Montag, 11. Juli 2016

1966 - Zappa bis Simon & Garfunkle - Tom Wilson, der unbekannte Produzent

Der junge Tom Wilson hatte sich nach Abschluss eines Wirtschafts-Studiums zunächst einen Namen als Produzent von progressiven Jazzmusikern der Mitt-Fünfziger bis Sechziger gemacht. John Coltrane, Cecil Taylor und insbesondere Sun Ra wurden von ihm protegiert und produziert und auf dem eigenen Label veröffentlicht – welches dann leider den Bach runter ging. Er arbeitete danach für Verve und Columbia, wo er zunächst das Duo Art Garfunkle und Paul Simon dazu brachte, doch weiter gemeinsam Musik zu machen (siehe unten...). Er produzierte Dylan bis zum Album Bringing it All Back Home (und den Übersong „Like a Rolling Stone“ vom Folgealbum) und half ihm dabei, seinen Folk zu elektrifizieren, um dann bald für mehrere Alben mit Frank Zappa zusammenzuarbeiten und dann in den folgenden Jahren die beiden ersten Alben von Velvet Underground zu überwachen. Allein das macht ihn schon zu einem DER Produzenten der Sechziger. Und dass er als Afro-Amerikaner die absolute Ausnahme in diesem Business war, sollte man auch noch beachten. Er produzierte auch noch Nico's Debut, das sträflich unter-bewertete Album Wonder Where I'm Bound von Dion, das Debut von Soft Machine und Eric Burdon's beste Alben der Sechziger . Man sagt, er habe in vielen Fällen nicht so sehr produziert, als eher die Bands ermutigt, das zu spielen, was ihnen passt um sich selber derweil mit schönen Frauen zu beschäftigen. Allerdings muß er auch Einfluss auf die Musik gehabt haben, denn Eines ist den meisten Alben seiner Discographie gemeinsam: Innovationskraft und Abenteuerlust. Leider wurde er nie ernsthaft interviewt, Produzenten waren damals nicht Pop genug. Wilson starb 1978 – so sind nur Berichte aus zweiter Hand erhalten – und die Musik die er beeinflusst hat – hier unten nun – nicht chronologisch übrigens – vier Beispiele aus 1966...

Frank Zappa

Freak Out


(Verve, 1966)

Tom Wilson hatte gerade Bob Dylan's Song „Like a Rolling Stone“ produziert, als er als nächsten Job das Debut einer Gruppe aus LA zu betreuen hatte, die er selber - als weisse Blues Band eingeordnet – seinen Vorgesetzten bei MGM schmackhaft gemacht und unter Vertrag genommen hatte. Der Song, der ihm zu dieser Einschätzung verholfen hatte, hieß „Trouble Every Day“, thematisierte die „Watts Riots“ vom Vorjahr und kulminierte in der Erkenntnis: „I'm not black / but there's a whole lots of times / I wish I could say I'm not white“ - eine Haltung, die zu jener Zeit nicht nur eine komplette Außenseiterposition war, sondern Wilson als Afro-Amerikaner im WASP-dominierten Musikgeschäft naturgemäß besonders aufhorchen ließ. Nach der ersten Session mit der Doo-Wop Reminiszenz „Any Way the Wind Blows“ und vor allem der Acid-Drone Dystopie „Who Are the Brain Police ?“ revidierte Wilson seine Einschätzung: Angeblich war er nun auch von der Musik so beeindruckt, dass er aus seinen Chefs ein unbegrenztes Budget herausholte, um das Monster zu beenden“ (Schöne Zeiten, als so etwas möglich war) Musikalisch wirkt Freak Out in seiner Mischung aus souveräner, an 50ies Pop, Jazz und neuer Musik geschulter Kompositionskunst und Drone, Tape, Echo und Noise-Experimenten unerhört zeitgemäß – und bis heute zeitlos. Stücke wie die Improv-Noise- mit-funky-Drummer-Collage „The Return of the Son of Monster Magnet (Nach dem sich diese eine Band benennen sollte) klingen auch heute wie der Traum der „Wire“ Redaktion. Leider sollte Zappa über die Jahre diese Abenteuerlust durch Virtuosität ersetzen. Man bemerkt hier jedenfalls die R&B Wurzeln seiner ehemaligen Cover-Band und es sollte für lange Zeit das letzte Album sein, das man als Rockmusik bezeichnen konnte. Zappa sah sich '66 noch als Teil der später von ihm verspotteten Gegenkultur – der Begriff „Freak“ ist noch positiv besetzt. Freak Out ist Zappa noch im Rock Koordinatensystem – er sollte sich bald seine eigenes erschaffen. Tom Wilson übrigens produzierte im Anschluss ein weiteres Jahrhundert-Album: Das Debut der Velvet Underground.

