Samstag, 30. Juli 2016

1992 - Bosnienkrieg, Unruhen in L.A., Bill Clinton for President - R.E.M. bis Dr. Dre

Serbien und Kroatien schließen einen Waffenstillstandsabkommen, diverse Balkanstaaten werden von der Weltgemeinschaft anerkannt – und im August beschießt die serbische Armee die Nationalbibliothek in Sarajevo. Damit beginnt der Bosnienkrieg – ein „Teil“ des lange andauernden Konfliktes im ehemaligen Jugoslawien. In Los Angeles kommt es nach den Freisprüchen für zwei Polizisten im sog. Rodney King Prozess zu 6 Tage andauernden Rassenunruhen bei denen 50 Menschen umkommen. In Deutschland kommt es in Rostock-Lichtenhagen und in Mölln zu massiven rechtsextremen Übergriffen. Bill Clinton wird Präsident der Vereinigten Staaten. Die beiden Willie's Brand und Dixon sterben, ebenso Olivier Messiaen und Anthony Perkins. In der Musik haben sich Grunge und andere Spielarten des ehemaligen Indie-Sounds im Mainstream etabliert, leider werden von der Industrie inzwischen auch Marionetten, die nach Slacker aussehen, auf den übersättigten Markt geworfen, und daher geht in der unüberschaubaren Masse auch so manches an guter Musik unter. R.E.M. und Pavement sind die Erfolgsmodelle für die 90er, Grunge ist modisch geworden, die Fixer Alice In Chains haben ihren größten Erfolg (durchaus zu Recht...). Und auch im Hip Hop kommen diverse Acts mit Genre-definierenden Meisterwerken daher. Der Mix aus Rap und Hardrock – genannt Crossover - hat mit Rage Against the Machine und Faith No More seinen kurzen Höhepunkt. Die Second Wave of Black Metal beginnt, die Bands aus der sogenannten Shoegaze-Szene schaffen ebenfalls ein paar große Alben, werden von der Presse aber abgestraft oder ignoriert. Hardcore unterteilt sich in verschiedene Sub-Genres und Bands wie Neurosis mischen diesem Stil neue Bestandteile bei. die Verästelung in verschiedene „Sub-Genres“ nimmt allgemein zu. 1992 ist musikalisch ein reiches Jahr mit einigen wirklich tollen Platten, und einige der früheren Underground Acts etablieren sich nun endgültig im Mainstream. Andere jedoch schaffen den Sprung nicht und bleiben im Underground. Und ganz schlimm dieses Jahr ist ein gewisser Billy Ray Cyrus mit seinem Hit „Achy Breaky Heart“ oder auch Whitney Houston's Film / Soundtrack The Bodyguard, oder der blöde Euro-Pop von Roxette.... und so was überschwemmt das Radio und vergiftet die Ohren..,

R.E.M.

Automatic For The People


(Warner Bros., 1992)

R.E.M. hatten in den letzten Jahre kontinuierlich ihre Karriere vorangetrieben, hatten mit ihrer Musik den Brückenschlag zwischen Independent-Credibility und kommerziellem Erfolg hinbekommen - das zumindest sah die Mehrheit des Publikums so – dass etliche Fans aus den „Independent Tagen“ der ersten vier Alben da bis heute anderer Ansicht sind, ist eine andere Sache... Der poppige Vorgänger Out Of Time jedenfalls war zwar künstlerisch eher unbefriedigend, kommerziell aber immens erfolgreich gewesen. Jetzt kündigten die vier Musiker einen härteren Kurs an, - und veröffentlichten mit Automatic for the People die ruhigste, zurückhaltendste, aber vor allem die meiner Meinung nach zeitloseste und beste LP ihrer Karriere. Automatic.. ist im Grunde eine Kollektion von Folk-Songs - emotional so direkt wie selten zuvor bei dieser Band, mit einer deutlich melancholischen Grundstimmung. Die Songs sind in die feinen Streicher - Arrangemets des ehemaligen Led Zeppelin. Bassisten John Paul Jones und die akustische Instrumentierung von Peter Buck gebettet und die Dichte an wunderbar geschriebenen Songs ist immens. „Everybody Hurts“, und „Man on the Moon“ wurden echte Hits, aber auch unbekanntere – weil nicht als Single veröffentlicht – Songs, wie „Sweetness Follows“ oder „Nightswimming“ fallen um keinen Deut ab und lassen das Album wie aus einem Guß erscheinen. Mit Recht ist dies für viele die beste Platte von R.E.M – zusammen mit Reckoning – ihrem zweiten Album und Adventures in HiFi – und Up - undsoweiter, die waren wirklich gut finde ich...

Tom Waits

Bone Machine


(Island, 1992)

Bone Machine ist nach den Vorgängern Swordfishtrombones und Rain Dogs der Höhepunkt einer Trilogie. Waits hatte den Sound, den er auf Bone Machine einsetzte auf den vorherigen Platten entwickelt und trieb ihn nun auf die Spitze. Auf die Knochen reduziert, mit Junkyard Percussion und anderer ungewöhnlicher Instrumentierung, mit teils extrem übersteuerten Vocals, ist Bone Machine soundmäßig ziemlich schwere Kost. Und es ist passenderweise voller Songs, die Tod und Zerstörung thematisieren, Apokalypse und düstere Schicksale. Die dazu passenden Bilder in den Texten sind auf's Feinste modelliert (...was immer Waits' größte Kunst war). Und dann ist daneben dieser melodische Reichtum, sind da Waits' Songwriter-Fähigkeiten, die wieder einmal glänzen und alles Schräge erträglich machen, ja sogar in ein schillerndes Licht tauchten. „Earth Died Screaming“ oder „Murder in the Red Barn“ sind finstere Moritaten, in düsteres Licht getauchte Poesie, „Black Wings“ ist trotz seines endzeitlichen Textes wunderbar melodisch und mit regelrecht cinematografischen Textbildern ausgestattet, und „I Don't Wanna Grow Up“ - der „Hit" dieser Platte – ist auf herrlich absurde Art albern. Es ist mindestens Waits' bestes Album der 90er, für mich sogar sein bestes überhaupt.

Red House Painters

Down Colorful Hill


(4ad, 1992)

Und noch ein Album mit monochromem Cover... Die Red House Painters waren das Projekt des Songwriters Mark Kozelek, sein Vehikel für Songs über Schmerz, Verzweiflung und Verlust. Er hatte in den Jahren zuvor das Interesse des musikalisch gleichgesinnten Mark Eitzel von American Music Club erregt, und dieser hatte ihm den Kontakt zum 4AD Label vermittelt. Down Colourful Hill ist eigentlich eine Kollektion von Demos aus den Jahren von 1989 bis 92, danach nur noch mit ein paar zusätzlichen Overdubs ausgestattet. So zeigt das Album Musiker, die ihren Sound schon lange gefunden haben. Kozeleks Stimme ist freundlicher als es seine extrem persönlichen Texte eigentlich zulassen, er spielt mit der fein abgestimmten Band einen Slowcore, der die Ruhe nach dem Zusammenbruch vertont. Keiner der sechs Songs hier ist zu lang, und das obwohl der Titelsong die 10-Minuten Marke überschreitet, Riffs und Melodieführung sind angenehm, aber unter all der Schönheit liegt eine unendliche Trauer. Die Musik klingt zwar zunächst trügerisch leicht und schwebend, aber hier tritt jemand das Erbe von Joy Division an. So begannen die Red House Painters – übrigens gemeinsam mit anderen Bands wie Low oder eben diesem American Music Club etwa – eine eigene, stille musikalische Reaktion auf den lauten Grunge-Sound zu popularisieren.

Aphex Twin

Selected Ambient Work 85-92


(R&S Rec., 1992)


Selected Ambient Works 85-92 ist ein seltsam asketisches Album mit Songs aus simplen Percussion und geisterhafte Synthesizermelodien als einzigen Komponenten. Richard D. James alias Aphex Twin ließ nur ein einziges mal ein Vocal Sample erklingen: „We are the music makers, and we are the dreamers of dreams“. Wie wahr. Diese Zusammenstellung aus Tracks aus sieben Jahren mag heute, wie so manche elektronische Musik, für Modernisten überholt klingen. 1992 jedoch waren diese Klänge – neben der Musik von Autechre oder Squarepusher – in ihrer Abstraktion der "normalen" Populärmusik revolutionär. Und man kann ihren Reiz auch heute noch nachempfinden, so man sich darauf einlässt. Aphex Twin entwickelte auf Selected Ambient... das, was I(ntelligent) D(ance) M(usic) bzw. Ambient genannt werden würde. All die seltsamen Sounds, Melodien und sich langsam verdrehenden Rhytmen waren hausgemacht und trügerisch simpel, aber das Album bot - wie es bei Alben die das Attribut „klassisch“ erhalten auch sein sollte - eine weit in die Zukunft weisende Vision davon, was - in diesem Falle elektronische Musik - sein könnte. In eine Zukunft übrigens, die Richard D. James auch noch weiter mit formen sollte.

