Donnerstag, 20. April 2017

1970 - Joni Mitchell bis Beach Boys - Music from Laurel Canyon

Irgendwann Mitte der Sechziger bildete sich in den Holywood Hills von LA, nahe des Sunset Strip ein musikalischer Mikrokosmos – eine Szene – entlang der sich schlängelnden Straße in einem kleinen Nebental in einer Nachbarschaft, die „Laurel Canyon“ genannt wurde. Wer da als Erster die vermutlich damals noch erschwinglichen Häuser mietete, ist nicht ganz klar. Überliefert ist, dass Frank Zappa als einer der ersten in einem später abgebrannten Haus namens „Log Cabin“ sein Domizil aufschlug und begann, legendäre und ausschweifende Parties zu feiern. Bald hatte sich ein großer Teil der lokalen Rock-Prominenz dieser Zeit dort angesiedelt – oder war Dauergast bei einem der Anwohner. Jim Morrison hat sich für sein „Love Street“ von seiner Wohnung hinter dem Laurel Canyon Country Store inspirieren lassen, Michelle und John Phillips lebten in der Zeit des großen Erfolges der Mamas and the Papas dort, die Byrds, Buffalo Springfield und die Künstler/ Bands die aus deren Asche hervorgingen (Poco, die Eagles, Roger McGuinn, Chris Hillman oder David Crosby, Stephen Stills Graham Nash und Neil Young, die da erstmals gemeinsam ihre Stimmen erhoben... Carole King, Judee Sill, Mickey Dolenz und Peter Tork von den Monkees, dessen Parties unglaublich gewesen sein sollen. Canned Heat, James Taylor, Jackson Browne und Joni Mitchell – man sieht es: Die Liste ist lang und die Namen erlesen. Die große Jackie DeShannon nannte als Erste ein Album Laurel Canyon, (1968) John Mayall's Bluesbreakers machten den Blues from Laurel Canyon. - und das unten folgende Album von Joni Mitchell bezieht sich auch explizit auf diesen magischen Ort. Hier nahmen die Musiker gemeinsam Drogen - und Musik auf, spielten sich ihre neuen Songs in ihren Häusern bei gemeinsamen Jam-Sessions vor, hier bildete sich eine eigene Form der Post-Hippie Kultur (Zappa hätte gekotzt...) mit einer eigenen, mitunter auch zwiespältigen Musik heraus. Der Sound des Laurel Canyon ist geprägt von Folk, Blues, Rock and Roll und Jazz, auch von Latin, Country and Western, Psychedelia und Bluegrass – und all das formt sich zu einem Soft Rock, der komplett „weiss“ ist, der mal sehr tief reicht und das Beste aus seinen Einflüssen vereint, der als Instrument für die Songwriter-Fähigkeiten ein üppiges Bett bietet, der aber auch unendlich banal und bequem werden kann. Und wie so oft: Zu Anfang sind die Ergebnisse (= Alben) interessant bis aufregend, dann steigert sich die Qualität – und die Menge der Ergebnisse – und dann sackt das Niveau ab. 1968 bis 1972 ist die große Zeit der Musik aus der Laurel Canyon Szene, danach kommen noch ein paar wenige tolle Alben und in den 00er Jahren wird der „Geist“ dieser Zeit – ein bisschen idealisiert und verklärt von Musikern wie Jonathan Wilson wiederbelebt – aber in den 00ern erlebt alles irgendwann ein Revival.... Hier die großen Alben jenes Jahres (1970) und jenes Ortes... Alben die diese Szene zu dieser Zeit widerspiegeln.

Joni Mitchell

Ladies Of The Canyon


(Reprise, 1970)

Joni Mitchells Entwicklung weg von der simplen Folk-Sängerin zu einer Künstlerin mit starkem eigenem Profil verlief in Riesensprüngen. Ihr 69er Album Clouds hatte schon den Rahmen gesprengt, Ladies of the Canyon (… genau dieser Laurel Canyon....) war ein weiterer Riesenschritt in ihrer Entwicklung – einer Entwicklung, die sehr viel ihrer Zugehörigkeit zu der Laurel Canyon Szene zu verdanken hatte. Und hier war es vor Allem ihre Freundschaft mit Stephen Stills, David Crosby und Graham Nash, die in die Songs eingeflossen sein wird – oder ganz konkret: Sie wird den Freunden die Songs zu Ladies of the Canyon vorgespielt haben, auch die Tipps und Kommentare der Musiker angehört haben – aber sie war von vorne herein autark genug, ihren eigenen Weg zu gehen – was wiederum auch den noch immer andauernden Reiz dieses Albums ausmacht. Spätestens mit diesem dritten Album hat Joni Mitchell eine eigene Sprache gefunden, den Folk Richtung Jazz (man höre nur das Klarinettensolo am Ende von „For Free“) und einer eigenen Form von „offenem“ Songwriting hinter sich gelassen. Ihre Gitarren-Tunings wurden abenteuerlich, ihr Gesang lautmalerischer und ihr Songwriting war auf einem frühen Hochpunkt. „Big Yellow Taxi“ ist auf Ladies of the Canyon und auch die viel gecoverte Reminiszenz „Woodstock“. Manche der Songs sind auf dem Piano arrangiert, andere haben ein Cello-Arrangement, die Stimmungen wechseln von nachdenklich über sentimental und düster zu ironisch – und die Musik ist aus einer klaren, selbstbewusst weiblichen Position gemacht. Joni Mitchell ist eine völlig eigenständige, selbstbestimmte Künstlerin – und damit in einer Position, die von ihren männlichen Kollegen auch klar anerkannt wurde – was 1970 wahrlich noch nicht üblich war. Ladies of the Canyon ist ein erster Höhepunkt in Mitchell's reicher Diskografie (dem das noch bessere Blue folgen würde) und es ist einer der Höhepunkte in der Reihe der – ich nenn' sie hier mal so - Laurel Canyon Alben.

Crosby, Stills, Nash & Young

Déjà Vu


(Atlantic, 1970)

Das Trio aus dem Ex Byrd David Crosby, Ex Buffalo Springfield Stephen Stills und Ex-Hollie Graham Nash hatte sich 1968 bei einer Party in Joni Mitchell's Haus kennengelernt, festgestellt, dass ihre Ideen und Stimmen perfekt harmonierten – und mit Crosby, Stills & Nash 1969 ein enorm erfolgreiches Album gemacht. Da ihnen ein Keyboarder bei Live-Auftritten fehlte, versuchten die drei es zuerst bei Steve Winwood – der wegen Blind Faith nicht konnte – und dann bei Stills Ex-Kollegen Neil Young, der zwar Gitarrist war, aber auch Piano kann... Es funktionierte, die Band trat mit Joni Mitchell im Vorprogramm bei Woodstock auf – und der Ruhm wuchs ins Unermessliche. So nahm die Supergroup ab Sommer '69 ihr erstes gemeinsames Album auf. Die Aufnahmen sollen exorbitante 800 Stunden in Anspruch genommen haben, die einzelnen Teile der Songs wurden meist von den Musikern einzeln aufgenommen, nicht im Bandkontext – ein Hinweis auf das komplexe Beziehungsgeflecht der drei Diven Crosby, Stills und Young, von denen insbesondere die beiden letztgenannten eine (un)gesunde Konkurrenz pflegten (…und das schon seit Buffalo Springfield-Tagen...). Aber das Ergebnis war in jeder Hinsicht befriedigend. Déjà Vu ist das bestverkaufte Album aller Beteiligten, es warf vier Hitsingles ab und es ist ein künstlerischer Wurf von großer Eigenständigkeit und hoher Qualität. Neil Young spielt nur auf der Hälfte der Songs mit, aber seine beiden Songs - „Helpless“ und das aus drei verschiedenen Tracks zusammengebaute „Country Girl“ mit Harmonies aller vier Sänger geben dem Album die zusätzliche Dimension, David Crosby's „Almost Cut My Hair“ gehört zu dessen besten Songs und dasselbe gilt für Nash's „Teach Your Children“, das Jerry Garcia von Grateful Dead mit Steel-Guitar veredelt. Déjà Vu ist eben mehr als die Summe seiner Teile. Für diesen Moment funktionierte diese prekäre Kombination von Musikern – dass der einzige in einer gemeinsamen Session aufgenommene Track Joni Mitchells „Woodstock“ war, mit feinem Harmoniegesang von Crosby, Stills und Nash und Gitarrenlicks von Neil Young, zeigt vielleicht, welchen wohltuenden Einfluss die Szene im Laurel Canyon da noch haben konnte. ….und danach machten alle Vier sehr gelungene Solo-Alben. Neil Young's After the Goldrush,, Crosby's If I Could Only Remember My Name und Graham Nash's Songs for Beginners erschienen erst '71, aber....