The Blues Project

Projections


(Verve Forecast, 1966)


'66 war das Blues Revival in den USA noch nicht angekommen, Bluesmusiker wie Muddy Waters oder John Lee Hooker waren in Europa gefragt, in der Heimat nur Randnotizen – und junge Bands, die Blues spielten waren in den USA noch die Ausnahme. Das Blues Project war um Musiker aus der New Yorker Greenwich Village Folk Szene entstanden und spielte einen eklektizistischen Mix aus Folk, Blues, Jazz und Rock, klang mithin wie die amerikanische Antwort auf die Yardbirds, aber ihr musikalischer Output bestand bislang nur aus einem zahmen Live Mitschnitt aus dem Cafe Au Go-Go. Dabei hatte die Band mit Danny Kalb – der u.a. für Judy Collins gespielt hatte und Steve Katz zwei hervorragenden Gitarristen, mit Al Kooper einen Keyboarder, dessen Ruf allein schon durch seine Mitarbeit bei Dylan's „Like a Rolling Stone“ legendär war und mit dem Bassisten und Flötisten Andy Kulberg einen Jazz-Informierten Könner dabei. Ihr ebenfalls von Tom Wilson produziertes zweites Album Projections ist für seine Zeit und für die USA wahrscheinlich damals auch zu innovativ gewesen - Elektrifizierter Blues war damals noch viel zu neuartig, dass er wirklich wahrgenommen wurde – zumal das Album den Begriff Blues sehr weit fasst – hier eigentlich eher Psychedelic Rock, Jazz und Blues zusammen-gedacht werden. Lediglich Kooper's Instrumental „Flute Thing“ soll damals im Underground Radio gespielt worden sein, Songs wie „I Can't Keep from Cryin'“ (im Original von Blind Willie Johnson) oder Jimmy Reed's „Caress Me Baby“ werden aus der Blues-Ecke herausgeholt und modernisiert, wie es nur junge Weiße tun konnten. Tom Wilson bewies hier ein weiteres Mal seinen Sinn für visionäre Musik. Aber fünf jüdische Jungs, die Blues unter Strom setzten waren zu der Zeit noch zu gewagt, und im Gegensatz zu den Velvet Underground und mehr noch Zappa hatten sie nicht den langen Atem ihre Idee durchzuziehen. Kooper war als Studiomusiker gefragt und hatte andere, weiter in Jazzrichtung gehende musikalische Vorstellungen als Danny Kalb, der zusätzlich auf einen schlechten Acid Trip geriet und für Monate verschwand. Kooper gründete darauf zusammen mit Steve Katz Blood, Sweat and Tears während Kalb noch eine Zeit lang mit dem Blues Project weiter machte - aber die Luft war wohl raus. Projections allerdings ist einer von vielen versteckten Rohdiamanten der Musik des Jahres 1966.

The Animals

Animalism


(Decca, 1966)

Die Animals waren 1966 auf der Höhe ihrer Kunst, insbesondere natürlich Sänger Eric Burdon kann man getrost eine der besten weißen Blues- Stimmen seiner Zeit nennen. Sie galten zwar noch als Singles-Band, aber sie hatten in den letzte zwei Jahren so ausgiebig getourt, dass sie so eingespielt waren, wie wenige andere Bands. Es gab aber auch schon Auflösungserscheinungen: Keyboarder Alan Price hatte die Band im Vorjahr verlassen und der Drummer verließ sie bei den Aufnahmen zum dritten Album. Tom Wilson wurde beauftragt, die Band zu produzieren, er holte sich für die Aufnahmen zu zwei Songs Frank Zappa als Arrangeur hinzu, aber die Klasse des Albums liegt vor Allem in Burdons Stimme. Er interpretierte Blues Originale wie den „Gin House Blues“ oder „I Put a Spell on You“ mit einer Intensität, gegen die die Originale fast verblassen. Dazu hatte der neue Keyboarder Dave Rowberry noch ein paar adäquate Eigenkompositionen dabei, so dass Animalisms (bzw. Animalization, wie das Album mit leicht geändertem Tracklisting in den USA hieß) das erste durchgehend gute Album der Band wurde. Burdon allerdings war offenbar nicht zufrieden mit den Limitierungen einer reinen R&B Band und löste die Animals auf, um in den USA mit den New Animals (recht erfolgreich) Psychedelic Rock zu versuchen. Animalisms ist – insbesondere mit den heute üblichen Zusatz-Tracks – ein perfektes Beispiel dafür, dass die Stones '66 durchaus auch Bands neben sich hatten.

