punk? Hmm..
Snakefinger
Greener
Postures
(Ralph
Rec., 1980)
Zunächst
bleibe ich im Umfeld der Residents – ihre Zugehörigkeit zum
Post-Punk mag man ja in Frage gestellt werden, aber ihr eigenes Label
– Ralph Records – ist eine der Speerspitzen in der Entwicklung
der Musik nach Punk. Und einer der Kollaborateure der Residents ist
der Brite Philip Lithman aka Snakefinger. Ex-Gitarrist der famosen
Pub-Rock Band Chilli Willi and the Red Hot Peppers, ein Virtuose
nicht nur auf diesem Instrument und zugleich ein Avantgardist aus
vollster Überzeugung. Er hatte die Residents schon '71 in San
Francisco kennen gelernt, war zwar zwischendurch wieder nach England
zurück gegangen und mit den Chilli Willi's moderat erfolgreich
gewesen, hatte aber nach seiner Rückkehr in die USA wieder Kontakt
aufgenommen und sein erstes Solo-Album als Snakefinger (der Namen
entstand aus einem Foto, das ihn beim Geige-Spielen zeigte) im
Vorjahr zusammen mit den Residents aufgenommen (Chewing Hides the
Sound). Greener Postures ist die Verfeinerung des Debüt's, wieder
haben bei den meisten Tracks die Residents mit-komponiert, sie sind
die Backing-Band, aber Lithman's Stimme und sein schlieriges
Gitarren- und Geigenspiel steht hier im Vordergrund. Auch hier
herrscht eine seltsam unheimlich Atmosphäre, das virtuose
Geigen-Solo auf „Don't Lie“ klingt, als wäre es auf der
untergegangenen Titanic aufgenommen. Immer wieder werden die Songs
durch seltsame Sounds und Harmonien verbogen, und „The Man in the
Dark Sedan“ ist auf der sub-marinen Titanic bestimmt ein Hit: „I'm
the man in the dark sedan and I have come to take your hand, I was
sent down here to be sincere, truthful and steadfast, I came to say
that judgement day of man has come to pass.” Greener Postures hat
mit der vordergründigen Vereinfachung durch Punk nichts zu tun –
manchmal ist das hier eher progressiver Rock in Zombie-Verkleidung –
aber Punk und mehr noch Post-Punk waren – zumal in den USA – nie
schlicht oder primitiv. Snakefinger ging auf Tour und erlitt einen
Herzinfarkt, den er zunächst überstand. '87 starb er dann viel zu
früh. Seine vier Studio-Alben verweigern sich einer Kategorisierung
ebenso, wie die Musik der Residents – aber der Begriff Post-Punk
ist in seiner Vielfalt eine Option.
Tuxedomoon
Half
Mute
(Ralph
Rec., 1980)
Jetzt
kommen wir dem, was man so unter Post-Punk versteht, wohl schon etwas
näher. Tuxedomoon entstanden 1977 in San Francisco, als sich die
beiden Musik-Studenten Blaine L. Reininger (keyb, vio) und Steven
Brown (keyb, sax, etc...) zusammen taten um ihre Vision neuer Musik
zu verwirklichen. Die beiden hatten definitiv Punk und seine
Auswüchse (Wire, Magazin, PIL) gehört, sie nutzten elektronisches
Instrumentarium aus dem Studium (...damals sonst noch teuer...) und
'78 durften sie als Vorband für Devo 'ran. Ihr Sound –
insbesondere ihre elektronischen Texturen – sind denen der
Residents verwandt -und dass sie von denen zu Ralph Records geholt
wurde, war logisch – und eröffnete ihnen die Möglichkeit, ihre
Alben in Europa zu verbreiten. Da passte ihr experimenteller Minimal
Wave-Sound möglicherweise tatsächlich besser hin: Ein Instrumental
wie „Tritona (Musica Diablo)“ oder „Loneliness“ mit den
schlichten Wiederholungen „Here comes loneliness/ Here comes the
onliness/ Here comes his holiness/ Here comes loneliness/ Here
comes another day/ Here comes the only way/ Here comes loneliness...“
kann ich mir ausserhalb des Kunst-Umfeldes von US-Großstädten kaum
vorstellen. Half-Mute ist in der Tat sehr experimentell, Tuxedomoon
können durchaus Songs schreiben, haben aber ein genauso großes
Interesse an elektronischen Sound-Manipulatuionen („James Whale“)
Dass Songs wie „What Use“ wiederum auf genau die Art catchy sind,
die mir gefällt – dass sie tatsächlich Widerhaken, Atmosphäre
und Spannung haben, ohne langweilig zu werden, hat sie mir dereinst
sehr sympathisch gemacht. Half-Mute ist durch die Formulierung der
beiden Seiten der Band etwas zerrissen – aber man kann auch gerade
DAS lieben. Auf jeden Fall waren sie mit ihrem avantgardistischen
Post-Punk auf der Höhe der Zeit.
MX-80
Sound
Out
of the Tunnel
(Ralph
Rec., 1980)
Und
mit der nächsten Band (genau genommen der vierten auf Ralph
Records...) kommen wir zu dem, was man sich klarer unter
US-(Post-)Punk vorstellt. Es gibt zu dieser Zeit Bands wie die
Wipers, Mission of Burma, Minutemen, Hüsker Dü, Black Flag - Bands,
deren von Fuzz-Gitarren angetriebener Lärm gewiss nichts mit
Radio-Rock '80 zu tun hat, deren Sarkasmus und Verweigerung
ohr-freundlicher Harmonien sie so interessant macht. MX-80 Sound
liefern Dergleichen schon seit Mitte der Siebziger quer zu allen
Trends, ihr Sound aus leidenschaftslosen Vocals, komplexen Rhythmen,
atonalen Chords und den metallischen Gitarren von Bruce Anderson war
so schwer zu kategorisieren, dass ihr erstes, famoses Album Hard
Attack ('77) nur in Europa veröffentlicht wurde – und auch dort
etwas hilflos als Heavy Art-Metal bezeichnet wurde und sich kaum
verkaufte. Anderson beschrieb sein Spiel selber folgendermaßen:
"Throw John McLaughlin, Terje Rydpal, Wilko Johnson, Clarence
White and James "Blood" Ulmer into a blender, along with
modern classical composers Olivier Messiaen, Morton Feldman, and
Krzystof Penderecki. Blend for 15 or 20 years and apply to a
Stratocaster through an amp on 10." … und exakt das beschreibt
die Musik auf Out of the Tunnel. Sie hat die Härte des Metal, Sänger
Rich Stim klingt, als würde er Drogen-Halluzinationen auf dem
Rücksitz eines Taxis vor sich hin murmeln, das durch eine
dystopische Stadtlandschaft fährt. Dies ist Musik für die
Furchtlosen, MX-80 Sound erinnern mich an diverse SST-Bands nach
Black Flag – diejenigen, die Jazz und Noise in den Hardcore
einführten – und sie sind genauso anstrengend. Aber einem Track
wie „Man in a Box“ kann ich mich nicht entziehen – auch wenn
ich mir danach die Ohren putzen muss.
