Mittwoch, 16. Oktober 2019

1969 - Led Zeppelin bis John Mayall und Producer Mike Vernon – British Blues auf dem Höhepunkt – Teil 1

Es hat Mitte der 60er angefangen, als Musiker wie Alexis Korner, die Yardbirds, der große Integrator John Mayall und einige weniger namhafte Kollegen unter dem Einfluss von importierten Blues-Platten und den nach England zu Festivals geholten alten US-Blues-Meistern ihre eigene Version der alten Tante Blues zu spielen begannen. Auch die Stones, Animals, Small Faces, Manfred Mann – in Maßen sogar die Beatles – haben sich vom Blues beeinflussen lassen. Aber mit Cream und Led Zeppelin bekommt der Blues auf der Insel eine andere, neue Anmutung. Man hört bei all den aufstrebenden britischen Blues (Rock) Acts „europäische“ Einflüsse heraus – (britischen) Folk, Jazz, durch die europäische Brille gefiltert, auch Beat und Skiffle und – nicht zu vergessen - eine elektrifizierende und elektrifizierte Härte, die in den USA - wenn überhaupt - dann mit Psychedelic verbunden ist, in England aber eher auf die Virtuosität insbesondere der Gitarristen setzt. Das Ergebnis: Britischer Blues-Rock ist anders als US-Blues und US-Blues-Rock. Die britischen Musiker haben den Blues erst später, aus zweiter Hand erlebt, die Tatsache, dass in den USA Blues als „schwarze Musik“ in der „weissen“ Gesellschaft einen ganz anderen Stellenwert hat, dass schwarze und weisse Musik durch die alltägliche Diskriminierung der US-Afro-Amerikaner stärker getrennt sind, dürfte einen großen Anteil an den Unterschieden haben. Junge Weisse, die in den USA den Blues spielen, dürften von beiden Seiten schief angesehen werden – im UK sind die Ressentiments gegen den Blues geringer. Lustigerwese haben die weissen britischen Blues-Musiker in diesen Jahren teils sehr großen Erfolg in den USA – während ihre Vorbilder dort eher stiefmütterlich behandelt werden. Der Blues-Rock, den ich in diesem Artikel meine, wurde von oben genannten Stars der Szene in den letzten 2-3 Jahren etabliert. Die Ex-Yardbirds Eric Clapton, Jimmy Page, Jeff Beck tauchen allesamt weiter unten mit neuen Bands auf, ihre Kollegen (Rod Stewart, Jack Bruce etc) etablieren sich auch als Solo-Künstler. John Mayall macht ein weiteres Album mit neuen Schülern, sein Ex-Schüler Peter Green führt mit seiner Band Fleetwood Mac den Blues in unbekannte Bereiche. Heute obskurere, aber nicht weniger talentierte britische Blueser sind die Aynsley Dunbar Retaliation, Savoy Brown, Steamhammer etc... (siehe weiter unten) Allen gemeinsam ist die Konzentration auf den Gitarristen und seine Solo-Eskapaden - manchmal auch noch auf den Sänger. Für all diese Alben gilt: Sie klingen heute (nach Punk, Post-Punk, HipHop, Techno und IDM) in ihrer Liebe zur Improvisation aus der Zeit gefallen – aber sie alle sprühen vor der juvenilen Energie, die 18- 24-jährige anscheinend in Massen zur Verfügung haben. Der Brit-Blues-Boom wird noch ein paar Jahre anhalten, dann aber – wie jeder Trend – im Sande verlaufen. Ein echtes Revival gibt es nicht – aber die Klasse der Alben hier unten müsste nicht nur für sentimentale Zeitgenossen hörbar sein.


Led Zeppelin


I

(Atlantic, 1969)

Led Zeppelin


II

(Atlantic, 1969)

Bis kurz vor Veröffentlichung des Debüts hießen Led Zeppelin noch The New Yardbirds. Aber mit Robert Plant fand der Ex Yardbird Gitarrist Jimmy Page einen charismatischen und innovativen Sänger mit dem er den geliebten Blues in neue Bereiche führen konnte. Das musikalische Konzept der Band war zwar mit dem vergleichbar, das Jeff Beck auf seiner LP Truth vorgemacht hatte, aber Led Zeppelin waren in einigen Dingen anders: Zum einen verkochten sie bewusst die Gewürze Mytholgie, Mystik und ohrenbetäubende Lautstärke in ihrer Blues-Suppe. Dazu kam, dass sie auch noch in Folk und Folklore bewandert waren – und diese Bereiche der Musik liebten. Und sie waren eine dieser Bands, die ihr Hauptaugenmerk auf das Albumformat legte. Das Debüt - das sie übrigens durch Empfehlung von Dusty Springfield bei Atlantic herausbringen durften - beinhaltet schon alles, was in den folgenden Jahren den Mythos von Led Zeppelin ausmachen sollte. Man sagt nicht zu Unrecht, dass sie hier Hard Rock und Heavy Metal erfanden, indem sie den Blues auf dieses neue Level transportierten. In nur dreißig Stunden aufgenommen gab es auf Led Zep I den psychedelischen Blues von „Dazed and Confused“, puren Heavy Rock wie „Your Time Is Gonna Come“, fast Punk in „Communication Breakdown“, aber auch britischen Folk in „Black Mountain Side“. Letztlich ist dieses Debüt mit seinem ikonischen Cover-Motiv eines der komplettesten Debüts der Rock-Geschichte. Ihre zweite LP nahmen Led Zeppelin dann in den kurzen Intervallen zwischen den Konzerten ihrer immens erfolgreichen Amerika-Tour auf. Vielleicht klingen gerade deshalb Songs wie der Klassiker „Whole Lotta Love“ oder „The Lemon Song“ so unbehauen und kraftvoll: Es war schlicht keine Zeit irgendetwas wegzupolieren, und dass die vier in hunderten von Studio-Sessions geschulten Musiker perfekt zusammenspielen konnten, daß ihr Sound in all seiner Brachialität fein austariert war, konnten sie bei den allabendlichen Konzerten beweisen. Für Led Zeppelin II hatten sie nicht die Zeit, intensiv zu komponieren, also variierten sie Blues-Vorlagen und spielten sie so, wie es das Konzept vorsah: Immens laut und brutal, aber mit instrumentaler Finesse, mit Gitarrenoverdubs, Schlagzeugsoli („Moby Dick“), und vor allem mit gewaltigem Druck. Und Zeit für eine Folk-Exkursion („Thank You“) musste sein. Letztlich wurde Led Zeppelin II mehr noch als das Debüt vor allem wegen des Hits „Whole Lotta Love“ zum Blueprint für den Heavy Metal kommender Gnerationen.


Blind Faith


s/t

(RSO, 1969)

Eric Clapton hat wie Jimmy Page seine Karriere auch bei den Yardbirds begonnen, er hat mit John Mayall's Bluesbreakers 1966 den Brit-Blues-Boom mit begründet, er hat bei Cream Psychedelic-Rock daraus gemacht und wurde mit dem Spruch „Clapton is God“ auf einen Throhn gehoben, auf dem er sich eher unwohl fühlte. Nachdem Cream im Vorjahr auseinander gingen, wurde Clapton's Nachfolge-Projekt Blind Faith mit einer Neugier erwartet, die an heutige Hype's erinnert. Blind Faith waren personell mindestens so gut besetzt wie Cream: Mit Clapton's Cream-Kollegen Ginger Baker an den Drums, mit der Soul-Stimme von Traffic's Steve Winwood und mit Rick Grech von Family am Bass – man erwartete einiges. Clapton und Winwood hatten nach dem Ende ihrer jeweiligen Bands miteinander gejammt, Baker hörte davon und wollte unbedingt mittun, man lud den Bassisten Grech dazu und testete einfach mal aus, wie sich vier unterschiedliche Charaktere im Verbund vertragen würden. Die vorherigen Bands der Beteiligten waren schließlich im Blues genau so zuhause, wie im Psychedelic-Rock - und Blues war der kleinste gemeinsame Nenner. Und das Album Blind Faith spiegelt genau das wieder: Schon der Opener „Had to Cry Today“ klingt wie Cream mit Steve Winwood-Gesang, heavy Riffing, soulige Vocals, perfekte Instrumentierung und - bei über acht Minuten Länge - Zeit für ein Gitarren-Solo des vermeintlichen Gottes. „Can't Find My Way Home“ wurde tatsächlich zum Hit, ist eine Übung in Folk – und für mich der Track mit dem eigenständigsten Charakter. Winwood hat selten besser gesungen als hier. Blind Faith covern mit „Well All Right“ Buddy Holly – eine Herzens-Angelegenheit und es gibt auch den in diesen Zeiten üblichen viertelstündigen Jam „Do What You Like“. Dass die vier Beteiligten Meister ihres Faches sind, ist bekannt - war es damals auch schon - aber der Beweis wollte erbracht sein. Das Album mit dem kontroversen Cover verkaufte sich hervorragend, es ging auf US-Tour – und im selben Jahr ging die Band auseinander. Blind Faith ist KEIN typischer Brit-Blues, aber es gehört in diese Kiste, weil die Beteiligten den britischen Blues geprägt haben, wie wenige Andere.


