Ein Ziel meines Blogs ist es, den Variantenreichtum bestimmter „Genre's“ am Beispiel der Alben eines bestimmten Jahres vorzuführen. Wobei ich – wie immer wieder erwähnt – dogmatische Reinheitsgebote nicht gelten lasse. Ich gehe da ganz konkret folgendermaßen vor: Ich stelle mir vor, ich spiele jemandem ein Album der – sagen wir mal – Dead Kennedy's vor - es gefällt ihm/ihr - ich suche als nächstes ein Album aus, das dem/derjenigen auch gefallen könnte – und das muß keine Kopie der Dead Kennedy's sein. Hier unten sind einige Alben versammelt, die zeigen, dass 1982 ein hervorragendes Jahr für die Leute ist, die sich für Punk/ Hardcore Punk/ Horror Punk interessieren.... für eine Art Musik, die sich durch bestimmte Stilmittel auszeichnete, die '76/'77 von britischen Punks (Sex Pistols...), oder die Mitte der Siebziger von New Yorker Künstlern und Punks (Ramones etc...) – oder Anfang der Siebziger von durchgeknallten Anti-Hippies (Stooges), oder in den Sechzigern von Garagen Bands wie den Sonics eingesetzt wurden: Ungekünstelt, mit rasantem Tempo, gerne politisch linke, zynische oder comic-hafte Lyrics, 'rausgerotzter Gesang, NULL Gitarrensoli – und all das in unterschiedlich starker Ausprägung. Gemeinsam haben sie alle neben der Anti-Establishment Haltung ein ausgeprägtes DIY Ethos, die Tendenz dazu, Songs kaum über die 2-Minuten Marke gehen zu lassen und ein Leben am Limit. Entstanden war der Hardcore-Punk Ende der 70er in den USA und in England zeitgleich als Reaktion auf Punk/die Sex Pistols. Nach deren Konzerten hatten viele Zuhörer tatsächlich Bands gegründet, so dass es '82 von etlichen Adepten schon diverse Singles, EP's, Cassetten oder sogar LP's gibt. Sie sind in den Undergroud-Kreisen ihrer Gegend als Live-Ereignis berüchtigt und haben den „Punk“, der ihnen als Grundlage dient mit größerer Härte, Schnelligkeit und zynischer Wut auf eine neue Ebene gehoben. Und damit werden sie wiederum die alternative Rockmusik der kommenden Dekade(n) massiv beeinflussen. Hardcore als Stil ist eine extrem heterogene, aggressive Musikform mit allen Eigenschaften der Postmoderne. Er beeinflusst alles von Metal über Grunge bis zu den großen Bands des Alternative-Rock und wird selber in den kommenden Jahren in etliche Mikro-Genres aufsplittern. Er wird zu Crossover Thrash, Crust Punk, Grindcore, Metalcore, New York Hardcore, Anarcho-Punk, D-Beat, Riot Grrl, Thrash Metal etc., und er findet sich in Power Pop, Jazz, Experimental Rock, Dub, Funk bis Post-Punk wieder – und die Vielfalt an Einflüssen und Unterschieden (insbesondere zwischen Hardcore-Punk in England und den USA) ist in den hier reviewten Beispielen dieses Jahres deutlich erkennbar.
