In
China stirbt der Mao Zedong, der kommunistische Alleinherrscher, in
den USA wird der Demokrat Jimmy Carter zum Präsidenten gewählt, und
die Todesstrafe wird wieder eingeführt – sie war 1972 kurz
abgeschafft worden. Die Firma Apple wird von den jungen
Computerfreaks Steve Jobs und Steve Wozniak gegründet. In
Argentinien wird die Präsidentin und Marionette der bis dahin
regierenden Peronisten Isabel Peron vom Militär abgesetzt. Zunächst
ist das Volk begeistert, aber in der Folge verschwinden tausende von
Linken und Intelektuellen in Folterzellen und die Militär-Junta
führt bis 1983 ein grausames Regime. Im italienischen Seveso kommt
es zu einem Dioxin-Giftunfall, in dessen Folge hunderte Menschen
sterben. England und Island führen einen regelrechten Krieg um
Fischereirechte. Der Bluesmusiker Howlin' Wolf stirbt. Die
Punk-Revolution des kommenden Jahres kündigt sich an –
insbesondere in New York sorgen Bands aus dem Dunstkreis des CBGB's
(Country, Bluegrass and Blues Club !) wie die Ramones oder Blondie
für Aufregung. In England ist es der Pubrock (siehe Graham
Parker...), der den Punk vorwegnimmt – ganz abgesehen davon, dass
Bands wie die Buzzcocks und die Sex Pistols ihre ersten Singles
veröffentlichen – das eigentliche Medium, in dem Punk funktioniert
– und mit ihren randalösen Auftritten etliche junge Zuschauer dazu
bringen, selber Bands zu gründen und Musik zu machen. Es ist ein
weiteres tolles Jahr für Liebhaber des Reggae, während progressiver
Rock verwelkt und Dinosaurier wie die Rolling Stones oder Led
Zeppelin schwächeln. David Bowie lässt sich von Drogen und elektronischer Musik beeinflussen und ist auf dem Sprung nach
Berlin. Im „Mainstream“ haben ABBA derweil ihre ersten großen
Hits, ein mittelmäßiger Gitarrist namens Peter Frampton macht ein
ungeheuer erfolgreiches Live-Album – und ich frage mich nur, was
Millionen Menschen daran finden und musikalisch inzwischen deutlich
als erzkonservativ erkennbare Bands und Musiker wie Bob Seger,
Kansas, Chicago oder der dem JetSet verfallene Rod Stewart regieren
die Charts genau wie die etwas interessanteren Boston und Eagles.
Seltsame Zeiten.
Ramones
s/t
(Sire,
1976)
Hier
beginnt es also mit den Ramones. Müde vom immer gleichen
Radioprogramm in den USA, angewidert von schaler Disco-Musik und
Langweilern wie Styx und Kansas gründeten vier Jungs in New York eine Band in der Absicht,
zu den einfacheren Pop & Rock Regularien der 60er zurückzukehren.
Musik zu machen, die schnell und ohne Prätention zur Sache kommt.