Stephen Stills

s/t


(Atlantic, 1970)

schoss als Erster schon im Jahr 1970 hinterher. Sein erstes eigenes Album nach der formidablen Super Session mit Mike Bloomfield und Al Kooper brennt regelrecht – und es ist eine Versammlung namhafter Musiker die sich wahrscheinlich auch durch die Szene im Laurel Canyon kannten. Aufgenommen wurde Stephen Stills freilich in London und so sind als Gäste auch Ringo Starr, Eric Clapton und Jimi Hendrix zu hören – der einen Monat vor Veröffentlichung des Albums verstarb und dem das Album gewidmet ist – ebenso wie ein illustrer Cast aus dem Laurel Canyon mit Crosby, Nash, John Sebastian, „Mama“ Cass“ Elliott und einem Haufen weiterer namhafter Cracks. Aber all das wäre nur eine uninteressante Aneinanderreihung von Namen, wäre das Ergebnis nicht so gelungen. Man erkennt die „Vorgänger“ Crosby, Stills & Nash und Déjà Vu, man hört, welchen Einfluss Stills dort hatte und man merkt, dass er noch etliche Songs und Ideen in der Hinterhand hatte. Seine Stimme hat eine Dringlichkeit, die auch heute noch überzeugt, der musikalische Unterbau ist edel, inspiriert und klingt immer noch frisch, das Cover mit Stills an der Akustischen ist bescheidener als der Mix aus Folk, (akustischem und elektrischem) Blues und hartem Rock und das Songwriting ist gelungen. Sein „Love the One You're With“ ist ein Evergreen mit etwas naiver Hippie-Botschaft, aber es sind Songs wie der Blues/Rock Crossover „Old Times Good Times“ - mit Hendrix an der Gitarre, oder „Sit Yourself Down“ mit illustren Stimmen in den Harmonies, die eine Ergänzung zu Déjà Vu bieten, die Stills als Sänger, Schreiber und Gitarrist in der Form seines Lebens zeigen. Das Album wurde nicht ganz so gehyped, wie es verdient hätte, aber es ist ein sehr gelungenes - der Egomane Stills blieb allerdings extrem unsympathisch, er machte mit dem Nachfolger Stephen Stills 2, und mehr noch mit dem Kollektiv-Album Manassas noch zwei große Alben, aber dann sank sein Stern schnell und bis heute zehrt er eigentlich nur noch von seinem Ruhm aus den Zeiten im Laurel Canyon...

John Phillips

s/t (John, The Wolfking Of LA)


(Dunhill, 1970)

Das erste Solo-Album des Songwriters und (Background) Sängers der Mama's & the Papa's ist in vieler Hinsicht exemplarisch für die Musik dieser Zeit im Laurel Canyon. John Phillips hatte mit seiner damaligen Bandkollegin und Ehefrau Michelle im Laurel Canyon residiert, Schauspieler und Musiker waren bei Ihnen aus und ein gegangen und John hatte sich eine massive Kokain- und Heroin-Sucht zugelegt – womit er nicht der Einzige war... Jetzt trennte sich seine Frau von Ihm, er hatte mit Geneviève Waïte immerhin eine neue Freundin, der Traum der Hippie-Kultur – für die seine vormalige Band mit Hits wie „California Dreaming“ oder „Monday Monday“ so sehr Symbol gewesen war (… er hatte übrigens auch „San Francisco (Be Sure to Wear some Flowers in Your Hair“ geschrieben...) - dieser Traum war ganz klar gescheitert und sein Leben schien zu zerfließen wie Butter in der Sonne. Und so klingt auch die Musik auf John, the Wolfking of L.A. Es ist eine sanfte, countrifizierte Abschiedshymne an die vergangene Kultur, benebelt vom Heroin, durchzogen von dunklen Erinnerungan an kaputte Beziehungen, aber eben auch mit Songs über seine neue Liebe („Let It Bleed, Genevieve“) und seine langjährige Freundin Ann Marshall („April Anne“). Das Songwriting ist für die düsteren Themen seltsam verträumt und sanft, Phillips Stimme fehlt jede Düsternis und die Musiker im Hintergrund gehören zu den besten ihrer Zeit. Steeler Buddy Emmons und Red Rhodes, Gitarrist James Burton, Drummer Hal Blaine – er konnte offenbar frei wählen. Hätte er diese Songs gemeinsam mit den anderen Mama's und Papa's aufgenommen, der Erfolg wäre garantiert gewesen. Aber es kam anders: Die Mama's & Papa's schuldeten Dunhill noch ein Album, es kam zum Gerichtsprozess und Phillips Solo-Album bekam kaum Promotion, obwohl es mit „Mississippi“ sogar einen kleinen Hit abwarf – Phillips hatte seine Drogensucht immer weniger im Griff und lange Jahre blieb The Wolfking obskur – bis es dann im neuen Jahrtausend eine Neubewertung erfuhr und inzwischen (zu Recht, finde ich) als ziemlich „cool“ gilt.

James Taylor

Sweet Baby James


(Warner Bros., 1970)

Auch James Taylor hat im Laurel Canyon 'rumgehangen, auch er steht für eine bestimmte Art Singer/ Songwriter Musik – eine Art allerdings, die noch weniger scharf, weniger engagiert ist, als die von Stephen Stills oder Joni Mitchell. Es mag ja an seiner Biografie liegen – er hatte die Hippie-Zeit mit seiner Heroinsucht und Besuchen in Psychatrien überstanden, hatte '68 ein erfolgloses Album gemacht, war wegen seiner Sucht wieder in einer Klinik gelandet, hatte nach erfolgreicher ReHab einen Motorradunfall, durch den er wieder nicht auftreten konnte – kurz: Er hatte Grund genug, desillusioniert zu sein und sich nur noch um sich und sein Unglück zu drehen – und er konnte inzwischen Songs schreiben, die diese Stimmung einer aufnahmebereiten jungen Generation verkauften. Er zeigt auf die beste mögliche Weise, wie man introvertierte, egozentrische Musik machen kann, er war der neue Typus Singer/ Songwriter, dessen Interesse nicht mehr der Aussenwelt oder der Politik galt, sondern nur noch den eigenen Befindlichkeiten. Das ist nicht immer schlecht, obwohl es unerträglich werden kann, aber hier klang das noch neu. Und Taylor erzählte von dem, was seine Generation erlebt hatte – oder gerne erlebt hätte - und er hatte tolle Musiker für Sweet Baby James zusammengesucht. Laurel Canyon Cracks wie Randy Meissner, Carol King am Piano und Red Rhodes an der Steel, Taylor's Stimme ist angenehm, leicht näselnd – da kann mit ein paar guten Songs nichts mehr schief gehen: Und „Fire and Rain“ gehört eben doch zu den besten Songs seiner Generation, „Country Road“ verbindet Country und Hippie-Musik in dunkelblau, klingt wie die Eagles in ein paar Jahren. Die Musik ist manchmal unerträglich sanft und melancholisch, aber in bestimmten Momenten ist sie in ihrem Fatalismus eben auch reizvoll. Sweet Baby James ist ein bisschen uncool, aber es ist sehr typisch für das, was aus dem Laurel Canyon kommen wird...

Essra Mohawk

Primordial Lover


(Reprise, 1970)

Zu den weniger bekannten Musikern aus dem Laurel Canyon gehört Essra Mohawk – deren zweites Solo-Album Primordial Love allerdings zu den wirklich hörenswerten gehört. Dass der Rolling Stone es zu den best 25 albums ever made zählte, mag ein Indiz sein – wobei solche Einordnungen ja auch immer sehr Moden und Modernismen unterworfen sind. Essra Mohawk war unter dem Namen Uncle Meat (!) kurz Teil von Zappa's Mother's of Invention gewesen (und der nahm immer nur die Besten...), hatte dann unter ihrem Geburtsnamen Sandra Elayne Hurvitz '68 ein Album gemacht, und nahm dann Ende '69 dieses Solo-Album auf. In der Zeit heiratete sie ihren Produzenten Frazier Mohawk und nahm dessen Nachnamen an ...(und verkürzten Sandra zu S-ra...). Sie hatte schon vorher als Songwriterin für die Shangri-La's und Vanilla Fudge gezeigt, was sie drauf hatte, aber auf diesem Solo-Album ließ sie so richtig los. Sie hatte als Begleiter – wie auf den hier versammelten Alben so oft – Musiker aus der Szene an Bord. CSN&Y's Drummer Dallas Taylor, Gitarrist Lee Underwood, die halbe Crew von Rhinoceros (bei denen sie beinahe Sängerin geworden wäre...) - und sie hatte eine Stimme , die man als eine eigenständige Mischung aus Joni Mitchell' und Laura Nyro bezeichnen kann – so wie die Musik zwischen urban und naturverbunden, naiv und abgeklört zu schwanken scheint – und damit den Geist des Laurel Canyon auch ganz gut einfängt. Ihre Songs sind komplex, mit häufigen Tempowechseln, kommen ohne die üblichen Strukturen aus und bleiben doch im Ohr. Sie hatte für Stephen Stills das aufmunternde „Thunder in the Morning“ geschrieben, bei „I Have Been Here Before“ werden Jazz, Psychedelik und die freie Form der Rockmusik dieser Zeit mit Bläsern und vollem Sound zusammengeführt. Natürlich geht’s um Re-Inkarnation, und der Song könnte arg esoterisch und naiv klingen – aber durch Essra Mohawk's Stimme bleibt er glaubwürdig, sie verhindert das Abrutschen in den Eso-Kitsch. Da ist sie einer Musikerin wie der ebenfalls so obskuren Linda Perhacs angenehm ähnlich. Das Album ging leider wegen mangelnder Promotion unter, aber ich denke, ihre Musik ist für den großen Kommerz zu eigenartig. Und sie hatte auch noch das Pech, Woodstock zu verpassen (sie kam erst an, als die Zelte abgebrochen wurden) sie wurde „fast“ Sängerin bei Jefferson Starship, nachdem Grace Slick die Band verlassen hatte - bei ihr gelang so einiges nur „fast“... aber Primordial Love und das nachfolgende Essra Mohawk ('74) sind feine Beispiele dafür, dass es neben Joni Mitchell weitere intelligente, originelle Künstlerinnen im Laurel Canyon gab.