Pavement

Slanted and Enchanted


(Matador, 1992)

Pavement hatten in den Jahren zuvor mit diversen Singles und EP's den Underground tüchtig aufgewühlt, waren bei Musikern und Radio-DJ's schon ungemein beliebt und ihre Debüt - LP wurde vorab mit soviel Lob überschüttet, dass man befürchten musste, dass solche Erwartungen nur enttäuscht werden könnten. Aber zum Glück machten Pavement dann doch alles richtig. Ihr Stil, diese Musik, die zu gleiche Teilen aus Noise und Lo-Fi zusammengesetzt war, ließ keinen Platz für plumpe Kommerzialität, und Bandchef Steven Malkmus hatte auf diversen Singles schon im Voraus bewiesen, dass er ein veritabler Songwriter war. (Singles, die im folgenden Jahr auf der trefflichen Compilation Westing (By Musket and Sextant) versammelt wurden). Und Pavement boten eine Facette des Indie Rock, die irgendwie neu und aufregend war. Auf Slanted and Enchanted wurde Popmusik auf links gedreht, Songs bekamen seltsam verdrehte und spiralförmige Strukturen, das Ganze wirkte manchmal wie eine Persiflage auf die Erwartungen, die man in Indie-Rock hatte – die Songs klangen wie eine weit entfernte College Radio Station, die immer wieder von Störungen unterbrochen wird. Und all das war auch so gewollt. Ein Klassiker des Indie Rock von einer Band, die bis zu ihrem Ende nicht aufhörte gute Platten zu machen.

Sonic Youth

Dirty


(Geffen, 1992)

Nachdem das Phänomen Nirvana die Musikwelt auf den Kopf gestellt hatte, und alternative Rockmusik auf einmal Mainstream war, wurden Wetten darauf abgeschlossen, welche Band aus diesem Umfeld als nächste den kommerziellen Durchbruch schaffen könnte – und manchen galten Sonic Youth als die hoffnungsvollsten Kandidaten. Nirvana – Mit-Entdecker, auf dem selben Label mit Ihnen, Vorbilder und Inspiration von Kurt Cobain und dessen moralischer Support, glaubwürdig und sehr alternativ – aber da haben wir schon eines der Probleme – dem breiten Publikum zu alternativ und dann auch noch wenig kompromissbereit. Sogar der Vorgänger Goo – ihr „Pop-Album“, wenn es überhaupt eines von ihnen gibt - zeigte, dass die Band ihre Ursprünge nicht in Pop oder Punk hat, sondern der weit intellektuelleren New Yorker Noise-Tradition entstammte. Jetzt bekamen sie den Nevermind-Produzenten Butch Vig an die Seite gestellt – ich denke, das war ihnen nicht einmal unangenehm - aber auch der konnte ihnen das Lärmen und das lose Improvisieren vermutlich nicht austreiben (zumal ich mir denken kann, dass der das auch nicht vorhatte). Tatsächlich klingt Dirty so, als hätten die vier Musiker versucht, die Wellen ein kleines bisschen zu glätten, den Sturm, den sie entfesseln können irgendwie zu lenken – aber andererseits waren sie eindeutig zu roh, zu noisy, zu juvenil, ihr Sound zu charakteristisch und die Band zu sehr in ihre verbogenen Harmonien und das Prinzip der Improvisation verliebt – kurz: zu cool, um sich irgendwo anzubiedern (was – ganz nebenbei – Nirvana auch nicht taten – die waren nur mit anderer Musik zur rechten Zeit am rechten Ort...). So spuckten Sonic Youth mit dem durchaus passend betitelten Dirty ein Album aus - komplett mit politischer Message, mit feministischen Statements mit durchaus ein paar produktionstechnischen Gadgets – die ihnen auch gut standen – aber eben auch mit Noise-Passagen, die so energetisch schwingen, mit Songs, die sich bemühen, ein bisschen Pop mitzuführen („Sugar Kane“) die aber dann doch wieder unter dem wunderbaren Lärm verschwinden, den Sonic Youth so perfekt zu erzeugen wissen. Statt Grunge zu imitieren verschlingen sie den Trend und spucken ihn dann halbverdaut aus. Natürlich wurde auch hier von etlichen Moralwächtern reflexhaft „Ausverkauf“ geschrien, aber natürlich verkaufte sich Dirty auch weit schlechter als die Executives der Plattenfirma es sich erhofften. Tatsächlich ist es ein wunderbares Album – eines, das Sonic Youth in der Zeit zeigt, in der sie die aktuellen Trends zwar hörten, aber daraus ihr eigenes Ding machten.

Rage Against The Machine

s/t


(Epic, 1992)


Im Vergleich zu Bands wie Faith No More und den Red Hot Chillie Peppers waren Rage Against the Machine von vorne herein extrem politisch, mit ihrem Crossover Sound näher am Rap als die „Konkurrenz“, und damit trotzdem kommerziell äußerst erfolgreich. Auf ihrem Debüt gibt es keine verhübschte Poesie, sondern glasklare politische Agitation (Auf dem Cover ist der vietnamesische Mönch Thích Quảng Đức zu sehen, der sich 1963 in Saigon aus Protest gegen die Politik der Regierung verbrannte). Sänger/ Rapper Zack De La Rocha war mit seinen politischen Botschaften Seele der Band und zugleich tragische Figur, da sein politisches Engagement von der Rasanz der Musik immer wieder erstickt wurde. Und viele der jungen Fans der Band hatten ganz einfach mehr Interesse an der Musik und an dem rasanten Groove als an den Aussagen der Texte. Eigentlich auch kein Wunder: Der Sound von RATM ist ein Mix aus knochentrockenem Funk, krachendem Metal mit den innovativen Gitarrensounds von Tom Morello, einprägsamen Riffs und explosiven Rhythmen. Das Album hat eine Dynamik, die weder die Konkurrenz, noch die Band selber jemals wieder erreichen sollte. Tracks wie „Killing in the Name“ oder „Bombtrack“ wurden zu Klassikern des Crossover – und sind – insbesondere für diese Musik, die doch so unschön gealtert ist - erstaunlich zeitlos geblieben. Die Tatsache, dass Sony – ihre Plattenfirma – Bestandteil der Großkonzerne ist, deren Allmacht sie anprangern, sollte man höflicherweise übersehen

Neurosis

Souls At Zero


(Alternative Tentacles, 1992)


Die kalifornische Hardcore Band Neurosis hatte 1989 mit ihrem zweiten Album The Word As Law bewiesen, dass sie anspruchsvollen, schnellen Hardcore konnten, aber als kluge Köpfe wollten sie nicht stilistisch stehen bleiben und damit der Stagnation anheimfallen, die viele Kollegen der „Szene“ lähmte. Also suchten sie sich Inspiration bei anderen Musikern und Stilistiken, holten mit Simon McIlroy einen Sample-Spezialisten und Keyboarder dazu, der bislang mit Harcore nichts am Hut gehabt hatte, luden sich zu den Aufnahmen ein paar Bläser und Streicher ein – und kreierten mit dem Album Souls At Zero mal eben ein ganz neues Genre. Ja – vor diesem Album gab es noch keinen Sludge-Metal - und Post-Hardcore ? Souls At Zero ist ein Album, das Hardcore in eine ganz neue Dimension verschiebt indem es die Tempi verlangsamt, die Atmosphäre auf den Nullpunkt abkühlen lässt, dem klaren, reinen Hass psychotische und psychedelische Facetten hinzufügt. Neurosis klingen wie eine Hardcore Band, die ganz schlechte Drogen bekommen hat. Dem Album ist eine Atmosphäre unterlegt, die bislang eher bei Bands wie Joy Division oder Coil zu finden war – was sicher dem Einfluss McIlRoys zu verdanken ist. Und im Gegensatz zu etlichen Adepten, die da kommen sollten, machten Neurosis sich die Mühe, Songs zu schreiben – das hatten sie wohl noch aus der Anfangsphase behalten – und verließen sich nicht nur auf den mächtigen Sound. Damit entgingen sie einem Fehler, den viele nachfolgende Bands dieses Genres machten. So würden Songs wie „To Crawl Under One's Skin“ oder „Takeahnase“ wohl auch als Akustik-Demo's funktionieren. Tatsächlich hat Gitarrist Steve Van Till später einige feine Akustik-Alben sowie ein Townes Van Zandt Cover-Album gemacht.... Songs wie „Stripped“ etwa erinnern an die Arbeit der Swans – sie sind einfach, effektiv, und mit dem passenden Sound überwältigend. Dazu ein paar kluge Samples – etwa aus dem Nazi-Propagandafilm „Triumph des Willens“, ein Schlagzeuger, der Tribal-Rhythmen beherrscht, zerdehnte Songs und gequälte Chorgesänge und die Apokalypse naht. Souls At Zero ist Beginn und zugleich Höhepunkt einer musikalischen Richtung, die den Hörer Zu Boden drücken will. Dieses Album schafft das (Genau wie der Nachfolger Enemy of the Sun).