Pere
Ubu
The
Art of Walking
(Rough
Trade, 1980)
Dass
einige dieser sog. Post-Punk Bands aus den USA eine lange Geschichte
hinter sich haben – Punk und Danach in Europa (mit) geprägt haben,
habe ich schon mehrfach erwähnt. Pere Ubu sind dafür das
Parade-Beispiel – ihre beiden ersten Alben The Modern Dance und Dub
Housing sind inzwischen allgemein als Klassiker/Kulturgut anerkannt,
die beiden Nachfolger - New Picnic Time aus dem Vorjahr und The Art
of Walking gelten als schwächer – weil die Band auseinander fiel
und verändert wieder zuasmmen kam, weil Sänger und Bandkopf David
Thomas Pere Ubu in immer irrsinnigere Performances und
unzugänglichere Musik steuerte (...dass die Band bei einem Konzert
in San Diego vor genau 5 Zuschauern spielte, führte zum Ausstieg
ihres Gitarristen Tom Herman...), und weil sie zugleich angesichts
Post-Punk nun nicht mehr ganz so revolutionär erschienen, gelten
diese beiden Nachfolger vielleicht als weniger kredibel. Ich halte
sie allerdings für fast genauso gelungen wie die beiden ersten Alben
– und zur damaligen Zeit wurden sie von der Musik-Presse hoch
gelobt. Vielleicht – ganz vielleicht – fehlt auf The Art of
Walking tatsächlich ein bisschen der rote Faden. Wenn ein völlig
abstrakt dahergejammerter Tracks wie „Horses“ direkt neben dem
konkreten Avant-Punk von „Crush This Horn“ steht, gerät man aus
dem Gleichgewicht. Wenn die zweite LP-Seite mit dem Vocal-Percussion
Experiment „Go“ beginnt, und dann eine etwas alberne „Rhapsody
in Pink“ folgt, mag man den Faden verlieren – aber ich halte auch
das für durchdacht. Pere Ubu hatten inzwischen mit Red Crayola's
Mayo Thompson einen Gitarristen dabei, der selber aus dem
chaotischsten Free-Rock kam, und neben bewusster Infantilität war
Chaos schon immer Ausgangspunkt der Musik von Pere Ubu. Dass David
Thomas' nichts anderes transportieren kann, wird klar, sobald man
sein Gequake hört. Pere Ubu sind auch auf The Art of Walking
einmalig. Das galt auch, nachdem sie nun etwas bekannter geworden
waren.
Pylon
Gyrate
(Armageddon,
1980)
Pylon
entstehen im gleichen musikalischen Umfeld wie R.E.M und die B 52's –
in der studentischen Szene im kleinen Athens, Georgia. Sie hatten
Bands wie Suicide, Cabaret Voltaire und in Brian Eno's No New York
Sampler als Inspiration gefunden, traten mit den B 52's zusammen auf,
die ihnen Gigs in New York verschafften. Aber im Gegensatz zu diesen
waren sie in keiner Weise bereit musikalische Zugeständnisse an die
Massen oder gar an die Industrie zu machen. Der Support für die ein
bisschen ähnlichen und ähnlich kompromisslosen Gang of Four mochte
Sinn machen, aber dass sie bald Vorband bei einer Tour von U2 waren,
sahen sie eher als unangenehme Verpflichtung denn als Chance, zu
irgendeiner Form von Ruhm zu gelangen. Nicht dass sie etwas gegen
Popmusik gehabt hätten. Ihr kryptischer, metronomischer Indie-Rock
ist nicht unfreundlich, Songs wie „Volume“ oder „Stop It“
sind durchaus delektabel. Aber ebenso wie in der Musik der Feelies
hbrodelt auch auf Gyrate eine untergründige Unruhe. Eine Nervosität,
die genaueres Zuhören einfordert. Sängerin Vanessa Briscoe Hay
schreit und flüstert kodierte Texte, Gitarrist Randy Brewley kratzt
auf seiner Gitarre, und Bassist Michael Lachowski und Drummer Curtis
Crowe arbeiten effektiv, aber sparsam an ihren Rhytmen. Bei einer
solchen Musik blieb der Erfolg natürlich – und auch leider - aus,
der Ruhm jedoch nicht – zumal R.E.M. Drummer Bill Berry auch später
nicht müde wurde, die Band und ihre beiden Alben zu „namedroppen“
Mit dem zeitlichen Abstand mag man heute erkennen, dass Pylon
tatsächlich „post“ Punk waren.....
The
B52‘s
Wild
Planet
(Island,
1980)
Die
bei Pylon's Gyrate erwähnten B52's aus Athens sind 1980 auf seltsame
Weise „etabliert“. Ihr Debüt aus dem Vorjahr gilt schon jetzt
als einer der Meilensteine des Post-Punk/New Wave - dabei kann man
bei ihnen doch das „New“ aus New Wave getrost streichen. Sie sind
Girl-Group-Wahnwitz, „post“ (= nach) Punk. Und sie sind
inzwischen New Yorker und liefern mit ihrem zweiten Album Wild Planet
nicht nur optisch den Nachfolger zu einem Debüt, das von der
Rock-Prominenz zu recht gelobt wurde. Wild Planet bildet zusammen mit
dem selbst-betitlelten Debüt ein Gesamtkunstwerk, wieder sind die
Stimmen von Katie Pierson und Cindy Wilson schriller Wahnsinn, wieder
knurrt Fred Schneider harsch dazwischen, wieder erklingt die
wimmernde Orgel und der reduzierte Twang von Ricky Wilson's Gitarre.
Die Band hatte bei den Aufnahmen zum ersten Album bewusst einige
ihrer erprobten Live-Perlen zurück gehalten – die hatten einen
Plan und wollten auf dem zweiten Album auch glänzen. Man ging wieder
ins Compass Point Studio auf die Bahamas, hatte aber nun mehr Geld im
Rücken und somit eine ausgefeiltere Produktion. Zum Glück poliert
das Songs wie „Runnin' Around“ nicht glatt. Dass die Single „Give
Me Back My Man“ ein Konzert-Favorit war, der auch in den Charts
erfolg hatte, war also geplant. Und wieder ist die Story um das
Mädchen, dessen Freund von einem Hai gefressen wird schön absurd.
Besser noch finde ich „Private Idaho“, die dritte Single vom
Album. Da haben wir den manischen Drive von Tracks wie „Rock
Lobster“. Wild Planet wurde genauso von der Kritik gelobt, wie das
Debüt, hatte nur den kleinen Nachteil, dass es nicht mehr ganz so
überraschen konnte. Aber - gibt es noch eine Band, die so klingt?
Ich kenne bis heute keine...
Polyrock
s/t
(RCA,
1980)
Polyrock’s
Karriere ist so stylish und zugleich hektisch wie ihre Musik. Sie
klingen so eindeutig nach New York wie ihrer weit bekannteren
Kollegen Talking Heads, aber sie hatten nicht Brian Eno im Rücken
und vielleicht waren sie auch einfach ein bisschen zu „arty“ um
sich in den Niederungen von so etwas banalem wie „Charts“ zu
bewegen. Es wäre sicher interessant, wie dieses Album Mitte der 00er
Jahre aufgenommen worden wäre – ich höre bei Vampire Weekend
mitunter ähnliche Sounds. Polyrock's exquisites Debüt wurde
immerhin von Philip Glass co-produziert, ist eine tanzende,
glitzernde und schillernde Mischung aus Devo - ohne deren albernen
Futurismus - und der Kühle der frühen Talking Heads. Aber das soll
nur einen ersten Eindruck geben, weil dazu etliche sehr eigene Ideen
und Bestandteile kommen, die Polyrock zu einem leider vergessenen
Post-Punk Juwel machen. Der Rhythmus hier hat oft die inzwischen so
angesagte Kraut-Motorik, die in Verbindung mit sibyllinischen
Frauen-Chören auf einem Track wie „Your Dragging Feet“ unerhört
klingt. Die Gitarren wiederum erinnern an die Glasscherben, die Gang
of Four's Andy Gill seinerzeit hinterließ. Sie können durchaus Pop,
aber der wird immer wieder konterkariert, wenn zhum Beispiel beim
tanzbaren „Body Me“ auf einmal atonaler Lärm losbricht und
Gitarre, Bass Drums aus der Ordnung ausbrechen. Aber wer gerade DAS
spannend findet, dürfte sich freuen. Man kann die sich
wiederholenden Synth-Lines und die repetitiven Gitarrenläufe als
Grund für den mangelnden Erfolg vermuten, vielleicht waren es zu
dieser Zeit auch einfach zu viele Bands, die so ähnlich klangen –
oder sie hatten einfach nicht genug Support. Es blieb letztlich bei
diesem Album und einem zweiten, weniger spannenden Nachfolger
(Changing Hearts, 1982). Polyrock sollte jeder hören, der die frühe
Talking Heads und den New Yorker No Wave Sound schätzt.