Jimmy L. Webb

Words and Music


(Reprise, 1970)

Anfang der Siebziger war der Laurel Canyon Resident Jimmy Webb ein etablierter Songwriter – für Andere. Er hatte zwei Dutzend Top 100 Hits gehabt, mit „McArthur Park“ - gesungen von Richard Harris - mit „Wichita Lineman“ und „Galveston“ von Glen Campbell und dem von etlichen Musikern gecoverten „By the Time I Get to Phoenix“ ein paar Klassiker auf dem Konto. Und jetzt beschloss er seine Songs ebenfalls selber zu interpretieren. In die Szene passte er wohl nicht ganz so gut, er war als Sohn eines Baptisten Predigers religiös aufgezogen worden und war mit dieser Haltung in dieser hedonistischen Umgebung ein Fremder, aber er wurde von den Musikern aus der Nachbarschaft wie Joni Mitchell und Jackson Browne bewundert. Sein erstes richtiges Solo-Album Words and Music nahm er nur mit dem Gitarristen und Multi-Instrumentalisten Fred Tackett und seiner Schwester Susan als Mit-Sängerin auf – und mit der Beschränkung auf einen weniger opulenten Sound allein grenzte er sich schon von seiner bisherigen Arbeit ab. Dazu kam seine ungekünstelte Stimme, manchmal rau an den Ecken, nicht beeindruckend, aber sympathisch. Dazu Lyrics, die sich mit seinem Alltag in der Musikszene befassen - er bewundert den Songwriter Kollegen „P.F. Sloan“, er kritisiert die Musik-Industrie und er lässt insbesondere seinen Glauben an Gott immer wieder in die Texte einfließen und ist in all dem sehr selbstbewusst. Die Songs auf Words and Music sind weniger hitparaden-tauglich, haben – wie es in dieser Zeit durchaus nicht unüblich war – weniger klare und einfache Strukturen – was nicht heißt, dass sie zu überkandidelt wären. Webb kann immer noch wunderbare Melodien finden, seine Songs haben - nicht nur durch Fred Tackett's Gitarre – einen jazzigen Vibe, „Psalm One Five-O“ ist eine kluge Kombination aus Energie und Esoterik, ist aber für ein simples religiöses Lied viel zu avantgardistisch, „P.F. Sloan“ ist perfekt arrangiert, mit gegenläufigen Melodien und dem Chorgesang seiner Schwester Susan und klingt zugleich trügerisch einfach. Das Album bietet ganz einfach ausgedrückt Songwriting auf höchstem Niveau – so hoch, dass es damals nicht die Massen begeistern konnte. Aber Jimmy Webb machte ab jetzt eine ganze Abfolge von anspruchsvollen Solo-Alben.

Gordon Lightfoot

Sit Down Young Stranger


(Reprise, 1970)

Man kann jetzt trefflich darüber diskutieren, ob der Kanadier Gordon Lightfoot in diesen Artikel über die Laurel Canyon Musik gehört. Aber hey! Joni Mitchell und Neil Young sind auch Kanadier, der 32-jährige Lightfood hatte nach vier recht erfolgreichen Alben nun mit Warner Bros. eine neue Plattenfirma, und die schickte ihn nach L.A., um sein neues Album mit Studioassen aus der lokalen Szene wie Ry Cooder, John Sebastian und Randy Newman unter der Ägide von Lenny Waronker aufzunehmen. Wie sehr Lightfoot sich in die Szene einfügte, ob er mit den Leuten dort Drogen nahm und jammte, weiß ich nicht – seine Musik aber passt perfekt in diese Zeit und an diesen Ort. Er ist ein klassischer Folk-Singer, einer, der von Dylan und Robbie Robertson hoch geschätzt wurde, seine Songs sind subtil, wohltuend melodisch, leicht melancholisch, klingen immer ein bisschen veträumt und haben -wenn überhaupt - eher hintergründig kritische Inhalte. Auf Sit Down Young Stranger, das seinen größten Hit „If You Could Read My Mind“ enthält, stehen neben seiner akustischem Gitarre die Orchester-Arrangements im Vordergrund, die die Songs noch etwas weicher spülen – die allerdings auch sehr geschmackvoll sind – schließlich hatte da unter Anderem Randy Newman seine Finger im Spiel. Und es gibt eben eine ganze Reihe weiterer sehr gelungener Songs: „Minstrel of the Dawn“ ist ein Opener, der mit Orchester und leicht mittelalterlicher Melodie das Terrain absteckt, „Sit Down Young Stranger“ warnt ein bisschen altväterlich vor dem Krieg, Lightfoot covert Kris Kristoffersen's „Me and Bobby McGee“ und zieht es mit Ry Cooder's Mandoline wieder auf seinen Country-Ursprüngen zurück und deroben genannte Hit – nach dem das Album übrigens bald umbenannt wurde – ist einer der großen Folk-Klassiker... und es gibt eben noch etliche feine Songs auf diesem Album. Danach ging Lightfoot erst einmal nach Nashville, was durchaus zu seiner Musik passt. Ob er sich von der Musik des Laurel Canyon beeinflusst sah, weiss ich nicht, ich bin mir aber sicher, dass etliche Musiker dort genau bei ihm hinhörten.

Poco

s/t


(CBS, 1970)

Die nominellen Hauptpersonen von Buffalo Springfield sind im Kosmos des Laurel Canyon untergebracht und eingeordnet – aber was ist mit Richie Furay und Jim Messina, den weniger berühmten, aber ebenso wichtigen Mitglied der Pioniere des Country-Rock? Nun, die hatten mit Randy Meissner, dem Steel-Guitar Könner Rusty Young und Drummer Gorge Grantham Poco gegründet, und mit Pickin' Up the Pieces im Vorjahr ein ganz exzellentes Debütalbum gemacht, das die Musik der Parade-Laurel Canyon Band Eagles sehr geschmackvoll vorweg nahm. Zum zweiten Album hatte zwar Bassist Randy Meissner die Band verlassen, aber mit Timothy B. Schmit kam vollwertiger Ersatz (... vor Allem was die Gesangs-Fähigkeiten angeht..) und Richie Furay gab seine bislang klare Führungsrolle als Songwriter ab, trug nur noch drei Songs zu Poco bei. Dafür hatte Lead-Gitarrist Messina mit „You Better Think Twice“ einen Song dabei, der einer der Band-Favoriten werden würde, und „Nobody's Fool“ vom Debüt wurde hier zu einem über 18-minütigen Jam, bei dem insbesondere Young sein Können an der Steel beweisen durfte. Das Album hatte aber trotz seiner Qualitäten, trotz der ausgefeilten Gesangsharmonien und eleganter Kompositionen nicht den erwünschten Erfolg – gerade mal #58 in den Charts – Ja, so hoch konnte man mit solcher Musik damals in den Charts kommen – und das Besetzungs-Karussell begann sich zu drehen... So wird man Meissner und Schmit bald bei den Eagles wiederfinden. Poco ist ein würdiger Nachfolger zum fantastischen Debüt, und hier ist das Beispiel für den soften Country-Rock aus dem Canyon.