Beastie Boys

Check Your Head


(Grand Royal, 1992)

  Und nun zwei Alben mit der Musik, die die Neunziger in hohem Maße bestimmen wird. HipHop hat sich von der reinen Underground-Musik der Afro-amerikanischen Bevölkerung in den Vorstädten New Yorks in den letzten 10 Jahren zu einem Massenphänomen gewandelt, das die Jugend quer über den Kontinent und die Herkunft der Vorfahren beeinflusst. Es gibt inzwischen Rapper jeder Hautfarbe, die Musik ist stilistisch komplex und divers geworden, die Themen spiegeln nicht mehr nur das Leben in den Ghetto's wieder (obwohl das immer noch Hauptthema ist) und es gibt einen ganzen Haufen von tollen Alben aus allen Ecken der USA. Die Beastie Boys – drei jüdische Jungs aus New York, die mit dafür verantwortlich sind, dass HipHop jetzt auch Thema bei der „weissen“ Jugend Amerika's ist - hatten mit dem Vorgänger Paul's Boutique nach ihrem Million-Seller - Debüt einen kommerziellen (...keinen künstlerischen...) Flop gelandet und trotz des Rüclschlages warteten anscheinend nach wie vor viele Fans auf ihre Mischung aus Party, Punk und Rap. Und jetzt lieferten sie ab: Sie durften ja nicht mehr samplen, was ihnen unter die Finger kam, und daher beschlossen sie, ihre Beats und den musikalischen Background selber herzustellen, gaben den Old School Rap als Haupteinfluss auf und brauten sich eine bunte Suppe aus Soul-Jazz, Hardcore Punk, White-Trash-Metal, Arena Rock, Bob Dylan, Bossa Nova, Pop und hartem dreckigem Funk zusammen. Durch die DIY Attitüde wurden die Songs simpler, die Atmosphäre wurde zum wichtigsten Element und der Spaß wurde für alle größer. Die Vielfalt der Stile macht Check Your Head zu einem dieser Alben, bei denen die einzelnen Elemente ein größeres Ganzes bilden. Ein Album, das Spaß und Anspruch miteinander verbindet, das nie verkopft klingt, das aber die bis dato intelligenteste Form des Hip Hop bot – und dass das von vier weißen, jüdischen Jungs aus Brooklyn kam, war erst mal wirklich egal. Check Your Head wird daher zu Recht nicht als Klassiker eines bestimmten Genres angesehen, sondern ganz generell als Klassiker der Rockmusik.

Dr.Dre

The Chronic


(Death Row, 1992)

Und an der Westküste der USA tat sich natürlich in diesem Jahr ebenfalls einiges. HipHop hat eine stilistische Breite erlangt, die es für mich notwendig macht, eine Art „Gegenbeispiel“ zu den Beastie Boys hier hin zu stellen. Und man sollte nicht denken, dass The Chronic das einzige wirklich hervorragende Album mit West Coast HipHop in diesem Jahr wäre – die besten Alben und die Unterschiede zwischen East Coast und West Coast werde ich in einem eigenen Artikel/Eintrag darstellen. The Chronic jedenfalls ist West Coast Rap at its finest. Dr.Dre war natürlich Mitglied und vor allem Produzent von N.W.A. und hatte dadurch seinen Anteil an deren Klassiker Straight Outta Compton, aber sein erstes Solo-Album The Chronic ist mindestens so gut. Dabei war Andre Romelle Young (so sein Geburtsname) kein besonders guter Rapper, seine Rhymes waren simpel und er hatte bei N.W.A. eher als Mann im Hintergrund mitgewirkt, aber nachdem er sich aufgrund finanzieller Streitigkeiten mit der Crew überworfen hatte, verfolgte er seine Vision des Gangsta-Rap auf diesem Klassiker weiter. Er etablierte den sogenannten G-Funk Sound, basierend auf George Clintons Beats, Soul-Background - Gesang und teilweiser Live-Instrumentierung (weil ja Samplen nach Herzenslust inzwischen rechtlich schwierig bis unmöglich geworden war...). Und Dr. Dre hatte einen Vorteil: Er war sich durchaus darüber im Klaren, dass er nicht der beste aller Rapper war, und bot daher auf diesem Album seiner größten Entdeckung eine Plattform: Rapper Snoop Doggy Dog macht aus The Chronic trotz schwulenfeindlicher, frauenverachtender und gewalttätiger Texte ein Partyalbum - die Rodney King Riots werden regelrecht abgefeiert, Alles ist politisch erschreckend und erfrischend unkorrekt, aber die Coolness von Snoop (und anderen Gästen) lässt das zu. The Chronic muss gemeinsam mit dem 1993 veröffentlichten Debut Snoops' (Doggystyle) als eines der einflussreichsten Alben des HipHop anerkannt werden.








Sonntag, 24. Juli 2016

1990 - Wiedervereinigung und Rinderwahn - Public Enemy bis Sonic Youth

Deutschland wird wiedervereinigt, die DDR und damit die politischen Köpfe lösen sich in Luft auf und verstecken noch schnell alle Unterlagen über ihre Schandtaten und auch in der Sowjetunion gibt die KpdSU ihr Machtmonopol auf und die baltischen Staaten (Lettland, Estland, Litauen) erklären ihre Unabhängigkeit von der UdSSR - Hurra, der Kapitalismus hat gesiegt! In Großbritannien weitet sich die Rinderseuche BSE (der sog. Rinderwahnsinn) aus. Durch das Schengener Abkommen werden zwischen den Beneluxländern, Deutschland und Frankreich offene Grenzen geschaffen und Handel und Reisen erleichtert. Akihito wird japanischer Kaiser. Erstmalig findet das Wacken-Open Air Festival, DAS Heavy Metal Festival in Deutschland statt. Und Deutschland wird zum dritten Male Fußballweltmeister. Del Shannon, Art Blakey, Stevie Ray Vaughan und Tom Fogerty sterben. Musikalisch beginnt sich mit dem neuen Jahrzehnt einiges zu bewegen. Independent Rock macht Schrite in Richtung Mainstream, bzw dieser nähert sich der Musik des Untergrund an.. So machen Sonic Youth ihre „kommerziellste“ Platte - auf einem Major-Label, Madchester und Shoegaze kommen in Fahrt, Death und Trash Metal Klassiker erscheinen im Monatsrhythmus, überhaupt bekommt der sog. „Metal“ mit all seinen Ausprägungen immer mehr Akzeptanz, da er ebenso wie Hardcore immer mehr auf Pop-Musik zugeht (oder Pop auf härtere Musik) und auch im HipHop tut sich einiges. Dieses Jahr erscheinen insbesondere das Debut der La's und die beste Platte der Happy Mondays. Neil Young läutet das Jahrzehnt mit einem feedbackgetränkten Return to Form ein (allerdings war da ja auch schon Freedom.) Kurz: Das Jahrzehnt beginnt vielversprechend, zwar ist manches auch ein Nachhall der 80er, aber es riecht irgendwie nach Aufbruch – aber eines wird sich in den Neunzigern nicht ändern: Schlechte Musik regiert weiterhin die Charts und das Format-Radio. Vanilla Ice's und MC Hammer's Pseudo-Hip Hop, Michael Bolton's AOR Schlock oder der Tanztruppen-Pop der zusammengecasteten New Kids on the Block werden von Millionen gefressen - die interessiert hier genauso wenig wie das Debüt von Mariah Carey oder der sich ach-so-independent gebende Radiopop von InxS.

Public Enemy

Fear Of A Black Planet


(Def Jam, 1990)

Fear of a Black Planet war nun die dritte LP von Public Enemy, und zwei Jahre nach ihrem Meisterwerk It Takes a Nation of Millions.. war die Frage: Wie extrem würden Public Enemy jetzt noch werden können? Professor Griff hatte durch antisemitische Äußerungen im Vorfeld der neuen LP unangenehm Aufmerksamkeit erregt, aber würde es wieder einen politischen Rundumschlag gegen Alle und Jeden geben? Aber natürlich, genau das: „Welcome to the Terrordome“ tritt ein weiteres mal gegen die Jewish Community aus, „Burn Hollywood Burn“ greift den Rassismus in der Unterhatungsindustrie an, Public Enemy beißen nach allen Seiten und sind dabei je nach politischer Position des Hörers geschmacklos oder furchtlos. Musikalisch ging all das allerdings auf dem höchsten Niveau vonstatten, das Public Enemy je erreichen sollten, denn zu diesem Zeitpunkt der Musikgeschichte durften Musiker noch sampeln, wen immer sie wollten – die rechtliche Lage zur Verwendung von Fremdmaterial war noch nicht endgültig geklärt und man musste nichts dafür bezahlen, Samples von Stücken anderer Musiker zu benutzen – und Public Enemy waren seinerzeit ganz einfach Meister darin, aus fremder Musik etwas eigenes zu erschaffen. Was das angeht, ist Fear... zusammen mit Paul's Boutique von den Beastie Boys die ausgefeilteste Platte die es jemals gab. Kurz: Musikalisch vollkommen überzeugend, eine aus der schmalen Reihe der besten HipHop LP's aller Zeiten, aber textlich manchmal so nah am Unerträglichen, dass es schwer ist, dieses Album zu mögen. Seltsam ist doch, dass Public Enemy wegen ihres politischen Extremismus nie in dem Maße verurteilt wurden, wie es bei einigen Metal Acts üblich war.

Happy Mondays

Pills 'n' Thrills And Bellyaches


(Factory, 1990)

Das dritte Album der Happy Mondays ist neben Screamadelica von Primal Scream und dem Debüt der Stone Roses DAS klassische Rave-Album. Die LP ist eine einzige Party, und sie steht für Drogen, Sex und puren Hedonismus. Die Produzenten Paul Oakenfold und Steven Osbourne legten alles fest, den Sound, die Songs, die Atmosphäre, aber ihren Charakter und diese herrlich bekiffte Lässigkeit bekamen die Happy Mondays allein durch Shaun Ryders benebelten Gesang. Der größte Hit der Band, „Step On“ war eigentlich eine Coverversion von John Congos' „He's Gonna Step On You Again“, aber durch Ryders Gesang und den kraftvollen Groove der Happy Mondays wurde es definitiv ihr eigener Song. Auch „Kinky Afro“ basiert auf dem geklauten Melodiebogen von LaBelles „Lady Marmelade“ - aber auch hier - durch den Text von Ryder bei dem der Sohn den Vater verspottet, der die Familie verlassen hat - machen sie daraus ihren eigenen Song. Pills 'n' Thrills ... ist eingängiger und subtiler als der auch nicht so üble Vorgänger Bummed und nicht umsonst eine der prägenden Platten des Rave-Booms – und somit eine der wichtigsten Platten aus dem Großbritannien jener Zeit... Bands wie Oasis und The Verve haben sich hier definitiv einiges abgeschaut, und wenn die Musik heute weniger "aktuell" klingt... das wird sich auch wieder ändern. Und interessant übrigens: Diese Musik erschien auf dem Label von Joy Division / New Order.