Dead Kennedys
Plastic Surgery Disaster
(Alternatve
Tentacles, 1982)
Die Dead Kennedys hatten zwei Jahre zuvor (fast) alleine Hardcore-Punk made in the USA erfunden und mit ihrem Debüt Fresh Fruit for Rotting Vegetables ein Referenzwerk für die gesamte Konkurrenz gemacht. Sänger Jello Biafra hatte in korrekter DIY Manier mit Alternative Tentacles das wichtigste Label für diese Musik gegründet, und mit „Holiday in Cambodia“ und „California Uber Alles“ Hymnen für die Ewigkeit geschrieben. Da war Zweifel angebracht, ob das nächste Album noch besser werden würde. Aber die Dead Kennedys machten Alles richtig. Plastic Surgery Disaster ist einerseits typisch Dead Kennedys - rasante Drums, blitzschneller Bass, East Bay Ray's surreale Surf-Gitarren und Jello Biafras wie immer extrem wiedererkennbar gekläffte Verhöhnung des Establishment - aber sie erweitern ihre Klangpalette auch behutsam um ein paar Sounds - lassen bei „Terminal Preppie“ gar eine Klarinette tröten – aber spielen die Songs so pfeilschnell, dass die technischen Finessen zunächst kaum auffallen. Das Albumcover, das großzügige, aufwändige Textblatt mit absurden Collagen, die boshaften und zugleich humorvollen Texte Biafra's, all das präsentiert die USA der Reagan Jahre in grellem Licht, voller Wut, Ironie, Häme und Witz. Bei „Bleed for Me“ prangern sie Kriegsverbrechen des CIA an, „Winnebago Warrior“ macht sich über die US-Familienidylle incl. John Wayne worshipping lustig, „Halloween“ tut das gleiche mit dem sozialen Konformismus und der Kleiderordnung der Spitzen der US Gesellschaft. Und musikalisch wagen sie bei „Trust Your Mechanic“ sogar progressiven Pop – wobei Pop und Surf schon immer Teil ihres ganz eigenständigen Sound waren. Die Dead Kennedys sind eine der originellsten und besten Bands der USA - und Plastic Surgery Disaster mag keine „Hits“ wie das Debüt und die 81er EP In God We Trust Inc. haben (auch kaufen!), aber kluge Leute sagen, es ist ihr bestes Album.
Dead Kennedys - Winnebago Warrior
Bad Brains
s/t
(ROIR
Cassette, 1982)
Und ein weiteres Album, dessen Einfluss weit in die Neunziger reichen wird. Die Bad Brains waren eine Band mit vier dreadlocked rastafarians aus Washington D.C, aus schwarzen Studenten (eine Rarität im Hardcore...), die nicht etwa Soul, Funk oder Reggae spielten, sondern diese Einflüsse tief in den harten Boden des Hardcore rammten. Ihr erstes „Album“ war allerdings keine LP, es wurde beim kleinen New Yorker Label Reach Out International Records als Cassette veröffentlicht, nachdem die Band in Washington Auftrittsverbot bekommen hatte und nach NY gegangen war. Dass es trotz des Formates einen so breiten Einfluss auf die Szene haben würde, ist sowohl Hinweis auf die Bedeutung solch „alternativer“ Veröffentlichungsformen – als auch Hinweis auf die Bedeutung der Bad Brains. Die vier Musiker wechseln auf diesem Album noch von traditionellen Reggae-Tracks zu blitzschnellen Hardcore Stücken, bei denen die Lyrics von Sänger H-R. ob des Tempo's kaum verständlich sind, aber sie waren bekannt dafür, dass sie gegen den üblichen Nihilismus und Zynismus gerne auch mal positive Botschaften und Gottesfurcht setzten. Die Reggae-Tracks machen The ROIR Sessions (so wurde das Album später als LP und CD-Veröffentlichung genannt) zum acquired taste, die harten Tracks sind Fundamente des Hardcore, der Reggae wird von der Hardcore-Gemeinde hingenommen. Der durchgeknallte Gesang von H.R., die virtuose Gitarren von Dr. Know, das genaue und schnelle Rhythmusgespann, das alles von Jazz über Reggae bis Punk konnte – all das beeindruckte Publikum und Bands gleichermaßen. Minor Threat wurden Fans, die Dead Kennedys veröffentlichten „Pay to Cum“ auf ihrem Label als Single, Bands wie Fishbone und die Red Hot Chillie Peppers bauten auf diesem „Crossover“ ihre komplette Karriere auf und Adam Yauch von den Beastie Boys sprach vom „best punk/hardcore album of all time“. Dieses und das Nachfolgende Album Rock for Light - das streng genommen eine neu aufgenommene Version des Debüt's ist - sind Grundpfeiler des Hardcore - die so auch von der Band selber nie mehr nachgeahmt werden würden.