Beach Boys

Sunflower


(Brother Rec., 1970)

Die Beach Boys sind natürlich auch schon von Beginn an Bestandteil der Laurel Canyon Szene, sie sind mit ihrem sanfteren Sound – ohne ausgedehnte Improvisationen und ohne ekstatische Verdrehungen so typisch L.A. Wie Bands wie Grateful Dead und Jefferson Airplane typisch San Francisco sind. Und mit den ausgefeilten Gesangsharmonien und den sommerlichen Songs ist dieser Sound auch ein wichtiger Einfluss auf den Soft-Rock der kommenden Jahre. Dabei sind die gelungenen Post-Pet Sounds Alben weit mehr als nur „soft“ (= leichtgewichtig). Und es sind einige: Smiley Smile ('67), Friends (68), 20/20 (69) – sie machen jedes Jahr ein kurzes, aber mindestens gutes Album – und nach Sunflower, dem Höhepunkt dieser Phase, werden noch Surf's Up ('71) und Holland (73) kommen.... Aber trotzdem waren die Beach Boys zu Beginn der 70er in den USA ziemlich weg vom Fenster – ihr Image war unmodern, sie waren eine Band aus Prä-Psychedelik Tagen und in den USA wurde Sunflower, ihr erstes Album für Warner Bros., so gut wie gar nicht wahrgenommen. Zu Unrecht. Die Band funktionierte nun doch wieder als Einheit, was sicher auch darauf zurückzuführen war, dass neben einigen neuen Songs von Bandgenie Brian Wilson sowohl sein Bruder Dennis als auch Bruce Johnson sich als Songwriter weiterentwickelt hatten und hervorragende Songs zum Album beitragen konnten. Dennis' „Slip On Through“ und Johnsons „Deirdre“ sind kaum schlechter als Vieles aus der großen Zeit der Beach Boys in den Mitt-60ern, „Add Some Music to Your Day“ und insbesondere das überirdische „Cool Cool Water“ von Brian Wilson haben endlich wieder die wunderbaren Harmony Vocals die nur die Beach Boys konnten. In den USA wurde die LP wie gesagt komplett ignoriert, in England erhielt sie immerhin gute Kritiken. Inzwischen gilt das Album zu Recht als eines ihrer Besten, und spätestens ab den 90ern haben Bands wie die High Llamas hier ganz genau zugehört.







Montag, 10. April 2017

1951 & 1952 - Harry Smith bis Billie Holiday - und was ist BeBop

Der Beginn der 50er Jahre wird politisch vom kalten Krieg und vom Korea-Krieg bestimmt. 1951 erobern chinesische und nord-koreanische Truppen Seoul, werden wieder zurückgeschlagen und ein jahrelanger Stellungskrieg beginnt. Der amerikanische General McArthur will die Atombombe gegen China einsetzen, aber US Präsident Truman verweigert den Einsatz, um die Welt nicht in einen Atomkrieg zu stürzen. Zur gleichen Zeit ist in den USA die Kommunisten-Verfolgung unter Senator McCarthy voll im Gange - insbesondere Künstler und Intellektuelle, aber auch ganz normale Menschen, bekommen beim leisesten Verdacht mit dem Kommunismus zu sympathisieren, die größten Schwierigkeiten – und etliche Künstler zerbrechen an dieser Praxis. Die McCarthy-Ära wurde seitdem zum Synonym für politische Verfolgung und Stigmatisierung von Andersdenkenden. 1952 wird erstmals eine Wasserstoffbombe gezündet. Die Bundesrepublik Deutschland integrierte sich in die westliche Allianz, das deutsche Fernsehprogramm beginnt zu senden - mit gerade mal 1000 Anschlüssen, in Afrika wehren sich immer mehr Menschen gegen die Kolonialmächte England und Frankreich. Japan schließt einen Friedensvertrag mit den USA, der 2. Weltkrieg beginnt am geistigen Horizont der Menschen langsam zu verblassen. Musiker wie DeeDee Ramone und Sting werden in diesem Jahr geboren, in den frühen 50ern ist das American Folk Music Revival, da politisch linksgerichtet, kaum Thema im öffentlichen Bewusstsein. Musiker wie Pete Seeger haben Auftrittsverbot, Woody Guthrie wird 1952 mit Chorea Huntington diagnostiziert. Und solche „Alben“ wie die unten vorgestellte Antholgy of American Folk Music sind – noch - nur Thema für ein paar seltsame, linksdenkende und vom Gros der Gesellschaft kaum anerkannte Beatniks oder bebrillte Historiker. Aus dem Jazz der Vierzigern entstandene Unterströmungen wie BeBop sind noch Avantgarde. Die frühen Fünfziger sind der Ursprung vieler Entwicklungen im Jazz und Folk der kommenden Jahre und Jahrzehnte – und letztlich Ursprung dessen, was wir als Popmusik kennen. Aber noch findet diese Musik ihren Weg ins Ohr der Hörer haupsächlich durch das Radio, durch Live-Auftritte und durch die 7“-Single und die 10“ EP, die manchmal, für ein wohlhabenderes Publikum – als „Album“ kompiliert wird. Helden dieser Zeit sind Johnnie Ray oder Patti Page. Aber auch John Lee Hooker, Fats Domino, Little Walter und Hank Williams machen etliche Singles, die dann später - in Albumform gesammelt - veröffentlicht werden - und die den Blues in die Fünfziger holen und Rock'n'Roll vorbereiten!!

Various Artists

The Harry SmithAnthology of American Folk Music


(1952, Smithsonian Folkways)

Die Anthology of American Folk Music kann man getrost als einflussreichste Songsammlungen des Folk-Revivals – und für die kommende Folkmusik - und somit für die "Rockmusik" - in den USA (und dann auch weltweit) bezeichnen. Das ist keine Untertreibung, denn der Einfluss dieser Anthology reichte bis ins kommende Jahrtausend. Zu Beginn der 50er Jahre vom exzentrischen Musikologen und Künstler Harry Smith auf Schellack-Platten zusammengesammelt und 1952 nur halblegal veröffentlicht, hatte Smith 84 teils vollkommen obskure Songs lose thematisch geordnet auf sechs LP's zusammengestellt und damit zunächst mal vielen jungen Folk Musikern eine kostbare Schatztruhe offen hingestellt. Das Ding war die Arbeit eines besessenen Sammlers, und zugleich ein Geniestreich, der viele junge Folkmusiker irgendwann später dazu bringen würde, diese Songs nach zu spielen, nach den Urhebern zu forschen und manchem der hier versammelten Künstler gar eine zweite Karriere zu ermöglichen (Leute wie John Hurt oder Doc Boggs waren nämlich nicht etwa tot, sondern so wie ihre Singles lediglich 20-30 älter geworden). Vor allem aber bewirkte diese Kollektion das Bewusstwerden eines musikalischen Erbes, das in den USA in Vergessenheit zu geraten drohte und diente später Musikern wie John Fahey oder Bob Dylan als Blaupause für die Musik, die sie in der kommenden Zeit machen sollten - die wiederum andere Musiker beeinflussen würde.... Die sechs LP's sind in drei Kategorien unterteilt, und die Reihenfolge der Songs ist nicht etwa chronologisch, sie hat eine streng subjektiv-historische und thematische Logik, die Smith in äußerst unterhaltsamen Kommentaren erklärt. Hier einzelne Songs herauszuheben oder einzelne Musiker besonders zu erwähnen ist wenig sinnvoll. Es gibt zu viel gute Musik hier, allerdings ist die Klangqualität naturgemäß gewöhnungsbedürftig. Mitschnitte von Schellackplatten eben, da rauscht und knackst es auch auf CD, aber das kann man ja auch sympathisch finden Hier liegen sie jedenfalls, die Wurzeln von Dylan und Konsorten.

Thelonius Monk

Genius of Modern Music Vol. 1


(Blue Note, Rel. 1951)



Thelonius Monk

Genius of Modern Music Vol. 2


(Blue Note, Rel. 1952)

und auch her gilt – diese beiden „Alben“ sind Zusammenstellungen von Aufnahmen, die einige Jahre zuvor eingespielt wurden: Volume 1 der beiden Compilations Genius of Modern Music beinhaltet die erste Session von Thelonius Monk als Bandleader am 15. und 24. Oktober bzw. 21. November 1947. Diese Sessions sind so etwas wie eine Initialzündung für den BeBop. Man muß sich klarmachen, dass Monk zur damaligen Zeit mindestens belächelt, wenn nicht gar angefeindet wurde für eine Musik, die für die damaligen Ohren so geklungen hat, wie die abstrakten Drip-Paintings etwa von Jackson Pollock wirkten (und bis heute auf so manchen Betrachter wirken). Mancher Kritiker warf Monk tatsächlich vor, ein schlechter (=unfähiger) Musiker zu sein, „entschuldigte“ den avantgardistischen Ansatz mit mangelnden instrumentalen Fertigkeiten. Erst nach einigen Jahren - also zu Beginn der Fünfziger - hatte sich diese Haltung insoweit gebessert, als dass Blue Note die Sessions veröffentlichte, und bald würden etliche seiner Kompositionen zu Standards des Jazz werden. Und das, obwohl (oder gerade weil) sie technisch äußerst schwer zu meistern sind. Da sind die seltsamen Chord Progressions von "Thelonious"; das witzige, melodisch schräge „Well, You Needn't“; der Bud Powell Tribut „In Walked Bud“ und natürlich einer der bis heute meistgespielten Jazz Standards „Round Midnight“ Art Blakey's Drumming ist gut, aber noch kamen nicht alle Musiker bei der Umsetzung von Monk's Ideen mit. Da ist dann auf Volume 2 der Compilation der Fortschritt deutlich erkennbar. Monk war bei diesen Sessions in seine Rolle als Bandleader hineingewachsen und hatte seinen Begleiter begreiflich gemacht, wie sie seine Musik umsetzen sollten. Das Programm besteht fast ausschließlich aus Eigenkompositionen, und zwar solchen, die später ganze Alben beeinflussen und bezeichnen sollten: „Four in One“ beginnt noch als konventioneller BeBop, wird dann aber rhythmisch unglaublich vertrackt, „Criss Cross“ (später gab es ein Album gleichen namens) ist von vorneherein regelrecht abstrakt, es gibt aber auch den relativ klaren, blues-basierten Titel „Straight No Chaser“ (ebenfalls später Albumtitel) und die Ballade „Ask Me Now“. Einige von Monks Sidemen sollten später mit eigenen Bands Karriere machen, ob Trompeter Kenny Dorham, oder der nun weit besser mit den vertrackten Rhythmen klar kommende Art Blakey, der wiederum hier manchmal vom großen Max Roach ersetzt wurde. Auch Bassist Al McKibbon und der bei Volume 1 noch wie ein Fremdkörper wirkende Saxophonist Sahib Shihab waren im BeBop angekommen. Beide Alben gehören in jede Jazz-Kollektion, ihr Einfluß auf den Jazz der 50er und 60er kann nicht überschätzt werden.

