Montag, 30. September 2019

1991 – Death bis Benediction und Scott Burns – Der Tod fährt die Ernte ein, Teil 1 – UK und USA

Death Metal – ach ja – ich will diesen Lärm wieder und wieder anpreisen, den Krach, der sich zunächst so formlos und un-unterscheidbar über die Ohren seiner Hörer stülpt, der aber (wie so oft bei Musik, die mit „Noise“ arbeitet) bei genauem Hinhören erstaunlich brilliante Verzierungen innerhalb des Lärms erkennbar werden lässt – und der sich inzwischen in elitären Musiker-Kreisen trotz seiner scheinbar infantilen Themen und Covergestaltungen als ernst zu nehmende musikalische Revolte etabliert hat. Dieser DM hat sich seit den Mitt-Achtzigern von untergründigstem und verlacht bis gefürchtetem Getrümmer Anfang der Neunziger zu DEM bestimmenden Sub-Genre des Metal entwickelt. Die politische Unzufriedenheit der Jugend und die Lust am Schockieren dürften Grund genug für den Erfolg des Genre gewesen sein – nun sind die Bannerträger der Szene etabliert, machen ihr drittes oder viertes Album, auf dem sie nun ihre Ideen ausformulieren. Und ihre Nachfolger stehen in den Startlöchern, Side-Projects entstehen, die Mitglieder diverser Bands wechseln den Verein bzw. haben eigene Projekte am Start – und die Metal-Industrie in Form spezialisierter Labels wie Nuclear Blast, Peaceville, Earache veröffentlicht Death Metal Alben im Wochentakt - und trägt genau damit das Genre in den Augen vieler Fans zu Grabe. Tatsächlich gibt es 1991 etliche Bands, die ihre Vorbilder gnadenlos imitieren, sich mit wenig Talent an den Trend anhängen, oder aber den Death Metal frisch entdeckt haben und einfach noch ein paar Jahre brauchen, um sich zu entwickeln. Dem Metal-Hipster scheint 1991 der Beginn einer traurigen Inflation zu sein – er beginnt den Death Metal an sich zu dissen. Ich aber finde in diesem Jahr etliche Alben (mindestens das Debüt von Dismember – siehe Hauptartikel 1991), die Death Metal in all seiner Exzellenz und Klasse in interessanten Facetten widerspiegeln. Ich bemerke den Schritt Richtung jazziger, instrumentaler Vituosität, der sich in den Alben von Bands wie Atheist, Pestilence, Death oder Suffocation finden lässt, der auch die Grindcore-Pioniere Carcass nun in Richtung „normalen“ Death Metal's abbiegen lässt. Es gibt ein paar beeindruckende Debüt-Alben aus den USA, die 1991 tatsächlich zunächst im Wust der Veröffentlichungen untergehen – und ich höre in der Rückschau gleich drei ganze Hände voll definitiver DM-Klassiker. Es gibt durchaus auch Stagnation - auf hohem Niveau, aber es macht auf jeden Fall Spass, sich durch die unterschiedlichen Alben hindurch zu hören - wenn man – wie ich hier - die Unnötigen aussortiert hat... Also - nach dieser Einleitung die Beschreibungen lesen und die unvermeidliche Liste der besten Alben des Genre's – über die Jahre verteilt – weiter unten anschauen und ausprobieren. Vielleicht kommt sogar ein Nicht-Initiierter auf den Geschmack.

Death


Human

(Relativity, 1991)

Pioniere des Death Metal Pt.1: Death haben mit ihrem ersten Album Scream Bloody Gore 1987 das Genre begründet, das dann nach ihnen benannte wurde... (behaupten Fans...) Aber immerhin – Chuck Schuldiner's Band ist seit nunmehr vier Jahren mit ständig besseren Alben der Garant für die Weiterentwicklung eines Genre's, das sich von aussen betrachtet nur durch immer mehr Härte und die Steigerung von Provokationen auszuzeichnen scheint. Dass es eine Weiterentwicklung in Technik und im Songwriting gibt, kann man an diesem Album trefflich beobachten. Schuldiner soll ein unduldsamer Anführer gewesen sein, er hatte auf den bisherigen drei Alben etliche Musiker verschlissen und sich nach einer desaströsen Europa-Tour incl. abgebrochenen Konzerten und massiven Streitereien entschieden, seine Mitspieler nur noch anzumieten. Dass seinem Ruf die Besten der Besten folgten, ist wohl schon Hinweis genug auf seine Stellung in der Szene: Sean Reinert von Cynic an den Drums, Paul Masvidal - auch von Cynic - als zweiter Gitarrist, Steve DiGiorgio von Sadus am Bass: Das ist ein bisschen wie das klassische John Coltrane Quartet für Death Metal. Aber die Musik auf Human erfordert solche Könner. Schuldiner hatte alle Songs vorbereitet, und im April '91 ging es zu Scott Burns ins Morrisound Studio in Florida. Unter all den Death Metal Bands ihrer (und der kommenden) Zeit sind Death allein schon durch Schuldiner's harschen, an Thrash orientierten Gesang wiedererkennbar. Dazu hatte er eine einzigartig ästhetisch-komplexe Art, seine Gitarren-Soli aufzubauen und einen Kompositions-Stil entwickelt, der sich inzwischen vom Thrash weiter in Richtung (s)einer ganz eigenen Art von Death Metal mit Jazz- und Prog-Rock Einflüssen gewandelt hat. Die relativ eingängigen Tracks von Spiritual Healing aus dem Vorjahr sind zu halsbrecherisch komplexen Songs geworden, in denen ein Rhythmus-Wechsel den nächsten jagt, ohne dabei an Struktur zu verlieren. Immer wieder findet man als Hörer zurück in die Spur, kann den Song verfolgen, hat den Eindruck, dass Schuldiner seine Ideen zu kleinen Kraftpaketen kompromiert hat. Tatsächlich ist Human ökonomische 34 Minuten lang – und keine Minute ist verschwendet. So bleiben die Songs in all ihrer Härte und Komplexität immer unter der 5-Minuten Marke. Dazu kommen intelligente Lyrics, nicht mehr nur Gore und Splatter, sondern Introspektion und Reflektion sind jetzt angesagt. Songs wie „Flattening of Emotion“ und „Lack of Comprehension“ brechen nicht nur thematisch mit den Klischees des Death Metal. Man kann fragen, ob Human überhaupt noch Death Metal ist – ich finde, dieses „Projekt“ spielt ab jetzt in seiner eigenen Kategorie (was man nebenbei schon an den nun nicht mehr von Ed Repka gestalteten Plattencovern sieht). Dass dieses Quartett nicht zusammen blieb, ist schade, hat der Entwicklung von Death aber nicht geschadet...


Morbid Angel


Blessed Are The Sick

(Earache, 1991)

Pioniere des Death Metal Pt.2: Und damit zum DM, wie man ihn kennen mag... Morbid Angel haben mit ihrem Debüt Altars of Madness den Standard gesetzt – mit einem der Klassiker, der so klassisch ist, dass ich ihn unter die wichtigsten Alben 1989 gestellt habe - mit einem Album, das den Boom um Death Metal auslöste und entsprechend erfogreich war. Aber dann brauchen Morbid Angel drei Jahre, um den Nachfolger fertig zu stellen – wodurch Blessed Are the Sick zu einem der meist-erwarteten Album des Jahres wurde. Und wie das dann oft ist – allen Erwartungen konnte dieses Album nicht gerecht werden. Die neuen Songs sind komplexer geworden, Trey Azagthoth's Gitarren-Soli ist nun noch abstrakter und chaotischer, Dave Vincent's Stimme growlt inzwischen schön boshaft in noch tieferen Tiefen, sein Bass und Steve Sandoval's Drums spielen enorm komplexe Rhythmen, die Band hat neben Mid-Tempo und Blast-Beat Parts nun auch Doom-Passagen eingebaut, Morbid Angel haben ihr finsteres Image gepflegt, insbesondere Dave Vincent hat sich mit provokanten Äusserungen und „satanistischen“ Lyrics schön exponiert (...auch da verschieben sich allerdings in den kommenden Jahren die Grenzen des Geschmacks) – und ihre ausdrückliche und hörbare „Evilness“ garantiert ihnen einen Platz in den Plattensammlungen junger Black Metal Anhänger. Durch die Weiterentwicklungen in Sound und technischen Fähigkeiten bekommt man das volle Programm, durch Doom und ein paar akustische Passagen wird das Album abwechslungsreich, und weil die Band vier erprobte Tracks vom '87er Demo neu aufgenommen hat, gibt es auch befriedigend straightes Material. Man kann beklagen, dass ein „Hit“ wie „Chapel of Ghouls“ fehlt – aber Hits und Death Metal...? Und es gibt Kritiker, die die größere Komplexität beklagen, andererseits aber auch zu wenig Weiterentwicklung sehen. Ich denke Blessed... ist der logische nächste Schritt nach Altars... Nicht mehr revolutionär, aber Death Metal auf hohem Niveau. Dass Tracks wie „Thy Kingdom Come“ oder „The Ancient Ones“ mit ihrem Tempo und mit aberwitzigen Gitarren-Leads den Standard des Debüt's halten, kann man erwarten – sie stammen vom Demo. Und mit dem Doom von „Blessed Are the Sick/Leading the Rats“ betreten Morbid Angel immerhin Neuland. Blessed Are the Sick ist der kleine Bruder des Debüt-Albums.