Neil Young & Crazy Horse

Ragged Glory


(Reprise, 1990)

Ragged Glory ist eigentlich eine seltsame und in Manchem untypische LP für Neil Young. Er hatte mit Freedom ein Jahr zuvor seine wütendste und engagierteste LP seit Jahren gemacht, und nun klang er auf einmal wieder warm, herzlich und irgendwie erstaunlich rückwärtsgewandt. Andererseits hat das Album durch das ausgiebige Nutzen von Feedback und Distortion-Sounds und durch ellenlange Gitarrensoli, die allerdings eher dem Sound als der Virtuosität verpflichtet sind, einen extremen und zugleich angenehm homogenen Sound, es ist mit 10 Songs in 60 Minuten lang, aber nie langweilig – und in seiner Kombination altbekannter Elemente tatsächlich doch wiederum neu für Neil Young. Mit seinen alten Kollegen von Crazy Horse – der besten Garagen-Band der Welt, wie man so sagt - nahm er zwei Songs aus den 70ern erstmals auf LP auf: „Country Home“ und „White Line“, dazu den alten Garagenklassiker „Farmer John“ oder das psychedelische „Mansion on the Hill“. Alles Songs, die alte Zeiten feiern, die aber durch das exzessive Spiel mit Feedback und den lärmenden Sound von Crazy Horse nie altbacken oder beliebig, sondern elegisch und zugleich erfreulich aggressiv klingen. Man höre nur „F*l#in' Up“ - und erkennt, warum tausende junger Slacker hier Neil Young (wieder)-entdeckten. Die Sound-Orgien sollten Young und seine Kumpanen in den folgenden Jahren – insbesondere Live – vorantreiben, und ihm dieses neue, junges Publikum zuführen. Ja, Neil Young war mit 45 Jahren eindeutig auf dem Weg, wieder cool zu werden.

The La's

s/t


(Go! Discs, 1990)

The La's waren schon im Jahr 1987 von Go! Discs unter Vertrag genommen worden, hatten danach zwei Singles veröffentlicht, die von Kritikern bejubelt, aber vom Publikum ignoriert wurden. Schon seit 1988 hatten sie an ihrem Debüt gearbeitet und im Verlauf des Aufnahmeprozesses vier Produzenten verschlissen. Schuld daran war der Perfektionismus des Sängers und Songschreibers Lee Mavers. Die Musik, in der man Einflüsse aus den 60ern ebenso wiederfand wie den Sound der Smiths, mag trügerisch simpel klingen, aber die Songs sind Kleinode der Pop-Musik und es ist ein Jammer (... und bezeichnend für seinen Kontrollwahn), dass Mavers nach diesem Album keine weitere LP fertigbrachte. Auch die Veröffentlichung von The La's in der von Steven Lillywhite produzierten Form erfolgte nur auf Druck der Plattenfirma und gegen den Willen des Sängers: Der war vollkommen unzufrieden und nannte die LP „einen Haufen Scheiße“. Eine Meinung, mit der er wohl ziemlich alleine ist, wenn man dann Songs wie „Son Of a Gun“ oder das unsterbliche „There She Goes“ hört. Das ist eine der schönsten Singles der 90er – und ein Song, der bis heute bei etlichen Serien und Kinofilmen verwendet wurde. Mavers jedoch ließ sich nicht dazu herab, nach diesem Album noch irgendetwas zu veröffentlichen. Zwei Jahre später verließ der einzige verblieben Mitmusiker die Band, weil er keine Lust hatte ewig dieselben Songs zu spielen und Mavers köchelte jahrelang alleine vor sich hin. Bis heute gibt es keine neue Musik der La's – und auch eine späte Wiederkunft, wie die von My Bloody Valentine – ist nicht zu erwarten. Schade, aber irgendwie wäre es auch wirklich zu spät – oder ?

Slayer

Seasons In The Abyss


(Def American, 1990)

Nachdem sie mit South of Heaven musikalisch neues Territorium betreten hatten, kehrten Slayer auf Seasons in the Abyss zum Teil zum Sound und zur Schnelligkeit ihres Klassikers Reign in Blood zurück. Es gab zwar durchaus noch die Mid-Tempo-Grooves des Vorgängers, die Songs bekamen nicht mehr diese Hardcore-Kürze, dauern hier auch mal 6+ Minuten, aber Seasons.. verbindet durchaus einige der besten stilistischen Bestandteile beider Alben und wurde daher wieder sehr erfolgreich. "War Ensemble“ und der Titeltrack präsentieren beide Seiten der Band mit rasenden Thrash-Parts und treibenderen, langsameren Passagen. Seasons.. ist durch die perfekte Produktion – wieder von Rick Rubin - und dadurch,dass die Band all ihre Fähigkeiten und Erfahrungen nutzte, eines der genießbarsten Alben von Slayer. Textlich war man nun nicht mehr ganz so extrem und so politisch unkorrekt wie bei manchen leicht misszuverstehenden Songs auf dem Klassiker Reign in Blood, jetzt beschäftigte sich die Band eher mit dem alltäglichen Horror, es gab sogar so etwas wie Gesellschaftskritik - und natürlich Krieg, Mord und den üblichen Wahnsinn – irgendwie trotzdem Slayer eben. Ähnlich wie Metallica's Master of Puppets oder Megadeth's Peace Sells... zeichnet Seasons in the Abyss die USA unter der Reagan Administration mit einem gewissen zynischen Spaß als einen Ort von Korruption und Grausamkeit, und ist dabei so hart und effektiv wie man es von Slayer erwarten konnte.

Jane's Addiction

Ritual De Lo Habitual


(Warner Bros., 1990)

Ritual De Lo Habitual ist eines der Bindeglieder zwischen verschiedenen Phasen und Stilrichtungen der Rockmusik der beginnenden 90er. Irgendwo zwischen Funk-Rock und Psychedelia. Nicht so dreckig wie Grunge, nicht so tuntig wie die Hair Metal Ärgernisse wie Cinderella und vor allem auf dieser, ihrer letzten LP für lange Jahre, sehr psychedelisch für ihre Zeit. Gitarriste Dave Navarro, der später zu den Red Hot Chillie Peppers wechseln sollte, legt hier schimmernde Gitarren-Sounds und -Texturen über die Songs. Perry Farrell singt mit seiner charakteristischen, immer etwas unsicher klingenden Stimme, die eigentlich nicht zu dieser Art Musik passen will. Insbesondere die zweite Seite der LP mit dem Stairway to Heaven-artigen “Three Days“ und dem von fernöstlicher Musik beeinflussten „Of Course“ sowie der MTV-Hit „Been Caught Stealin'“ waren das Beste, was diese Band jemals zuwege brachte. Die Musik von Jane's Addiction hat die Zeit seltsamerweise (und bis jetzt...) nicht so gut überstanden – sie klingen im Moment irgendwie halbherzig, die psychedelischen Facetten angestaubt - aber es lohnt sich zuzuhören, sie haben feine Songs und einen sehr eigenen Stil und irgendwann wird dieser Crossover-Sound vermutlich auch sein Revival erleben.

Pet Shop Boys

Behaviour


(Parlophone, 1990)


Die Pet Shop Boys waren in den Jahren zuvor als Singles-Band bekannt und erfolgreich geworden, hier, auf Behaviour wurde erstmals deutlich, dass sie mehr waren, als nur Hitfabrikanten und dass ihre Alben mehr sein konnten als eine Ansammlung von Singles mit ein paar Fillern. Nun wurden die Dance-Rhytmen von echten Songs überlagert, der Sprechgesang Neil Tennants wurde melodischer, die LP hatte sogar eine Art Konzept. Behaviour ist eine Herbst-Platte, harmonisch, voller träger Eleganz und dekadenter Melancholie. Es ist der Soundtrack zum Ende der Achtziger und zum Ende der Unschuld und des Hedonismus.- und die Sehnsucht nach der Freiheit der Jugend ist zumindest unterschwellig in jedem Song verborgen. Insbesondere - und regelrecht programmatisch deutlich natürlich - in einem der besten Songs der Pet Shop Boys überhaupt, „Being Boring“ verbindet eine wunderbar elegante und melancholische Melodie mit dem Bedauern über die vergangene Jugend und den verlorenen Spaß, und es beinhaltet den Dreh, den sie die folgenden Jahre sö häufig anwandten: Sie gaben die etwas weltmüden, erfahrenen Ex-Partygänger. Aber auch andere Stücke wie „Jealousy“ oder „So Hard“ und „This Must Be the Place...“ machen Behaviour zum Rubber Soul der Pet Shop Boys. Sie gingen den Weg der konzeptuellen Pop-Musik dankenswerterweise konsequent weiter, dieses Album ist nur der erste echte Beweis für ihre Klasse. Weitere würden folgen.