Bud Powell

The Amazing Bud Powell, Vol. 1


(Blue Note, Rel. 1951)

Die CD von Blue Note mit dem Titel The Amazing Bud Powell Vol. 1 enthält heutzutage alle Aufnahmen von 1949, die Powell mit einem Quintett mit Fats Navarro und dem Saxophon-Koloss Sonny Rollins aufgenommen hatte, sowie eine Trio Session mit Max Roach von 1951. Im Einzelnen waren die Aufnahmen zur damaligen Zeit auf diversen 78ern veröffentlicht worden, heute hat man das Problem, hier manche Tracks in mehrfacher Version hören zu müssen. Am Besten man stellt sich sein eigenes Album aus den Tracks zusammen. Der geniale Pianist Powell war zu dieser Zeit gesundheitlich schon nicht mehr auf der Höhe. Er war Mitte der 40er Jahre mehrfach von Polizisten verprügelt worden, war Alkoholiker – und unter Alkoholeinwirkung leider oft extrem aggressiv, und hatte daher schon diverse Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken mit den damals üblichen Elektroschock-Therapien hinter sich. Das mehr als selbstironische „Un poco loco“ zeigt, warum Powell neben Monk und Charlie Parker als eine der wichtigsten Figuren des BeBop gilt. Er war einer der innovativsten Pianisten und dieses Album enthält den Stoff, den Jazz in neue Sphären führen sollte.

Charlie Parker & Dizzy Gillespie

Bird and Diz


(Mercury, 1952)

...und auch Bird and Diz ist so ein Dokument für die Entwicklung, die der Jazz in den Jahren nach dem 2. Weltkrieg gemacht hat. Charlie Parker hatte genau wie Dizzie Gillespie oder Thelonius Monk (der hier ebenfalls mit von der Partie ist) dem Jazz neue Türen eröffnet und mit seiner Art der Komposition und Improvisation den Modern Jazz begründet. Ab 1950 ging es mit Parker zwar gesundheitlich bergab - er war schon seit dem 15. Lebensjahr heroinabhängig, aber bei den Sessions 6. Juni 1950 (zunächst auch auf diversen 78ern und 1952 als 10'' erschienen, wie das damals üblich war), hatte er einen guten Tag. Alle Kompositionen bis auf „My Melancholy Baby“ stammten von ihm, und die LP steht - wie die Alben von Bud Powell und Thelonius Monk - exemplarisch für die Art, wie Jazz sich in den End-40ern entwickelt hatte. Gespielt werden kurze Themen, auf denen die Musiker dann improvisieren, eine Art des Musizierens, die man im Jazz bislang so nicht gekannt hatte. Vorher gab es in den Big Bands zwar auch Solisten, aber die hatten sich dem Kollektiv unterzuordnen, hatten nur festgeschrieben Momente, in denen sie brillieren durften. In kleineren Ensembles konnte das Solo natürlich ausführlicher gespielt werden, und auf diesem Album haben wir solch eine kleine Band mit hervorragenden Solisten. Bird and Diz ist nicht nur wegen der Beteiligten eines der wichtigsten Dokumente des Jazz dieser Zeit, es ist tatsächlich die letzte gemeinsame Studioaufnahme von Gillespie und Parker. Und hier gibt es feine Versionen von Parker-Songs wie „Leap Frog, „Mohawk“ oder „Relaxin' With Lee“. (Wobei Song eben das meint: Ein Thema das zum wilden Improvisieren genutzt wird...) Essenzieller Stoff auch dies für den, der wissen will was BeBop ist...Gutes Cover Design übrigens – von David Stone Martin...

Billie Holiday

Billie Holiday Sings


(Clef Rec., 1952)

der auch das Cover von Billie Holiday Sings gestaltete. Auch Billie Holiday's erstes Album seit Jahren mit neuem Material, ihr erstes für das Clef-Label, ist zunächst eine EP mit 8 Tracks, die dann Mitte der Fünfziger auf LP-Länge aufgestockt wird. Der inzwischen 37-jährigen war in den Jahren zuvor nach zwei Verurteilungen wegen Drogenmissbrauchs die sog. cabaret card entzogen worden, was es ihr unmöglich machte, in Night Clubs aufzutreten. Hinzu kamen fatale Beziehungen zu den falschen Männern und ihr gesundheitlicher Verfall, der sich jetzt bemerkbar machte. Es waren seit 1947 zwar ein paar Compilations mit altem Material veröffentlicht worden aber ihr Selbstvertrauen war am Boden. Als ihr der Produzent und Labeleigner Norman Granz vorschlug, mit kleiner Besetzung ein paar Songs aufzunehmen, schlug Holiday ein – und der letzte Abschnitt ihrer goßen Karriere begann. Lady Day war immer noch populärer als sie gedacht hätte, und die Musik, der sie ihre Berühmtheit verdankte, wurde nun wieder (wie zu Beginn ihrer Karriere mit Teddy Wilson...) im kleinen Rahmen aufgeführt und der Klang wurde durch verbesserte Studiotechnik modernisiert. Ihre Stimme hatte an Sicherheit und „Reinheit“ verloren, dafür aber - nach Meinung vieler – an Ausdruck (und Tragik) gewonnen. Als Höhepunkt dieser Phase gelten Lady Sings the Blues (56) und Lady in Satin (58), aber dieses erste echte „Album“ Holiday's zeigt sie in (noch) guter stimmlicher Verfassung, es sind mit „Blue Moon“, „(In My ) Solitude“ und „(You'd Be) So Easy to Love“ ein paar wunderbare Songs dabei. Natürlich allesamt Fremdkompositionen – es war zu dieser Zeit noch völlig unüblich, dass ein/e Sänger/in seine/ihre eigenen Songs schrieb oder gar sang. Diese Form des Jazz sollte sich in den kommenden Jahren als Vocal Jazz weiter durchsetzen. Wo in den Zwanzigern Bluessänger/innen wie Ma Rainey oder Bessie Smith begonnen hatte, wo in den Dreißigern Billie Holiday selber weitergemacht hatten und wo dann auch Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder Sarah Vaughn mit Big Band/Orchesterbegleitung weitergemacht hatten, da war nun Billie Holiday eine derjenigen, die das Genre in eine neue goldene Ära in die Fünfziger leitete. Billie Holiday Sings ist der Startpunkt des Vocal Jazz, wie ich ihn mag und wie er in diesem Blog vorkommt.


1952 – Die Definition von BeBop

Bebop ist eine Ausprägung des Jazz, die Anfang der 40er Jahre den Swing als Hauptstilrichtung ablöste und somit den Ursprung des Modern Jazz bildet - was im Grunde besagt, dass die Musiker ab einem bestimmten Zeitpunkt begannen sich aus den Formalien der Swing/Jazz-Orchester zu lösen und nicht mehr reine Unterhaltungsmusik machten sondern so etwas wie moderne Kunst im Bereich der Musik – was unüblich und gewagt war. Die Musiker begannen in Kellerclubs mit kleinen Combo's über altbekannten oder neu gewählten Themen zu improvisieren, die Rhythmen lösten sich auf, der Solo-Künstler wurde wichtiger, die Musik wurde komplexer – und brach mit Hörgewohnheiten, was dazu führte, dass das breite Publikum zunächst nichts davon wissen wollte. So ist es zu erklären dass alle drei hier vorgestellten Alben schon in den 40ern aufgenommen wurden, aber erst in den 50ern veröffentlicht wurden. Wie schon gesagt, galt diese schnelle Improvisationsmusik vielen als „zufällig“, ja sogar als Zeichen von Unfähigkeit. Dabei waren gerade Parker, Monk oder Powell Meister an ihrem Instrument. Der Begriff „BeBop“ übrigens ist vermutlich auf scat-gesanghafte Zurufe der Musiker untereinander zurückzuführen. BeBop ist die Wurzel des modernen Jazz. Ich werde im Laufe der Seiten auf diverse andere Stilrichtungen im Jazz eingehen – sie Alle haben freilich ihre Wurzeln – d.h. Sie entwickelten sich – in den 40-50er Jahren. Aber solche Musik wurde zunächst wie gesagt nur in düsteren Kneipen und Jazz Clubs gespielt. Lies hierzu den literarischen Jazz „On the Road“ von Jack Kerouac - das lustigerweise auch 51-52 geschrieben, erst 1957 erschien.