Autopsy


Mental Funeral

(Peaceville, 1991)

Der nächste Pionier: Autopsy um den ehemaligen Death-Drummer Chris Reifert hatten mit ihrem Debüt Severed Survival ('89) die Ecke des Death Metal besetzt, die mit Ekel provoziert. Ihr schmieriger Sound - basslastig und roh wie Gehacktes - sowie die herausgerülpsten Gore- und Splatter-Texte von Drummer/“Sänger“ Chris Reifert machen sie sofort zu einer der wiedererkennbaren Bands der Szene. Das sind immerhin Stilmittel, die inzwischen auch gerne von Anderen verwendet wurden – aber Reifert war ein cleverer Songwriter, die Tatsache, dass Autopsy mit Mental Funeral nicht den Versuch machten, sich in progressive bzw. technisch zu anspruchsvolle Gefilde zu bewegen, muss man ihnen inzwischen hoch anrechnen. Reifert ging auf sein Ziel, den „sickest shit imaginable“ zu erschaffen mit Hilfe einer etwas verbesserten Produktion und einer leichten Verbeugung Richtung Doom los. Doom wiederum passt gut zu Tracks wie dem Opener „Twisted Mass of Burned Decay“. Wie genau Autopsy ihren Sound hinbekommen haben, ist eine Untersuchung wert: Das Gerumpel von Bass und Drums, die tiefer gestimmten Gitarren, melodische Leads und Reifert's Gerülpse waren alleine schon unnachahmlich, dass er immer neue Ideen aus den Leichenhaufen zog, dass Songs wie „Robbing the Grave“, oder „Hole in the Head“ sogar als Ohrwürmer taugen, macht Mental Funeral noch einmal wertvoller. Ein knapp 38 minütiges akustisches Äquivalent zu einem Slasher-Film kann kein Fehler sein, wenn es so abwechslungsreich ist. Und der Minimalismus von Tracks wie „Dead“ - mit dem Text „dead/stiff and cold/in your box/to decay/dead“ hat schlicht Stil, so wie das großartige Album-Cover von Comic-Zeichner Kev Walker (der bald u.a. auch für Marvel arbeitet und deren Marvel Zombies Reihe zeichnet...). Mental Funeral ist ein weiterer Beweis dafür, dass '91 ein gutes Jahr ist.


Carcass


Necroticicsm - Descanting the Insalubrious

(Earache, 1991)

Pioniere. Pt. 4: Die höllischen Pathologen von Carcass nähern sich dem Death Metal von der anderen Seite: Sie haben mit den beiden vorherigen Alben Reek of Putefraction und Symphonies of Sickness die eitrige Seite des Grindcore definiert, mit ihrem dritten Album gehen sie nun in Richtung Death Metal. Ich denke, kommerzielle Erwägungen spielen dabei keine große Rolle – ihr brutaler Leichenteil-Grindcore war wohl genauso erfolgsversprechend wie der thematisch ähnlich besetzte, nunmehr glasklar produzierte Death Metal. Die drei Ur-Carcasse, Gitarrist Bill Steer, Basist Jeff Walker und Drummer Ken Owen haben sich den Gitarristen Michael Amott von den Schweden Carnage geholt – der aus seinem melodiseligen Schweden-Death Metal Umfeld vielleicht ein bisschen Freundlichkeit mitbringt. Aber in einem Punkt muss man keine Sorge haben, die Texte gehen immer noch weit über die Grenze des Geschmacks: Menschen, die zu Dünger werden, die an Tiere verfüttert werden, die man zu Kleber zum wegschnüffeln verarbeitet, deren Reste zu Musikinstrumenten verarbeitet werden – Das Medizin-Lexikon war wieder Inspirationsquelle. Nur die Musik ist nun nicht mehr völliger Überfall, es gibt Songstrukturen, die aus blutigem Nebel auftauchen, ein Track wie „Pedigree Butchery“ vereint die Lawinen des Grindcore mit regelrecht melodischen Mid-Tempo-Death Metal Passagen. Und damit wird noch deutlicher erkennbar, was man nur mit Mühe aus dem kaputten Debüt heraushören konnte: Carcass haben neben immenser Kraft, blutbespritztem Humor und technischer Raffinesse auch noch (Death Metal) Hit-Song-Potential. Auf dem folgenden '93er Album Heartwork würde das noch deutlicher werden, Necroticism – Descanting the Insalubrious ist ein Album des Überganges, und es wurde von konservativen Grindcore-Liebhabern vermutlich als Verrat an Idealen angesehen. Dabei ist es nur das Dokument einer logischen Fortentwicklung – die gehässigen Stimmen von Steer/Walker sind mit verständlichen Lyrics irgendwie fast schön und Grind/Death Tracks wie „Carneous Cacoffiny“ bersten trotz gedrosseltem Tempo vor Kraft. Auch Carcass sind nicht mehr revolutionär, aber sie haben Stil, auch wenn der sich gewandelt hat.



Massacre


From Beyond

(Relativity, 1991)



Und Pioniere, Pt.5: Mit Massacre und From Beyond haben wir ein ganz typisches Florida-Death Metal Album – von einer Band, die eng verbunden ist mit Chuck Schuldiner's Death. Massacre existierten - mit Unterbrechungen - seit 1984(!), aber nachdem der Death-Mastermind - nach gemeinsamen Touren und den Aufnahmen zu den Death Alben Leprosy und Spiritual Healing – die ihm nützlichen Massacre-Bestandteile wieder in die Wüste geschickt hatte, baute die Band endlich ihr eigenes Debüt zusammen. Dereinst gegründet vom Drummer Bill Andrews, der sich mit Bassist Terry Butler, Sänger Kam Lee und Gitarrist Rick Rozz zusammentat, haben diese Vier Death Metal mindestens mit-erfunden - was bedeutet, dass die Songs von From Beyond teils über sechs Jahre alt sind. Der Conaisseur hört das heraus: Death Metal ist von Thrash beeinflusst, und dessen Strukturen erkennt man deutlich beim Titeltrack oder bei Tracks wie „Dawn of Eternity“ und „Cryptic Remains“, der Gesang allerdings ist eindeutig Death Metal – Kam Lee growlt aus tiefster Kehle – und die chaotischen Gitarrensoli und der stürmische Rhythmus ist Old School Death Metal – allerdings noch ohne die inzwischen angesagte technischen Sperenzchen. Die Produktion ist standesgerecht sauber, massiv und kraftvoll – auch auf From Beyond hat Scott Burns aus den Morrisound-Studios seine Hände im Spiel, dazu kommt das DM-typische Cover-Design von Ed Repka – Monster vor rosa Hintergrund – mit dem From Beyond alle (...fast zu viele) Klischees erfüllt. In dieser Zeit des DM-Overkills fiel das Album trotz der Verbindung zum Zugpferd Death daher weniger auf, als verdient. Inzwischen – spätestens seit sich etliche junge Bands wieder am Old School Death Metal versuchen - zeigt sich seine zeitlose Qualität.