Bad Brains - Big Take Over
The Faith / Void
s/t (Split LP)
(Dischord,
1982)
Wer Hardcore Punk aus den USA in den Achtzigern hört, kommt um das Label Dischord und um die Band Minor Threat nicht herum (Die haben '82 allerdings keine EP veröffentlicht – aber siehe Liste ganz am Ende...) Und Labelboss Ian MacKaye hatte auch einen kleinen Bruder (Alec), dessen Band The Faith auch auf seinem Label veröffentlichte. Die Idee deren zwölf Songs in zwölf Minuten auf einer Split-LP mit dem psychotischen Noise-Hardcore von Void zu kombinieren, mag ob der Kürze (und Würze) des Materials logisch sein, aber The Faith mussten gegen die Monster Void einfach verlieren. Man darf also beide Seiten dieser 28-minütigen LP nicht miteinander vergleichen – es wäre unfair gegenüber The Faith. Die spielen furiosen Hardcore-Punk, die Songs nicht ganz so memorabel, aber mit Tempo und Wut 'rausgehauen. Einzelne Songs herauszustellen ist unnötig und unwichtig, alles rast vorbei wie ein D-Zug, ein schneller, aufregender Spaß – aber dann kommt die zweite Seite der LP mit the mighty Void... und diese 16 Minuten haben die Wucht mehrerer beladener Güterzüge. Von der ersten Sekunde des Openers „Who Are You“ mit seinem gekreischen Refrain "Who are you? Why am I here?" über das völlig verdrehte Gitarrensolo das in fünf Sekunden vorbeifliegt bis zum regelrecht progressiven „Think“ und dem ablschiessenden Chaos von „Explode“ hat man weder vorher noch nachher dermaßen intensiven Hardcore hören können. Es ist hier wirklich so: Knapp 16 Minuten reichen – mehr wäre letal. Und Gitarrist Bubba Dupree ist einer der ganz großen unbekannten Gitarristen. Wer wissen will, was Hardcore kann, muss mindestens The Faith / Void hören.
Fear
The Record
(Slash,
1982)
Fear stammen auch aus der regen Hardcore-Szene der US Westküste, Es waren der Bassist Derf Scratch und Sänger Lee Ving, die sich schon '77 in L.A. ein paar Gleichgesinnte suchten, mit ihnen eine Single aufnahmen und sich insbesondere Live einen Namen machten – wobei Sänger Ving als Teilzeit-Schauspieler und durchaus virtuoser „Shouter“ schnell eher als Mitläufer denn als überzeugter „Punk“ angesehen wurde. Aber dann traf Ving die Filmemacherin Penelope Spheeris, die eine Doku über die Punk-Szene L-A's machen wollte – und Fear waren dabei und galten somit durch ihren Beitrag zum Soundtrack zu The Decline of the Western Civilisation als eine DER neuen Hardcore-Bands. Der Schritt zum Auftritt bei Saturday Night Live und dann zum Album war logisch. Mich persönlich schert die eventuelle fehlende Credibility nicht, The Record ist ein famoses, wenn auch wieder mal etwas ungewöhnliches Punk/Hardcore Album. Lee Ving ist ein Sänger, der genau weiss was er macht, er gröhlt, spielt den wilden Mann, kann auch bellen wie ein Hund aus den Hinterhöfen, die Rhythmussektion gibt den schnellen, unsentimentalen Takt – und Gitarrist Philo Cramer spielt manchmal regelrecht avantgardistisches Zeug dazu – ihm bleibt nichts anderes übrig, da die Songs zwar den simplen schnell gespielten 4/4 Punk-Takt bekommen, aber die Texte und die Songstrukturen mitunter an experimentelle No Wave erinnern. Eine bewusste Entscheidung, wie man an der No Wave Hommage „Getting The Brush“ und an „New York's Alright if You Like Saxophones“ (natürlich wirklich mit Saxophon-Solo...) erkennen kann. „ We Got To Get Out Of This Place“ von den Animals wird gecovert, und sie wagen es beim regelrecht progressiven „We Destroy the Family“ eine der heiligen Kühe der US Gesellschaft anzugreifen. All das mag vielleicht sogar aufgesetztes Gehabe sein, aber haben die Sex Pistols und etliche andere nicht auch Theater gespielt...? heraus kam eines der ganz großen Alben des Hardcore US-Style.