Freitag, 7. April 2017

1987 - Perestroika und Börsencrash - Prince & the Revolution bis Bathory

In der UdSSR wird nun auch offiziell die sogenannte Perestroika von Michail Gorbatschow verkündet, die Neujahrs-Ansprache Ronald Reagans wird in der Sowjetunion im Fernsehen übertragen. Bei einem Besuch des amerikanischen Präsidenten in Berlin fordert dieser, die Mauer niederzureißen. Ende des Jahres vereinbaren die beiden Supermächte den Abbau der atomaren Mittelstreckenwaffen. Die Weltbevölkerung erreicht laut UN die 5 Milliarden Grenze. Am 19. Oktober gibt es am sogenannten Black Monday einen gewaltigen Börsencrash (Irgendwie interessant, dass in Zeiten der Entspannung die Geldmärkte wackeln...) und in Israel beginnt die Erste Intifada der Palästinenser. Andy Warhol stirbt in New York, ebenso Blues Musiker Paul Butterfield, Reggae Musiker Peter Tosh und Jazz Bassist Jaco Pastorius. 1987 ist das Jahr in dem sich in der Gegend um Seattle eine Band namens Nirvana gründet, das Jahr in dem mit Aretha Franklin die erste Frau in die Rock'n'Roll Hall of Fame aufgenommen wird und das Jahr in dem Michael Jackson mit Bad den Nachfolger zum Mega-Seller Thriller veröffentlicht. Ein aufgeblasener und uninspirierter Aufguss des aufgeblasenen und vom Kommerz inspirierten Vorgängers, der jedoch gekauft wird, als wäre er das Allheilmittel gegen den Niedergang der Popularmusik. Es ist auch das Jahr des Hair-Metal - zumindest kommerziell – mit der Veröffentlichung des Debüts von Guns N' Roses, U2 werden überlebensgroß, R.E.M. sind im Mainstream angekommen, im US-Underground beginnen Bands wie die Pixies, Sonic Youth, Replacements oder Dinosaur Jr. die Saat auszubringen die in den 90ern aufgehen wird. Dasselbe gilt für wirklich harte Musik jenseits von Hair Metal, wo Bands wie Anthrax und Heathen den Thrash Metal weiterführen und Bands wie Death, Napalm Death und Bathory ganze Sub-Genres anstoßen. Gothic Rock ist ein weiterer Trend mit Höhepunkten, und Prince ist die echte Alternative zum allgegenwärtigen Michael Jackson - während die wirklich gehaltvolle schwarze Musik namens HipHop sich ebenfalls im Aufwind befindet. Auch große Acts wie Sting, Springsteen und Fleetwood Mac bringen erträgliche Alben hervor und in England verabschieden sich leider die Smiths endgültig. '87 ist wie '86 und '85, nur das Angebot an Stilvarianten in der populären Musik ist inzwischen breiter gefächert und Geld fließt in dieser Zeit im Musik-Business in Strömen. Die Mini- und Mikro-Genre's der Neunzger bilden sich heraus, man könnte auch sagen, die Musik der Jugend wird immer beliebiger. Und vergessen will ich neben dem ob en gedissten Michale Jackson gerne – Whitney Houston, Rick Astley oder den Schweinerock von Whitesnake... nur um ein paar Beispiele zu nennen

Prince & The Revolution

Sign 'O' The Times


(Warner Bros., 1987)

Nach dem (relativen) kommerziellen Mißerfolg von Parade und seinem begleitenden, eher peinlichen Film Under the Cherry Moon hatte Prince die carte blanche, die er für Purple Rain und Around the World in a Day bei Warner Bros. erhalten hatte, anscheinend verspielt. Prince selber hatte dafür allerdings wenig Verständnis und war entsprechend verärgert - zumal das bedeutete, dass Warner ihn zwang, Sign O’ the Times nicht als aufgeblähtes Tripel-Album zu veröffentlichen. Aber man muss gestehen: Das ist einer der wenigen Fälle, in denen das Einschreiten eines Labels dem Künstler zum Vorteil gereichen sollte, denn so wurde das Album als zwar chaotisches, sprudelndes, eklektizistisches, aber auch notwendig reduzierte Doppel-LP veröffentlicht. His Oneness hatte in der Zeit vor der Produktion den Kontakt zu seinen Mitmusikern eingeschränkt und nach der letzten Tour The Revolution in die Wüste geschickt – und nun quasi alleine Songs aufgenommen, in denen immer wieder apokalyptische Bilder von AIDS, Drogen, Bomben, kaputten Familien und weggeworfenen Babys auftauchten, bei denen aber auch immer wieder Hoffnung auf Gott, Liebe oder einfach nur Spaß dagegen gestellt wurde. Vom perfekten, wundervoll reduzierten Titeltrack (einem von Prince's besten Songs überhaupt) über das verspielte „Starfish and Coffee” bis zum lodernden Minneapolis-Funk von „Housequake” - dieses Album bietet auf 16 Songs mit das Beste, was Prince und die 80er zu bieten hatten. Und für die Wissenden gab es mit diesem Album vor Allem künstlerisch - und auch kommerziell - eine anständige Alternative zum (meiner Meinung nach) unerträglich durchgeplanten Produkt-Pop von Michael Jackson's Bad.

Prince - Sign O' The Times 

Guns N' Roses

Appetite For Destruction


(Geffen, 1987)

Guns N’ Roses und ihr Debüt Appetite For Destruction sind wohl das willkommen ungeschminkte Gesicht des ansonsten doch ziemlich furchtbaren Hair-Metal. Die Band aus L.A. benutzten zwar dessen Image, trug vermutlich sogar die gebrauchten Klamotten der Bands aus dieser Szene, aber sie waren schmutziger und gefährlicher, ihr bluesiger Hardrock hatte mit AC/DC und Aerosmith genausoviel zu tun wie mit den Sex Pistols – und ihre Haare waren tatsächlich ungefönt – ja, man konnte sogar annehmen, dass sie ab und an ungewaschen waren! Sänger Axl Rose hatte erwiesenermaßen nicht nur die Fun-Seite des Lebens in L.A. gesehen, seine Art des Gesangs und seine Texte klangen nicht nur nach Attitüde, die Misogynie, der Ärger und auch die Ängste waren echt. Und er hatte nicht nur Ängste, er zeigte in der Power-Ballade „Sweet Child O' Mine“ sogar eine gewisse Verwundbarkeit – im Testosteron Genre doch eher unüblich. Der Horror des Lebens in einer Stadt wie L.A. wurde in Songs wie „Welcome to the Jungle“, dem Heroin-Song „Mr. Brownstone“ oder eben „Paradise City“ perfekt wiedergegeben. Aber all das hätte nicht gereicht und funktioniert, wären da nicht die klassischen Twin Gitarren von Izzy Stradlin und Slash und das Rhythmus-Fundament von Duff McCagan und Drummer Steven Adler gewesen. Inzwischen wird gerne vergessen, dass Guns N' Roses 1987 eine erfreuliche Überraschung waren - sie wirkten sogar ein bisschen skandalös und gefährlich - und diese verschworene Gemeinschaft spielte eines der besten Hard Rock-Alben der 80er ein. Cock-Rock? Ja, aber so funktioniert er und so macht er Spaß, und er führte dazu, dass sich ein paar andere Bands neben einer Attitüde auch auf die Qualität der Musik konzentrierten – Und vor Allem: „harter“ Rock oder meinetwegen „Metal“ fand (auch) durch sie ein breites Publikum, welches dann wiederum ein paar noch interessantere Bands wie etwa Metallica entdeckte... Und noch ein P.S. zum Albumcover - dass das tolle Covermotiv in den USA indiziert wurde (sexueller Inhalt ?) ist so traurig wie bezeichnend für die Fremdheit der Kultur da drüben...