Depeche Mode

Violator


(Mute, 1990)

Oft als ihr bestes Album bezeichnet, ist Violator von Depeche Mode eine dunkle, minimalistische Platte, die mit ihrer Atmosphäre in krassem Widerspruch zu etlichem stand, was 1990 kommerziell erfolgreich war. Und zugleich ist Violator tatsächlich Depeche Mode in Hochform. Heute wird es oft als Singles/Best of-Album wahrgenommen, da die Dichte an Songs, die mit der Band verbunden werden hier so groß ist. Da sind „World In My Eyes“, „Personal Jesus“, „Policy of Truth“ und natürlich „Enjoy the Silence“ – Songs die auch durch die dazugehörigen Videos von Anton Corbijn zu Klassikern wurden. Viele andere Tracks auf dem Album sind ebenso atmosphärisch, kühl und langsam und so wie alles, was sie zu dieser Zeit produzierten von einer gewissen kalten Perfektion. Dies war die Zeit, in der es Depeche Mode mühelos gelang Anspruch und kommerziellen Erfolg zu verbinden. Und auch reine Album-Tracks wie „Happiest Girl“, „Sea of Sin“ oder „Dangerous“ sind genauso gut wie die bekannteren Stücke. Zusätzlich gelang es Depeche Mode auf Violator die Balance zwischen Synthie- und Gitarrensounds erstmals perfekt auszutarieren. Eine Balance, die ihren Sound dann für lange Zeit definieren sollte. Zusammen mit dem ikonografischen Sleeve Design – ebenfalls vom Freund der Band Anton Corbijn wurde Violator zum essentiellen Depeche Mode Album

Nick Cave & The Bad Seeds

The Good Son


(Mute, 1990)

Der Nachfolger von Tender Prey wurde zur Zeit seiner Veröffentlichung von denjenigen, die Nick Cave bisher bewundert hatten, als eine Art Sell-Out angesehen. Anscheinend glaubten viele Musik-Konsumenten seinerzeit, dass der Versuch, kommerziellen Erfolg mit seiner Musik zu haben, verwerflich ist – insbesondere wenn er von „Indie“ Instanzen wie Sonic Youth (siehe unten) oder eben Nick Cave kamen. Dabei wollte er sich eigentlich nur mehr auf die dunkle, introspektivere Seite seiner Kunst besinnen. Nicht, dass er das noch nie getan hätte, es hatte immer wieder Beispiele für diese Art von Texten und Musik von ihm gegeben. Aber die Mittel dazu waren auf einmal andere: Das sanfte Crooning und die Strings auf dem Opener “Foi Na Cruz" erwischte einige Hörer kalt. Der darauf folgende Titeltrack sollte dann typisch für das ganze Album sein: Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn, aus der Perspektive des anderen Sohnes, der seine Pflicht erfüllt hatte, und das letztlich doch bereuen soll... Das elegante, reflektive "Lucy" und das zuerst stakkatohafte, dann fließende "Lament" sind weitere Highlights, Im Zentrum jedoch stehen "The Weeping Song," eine großartiges Duett von Cave und Blixa Bargeld, das fast wie Gene Pitney's "Something's Gotta Hold of My Heart," beginnt (Überigens von den Seeds auf Pricks... gecovert) und "The Ship Song," der als intensive Liebeserklärung an den bewunderten Scott Walker gemahnt. Und so wurde The Good Son tatsächlich Nick Cave's erster Schritt in den Mainstream.

Sonic Youth

Goo


(D.G.C., 1990)



Dies ist das „Hit-Album“ von Sonic Youth, nach dem künstlerischen Erfolg ihres Magnum Opus Daydream Nation sollte nun der kommerzielle Erfolg auf einem Major Label kommen. Und tatsächlich zeigt Goo Sonic Youth mit einem gewissen Pop-Appeal, was zur Zeit des Grunge-Hypes natürlich genau das Richtige war - so wie Sonic Youth in ihrer Karriere erstaunlich Vieles richtig gemacht haben. Es gibt klare Verse-Chorus-Verse Strukturen, es gibt Songs die irgendwie cool waren, -richtig cool, wie die Riot Grrrl Hymne „Kool Thing“ (sic) -featuring Chuck D von Public Enemy – noch mal cool..... oder die kurze Spielerei „My Friend Goo“ mit J Mascis' (Dinosaur Jr.) Stimme im Hintergrund, oder die Grunge-Pastiche „Mildred Pierce“. Da ist „Tunic (Song for Karen)“ mit dem sie der von ihnen verehrten Sängerin Karen Carpenter, die sich dereinst zu Tode hungerte, ein Denkmal setzten und mit dem sie zugleich die Musik der Carpenters aus der uncoolen Ecke herausholten. Und - „...thank god or whoever...“ sagen alle älteren Fans - es gab auch Noise Ausbrüche in „Mote“ oder „Titanium Expose“, es war alles da, um so etwas wie Erfolg zu bekommen (in dem für eine Band wie Sonic Youth möglichen Rahmen). Manche werfen Goo einen Mangel an Spannung, an Kraft und Konsequenz vor. Wenn das stimmt, dann IST Goo Sell Out – ich teile diese Ansicht nicht, und wenn es doch stimmen sollte, dann ist dies Sell Out in seiner (....) coolsten Form. Und schönes Cover überigens















Samstag, 23. Juli 2016

1991 - Irak Krieg vorbei, Kuwait befreit, Sowjetunion zerfallen - Talk Talk bis Bob Dylan

Der zweite Irak-Krieg endet, Kuwait wird von den amerikanischen Truppen befreit. Der Warschauer Pakt löst sich auf als verschiedene ehemalige Sowjetrepubliken ihre Unabhängigkeit erklären, die Sowjetunion zerfällt, nachdem Hardliner der KpdSU versucht haben im sogenannten Augustputsch Michail Gorbatschow abzusetzen und die wirtschaftlichen und politischen Veränderungen rückgängig zu machen. Russland, die Ukraine und andere ehemalige Sowjetrepubliken bilden zunächst einmal den losen Staatenbund GUS. In Ost-Timor kommt es zu Massakern. In den Südtiroler Alpen wird „Ötzi“ gefunden, eine Flutwelle nach einem Zyklon fordert in Bangladesch 200.000 Tote und 500.000 Obdachlose, der Vulkan Pinatobu auf den Philippinen bricht aus und fordert weitere 1000 Tote und 400.000 Obdachlose. Freddie Mercury, Johnny Thunders und Miles Davis sterben, und Oasis und Rage Against the Machine werden gegründet. Musikalisch sind die 80er nun wohl endgültig vorbei. 1991 wird ein Jahr, in dem - ähnlich wie '67 oder '77 - etliche als „definitiv“ oder zumindest „stilbildend“ zu bezeichnende Platten erscheinen. Nirvana zum Beispiel machen Nevermind, und Grunge beginnt seinen kommerziellen Siegeszug. Massive Attack beleben schwarze Club-Musik durch ihre Blue Lines, Metallicas schwarzes Album wird zum kommerziellen Durchbruch der ehemaligen Trash-Band und diese (auf dem Album gezähmte...) Musik bekommt schlagartig ein Massenpublikum, - zugleich kommen aus dem Metal-Underground eine riesige Anzahl von weniger kommerziellen, nichtsdestotrotz hervorragenden Veröffentlichungen. Manche Alben, wie zum Beispiel die Post-Rock Fundamente Spiderland und Laughing Stock bleiben zunächst ungehört, erhalten in den folgenden Jahren aber immer größere Anerkennung. Vieles, was früher Underground war, kommt im Mainstream an, aber all das ist noch schön frisch, und eine neue, junge Generation bemerkt, dass es da einiges an sehr guter Musik zu entdecken gilt. Und auch die Musikindustrie folgt diesem Trend allmählich – allerdings sind die wirklich großen Abräumer noch immer Überflüssigkeiten wie etwa Roxette oder Bryan Adams mit seinem Robin Hood Filmsong. Michael Jackson's Schwester Janet bekommt 30 Mio $ für's Aussehen und generalstabsmäßig geplante Chartsangriffe und Genesis zerstören jede Erinnerung an einstige Größe mit dem Hitparaden-Rock von We Can't Dance..... Aber was soll's, wir haben ja...