Immolation


Dawn of Possession

(R/C, 1991)

Wie schon zur Genüge erwähnt: Seit ca. 1990 nehmen die entsprechend spezialisierten Labels junge Death Metal Formationen im Dutzend unter Vertrag. Es reicht ein halbwegs erfolgreiches Demo-Tape (Bandcamp oder Soundcloud gab es noch nicht...), und schon bekommt die Band den ersehnten Vertrag incl. Versprechen, den gleichen Erfolg wie Death oder Morbid Angel zu haben. In der entstandenen Masse die Perlen zu erkennen, ist mein Bestreben. Hier folgen nun drei '91er Debüt-Alben von US-Bands, die den test of time bestanden haben.. Da sind zum Beispiel die New Yorker Immolation. Die hießen zunächst Rigor Mortis, mussten sich aber wegen der gleichnamigen texanischen Band umbenennen und spielen ihre Version des ganz harten Metal – um ihnen kein Unrecht zu tun – schon seit 1988, sind also nicht auf den Trend-Zug aufgesprungen. Ihr Debüt Dawn of Possession hat etliche überzeugende Eigenschaften: Immolation sind möglicherweise von Morbid Angel beeinflusst (...wer klingt 1991 nicht so...), aber ihre blasphemischen Texte werden vom Bassisten/Sänger Ross Dolan aus noch tieferen Tiefen hervor-gegrunzt, und die Gitarren-Arbeit von Robert Vigna ist ausserordentlich eigenständig und effektiv. Da gibt es typisch „chaotische“ Soli, aber auch melodische Parts von dunkler Schönheit. Dass das Gegrunze von Dolan rhythmisch in die teils recht komplexe Struktur der Tracks eingepasst ist, ist eines der willkommenen eigenständigen Merkmale bei Immolation (Bestes Beispiel dafür: „Those Left Behind“). Man merkt, dass die Band schon lange zusammen spielt, Dawn of Possession klingt nicht wie das Album eines Newcomers, und dass Immolation für die Aufnahmen in die Musiclab Studios/Berlin fuhren, um mit Harris Johns aufzunehmen, war auch eine kluge Entscheidung. Der Morrisound-Sound war in diesen Tagen so allgegenwärtig, dass es langweilen konnte. Songs wie „No Forgiveness (Without Bloodshed)“ oder der Titeltrack sind für Death Metal sehr eigenständig, ich muss aber auch zugeben, dass man dieses (und etliche anderen Alben hier) genauer und mehrmals hören muss, um die Unterschiede zu erkennen. Und das kann für genre-fremde Hörer ermüdend sein. Da mag der Hinweis den Appetit anregen, dass die namhafte New Yorker Village Voice dieses Album unter die „Top 20 New York Hardcore and Metal Albums of All Time“ gewählt hat. Und ich weise gerne darauf hin, dass Immolation in der Folge etliche hervorragende Nachfolger erschufen.


Suffocation


Effigy Of The Forgotten

(Roadrunner, 1991)

Um den Ball aufzunehmen: Die New Yorker Village Voice hat auch Effigy of the Forgotten - das Debüt der New Yorker Suffocation - unter die „Top 20 New York Hardcore and Metal Albums of All Time“ gewählt. Und auch mit diesem Album wird die Aufteilung des Death Metal in einzelne Sub-Genre's fortgesetzt: Suffocation werden von Fachleuten dem sog. „Brutal Death Metal“ zugerechnet und man kann die Bezeichnung verstehen, wenn man ihren Death Metal hört. Schon bei diesem Debüt-Album (nach den üblichen Demo's und einer mark-erschütternden EP) ist zu erkennen, dass hier mit enormer Kraft, brutaler Konsequenz und instrumentaler Kompetenz zu Werke gegangen wird. Die fünf Musiker um den Gitarristen Terence Hobbs widmen Effigy of the Forgotten dem dieses Jahr bei einem Autounfall umgekommenen Bassisten Roger Patterson von den Kollegen Atheist (siehe weiter unten), aber besonders nachdenklich klingen sie dabei nicht: Growler Frank Mullen's Vocals eröffnen eine neue Katgorie des gutturalen Gurgelns, Drummer Mike Smith hämmert maschinenhafte Rhythmen im Grindcore Tempo ein. Dass Lead-Gitarrist Hobbs und sein Rhythmus-Gitarrist Doug Cerrito perfekt zusammenarbeiten, erkennt man erst bei genauerem Durchhören des rasenden Stakkatos's. Einziges Manko hier: Auch Effigy.. wurde von Scott Burns produziert, und ich denke, die Sorgfalt hat in der Masse seiner Jobs in diesem Jahr gelitten. Das Album klingt dumpfer, als es sollte. Immerhin kann man dennoch erkennen, dass hier wieder eine Band antrat, die „Härte“ des Death Metal um ein paar Grade zu erhöhen. Es gibt keine instrumentalen Interludes, keine Mid-Tempo Passagen, keinen Moment Ruhe. Es gibt nur Brutal und Brutaler. Dass diese fünf Musiker diese Brutalität mit höchster technischer Präzision ausübten, hat ganze Heerscharen von jungen Bands beeinflusst. Und auch hier gelten meine Worte: Man muss genau hinhören, um Songs wie „Infecting the Crypts“ schätzen zu lernen. Dem „normalen“ Hörgenuss steht der dauerhafte Lärmpegel zweifellos im Wege, aber wenn ich mir das Album konzentriert anhöre, erkenne ich die Differenziertheit dieser Tracks. Die damalige Presse war dem Album gegenüber sehr ungnädig, der Underground allerdings überschlug sich vor Begeisterung. Letzterer hatte (wie immer) recht. Übrigens: Wie bei den meisten Death Metal Alben gilt – die LP ist der CD vorzuziehen, das Umdrehen des Vinyl's ist eine willkommene Unterbrechung. Auch Suffocation hatten noch mehr in Petto: Mit dem Nachfolger Breeding the Spawn halten sie das Niveau und mit Pierced from Within liefern sie 1995 den definitiven Klassiker des Brutal Death Metal.



Malevolent Creation


The Ten Commandments

(Roadrunner, 1991)

Die '87 in Buffalo/TX entstandene Death/Thrash Band Malevolent Creation ist so etwas wie meine persönliche Lieblings-Band im Zwischenreich dieser beiden Metal-Genre's. Sie sind tatsächlich bis heute (2019) aktiv, hatten die üblichen Schwächephasen, haben aber auch immer wieder echte Meisterleistungen geliefert – und ich denke, ihr Debüt The Ten Commandments sowie der Nachfolger Retribution können ohne Abstriche neben Klassikern von Slayer und Obituary bestehen – womit ich sie in ein Koordinatensystem gestellt habe, in dem sich jeder Metal-Geek zurecht finden dürfte. Sie hatten – wie Immolation und Suffocation – nur das Problem, in einem inzwischen stark überfüllten Regal zu stehen. Das mag der Grund sein, aus dem sie nicht den gleichen Stellenwert haben, wie andere Florida DM-Acts. Dort war die Band inzwischen ansässig, dort wurde The Ten Commandments in den seinerzeit überfüllten Morrisound Studios vom allgegenwärtigen Scott Burns aufgenommen – immerhin sauberer als die Kollegen von Suffocation. Ein weiterer Grund für ihren vergleichsweise geringeren Erfolg ist ganz sicher ihre deutlich erkennbare Thrash-Vergangenheit. Sänger Brett Hoffamnn ist hier definitiv noch kein „DM-Growler“, er hat einen Gesangsstil, der an Thrash Shouter - bzw. an Dave Vincent zu Zeiten von Altars of Madness - erinnert. Dadurch bleiben die Texte um Gewalt, Tod und Religion tatsächlich verständlich. Und so klingt ein Song wie „Premature Burial“ eher nach Slayer auf Acid als nach Morbid Angel. Die Blast-Beats und Phil Fasciana's Riffs und Soli wiederum sind deutlich Death Metal, genau wie das Design des Albums mit dem schönen Cover von Dan Seagrave. Der Reiz von The Ten Commandment liegt somit darin, dass es genau in der Schnittmenge zwischen Thrash und Death steht – und dass es der Band dabei gelingt, beide Seiten zu befriedigen – denn Tracks wie „Sacrificial Annihilation“ sind weder Slayer Rip Off's noch biedern sie sich an den DM-Trend an. Ihre Position zwischen den Stühlen hat mir immer gefallen, und dass die Songs auf diesem Album und dem fast noch besseren Nachfolger Retribution so kraftvoll und gut gemacht sind, macht Malevolent Creation für mich zu einer der spannendsten Bands ihrer Generation. Beeindruckend.