Guns N' Roses - Welcome To The Jungle 

The Smiths

Strangeways Here We Come


(Rough Trade, 1987)



The Smiths

The World Won't Listen


(Rough Trade, Rel.1987)

Strangeways Here We Come ist nach eigenen Aussagen sowohl das Lieblingsalbum von Johnny Marr als auch das von Morrissey - dabei erschien es sogar erst einige Zeit nach dem unerfreulichen Split der Band, zu einer Zeit also, als die beiden sich wohl ansonsten in Nichts einig waren. Und tatsächlich ist das Album fast so gut wie The Queen is Dead,- es gibt nur wenige Songs, die nicht an die Qualität des vorherigern Albums heranreichen. „A Rush and a Push and the Land Is Ours“ und „Stop Me If You Think You've Heard This One Before“ sind genau wie „Paint a Vulgar Picture“ enorm catchy. Die Band klingt reifer und ruhiger, sowohl das bittersüße „Girlfriend in a Coma“, als auch „Death of a Disco Dancer“ und das rührende „Last Night I Dreamt That Somebody Loved Me“ sind weit glatter als die Songs der vorherigen Alben. Hätten sie sich nicht schon aufgelöst, so würde Strangeways Here We Come als perfektes Übergangsalbum durchgehen können. So war es zumindest ein würdiger Schlußpunkt und man kann mit Recht – und voller Bedauern - spekulieren, ob die Smiths möglicherweise noch größer geworden wären – wenn auch vielleicht nicht unbedingt besser - wenn sie weitergemacht hätten. Letztendlich sollte ja dann zumindest die Solo-Karriere von Sänger Morrissey eine Fortsetzung der Musik der Smiths garantieren, zunächst aber gab es für die untröstlichen Fans der Band mit The World Won't Listen einen erquicklichen Nachschlag. Diese Compilation ist so etwas wie Hatful Of Hollow - Pt 2. Die Smiths hatten auch in den Jahren 85-87, nach dieser ersten fantastischen Compilation weiterhin etliche hervorragende B-Sides und Non-LP Singles veröffentlicht, die sie nun auf diesem und einem weiteren, teils deckungsgleichen Sampler verteilten. The World Won't Listen ist dabei dem für den amerikanischen Markt gedachten Louder Than Bombs vorzuziehen, da auf Letzterem auch einige Songs vom Debüt platziert wurden. Fans wollen freilich beide Alben ihr Eigen nennen, zumal es sonst nur wenige Überschneidungen im Material gibt. Auf Hatful... gibt es große, typische Smiths Songs wie „Asleep“, „Rubber Ring“, „London“, „Unloveable“, „Is It Really So Strange“ und natürlich „Panic“, „Ask“ und die große, verlorene Single „You Just Haven't Earned It Yet Baby“. Alles selbstverständlich Songs die sich auch auf einem der vier Studioalben der Band nicht hätten verstecken müssen - alles Musik, die die 80er erträglich machten. 

 The Smiths - Girlfriend In A Coma

 The Smiths - You Just Haven't Earned It Yet, Baby

U2

The Joshua Tree


(Island, 1987)

1987 ist das Jahr, in dem Bono und U2 zu den Rock-Ikonen werden, als die man sie heute sieht. Es ist die Zeit, in der sie noch Suchende sind - Pilger auf einem neuen Kontinent, genau wie auf dem Cover abgebildet. Und auf ihrem 87er Durchbruchs-Album The Joshua Tree – ihrem besten neben dem Vorgänger The Unfogettable Fire – stellen sie sich auch musikalisch so dar: Ihr Trip in die USA veränderte ihren Sound, sie ließen sich von der amerikanischen Musik beeinflussen, aber sie machten es sich Gott sei dank nicht so einfach, nur Blues und Country auf ihre Musik aufzusetzen, sie ließen die amerikanische Musiktradition und ihre alten Sounds organisch in einander fliessen, blieben so nach wie vor als U2 erkennbar. Das liegt neben Bono's charkteristischer Stimme natürlich auch an Gitarrist The Edge, der seinen Sound lediglich um ein paar bluesige Nuancen erweiterte. Bonos schon immer etwas pathetische Texte sind aber hier vom „American Dream“ beeinflusst, er klingt so ernsthaft wie ein Wanderprediger, der voller Visionen aus der Wüste kommen – und es ist ein Image, das ihm gut zu Gesichte steht. Und vor Allem hatten sie genau dafür eine ganze Reihe von gelungenen Songs geschrieben: Hits wie “Where The Streets Have No Name”, “I Still Haven’t Found What I’m Looking For” und “With Or Without You” haben auch nach all den Jahren Nichts an Dringlichkeit verloren, zumal ihnen der damals so neue Klang ebenfalls bis heute hervorragend steht – was das Album in seiner Gesamtheit so besonders wirken lässt. The Joshua Tree zeigt U2 noch ein letztes mal in Unschuld und Ernsthaftigkeit, kurz bevor sie zum Mega-Act aufsteigen und die Ironie entdecken sollten. 

U2 - With or Without You 

Sonic Youth

Sister


(SST, 1987)

Ein echter Kandidat für das beste Album des Jahres 1987 ist zweifellos auch Sister von Sonic Youth. Inzwischen mag es EIN Noise/ Alternative Rock Alben unter vielen geworden sein, aber die Stellung der Band als Vorreiter und Paten einer „Szene“ die es zu dieser Zeit eigentlich noch garnicht gab, ist unbestritten. Sister beendete faktisch die Zusammenarbeit von Sonic Youth mit dem verdienstreichen Punk Label SST Records (über dessen Geschichte und weitere bahnbrechende '87er Alben ich an anderer Stelle berichten will...) und es fasste alle Stärken und Fähigkeiten der vier New Yorker Musiker perfekt zusammen: Thurston Moores Noise-Gitarren, Kim Gordons einzigartig coolen Gesang. Lee Renaldos Melodien und Steve Shelleys beste Drum-Performance. Noise, surreale Songs. Kraft. Ruhe. Perfektion: Opener „Schizophrenia“ weist schon den Weg in melodischere Gefilde, aber immer noch gibt es diese Collagen aus Noise und Distortion, mit denen sie den Untergrund aufgewühlt hatten. Und unter all dem Lärm findet man Struktur und Songs von überraschender Schönheit, findet man das, was Sonic Youth in den kommenden Jahren immer wieder so besonders machen sollte – und was sie von ihren Kollegen Swans (siehe weiter unten) unterschied. Das Album strahlt bei aller experimentellen Kompromisslosigkeit eine erstaunliche Wärme aus. Hätten die vier Musiker aus Sister und dem Vorgänger EVOL ein einziges Album destilliert, so wäre es besser als der legendäre Nachfolger Daydream Nation. So ist Sister „nur“ ein weiteres fantastisches Album einer der größten Bands der 80er und 90er Jahre.

Sonic Youth - Schizophrenia 

Swans

Children Of God


(Caroline, 1987)

   

Ich bleibe in New York's Noise-Szene: Swans Kopf Michael Gira bezeichnet Children of God als Wendepunkt in der Geschichte seiner Band. Und tatsächlich begannen auch seine Swans die harten Noise-Rock-Strukturen der Vorgänger-Alben um melodiöse Komponenten und akustische Instrumentierung zu erweitern. Vielleicht war es hier der wachsende Einfluß von Gira's damaliger Lebensgefährtin, der Musikerin/Performance Künstlerin Jarboe, der die notwendige Erweiterung des Konzeptes forcierte. Und natürlich war auch der Schlaukopf Gira selber klug und abenteuerlustig genug, die Notwendigkeit einer Erweiterung des Sounds seiner Band zu erkennen. Aber natürlich sind auf diesem Album auch immer noch genug Songs von der bekannten und bei den Swans üblichen drastischen Brutalität. Sie sind ja selbst in den 00er und 10er Jahren – zwanzig Jahre später also – eine Band, die Musik eher als physische Tortur erleben lassen. Hier beginnt "Child“ mit Gewehrschüssen und beschreibt die Hinrichtung von Kindern aus Sicht des Henkers – Sie waren eben immer drastisch in der Wahl der Mittel und Themen. „New Mind“ erinnert ebenso an die tribalistischen harten Songs der Vorgängeralben, ist mithin Swans, wie man sie immer erinnern wird, aber der Text immerhin weist auf Veränderungen hin. Gira sagte es ja auch selber: „Ich wollte mich anderen Dingen zuwenden und nicht in irgendeinem Musikstil verharren, der in unserem Fall hätte albern werden können, wenn wir einfach so weiter gemacht hätten....Children of God ist somit ein bedeutender Wendepunkt für die Swans, und die hier eingeschlagene musikalische Richtung ist der fruchtbare Boden, auf dem kommende Alben – insbesondere die mit den „Nebenprojekten“ und nach einem mehrjährigen Hiatus auch die Musik der Swans bis weit ins nächste Jahrtausend wachsen werden. (... was heisst, dass all die Liebhaber von The Seer und To Be Kind sich dieses Album anhören sollten...). 

Swans - Children of God 

R.E.M.

Document


(I.R.S., 1987)

Und hier nach U2 der nächste Mega-Act der Neunziger an der Schwelle zum Ruhm: Document ist das letzte R.E.M. Album für das Indie-Label I.R.S., die letzte Platte bevor sie in den Augen vieler fundamentalistischer Fans ihre Glaubwürdigkeit verloren und sich „an die Industrie (= Warner Bros.) „verkauften“ - was ich persönlich für eine elitäre Unsinns-Aussage halte. Schon mit dem Vorgänger Lifes Rich Pageant waren R.E.M. Insofern „kommerziell“ geworden, als sie einen weicheren Sound, „schönere“ Melodien gefunden hatten. Aber Document hat noch variablere und zugleich dringlichere Songs, Co-Producer Scott Litt – der die Band von nun an für etliche Jahre begleiten sollte – gab R.E.M. einen noch transparenteren, noch kraftvolleren Sound als zuvor – was wie gesagt von Manchen als Kommerzialisierung gesehen wurde, in Wahrheit aber nur ein natürlicher Schritt in der Entwicklung ihrer Musik war. Dazu kam die Tatsache, dass Michael Stipe auf einmal verständlich sang, nicht mehr so nuschelte - auch wenn manche Texte nach wie vor kryptisch blieben. „Finest Worksong“ und das rasante Stream-of-Consciousness „It's the End of the World as We Know It (And I Feel Fine)“ sowie der Überrschungs Top-Ten Hit „The One I Love“ jedenfalls bersten auch in modischerem Klang regelrecht vor Energie und Gitarrenriffs. Und R.E.M. wurden tatsächlich explizit und verständlich politisch: Im Jangle Pop von „Welcome to the Occupation“ und bei „Disturbance at the Heron House“ oder „King of Birds“ definierten sie musikalisch den Begriff „political correctness“ (der ihnen später auch im negativen Sinne als Naivität angelastet wurde). Das Wichtigste an Document aber sind und bleiben die memorablen Tunes und die wütende Energie mit der sie rausgehauen wurden. Ich sage: R.E.M. wurden nicht schlechter, sie wurden nur erwachsen.