Half
Japanese
1/2
Gentlemen/Not Beast
(Armageddon,
1980)
Hier
wird’s jetzt wieder schwierig: Ist das, was man auf dem Debüt von
Half Japanese zu hören bekommt Post-Punk? Oder New Wave? Oder
was...? Ist diese Musik überhaupt eine Reaktion auf irgendeine
musikalische „Welle“ - oder ist 1/2 Gentlemen/Not Beast nicht
viel mehr Musik von Outsidern - ihr eigener Weg sich mit Gitarre,
Geschrei und Drums auszudrücken, ohne sich um die bekannten
Regularien der populären Musik zu scheren? Ich denke, „Post Punk“
ist an diesem Album vor Allem die Tatsache, dass es überhaupt
veröffentlicht wurde. Die Brüder Jad und David Fair haben seit '75
mit einem Drum-Kit, einem Mikro und einer nicht gestimmten Gitarre
Lärm gemacht, den auf einer Single und diversen Cassetten
veröffentlicht - und in der Welt, in der Punk mit seiner
Verweigerung jeder Konvention und dem ausgesprochenen Verdikt, dass
JEDER Musik machen kann, einen Plattenvertrag bei dem kleinen aber
feinen Label Armageddon Records bekommen. Da sich seit '77 über 30
Songs angesammelt hatten, wurde ihr Debüt 1/2 Gentlemen/Not Beast
sehr mutig als dreifach-LP veröffentlicht – und Wunder über
Wunder – es gab Leute, die das hören und haben wollten. Half
Japanese stolpern atonal und verzerrt durch eigene Songs und ein paar
fast unkenntliche Cover-Versionen von Vorbildern wie Springsteen
(„10th Ave. Freeze-Out“), Dylan („Tangled up in Blue“), Lou
Reed, („I Can't Stand It Any More“), Jonathan Richman („She
Cracked“) oder Buddy Holly („Rave On“). Eigene Songs wie „Girls
Like That“ sind genau genommen auf's einfachste reduzierte
Klischees von Pop-Songs, so Lo-Fi, dass sich Sebadoh Anno '89 dagegen
nach sorgfältiger Produktion anhören. Und die Beiden meinen das
Ernst – sie wollen so klingen, sie verwenden – bewusst oder
unbewusst - Prinzipien des Punk, um ihre egoistische Vision von Musik
zu realisieren. Sie sind in gewisser Weise wie Jandek, nur dass der
keine Vorbilder zitiert hat. Diese drei LP's komplett anzuhören
dürfte schwierig sein – obwohl es den beiden Fair Brüdern – ab
und zu mit Hilfe der Brüder John und Rick Dreyfuss an Saxophon und
Drums – immer wieder gelingt, neue Versionen von Noise zu erzeugen.
1/2 Gentlemen/Not Beast ist eher individuelles Statement als Musik.
Aber in Dosen genossen erzeugt es bei mir Staunen, Spaß und ein
bisschen Bewunderung.
The
Jim Carroll Band
Catholic
Boy
(Atco,
1980)
… und
weil ich mir - wie öfters erwähnt – vorstelle, dass man sich die
Alben hier hintereinander anhört, kommt hier mit dem Debüt der Jim
Carroll Band eine sehr coole Form von Erholung vom Lo-Fi Noise von
Half Japanese. Jim Carroll war Ende der Siebziger eine fast
archetypische Kult-Figur des New Yorker Underground. Er hatte mit
Patti Smith und Robert Mapplethorpe zusammen gewohnt, war in Andy
Warhol's Factory ein und aus gegangen, war ein schriftstellernder
Junkie und hatte seine Jugend 1978 in einem erfolgreichen Buch
literarisch verarbeitet. The Basketball Diaries beschreiben den
jungen Jim Ende der Sechziger als erfolgreichen College-Basketballer
mit beginnender Heroin-Sucht, der sich prostituiert um an das Geld
für seine Drogen zu kommen, der den Selbstmord eines Freundes und
das Leben auf den nächtlichen Straßen New York's mitmacht. Das Buch
wurde 1995 tatsächlich mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle
verfilmt, 1980 hatte Carroll sich allerdings nach LA abgesetzt, um
seiner Sucht zu entkommen – und wurde von Patti Smith ermutigt,
Musik zu machen. Sie dürfte ihm den Kontakt zu ihrem Ex-Freund, dem
Blue Öyster Cult Keyboarder Allan Lanier verschafft haben, er selber
versammelte ein paar weitere Musiker um sich. Schrieb kluge Texte,
die sich auf besagte Basketball Diaries bezogen, und hatte
tatsächlich Songs, die sich nach New York und Patti Smith –
allerdings ohne deren Leidenschaft – anhören. Allein sein „People
Who Died“ ist has halbe Album wert, die 7 ½ Minuten von „City
Drops Into the Night“ mögen etwas zu lang und zu sehr Radio-Rock
sein, aber der Opener „Wicked Gravity“ oder „Crow“sind von
einer lakonischen Coolness, die mich tatsächlich an Television und
Richard Hell's Voidoids denken lässt. Das Album lebt natürlich von
seinen Texten, man sollte bestenfalls das Buch dazu lesen, aber
Carroll war als New Wave-Sänger und Songwriter nicht schlecht. Die
Zeit war allerdings auch genau richtig hierfür. Alles was
musikalisch danach von ihm kam, verblasste hinter dieser Vorlage. Ach - das Cover ist übrigens von Annie Leibowitz fotografiert.