Atheist


Unquestionable Presence

(Metal Blade, 1991)

Man sollte sich die Alben hier wirklich in der Reighenfolge zu Gemüte führen, in der ich sie beschreibe... hör' dir nach Malevolent Creation mal Atheist an - wieder eine dieser Pionier-Bands. Sie haben 1984 noch als R.A.V.A.G.E. (...heisst Raging Atheists Vowing A Gory End) komplexen Thrash/Death gespielt. Nach Namensverkürzung und Vertrags-Querelen war ihr schon '88 aufgenommenes Debüt Piece of Time im Jahre '90 dann eines der ersten Technical Death Metal Alben. Mit ihrer komplexen Variante der damals „brutalsten“ denkbaren Musik waren sie Chuck Schuldiner und Death somit um einige Zeit voraus. Man kann sich fragen, ob Unquestionable Presence noch richtiger Death Metal oder „nur noch“ extrem harter Prog-Rock ist. Kelly Shaefer's Gesang ist sicher ähnlich harsch wie der von Chuck Schuldiner. Die Gitarren-Leads teilt er sich mit Rand Burkey, seinem ebenfalls enorm fähigen Kollegen - der sicher auch etliche JazzRock Gitarristen kennt. Das Rhythmus-Gespann aus Steve Flynn und Tony Choy ist so präsent, wie bei kaum einem anderen Album in diesem Artikel. Der eigentliche Bassist der Band – Roger Patterson – hatte schon alle Bass-Parts für Unquestionable Presence geschrieben, bevor er bei einem Tour-Bus Unfall ums Leben kam. Sein Nachfolger spielte die Parts getreulich (und fähig) für ihn ein – und es mag sein, dass aus Respekt vor Patterson auf diesen Teil der Musik besonders geachtet wurde. Jedenfalls tut die deutliche Kenntlichkeit der Rhythmus-Arbeit Tracks, wie dem ungeheuer komplexen Album-Closer „And the Psychic Saw“, gut - unterscheidet das Album von der kompletten Konkurrenz. Und ich vermute der unvermeidliche Scott Burns im Morrisound Studio (...ja, auch hier...) gab sich ebenfalls besonders viel Mühe. Dass (wie bei Human von Death) die Track-Länge ökonomische fünf Minuten nie überschreitet, macht auch hier den Konsum zusätzlich angenehm. Dass Songs wie „Mother Man“ oder „Enthralled in Essence“ Ideen und Rhythmuswechsel für mehrere Alben organisch miteinander verbinden, zeigt die enorme Klasse von Atheist. Leider zerbrach die Band nach der folgenden Tour. Pattersons Verlust war wohl doch nicht zu verschmerzen. Zwar gab es noch ein drittes Album, aber MIR gefiel es nicht so – auch wenn es ebenfalls gelungenen Technical Death Metal bietet.


Scott Burns und Morrisound


Ein – wie man hier lesen kann – entscheidender Faktor im US-Death Metal zu Beginn der Neunziger ist die inzwischen deutlich verbesserte Produktion der zuvor oft dumpf und schlecht produzierten Alben. Entscheidend für den inzwischen professionellen Sound der vor Allem in Florida sehr regen DM-Szene ist der Produzent Scott Burns. Der war Mitte der Achtziger live-PA-Mann bei Massacre (siehe oben) und Obituary. Seine Leistungen fielen auf, und das '81 in Tampa, Florida gegründete Studio der Brüder Jim und Tom Morris verpflichtete ihn als Produzent – mit dem Spezialgebiet Death Metal. In den Jahren zwischen '89 und '94 muss der Mann an die 100 Alben produziert haben – und gerade '91 war er wahrscheinlich rund um die Uhr beschäftigt. Er hatte einige deutlich erkennbare Markenzeichen auf seinen Alben – wobei Burns durchaus in der Lage war, zu variieren. Ein äußerst präsenter Bass, ein gerne klinisch reiner Sound (kein Muss – siehe bzw. höre Suffocation's Debüt), gern genommene komplexe Strukturen... Sein Produktions-Stil bzw. seine Kenntnisse scheint den Plattenfirmen ein Garant für Erfolg gewesen zu sein. Dass er mindestens 50 % der als anerkannten DM Klassiker produziert hat, bestätigt dies. Aber bald waren Hörer und Kritiker des angeblich immer gleichen Sounds überdrüssig. Insbesondere Black Metal Bands begannen ihn mit Spott und Häme zu überschütten, nannten den typischen Florida DM-Sound kommerziell – was ganz übel ist – und Burns, der als Fan in diesen Job eingestiegen war, hatte bald die Nase voll. Seine Worte vor dem Ende seiner Arbeit als Produzent im Jahr 1998: „I think it's over, finished, done. There are no good new bands, the stealing is shameless, four or five bands will survive the rest will disappear.“ Er hat nicht recht behalten - und er hat auch noch hier und da Bands produziert (Obituary im Jahr 2005) – aber als Produzent ist er Geschichte und arbeitet heute als Programmierer. Ich danke ihm für etliche wunderbare Alben von: Death, Obituary, Masscre, Suffocation, Malevolent Creation, Atheist, Pestilence, Sepultura, Napalm Death, you name it...


Bolt Thrower


War Master

(Earache, 1991)

...und weiter mit den Pionieren des Death Metal: Die '86 gegründeten Bolt Thrower sind '88 mit einem fiesen Grindcore-Album gestartet, haben zusammen mit Napalm Death und Carcass den Underground aufgewühlt, bis dieser Schlamm in den Indie Charts landete, haben DJ John Peel ebenso beeindruckt wie ihre Kollegen, aber ihr Lärm war von Fantasy und vom Krieg in all seinen hässlichen Aspekten beeinflusst, nicht eklig wie bei Carcass oder politisch wie bei Napalm Death und sie haben vom ersten Album an neben den Crust-Punk Bestandteilen auch schon Death Metal Klischees bedient. Inzwischen sind sie mit ihrem dritten Album stilistisch eindeutig unter den DM Bundesligisten gelandet. War Master ist in seiner Gestaltung wieder an die Warhammer-Tabletop-Spiele angelehnt, die Themen der völlig unverständlich gegrunzten Texte sind Krieg und Vernichtung – und das tolle an Bolt Thrower ist – sie klingen auch genau so. Logisch und Death Metal-typisch mögen die tiefer gestimmte Gitarren ja sein, aber das Growling von Karl Willetts ist wieder etwas tiefer gerutscht und vor Allem das Rhythmus-Gewitter, das Drummer Andy Whale und Bassistin Jo Bench erzeugen, klingt so unnachahmlich, so nach Kanonendonner, wie es sonst keine Band hin bekommt. Songs wie der Klassiker „Cenotaph“ mögen sich nur im mittleren Tempo bewegen – aber die vielbeschworene „Härte“ der Tracks auf War Hammer ist kaum zu überbieten. Bolt Thrower mögen ihre sympathischen Punk-Wurzeln entfernt haben, aber eigenständig sind sie im Meer der alten und neuen Death Metal Bands immer noch – und sie sind auch eine der Bands, die Zeit ihrer Existenz (bis 2016) kein wirklich schwaches Album gemacht haben, dafür mit dem 2005er Album Those Once Loyal einen der ganz großen Klassiker hinterlassen haben. Und ihr Geheimnis? Neben Style wieder einmal die auch im Death Metal nicht unwichtige Fähigkeit, „Songs“ zu schreiben...



Benediction


The Grand Leveller

(Nuclear Blast, 1991)

Als letztes Album in diesem 1. Teil meines Death Metal-Kapitels für 1991 eine weitere britische Band: auch Benediction spielen ihren Death Metal auf altmodische Weise. Die Band aus Birmingham vermeidet allzu große technische Anstrengungen und ergeht sich – genau wie Bolt Thrower - nicht in solistischen Scharmützeln, sondern spielt hart, rauh und brutal. 1990 hatten sie ihr Debüt Subconscious Terror (das ich als etwas zu durchschnittlich empfunden habe...) noch mit Barney Greenway am Mikro eingespielt – der wechselte aber bald zu Napalm Death (und blieb dort so lange Zeit, dass man ihn inzwischen mit dieser Band gleichsetzt), als Ersatz wurde Dave Ingram geholt, der sich in Punkto finsterem Growlen ohne Probleme mit Greenway messen lassen konnte (...Ingram wechselte 1998 zu Bolt Thrower – alles Inzest im Death Metal – und Bolt Thrower's Karl Willetts growlt auf diesem Album als Gast mit...) und auch Benediction hatten in diesen Jahren des DM-Überflusses ihre beste Phase. The Grand Leveller ist ein gutes Beispiel für Old School Death Metal in klischee-hafter Ausführung. Die Riffs sind massiv, ansprechend finster, der Rhythmus donnert voran, die Gitarren-Soli sind im Vergleich zu den abgedrehten Jazz-Spielereien der US-Kollegen Death, Atheist oder Morbid Angel eher schlicht, dafür harmonieren die beiden Gitarristen Peter Rewinski und Darren Brookes aber sehr schön, auch die Songs bleiben einfach, keine dauernden Tempo-Wechsel, dafür ein stetiges voranpreschen. Anscheinend hatten britische Bands nicht vor, den Schritt Richtung klarer Produktion und komplexer Strukturen zu machen – die Punk-Wurzeln des britischen Death Metal mögen dem entgegen gestanden haben. „Jumping at Shadows“, Graveworm“ und „Born in a Fever“ sind gelungene Songs, die in ihrer stoischen Wucht beeindrucken – aber auch ein bisschen simpel sind. The Grand Leveller verliert dadurch möglicherweise im Vergleich mit Unquestionable Presence oder Human, denn: Benediction sind eine Old School Death Metal Band – nicht mehr, nicht weniger. Diesem Album mag der Lauf der Zeit weniger gut getan haben, als manchen etwas weiter aus der Masse herausragenden Alben dieser Phase des Death Metal. Aber wer wissen will, wie diese Musik in ihrer reinen Form klingen soll, der höre sich dieses Album an – und den Nachfolger Transcend the Rubicon gleich dazu. Der ist Benediction's Sternstunde.