R.E.M. - Its the End of the World as We Know it 

The Replacements

Pleased To Meet Me


(Sire, 1987)

So Mancher bevorzugt die frühen Alben der Replacements für Twin Tone – die beeindruckend sind – aber die Trilogie der Sire Alben der Mitt-Achtziger (Tim, Pleased... und Don't Tell a Soul..) kann meiner Meinung nach locker mithalten, ist sogar teils befriedigender weil besser produziert, und die überbordende Energie der Band in Bahnen lenkt – oder eben zähmt - wie die Kritiker sagen. Das Highlight dieser zweiten Trilogie ist ohne Zweifel Pleased to Meet Me, denn hier sind einige der besten Momente der Band und ihres inzwischen völlig konkurrenzlosen Leaders Paul Westerberg eingefangen: Der huldigte in einem der besten Songs des Albums dem Vorbild und Big Star Boss “Alex Chilton”. Andere Songs wie “Never Mind”, “Skyway” und vor allem “Can’t Hardly Wait” sind vielleicht ein kleines bisschen gebremster als die Songs auf dem anderen, ungezügelteren Klassiker der Band - Let It Be - aber sie zeigen zugleich, dass Westerberg als Songwriter besser geworden war. Pleased to Meet Me klingt durch die Dichte an guten Tunes mitunter wie eine Best-Of Compilation. Sie hatten den Gitarristen Bob Stinson gefeuerte und waren nach Memphis gegangen um mit dem legendären Jim Dickinson aufzunehmen, und der versuchte nicht, einfach nur, Westerbergs ungezähmtes Geheul oder die Angriffslust der Band zu disziplinieren, sondern er zwang sie auch noch dazu, “in tune“ zu bleiben und die Songs vorher anständig einzuüben – eine vorgehensweise, die die Band zuvor vermieden hatte. Dann holte er noch seinen Sohn Luther und den besungenen Alex Chilton zu den Sessions - und machte so den Unterschied. Aber vor Allem ist dieses Album– wie oben gesagt – Paul Westerbergs endgültiger Durchbruch als Songwriter: Er konzentrierte sich auf seine Qualitäten und machte eines der besten Alben seiner Karriere – allerdings wurde mit diesem Album auch deutlich, dass der Typ bald seine Band nicht mehr brauchen würde. Dinge verändern sich... 

The Replacements - Can't Hardly Wait 

The Silos

Cuba


(Watermelon, 1987)

. und hier nun wieder eines von diesen persönlichen Lieblingsalben, das in den üblichen Jahres-Polls und -Charts nicht so oft vorkommt. Die persönliche Note in diesem Artikel sozusagen... Die New Yorker Band The Silos wird gerne mit dem Begriff Alternative Country zusammengebracht – was zwar irgendwie berechtigt ist, aber zugleich ein bisschen zu kurz greift. Gegründet von dem kubanisch-amerikanischen Songwriter Walter Salas-Humara und dem Country/Punk Visionär Bob Rupe hatten sie '87 schon ein hoch gelobtes Debütalbum hinter sich und ihren sehr eigenen Stil etabliert. Die Silos spielen Country, gefiltert durch die Augen eines New Yorkers – und genau das sind sie ja auch. Bei ihnen klingen R.E.M. und Gram Parsons durch, aber auch die Feelies und Velvet Underground – was Cuba dann auch zu einem Album macht, das weit tiefer gründet als der übliche Alternative Country - Kram. Der Opener „Tennessee Fire“ beginnt mit dem nervösen, an die erwähnten Feelies erinnernden Drumming von John Galway und endet mit dem Wirbel von Mary Rowell's Violine, das akustische „Margaret“ wird von Steel-Guitar Richtung untergehende Sonne geschoben, aber egal, was sie spielen, immer wieder unterlegen Keyboard, Cello oder Violine den Song mit einem Drone, den man eher mit den urbanen Klägen der Velvet Underground verbindet und der so garnicht zu sschlichter Cowboymusik passen will. Lyrics mit klugen Alltagsbeobachtungen, die etwas teilnahmslos klingende Stimme von Salas-Humara, all das hebt Cuba auf eine ungewohnte Ebene und gibt den Kick in Richtung größere Bedeutung - und macht es zu einem erstaunlichen Album das für mich ein zugegebenermaßen sehr unauffälliger „Klassiker“ sein könnte. 

The Silos - Tennessee Fire 


Bathory

Under The Sign of the Black Mark


(Black Mark, 1987)

Und jetzt zu etwas ganz anderem... Black Metal hat ja für den Nicht-Initiierten immer etwas Infantiles, Albernes – Musiker präsentieren sich gerne in entschlossener Pose – von unten mit verschränkten Armen und finsterem Blick abgelichtet – womöglich noch im finsteren Wald mit Äxten, Schwertern und Corpse Paints - und sind somit unfreiwillig komisch. Wenn sie dann ernsthaft Nihilismus und Haß auf das Christentum/die ganze Welt predigen, wird es mindestens ärgerlich – manchmal sogar inakzeptabel. Aber man darf dabei nicht vergessen, dass die paar Bands, die dieses Genre in den mittleren Achtzigern „erfanden“, eine äußerst unkommerzielle und gewagte Variation des Metal spielten. Hits, wie sie etwa Bands des Thrash Metal haben sollten, sind ausgeschlossen und auch nicht erwünscht, selbst viel später angetretene intellektuelle Black Metal Acts wie Deafheaven bewegen sich in einer Nische, deren Hauptmerkmal es ist, im Vergleich zu geläufigen Idealen unangenehm und hässlich = extrem zu klingen. Die Schweden Bathory um den da gerade mal 21-jährigen Bandkopf Quorthon (Aliasse sind unerlässlich in diesen Kreisen) gab es schon seit 1983, sie hatten schon zwei Alben hinter sich, aber ihr drittes – Under the Sign of the Black Mark – bietet eine perfekt ausgearbeitete Facette des sich in den Neunzigern in etliche Mikro-Genres aufsplittenden Black Metal. Es gibt andere definitive Alben, wie etwa Deathcrush von Mayhem, das eher Hardcore als Black Metal ist. Bathory sind Fans der Extrem Metal Band Venom, begeistern sich für die Anbetung von Dämonen, schaffen eine Atmosphäre, die nach Norwegen, Schnee und barbarischen Heiden riecht – und sind damit die Vorbilder solcher Bands wie Darkthrone (deren Fenriz Under the Sign... als Quintessenz des Black Metal bezeichnete...). Ihr Black Metal ist geprägt von Quorthons rauem Gekreische und Synthesizer-Sounds aus der Hölle, sowie von monotonem High-Speed Drumming und dem weissen Rauschen der Gitarren - ein extremer und zugleich durchdachter Sound, ähnlich durchdacht wie der Grindcore der Zeitgenossen Napalm Death. Deren zeitgleiches Album Scum könnten zwar ebenfalls hier stehen, weil sie auch den Metal der Zukunft repräsentieren und weil ihr Konzept ein erfreulich politisches ist, aber Scum ist durch seine Zweiteilung etwas uneinheitlicher als mir genehm ist – und ich werde an anderer Stelle darauf zurückkommen.. Bathory waren 1987 weiter als andere extreme Metal-Acts (und damit Avantgarde). Die Produktion war besser, das Songwriting reifer, das Ergebnis ein definitives. Da ist der rasante Thrasher „Massacre“, da ist „Woman of Dark Desire“ über die Namensgeberin der Band (Eine legendären ungarischen Gräfin, die im Blut von Jungfrauen gebadet haben soll, um ihre Jugend zu erhalten), und da ist das epische „Enter the Eternal Fire“, das mit Synthesizer, elaborierten Gitarrensoli in Richtung Viking Metal weist, das aber durch Quorthons raue Schreie zugleich nach primitivem Black Metal riecht. Dazu kommen die nun abgedruckten Lyrics auf dem Beiblatt – zu jener Zeit noch völlig unüblich, wenn auch notwendig, da man die Worte wahrhaftig nicht verstehen kann. Auf seine Weise ist Under the Sign of the Black Mark eines der revolutionärsten Alben seiner Zeit, eines, das wohl ebenso viele Nachahmer beeinflusst hat, wie die neun zuvor besprochenen Alben des Jahres 1987.

Bathory - Enter the Eternal Fire