Jack Bruce


Songs For A Tailor

(Polydor, 1969)

Mit dem dritten Ex-Cream Mitglied, dem Bassisten und Sänger Jack Bruce den Beitrag über Blues Rock weiter zu führen, ist doch logisch? Bruce's Album Songs for a Tailor ist in gewisser Weise tatsächlich so etwas wie der Prototyp eines Solo-Albums – so etwas gab es in der kurzen Historie der Rockmusik schlicht noch nicht: Bands gingen auseinander, Musiker machten woanders weiter und Schluss. Dass Cream zerbrochen waren und was die einzelnen Mitglieder der „Supergroup“ danach machten, wurde jetzt erstmals wirklich aufmerksam beobachtet. Jack Bruce war die Stimme von Cream gewesen, er hatte mit „White Room“ mindestens einen ihrer großen Hits geschrieben – und seine Beiträge waren meist schräg, komplex und von Jazz und Klassik durchzogen. Die Liebe zum Jazz spielte er auf seinem ersten Solo-Album nun lustvoll aus. Und er hatte noch etliche andere Eisen im Feuer – da gibt es den Psychedelic Folk von „He the Richmond“, das „Theme From An Imaginary Western“ war eigentlich für Cream gedacht gewesen, war von den Kollegen aber abgelehnt worden – und klingt wie ein Song für The Band. Der Produzent des Albums, Gitarrist Felix Pappalardi war Amerikaner und selber mit der Band Mountain erfolgreich. Er nahm diesen Song bald auch mit seiner Band auf und landete einen Hit. Ich liebe das schräge „Rope Ladder to the Moon“ wegen seiner Twists und Turns, wegen Jack Bruce's Bass und Stimme. Drei Minuten Dramatik. Und den Fantasy-Folk von „To Isengard“ muss man lieben, Bruce singt hoch und empfindsam – was eigentlich nicht zu seiner Stimme passt. Aber eigentlich schweife ich mit Songs for a Tailor vom Thema ab. Denn Blues-Rock ist das nicht. Der Album-Titel bezog sich auf den kurz zuvor verschiedenen Haus-Schneider von Cream. Briten sind mitunter exzentrisch - und genau das ist Songs for a Tailor.


The Jeff Beck Group


Beck-Ola

(Columbia, 1969)

Der Ex-Yardbird Jeff Beck hatte mit seinem Vorjahres-Album Truth den Heavy Blues von Led Zeppelin vorweg genommen – er hatte mit Rod Stewart eine Stimme dabei, die (zu dieser Zeit) der von Robert Plant überlegen war – und Beck war ein besserer Gitarrist als Jimmy Page (und als Eric Clapton). So hätte das zweite Album seiner Group eigentlich ein Triumph werden müssen. Aber Beck ist ein erratisches Genie, dem Erfolg anscheinend eher unangenehm ist. Für Beck-Ola holte er sich den Pianisten Nicky Hopkins an Bord, fand mit Tony Newman einen Drummer, der heftiger 'drauf haut und coverte zwei Mal Elvis. Und so wurde dieses Album ein schwer verdauliches Durcheinander. „Jailhouse Rock und „All Shook Up“ sind ein bisschen ZU hart, Der Beck/Newman-Song „Hangman's Knee“ läuft auseinander wie Brei, Nicky Hopkins bekommt eindeutig zu viel Platz, sein „Girl from Mill Valley“ ist ein Fremdkörper und Rod Stewart singt zwar voller Leidenschaft, aber er scheint oft nicht zu wissen, wo er hin gehört. Natürlich sind alle Beteiligten formidable Könner – aber auf diesem Album wird etwas deutlich, was für sehr viele Blues-Rock Alben gilt: Können allein reicht nicht, um ein lange Haltbarkeit zu bekommen. Als Ergänzung zu Truth taugt Beck-Ola, aber es ist wohl bezeichnend, dass die Band während der folgenden Tour auseinander brach. Rod Stewart machte zusammen mit dem Group-Bassisten Ron Wood Solo und mit den Faces weiter und Jeff Beck's Karriere lief ins Ungefähre zwischen seinen geliebten Auto's und diversen mittel-erfolgreichen Gitarren-Alben. Immerhin gab es 1972 mit dem Album Jeff Beck Group eine gelungeneren Nachfolger für Truth.


Rod Stewart


An Old Raincoat Won't Ever Let You Down

(Mercury, 1969)

In der Beschreibung zu Beck-Ola habe ich es erwähnt: Rod Stewart war Ende der Sechziger ein Meister-Sänger. Seine einzigartig raue Stimme, die gebündelte Kraft, der Ausdruck – er hatte Soul und er hatte eine völlig eigenständige Art, den Blues zu singen. Bei der Jeff Beck Group schien er im Lärm unterzugehen, also machte er sich aus dem Staub, folgte zum einen seinem Kumpel Ron Wood zu den Faces und erfüllte sich zugleich den Wunsch nach der parallelen Solo-Karriere. Den Solo-Vertrag hatte er schon '68 unterschrieben, nun holte er neben dem Faces Pianisten Ian McLagan mit Martin Pugh und Martin Quittenton noch zwei Mitglieder der Blues-Band Steamhammer ins Boot. Dazu Ex-Jeff Beck Drummer Mick Waller und Keith Emerson von The Nice – er hatte sich offenbar einen Namen gemacht. Und dass Stewart zu dieser Zeit Musik mit völlig eigenem Charakter – mit Stil – machte, hört man bei An Old Raincoat Won't Ever Let You Down genauso, wie bei seinen drei folgenden Solo- Alben. Es beginnt schon direkt mit der Cover-Version von „Street Fighting Man“ - allein schon der Mut, diesen damals noch neuen Song der Stones zu covern – und ihn sich so sehr zu eigen zu machen, dass man das Original tatsächlich vergaß. Und das war keine Respektlosigkeit – Stewart wäre der erste gewesen, der den Einfluss der Stones zugegeben hätte. Wunderschön ist auch seine Version von Mike D'Abo's „Handbags and Gladrags“ - die akustische Instrumentierung, die sich durch das Album zieht, holt viele Songs in ein Folk-Umfeld, das Stewart ganz hervorragend zu Gesicht stand. Aber zugleich konnte diese Band ziemlich hart lärmen – die hatten nichts mit Besinnlichkeit am Hut, das Traditional „Man Of Constant Sorrow“ ist voller Sentiment – und voller Kraft, genau wie Ewan McColl's „Dirty Old Town“. Mit Raincoat... gelang es ihm, einen eigenwilligen Stil zwischen den Stones und den Faces zu etablieren – einen Stil, den er Mitte der Siebziger zugunsten von Disco und High Society-Allüren wieder über Bord gehen ließ. Aber dieses und die drei folgenden Alben existieren ja noch. Raincoat... wurde übrigens erst im Februar '70 in England veröffentlicht. Der Rest der Welt bekam das Album schon Ende '69 mit anderem, schlichterem Cover – bewusst dem von Beggars Banquet ähnlich - mit dem Titel The Rod Stewart Album zu hören.


Steamhammer


s/t (Reflection)

(CBS, 1969)

Steamhammer


MK II

(CBS, 1969)

Warum hat sich Rod Stewart Musiker der Band Steamhammer für sein erstes Solo-Album geholt? Nun, die '67 in Worthington gegründete Band hatte in Insider-Kreisen einen hervorragenden Ruf – insbesondere die beiden Gitarristen Martin Pugh und Martin Quittenton galten als ideenreich und zugleich nicht ZU aufdringlich – was Stewart nach Jeff Beck in den Kram gepasst haben dürfte. Auch der amerikanische Blues Großmeister Freddie King hatte im Vorjahr Steamhammer als Backing Band für seine Tour in Europa auserkoren, nun hatten sie das Material, die Plattenfirma und die Zeit, ihr Debüt einzuspielen. Und in der Tat ist das Debütalbum des Quintetts + Gästen eines der gelungenen – aber auch in seiner Zeit gefangenen – British Blues Alben.... das allerdings nie den Erfolg hatte, den es verdient hätte. Das mag daran liegen, dass bei ihnen kein exaltierter Sänger im Vordergund steht, das mag daran liegen, das weder Martin Pugh noch Martin Quittenton ihre Virtuosität so zur Schau stellen, wie Beck, Clapton oder Page oder Lee. Dazu wagten sie vielleicht ein paar Experimente zuviel – sie hatten gewiss Jethro Tull gehört und ließen auf Steamhammer (in den USA und Deutschland Reflection) den Jazz-Flötisten Harold McNair prominent mitwirken. Das führt zu wunderbar psychedelischen Blues-Tracks wie dem jazzigen Psych-Blues von „Down the Highway“, dem schönen „Lost You Too“ oder dem einzigen „Hit“ der Band - „Junior's Wailing“, das bald von Status Quo gecovert wurde. Nur zwei der zehn Tracks sind Blues-Klassiker – B.B. King's „You'll Never Know“ wird gecovert, als zweites Eddie Boyd's „Twenty Four Hours“, und beide Male machen sie zwar alles richtig, aber diesen klassischen Blues-Tracks fehlt der Touch Psychedelik, der ihren eigenen Songs Charakter verleiht. Mit Kieran White hatten sie einen Sänger, an dessen gepresstes Quengeln man sich gewöhnen muss - aber wie gesagt: ein bisschen mehr Erfolg wäre ihnen zu Gönnen gewesen. Immerhin erspielten sie sich Live insbesondere in Deutschland einen hervorragenden Ruf – und hatten keine acht Monate später das nächste Album fertig. MK II betont die Jazz bzw. Jam-Band-Seite der Band noch ein bisschen mehr, Martin Quittenton hatte die Band verlassen - Martin Pugh war wohl zu dominant und der Job bei Rod Stewart lohnender. Mit Steve Joliffe war jetzt ein Flötist/Saxofonist und Cembalo-Spieler fest eingebaut. Und wieder war Pugh's Gitarrenspiel psychedelisch und gekonnt, ohne sich zu sehr aufzudrängen – bestes Beispiel dafür ist schon der Opener „Supposed to be Free“ mit seinem Improvisations-Teil, den sich Pugh gerecht mit dem Saxofon von Steve Joliff teilt. Der ist auch auf dem noch psychedelischeren „Johnny Carl Morton“ zu hören, wo sein Cembalo die Hauptrolle spielt. Man hört auf diesem Album mehr noch als auf dem Debüt, was die Stunde (nicht nur) im United Kingdom geschlagen hatte: Im UFO Club wären Steamhammer mit der 16-minütigen Jam-Session „Another Travelling Time“ sicher willkomen gewesen. Das nächste Album – Mountains aus dem kommenden Jahr– ist ihr bestes (sagt man). Aber wer Britischen Blues mag, sollte Steamhammer kennen.