Talk Talk

Laughing Stock


(Verve, 1991)





Unter all den guten Alben, die 1991 erschienen, war Laughing Stock sicher die Schönste und die am weitesten in die Zukunft weisende. Es war das fünfte und letzte reguläre Album einer Band, die sich in den letzten Jahren von einer hitparadentauglichen Synth- Pop Band konsequent weiterentwickelt hatte zu einem lockeren Musikerkollektiv, das unter der Feldherrschaft Mark Hollis' - des Königs der Introvertion - die Grenzen der populären Musik weiter und weiter in Richtung Kunstmusik verschob, in eine Richtung die man dereinst Post-Rock nennen würde – und die dafür zu dieser Zeit ganz nebenbei von ihrem Label EMI schnöde verstoßen wurde, so daß Laughing Stock auf dem Jazz-Affinen Verve Label erschien... Produzent Tim Friese-Greene und Bandkopf Hollis reduzierten Popmusik noch weiter als es möglich schien und streckten und dehnten ihre verbliebenen Strukturen und Sounds dann bis an die Belastungsgrenzen. Auf diesem Album ist alles spartanisch, aber alles fällt wunderbar genau an seinen Platz. Sie hatten damit schon auf Spirit of Eden begonnen, aber dort waren die Songstrukuren noch erkennbar gewesen. Auf Laughing Stock, der logischen Fortentwicklung des (durchaus bekannteren) Vorgängers wurden die Songs auf Folgen von Tönen eingedampft, gespielt von Gitarren, Blues-Harp, Bass und Bläsern. All das wurde nur noch zusammengehalten durch die Stimme von Mark Hollis, der seine lautmalerischen Texte mit Songtiteln wie „Myrrhman“ oder „Runeii“ versah. Diese wenigen Elemte dabei zu etwas so Schönem und Reinem zu verbinden, ist der Beweis dafür, dass Mark Hollis nach wie vor seine Affinität zum Pop und zu dessen Melodik nicht verleugnen konnte (wiewohl er das vielleicht wollte) und es zeigt, wie weit Talk Talk trotz ihrer Vorreiterrolle für den kommenden Post-Rock von genau dem entfernt geblieben sind. Ein solch feiner Sinn für „eingängige“ Melodien geht Bands wie Tortoise oder Mogwai letztlich dann doch ab. Aber genau dieser ist es, der dieses Album so einzigartig macht.




Slint

Spiderland


(Touch & Go, 1991)





Spiderland von Slint ist - ähnlich wie Laughing Stock übrigens - eines dieser Alben, die im Laufe der Zeit einen großen Kult-Status erlangen, zur Zeit seiner Veröffentlichung aber von den Wenigsten wirklich gehört wurde. Dazu war diese Mischung aus Punk, Independent und Jazz Einflüssen ihrer Zeit noch zu weit voraus. Entfernt vergleichbares gab es nur von Television oder von Big Black, der Band von Steve Albini, dem Produzenten dieses Albums. Heute gilt Spiderland zurecht - mehr noch als Talk Talk's 91er Album - als „Fundament“ des sogenannten Post-Rock. (Was der Grund ist, aus dem ich beide Alben hier nebeneinander stelle – sie bilden sozusagen die beiden gegenüberliegenden Ecksteine des Post Rock) Die wichtigsten, und beiden Alben gemeinsamen Elemente, die vertrackte Rhythmik, die Laut-Leise Dynamik, und sogar der so seltsam aus dem Nichts kommende Gesang wurden später zu den typischen Bestandteilen dieses schwer zu definierenden Stils. Dazu kommt bei den Amerikanern Slint, dass eigentlich alle beteiligten Musiker später in den stilbildenden Post Rock Bands wie Tortoise oder The Sea and Cake auftauchen sollten. Aber 1991steht Spiderland, - wie auch Slint's erstes Album Tweez – zunächst einmal alleine im dubiosen Bereich der experimentelle Rock Musik. Der Begriff „experimentell“ sollte allerdings nicht die Tatsache verschleiern, dass Songs wie „Nosferatu Man“ nicht bloß akademisch, sondern auch einfach schön klingen. Sinn für Popmelodien ist hier allerdings - im Vergleich zu Mark Hollis Arbeit mit Talk Talk - nicht vorhanden. Kein Wunder, die Briten Talk Talk kamen vom Synth-Pop, und man kann davon ausgehen, dass dieser für die eher aus der Punk- und Hardcore Szene stammenden Musiker weder Fundament noch Ziel ihrer Musik war. Noch ein kleiner Hinweis am Rande: Das Cover-Foto schoss ein gewisser Will Oldham – später bekannter als Palace und Bonnie „Prince“ Billie




My Bloody Valentine

Loveless


(Creation, 1991)





Nach dem wunderbaren Debut Isn't Anything, nach fantastischen EP's und nachdem sie sich endlich von dem Vorwurf, ein Jesus and Mary Chain - Rip Off zu sein, freigemacht hatten, brauchten My Bloody Valentine für die Aufnahme von Loveless geschlagene drei Jahre, Creation Records investierte 250.000 Pfund und trieb sich selbst fast in den Ruin. Aber das Ergebnis war's wert. Loveless ist – wie die meisten hier vorgestellten - eines der einflussreichsten Alben der 90er - das Jahr 1991 ist voll von solchen singulären Phänomenen. Bandkopf und Gitarrist Kevin Shields erschuf mit Hilfe von 18 Technikern und seinen Bandkollegen DIE Mutterpause und zugleich den ersten Höhepunkt für die gesamte sogenannte Shoegaze-Szene (... Shoegaze, weil die Musiker bei Konzerten ständig auf die Effektpedale vor sich starren, um hren Sound zu erzeugen...). Weder er noch andere Bands erreichten hernach jemals wieder diese Perfektion – selbst wenn dann ähnlich schöne Alben entstanden, wie Souvlaki von Slowdive oder Nowhere von Ride... - sie alle arbeiteten nach Loveless auf schon beackertem Terrain. Kevin Shields perfektionierte auf diesem Album die Technik den Sound der Rückkopplungen der Gitarren in ein tosendes Rauschen zu verwandeln indem er den Klang der Gitarrensaiten entfernte und das weiße Rauschen übrigließ. Und ihm gelang dabei das Kunststück, dass die Songs und Harmonien trotz dieses ungeheuren Getöses süß und plastisch blieben, Shields' und Belinda Butchers Vocals verschmelzen bei sanften Songs wie „Blown a Wish“ aufs delikateste, „Only Shallow“ ist Pop, in kraftvollen Noise gegossen, „Soon“ verbindet White Noise mit Dance-Einflüssen. All die Epigonen, die - wie gesagt - teils auch wunderbare Alben machten, konnten im Grunde ab jetzt nur noch zitieren.




Massive Attack

Blue Lines


(Virgin, 1991)





Dies ist wieder eines dieser Genre-definierende Alben – es steht für die Musik, die erst ein paar Jahre später TripHop genannt wird. Blue Lines von Massive Attack vermengt erstmals amerikanischen Hip Hop mit britischer Club-Kultur, mit Dancehall, Reggae, Rare Groove und Dub und steht damit im Jahr 1991 als etwas ganz Neues und entsprechend Aufregendes in der Musikwelt. Ein vergleichbarer Sound mag einzig noch von Soul II Soul kommen – und natürlich aus dem Musiker-Kollektiv The Wild Bunch aus Bristol, aus dem dann auch Portishead und Tricky hervorgehen werden. Die Musik von Massive Attack und Kollegen ist vielschichtiger als der Club Sound jener Zeit, teilweise wird innerhalb eines Stückes ein Club-Jam mit bestem britischen Rap vermengt – siehe der Opener „Safe From Harm“, bei dem der zum Musikerkollektiv Wild Bunch gehörige Tricky seinen heiseren Beitrag leistet. Dazu kommen einige weitere hervorragende Gast-Vokalisten wie Reggae-Legende Horace Andy - mit seinem hymnischem Gesang auf drei Tracks, unter anderem beim wunderbaren „One Love“. Oder der Beitrag der Soul Diva Shara Nelson, die den Opener „Safe From Harm und den unglaublich schönen Über-Hit „Unfinished Sympathy“ zur Perfektion veredelt. Der Grundtenor der Musik von Massive Attack ist jetzt schon düster, „Five Man Army“ wird durch etliche Dub-Kammern gejagt, aber insgesamt wirkt dieses Album doch freundlich im Vergleich zu dem, was später noch kommen soll. Blue Lines ist das definitiven Dance-Alben des Jahres 1991.




A Tribe Called Quest

The Low End Theory


(Jive, 1991)





Nachdem sie 1990 schon ein tolles Debütalbum hingelegt hatten, gelang den New Yorkern A Tribe Called Quest ein Jahr später mit The Low End Theory tatsächlich die erhoffte Steigerung. Der Stil, den sie mit anderen Hip Hop Acts wie den Jungle Brothers und De La Soul generierten, nennt man Conscious Rap (... dies für dfenjenigen, der Einordnungen liebt...), und The Low End Theory ist einer der Höhepunkte dieser weniger machohaftent, eher von politischen und soziologischen Themen geprägten Form des Rap. Tatsache ist – das Album ist unabhängig von „Stilistik“ und Genre so gut, dass es im besten Sinne zeitlos geblieben ist. Eine Eigenschaft die gerade im an Trends ausgerichteten Hip Hop nicht selbstverständlich ist. Rapper Q-Tip hat das Mikro immer noch die meiste Zeit in der Hand, aber Phife Dawg bekommt einen größeren Anteil als noch auf dem Debüt, was zum Abwechslungsreichtum beiträgt. Q-Tip klingt cool, Phife energetisch, wenn sie über die positiven Seiten des Lebens ihrer Leute rappen. Ihre Reime sollten im Laufe der Zeit noch flüssiger werden, aber beide MC's sind schon in großer Form. Dazu kommen feine Beiträge von Gesinnungsgenossen wie dem jungen Busta Rhymes („Scenario“) oder Brand Nubian und Diamond D („Show Business“) und die Mitarbeit des Jazz-Bassisten Ron Carter. Es gibt diesen Spruch, dass The Low End Theory das Sgt Pepper... des Hip Hop ist – etwas übertrieben, aber ganz falsch ist es nicht: Hier wurde erstmals Hip Hop und Jazz – die Musik der Schwarzen mithin – in einem minimalistisches Konzept zusammengebracht. Da sind eigentlich nur Bass, Drums und die Stimmen der MC's, dazu ab und zu dunkle Keyboard-Lines und ein paar wohl gesetzte Sounds und Samples – man höre nur den wunderbaren Flow von „Butter“. Und bei allem Minimalismus klingt das Album abwechslungsreich, dynamisch, spannend und reich. The Low End Theory ist ein Album, bei dem ein kluger Inhalt in die perfekte Form passt, eine Fusion aus dem besten der Musiktraditionen aus Jazz und Hip Hop. Und auch hier gilt: Nachfolger mussten sich an diesem Album messen.