Lydia
Lunch
Queen
of Siam
(ZE,
1980)
Dass
New York (noch vor der Westküste) das Epizentrum des Post-Punk in
den USA ist, versteht sich. Sub-Kultur in den USA geht nicht ohne New
York. Und die Sängerin/Autorin und Schauspielerin Lydia Anne Koch
aka Lydia Lunch war - wie Jim Carroll – integraler Bestandteil der
New Yorker Kunst-Szene um das CBGB's. Sie hatte mit Teenage Jesus and
the Jerks auf der epochalen, von Brian Eno zusammengestellten
Compilation No New York (Siehe Hauptartikel 1978...) geholfen New
Yorker No Wave zu definieren, sie hatte James Chance auf seinen Alben
geholfen, nun machte sie sich auf, mit ein paar New Yorker Kollegen
und dem Billy VerPlanck Orchestra ein Album irgendwo zwischen No
Wave, Avantgarde, Big Band und Gothic zu machen. Sie coverte – dem
gewünschten Image entsprechend – den Uralt-Klassiker „Gloomy
Sunday“ und das wunderschöne „Spooky“, ließ bei „Jady
Scarface“ die Big Band von der Leine – die tatsächlich mit
atonalen Ausbrüchen ins New Yorker Kunst-Umfeld eingepasst wurde,
sie ließ den Hörer bei „Atomic Bongos“ im No Wave Modus
erschauern, ihre kindliche Stimme ist in diesem Umfeld unheimlicher
als jeder NY-Gangster, ihr Queen of Siam ist eine eigentlich
undenkbare Verbindung von Big Band und Noise, sie dürfte Sonic
Youth's Kim Gordon ebenso beeinflusst haben, wie etliche
Gothic-Künstlerinnen – aber ihr No Wave Background und Begleiter
wie Gitarrist Robert Quine (...man höre nur „Knives in the
Drain“) hebt sie über Leute wie Siouxie Sioux hinaus. Es gibt
schlicht kaum etwas vergleichbares – ob Queen of Siam damit Jedem
gefällt, muss man nicht diskutieren. Neugierige Hörer sollten sich
das einfach mal anhören, ein sehr ungwöhnlicher Aspekt der
US-Avantgarde – wie Alles hier nur deswegen „Post-Punk“, weil
es in dieser besonderen Zeit entstanden ist – und zu keiner anderen
Zeit entstehen konnte... Der Nachfolger 13.13 (von 1982) kommt ohne
Big Band dem New Wave tatsächlich näher – und ist genauso gut.
Es
ist der Menge an Klassikern des britischen Blues-Rock geschuldet,
dass ich auch hier zur besserern Lesbarkeit ein zweites Kapitel
verfasse. Die Alben in diesem zweiten Kapitel sind nicht schlechter,
nicht besser, nicht einmal so anders, als die der 12 Acts aus Kapitel1. Ihnen allen ist ihre britsche Herkunft gemeinsam (ok, Taste sind
Iren...) und der damit anscheinend verbundene respektvolle, aber
wenig dogmatische Umgang mit der Musik der afro-amerikanischen
Vorbilder. Blues hatte sich in UK verselbstständigt, war den
Einflüssen aus Psychedelic Rock, Folk, Beat und Jazz gegenüber sehr
offen. Und er hatte ein weit offeneres Publikum, als Blues in den
USA. Da mag in den großen Städten der Westküste und in New York
ein weisses, studentisches Publikum den US-Entsprechungen von Jeff
Beck, Jimmy Page etc gelauscht haben – aber wenn sich junge weisse
Musiker in den Südstaaten oder im Mittelwesten des Blues angenommen
haben, dann dürften die dort etablierten Vorurteile ihnen einen
heftigen Wind ins Gesicht geblasen haben. In Englang war der Blues
inzwischen so stark verfremdet worden, dass er auch als Export in die
USA erfolgreich war. Einige britische Bands hatten den Blues mit
harten Rhythmen, großer Lautstärke und verzerrten Gitarren in
Richtung Heavy Rock geschoben – und waren damit enorm erfolgreich
(Led Zeppelin, Free, Groundhogs). Andere bedienten sich aus der
Psychedelic oder Folk-Kiste – oder machten einfach das, was Blues
in ihren Augen bedeutete, ohne sich allzu sehr um die Vorbilder zu
scheren. Dass die Ergebnisse über die Jahrzehnte zu Klassikern der
„Rockmusik“ wurden, sollte schon zeigen, dass da nicht alles
falsch war. Die Vorliebe der Bands dieser Tage für Gitarren-Soli,
ausgedehnte Improvisationen, exaltierten Gesang – für das, was zum
„Klischee“ für „Rock“ geworden ist – sollte man nicht nur
verzeihen. Diese jungen Leute waren sich keiner Klischees oder
Peinlichkeit bewusst – das war alles neu, wurde gerade erfunden und
war Zeichen einer Befreiung und eines Selbstbewusstseins, das völlig
unverklemmt war. Ich persönlich kann eingedenk dieser
Voraussetzungen Vieles hier weit besser geniessen – und den Reiz
von Alben wie Free oder Stonedhenge nachempfinden – und sie
entsprechend empfehlen und loben.
Free
Tons
Of Sobs
(Island,
1969)
Free
s/t
(Island,
1969)
Alexis
Korner, einer der Ur-Väter der britischen Blues-Szene, hatte im
Vorjahr den Gitarristen Paul Kossoff, Drummer Simon Kirk und Sänger
Paul Rodgers mit dem da gerade 16-jährigen Bassisten Andy Fraser
zusammen gebracht und ihnen den Namen Free nahegelegt. Als das
Quartett sein Debüt aufnahm, war noch keiner der Musiker über 20
Jahre alt – aber ihr Blues-Rock klang schon so stilsicher,
eigenwillig und durchdacht, dass man erfahrene Musiker dahinter
erwartet hätte. Immerhin hatten die vier ihre Songs seit ihrer
Gründung im April '68 vielfach Live ausprobiert. Sie bekamen einen
Vertrag bei Chris Blackwell's aufstrebendem Island-Label. ein Budget
von £800 und mit Guy Stevens einen Produzenten, der auch gerade mal
Mitte Zwanzig war – und der in diesem Falle klug das Prinzip
„Weniger ist Mehr“ nutzte. Letztlich ließ er die Band das
Live-Repertoire spielen, ohne viel hinzu zu fügen. Dass Free sich
das erlauben konnten, dass Tons of Sobs sogar enorm eigenständig
klingt, zeigt, dass hier eine wirklich famose Band zusammengekommen
war. Rodger's Stimme klingt gewiss nicht nach gerade überwundener
Pubertät, ist soulig und unverkennbar, der junge Paul Kossoff hatte
eine ganz eigene Art, seine verzerrten Gitarrentöne in die Länge zu
ziehen und Kirk und Fraser waren ein enorm kraftvolles
Rhythmus-Gespann – so kraftvoll, dass die Entwicklung der Band in
Richtung Heavy-Blues vorbestimmt war. Tons of Sobs allerdings ist
noch sehr blues-lastig. Man wird Free immer mit ihrem Welthit
„Allright Now“ (vom dritten Album Fire and Water ('70))
verbinden, aber ihre beiden ersten Alben sind in meinen Ohren die
bessere, weil frischere, authentischere und interessantere Wahl. Tons
of Sobs mag primitiv aufgenommen sein, hat aber dadurch eine
Unmittelbarkeit, der die vier Jungs auf jeden Fall gewachsen sind.
Schon hier klingen sie sehr „heavy“ für eine Blues-Band, und
Songs wie das von Rodgers geschriebene „Walk in My Shadow“
vertragen diese Härte. Noch ist die Gitarre von Kossoff nicht
so prominent, heult das Feedback nicht ganz so ausdauernd, aber man ließ ihm seinen Freiraum – und er wusste ihn zu nutzen. Auf
Betreiben von Guy Stevens wurde der Live-Favorit „The Hunter“ von
Booker T. & the M.G's noch auf das Album gepackt, und der zeigt
genau wie der Slow-Blues „Moonshine“, dass diese jungen Leute
hier einer Leidenschaft frönten – der sie im gleichen Jahr auf
Free mit noch mehr Kompetenz folgten. Die Entwicklung dieser Typen in
den paar Monaten war erstaunlich: Chris Blackwell übernahm den
Produktions-Job, ermutigte den jungen Bassisten Fraser mit Rodgers
zusammen Songs zu schreiben und definierte den Sound der Band neu.