Fleetwood Mac


Pious Bird of Good Omen

(Blue Horizon, Rel. 1969)

Fleetwood Mac


Then Play On

(Reprise, 1969)

Was für Musik in diesen Jahren unter dem stilistischen Regenschirm „Blues“ entstanden ist, kann man exemplarisch an beiden hier vorgestellten Fleetwood Mac-Alben festmachen. Die End-60er Inkarnation von Fleetwood Mac hat mit den Soft-Rock Giganten der Mitt-70er Nichts zu tun. Dies hier waren Peter Green's Fleetwood Mac – eine Blues-Band hinter einem erratischen Genie, wunderbaren Gitarristen, Songwriter und Sänger, für den Blues weit mehr war, als das schlichte 12-Takt-Schema... der allerdings mit dem in diesen Jahren aufkommenden Star-Rummel um Gitarren-Heroen nicht das Geringste anzufangen wusste. '69 wechselte die Band zum Major Warner Bros. - und ihr vorheriges Label Blue Horizon nutzte die Gelegenheit, eine Compilation aus Singles, B-Seiten, ein paar Album-Tracks der beiden ersten Alben und dem zu Beginn des Jahres durch die Decke gegangenen Hit „Albatros“ zusammenzustellen. Ih persönlich mag Compilations nicht so gerne – aber Pious Bird of Good Omen besteht aus Tracks, die innerhalb von gerade mal zwei Jahren entstanden sind, es zeigt die Entwicklung von Fleetwood Mac, es wird durch Peter Green's Stimme und sein delikates Gitarrenspiel zusammengehalten – und die meisten der hier versammelten Songs waren nicht auf den beiden LP's Fleetwood Mac und Mr. Wonderful (beide von '68) enthalten. Natürlich sind auch typische, an Elmore James geschulte Slide-Gitarren-Blues-Tracks von Jeremy Spencer dabei, aber Green war der Star – und seine Version des Blues-Klassikers „Need Your Love So Bad“ zeigt schon, wie er den Blues transzendierte. Das ungeheuer sanfte Instrumental „Albatros“ ist eine Charakterstudie von Green – obwohl er später sagte, ohne Danny Kirwan wäre da nie was 'draus geworden. Und „Black Magic Woman“ ist ein Song-Klassiker aus Blues und Latin - ein Beweis dafür, dass Green den Blues nur als Startpunkt ansah. So wurde das dritte reguläre Studio Album von Fleetwood Mac - Then Play On - eine Erweiterung des Genre's in alle Richtungen – Country, akustischer und elektrischer Rock, Psychedelik, Folk – Alles bekam durch Green's Suche nach einer Erweiterung des Blues eine zusätzliche Dimension. Dazu kam der junge Gitarrist Danny Kirwan, der den bei den Sessions zu Then Play On so gut wie nicht anwesenden Jeremy Spencer vollwertig ersetzte. Peter Green hatte mit seiner Band inzwischen die Live Improvisation entdeckt, hatte US-Bands wie Grateful Dead kennen gelernt, wollte die Möglichkeiten des Studios mehr nutzen und nahm nicht mehr nur Live auf, sondern baute aus etlichen Stunden Jam-Session die drei etwas weggetretenen Tracks „Underway“, „Searching for Madge“ und „Fighting for Madge“ zusammen. Aber er hatte neben seinen Fähigkeiten als Gitarrist und Sänger eben auch die Fähigkeit, Songs zu schreiben, die zwar im Blues verwurzelt waren, aber dennoch neu klangen. Sein „Rattlesnake Shake“ mag als erste Single kein Hit geworden sein, aber moderner Blues ist es auf jeden Fall. Dass die weit erfolgreichere zweite Single „Oh Well“ erst auf späteren Versionen von Then Play On beigefügt wurde, mag man beklagen – zumal dafür zwei Kirwan-Songs gestrichen wurden - es ist aber ein Klassiker des Brit-Blues Boom und wäre auf einer weiteren Singles-Compilation verschwendet. Und auch der Album-Closer „Before the Beginning“ zeigt, wie gut Green und Band waren, Und zugleich zeigt Then Play On in all seiner Zerrissenheit, was für Probleme da im Hintergrund lauerten: Bei den Aufnahmen zur dritten Single „The Green Manalishi“ fragte der von seiner LSD-Sucht und von psychischen Problemen gezeichnete Green ob er „...could stop being a guitar star and go home“. Er wollte die gesamten Band-Einnahmen weggeben und seine Gitarren verschenken - im nächsten Jahr waren Spencer und Kirwan mit dem Rest der Band allein und Green versuchte noch einmal halbherzig Fuß zu fassen. Sein '70er Solo-Album End of the Game zeigte einen Mann am Rande der geistigen Gesundheit, danach verschwand er für Jahre aus dem Musik-Business, bis er Ende der 70er wiederkehrte. Da waren Fleetwood Mac zu einer Hit-Maschine ganz anderer Art geworden...


Otis Spann


The Biggest Thing Since Colossus

(Blue Horizon, 1969)

Auf ihrer ersten US-Tour im Januar '69 waren Fleetwood Mac Opener für Jethro Tull und Joe Cocker – kein sonderlich angenehmer Slot – aber sie wussten ihre Zeit im Lande der Vorbilder zu mutzen: Sie spielten in den Chess-Studios mit Veteranen wie Willie Dixon, Big Walter Horton, J.T. Brown, Buddy Guy, David "Honeyboy" Edwards – und mit Otis Spann, DEM Post War Blues Pianisten in den USA, Begleiter von Größen wie Muddy Waters oder John Lee Hooker und Solo-Künstler von Format. Die Sessions wurden als Blues Jam in Chicago bekannt, aber Produzent Mike Vernon bemerkte eine besondere Chemie zwischen Fleetwood Mac und Spann und überredete den zuerst etwas zögerlichen Veteranen zu einem Solo-Album auf Blue Horizon mit den Jungspunden. Zu den Aufnahmen in New York holte sich Spann als Versicherung seinen Drummer und Freund S.P. Leary hinzu, so daß Mick Fleetwood's Dienste nicht gefragt waren. Aber Bassist John McVie, der gerade mal 18-jährige Danny Kirwan und natürlich Peter Green machten mit. Die Energie der weissen Kids scheint Spann – '69 immerhin knapp 40 Jahre alt – beflügelt zu haben. Und die Begeisterung der jungen Blues-Eleven ist auf ihrem letzten „reinen“ Blues-Album deutlich hörbar. Erstaunlich, wie gut der 15 Jahre jüngere McVie mit dem erfahrenen Drummer harmoniert, beeindruckend, wie der gerade der Pubertät entwachsene Danny Kirwan seine Licks und Chords einstreut – und Peter Green – da auch erst 23 Jahre alt – spielt den Blues wie ein ganz Alter. Nun ist The Biggest Thing Since Colossus nicht revolutionär – mitunter sogar puristisch bis altmodisch – aber Spann's Gesang ist voller Autorität und Kraft - und Green's, unnachahmlich sanfte Art Gitarre zu spielen macht dieses Album zu einem exzellenten Beispiel für den sog. Chicago Blues. Tracks wie Jimmy Witherspoon's Slow Blues „Ain't Nobody's Business“ bersten vor Emotion. Und der Album-Closer „Someday Baby“ wäre auch mit geschulterem Personal nicht besser gelungen. Dieses Album ist der pure Chicago Blues – von ein paar jungen Briten gemeistert.