Death Metal – die wichtigsten Alben

Jetzt noch ein Post Scriptum für alle, die Geschmack gefunden haben oder ihn schon immer hatten: 1991 bricht, wie hier oben gesagt, die Welle des Death-Metal. Die Menge an Alben ist inflationär, ein einzelner Artikel würde die üblichen Grenzen sprengen – und das widerspricht meinem Prinzip der Übersichtlichkeit. Daher teile ich diesesThema in zwei Artikel auf. (Siehe 1991 – Pestilence bisMaster's Hammer – Der Tod fährt die Ernte ein, Teil 2 – Europa) Die auf Thrash und Death Metal spezialisierten Plattenfirmen hatten in dieser Zeit Dollar-Zeichen in den Augen – und Gier ist ein starker Antrieb (ins Unglück) Ab jetzt kommt wirklich Revolutionäres in diesem speziellen Genre nur noch in größeren Abständen -was aber nicht heisst, dass es nach '91 keine wirklich tollen DM-Bands oder Alben geben wird. Also werde ich nun die meiner Meinung nach 10 besten Alben aufzählen, die es in den Jahren VOR '91 gibt – und dann die Ergänzung mit 20 Alben NACH '91 machen. Das kann man als beliebige Zäsur in der Entwicklung eines Genre's diskutieren – aber ich begründe das mit der Beobachtung, dass nach '91 erst einmal die Anzahl an „puren“ Death Metal-Alben sinkt, statt dessen der Black Metal sein angemaltes Haupt erhebt, dieser bald auch mit anderen Einflüssen (Jazz, Punk, Hardcore) in den DM einfließt - was wohlgemerkt (!) eine Bereicherung ist - denn: Death Metal ist (von Beginn an bis heute) beeinflusst von Thrash und hat ab Anfang der Neunziger selber etliche Mikro-Genre's hervorgebracht. Er selber hat natürlich Black Metal mit beeinflusst und spielt mit seinem Sound, seiner Kraft, seinen technischen Finessen und seinen Bildern bei vielen jungen Musikern und Bands bis in die Jetzt-Zeit eine wichtige Rolle .... So tauchen in der Ergänzungs-Liste der wichtigen DM-Alben ab '92 auch Alben auf, die man durchaus dem Black Metal zuordnen könnte, bzw. die von denjenigen, die da Unterschiede machen, einem der Mikro-Genre's (Technical Death Metal, Brutal Death Metal, Melodic Death Metal...) zugerechnet werden. Ich würde jedem, der diese Art von Musik kennenlernen will, zusätzlich die weiter unten genannten 20 Alben, verteilt über die Jahrzehnte, empfehlen:


Possessed – Seven Churches (1985)

Death – Scream Bloody Gore (1987)

Pestilence – Consuming Impulse (1988)

Morbid Angel – Altars of Madness (1989)

Entombed – Left Hand Path (1990)

Obituary – Cause of Death (1990)

Dismember – Like an Everflowing Stream (1991)

Nocturnus – The Key (1991)

Autopsy – Mental Funeral (1991)

Atheist – Unquestionable Presence (1991)


- und ab 1991...


Incantation – Onward to Golgatha (1992)

Demilich – Nespithe (1993)

Cynic – Focus (1993)

Molested – Blod-Draum (1994)

Death – Symbolic (1995)

Suffocation – Pieced from Within (1995)

At the Gates – Slaughter of the Soul (19915)

Cryptopsy – None So Vile (1996)

Edge of Sanity – Crimson (1996)

Gorguts – Obscura (1998)


Immolation – Close to a World Below (2000)

The Chasm – Procession to the Infraworld (2000)

Immolation – Unholy Cult (2002)

Bolt Thrower – Those Once Loyal (2005)

Portal – Outre (2007)

Dead Congregation – Graves of the Archangels (2008)

Gorguts – Colored Sands (2013)

Behemoth – The Satanist (2014)

Tchornobog - s/t (2017)

Tomb Mold – Planetary Clairvoyance (2019)


und so könnte ich weitermachen. Denn immer noch fehlt womöglich... weitere Alben von Death, irgendwas von Asphyx, Einzeltäter wie Demilich oder modernen Meistern wie Gojira oder Ulcerate – und die Bands, die Grindcore spielen, habe ich auch noch aussen vor gelassen, weil sie ein eigenes Kapitel bekommen haben – siehe 1988 – Carcass, Napalm Death, Bolt Thrower - Grindcore und sein Höhepunkt -. Das passiert, wenn man tiefer in die Materie einsteigt. Bei Thrash Metal, Black Metal etc sieht es schließlich genauso aus.


Freitag, 6. September 2019

2013 – Klima-Katastrophen, Snowdens Verrat und blutiger Islam – The Knife bis Run the Jewels

Die Weltpolitik wird von den Nachbeben des arabischen Frühlings geprägt. Die islamischen Ländern rund ums Mittelmeer kommen nicht zur Ruhe: Die Einen wollen Demokratie und Freiheit in der Hoffnung auf Wohlstand, die anderen wollen ein strenges, islamisch geprägtes Gesellschaftssystem – aber letztlich wollen alle nur an die Macht. In Syrien herrscht weiterhin Bürgerkrieg zwischen dem Machthaber Assad und etlichen Gruppierungen von erz-islamisch bis halbwegs demokratisch und in Ägypten wird der gewählte Präsident vom Militär abgesetzt, weil er nach der Wahl die Demokratie quasi ausser Kraft setzen will. Derweil kriseln in Europa weiterhin die Volkswirtschaften, und die Spar- und Konzern-Politik der (insbesondere deutschen) Regierungen und der EU Politiker führt zu Massen-Arbeitslosigkeit, -Armut und -Protesten. Die Saat für Extremismus sowohl von Rechts als auch von Links wird weiter ordentlich gedüngt. Der US-Geheimdienst-Mitarbeiter Edward Snowden macht die hemmungslosen Überwachungs-Methoden der NSA publik und wird dafür vom eigenen Rechtssystem mit dem Tode bedroht - weshalb er aus den USA flieht. Und was macht das Wetter? Die Klimakatastrophe ist in vollem Gange – mit einem Taifun in Süd-Ost Asien mit 5.500 Toten, diversen Hurricane's in den USA, Unwettern incl. Überschwemmungen und Rekord-Temperaturspitzen in Europa. Slayer Gitarrist Jeff Hannemann stirbt an den Nachwirkungen eines Spinnenbisses, die intellektuelle Rock-Institution, Ex Velvet Underground Leader und New Yorker, Lou Reed stirbt – etwas gewöhnlicher – an Krebs. Es gibt in diesem Jahr ein paar Comebacks, die sogar erwähnenswerte Musik hervorbringen: My Bloody Valentine's drittes Album nach 17 Jahren, Mazzy Star, Daft Punk, David Bowie's 24. Album. Ein paar neue Post-Punk Bands wie die zu Recht gehypten Savages, wundervolle elektronische Musik aus allen Ecken, dasselbe gilt für HipHop, Metal, die junge (Julia Holter), mittlere (Bill Callahan, John Grant) und alte (Nick Cave, Richard Thompson, Linda Thompson, Roy Harper) Generation der Singer/Songwriter – wirklich neu ist wenig, gute Alben gibt es zuhauf, derweil genieße ich den Trend zurück zur LP. Zugleich gibt es alles irgendwo zum 'runterladen oder streamen und Musik scheint für Viele nur Soundtapete passend zur Einrichtung zu sein, bar jeder tieferen Bedeutung - aber kein Wunder – wenn die Stars hohle Blender sind wie Justin Timberlake (den ich einfach nicht mag, egal ob Andere ihn hip finden), oder die ach so wilden Landjunker Mumford & Sons, oder das kalkulierte Irgendwas von Bruno Mars oder der Schmalz von One Direction... Egal, egal, egal. Immerhin gibt es auch klugen Pop von Lorde - und auch Beyonce's neues Produkt findet Gnade vor meinen Augen!!