Angry Samoans
Back From Samoa
(PVC,
1982)
Und noch so eine Band aus L.A., diesmal '78 gegründet von den beiden Musik-Kritikern „Metal“ Mike Saunders und Gregg Turner, zusammen mit dem Gitarristen Kevin Saunders, Bassist Todd Homer und Drummer Bill Vockeroth. Dann zwei (empfehlenswerte) EP's und nun endlich ein Album – das 14 Songs in knapp 18 Minuten verhandelt. Und wie das bei dieser Musik ist_ Da ist nichts zu kurz, nichts überflüssig, alles in dieser Kürze richtig. Die Angry Samoans spielen auf Back From Samoa energetischen, einfallsreichen Hardcore/ Punk, meist nicht ganz so schnell wie Fear oder die Descendents, dafür sehr abwechslungsreich und wunderbar unkorrekt, hysterisch und böse. Wenn man mal genau hinhört fällt auf, dass die Musiker genau wissen, was sie tun – die ganze Hardcore-Szene dieser Zeit besteht aus versierten Musikern – aber das Album überfällt den geneigten Hörer dafür mit so wunderbaren Songs we „They Saved Hitler's Cock“, „Steak Knife“, „You Stupid Jerk“, „Homosexual“ oder „Gas Chamber“. Den beiden Textern, Sängern, Songwritern und Musik-Kritiker dürfte bewusst gewesen sein,was sie hier von sich gaben. Diese Hardcore-Geschichte in L-A. war genau das, was die junge Generation nach Jahren des gepflegten Westcoast Rock a la Eagles und Jackson Browne brauchte. Political Correctness hätte in diesem Umfeld Übelkeit erzeugt. Nach Back From Samoa kamen ein paar Konzerte und dann eine lange Pause, ehe die Bnd sich wieder zusammentat, aber die Energie und Wucht waren dahin. Back From Samoa gehört zu den besten seiner Art,
The Descendents
Milo Goes To College
(New
Alliance Rec., 1982)
Die kürzeste, treffendste Beschreibung dieses Albums, die ich gelesen habe? For the perpetual teenager within us all.... Die L.A. Band Descendents nahm alles vorweg, was ein paar Jahre später Bands wie Bad Religion oder Offspring richtig Geld einbrachte, sie sind die Buzzcocks Amerika's. Ihre Songs handeln von Mädchen, Nerds, Essen und Kaffee, sie verbinden Pop, Punk und Surf – und sind dabei völlig kindisch. Sie hatten – wie so viele Bands dieser Szene - schon '77 angefangen Musik zu machen, aber bis kurz vor den Aufnahmen zur Fat EP ('81) hatten sie weder ihren Sound noch den richtigen Sänger gefunden. Mit Milo Aukerman war ab da der richtige Mann dabei und die Band hatte ihren Stil gefunden. Zitat Aukerman: „...we started very melodic, then moved to hardcore, but melded the two at a certain point and became melodic hardcore.“ Mit ihrer Schnelligkeit, dieser fast hysterischen Energie (...unter Kaffee-Einfluss !!!), mit ihrer Virtuosität ohne jede Angeberei und ihrem Humor hatten sie schnell die Anerkennung der Hardcore-Szene – und mit Milo Goes to College ein weiteres Referenzalbum des US Punk und Power Pop. Die Songs sind kurz, meist unter zwei Minuten lang, aber langsamere Bands hätten aus diesen Songideen mindestens zwei 40-minütige Alben gemacht – Milo... ist nach knapp 23 Minuten vorbei... Eigentlich ein Konzeptalbum über die Kämpfe eines College Kids gegen Eltern, Mädchen, Lehrer und diese verdammten, über-stylischen, schwulen New Wave Kids. Nicht ganz zu unrecht wirft man den Texten eine gewisse homophobie vor – einerseits eine Haltung, die in Hardcore-Kreisen nicht selten war – andererseits scherten die Descendents sich eben einfach nie um political correctness. Zunächst jedenfalls blieben sie mit ihrer Musik ein Fall für die kleine Hardcore Gemeinde – ihre Ernte wurde erst ein paar Jahre später von anderen eingefahren – und Milo Aukerman ging tatsächlich ins College um Doktor der Biochemie zu werden, während sich der Rest der Band zunächst in alle Winde zerstreute – und dann drei Jahre später mit I Don't Want to Grow Up triumphal zurückzukehren.