Dee Dee Ramone war zunächst Sänger der Band, konnte aber nicht
zugleich den Bass bedienen, also griff Joey, der sowieso nicht der
weltbeste Drummer war, zum Mikro. Daher mußte für die nächsten
Alben Manger Tommy die Sticks übernbehmen, ehe Marky (auch bekannt
als Marc Bell) Richard Hell & the Voidoids verließ und sich auf
den Drumstuhl setzen sollte - aber all der Drehungen des
Bestzungskarussells mal unbenommen - die Musik der Ramones war
von Beginn an klar definiert. Mit Johnny's Kreissägen-Gitarrensound
und seinen simplen, harten Riffs ist Ramones sofort immens
memorabel, so wie beim Opener „Blitzkrieg Bop“, einem Song, den
vermutlich jeder irgendwann mal gehört hat. Da sind die Songs mit
Lyrics ausgestattet, die Gewalt wie im Cartoon darstellt wie „Beat
on the Brat“. Da ist der Tongue-in-Cheek Humor von „Now I Wanna
Sniff Some Glue“ („...all the kids want something to do!“). Die
Band neigt mitunter zu Monkee-artiger Albernheit – aber sie haben
zumindest diesen Humor, ganz anders als viele der krampfhaft
ernsthaft bis zynischen Punk Bands ihrer Generation. Sie werden
romatisch bei „I Wanna Be Your Boyfriend“, brechen gar in Tränen
aus bei „Listen to My Heart.“. „53rd & 3rd“ wiederum –
von Dee Dee geschrieben – behandelt eine berüchtigten
Schwulenstrich in New York City. Alles in Allem ist es ein variables
Album, das in einer knappen halben Stunde nie zu ernst wird, nie
seinen Punch verliert und viel Spaß bereitet - und vor Allem: Es ist
ein Klassiker, der in den Alternative/ Indie/ Punkszenen der
kommenden Jahre so gut wie jeden irgendwie beeinflusst hat. Und
Ramones ist erst der Beginn einer Quadriga von essentiellen Pop-Punk
Alben
David
Bowie
Station
To Station
(RCA,
1976)
David
Bowie war endlich in den USA angekommen. Mit dem Vorgängeralbum
Young Americans (das ich wenig interessant finde...) und der Single
„Fame“ hatte er den US-Markt geknackt, er hatte im Film "The Man
Who Fell to Earth“ mitgespielt, er hatte sich eine massive
Kokainsucht angeschafft – und war nun anscheinend nicht mehr
zufrieden mit diesen "Errungenschaften". Zumindest konnte er jetzt
machen, was er wollte – so beschloss er, seiner im Film
entstandenen Kunstfigur – dem „Thin White Duke“ Leben
einzuhauchen – einer emotionslosen, klinisch reinen Maske, die
wenig mit den Glam-Kreaturen seiner vorherigen Häutungen gemein
hatte. Aber – so interessant Bowie's Verkleidungen sind - die Musik
ist mir immer wichtiger gewesen, und Station to Station gehört
definitiv zu seinen besseren Alben – zu denen, die man auch ohne
Image lieben kann, bietet es doch, obwohl in LA entstanden, einen
deutlichen Ausblick auf die kommende Berlin-Trilogie mit den Alben
Low, Heroes und Lodger, ja es passt sogar besser in die Trilogie als
Letzteres. Das fängt schon mit dem Synthesizer- Zug-geräuschen beim
10-minütigen Titeltrack an, der körperlosen Stimme, die das Kommen
des „Thin White Duke“ verkündet, dann verwandelt sich der Song
via Monster Chords und Wiederholung in ein Stück Power-Rock, bei dem
er fragt „And who will connect me with love?“ und „Does my face
show some kind of woe?“- Bowie ist Schauspieler – den Rocker kann
er also auch geben. „TVC 15“ erinnert wieder an die Zeiten, als
Bowie uns Songs wie „Suffragette City“ gab – und zu dieser Zeit
hatte Bowie noch etliche andere Facetten vorzuzeigen, trotz seiner
Drogensucht (die ihn dann auch bewog nach Berlin zu gehen) trotz der
Tatsache, dass er diese Phase als die Schlimmste seines Lebens
bezeichnen würde. Man kann beklagen, dass die leidenschaftliche
Überzeugung seiner früheren Arbeit verloren ist, das Album ist
gewiss nicht sein „Bestes“, aber man kann Station to Station auch
- unter anderem wegen dieser Kühle - als eines der ersten New Wave
Alben bezeichnen.