The Aynsley Dunbar Retaliation


Doctor Dunbar's Prescription

(Blue Thumb, 1969)

In der Zeit zwischen seiner Trennung von Fleetwood Mac und seiner kompletten Abkehr vom Musik-Geschäft arbeitete Peter Green auf einem Festival unter anderem mit einem Kollegen zusammen, mit dem er '66 zusammen mit Rod Stewart als Shotgun Express eine EP gemacht hatte, der mit ihm bei John Mayall's Bluesbreakers war (das famose '67er Album A Hard Road...) - und dessen Ruf ebenso hervorragend war: Aynsley Dunbar ist „nur“ Drummer – aber er war seinerzeit wohl so etwas wie der Eric Clapton der Drums. Er hatte bei Jeff Beck mitgemacht, er stand bei der Jimi Hendrix Experience zur Wahl, Hendrix entschied sich aber für Mitch Mitchell, er spielte bald bei Zappa – der Mann war sehr gefragt - nur seine eigene Band, die Aynsley Dunbar Retaliation (= Vergeltung) blieb tragisch obskur, Dabei war auch hier der Tisch bestens gedeckt: Dunbar hatte mit John Moorshead einen hervorragenden Gitarristen an Bord (damals unerlässlich), mit Alex Dmochowski einen weiteren späteren Zappa-Musiker am Bass und mit Victor Brox einen Gitarristen, Kornettisten(!), Keyboarder und Sänger extraordinaire, der von Jimi Hendrix als sein „favourite white blues singer“ bezeichnet wurde. Doctor Dunbar's Prescription ist das zweite Album des Quartetts, das Cover ist von Hipgnosis... und damit sind alle Fakten genannt und Nichts über die Klasse der Musik gesagt. Denn Doctor Dunbar's Prescription ist tiefer, psychedelischer Blues von vier Vollblut-Musikern, die aus tiefster Seele spielen, es ist ein Album ohne Sperenzchen, ungekünstelt aus tiefster Seele geholt. Dass Victor Brox die meisten Songs geschrieben hat, dass B.B. King's „Now That I've Lost You“ kenntnisreich gecovert wird, dass die Band ihren eigenen Charakter allein schon durch Brox' emotionale Stimme, durch Kornett und Organ und durch Moorshead's cooles Gitarrenspiel hat – all das lässt mich immer wieder darüber staunen, dass ...Prescription so wenig bekannt ist. Beweise für die Klasse gibt es genug, man höre nur die Brox-Songs „Fugitive“ oder den „Tuesday's Blues“. Da ist Nichts schlechter als auf Then Play On – und Einiges besser.


Savoy Brown


Blue Matter

(Deram, 1969)

Savoy Brown


A Step Further

(Deram, 1969)

Eine weitere dieser britischen Blues-Bands, die dazumal einen gewissen Erfolg hatten, die einen Meister-Gitarristen und einen tollen Sänger in ihren Reihen hatten – und die nach dem Ende des Blues Booms (also spätestens ab 72-73) kaum noch jemanden interessierten. Bei Savoy Brown war es der Gitarrist Kim Simmonds, dessen Spiel begeisterte und vor allem der Sänger Chris Youlden, dessen soulige, immer etwas belegte Stimme für einige Zeit beeindruckten. Savoy Brown hatten einen etwas „spaßigeren“ Zugang zum Blues, auf ihrem dritten Album Blue Matter setzte neben der Gitarre und dem hervorragenden Gesang Bob Hall's Piano eine spezielle Duftmarke – ließ den Blues hier noch authentischer nach Juke Joint klingen. Da ist vor alle der selbst-vefasste „Vicksburg Blues“ - Nur mit Hall und Youlden – der nach Kneipe in Chicago klingt. Aber es gibt auch eine krachende Cover-Version von John Lee Hookers „Don't Turn Me From Your Door“, das wegen seines Rhythmus zwar als Hooker-Song erkennbar ist, das aber von Youlden und Simmonds zu einer der damals so beliebten Jam-Sessions gemacht wird. Und da ist mit Youlden's „She's Got a Ring in His Nose and a Ring on Her Hand“ einer dieser Blues-Tracks, die nur wirklich gute britische Blues-Bands konnten. Melodisch, von Beat und britischer Popmusik genauso beeinflusst, wie von alten Blues-Meistern. Die zweite Seite von Blue Matter ist dann Live aufgenommen und zeigt, mit welcher Wucht diese Band zugange sein konnte. Bläser-Unterstützung, lustvolle Soli, ein sehr cooler Sänger – Savoy Brown waren sicher nicht die Einzigen, die auf der Bühne noch mehr zu überzeugen wussten, als im Studio – was sie auf dem zweiten '69er Album A Step Further nach gleichem Rezept bewiesen: Auch hier gibt es die Studio-Seite, die mit dem Youlden-Track „Made Up My Mind“ beweist, dass der ein veritabler Rhythm 'n' Blues Songwriter war, dessen Stimme ein Erlebnis ist. Es gibt das – damals auch unvermeidliche – Gitarren-Instrumental „Waiting in the Bamboo Grove“, den Slow-Blues „Life's One Act Play“ - wieder mit tollem Gesang und mit Streichern, die seltsam ausserweltlich klingen. Damals „modern“, heute (und für mich) liebenswert oder überkandidelt – je nach Geschmack. Ich finde Chris Youlden's Gesang erträgt einiges an barockem Schmuck, glänzt da sogar besonders. Und die Single „I'm Tired“ beweist das noch einmal mehr. In den USA erreichten sie damit immerhin Platz 74 der Billboard Charts – dort waren sie enorm beliebt, in England und Europa blieben sie Underground. Die zweite LP-Seite ist - wie gesagt - wieder ein Konzert-Mitschnitt. Ein lärmender, 22-minütiger Psychedelic-Boogie'n'Blues Track, in dem Jimi Hendrix' „Purple Haze“ genauso vertreten ist, wie Chuck Berry's „Little Queenie“ und „Whole Lotta Shakin' Goin On“. Die Aufnahmequalität mag historisch sein, der Spaß bleibt aber hörbar. Aber ich will darauf hinweisen: Savoy Brown hatten '68 mit Getting to the Point und '70 mit Raw Sienna die besseren Alben. Diese beiden Alben hier sind „nur“ willkommene Ergänzungen.


Spooky Tooth


Spooky Two

(Island, 1969)

Etwas erfolgreicher als Savoy Brown oder die Aynsley Dunbar Retaliation waren Spooky Tooth. Eine Band mit zwei gleichwertigen Sängern/ Keyboardern (dem Amerikaner Gary Wright - der der Band von Island Boss Chris Blackwell angedient worden war und der Mitte der 70er mit seichtem Soft Rock reich werden würde – und dem Briten Mike Harrison) und einem weiteren Gitarren-Helden namens Luther Grosvenor. Ihr Debüt hatte noch etwas unentschieden zwischen Pop und Rock geschwankt, ihr zweites Album Spooky Two sollte die Band vermutlich neben Bands wie Led Zeppelin oder Free positionieren. Und „eigentlich“ gelingt das auch. Tracks wie „Better By You, Better Than Me“ und das 9-minütige „Evil Woman“ sind enorm heavy, Grosvenor gibt den Jimmy Page und die beiden Sänger –Wright mit hoher Stimme, Harrison mit souligem Organ – ersetzen zusammen durchaus einen Robert Plant. ...und es kommt kein „Aber“... Spooky Two ist tatsächlich enorm abwechslungsreich, durch die beiden Keyboarder bekommt die Band einen enorm druckvollen und eigenständigen Sound, die Songs auf Spooky Two sind durchweg toll, mal härter, mal soulig, mal mit einer passenden Gospel-Note (siehe „I've Got Enough Heartache“), Gitarrist Grosvenor weiss, was er tut, und er macht es nicht so aufdringlich, dass es nervt. Die Produktion vom Traffic- und Stones-Produzenten Jimmy Miller ist satt und klar, Spooky Two hätte eigentlich neben Led Zep I und II bestehen sollen. Aber vielleicht waren Spooky Tooth nicht heavy genug für die Led Zep-Fans, vielleicht nicht bluesig genug für die Fleetwood Mac Fans, jedenfalls verkaufte das Album nicht sonderlich gut. Wenn man die Vergleiche vergisst, kann man Songs wie „Waitin' for the Wind“ und „That Was Only Yesterday“ allerdings nicht schlecht finden. Letztlich hat Spooky Two das gleiche Schiksal ereilt, wie Steamhammer oder Doctor Dunbar's Presciption – auch wenn es immerhin zum Kult-Klassiker wurde und in etlichen Bestenlisten dieses Genre's gelandet ist.