Der Bass übernahm den Part der Rhythmus-Gitarre mit, ist enorm
prominent, Paul Kossoff darf nun die Zügel an der gitarre schiessen
lassen, und Rodgers Stimme hatte an Autorität gewonnen. Alle
Elemente sind fein voneinander getrennt und bilden ein sehr
eigenständiges neues Konstrukt. Dass die Songs – acht mal
Fraser/Rodgers, einmal von der ganzen Band geschrieben – jetzt über
den Blues hinausgehen, dass hier eine eigene Version des aufkommenden
„Hard Rock“ entstehen würde, war nach dem Debüt ja schon fast
abzusehen. Dass die Vier so gut waren, hatte man nur hoffen können.
Auch Free wagten erfolgreich Folk („Mourning Sad Morning“), auch
Free versuchten ein Instrumental („Mouthful of Grass“, das zeigt,
welch gefühlvoller Gitarrist der 19-jährige Paul Kossoff war. Aber
vor Allem kraftvolle Tracks wie „Trouble on Double Time“, "Broad
Daylight“ oder „Woman“ führen Free auf das Terrain, auf dem
sie bald neben Led Zeppelin grasen würden. Zunächst aber hatten die
beiden ersten Alben von Free noch wenig Erfolg. Der kam erst mit
besagtem Hit. Das Cover von Free jedenfalls ist eine Ikone der
Rockmusik. Dass die Musik dem in Nichts nachsteht, sollte man
erfahren.
Joe
Cocker
With
A Little Help From My Friends
(A&M,
1969)
Joe
Cocker
s/t
(A&M,
1969)
Joe
Cocker und seine Stimme wurde von Jahrzehnten im Format-Radio, durch
seine peinliche Rock-Säufer-Karriere und durch kreativen Stillstand
spätestens seit den 80ern auf taurige Weise marginalisiert. Aber ich
will mindestens seinem Debüt-Album Respekt zollen. Cocker definiert
sich - wie Rod Stewart – über eine Stimme, die enorm
wiedererkennbar ist -und die hier noch mühelos und glaubhaft Soul
und Blues aus Vorlagen presst, die dafür eigentlich ganz ungeeignet
scheinen, weil sie Folk und Pop – nicht Blues und Soul sind. Cocker
hatte schon einige Jahre in Pubs und Clubs gesungen, sogar eine
Single veröffentlicht, aber als er nun mit immerhin schon 25 Jahren
mit seiner Band und der Unterstützung durch ein paar Freunde sein
Debüt aufnahm, war er immer noch ein Studio-Neuling. Immerhin hatte
er mit Chris Stainton vor drei Jahren die Grease Band gegründet –
versierte Musiker, die zwei beachtlich Alben unter eigenem Namen
veröffentlichen würden. Dazu kamen Gäste wie Steve Winwood, Albert
Lee und - bei fünf von zehn Songs – Led Zeppelin's Jimmy Page.
SeineReputation muss hoch gewesen sein. Das Rezept für With a Little
Help from My Friends – genau wie für Joe Cocker ein paar Monate
später: Ein paar Stainton/Cocker Songs und einige überraschende
Cover-Versionen von den Beatles, Dylan, Cohen und anderen aktuellen
Songwritern. Cocker's da noch völlig intakte Fähigkeit: Er machte
aus „Just Like a Woman“ und „I Shall Be Released“ von Dylan,
aus „Feelin' Allright“ von Traffic's Steve Mason - und
insbesondere aus dem Titelsong von den Beatles - seelenvolle Musik,
die zwar die Originale noch in sich trägt, die aber durch seine
Stimme und seinen Vortrag zu SEINEN Songs wurden. Man machte es ihm
leicht, indem man die ihm bekannte Jam-Session Atmosphäre schuf, er
war in Hochform, noch nicht vom Alkohol gezeichnet – das Ergebnis
sind zwei Alben, die zum Fundament einer kompletten Karriere wurden.
Vor dem zweiten Album tourte Cocker in den USA und trat beim
legendären Woodstock Festival auf, seine Art sich zu bewegen, seine
seltsamen Verrenkungen und sein Luft-Gitarren-Spiel wurden legendär,
das zweite Album enthielt mit dem Leon Russell-Cover „Delta
Lady“ den nächsten Hit im UK, die Karriere ließ sich
vielversprechend an. Dass der gelernte Installateur nun zum
Establishment gehört, wurde für ihn allerdings zur Belastung. Noch
'69 löste er die Grease Band auf, verweigerte die nächste gebuchte
US-Tour und musste eine neue Band zusammenstellen, um den
Vertrags-Verpflichtungen nach zu kommen. Das Resultat war ein wildes
Live Album und eine massives Aklohol-Problem. With a Little Help from
My Friends und Joe Cocker zeigen einen noch frischen und überzeuten
Soul- und Blues-Sänger, wie es sie nur in dieser Zeit gab.
Taste
s/t
(Polydor,
1969)
Und
wieder: Musik aus der Zeit der Gitarren-Heroen. Taste war die Band
des irischen Gitarristen, Sängers und Songwriters Rory Gallagher,
gegründet 1966 in Cork, seit '68 in London beheimatet – und seit
ein paar Monaten eine große Nummer im Blues-Rock Universum. Sie
hatten die Abschieds-Tour von Cream supported, waren mit Blind Faith
in den USA und nahmen schließlich im April '69 ihr Debüt-Album auf.
Man kann an diesem Album etwas interessantes feststellen: Damals war
die Studio-Technik noch nicht übermächtig, Musiker wie die drei von
Taste hatten eine Live-Erfahrung und Spielfreude, die in den
Aufnahme-Sessions zu einer LP weit wichtiger war, als
Sound-Architektur und übereinander geschichtete, manipulierte
Tonspuren. Dadurch klingt ein Album wie Taste im Idealfall so
unmittelbar, dass es dem Hörer fast ins Gesicht springt. Dass die
Live-Qualitäten des Trio's dann auch im Studio wirkten, ist wohl den
schlichten Aufnahme-Methoden geschuldet – einer Produktion, die ich
mir bei manchen heutigen Alben durchaus auch wünschen würde. Dass
Gallagher ein wildes Tier an der Gitarre war, dass er so hemdsärmelig
spielte, wie er auch auftrat, dass er ein shr guter, an Folk und Jazz
geschulter Gitarrist war, dass seine Begleiter Richard McCRacken (b)
und John Wilson (dr) ein festes, aber austauschbares Fundament
bildeten – geschenkt. Taste ist ein tief im irischen Folk
verwurzeltes Blues-Rock-Album, die bei Songs wie der
Akustik-Gitarren-Showcase „Hail“ deutlich erkennbar werden. Ein
Track wie „Born on the Wrong Side of Town“ wiederum zeigt, dass
Taste auch an Psychedelik geschnüffelt hatten. Sie wurden immer
wieder mit Cream verglichen, was aber falsch ist – ihr Stil ist
unverkennbar – sie klingen geerdet, ihre Virtuosität wird nie zum
Selbstzweck, vor Allem die Folk-Wurzeln sind ein
Alleinstellungs-Merkmal. Taste ist eine eigenständige
Bluesrock-Vollbedienung
The
Groundhogs
Blues
Obituary
(Imperial,
1969)
Die
Groundhogs sind zur Zeit ihres zweiten Albums schon regelrechte
Veteranen. 1963 gegründet haben sie sich im Lauf der Jahre eine
gewaltige Live-Reputation erspielt und John Lee Hooker (nach dessen
„Groundhog Blues“ sie sich benannt haben) Little Walter,
Jimmy Reed und Champion Jack Dupree auf deren UK-Touren begleitet.