The
Modern Lovers
s/t
(Beserkley,
Rel. 1976)
Jonathan
Richman &
The
Modern Lovers
(Beserkley,
1976)
So
geht das oft genug bei Bands, die irgendwann später einflussreich
genannt werden: Jeder kennt ihre Platten, jeder behauptet von Anfang
an Fan gewesen zu sein, aber irgendwie hat keiner ihre Platten
gekauft. Keiner war da, als zum Beispiel Jonathan Richman, Jerry
Harrison (- der spätere Gitarrist der Talking Heads), Ernie Brooks
und David Robinson im Herbst 1971 in der Gegend um Boston umherzogen
und ihre impertinent simplen Songs spielten. Richman war einer der
wenigen echten Velvet Underground Fans (d.i. - tatsächlich von 67
an...), er ging sogar soweit, nach New York zu reisen und auf dem
Sofa ihres Managers zu nächtigte, um die bewunderten Musiker
kennenzulernen. 1972 produzierte John Cale dann wirklich ein Demo für
seine Band Modern Lovers, die Silvester '72 mit Suicide, Wayne County
und den New York Dolls im Mercer Arts Center den Urkeim des New
Yorker Art-Punk setzten. Nachdem sein anderes Idol, der
Country-Erneuerer Gram Parsons (ja, den kannte er auch, der war sein
Freund...) starb, nach diversen Streitereien mit den anderen
Bandmitgliedern und nachdem er mit den Aufnahmen zum Debut einfach
nicht zufrieden war,brach Richman die Aufnahmen ab, löste die Band
auf und wurde ein andere Mensch. Seine alten Songs „Roadrunner“
und Pablo Picasso“ wollte er nicht mehr so aggressiv spielen und
das Album, das dann erst 1976 - also drei Jahre später gegen seinen
Willen - erschien, war eigentlich nur eine Sammlung von Demos - die
ganze Generationen von Indie Musikern prägen sollte. Richman selber
gründete eine andere, neue Inkarnation seiner Modern Lovers mit
denen nun seine aktuelle Musik spielte. Der Unterschied ? Der Sound
ist nun näher am Bubblegum-Pop, das zweite Album klingt „softer“:
War The Modern Lovers Proto Punk-Rock, so ist Jonathen Richman &
the Modern Lovers Proto Pop-Punk. Richman spielt nun häufiger
akustische Gitarre, die Themen der Songs sind nach wie vor
absurd und kindisch, beide Alben klingen auf sympathische Weise naiv
und „unprofessionell“ - was ja schon eine Kunst für sich ist.
Der Einfluss von Velvet Underground? Jonathan Richman liebt wie Lou
Reed Doo Wop und frühen Rock'n'Roll, auch er kann simple Melodien –
siehe das berühmte „Roadrunner“ oder „Pablo Picasso“ vom
ersten Album, siehe „Hi Dear“ oder „Here Come the Martian
Martians“ vom zweiten Album. Aber wo Velvet Underground urban,
illusionslos und gefährlich sind, da sind die Modern Lovers
ländlich, blauäugig und nett. Und man nimmt Richman seine
Freundlichkeit, seine Seltsamkeit und sein Verliebtsein in die
Mädchen und das Leben völlig ab. Beide Alben haben einen
eigenartigen Charme, das erste ist düsterer, soweit man das bei
Jonathan Richman sagen kann, klingt getriebener und drogeninduziert,
das zweite ist absurder und zugleich „cleaner“. Beide sind eine
Klasse für sich, beide sind klassisch.