John Mayall


Turning Point

(Polydor, 1969)

Zum Abschluss dieses ersten Teiles von „Blues aus dem United Kingdom 1969“ passt Turning Point vom Blues-Lehrer und selbstlosen Förderer John Mayall. Den hatte mit Mick Taylor - nach Eric Clapton und Peter Green - der nächste Gitarren-Gott verlassen um die Rolling Stones zu verstärken. Drummer Colin Allen war gleich mit verschwunden, aber Mayall hatte sowieso Anderes vor. Er wollte sich der Theorie annehmen, dass jedes Instrument seinen inhärenten Rhythmus kreieren kann – und dazu musste er auf Drums und elektrische Instrumentierung verzichten – musste so „natürlich“ wie möglich klingen. So ist Turning Point wohl eines der ersten Unplugged Live-Alben der Rock-Geschichte. Das alles wäre nur schön und gut, wenn es hier nicht so hervorragende Solisten wie Jon Mark – an der „Acoustic Fingerstyle Guitar“ und Steve Thompson – Bass, Johnny Almond - Saxes & Flutes gäbe. Dazu singt John Mayall und spielt Gitarre und Harmonika – und der ist nur das schwächste Glied in dieser Kette. Seine nasale Stimme hat nicht das Niveau von Rod Stewart oder Chris Youlden - aber ohne ihn hätte nicht nur diese Veranstaltung nie stattgefunden. An der Harmonika immerhin kann er brillieren und Jon Mark's äußerst rhythmisches Akustik-Gitarrenspiel ist ein Freude – und Johnny Almond wechselt mit seiem Saxophon zwischen wirklich „bluesigen“ Improvisationen und wildem Jazz. Dass in einer Schlagzeug-losen Band dem Bassisten eine besonders wichtige Rolle zukommt – geschenkt. Dass Blues - wie Jazz – am besten funktioniert, wenn die Improvisationen beseelt sind (und dass das heute als altmodisch gilt) sollte jedem bewusste sein, der ein Album wie Turning Point (… und all die anderen in diesem Kapitel beschriebenen...) ausprobiert. Turning Point ist - weil Live eingespielt – ein monochromes Vergnügen. Aber dieses Album hebt ab und schwebt mit seiner Leichtigkeit in der Luft. Die Beteiligten hatten hörbar Spaß, die Idee, ohne Drummer Blues und Jazz zu verquicken, war zu Zeiten von Led Zep, Blind Faith, Free oder den Stones so gewagt, dass ich allein dafür schon meine Bewunderung zollen muss. Und dass dabei Schönheiten wie „So Hard to Share“ und Mayall's Sehnsuchts-Song „California“ (...dort zog er noch in diesem Jahr hin...) entstanden sind, zeigt, dass das hier eine gute Idee war.

Mike Vernon – der Blues-Meister

Dieser Namen taucht gefühlt bei jedem zweiten wichtigen Blues-Rock Album der Sechziger und frühen Siebziger auf. Mike Vernon – geboren 1944 - war derjenige, der Bands wie John Mayall's Blues Breakers ft. Eric Clapton, Fleetwood Mac, Savoy Brown, Ten Years After und einen ganzen Haufen weniger bekannter Bands im Studio betreute und ihnen die Spontaneität gewährleistete, die man für diese Musik braucht. Er hat auch den jungen David Bowie – vor seiner Metamorphose zum Chamäleon der Rockmusik – produziert und er hat das Blue Horizon-Label gegründet, auf dem er sowohl junge Bands ihre Musik veröffentlichen ließ, die ihm vielversprechend schienen (Jellybread, Key Largo). Er war es auch, der Peter Green's Fleetwood Mac nach dessen Ausstieg bei John Mayall eine Veröffentlichungs-Plattform bot – und er produzierte etliche US-Blues-Musiker oder holte deren Alben nach England, wo sie als Anschauungs-Material für all die 16-20-jährigen Blues-Eleven herhielten, die dann zu Stars wurden. Er war ein Purist des Blues, hatte 1964 ein Fanzine zusammen mit seinem Bruder und dem Schul-Freund Neil Slaven unter dem Titel R&B Monthly veröffentlicht und sich da schon alle Quellen angeeignet, derer er habhaft weden konnte um an Blues-Musik heran zu kommen. Diese Musik war zu dieser Zeit – zumal in England – buchstäblich nicht zu finden. Höchstens das Decca-Label hatte ein paar Alben im Programm – und so ging er dort hin, diente sich als Assistent eines A&R Mannes an, kochte Kaffee, beantwortete Briefe – und wurde mit der Zeit auch als Produzent tätig. 1963 produzierte er die Yardbirds-Single „Baby What’s Wrong“ und „Honey In Your Hips.“, er nahm an den Auditions für die Spencer Davis Group teil - die von Decca abgelehnt wurden, genau wie die Graham Bond Organisation mit Jack Bruce und Ginger Baker oder die gerade gegründeten Groundhogs. Mit seinem Freund holte er den gerade in England tourenden Otis Spann ins Studio – zusammen mit Legenden wie Muddy Waters und Little Willie Smith, sowie mit dem 20-jährigen Jimmy Page und dem da noch bei den Yardbirds spielenden Teenager Eric Clapton. Clapton wechselte zu John Mayall, Vernon war von ihrer Art, den Blues zu spielen begeistert und überredete John Mayall, mit seinem Eric Clapton Line-Up DAS british Blues Album an sich aufzunehmen. Unter seiner Ägide wurde diese Form des Blues – die NICHT mit Pop und R&B vermischt war, wie bei den Rolling Stones – erstmals erfolgreich. Das Album verkaufte sich zur Überraschuing der Verantwortlichen bei Decca phänomenal und der British Blues-Boom brach los. In der Folge produzierte Vernon im Wochentakt Blues-Acts, half beim Networking, gab Bands wie Savoy Brown und Ten Years After ihren Sound und wurde zum Doyen des britischen Blues-Rock. Mit Abflauen des Booms Mitte der Siebziger wandte er sich auch Progressiven Bands wie Focus und Leichtgewichten wie Level 42. zu, produzierte mit Dr. Feelgood auch wieder bluesigere Bands – aber die große Zeit war vorbei. Für seine Verdienste um den Blues im UK kann man ihn nicht henug ehren. Einer, der das aus Leidenschaft gemacht hat.















Sonntag, 6. Oktober 2019

1991 – Entombed bis Master's Hammer und was ist Growling? – Der Tod fährt die Ernte ein, Teil 2 – Europa

Der Artikel über Death Metal 1991 wäre ohne eine Teilung einfach zu lang geworden. Ich musste ihn zur besseren Lesbarkeit aufteilen, und habe mich für den zweiten Teil auf Bands ausserhalb des Anglo-Amerikanischen Raumes konzentriert. Tatsache ist, dass gerade im Metal spätestens seit den Mitt-Achtzigern eine erstaunliche Internationalität herrscht. Bands aus Skandinavien, aus Süd-Amerika, aus Zentral-, Süd- und Ost-Europa, aus Asien und Australien, sprechen EINE musikalische Sprache – und ein Beweis dafür findet sich in diesem 2. Teil des Artikels über Death Metal im Jahr 1991. Death Metal in Europa unterscheidet sich in ein paar Merkmalen von dem der Kollegen in den USA. In Schweden gibt es eine regen Szene in und um Stockholm – und mit den Sunlight Studio's und Tomas Skogsberg einen Ort und Produzenten, der dem Morrisound und Scott Burns in den USA entspricht. Skandinavische DM-Bands scheinen einen Hang zur Melodie zu haben, den ich bei den Bands in Kapitel 1 nicht so wiederfinde. Die Niederländer Pestilence und Asphyx sind so exzellent, unterschiedlich und eigenwillig, wie ihre Kollegen Massacra und Loudblast aus Frankreich. Die Niederländer werden aber wegen ihrer Verträge bei inzwischen namhaften Labels und der besseren Vermarktung weit erfolgreicher. Die Österreicher Pungent Stench (Stechender Geruch – Aha!) sind so herrlich geschmacklos, dass sie in Zeiten wie diesen schon dadurch auffallen, die Schweizer Messiah wiederum bleiben trotz eines stylishen Albums nur KVLT... obwohl technisch komplexer Death Metal doch angesagt ist – verstehe einer die Welt. Und die Tschechen Master's Hammer machen Symphonic Black Metal, als es das noch nicht gibt – und sind damit ihrer Zeit hoffnungslos voraus. Dass all diese Alben seinerzeit durchaus durch Todes-Symboilk, nihilistische Lyrics und enrome Brutalität provozieren, ist heute kaum vorstellbar. Hier wurde das Fundament für den extremen Metal der kommenden Jahrzehnte zuende betoniert. 1991 habe ich diese Alben genossen, und gerade jetzt klingen sie wieder seltsam zeitgemäß – weil sich ähnlich junge Musiker zwischen 18 und 25 wieder an den Death Metal wagen, der von ihnen wieder neu entdeckt wurde. Vielleicht auch, weil die gesellschaftlichen und vor Allem ökologischen Aussichten Ende der 10er Jahre so apokalyptisch sind, dass Nihilismus eine Option ist. Hoffnungslosigkeit ist für diese Musik ein fruchtbarer Nährboden.