Sie haben 1968 mit ihrem Debüt Scratching the Surface ein noch
relativ konventionelles Bluesrock-Album gemacht, aber schon da galt insbesondere Gitarrist und Sänger Tony McPhee Manchen als britische
Antwort auf Jimi Hendrix – und wenn man dieses zweite Album der
Band hört, kann man schnell erkennen, wo die Ähnlichkeiten liegen.
Blues Obituary ist von McPhee's Stimme und seinem enorm
fantasievollen, harten Gitarren-Spiel geprägt. Allerdings klingt bei
ihm im Vergleich zu Hendrix immer ein proletarische Arbeiter-Ethos
mit, seine Stimme ist No Fun, roh und kräftig, seine Soli sind
virtuos, aber von einer unnachahmlichen Härte. Dass die Groundhogs
wieder eines dieser dazumal so beliebten „Power-Trios“ sind, mag
die Hendrix-Vergleiche befeuert haben. Aber Blues Obituary steht gut
für sich alleine. Das ist moderner Blues – so modern, dass er
sogar heute noch überraschend klingt. Und McPhee's Begleiter Pete
Cruickshank (b) und Ken Pustelnik (dr) sind für den
charakteristischen Sound der Groundhogs mindestens genau so
entscheidend, wie ihr Gitarrist. Vor Allem Pustelnik's Drums klingen
nach modernem Hard-Rock, kaum nach Blues-Band. Sie covern Howlin'
Wolf's „Natchez Burning“ - und machen ihren eigenen Track daraus.
Und beim abschliessenden Instrumental „Light Was the Day“
verlassen sie alle ausgetretene Blues-Pfade und werden regelrecht
experimentell. Ich könnte mir vorstellen, dass Thurston Moore Sonic
Youth an diesem Track Spaß gehabt haben könnten.
Juicy
Lucy
s/t
(Vertigo,
1969)
Jetzt
habe ich die Blues-Pfade verlassen - und begeistere mich für Juicy
Lucy – eine dieser vielen Bands, die zwar ihre Wurzeln auch im
Blues haben, die aber mindestens genauso sehr in den Wolken des
Psychedelic-Rock schweben. Kein Wunder, waren sie doch aus der
Psychedelic-Band The Misunderstood hervorgegangen, die – in den USA
gegründet - '66 in London gelandet waren und ein paar feine Singles,
aber nie ein komplettes Album geschafft hatten. Einer ihrer prägenden
Musiker war der Neuseeländer Glenn Ross Campbell, der seine
Steel-Guitar auf eine Art malträtierte, die jedem Cowboy den Hut
wegfliegen ließe. Campbell suchte sich nach dem Scheitern von The
Misunderstood ein paar neue Mitstreiter und benannte seine Band nach
einer Prostituierten aus einem Buch von Leslie Thomas... und mit
leicht abgeändertem – bluesigerem – Konzept hatte er Erfolg:
Juicy Lucy coverten Bo Diddley's unzerstörbaren Klassiker „Who Do
You Love“, gaben ihm eine Heavy-Rock/Steel-Guitar-Behandlung und
hatten sofort einen UK Top 20 Hit und die Chance, ein Album
aufzunehmen. Dass das Cover von Juicy Lucy von der mit Früchten
bedeckten Varieté-Tänzerin Zelda Plum geziert wurde, mag so manchen
neugierig gemacht haben. Und der hatte dann das Vergnügen, eine
enorm virtuose Band zu entdecken, die weit mehr konnte, als nur den
einen Hit: Ob „She's Mine/She's Yours“, der extrem rhythmische
Blues mit Chris Mercer's Saxophon, ob blues-basierter Country-Rock
auf „Chicago North Western“ - diese Band konnte alles spielen –
hatte mit besagtem Saxophonisten, mit Neil Hubbard an der zweiten
Gitarre (Der bald Joe Cocker's Band beitreten wird), dem
Blues-Shouter Ray Owen und dem Ex-Van Der Graaf Generator Bassisten
Keith Ellis das Personal, das dieses breites Spektrum bedienen
konnte. Es nimmt allerdings auch nicht Wunder, dass Juicy Lucy quasi
sofort von Personal-Problemen zerrissen wurden. Das Nachfolge-Album
Lie Back and Enjoy It immerhin ist noch aller Ehren wert. Dieses
Debüt aber bleibt ihr bestes Album – eines, das Blues-Rock in alle
Richtunge erweitert.
TenYears
After
Stonedhenge
(Deram,
1969)
Ten
Years After
Ssssh.
(Deram,
1969)
Ten
Years After haben sich insbesondere mit ihrem Live-Album Undead
(vorgestellt im Artikel 1968 – Pink Floyd bis Family – Der UFO
Club in London und seine Folgen eine große Bekanntheit erspielt. Ihr
Bluesrock ist weniger psychedelisch, dafür eher von Jazz durchzogen.
Sie haben schon durch den Organisten Chick Churchill einen prägnanten
Sound, der aber natürlich insbesondere durch Alvin Lee's
Überschall-Soli auf der (kaum verzerrten) Gitarre und durch seine
quäkende Stimme geprägt ist. Nach dem Erfolg von Undead schmieden
sie das heisse Eisen und nehmen mit Stonedhenge schnell ein neues
Studio-Album auf, das den Live-Charakter bekommt, der ihnen so gut
getan hat. Produzent Mike Vernon gelingt das nicht
selbstverständliche Kunststück, ihre Improvisationsfreude im Studio
enzufangen – und mit „Hear Me Calling“ - bald von den
Glam-Rockern Slade gecover - gelingt ihnen sogar ein Nachfolger zum
Hit „I'm Going Home“. Das Konzept zu Stonedhenge freilich ist das
Gleiche, wie das von Undead: Man bekommt das übliche Drum-Solo, man
bekommt die ausgedehnten Gitarren-Soli und alles wird mit Orgel und
Rhythmus in Jazz-Gefilde versetzt. Dass diese Art Blues-Rock heute
altbacken klingt, will ich zugeben – aber es gibt (wieder einmal)
keinen, der so klingt, wie TYA Ende der Sechziger/ Anfang der
Siebziger. Und sie sind zu dieser Zeit extrem erfolgreich: Im Juni
'69 nehmen sie das nächste Album auf, im Juli treten sie beim
Newport Jazz Festival auf – und am 17. August stehen sie in
Woodstock auf der Bühne, wo Alvin Lee ein legendäres 10-minütiges
Gitarren-Solo zum Hit „I'm Going Home“ abliefert. SO ist Musik in
diesen Tagen. Ihr viertes Album Ssssh wird im August auf den
begierigen Markt geworfen.Dass es in den USA Platz 40 der Billboard
Charts erereicht, im UK sogar auf Platz 4 landet, zeigt, dass
Woodstock und die daran Beteiligten auch ohne Internet und Social
Media sofort zur Legende wurden. Ten Years After werden nun ein
kleines bisschen „härter“, folgen darin durchaus dem
Zeitgeschmack, sind aber freilich immer noch tief im Jazz verwurzelt.
Sie covern Sonny Boy Williamson's „Good Morning Little Schoolgirl“,
verändern den Text, passen mit „Stoned Woman“ wunderbar zur
hohen Zeit der Kiffer, spielen mit „I Woke Up This Morning“
harten, puren Blues incl. Gitarren-Solo und klischee-haften Lyrics.