Nirvana

Nevermind


(DGC, 1991)





Jaja, hier kommt es ja schon – DAS Album der Neunziger: Es beginnt mit einem simplen Akustik-Riff, dann setzen Drums und Bass ein und dann kommt diese Stimme, tief aus der Kehle, die den Plastikpop und den Hair-Metal der 80er wegfegt. „Smells Like Teen Spirit“ kam wie ein Befreiungsschlag und sollte die Musik der 90er neu definieren und vor allem die Idee der geplanten Marketing-Campagne für Popmusik endlich mal etwas entgegenstellen. Denn die drei von Nirvana hatten all das ganz gewiss nicht geplant oder vorhergesehen und fühlten sich in der Rolle als Leitbilder einer Generation schnell sichtlich unwohl. Zunächst allerdings bemerkten die drei Musiker von dem weltweiten Hype kaum etwas, da sie auf Tour waren und den Erfolg nur ab und zu telefonisch mitgeteilt bekamen. Kurt Cobain jedenfalls hatte sicher keinen weltweiten Siegeszug geplant. Umso seltsamer und auch tragischer ist es, dass Nevermind - und Nirvana - in den folgenden Jahren immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt wurden, „kommerziell“ zu sein. Wenn man hinhört, fällt einem auf, dass Songs wie „In Bloom“ oder „Come As You Are“ zwar eine gehörige Portion Pop enthalten – Kurt Cobain hörte und verehrte die Beatles (und die Pixies) und wollte Songs so simpel wie Kinderlieder schreiben - aber das Rohe und Entfesselte einer Punk-Band ist immer da und in anderen Songs wie z.B. „Breed“ oder „Territorial Pissing„ noch viel deutlicher – nur wir haben uns inzwischen an diesen angeschmuddelten Sound gewöhnt – der dann oft nur Attitüde ist.... Das war hier nicht der Fall – wobei Kurt Cobain Nevermind später oft genug als „überproduziert“ und „zu glatt“ bezeichnen sollte – eine Koketterie, die man verzeihen kann. Dass Cobain und Nirvana auch Balladen konnten, zeigt „Something in the Way“. Nirvana hatten meiner Meinung nach einfach unfreiwillig Glück und trafen zur richtigen Zeit mit großartiger Musik den richtigen Nerv.




Primal Scream


Screamadelica


(Creation, 1991)





Und eine weitere Stilprägende Platte des Jahres 1991: Primal Scream waren nicht wie die bekifften Happy Mondays oder die großmäuligen, rockistischen Stone Roses in nur einer bestimmten Szene unterwegs, ihnen gelang es mit Screamadelica Club Culture und Indie zu verquicken und damit rissen sie genauso Grenzen ein, wie es Massive Attack in anderen Bereichen machten. Als durchschnittliche Indieband mit zwei belanglosen Alben gestartet, hatten sie für ihr drittes Album den DJ Andrew Weatherall eingeladen, die Songs „Loaded“ und „Come Together“ zu remixen, hatten The Orb aus „Higher Than the Sun“ ein knurrendes Dub-Monster machen lassen, ließen den Rolling Stones Produzenten Jimmy Miller „Movin' on Up“ und „Damaged“ erden. Und so schufen sie trotz all der unterschiedlichen mitwirkenden Künstler und DJ's eine Platte, die Psychedelia, Dance Music und Rockmusik organisch miteinander verband. Psychedelische Sounds und Ecstasy-getränkte Dance Grooves waren das, was herauskam und die erstaunlichste Eigenschaften dieser LP ist es, dass sie trotz dieses Patchworks aus Einflüssen wie aus einem Guß klingt und dabei auch noch ungeheuren Spaß macht. Sänger Bobby Gillespie - der sich übrigens zuvor als Drummer bei The Jesus and Mary Chain betätigt hatte - würde sein Mutterschiff über die kommenden Jahre immer wieder in neue Richtungen schieben und den Satilwechsel zum Stilmittel machen. Hier erfand er das Rezept für die Karriere von Primal Scream: Bekannte Versatzstücke zu etwas Neuem zusammen zu setzen.




Metallica

s/t (Black Album)


(Vertigo, 1991)




Das schwarze Album von Metallica: Das Album, das von den meisten Fans der ersten Stunde mindestens mit größtem Misstrauen betrachtet wurde, das aber zugleich harte Musik einem ganz neuen Publikum öffnen sollte. Ein Album, das den Status Metallicas als DIE Band unter den Bay-Area Thrashern zementieren sollte und sie zugleich aus dieser hermetischen Szene herauskatapultierte. Ihre vorherigen Alben waren kommerziell schon recht erfolgreich gewesen – für Heavy Metal jedenfalls – aber hier sprengten sie sich einen Weg in ganz andere Dimensionen frei. Antreibende Kraft hierfür war – wie inzwischen bekannt – vor Allem James Hetfield, (un)umstrittener Kopf der Band und ihr Rhythmus-Gitarrist und Texter. Dessen Ehrgeiz war es anscheinend, der dazu führte, dass die Band den reinen Thrash ihrer ersten 2 1/2 Alben immer mehr in Richtung Radiofreundlichkeit verschob. Wobei – die Akzeptanz für harte Musik näherte sich auch von der anderen Seite – dass Metallica ein größeres Publikum bekamen, hat wenig mit dem „Verrat von Idealen“ zu tun. Tatsächlich sind Metallica auf ihrem selbst betitelten fünften Album in zehn Jahren ganz einfach langsamer geworden – und nicht etwa weniger „heavy“ - haben eine etwas cleanere Produktion von Bob Rock (.. dieser Name verpflichtet vermutlich...), und haben ganz einfach ihre Stärken ausgearbeitet: Komplexe, an Prog-Rock erinnernde Songstrukturen, erstaunlich treffende Hooks und eine Kraft, die ihresgleichen sucht – die man sonst nur von den weniger zugänglichen Konkurrenten kannte. Die Ballade „Nothing Else Matters“ mag das Übel „Metal-Ballade“ mitverschuldet haben, aber Songs wie die nicht minder berühmten Singles „Enter Sandman“ oder „The Unforgiven“ sind effektiv und hart. Und es gibt auch einige Album Tracks, die ganz banal großen, breitbeinigen Thrash Metal (...meinetwegen light) bieten. Um „Holier Than Thou“ und „Through The Never“ haben sie vermutlich andere Bands beneidet. Grundsätzlich teile ich die Meinung, dass Metallica nicht die Klasse von Ride the Lightning oder Master of Puppets hat. Es ist als Doppel-LP mit zwölf Songs zu lang und nicht so intensiv wie die vorgenannten Alben – und es ist nicht so extrem, wie ich es mag, aber es ist ein kulturelles Phänomen, weil es harte Musik aus einer etwas schmuddeligen Obskurität holte und es ist weit besser, als die Fundamentalisten es zugeben wollen.

Dismember

Like An Ever Flowing Stream

(Nuclear Blast. 1991)

..um den Fundamentalisten eine Freude zu bereiten – und weil Death im Metal dieser Zeit DAS Ding ist – muss ich bei den wichtigsten Alben des Jahres '91 das Debüt der Schweden Dismember hervorheben. Natürlich kann man geteilter Meinung sein – Death's Human, Immolation's Debüt – alle beide evtl. genauso gut... aber ich wähle Like An Ever Flowing Stream von den Schweden Dismember. Die gelten unter den schlecht Informierten als Kopisten, als zweite Band hinter den Pionieren Entombed, aber sie sind - fast zeitgleich mit Entombed - aus der Band Carnage entstanden, deren Debüt im Vorjahr posthum veröffentlicht wurde und ihr Sound mag zwar dem von Entombed ähneln, aber sie waren schlicht befreundet, die DM-Bands aus Schweden gingen allesamt ins Stockholmer Sunlight Studio mit Thomas Skogsberg, und der war stolz auf den dort entwickelten eigenwilligen Sound, die tiefer gestimmten Kreissägen-Gitarren, die kraftvollen Rhythmus-Gewitter – den dann etliche Bands gemeinsam hatten. Die Wurzeln von Dismember liegen im Hardcore, aber sie haben einen melodischen Songwriting-Approach, der sie stark von Florida-Death Metal Bands etwa unterscheidet. Vielleicht ist es das Erbe schwedischer Volksmusik, vielleicht sind alle Schweden durch ABBA geprägt – jedenfalls sticht bei Like An Ever Flowing Stream eine fast poppige Melodik hervor, die aber keinesfalls die rasende Gewalt dieser Song-Ausbrüche zu überdecken vermag. Dieses Album ist das Beste unter den schwedischen DM-Klassiker, weil dem Hörer die Boshaftigkeit dieser gerade mal 20-jährigen aus jedem Ton entgegen springt, weil bei „Override of the Overture“ DAS klassische schwedische Death Metal Riff gespielt wird, weil die Leads vom Freund und Gast-Gitarristen Nicke Andersson (von Entombed) so melodiös schimmern, weil die Band dabei so rasant voran prescht, weil Songs wie „Skin Her Alive“ oder „Soon to be Dead“ mit ihren Gewalt-Ausbrüchen trotzdem erinnerlich bleiben – schlicht, weil Like An Ever Flowing Stream zu den besten DM-Alben seiner Zeit gehört und nichts über sich und nur Entombed's Left Hand Path aus dem Vorjahr neben sich hat. Dass die Band auf dem Back-Cover mit blutverschmierten Oberkörpern posieren und den bösen Songtitel „Skin Her Alive“ verwenden, hat damals für eine Aufregung gesorgt, die heute (nach Black Metal...) albern wirkt.