Entombed


Clandestine

(Earache, 1991)

Als Extrem-Metal Aufhänger des Jahres habe ich im Hauptartikel '91 das Debüt der Schweden Dismember gewählt – ich hätte aber durchaus auch Entombed's Zweitling Clandestine exponieren können – wenn deren '90er Debüt Left Hand Path nicht ihre Sternstunde gewesen wäre. Die Geschichte von Entombed ist mit der von Dismember eng verflochten, bei Carnage hatten Musiker beider Bands zusammen gespielt, Entombed hatten bis '89 unter dem Namen Nihilist im Metal-Underground gewirkt – jetzt waren sie eine der erfolgreichsten europäischen DM-Bands. Ihr Sound ist zu dieser Zeit dem von Dismember sehr ähnlich (bzw. umgekehrt), sie haben mit Nicke Andersson einen Drummer/Gitarristen und vor Allem Songwriter der Extra-Klasse an Bord, sie bekommen die patentierte Produktion von Tomas Skogsberg im Stockholmer Sunlight Studio (der europäischen Entsprechung zu Florida's Morrisound/Sott Burns) und auch sie vermitteln diese lustige, ein bisschen blumige schwedische Melodik in ihren donnernden Tracks. Die Härte von Tracks wie „Severe Burns“, der massive Drive von „Chaos Breed“ lässt freilich zunächst keine Gedanken an schwedische Volksmusik aufkommen, aber im Vergleich zu Bands wie Suffocation oder Death sind Entombed sicher eher zugänglich. Immerhin hat Johnny Dordevic ein schön brutales Organ, er gröhlt statt zu growlen - und macht dadurch die Rock'n'Roll Affinität der Band deutlich. Wer will, kann hier schon die baldige Hinwendung der Band zu ihrem Death'n'Roll auf dem kommenden Album Wolverine voraus-ahnen. „Evilyn“ etwa hat einen klaren Rock'n'Roll-Rhythmus - in einer Härte, die Motörhead den Motor stottern lassen dürfte. Clandestine ist das letzte Death Metal Album von Entombed, sie haben mit ihren beiden ersten Alben den schwedischen Death Metal geprägt. Das reicht mir. Ihre folgenden Alben sind schlicht eine andere Geschichte (die mir nicht mehr so richtig gefallen hat) aber dieses Album mit seinen melodischen, enorm kraftvollen Songs und der klaren Produktion ist fast so gut wie Like an Everflowing Stream. Das will was heissen.


Dark Throne

Soulside Journey

(Peaceville, 1991)

Für den 90er Metal-Kenner ist das Debüt der Norweger Dark Throne ein Kuriosum. Diese Band hat sich ab Ende '91 klar der aufkommenden Second Wave of Black Metal um den Plattenladen-Besitzer und Szene-Guru Øystein 'Euronymous' Aarseth von Mayhem zugewandt, sie haben mit den nächsten drei Alben Bild und Sound dieses Stils (mit)geprägt – sind für Viele DIE archetypische Black Metal Band – ihr Debüt Soulside Journey aber ist eines der besten Death Metal Alben im reichhaltigen Jahrgang 1991. Auf dem Back-Cover sind die vier Bandmitglieder ohne Corpse Paint und ohne jede Pose im Wald abgebildet, stellen sich noch nicht mit ihren gar förchterlichen Pseudonymen vor. Die Musik auf Soulside Journey hat sicherlich auch Black Metal-Anklänge, insbesondere in der Melodieführung gibt es ein paar BM-typische Dissonanzen, die eisige Atmosphäre und die Lyrics dürften manchen Satanisten erfreut haben – aber da sind Dark Throne nicht weit von Morbid Angel entfernt – das Ganze ist der nächste Beweis für meine Überzeugung, dass auch in dieser Phase die Stilgrenzen zwischen Death- und Black Metal durchlässiger waren, als es manchen Fundamentalisten recht war. Aber all das wäre uninteressant, wäre Soulside Journey nur durchschnittlich: Dass die Band schon seit '86 existiert, somit reichlich Erfahrung hat, instrumental auch noch enorm versiert ist, dass sie wissen, wie man einen spannenden Track schreibt, dass sie einen recht eigenen Stil haben – auch wenn damals gerne Vergleiche mit Chuck Schuldiner's Death gezogen wurden (was ja schon als hinreichend großes Lob gelesen werden kann...), dass sie im Stockholmer Sunlight-Studio von Tomas Skogsberg glasklar produziert wurden (die europäische Entsprechung zu Morrisound und Scott Burns) – das alles zeigt, dass man sie als DM-Act ernst nehmen musste. Überraschen mag das komplexe und gekonnte Drumming von Gylve Fenris Nagell aka Hank Amarillo (hier) aka Fenriz (ab 1992) – der sich in seiner Virtuosität aus Stil-Gründen bald anscheinend sehr zurückhielt. Auch die tiefer gestimmten Gitarren, die blitzschnellen Leads, die rasanten Riffs, das Bass-Solo auf „Iconoclasm Sweeps Cappadocia“ sind stilsicher – und Ted Skjellum's (bald Nocturno Culto) Growls sind auf diesem Album noch Growls, er kreischt noch nicht. Soulside Journey ist einfach ein hervorragendes Death Metal Album, das wegen des Bandnamens und der weiteren Entwicklung der Band etwas in Vergessenheit geraten ist. Sollte man ändern.


Pestilence


Testimony Of The Ancients

(Roadrunner, 1991)

Jetzt geht's in die Niederlande und ich wende mich der nächsten Pionier-Band des Death Metal zu. Pestilence kommen aus Enschede, sie haben mit Consuming Impulse im Jahr '89 – wie so viele andere Bands jener Tage – eines dieser Alben zwischen Thrash und Death geschaffen. Ihr unumstrittener Band-Kopf Patrick Mameli ist angeblich ein ähnlich schwieriges Genie wie Death's Chuck Schuldiner, aber die Besetzungs-Wechsel, die der Band Zeit ihrer Existenz den ganz großen Erfolg verwehrt haben mögen, haben für das dritte Album Testimony of the Ancients zu sehr kompetentem Personal geführt: Mit dem Cynic-Bassisten Tony Choy ist ein ausgewiesener Könner dabei (der nach dem Job für Pestilence zu Atheist ging – siehe oben...), Mameli's Kollegen, Gitarrist Patrick Uterwijk und Drummer Marco Foddis, sind eingespielt, weil von Beginn an dabei, und Mameli, der jetzt den Gesang übernimmt, nachdem Martin Van Drunen zu Asphyx wechselte (siehe unten...), muss seine Kompetenz ganz gewiss nicht mehr nachweisen. Die Band ging für die Aufnahmen nach... Florida, zu Scott Burns ins Morrisound Studio... aber sie haben einen so distinktiven Sound, dass ihnen dessen Einheits-Produktion nicht schadete. Da ist zum Einen Mameli's gewöhnungsbedürftiger Gesang, der eher ein gehetztes Krächzen ist, der tatsächlich ein bisschen an Death's Chuck Schuldiner erinnert, da sind Songs, die auf sehr eigene Weise Komplexität und melodische Wendungen verbinden, da ist der Einsatz von Synthesizern, es gibt kurze instrumentale Zwischenspiele, die Atmosphäre ist manchmal eher panik-artig, nicht nihilistisch, sondern eher wütend und verzweifelt. Dass Bass und Schlagzeug auch hier (wie bei Atheist) deutlich erkennbar und bei weitem nicht so dumpf und fett wie bei anderen Bands üblich aufgenommen wurden, lässt oft an besonders harten Prog-Rock denken. Songs wie „Twisted Truth“ etwa haben Momente, die an Pink Floyd denken lassen, aber Pestilence sind zugleich eindeutig Death Metal – für den an Marillion oder dgl. gewöhnten Hörer sicher zunächst einmal inakzeptabel. Ich empfehle dieses Album jedem, der Facetten im Death Metal sucht.


Asphyx


The Rack

(Century Media, 1991)

Auch Asphyx sind aus den Niederlanden, sie existieren schon seit dem Ende der Achtziger und nach ein paar Besetzungswechseln gesellte sich 1990 Ex-Pestilence-Sänger und Bassist Martin Van Drunen zu den verbliebenen Ur-Mitgliedern Bob Bagchus (dr) und Eric Daniels (g), um The Rack einzuspielen. Asphyx haben nicht den seinerzeit gern gemachten Schritt Richtung anspruchsvoller Technik gemacht, sie klingen hart, kompromisslos, düster und langsam, haben mit Van Drunen einen Schreihals am Mikro, der angsteinflössend brüllen kann, dessen Art des Vortrag's tatsächlich recht eigenständig ist – u.a. auch weil man ihn verstehen kann, obwohl jede Melodie im Text-Vortrag vermieden wird. Wenn ich vergleichen muss (...und ich muss...), dann fallen mir Bolt Thrower ein – allerdings ohne deren Kanonendonner, dafür mit Klängen aus der Folterkammer. Eric Daniels mag kein virtuoser Solist sein, aber er haut mächtige Riffs heraus, gerade die langen Tracks mit den fast unerträglich gedehnten Passagen sind genau so brutal, wie es dem Old School Death Metal Freund gefallen haben dürfte. Chaotische Ausbrüche - dieser gerade mal drei Mann - wie beim zentralen „The Sickening Dwell“ etwa sind besonders furchterregend, und genau das ist das entscheidende Alleinstellungs-Merkmal dieses Albums und der Band auch in den folgenden Jahren: Asphyx sind finster. Sie klingen alt, brutal, bar jeder Hoffnung – Death Doom Metal ist ihr Metier - und das wird hier von ihnen erfunden. Der Titeltrack des Albums dürfte etlich Anbeter und Adepten tief in noch extremere Ecken des Metal gerieben haben. Ich kann mir vorstellen, dass Bands wie My Dying Bride oder Evoken The Rack ganz genau kennen.


und WAS ist Growling?