Ssssh ist abwechslungsreicher als Stonedhenge, zeigt, dass TYA viele
Facetten parat hatten. Sie wurden nun – wie viele ihrer britischen
Zunft-Genossen – in den USA ein großes Ding und machten in der
Folge ein paar weitere gelungene Alben. Aber man muss sich – wie
bei all den hier vorgestellten Alben – in diese Zeit versetzen, um
diese Musik geniessen zu können. „Modern“ ist das nicht – aber
schön – und mit der jeweiligen Spielzeit von etwas mehr als 30
Minuten sind beide Alben angenehm kurzweilig
Keef
Hartley
Halfbreed
(Deram,
1969)
Wie
eng verflochten die Blues-Szene in England ist, dürfte dem Leser
schon aufgefallen sein. Nun – Keef Hartley gehört auch auf diesen
Haufen. Er hat nach Aynsley Dunbar für John Mayall gespielt, seine
(Big) Band rekrutiert sich u.a. aus Musikern, die man auf den hier
beschriebenen Alben wiederfindet. So spielt hier Juicy Lucy-
Saxophonist Chris Mercer mit, John Mayall macht auf Halfbreed auch
mit und einer der Stars der Band – Miller Anderson – wird im
Laufe der Zeit in den Blues-Zirkeln herumgereicht. - wobei sein
Beitrag auf diesem Album nachträglich aufgenommene Vocals sind,
seine Fähigkeiten als Gitarrist würde er erst auf den folgenden
Alben präsentieren dürfen. Hartley hatte Halfbreed zunächst mit
dem Sänger Owen Finnegan aufgenommen, war aber mit dem Ergebnis
unzufrieden und fand mit Miller Anderson einen mehr als vollwertigen
Ersatz. Auf Halfbreed spielt noch ein gewisser Spit James aka Ian
Cruickshank Gitarre – und der war auch nicht schlecht – eher Jazz
informiert, mit Django Reinhardt als Vorbild. Das Quartett + 4 Bläser
erzeugt auf diesem Album große Power, es gibt sieben durchdachte
eigene Songs, die Cover-Versionen „Leavin' Trunk“ von Sleepy John
Estes und „Think It Over“ von B.B. King bekommen die Jazz/Blues
Behandlung, die sie selbstständig stehen lässt, der Album Closer
„Think It Over - Too Much to Take“ mag das Highlight sein. Und
Miller Anderson's soulige Stimme zeigt – in diesen Jahren scheint
es in England hervorragende Sänger in Massen gegeben haben.
Halfbreed ist eine bluesigere, sehr eigenständige Variante zu dem,
was in den USA Blood Sweat & Tears und Chicago vorgelegt hatten.
Info am Rande: Sie traten auch in Woodstock auf – wurden aber als
einer von zwei Acts nicht dokumentiert.
PS:
Das Indianer-Cover ist kein Fake - Hartley studierte tatsächlich die
Kulturgeschichte der amerikanischen Ureinwohner und trug gerne mal
ihre Klamotten.
Siren
s/t
(Dandelion,
1969)
… da
ich mir vorstelle, dass man sich diese Alben in der hier
vorgestellten Reihenfolge anhört, will ich jetzt mal das
Gegenprogramm zum ausgefeilten, jazz-nahenbritischen Blues empfehlen:
Siren ist die Band des Musikers Kevin Coyne, eines extrem
eigenwilligen, hoch-musikalischen Künstlers, der seine komplette
Karriere lang auf fast selbstzerstörerische Weise die Kommerzialität
gemieden hat, dessen wilde, grantige Stimme mich immer an einen
weniger durchgeknallten Captain Beefheart erinnert – und dessen
Songs viel mehr Beachtung verdient hätten. Die Band Siren war
zunächst unter dem Namen The Clague gestartet, das Trio aus Kevin
Coyne (g, voc), Dave Clague (b, g) and Nick Cudworth (p, g)
hatte unter dem Namen des Bassisten zwei Singles auf John Peel's
neuem Label Dandelion veröffentlicht und sich für dieses Debüt in
Siren umbenannt. Siren könnte natürlich ohne weiteres in einem
Kapitel über Singer/Songwriter des Jahres '69 unterkommen. Aber –
das sollte inzwischen jeder begreifen – es gibt keine reine Lehre
des (...du kannst jedes Genre hier eintragen...) und wenn Siren hier
ihre Songs elektrifizieren, dann sind sie - zwar untypischer –
Blues-Rock Made in England. Siren beginnt mit einem regelrechten
Überfall – einem Folk-Blues, der besagtem Captain Beefheart ggf
auch gestanden hätte. „Ze-Ze-Ze-Ze“ hat tatsächlich
Hit-Qualitäten... für eine andere Welt. Auf dem Slide-Blues
„Wastin' My Time“ hört Coyne sich an wie Mick Jagger, die
elektrifizierte Cover-Version von B.B. King's „Rock Me Baby“ ist
durch den skelettierten Sound ganz eigenständig, aber am besten
-weil ganz unverwechselbar - sind Siren, wenn sie den Blues akustisch
halten: "Get Right Church", das rührende "And I
Wonder", "Asylum" oder "I Wonder Where"
mögen meilenweit vom elektrischen Heavy-Blues von Free oder Led
Zeppelin sein – aber es sind sehr berührende Songs – die sich in ihrer uneitelen Zurückhaltung weit besser gehalten haben, als die
Songs berühmterer Kollegen. Coyne ging nach einem zweiten Album
Solo und machte mindestens mit Marjory Razorblade ('73) einen vergessenen
Klassiker des Folk.
Blodwyn
Pig
Ahead
Rings Out
(Island,
1969)
… und
nach der akustischen Erholung gefällt mir Blodwyn Pig, die Band um
den Ex-Jethro Tull-Gitarristen Mick Abrahams ganz besonders. Der
hatte Ian Anderson im Streit um die stilistische Ausrichtung von
Jethro Tull verlassen – er wollte mehr Blues und Jazz, Anderson
mehr Querflöte – und nach seinen Vorkieben klingt dann auch Ahead
Rings Out. Mit Jack Lancaster holte er sich einen formidablen
Jazz-Saxophomisten, Flötisten und Geiger, dazu kam mit dem Bassisten
Andy Pyle und dem Drummer Ron Berg eine Rhythmus-Sektion,
die so stark war, dass sie bald in allen möglichen britischen Blues
Bands herumgereicht wurde. Mick Abrahams versuchte auf Ahead Rings
Out Jazz und Blues auf eine weitere neue Art zu verbinden. Tracks wie
das sanfte „Dear Jill“ oder „Up and Coming“ starten als
Blues, werden dann aber sehr geschickt in Richtung Jazz gedreht.
Gerade bei Letzterem spielt Lancaster so Flöte, wie Abrahams es sich
bei Jethro Tull von Ian Anderson gewünscht haben mag. Ass diese Band
bei „The Modern Alchemist“ Blues mit fast Free Jazz-artigen
Passagen verbinden, zeigt, dass sie Einiges 'drauf hatten. Auch
Abrahams Stimme ist eine veritable Blues-Röhre, auch er spielt die
erforderlichen, mal gefühlvollen, mal leidenschaftlichen
Gitarren-Soli. Es mag sein, dass Blodwyn Pig mit dem auffälligen
Schweinekopf-Cover zusätzliche Aufmerksamkeit erwecken wollten – dem
Album war jedenfalls seinerzeit ein ziemlicher Erfolg beschert. Platz
9 der UK-Album Charts, Erfolg in den USA, Teilnahme am Isle of Wight
Festival... Allein – Abrahams beendete seine Karriere nach dem Ende
des Blues-Rock Booms aus Abscheu dem Musik-Business gegenüber. Ahead
Rings Out ist mit Recht eines der Kult-Alben des britischen
Jazz/Rock/Blues einer Zeit, die keine stlistischen Grenzen kannte.