Cluster
Sowieso
(Sky,
1976)
„Krautrock“
- vor Allem mit der Betonung auf „Rock“ - mag sich ja nach Mitte
der Siebziger totlaufen, aber Cluster haben nie Rock gemacht, waren
immer Ausserhalb – irgendwo da, wo sie sich dann mit dem
Ambient-Erfinder Brian Eno getroffen haben – um mit ihm gemeinsam
als Harmonia oder in anderen Konstellationen Musik zu erfinden. Das
vierte Album der beiden Musiker Moebius und Roedelius kam ohne den
Briten aus, die beiden deutschen Avantgardisten nahmen Sowieso an
nur zwei Tagen in ihrem Studio im ländlichen Forst auf, aber der
Einfluss Eno's auf ihre Musik ist deutlich genug herauszuhören. Man
könnte Sowieso als ihre Version von Eno's Another Green World
bezeichnen – wobei – um der Gerechtigkeit genüge zu tun - der
Einfluss von Cluster auf Eno ist umgekehrt mindestens genauso groß
gewesen... was Eno immer auch bestätigte. Sowieso ist ruhiger als der exzellente Vorgänger
Zuckerzeit, Cluster arbeiten mit Drones, manchmal mit den bekannten
pulsierenden Rhythmen, bleiben mitunter völlig ohne Rhythmus, der
Opener und Titeltrack führt den Hörer sozusagen am frühen Morgen
in den Wald, und das letzte Stück - „In Ewigkeit“ - führt in
der späten Nacht wieder heraus. Naturassoziationen, die geplant und gewollt sind. Moebius und Roedelius Aufenthalt im kleinen
Forst im Weserbergland wird (nicht nur da) seine Spuren hinterlassen
haben. Dies ist ambiente Elektronik mit den Mitteln der
Mitt-Siebziger im Einklang mit der Natur. Nur bitte nicht mit simpler
Entspannungsmusik für Wellness-Oasen verwechseln. Dazu passiert zu
viel im echten Wald. Die vier Cluster-Alben gehören zum Besten, was
Deutschland musikalisch hervorgebracht hat
Stevie
Wonder
Songs
In The Key Of Life
(Motown,
1976
Wie
sehr eine spätere, kommerziell erfolgreiche Karriere im Pop Business
die Wahrnehmung auf einen Musiker doch verzerren kann. Heute kennt
man Stevie Wonder als den blinden Klavierspieler mit den bunten
Rasta-Löckchen und der hohen Stimme, der mit McCartney „Ebony &
Ivory“ intonierte, der schmalzte „I Just Called to Say I Love
You“ - aber in den frühen und mittleren Siebzigern war er DER
Soul-Musiker – innovativ, inspiriert und politisch – und er
konnte Alles: Pop, R&B, Soul, Jazz. Die drei (!!) formidablen
Vorgängeralben hatten auf Songs in the Key of Life vorbereitet,
hatten ihn an der Spitze des modernen Soul – vielleicht sogar knapp
vor Marvin Gaye positioniert (dessen Stimme ich persönlich lieber
mag). Songs in the Key of Life war nun Zurschaustellung all seiner
Fähigkeiten – sein Hauptwerk – was man seinerzeit natürlich
noch nicht wusste. Eine dreifach LP, mühelos gefüllt mit Hits,
Spielereien, Experimenten, quer durch alle Gattungen, ohne beliebig
zu werden, immer zusammengehalten von Wonder's Stimme, seinem
Keyboard- und Harmonika-Spiel. Ein Album, das zeigt, wie R&B/Soul
in den kommenden Jahren sein könnte – wenn er gelingt (aber etwas
vergleichbares gelang dann kaum noch... und der Eklektizismus ist es
auch, den man dem Album vorwerfen kann, wenn man will...) Da sind die
Drei-Minuten Stücke: „Isn't She Lovely, bei dem Wonder die pure
Existenz seiner 3-jährigen Tochter feiert, mit einem phänomenalen
Harmonika-Solo, da ist „Sir Duke“, auf dem er seine
musikalischen Vorbilder - u.a. den titelgebenden "Duke" Ellington - abfeiert und zu ihnen auf dieselbe Stufe
steigt, da ist der superbe Funk vom klar politisch positionierten
„Black Man“, da ist „Another Star" mit Killer Soli und
einem hypercatchy "na na na ...." Refrain, oder - wenn du
willst: Da ist die Jazz-Rock Fusion von „Contusion“ und das beste
Stück des Albums (für mich – ebenfalls eine der Radio-Singles) -
„As“ mit Wonders kraftvollem Gesang, mit einem Fight zwischen
rasanten Drums, akustischen Gitarre und Herbie Hancocks Keyboards.
Über das ganze Album mit allen Facetten immer der Bass von Nathan
West, flink, kraftvoll, völlig rhythmisch. Ganz einfach – Songs in
the Key of Live ist ein korrekter Titel, denn es ist Stevie Wonders
bestes Album und eines DER Soul-Alben der Siebziger.