Discharge
Hear Nothing See Nothing Say Nothing
(Clay,
1982)
Jetzt mal was Ernstes …? Aus England ? Bitte. Discharge entstanden ebenfalls im Jahr '77 – in Stoke-On-Trent im Kielwasser der Sex Pistols. Sie erspielten sich schnell eine Fangemeinde, brachten ab '80 Singles und EP's heraus, ehe sie '81 mit einer Viertelstündigen EP mit dem Titel Why ihre Art von Punk etablierten. (Why gibt es inzwischen als CD mit Bonusmaterial und sei auch empfohlen). Im Gegensatz zu den „klassischen“ Punks Großbritanniens haben sie einen harten, verzerrten, klar an Thrash Metal orientierten Sound, die Drums spielen immer den gleichen Beat, die Lyrics bestehen aus herausgebrüllten Parolen gegen Kapitalismus, für die Anarchie – und sie und ihre Fans und Adepten waren sich der Unterschiede sehr bewusst und nannten diesen Stil - nach der Band – D-Beat. Hear Nothing See Nothing Say Nothing ist Gußform und Höhepunkt des D-Beat, andere Bands wie Disrupt, Disfear, Disgust (fällt dir was auf..?) klingen genauso mit klitzekleinen Differenzen, die Konzerte und die Alben sind eher politisch/anarchistische Events bzw. akustische Pamphlete und so gesehen reicht dieses eine Album um D-Beat komplett zu verstehen. Die Lyrics des Titelsongs dieses Albums: “Lied to, threatened, cheated and deceived, hear nothing, see nothing, say nothing, led up garden paths and into blind alleys…”- das war's. Dazu wird ein Thrash-Riff, ständig wiederholt und Bass und Drums spielen wie ein ausser Kontrolle geratenes Uhrwerk. Textprobe von „Cries of Help“, dem Opener der zweiten LP-Seite: „Napalm tumbles from the sky, cries of help cries of pain, skin looking like bloody hardened meat...“ . Und wieder zwei thrashige Riffs und ein maschinenhafter Beat. Das könnte langweilig werden, aber die Energie ist beeindruckend und die Tracks rasen vorbei wie Lawinen. Und wenn man sich die politische Situation dieser Zeit mit drohendem Atomkrieg, nihilistischer Politik des Thatcher-Regimes etc vor Augen hält, dann ist diese Musik nur logisch – und man kann verstehen, dass etliche Bands ausserhalb der D-Beat Stilistik dieses Album extrem hoch einschätzen. Discharge allerdings bewegen sich bald immer mehr Richtung Metal – und werden dadurch langweiliger.
The Clash
Combat Rock
(CBS,
1982)
Ja, und jetzt werden alle Dogmatiker kotzen: „Was machen The Clash hier !!!? Die sind Mainstream“. Ja, es ist kein Hardcore, The Clash sind '82 auch lange schon kein „Punk“ mehr – oder vielleicht doch – sie sind (und waren schon immer) eine Rock'n'Roll Band mit breitem Stilspektrum und einem gewissen Ethos und Auftreten, das sie zum Hype '76 passen ließ, und sie haben mit den Pistols etc pp... etliche Bands der kommenden Generation Hardcore-Punk inspiriert und sie machen '82 dieses merkwürdige Album, das weit schlechter gemacht wird, als es ist – und das vielen Leuten gefallen dürfte, die Dead Kennedys oder die Descendents mögen. Combat Rock ist das Album mit den aus der Werbung bekannten Hits „Rock the Casbah“ und „Should I Stay or Should I Go“ - und deren Bekanntheit mag „un-punk“ sein, aber es sind großartige Songs, The Clash sind immer noch politisch wach, sie schreiben Hymnen wie „Know Your Rights“, sie verpacken ihre breiten stilistischen Einflüsse weit dosierter als auf dem viel zu großen, breiten, eklektizistischen Vorgänger Sandinista!, sie sind als Songwriter immer besser geworden – und beschränken sich auf Combat Rock auf zwölf Songs (Danke!) die geschrieenen Vocals von Joe Strummer sind Vorbild für Legionen von Hardcore-Shoutern, und viele Tracks hier haben mit Hardcore überhaupt Nichts zu tun – vor Allem wenn man dieses Album mit Hear Nothing See Nothing Say Nothing vergleicht. Aber ich bin kein Dogmatiker was Stil angeht, und der Erfolg des Albums wird mich auch nicht daran hindern es zu empfehlen, auch wenn es nicht an London Calling und das Debüt heranreicht. Rockmusik, Hits und etliche gelungene Tracks zwischen Punk, Reggae und Rock von einer Band, die den Hardcore des Jahres '82 stark beeinflusst hat. Eine Erholung nach all dem Tempo. Ein sehr gelungenes Album.