 

The Knife


Shaking the Habitual

(Brille, 2013)

Im  Hauptartikel 2006 habe ich das letzte Album der Geschwister Karin und Olof Dreijer gelobt. Silent Shout bot eine moderne Form des Synth-Pop, ideenreich, stilvoll, teils fast unverschämt eingängig, ohne banal zu sein. Aber inzwischen sind sieben Jahre vergangen, die beiden Musiker wollen offensichtlich nicht mehr kommerziell und gefällig sein. In den letzten Jahren hatten beide sich mit dem grassierenden Neo-Liberalismus in Gesellschaft und (Musik)-Industrie befasst, hatten die Gender Philosophin Judith Butler oder die femistische Autorin Jeanette Winterson studiert und beschlossen nun Musik zu machen, die kompromissloser und thematisch eindeutiger war, als Alles zuvor. So wurde Shaking the Habitual zum Monster: Zwei CD's/drei LP's mit 90+ Minuten elektronischer Popmusik, Industrial, Techno, Drone und Noise, getragen von Karin Dreijers charakteristischer Stimme, vollgepackt mit Sound-Ideen, die sich an thematischen Notwendigkeiten, nicht an Radio-Freundlichkeit, orientieren. Der Opener „Tooth for an Eye“ ist noch ein relativ sanfter Einstieg, mit leicht verfremdeten Vocals und Fahrrad-Speichen-Percussion, beim folgenden 9-minütigen „Full of Fire“ verwandelt Karin Dreijer's Stimme sich in technoides Kratzen und die Beats steigern sich von kühlem Techno in eiskalten Industrial. Mit „a Cherry on Top“ einen Hybrid aus Post Punk und Coldwave, aus Siouxie und rumpeldem Bass folgen zu lassen, ist mindestens mutig. Und es kommt noch härter: Am Ende der ersten CD muss man durch 19 Minuten Drone mit dem Titel „Old Dreams Waiting to Be Realized“ - basierend auf einem Zitat der Feministin und Journalistin Nina Björk. Das Interessante ist, dass sich unter all dem Noise immer wieder eine gewisse Sanftheit – vielleicht sogar Melodie-Seligkeit verbirgt. „Without You My Life Would be Boring“ etwa ist dramatisch, verstörend und zugleich schlicht „schön“. Und wenn man dann in die zweite CD mit Tribal-Drums und Björk/Kate Bush-haftem Gesang in die neun Minuten von „Raging Lung“ eingestiegen ist, dann ist man dem Album verfallen. Ich verstehe durchaus dass Manchem Shaking the Habitual zu viel/zu anstrengend ist, aber wenn Musik mehr sein soll, als bloße Klangtapete, dann wird sie manchmal auch fordernd. Zumal man hier intelligente Inhalte geboten bekommt. Das Cover ist in seiner anstrengenden Zwei-Farbigkeit ein fairer Hinweis auf den Inhalt. Dass dazu ein Comic mit dem Titel „End Extreme Wealth“ geliefert wird, macht das Ganze nur noch besser. Für mich DAS Album 2013. Im folgenden Jahr lösten The Knife sich (leider) auf.


Jon Hopkins


Immunity

(Domino, 2013)

Wie man sieht – elektronische Musik (dieser Begriff... du weisst was ich meine...) ist einfach in all ihren Facetten die Musik, in der seit Jahren die spannendsten Entwicklungen und die besten Alben entstehen: Auch 2013 gibt es von The Knife (siehe oben), Boards of Canada (Tomorrow's Harvest) oder Autechre (Exai) Musik, die beeindruckt. Und auch der Brite Jon Hopkins macht seit dem Beginn der 2000er zuverlässig großartige Alben Dass Bian Eno mit ihm kollaborierte, könnte man als eine Art Ritterschlag bezeichnen - und es verweist auf Hopkins' organischen Ansatz. Sein Zugang zur Musik ist romantisch, sein individueller Umgang mit Sounds und Beats hat den mir sympathischen Vorteil der Wiedererkennbarkeit – er baut „Songs“ zusammen, die seine Sprache sprechen. Nach diversen gelungenen Alben legt er 2013 mit Immunity nun sein Meisterstück vor. Die zwei Jahre zuvor mit dem schottischen Folk-Erneurer King Creosote gemachte Folktronica würde auf die falsche Spur führen - passt zwar zu einem der puren Schönheit verpflichteten Ansatz, ist aber in den Dance- und Techno-Beats von Immunity nur noch in Spuren wiederzufinden. So hat „Breathe This Air“ Passagen, in denen ein fast überirdisch schönes Piano das Kommando übernimmt, aber aus dem Off schieben sich verzerrte straighte Beats über die wenigen Akkorde. Das gewaltige „Collider“ bekommt seine Spannung durch seltsam verschobene Rhythmen – und hat ein weiteres Mal eine majästetische ambiente Melodie. Immunity verbindet das beste aus den Welten Club und Chill-Out Zone, die Beats reichen von tief-dunkel bis euphorisch. Alltags-Geräusche, Thom Yorke-artige Stimmen bei „Sun Harmonics“, über den Wolken schwebende Romantik bei „Abandon Window“ - Hopkins findet immer neue Wendungen und Immunity könnte durch diesen Facetten-Reichtum beliebig werden – aber Hopkins' Art zu komponieren, sein Stil (den er hier in allen Bereichen ausformuliert) hält das Album zusammen. Der ist einfach groß in Form. Wunderschöne Musik.



Lorde

Pure Heroine

(Universal, 2013)

Die Neuseeländer Ella Marija Lani Yelich-O’Connor aka Lorde ist gerade 17 Jahre alt, als sie ihr erstes Album Pure Heroine veröffentlicht, sie bekam schon mit 13 einen Vertrag bei Universal, hatte ihren ersten Erfolg 2012 mit einer EP incl. der Single „Royals“, die dann auch auf ihr erstes Album gepackt wird. Der offenbar programmierte Erfolg basiert – ganz zeitgemäß – auf Youtube-Videos und Millionen Klicks auf diversen Streaming-Plattformen... So weit, so verachtenswert. Allerdings ist Pure Heroine meiner Meinung nach tatsächlich eines der besten Pop-Alben seiner Zeit, egal wie vorausgeplant Produkt und Erfolg sein mögen. Lorde hat eine erstaunliche Stimme, jung, aber zugleich altklug, immer ein bisschen verschnupft und heiser und sehr wiedererkennbar. Sie hat sich ein Image verpasst, das nichts mit den oft uniformen, cleanen und leeren R&B-Pop-Sternchen incl. Mode-Linie + expliziter Tanz-Choreografie zu tun hat. Sie ist den YOLO Lifestyle offenbar leid, zu dem man gesagt bekommt, wie man am besten Party macht. Statt dessen tanzt sie auf der Bühne – na ja – wie eine introvertierte 17-jährige, beobachtet in ihren intelligenten Texten sehr genau die Langeweile, die Ängste und die Absurditäten im Leben eines Teenagers. Und all das zu Songs, die sich als erfreulich haltbar erwiesen haben: Besagten Hit „Royals“, die Nachfolger „Tennis Court“, und „Team“ sind allesamt intelligent, eingängig und eigenständig. Tatsächlich ist auf dem Album kein wirklich schwacher Song, alles ist mit viel Liebe zum Detail ausformuliert, Die Produktion ist phänomenal - minimalistisch irgendwo zwischen Dance-Pop, Art Pop und R&B, Man fühlt sich (nicht nur im Cover Design...) an The xx erinnert, allerdings ohne deren hermetischen Indie-Hintergrund. Ich kann nur spekulieren, ob Pure Heroine die Halbwertzeit hat, die es über einen langen Zeitraum interessant bleiben lässt – aber Lorde hat sich in der Zwischenzeit mit dem von ihr zusammengestellten Soundtrack zum Blockbuster Die Tribute von Panem: Mockingjay Part 1 und mit dem eigenen Nachfolge-Album immerhin als dauerhafte Kraft etabliert. Dieses minimalistische, intellektuell durchdachte Debüt ist fast perfekt.


My Bloodey Valentine


m b v

(MBV, 2013)

My Bloody Valentine gehören natürlich zu den Veteranen. Das 30 Jahre zuvor in Dublin um den Gitarristen und Sänger Kevin Shields entstandene Quartett suchte sich einen Slasher- Film als Namen aus, machte ein erstes, inzwischen vergessenes Album, unterzeichneten beim krediblen Indie Creation Records und definierte mit den beiden Alben Isn't Anything ('88) und Loveless ('91), sowie mit diversen formidablen EP's einen ganzen Stil. Dieser „Shoegaze“ genannte Noise-Pop basiert auf infernalischen Gitarren-Rückkopplungen, tief im Mix vergrabenem Gesang und süßesten Pop-Melodien, war ein paar kurze Jahre hip - und wurde dann in Grund und Boden gehasst. Jahre vergingen, man hörte gerüchteweise von neuen Zusammenarbeiten, 2007 kam es zur Live-Reunion und 2013 war es soweit: Mit m b v erschien das dritte Album der inzwischen zur Legende gewordenen Band. Natürlich vergleicht man (so die alten Alben bekannt sind), natürlich befürchtet man, dass ein Aufguss die Legende beschädigt – aber immerhin lassen diverse junge Bands seit der Jahrtausendwende Shoegaze wieder aufleben, es gibt hippe Trends wie Blackgaze (Shoegaze mit Black Metal) – und m b v ist schlicht um Vieles besser gelungen, als man es befürchten musste. Die wellenförmigen Gitarren-Kaskaden sind geblieben (und für viele Hörer neu...) die Songs haben die Klasse alter Tage (was ein Lob ist...), und Kevin Shields hat in der Zwischenzeit weiter Musik gehört, er lässt hier und da Dance-Beats aus den Wellen auftauchen, das von Bassistin Bilinda Butcher gesungene „If I Am“ hat einen feinen Massive Attack-Vibe, ist richtig sexy, der Opener „She Found Now“ wiederum ist der „härteste“ Track, den MBV je zustande brachten und „New You“ ist einer dieser (fast) tanzbaren Tracks. Natürlich finden manche Fundamentalisten m b v unnötig, aber wäre das Album kurz nach Loveless erschienen, so gälte es als weiterer Klassiker der Band und dieses Stils. m b v ist nicht revolutionär wie Isn't Anything, nicht überwältigend wie Loveless – aber es ist eine langersehnte Fortsetzung oder sogar Erneuerung, und für Neulinge eine stilvolle, sehr eigene Mischung aus Dance, IDM und fast vergessenem Gitarren-Noise.