Bei Vielen löst der seltsame „Gesang“ auf Death Metal-Alben mindestens Befremden aus – wenn nicht sogar Abscheu und Verachtung. Nun – das ist unangebracht: Erstens – wie sollte man die Inhalte dieser Musik sonst vermitteln? Die Themen der Texte reichen von arrogantem Nihilismus über Verachtung und Hass bis zu konkreter Blasphemie. Sie gehen bei Bands wie Cannibal Cprpse, Carcass, Autopsy oft weit über der Grenze des guten Geschmacks – sind schlicht unschön. Da liegt es nahe, so hässlich wie möglich zu klingen. Man muss bedenken – die Protagonisten auf den hier beschriebenen Alben waren zu Beginn ihrer Laufbahn irgendwas zwischen 16 und 20 Jahren alt. Sie hatten – immer – Vorbilder, die Thrash, Punk oder Hardcore spielten – und entsprechend sangen. Ihre noch extremere Musik brauchte noch extremere Vocals. Da lag es nah, so unverständlich wie möglich zu brüllen, zu röcheln... zu „Growlen“. Dieser Gesang ist ein Genre-Stilmittel wie die Pedal Steel in der Country-Musik. Hinzu kommt, dass dieser Gesang, wenn man ihn von der technischen Seite betrachtet, dem Hörer eine Portion Bewunderung abnötigen sollte. Es gibt etliche Tutorials, in denen beschrieben wird, wie man „growlt“ (oder „screamt“ (Black Metal) oder „shoutet“ (Thrash)). Letztlich ist Growling eine körperlich sehr anstrengende Art des heftigen Ausatmens, tief aus dem Bauch, die mit diversen, bei jedem Sänger unterschiedlichen Techniken verfremdet, geformt und abgewandelt wird. Es ist eine physische Beanspruchung, die einen klaren Kopf, eine gesunde Kehle und enorme Fitness erfordert, die man nicht so ohne weiteres schaffen kann – die tatsächlich den Oberton-Gesängen tibetanischer Mönche ähnelt. Nicht umsonst lernen etliche „Stars“ der Szene Growling bald bei ausgewiesenen Gesangs-Lehrern. Dass dieser Gesangs-Vortrag höchst individuell ist, kann jeder mit offenen Ohren erkennen. Vergleiche Death's Chuck Schuldiner (einen „Erfinder“ des Growlings) mit Dave Vincent von Morbid Angel, staune bei Bill Steer von Carcass, ekle dich bei Chris Reifert's Gerülpse für Autopsy, und erschrick bei Suffocation's Frank Mullen – und bei Demilich's Antti Boman stellt sich die Frage: „Ist das ein Mensch?“


Massacra


Enjoy The Violence

(Shark, 1992)

Langsam nähere ich mich den Death Metal Alben, die (unverdient) weniger bekannt sind. Bei Massacra dürfte vor Allem ihre Herkunft aus Frankreich im Wege gestanden haben – die etablierten Labels (Roadrunner, Earache, Nuclear Blast) hatten kein Interesse an der Band, obwohl sie live eine Macht waren, obwohl sie eigenständig und mit Klasse in die Lücken zwischen Death, Obituary, Entombes und dergleichen gepasst hätten. So musste das kleine Essener Label Shark Records einen Job übernehmen, der ohne finanziellen Background und die Unterstützung der (damals noch) mächtigen Print-Medien fast unmöglich war. Massacra bedienen mit ihrem zweiten Album (nach dem deutlich von Thrash und jugendlicher Unerfahrenheit durchzogenen Debüt Final Holocaust) das Extrem-Metal-Publikum mit einem glasklar produzierten Riff-Gewitter, das immer noch Thrash im Gedärm, aber auf der Haut nun deutlich den Tod trägt. Sänger Fred „Death“ Duval growlt verständlich, ist genauso in der Mitte zwischen Thrash und Death wie das Riffing seiner Kollegen. Dass die allesamt unter fünf Minuten langen Tracks ernorm abwechslungsreich sind, dass es bei „Revealing Cruelty“ ein akustisches Intro gibt, dürfte keinen neuen Metallica-Anhänger anlocken, weil danach Bass, Gitarren und Drums einen komplexen Wirbel erzeugen, der von Duval so aggressiv niedergebrüllt wird, dass sogar James Hetfield sich verstecken würde. Enjoy the Violence ist das stringente, abwechslungsreiche Death/Thrash Album einer Band, die ein sehr eigenes Profil hatte, die sich mit etwas Glück und mehr medialer Präsenz in der Reihe der Besten hätte einordnen lassen. So blieb es - auch nach dem ähnlich guten Nachfolger (Signs of the Decline – 1992) beim Kult-Status.


Loudblast


Disincarnate

(Semetery, 1991)

Loudblast kommen aus der französischen Provinz und gelten als Pioniere des extremen Metal in ihrem Land. Sie hatten 1985 mit Thrash a la Kreator begonnen, machten '89 mit dem Album Sensorial Treatment in ihrem Land Morbid Angel Konkurrenz, und gingen nun für ihr drittes Album nach Florida, um sich von Scott Burns produzieren zu lassen. Kam Lee von Massacre lieh dem Track „The Horror Within“ seine Stimme – was so gesehen nicht nötig war, weil Loudblast mit Stéphane Buriez einen Gitarristen und Sänger hatten, der mit seinen abgehackten Growls eigenständig genug daher kam. Dazu passen Nicolas Leclerq's Black Sabbath-artige Gitarren-Leads ganz hervorragend. Loudblast sind auf Disincarnate dem Death Metal näher als ihre Landsleute von Massacra, Bass und Schlagzeug rattern voller Wucht durch sehr abwechslungsreiche Songs: Diese Band ist mit Tracks wie „Dusk to Dawn“ mit seinen seltsamen Pausen nicht mit anderen Bands zu vergleichen. Dass Loudblast gerne abgehackt vor sich hin taumeln, ist gewöhnungsbedürftig, macht aber Sinn. Dass sie bei all der Gewalt sehr melodisch bleiben, weist schon auf den '93er Nachfolger Sublime Dementia – einen Klassiker des Melodic Death Metal (ja, das gibt es...). Loudblast hatten zu Beginn der 90er ihre beste Zeit, aber sie haben noch Jahrzehnte weiter gemacht – in Frankreich zumindest gelten sie immer noch viel. Die Produktion von Scott Burns soll ihnen seinerzeit zum Nachteil gereicht haben – es gab besagte Übersättigung und sein Produktions-Stil stand in der Kritik. Ich kann diese Kritik aus heutiger Sicht nicht nachvollziehen. Disincarnate ist schlicht das nächste, eigenständige Death Metal Album auf einem zugegebenermaßen großen Haufen.


Protector


A Shedding of Skin

(C&C, 1991)

Natürlich können auch deutsche Bands Death Metal. Es gibt Bands wie Sodom und Kreator, deren Thrash die Aggression von Death Metal vorweg nahm – die damit die Rolle von Slayer in den USA einnehmen, es gibt zu Beginn der Neunziger Morgoth oder Atrocity, die sich zu eigenständigen DM-Acts entwickeln – und es gibt schon seit 1986 die Wolfsburger Band Protector. Die hatten natürlich auch mit Thrash angefangen, sich aber in den letzten zwei Jahren mit einem neuen Sänger eine Aggressivität und einen Sound angeeignet, der eindeutig Death/Thrash genannt werden kann. Sie waren mit Kreator und Sodom auf Tour, hatten nun schon zwei gelungene Alben im Rücken und bekamen für A Shedding of Skin mit Harris Johns und Kreator's Mille Petrozza zwei Könner ihres Fach's als Produzenten gestellt. Dieses Album ist in seiner Härte und Wucht nicht schlechter als Alben wie Enjoy the Violence oder The Rack. Das rasante Drumming erinnert an die New Yorker Immolation, die abgedrehten Gitarren-Soli dürften jeden Morbid Angel-Fan erfreuen – und damit sind wir vermutlich bei dem Problem dieses Albums/dieser Band. In dieser Zeit fiel das Album nicht wirklich auf. C&C war keines der großen Labels, auch wohlmeinende Kritiken hatten im Wust der Veröffentlichungen wenig Nutzen – A Shedding of Skin ging unter und Protector blieben eine lokale Macht, obwohl sie sogar mit Szene-Größen wie Napalm Death und Entombed auf Tour waren. Dass Tracks wie „Face Fear“ und „Tantalus“ jeder bekannteren Band zu Ehren gereicht hätte, fiel 1991 einfach nicht auf. Nur Kenner und Beobchter der Szene haben diese Band damals wahrgenommen – aber das gilt ja für viele Alben, die ich hier vorstelle. Meiner Meinung nach gehört A Shedding of Skin mit unter die besten Thrash/Death Alben seiner Zeit. Wer es hört, wird mir zustimmen.