Zounds
The Curse of the Zounds!
(Rough
Trade, 1982)
Punk in England '77 hatte mit Virtuosität und musikalischer Finesse nichts am Hut. Es ging um Inhalte, um Rebellion, Spott, wütende oder zynische Kritik, er war die musikalische Manifestation einer Opposition, die mit etablierter Politik, Gesellschaft oder Musik nichts zu tun haben wollte. Zu den eindeutigsten Bands dieser Richtung gehörten Crass und deren Kumpels Zounds. Die waren ebenfalls '77 um den Gitarristen und Songwriter Steve Lake entstanden, hatten über Jahre bei Free-Festivals ihre anarchistischen Botschaften herausgeschrien, Cassetten und 7'' veröffentlicht und etliche Mitglieder verschlissen. '82 war es dann so weit und das erste Album The Curse of the Zounds! wurde aufgenommen. Die Musik hatte sich inzwischen von rohem, hartem Punk zur durchaus differenzierten Untermalung von Lake's eindeutigenTexten gewandelt. „Did he Jump“ erinnert musikalisch an psychedelische Exkursionen obskurer Sechziger-Bands, dazu formuliert Steve Lake naiv-deutlich seine Kritik an der Gesellschaft: “Who was that on the window ledge? Did he jump or was he pushed? He left a note which no one read in desperate hand the note just said: ‘Never turned my back on society – society turned its back on me. Never tried once to drop out, I just couldn't get in from the very start.’” Die Haltung dahinter ist fast idealistisch, nicht so zynisch wie die der Hardcore-Szene der USA, auch nicht am abgedrehten Spaß der Descendents orientiert – in England hatte Punk eine ernsthaftere, politischere Dimension. Dass Zounds zur Anarcho-Punk-Szene gezählt wurden, hat weit mehr mit den Inhalten als mit der Musik zu tun. Schneller Punk kommt hier nur als Option vor, die Musiker legen keinen Wert auf Virtuosität, die Botschaft ist wichtiger als die Form – und damit sind Zounds Kunst und zugleich irgendwie auch wieder Punk. Also – hier sollte man nicht Dead Kennedys oder Sex Pistols erwarten, es ist Protest-Musik aus dem Thatcher-England der Achtziger.
Charged G.B.H.