Nick Cave & the Bad Seeds


Push the Sky Away

(Mute, 2013)

Mag ja sein, dass Nick Cave 2013 als restlos altmodisch durchgeht, ich kann dennoch nicht umhin, ihm hier Platz zu gewähren. Push the Sky Away ist das 15. Studio-Album der Bad Seeds - das ca. 20te Studio-Album von und mit Nick Cave im Fahrersitz – und es ist wieder einmal von bestechender Klasse. Dass Cave sich vom wilden Mann des Punk ca 1980 zum Elder Statesman der Singer/Songwritern gewandelt hat, sollte bekannt sein, er hält seit Jahren das Niveau verlässlich hoch, hat inzwischen einen Platz in der „Hochkultur“ mit Soundtracks, als Literat, als Stil-Ikone. Und immer noch macht er beeindruckende Musik, schreibt fantastische Songs und Texte. Für das Album traf sich die Band in einem Studio in Frankreich. Erstmals war Gründungsmitglied Mick Harvey nicht dabei, Cave hatte ein paar rudimentäre Ideen dabei – und die Band musste beweisen, dass sie auch in ihrer neuen Zusammensetzung funktioniert. Die Bad Seeds spielen natürlich auch ohne Harvey mit traumwandlerischer Sicherheit, sie sind so etwas wie Neil Young's Crazy Horse für die Generation Punk, ihre rohe Kraft hatte unter dem Aderlass nicht im geringsten gelitten. Push The Sky Away hat keine der sonst bei Cave üblichen großen Singles, kein „Red Right Hand“, kein „Dig, Lazarus, Dig!!!“ - dafür ist mit „Jubilee Street“ einer von Cave's schönsten Songs dabei. Es beginnt minimalistisch, nur ein simples Drum-Pattern und eine schlichte Gitarrenmelodie – und steigert sich in ein psychedelisches Delirium, zu dem Cave mit drohender Stimme deklamiert: “I got a foetus… on a leash! I am alone now. I am beyond recriminations. The curtains are shut, the furniture is gone. I’m transforming. I’m vibrating. I’m glowing. I’m flying… look at me now.” Wie die Band und Cave in diesen Malstrom absteigen, ist bewundernswert. Cave scheint Spaß an seinem patentierten Songwriting zu haben, er ist mit seiner Kombination aus Texten, wiedererkennbaren Songstrukturen und rasant polternder Band einzigartig. Der Punkt bei Push the Sky Away ist, dass es wie aus einem Guss wirkt. Die Qualität der Songs bleibt bei allem Abwechslungsreichtum durchgehend hoch, Cave scheint in sich selbst zu ruhen – vermutlich tut ihm das Zweit-Prokekt Grinderman gut, bei dem er seine härtere Seite ausleben kann – wobei ein Song wie „We Real Cool“ mit grummelnden Bass mindestens so zum Fürchten ist, wie die Gewaltausbrüche mit Grinderman. Nick Cave und die Bad Seeds haben sich den Status der Klassiker verdient und sie haben Spaß daran.


Julia Holter

Loud City Songs

(Domino, 2013)

2013 ist in meiner Wahrnehmung ein weiterer Höhepunkt in der Entwicklung des Singer/Songwriter-Genrs – einer, in dem dieses Genres in etlichen Ecken wundervoll ausgeleuchtet wird. Idealerweise ist die Musik, die man mit diesem Genre zuordnet, individuell, innovativ, interessant - persönlicher Ausdruck der Kreativität eines/einer Künstler/in. So haben wir hier die studierte Komponistin Julia Holter, die genau das seit einigen Jahren mit Klasse und steigender Erfolgskurve praktiziert. Sie hat nach dem Studium am California Institute of Arts ein paar home-recorded Alben produziert, hatte mit den vorherigen, konzeptuellen Alben Tragedy (2011) und Ekstasis (2012) Staub aufgewühlt und nahm nun erstmals in einem richtigen Studio mit Gastmusikern und einem Produzenten (Cole M. Greif-Neill – Grammy Gewinner mit Beck, Snoop Dogg etc..) ihre Loud City Songs auf. Julia Holter arbeitet auch hier auf der Basis eines durchdachten, vielleicht sogar etwas verkopften Konzeptes. Aber der theoretische Unterbau ist keineswegs aufdringlich, er gibt Sinn und überdeckt nicht die Schönheit der Musik – und „schön“ ist dieses Album in der Tat. Es ist beeindruckend, wie avantgardistisch ihre Musik ist, und wie nahbar die Tracks zugleich bleiben. Holter arbeitet mit Free Jazz Elementen, sie baut komplexe Songstrukturen zusammen, die zugleich nachvollziehbar bleiben, an jeder Ecke warten Überraschungen – und die sind meist angenehmer Art, ohne banal zu werden. Holter wird mit Kate Bush, Laurie Anderson oder Grouper verglichen – aber diese Vergleiche sind nur Annäherungen – ihre eigene Stimme bleibt überdeutlich. Dass Loud City Songs auf dem 1958er Musical Gigi basiert, sowie auf Holters eigenen Erfahrungen, auf den Erwartungen und dem mitunter klaustrophobischen Lärm ihrer Mitmenschen, gibt den Songs eine Basis, die – wenn man sie kennt – das Album auf eine willkommene zusätzliche Ebene hebt. Tracks wie „Maxims I“ und „Maxims II“, die Single „World“ oder das Cover des 63er Soul-Songs „Hello Stranger“ haben exakt die Atmosphäre, die zur Basis-Story von Gigi passt. Das junge Mädchen, dass scheinbar ziellos durch die Stadt und die Gesellschaft wandert - aber doch genau weiss, wo es hin will. Mir kommt ein vergessener David Lynch-Film mit Julee Cruise-Soundtrack in den Sinn. Loud City Songs ist ein ambitioniertes, wunderbar bildhaftes Album (dessen Album-Cover sehr passend fotografiert ist...).


Savages


Silence Yourself

(Matador, 2013)

Silence Yourself ist zweifellos einer der Hypes der Saison – was dieses Album natürlich abqualifizieren könnte. Ich denke aber, dass der Hype hier (wie bei Lorde...) berechtigt ist. Da wurde insbesondere in den „etablierten“ Medien von der Kraft dieser all female Band geschwärmt, von ihren formidablen Live Auftritten ihrer konsequenten Haltung, ihren Songs und Singles. Da gab es im Vorjahr mit der Live-EP I Am Here einen Teaser, der Appetit auf Mehr machte mit genau den beschriebenen Qualitäten: Kraft, Wucht, Songs und Haltung - und das Debüt Silence Yourself hielt dann tatsächlich alle Versprechen... und das wiederum brachte einige Glaubwürdigkeits-Apostel dazu, der Band einen gemanagten Masterplan zu unterstellen. Nun – mich interessiert das nicht - ich höre Silence Yourself unvoreinegnommen und stelle fest: Savages ruhen fest in der Ästhetik des Post-Punk, Vorbilder sind leicht zu erkennen – Der Gesang gemahnt an PJ Harvey und Siouxie, der Sound ist an Joy Division, Magazine, Chameleons und andere Koryphäen der frühen Achtziger angelehnt – aber grundsätzlich gilt – Savages haben genug eigenen Charakter, um sich zu unterscheiden. Sich an Vorbilder anzulehnen ist weder falsch noch vermeidbar. Talk Talk haben schließlich auch Miles Davis und Can belehnt. Die Wucht all der Tracks hier ist wahrlich beeindruckend, das Songwriting groß, wäre Silence Yourself ca. 1980 erschienen, so hätte es heute den Stellenwert von Klassikern wie Gang of Four's Entertainment oder Joy Division's Unknown Pleasures. Das selbstbewusst-femistische Auftreten der vier Musikerinnen und die Produktion des Albums allerdings sind klar 2013, Songs wie der Opener „Shut Up“ mit spoken word Intro und Sirenen-Gitarren, die formidable Single „Husbands“ oder „City's Full“ mit rollendem Bass sind in meinen Ohren großer Post-Punk, egal ob modern oder nicht. Ich denke mir – diese Musikerinnen sind Mitte der Achtziger geboren, sie haben ihre Vorbilder bei diversen Gelegenheiten deutlich genannt – und das Produkt ihrer Kreativität besteht problemlos neben den klassischen Vorbildern. Und das Schöne dabei ist (mit den Worten von Anthony Fantano – Internet's busiest music nerd): „You dont need a bachelors degree in post punk to enjoy or get this record"