Pungent Srtench


Been Caught Buttering

(Nuclear Blast, 1991)

Been Caught Buttering war das zweite Album der '88 gegründeten Wiener Freunde lustvoller Vulgaritäten. Das Cover mit den beiden knutschenden Zombie-Männern (es ist tatsächlich das Foto EINES geteilten Kopfes...) zeigt schon, was man hier inhaltlich erwarten darf: Das ist durchaus – hier passt das Wort - hinterfotziger Humor. Natürlich haben sich alle Moralwächter empört, perverse Gore-Lyrics, Paraphilie, Humor, der nicht bloß schwarz, sondern von Blut und Sperma durchzogen ist, Songs mit Titeln wie „Sputter Supper“, „Shrunken and Mummified Bitch“ oder „Splatteday Night Fever“ sollten klar machen, dass hier nicht todernster Satanismus regiert, sondern eine recht eigene Version des Splatter-Humors von Bands wie Autopsy, Cannibal Corpse oder Carcass gepflegt wird. Und all das wäre uninteressant, wenn Martin „El Cochino“ Schirenc (voc, g), Jacek Perkowski (b) und Alex Wank (dr) nicht einen enorm eigenständigen Sound entwickelt hätten. Manchmal rasen sie im Affenzahn durch ihre Songs, stoppen abrupt ab - um wieder scheinbar loszustolpern, Schirenc's Stimme ist ein besoffenes Gröhlen, das von Phasen jammervollen Erbrechens unterbrochen wird – eine ganz eigene Art des „Growlens“, und hinter dem scheinbaren Chaos verbirgt sich ein durchgeplantes Konzept und gekonntes Zusammenspiel. Dass dieses Album erstaunlich kurzweilig und abwechslungsreich ist, bemerkt an wohl erst nach dem ersten Schreck, aber Songs wie „Gates of Humiliation“ etwa überraschen mit einem Death Metal untypischen Schluss-Part incl. akustischer Gitarre und entsetzlich hervorgestöhnten Obszönitäten. „Sick Bizarre Defaced Creation“ bekommt einen funky Slap-Bass Part und „Splatterday Night Fever“ hat nicht nur einen gelungenen Titel. Es ist auch ein ernsthaftes Riff-Monster mit einem ekelhaften Gurgel-Gesangs Part, das Punk, Death Metal und Rock'n'Roll organisch verbindet. Man muss sich an den Humor auf Been Caught Buttering wirklich erst einmal gewöhnen – dann erkennt man, dass man hier eine sehr eigenständige Version des '90er Death Metal vor sich hat.


Messiah


Choir Of Horrors

(Noise, 1991)

Wieder würde ich empfehlen, sich die beschriebenen Alben in der Reihenfolge anzu hören, in der sie hier aufeinander folgen. Auch die Schweizer Messiah gehören zu den Bands, denen es trotz eines hervorragenden Albums zum eigentlich richtigen Zeitpunkt nicht gelungen ist, den Trend zu nutzen. Auch hier: Vermutlich die falsche Herkunft, wenig Support vom Label oder durch die allmächtige Metal-Presse... es ist ein Jammer. Denn Choir of Horrors bietet Alles, was auch andere erfolgreichere Alben dieses Jahres haben. Die Band aus Baar im Kanton Zug ist schon seit 1984 aktiv, hat natürlich mit Thrash angefangen, diese Band hat Erfahrung und Können galore, war von früh an nah an der Ästhetik des Death Metal – hatte aber mit ihrem zweiten regulären Album Extreme Cold Weather im Jahr '87 einen so schlechten Eindruck hinterlassen, dass mancher sich von der Band abgewandt haben mag. Nun sind vier Jahre vergangen, es hat ein paar Besetzungs-Wechsel gegeben und Songs und Produktion werden auf ein neues Level gehoben. Die Produktion im Berliner Sky Trak Studio ist so sauber, dass es fast befremdlich erscheint. Gitarren, Bass, Drums, Gesang, ab und zu Keyboards – sind feiner voneinander getrennt, als es der Death Metal Fan gewohnt ist. Dazu hört man Messiah ihre Thrash-Vergangenheit deutlich an, Sänger Andy Kaina klingt wie ein Widergänger von Chuck Schuldiner, und Choir of Horrors kann die Lücke zwischen den beiden Death-Alben Spiritual Healing und Human füllen – was sich nicht nur auf den Stil bezieht, sondern auch auf die Klasse. Der musikalische Kopf der Band – Gitarrist Remo Broggi - mag nicht ganz so virtuos sein wie Schuldiner, aber mit dem Titeltrack und mit dem Album-Closer „Weena“ macht er dem Death-Mastermind durchaus Konkurrenz. Dazu grenzt sich die Band mit den okkulten Lyrics auch noch von etlichen Bands dieser Zeit ab. Und dann gibt es mit „Northern Command“ auch noch ein feines Instrumenta-Stück zu bewundern. Man kann bemängeln, dass Messiah auf Choir of Horrors etwas zu klinisch klingen – und damit meine ich nicht nur die Produktion – hier will eine Band Alles richtig machen – und vergisst die Spontanität. Aber der Trend ging '91 Richtung Technical Death Metal. Eigentlich hatten Messiah mehr Hörer verdient.


Master's Hammer


Ritual

(Osmose,1991)

Dass hier zum Schluss eine Album wie Ritual von der tschechischen Band Master's Hammer beschrieben wird, soll auch auf die Entwicklungen Richtung Black Metal in den folgenden Jahren hinweisen. Die 1987 gegründete Band hatte sich bis zur samtenen Revolution 1989 mühevoll über Wasser halten müssen. Metal an sich – und Metal dieser Art im Besonderen – dürfte im Kommunismus wenig Akzeptanz von offizieller Seite erfahren haben, somit gab es vor diesem Album nur ein paar Cassetten minderer Qualität, die das wahre Gesicht der Band nicht darzustellen vermochten. Ritual allerdings ist ein musikalisch erstaunlich reifes und durchdachtes Album – eines, das Darkthrone's Drummer Fenriz mit den Worten adelte: „Ritual is actually the first Norwegian black metal album, even though they are from Czechoslovakia“ Tatsächlich bekommt man hier symphonischen Black Metal, beeinflusst von Vorbildern wie Bathory, mit (verständlich) gekreischten tschechischen Lyrics, mit einer eiskalten Monotonie, die man erst ab demnächst von Bands wie Darkthrone oder Emperor geboten bekommt. Ritual ist eben nicht – wie so viele Alben der ersten Welle des Black Metal – schlecht produziert, Gitarren und orchestrale Parts sind deutlich erkennbar, die Drums klingen nach Drums – nicht nach Nähmaschine – und die Vocals von Franta Štorm haben durch die Sprache und seine raue Stimme einen sehr eigenen Charakter. Master's Hammer erinnern wie gesagt deutlich an Bathory – aber sie haben einen zugleich unschuldig wie gespenstisch wirkenden Zugang zu ihrer Musik. Wenn bei „Vykoupení“ gar gruselige Stimmen im Hintergrund stöhnen, fühle ich mich an schwarz-weiss-Horror-Stummfilme erinnert. Ich kann Frenriz' erkennbare Begeisterung nachvollziehen. Ritual ist eindeutig Black Metal – mit all seinen avantgardistischen und all seinen albernen Facetten. Diese Band war – vielleicht ohne es zu wissen – ihrer Zeit um einiges voraus. Ritual ist fremd, erstaunlich und faszinierend und ist jedem zu empfehlen, der Old School Black Metal zu goutieren weiss. Und es ist definitiv KEIN Death Metal – wodurch sich mir die Möglichkeit bietet, Unterschiede und Verwandtschaft zwischen diesen beiden extremen Arten von Metal zu zeigen.


Zum Abschluss von Death-Metal '91:


Es gibt noch einige 91er DM-Alben, die vielleicht auch der Beachtung wert sind: Da wären die Schweden Grave mit ihrem Debüt Into the Grave, oder Sarcófago aus Brasilien mit ihrem dritten Album The Laws of Scourge. Aus den USA haben auch Revenant mit ihrem einzigen Album Pophecies of a Dying World Beachtung verdient, es gibt auch Gründe, sich mit dem zweiten Album der Könige der Geschmacklosigkeit – mit Cannibal Corpse und ihrem Album Butchered at Birth zu beschäftigen. Aber all das würde den Rahmen sprengen – so lasse ich diese Alben erst einmal hinten 'rüber fallen. Mal sehen, ob ich da noch irgendwann die beiden Artikel ergänze. Und dass der Doom von Cathedral, The Obsessed, Paradise Lost bzw. der Thrash von Sepultura, Coroner, Overkill und Anacrusis hier nicht hin gehört, versteht sich...