The
Climax Chicago Blues Band
s/t
(Parlophone,
1969)
The
Climax Blues Band
Plays
On
(Parlophone,
1969)
Ende
der Sechziger galt – wie diese Artikel hier beweisen - Blues in
progressiv, jazzig oder „heavy“ wohl als Erfolgsrezept. Virtuose
am Mikro, an der Gitarre oder an Saxophon, Flöte etc hatten
Hochkonjunktur – und Bands wie Blodwyn Pig, die Keef Hartley Band,
die Aynsley Dunbar Retaliation etc. versprachen sich einen ähnlichen
Erfolg wie ihn Led Zeppelin hatte. Aus der britischen Provinz – aus
Staffordshire – kam die Climax Chicago Blues Band. Gegründet hatte
sie der Saxophonist und Harmonica Spieler Colin Cooper zusammen mit
dem da gerade 16-jährigen Gitarristen Pete Haycock. Sie nahmen sich
offensichtlich John Mayall und den ganzen Jazz-Blues Zirkus zum
Vorbild und spielten Ende '68 unter eigenem Namen ein Debüt ein, das
vor Allem von den Soli des jungen Pete Haycock lebte. Das typische
Programm: Ein paar Cover Versionen, ein paar eigene Tracks, bei Ihnen
immer in leichter, schwebender Manier, mit der etwas zu
unauffälligeren Stimme Cooper's, was ihnen eine noch größere
Ähnlichkeit mit John Mayall's jeweiligen Bands verlieh. Für den
Nacholger Plays On wurde erst einmal das „Chicago“ aus dem Namen
gestrichen, Cooper verlegte sich mehr auf's Saxofon-Spiel und beim
fast acht-minütigen Opener „The Flight“ hoben sie erstmals so
richtig ab. Dies war die Blues/ Progressive Jazz Vollbedienung –
die heute sicher auch etwas betagt klingt, die der Band aber immerhin
einen besseren Rif einbrachte. Hier spielen auch wirkliche virtuose
Musiker auf, Plays On gilt zu Recht als ihr interessantestes Album
der ersten Jahre. Mitte der Siebziger kamen Pop-Einflüsse dazu und
die Band hatte große Erfolge in den USA. Die Blues-Alben der ersten
Jahre sind für mich die bessere Wahl. Nicht so richtig aufregend,
aber sehr solide.
Bakerloo
s/t
(Harvest,
1969)
Vergessene
Gitarrenhelden – Letzte Station. Bakerloo ist das Vehikel für den
Saitenvirtuosen Clem Clempson – auch so einer, der sich in den
folgenden Jahren bei allen möglichen Progressive/Blues-Combos
verdingte, seine erste Station war dieses zunächst The Bakerloo
Blues Line genannte Power Trio mit dem Bassisten Terry Poole und dem
Drummer Keith Baker. Die Karriere ließ sich zunächst gut an. Sie
spielten als Vorband beim ersten Konzert von Led Zeppelin, sie
tourten mit Earth – der Band, aus der bald Black Sabbath wurde, sie
bekamen den ersehnten Vertrag bei Harvest und nahmen ihr Debüt mit
Elton John Produzenten Gus Dudgeon auf. Und auch sie konnten Alles:
Es gibt mit „Son of Moonshine“ 15 Minuten Heavy-Rock, wie ihn
Led Zeppelin auch nicht besser konnten, sie spielen Bach's Bouree als
„Driving Bachwards (,,,nicht witzig, aber eine nette, kurze
Leistungsschau...), das Instrumental „Gang Bang“ zeigt ein
weiteres Mal, dass nicht nur Alvin Lee flinke Finger hatte, „This
Worried Feeling“ macht seinem Titel als Slow Blues auch alle
Ehren... Bakerloo ist eine Art Zusammenfassung dessen, was Power
Trio's in jener Zeit so machten. Dass das Album dann bald in
Vergessenheit geriet, liegt vielleicht daran, dass die Band noch '69 auseinander
ging – aber sicher vor Allem daran, dass diese Art von Musik
spätestens Mitte der Siebziger so was von unmodern wurde, dass
auch ich hier meine Probleme damit habe, die notwendige Begeisterung zu
erzeugen. (Britischer – aber auch amerikanischer) Blues-Rock war
zu dieser Zeit ein ganz großer Trend, die wirklich erfolgreichen
Bands und Musiker dieser Art wurden zu Dinosauriern, die Punk
höchstens schwer verletzt überlebten, im Radio-Mainstream der 80er
jede Reputation verloren – oder in Obskurität verblichen sind. Ob
auch diese Musik irgendwann aus dem Liebhaber-Nischen Dasein heraus
kommt? Ich bezweifele das – aber einige der hier beschriebenen
Alben sind hörenswerter, als der Hipster meint, deshalb...
Die
Top Ten des britischen Blues
zum
Abschluss das gerne gespielte Spiel einer Auswahl der besten zehn
Alben dieses speziellen Bereiches der populären Musik. Natürlich
streng subjektiv und morgen mit anderen Auserwählten. Ich will hier
nur die zehn Alben zum Anhören empfehlen, die diese ganz bestimmte
Sparte des britischen Blues-Rock mit den damals beliebten
psychedelischen Spuren und langen Improvisationen bieten. Also lasse
ich die ganze Rhythm'n' Blues Packung aussen vor: Bands wie die
Rolling Stones, Pretty Things, Them, Manfred Mann etc. haben den
Blues in Europa sogar früher noch publik gemacht, als diese zehn
Bands hier unten – aber Gitarren-Helden und Blues-Shouter-Blues
war ihre Sache eher nicht. British Blues wie ich ihn verstehe – wie
er in den Kapiteln mit dem entsprechenden Titel beschrieben wird,
eingedampft auf die zehn mir wichtigsten Alben:
John
Mayall with Eric Clapton - Blues Breakers – (1966) – Das Vorbild
vom Lehrmeister
The
Jimi Hendrix Experience – Are You Experienced? (1967) – Blues
form Outer Space (und eigentlich aus den USA)
Jeff
Beck – Truth – (1968) – Heavy Rock 'n' Blues Urgestein –
Vorbild für Led Zeppelin
Free
- Tons Of Sobs – (1968) – Wie eine Rrrrock-Band im Blues startet
Chicken
Shack 40 Blue Fingers, Freshly Packed and Ready to Serve - (1968)
Fleetwood
Mac – Then Play On – (1969) – Blues erweitert in den Wahnwitz
Blind
Faith – s/t – (1969) – Zwei Protagonisten des Brit-Blues führen
den Blues in Psychedelik über
Rod
Stewart – Gasoline Alley – (1970) – Folk und Rhythm'n'Blues in
Perfektion
The
Aynsley Dunbar Retaliation - To Mum, From Aynsley and the Boys (1970)
– Brit-Blues-Rock puristisch
Savoy
Brown – Raw Sienna – (1970) – Ein letztes große Aufbäumen des
Brit-Blues vor Progressiv Rock