 

Mercury Rev

Yerself Is Steam


(Columbia, 1991)





Mercury Rev's Debüt wird alle überraschen, die die Band erst ab dem psychedelischen Nebel Deserter's Song kennen, dem Album, mit dem ihnen im Jahr 1998 ein kurzer aber verdienter Erfolg beschieden war. Zu Beginn ihrer Karriere hatte ihr Sound einige zusätzliche – und für breitere Massen ungenießbare – Komponenten. Zu dieser Zeit war es David Baker - Sänger und Exzentriker - der den musikalischen Kurs der Band entscheidend mitbestimmte: Erst mit seinem Ausstieg 1994 bemerkte man – er war derjenige, der für die düstere, noisige Seite Mercury Rev's zuständig war. Die Band hatte sich aus ein paar Filmstudenten gegründet, deren Mentor Tony Conrad (.. der hatte früher u.a. mit den Kraut-Rockern Faust und dem Minimal-Composer La Monte Young gearbeitet) ihnen Mut machte, ihre Ideen und ungewöhnlichen Sounds zu verwirklichen. Anfang der Neunziger gab es kaum eine Band, die so klang wie Mercury Rev – da waren nur die Flaming Lips, bei denen sowohl Mercury Rev's David Fridman als auch Gitarrist Jonathan Donahue mitmachte, sowie die weit härteren Butthole Surfers, aber auch die waren mit Mercury Rev verbandelt. Das Debüt Yerself Is Steam (Wortspiel – Your Self Esteem...) ist eines der ganz großen psychedelischen Meisterwerke der Neunziger – spannender und vielschichtiger als der Baroque Pop von Deserter's Songs, aber mit all dessen melodischer Finesse (man höre nur den Opener „Chasing a Bee“), da noch mit der wunderbar tiefen, bekifften Stimme David Bakers, der allerdings während eines Songs gerne mal die Bühne verließ, um einen zu trinken. Da sind die klug eingesetzten Blasinstrumente von Suzanne Thorpe bei Songs, die sich dem üblichen Verse – Chorus-Schema verweigern und so schöne Titel haben wie „Sweet Oddysee of a Cancer Cell t' th' Center of Yer Heart“ oder „Continuous Trucks and Thunder Under a Mother's Smile“... da ist diese Mischung aus Schönheit und Free Form Art Rock – diese Musik jedenfalls war und ist äußerst beeindruckend – ich beneide jeden, der die Band neu kennenlernt. Dass sie weiterexistierten grenzt allerdings an ein Wunder: Erst ging der US-Vertrieb Pleite, die Tour in England worde chaotisch, danach verteilten die Musiker sich im Lande, spielten wieder bei den Flaming Lips oder stellten sich für medizinische Experimente zur Verfügung um Geld zu verdienen.... Aber dann wurde das Album re-issued, die Band raufte sich zusammen und nahm mit Lego My Ego zunächst eine völlig wahnsinnige EP auf. Aber mehr dazu in 1992. Yerself Is Steam jedenfalls ist ein mindestens so gehaltvolles Stück Musik wie die zuvor reviewten Alben.


Les Rallizes Dénudés

'77 Live

(Rivista, 1991)

Eine der Sachen, die Japaner besonders gut können, ist das Übernehmen von Ideen, die dann und auf ein Format vergrößert werden, das uns Eurpäern mitunter absurd erscheint. King Kong, der über einen 15 Meter hohe Gorilla, der eine Frau in der Hand halten kann, wurde von der japanischen Filmindustrie zum post-nuklearen Monster Gojira vergrößert, die - halb Echse, halb Gorilla, radioaktive Flammen ausspieh. Und genau so wurden amerikanische Psych- Rockbands wie Blue Cheer oder die Velvets, aber auch deutsche Bands wie Amon Düül und die eigenen japanischen Vorbilder der Flower Travelin' Band in den post-nukleare Alptraum Les Razille Denudes verwandelt. Deren unendliche, vollkommen übersteuerte Gitarren-Odysseen würden in den kommenden Jahren eine ganze Lawine von gleichgesinnten japanischen Bands wie Mainliner und Fushitsusha oder auch Acid Mothers Temple und Boris beeinflussen. Das Album '77 Live ist somit das Sgt. Pepper des japanischen Noisy Guitar Shit, und auch wenn von den Aufnahmen 1977 bis in die frühen Neunziger - in denen diese Aufnahmen dann auftauchten - viel Zeit vergangen ist, sind die Aufnahmen extremer und ohren-zerfetzender als vieles, was in den folgenden Jahren von oben genannten Nachfolgern fabriziert wurde. Wobei die Gitarrendetonationen des legendären Frontmannes Takashi Mizutani zwar vieles zudecken, das enorm melodische Bassspiel von Hiroshi jedoch der Musik den erforderlichen melodischen Halt gibt. Dass diese Band 1962 aus einer Stzudenten-Theater-ruppe entstand, dass sie einerseits links-radikal waren, gleichzeitig aber öffentlichkeitsscheuin der Hinsicht waren, dass sie nie ein reguläres Studio-Album veröffentlichten, und dass es bis zu ihrem Ende 1996 nur Live Bootlegs gab, trägt zum anti-kommerziellen Image bei. '77 Live wurde somit zum Kult-Objekt des Noise-Rock, wurde immer wieder in unterschiedlichem Cover-Design re-issued, und gilt wahlweise als „brain-melting“ oder als überflüssiger Lärm. Was ich davon halte, siejht man hier... und als Post scriptum... Wie vieles, was hier angedeutet wird, gibt es auch zu dieser Art von Musik – oder zumindest zu vergleichbarem Stoff - ein ganzes Kapitel, in dem die japanischen Noise-Künstler der frühern Neunziger und die sehr freien Grindcore-Jazz Terroristen nebeneinander gestellt werden


Bob Dylan

The Bootleg Series 1-3, (Rare and Unreleased) 1961-1991


(Columbia, 1991)




Es war eigentlich wieder einmal eine Phase in Bob Dylans Karriere, in der man nicht mehr wirklich viel von ihm erwartete – jedenfalls Nichts wirklich Neues mehr. Wobei - wirklich NEUES hat er eigentlich nie geschaffen. Er hat mit alten Formaten experimentiert und diese verändert – aber das gilt für beinahe Alles, was in den letzten 35 Jahren Popmusik geschehen ist... aber das zu untersuchen würde zu weit führen. Hier geht es um Teil 1 bis 3 von Dylan's Bootleg Series, dem musikalischen Schatz, der bislang ungehoben oder nur auf inoffiziellen Alben erschienen war, dem Teil seines „Werkes“, der zeigt, wie reichhaltig die Musik dieses Mannes immer war, selbst dann, wenn die einzelnen „offiziellen“ Alben nicht befriedigten. In der Tat ist es verwunderlich, warum etliche dieser Songs nicht auf den jeweiligen Alben veröffentlicht worden waren. Anscheinend hatte er mehr Material, als manch anderer Künstler in einer ganzen Karriere schafft. Auf dem 3-CD Set deckte die erste CD die ersten drei Alben ab, mit diversen rohen Aufnahmen aus dieser Zeit, von denen insbesondere „Moonshiner“ mit Allem, was seinerzeit auf The Times They Are A-Changing war, mithalten kann. Die zweite CD ist vielleicht am interessantesten, mit wunderbaren Cuts wie „Seven Curses“, „Mama you been on My Mind“ oder „She's your lover now“, das ohne Probleme auf Blonde on Blonde gepasst hätte. Dazu tolle Outtakes von den Blood on the Tracks Sessions. Disc 3 reicht von Aufnahmen zu Desire über die „christliche“ Phase bis zum unerquicklichen Pop vom '85er Karrieretiefpunkt Empire Burlesque. Und insbesondere die Outtakes aus den Sessions zu Infidels ('83) zeigen, dass er damals doch gut in Form gewesen war. Komplett außen vor sind Outtakes aus der Phase nach '66 – als er die Basement Tapes aufnahm. Da würde irgendwann ein eigenes Album erscheinen. Grundsätzlich ist diese Compilation natürlich an Dylan-Fans gerichtet. Um so interessanter also, dass The Bootleg Series 1-3, ohne weiteres auch als reguläre Karriereübersicht funktionieren könnte. Es zeigt sich, was für ein kompletter Künstler Dylan über einen so langen Zeitraum war. Im kommenden Jahr würde er auf den beiden Alben Good As I Been to You und World Gone Wrong teilweise archaisches Fremdmaterial covern – auch eine Art Rückblick, dann auf die Vorbilder - um dann 1994 mit Time Out of Mind mit fabelhaftem neuen Material einen weiteren Höhepunkt seiner Kunst anzusteuern.