Deafheaven


Sunbather

(Deathwish, 2013)

Im Leit-Kapitel zum Jahr 2013 streitet sich dieses Album täglich mit Colored Sands von Gorguts um den Platz des besten Albums mit „harter Musik“... und oft gewinnen Gorguts. Aber dann stelle ich Sunbather doch lieber hier hin, weil Deafheaven in terms of Innovation um eine ganze Kreuzeslänge vor den Technical Death Metallern aus Kanada liegen. Da ist allein schon ein Cover-Design, das eher an elektronische Musik oder Post-Punk erinnert, als die im Black Metal üblichen grau-schwarzen Fotografien oder düsteren Mittelalter-Motive zu verwenden. Da ist ein Album-Titel, der gewiss keine BM-Klischees bedient. Nicht nur aus diesen Gründen meiden Puristen der Szene Deafheaven wie der Teufel das Weihwasser. Die Kalifornier nutzen für ihre Musik prägnante Elemente des Black Metal: Sänger George Clarke kreischt sehr unheilig – aber er spielt auch ein prominentes Piano, die Gitarrenwände von Kerry McCoy sind massiv – aber auch durchscheinend wie Eisblöcke aus einem Gletscher, klingen nach gehärtetem Shoegaze, so wie die Drums von Daniel Tracy für BM trotz massiver Blast-Beats viel zu abwechslungsreich sind, die Melodien von Tracks wie „Dream House“ oder „Sunbather“ bei weitem zu erkennbar, zu süß klingen. Deafheaven haben eindeutig an Post-Rock gedacht, stille Passagen verleihen dem Titeltrack eine Dynamik, die im klassischen Black Metal undenkbar, gar verachtenswert wären. Der Hass, der Deafheaven aus BM-Kreisen entgegenschlug, liegt darin begründet, dass sie sich einiger Elemente des Black Metal bedient haben, und so von Nichts-Ahnenden Journalisten in diese dunkle Kiste gesperrt wurden. Dass die Musiker selber sich nachweislich sowohl an härtestem Metal wie auch an Post-Punk, Post-Rock und Pop delektieren, wird dem etwas genauer Zuhörenden schnell deutlich. Wer sich als BM-Fremder mit dem Kreisch-Gesang anfreunden kann, wird ein mitunter überwältigendes, fast „schönes“ Album entdecken. Sunbather ist melodischer Post-Rock mit Black Metal-Gesang – man sagt auch Blackgaze dazu, die richtige Musik für Freunde von Alcest (deren Neige hier übrigens mitmacht...). Also: Sunbather ist ein zielgruppen-orientiertes Album – man muß nur der richtigen Zielgruppe angehören.


Dennis Johnson


November (R. Andrew Lee)

(Irritable Hedgehog, 2013)

Meine Interesse an Minimal Music dürfte nicht überraschen, wenn man etwa in meinem Hauptartikel 2002 über den damals erschienenen ersten Teil von William Basinski's Disintegration Loops liest. Immer wieder gibt es begeisternde Beispiele für diese „Kunst“ - Alben, die mit Rockmusik nicht das Geringste zu tun haben, die auf theoretischer Arbeit fußen und wie Klanginstallationen anmuten, denen die Kurzweile von Pop abgeht. Das sind dann oft Alben, die vielleicht als wegweisend gelten, die aber selten gehört werden und kommerziell kaum eine Rolle spielen. Nun - bei meiner Auswahl der wichtigsten Alben eines Jahres ist Kommerzialität kein Kriterium. So erscheint im Jahr 2013 mit der 4-CD Box November das vergessene Vorbild für das namhaftere Well Tuned Piano von La Monte Young. Der Komponist Dennis Johnson - an der UCLA befreundet mit Young und mit ihm und Terry Jennings Begründer der Minimal Music - hatte das 5-stündige Stück Musik 1959 komponiert, es 1962 zum Teil auf Cassette aufgenommen, sich ein paar Jahre später dann aber komplett von der Musik verabschiedet um als namhafter Mathematiker und Forscher Karriere zu machen. Seine Komposition existierte jahrelang nur als Fragment auf besagter Cassette, wurde aber in den Neunzigern von La Monte Young an den Musikwissenschaftler Kyle Gann übergeben, der die Arbeit rekonstruierte und 2013 vom Klassik- und Minimal – Spezialisten R. Andrew Lee einspielen ließ. La Monte Young wollte wohl der Tatsache Gerechtigkeit zollen, dass er sich fünf Jahre später von dieser Musik zu seinen Well Tuned Piano-Kompositionen hatte inspirieren lassen. Interessant finde ich, dass Johnson's November deutlich erkennbare „mathematische“ Strukturen hat – was aber mitnichten bedeutet, dass hier rein akademische, verkopfte Musik gespielt wird – diese Komposition, das buchstäblich 54 Jahre lang verloren war, ist so kraftvoll, so „unendlich“, wie es für Musik überhaupt möglich sein kann. November ist der Versuch, das Universums in seinen Bewegungen musiklisch darzustellenn. Man hört Schönheit und ihr Vergehen, mit ihren ruhigen, melancholischen und repetitiven Motiven ist November für mich Musik in einer ultimativen Form.


Run the Jewels


s/t

(Fool's Gold, 2013)

Das „beste HipHop-Album“ für 2013 auszuwählen fiel mir nicht schwer. Das Projekt Run the Jewels besteht mit dem Rapper Killer Mike und dem Produzenten und Rapper El-P schon mal aus zwei Schwergewichten (...die ganz nebenbei für mich Kanye West und sein 2013er Album Yeezus von der Waage schieben). Dass ihr Debüt dann tatsächlich ohne Filler über ökonomische 33 Minuten die Spannung hoch hält, ist Grund genug für seine exponierte Stellung in meinem Buch. Natürlich kommt die Tatsache hinzu, dass es sound- und produktions-technisch auf der Höhe der Zeit ist. El-P und Killer Mike brennen, im Vorjahr haben beide schon jeweils unter eigenem Namen große Leistungen geliefert: El-P's Cancer 4 Cure und Killer Mike's R.A.P. Music sind die von El-P produzierten Vorläufer zu Run the Jewels, nach einer gemeinsamen Tour wurde die Zusammenarbeit der beiden in einem eigenen Projekt beschlossen, den Namen für diese Rap Supergroup entnahmen sie einem Song von LL Cool J, das Ergebnis wurde zunächst als digitaler Download in Netz gestellt, bekam den erhofften Zuspruch und wurde schnell als DAS HipHop Album 2013 erkannt (von Denen, die nach Innovation und Intelligenz suchen). Dass Run the Jewels mit wenigen Gast-Beiträgen auskommt, mag als Indiz für seine Klasse gelesen werden. El-P ist ein meisterhafter Produzent, Killer Mike hat sich mit seinem Southern Drawl als einer der großen Rapper seiner Generation erwiesen, wird nicht zu Unrecht mit Ice Cube verglichen, die bedrohliche Atmosphäre die der immer etwas paranoide El-P hier erschafft, hat einen eigenen, bislang unerhörten Charakter, Sounds und Beats sind einfallsreich und innovativ, beiden ist es gelungen Dub-Step, Dancefloor und prototypischen HipHop zu verbinden. Tracks wie das leicht absurde „Sea Legs“, das hoffnungslose "DDFH" (Akronym für Do Dope, Fuck Hope) sind finster und spannend, sogar der möglicherweise schwächste Track „No Come Down“ ist so perfekt produziert, hat so fantastische Raps von beiden Seiten, dass andere darum ein ganzes Album bauen würden. Die Tatsache, dass Run the Jewels mit (bis dato) zwei weiteren Alben den Standard mindestens gehalten haben, ist die letzte Bestätigung für dieses Debüt. Jeder mag sich seinen Favoriten heraussuchen, ich liebe No.1 weil es so fokussiert ist. Run the Jewels 2 (2014) und Run the Jewels 3 (2016) sind willkommene Ergänzungen – haben vielleicht nur den Nachteil, dass sie nicht mehr so sehr überraschen, wie dieses Debüt. Ein Klassiker für kommende Zeiten..