Tom
Waitts
Small
Change
(Asylum,
1976)
Erstmal:
Als dieses, Tom Waits drittes Studioalbum erschien, war der gerade
mal 27 Jahre alt – und dann hört man diese raue, verbrauchte, alte
Stimme, dann hört man diese Songs, die ein desillusionierter
Mitt-Fünfziger zu intonieren scheint ? Jedenfalls hatte Waits zu
dieser Zeit ein massives Alkohol-Problem, fühlte sich auch
künstlerisch Missverstanden und konnte mit aufkommendem Punk
genausoweing anfangen wie mit der etablierten Rock-Szene. Er saß
zwischen den Stühlen, und fühlte sich dort noch nicht einmal wirklich wohl. Bei
einem Europabesuch hatte er immerhin einen kräftigen
Kreativitätsschub und schrieb innnerhalb weniger Tage die elf Songs
von Small Change, seinem kommerziellen Durchbruch. Das Setting ist
jazzig, klingt nach verrrauchter Bar zwischen 2.00 und 5.00 Uhr
morgens, er hatte Musiker um sich, die ihm gefielen, ging immer mehr
in seiner Rolle als 50er Beatnik auf, legte sich nun auf diesen
verrauchten Louis Armstrong-Gesangsstil fest – und hatte vor Allem
die Songs und Stories, die das Album so überzeugend machen. Mir
persönlich gefällt aus dieser Phase seiner Karriere das Debut
Closing Time von 1972 besser, aber hier gibt es immerhin den „Tom
Taubert's Blues – der 1:1 die inoffizielle australischen
Nationalhymne „Waltzing Mathilda“ zitiert, hier sind
Pianoballaden wie „I Wish I Was in New Orleans (In the Ninth Ward)“
incl. Streicherbegleitung, oder das berühmte „The Piano has Been
Drinking“ nur mit Piano und Gesang. Die Atmosphäre von Bars und
All-Night Diners zu erzeugen – und mit Songs wie dem wunderbar
betitelten „Bad Liver and a Broken Heart“ zu untermalen, die dann
auch noch wirklich tiefgründig, klug und so schön sind, ist eine
Kunst, die Tom Waits über die kommenden Jahre verfeinern und
verändern würde – bis er zur Ikone wurde. Small Change mag nicht
Tom Waits bestes Album sein – aber das gilt nur, weil er noch
bessere machen sollte.
Flamin'
Groovies
Shake
Some Action
(Sire,
1976)
Eines
der besten 60ies Alben, das aber aus den 70ern stammt: Ganze fünf
Jahre liegen zwischen dem epochalen, aber leider obskur gebliebenen Teenage Head und der Rückkehr
der Flamin' Groovies mit Shake Some Action. Sie hatten ihren
Plattenvertrag bei Buddah verloren, Sänger Roy Loney hatte die Band
verlassen und Cyril Jordan die uneingeschränkte Herrschaft
übergeben, sie hatten eine (relativ erfolgreiche) Zeit in
Europa gehabt und insbesondere in England eine Menge Fans mit ihren
energetischen Live-Auftritten gewonnen. Das Ergebnis dieser Zeit war
ein deutlich vom britischen 60ies-Rock beeinflusster Sound – nicht
mehr so zügellos wie auf den Vorgängern Teenage Head und Flamingo,
nicht mehr so sehr von Rockabilly und Blues beeinflusst, sondern
vielmehr dem Fieber der „British Invasion“ und der Mod-Szene verpflichtet. Nicht
von ungefähr war es nun auch Dave Edmunds, der sie produzierte. Und
natürlich konnten sie noch immer Songs schreiben, die sich mit den
besten ihrer Zeit messen konnten – die sie mit dem Titelsong „Shake
Some Action“ auch überflügelten. Das war der Sound der Beatles
und der Stones ca. 66 – mit der erforderlichen Prise Punk.
Natürlich gab es auch wieder einige wohlgesetzte Coverversionen –
Chuck Berry's „St. Louis Blues“ etwa – durch die britische
Brille gesehen und zum eigenen Song gemacht, eigene brilliante
Interpretationen der Musik aus den glorreichen Tagen des britischen
Rock wie "Please Please Girl," "I Can't Hide,"
and "Let the Boy Rock and Roll“. Es ist Musik, die mit dem
Rock der Prä-Hippie Ära in England genausoviel zu tun hat, wie mit
den immer stärker werdenden Bands des aufkommenden Punk. Nicht
umsonst gingen sie dann in Great Britain mit den Ramones auf Tour.