City Baby Attacked By Rats
(Clay,
1982)
Und jetzt wieder zurück zu einer Band, die auch der größte Blödmann als „Punk“ erkennen würde. Charged Grievous Bodily Harm (das heißt „verurteilt wegen schwerer Körperverletzung“) - oder einfach G.B.H. - hatten die übliche Irokesen-Frisuren und waren Ende der Siebziger zusammengekommen. Sie hatten mit ihrem rohen, an Discharge und Metal orientierten Sound Fans in einschlägigen Kreisen gefunden und waren dann '81 beim Discharge-Label Clay untergekommen, wo sie die famose 12“ EP Leather, Bristles, Studs and Acne veröffentlichten (… die mit ca 20 Minuten Länge in diesem Umfeld auch als LP durchgehen könnte...). Das dann folgende Album City Baby Attacked by Rats steht dem Klassiker Hear Nothing See Nothing Say Nothing in Konsequenz und Einfachheit in Nichts nach. Der Rhythmus ist der immer Gleiche, dazu schimpft Colin Abrahall in Thrash Metal Manier und die verzerrten Gitarren rasen. Aber G.B.H. sind tatsächlich etwas abwechslungsreicher als Discharge, ihre Texte sind nicht nur kurze Schlagzeilen, sondern regelrecht erzählerisch – in Ramones-Manier freilich, und ein Song wie „Sick Boy“ ist rasanter Hardcore mit mehr als einem Riff. Der Sound von G.B.H. ist noch näher am Metal, erinnert manchmal an Motörhead auf Speed – was dazu führte, dass City Baby Attacked by Rats in den Benelux-Ländern beim Metal Label Roadrunner veröffentlicht wurde – und dazu, dass sie bald von Dogmatikern als Verräter betrachtet wurden. Heute ist das egal – mir sowieso – das Album zeigt, was man mit Gitarren, Wut, Energie und Reduktion machen kann. Dass auch von dieser Band dieses Album (und die oben genannte EP) reicht, liegt sowohl am limitierten Soundkonzept als auch an der Tatsache, dass die Idee hinter diesem Hardcore-Punk schnell ausgelutscht war. G.B.H. wurden genau wie Discharge nicht besser. Beide Bands würden ihre Debütalben nicht mehr übertreffen, beide Male ist es britscher Hardcore, der locker die Klasse der US-Kollegen hat.
The Exploited
Troops of Tomorrow
(Roadrunner,
1982)
Und hier nun die Schotten von Exploited, die mit Discharge und G.B.H. Die unheilige Dreifaltigkeit des Brit-Punk '82 bilden. Auch sie haben die Sex Pistols als Teenager gehört, auch sie haben mit der etwas schwächeren Vorgänger LP Punks Not Dead und mit diversen Singles schon ihre Spuren hinterlassen... und sie sind mit Troops of Tomorrow der (kommerziell) erfolgreichtse Act dieser zweiten Punk-Welle, über die in der britischen Presse übrigens ein gewaltiger Topf Häme ausgegossen wird. Das Album schießt in den LP-Charts zwar auf Platz 17, aber sie gelten als Nachahmer, die höchstens ein paar Monate durchhalten, ihr Auftritt bei Top of the Pops ist ein größerer Skandal, als Alles, was bei den Pistols beklagt wurde, vielleicht weil sie eine alte „Schande“ wieder aufleben lassen. Und selbst damit tut man ihnen unrecht. Erstens: The Exploited existieren bis weit ins kommende Jahrtausend, Iro-Träger und Sänger Wattie Buchan ist eine Macht, ihr Sound hat etliche junge Thrash-Metal Bands in ihren Proberäumen nachgewiesenermaßen massiv beeinflusst, Der Song „UK 82“ wird später von Slayer und Ice-T für den Soundtrack zum Film Judgment Night gecovert und wegen der Rassenunruhen in LA in „US 92“ umbenannt, ihre Musik hat wunderbare Hymnen-Qualität, Lyrics wie "There's really nothing nice about the U.S.A./When you go to the hospital you've got to pay..." sind nicht nur bis heute aktuell, sie sind auch so plakativ wie bis heute zutreffend – aber egal – mit ihrem Auftritt im TV und mit ihrem kommerziellen Erfolg brachten sie einen Teil der „Szene“ gegen sich auf, was dazu führte, dass sie seitdem immer ein Crredibility-Problem haben werden. Mir egal. Dieses Album zwischen Punk und Thrash und das '90er Album Massacre sind objektiv großartig.