Simon & Garfunkle

Sounds Of Silence


(Columbia, 1966)

Nachdem ihr Debut gefloppt war, hatten sich Paul Simon und Art Garfunkle desillusioniert getrennt, und Simon hatte sich erst mal auf den Weg nach Old England gemacht. Tom Wilson überzeugte die beiden Musiker über einen Umweg, doch gemeinsam weiterzumachen, indem er zunächst einmal ihren Song „Sounds of Silence“ nahm und ihn mit elektrischer Instrumentierung aufpeppte. Er hatte den Erfolg von Bob Dylan miterlebt und er kannte natürlich die elektrifizierten Byrds'schen Versionen der Dylan-Songs, die zu dieser Zeit die Charts stürmten. Die mit elektrische Gitarre, Bass und Drums ergänzte Version von „Sounds of Silence“ wurde ohne das Wissen der Beiden als Single veröffentlicht und traf so den Nerv der Zeit - die Single wurde am Neujahrstag 1966 zum No1 Hit. Simon & Garfunkle taten sich schleunigst wieder zusammen und nahmen so schnell wie möglich das übliche Album zum Hit auf. Sounds of Silence zeigt das Duo noch im Versuchsstadium – zwar ist sofort erkennbar, dass Paul Simon ein begnadeter Songwriter ist, der in den Monaten in England unter anderem die britischen Folk-Heroen studiert hatte (Siehe das Instrumental-Cover von Davy Graham's „Anji“), aber es sind noch ein paar unbefriedigende Experimente dabei, die dann beim folgenden Album verworfen wurden. Der Sound, den die beiden in den folgenden Jahren etablieren sollten, ist schon auf den Nachfolge-Singles „I Am A Rock“ und derm feinen „Homeward Bound“ zu finden. Das Album verblasst allerdings neben dem Nachfolger, der dann noch im selben Jahr von einem anderen Großen der Produzenten-Zunft begleitet wurde - von Bob Johnston, über den ich im Folgenden auch ein paar Worte verlieren will...



Bob Johnston

Der Produzent Bob Johnston nahm sozusagen den Stab von Tom Wilson auf, er produzierte Dylan ab Highway 61 Revisited, Simon & Garfunkle nach deren Debut und später Leonard Cohen, Johnny Cash, Willie Nelson undsoweiter – und er war es, der auf die Idee kam, mit Dylan für Blonde on Blonde nach Nashville zu gehen. Ein wichtiger Mann also, der, als er das folgende Album übernahm , schon seine Meriten hatte...

Simon & Garfunkle

Parsley, Sage, Rosemary and Thyme


(Columbia, 1966)





Simon & Garfunkel's erstes wirkliches Meisterwerk, Parsley, Sage, Rosemary and Thyme war auch das erste Album bei dem sie zusammen mit Bob Johnston und dem Sound-Engineer Roy Halee die komplette Kontrolle über die Aufnahmen hatten. Das so etwas in der Regel zu den besseren Ergebnissen führt, hat die Musikindustrie bis heute nicht begriffen, Parsley... ist einer der vielen Beweise. Das Album steht durchaus gleichberechtigt neben Revolver und Pet Sounds. Wie oben gesagt, hatten die Beiden mit Sounds of Silence in drei Wochen das Album zum Hit zusammengeschustert, nun nahmen sie sich die für damalige Verhältnisse exorbitante Zeit von drei Monaten um für den Nachfolger die Songs auszukomponieren und vor Allem -arrangieren. Das Album beginnt mit dem Titelsong, einer Adaption eines alten englischen Traditionals, das Paul Simon in seinen Monaten in England vom großen Martin Carthy gelernt hatte. Das Kunststück ist, dass dieser sowieso schon zauberhafte Song mit Harpsichord und etlichen Overdubs tatsächlich ein neues Leben eingehaucht bekommt und sich anhört, als wäre er, wenn nicht von Paul Simon selber geschrieben, dann zumindest für ihn und seinen Gesangsbruder geschrieben worden. Das Album ist ein Showcase von Simon's Songwriterkünsten, ob beim so gepflegt gelangweilte „A Dangling Conversation“ oder dem tollen „Homeward Bound“. Am Ende werden zu „Silent Night“ die Eskalationen des Vietnamkrieges in Radioberichten eingespielt. Eine Form von Kritik, die überraschend modern klingt, und ein Album, das zugleich auf angenehme Weise in seiner Zeit gefangen scheint.













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