The Birthday Party
Junk Yard
(Gee
Bee Dee, 1982)
… and now for something completely different... Die Australier Birthday Party hatten mit Nick Cave eine spätere Berühmtheit als Sänger vorn stehen. Aber der Nick Cave der frühen Achtziger ist noch ein wirklich wilder Mann, dem man eher ein vorzeitiges Ende zutraut, als Ruhm und Anerkennung im Kulturbetrieb – und Junkyard, der Titel des dritten Albums seiner Band Birthday Party, ist äußerst treffend. Undenkbar, dass solch kaputte Musik heute noch vom schwarzen Mann zelebriert würde. Die Frage, ob das hier Punk oder gar Hardcore ist, erübrigt sich beim Anhören. Ich wüsste einfach nicht, was ich dazu sagen soll, aber ich stelle mit vor, dass ein Punk Junkyard hören mag, wenn er schlecht drauf ist. Die Birthday Party war nach ein paar Monaten in England wieder zurück in Australien, ihre Bassistin Tracy Pewkam wegen Fahrens unter Drogeneinfluss und diverser anderer Vergehen drei Monate im Knast, so dass sie sich Ex-Magazine Barry Adamson ins Studio holen mussten (der bald zu Nick Cave's neuer Band Bad Seeds gehören würde), alles war kaputt – aber ich habe den Eindruck, dass diese desolaten Zustände von Cave und seinem Songwriting-Partner Roland S. Howard als Inspiration... zumindest geschätzt wurden. Die meisten Songs wurden in Melbourne von Tony Cohen (der dann auch mit Cave weiter arbeiten würde...) dermaßen roh und müllhalden-artig produziert, dass man dahinter Absicht erkennen muss. Dazu hatten Cave und Howard Musik zwischen Punk, Blues, Psychose und Voodoo geschrieben, Cave hatte endgültig zu seiner Stimme gefunden – mal wie ein besessener Prediger klingend (das kann er heute noch), mal hysterisch kreischend (das spart er sich heute) – und immer wiedererkennbar. Und unter all dem Müll kann man mit etwas Mühe ausgefeilte Story-Songs erkennen – als Test höre man „Hamlet (Pow Pow Pow)“ und den Titelsong. Für mich klingt Junkyard nach American Gothic und nach Tom Waits mit massiver Punk-Entzündung. Anstrengend, aber lohnend. Und ob Hardcore-Leute das hören würden? Sie sollten,
The Misfits
Walk Among Us
(Ruby,
1982)
… zumal es ja in ihrem Kosmos die Misfits gibt. Die Band aud New Jersey gehören klar zur Punk- und Hardcore Szene und schafft eine ähnliche Atmosphäre wie Birthday Party. Ihre Ästhetik ist lediglich näher an 50ies-Trash und billigen Horrorfilmen, comichafter als die der Australier. Um das abzuhandeln: Auch die Misfits entstehen im Jahr '77, auch sie veröffentlichen vor diesem Debütalbum etliche Singles und EP's (die später wenig konsumentenfreundlich völlig unlogisch und durcheinander auf zwei Compilations verteilt werden...), 1982 sind sie schon fast „aufgebraucht“, Sänger Glen Danzig hat etliche Bandmitglieder verschlissen – aber er hat eben auch hervorragende Musik in den letzten vier Jahren fabriziert und das Album Walk Among Us ist der nächste Höhepunkt in der Diskoraphie der Band. Dafür nahm Danzig Aufnahmen aus dem letzten Jahr und versah sie mit neuem Gesangs- und Gitarrenspuren... aber wen interessiert dieser technische Kram. Es gab todescoole Punkhymnen mit bezeichnenden Titeln wie „I Turned Into a Martian“, „Vampira“, Night of the Living Dead“ und „Braineaters“, perfekt vom Titel bis zu den Singalong-Refrains, endlich Punk der sich nicht nur mit den Unbilden des Lebens befasste, der stattdessen – politisch immer auch unkorrekt - Alles über trashige Horrorstories ins Lächerliche zog. Man könnte die Misfits ganz zurecht als „Ramones from Hell“ bezeichnen, Glen Danzig hatte allerdings die bessere Stimme und war noch nicht der komische Muskelprotz späterer Solo-Jahre. Man muss sich den Live-Song „Mommy, Can I Go Out and Kill Tonight?“ anhören. Horror-Trash in Hardcore-Speed. Und die Idee von den „Astro Zombies“ ist genial. Walk Among Us (der Titel zitiert den Hoororfilm The Creature Walks Among Us...) gehört neben den ersten Alben der Cramps zu den Referenzwerken des Horror-Punk.
Flipper
Album: Generic Flipper
(Subterranean,
1982)