Die Tatsache, dass sie ein weiteres Mal nicht den verdienten
Popularitätsschub bekamen ist so bedauerlich wie unverdient.
Dr.
Feelgood
Stupidity
(United
Artist, 1976)
Aus
nachvollziebaren Gründen werden Dr. Feelgood gerne in die Punk-Ecke
geschoben, ist die Musik des Punk doch eigentlich nichts anderes als
Rock'n'Roll mit modernen Mitteln und einer bestimmten Haltung: Gitarre, Bass, Drums und Gesang, etwas schneller, etwas
agressiver als man es seinerzeit gewohnt war, aber letztlich Musik
auf dem willkommenen Rückweg zur Simplizität. Dass der Kopf hinter
Dr. Feelgood – Gitarrist Wiko Johnson – ein riesiger Verehrer der
Urväter des Rock'n'Roll war, wird schon beim ersten Ton ihres Live
Albums Stupidity klar. Chuck Berry's „Talking About You“, als
Titelsong „Stupidity“ vom Soul-Giganten Solomon Burke, eine
Version von Muddy Waters „I'm A Man“, „I'm A Hog for You, Baby“
vom Elvis-Songwriterduo Leiber/Stoller, dazu Eigengewächse wie „All
Through the City“, die sich vor diesen Originalen nicht verstecken
müssen, die eben Das sind: Zeitgemäße Variantionen von urwüchsigem
Rock'n'Roll/ Rhythm'n' Blues, die Gitarre spielt keinen unnötigen
Ton, der Rhythmus ist hart und straight – und dann ist da die no fun Stimme
von Lee Brilleaux, die alles so sehr in Richtung Arbeiterviertel
schiebt. Ohne ihn wären Dr. Feelgood nur eine von vielen Bands
geblieben, er bellt und beißt und kann dem irren Tempo von Gitarrist Wilko
Johnson mühelos folgen. Stupidity wurde quasi ohne Overdubs
aufgenommen, so authentisch wie möglich – was funktionierte, weil
Dr. Feelgood eine furiose Live Band waren, die man ganz einfach so
schwitzend und lärmend wie auf diesem Album erleben musste. Eines
der besten Live Alben zwischen Punk und rohem Rhythm'n'Blues – und
eines, das zu Recht Erfolg hatte.
Joni
Mitchell
Hejira
(Asylum,
1976)
Hejira
ist eine Abwandlung des arabischen Begriffes „hijra“ - die Reise
– insbesondere die Reise Mohammed's von Mekka nach Medina. Und
tatsächlich hatte Joni Mitchell die Songs für ihren Nachfolger von
The Hissing of the Summer Lawns auf mehreren Reisen geschrieben. So
war sie mit ihrem Ex-Freund unterwegs gewesen, hatte den Rückweg
quer durch Amerika dann alleine angetreten, hatte Zeit über ihre
Beziehung zu ihrem Freund und zu anderen Bekannten zu reflektieren.
Dementsprechend sind die Bilder von Strassen, Reisen, von Alleinsein,
Heimweh und der Suche nach Liebe prägend, und Mitchell hat selten
bessere Texte gemacht. So schreibt sie im wunderbaren „Amelia“ über
die Flugpionierin Amelia Earheart :I was driving across the burning
desert / When I spotted six jet planes / Leaving six, white vapour
trails / Across the bleak terrain / They were the hexagram of the
heavens / They were the strings of my guitar... / Oh Amelia, was it
just a false alarm?" Hejira
ist ein zutiefst persönliches Album, aber es ist trotzdem keine pure
Selbstreflektion, wie sie in den Siebzigern von etlichen Langweilern
betrieben wuirde. Mitchell hatte immer auch eine gewisse kühle
Distanz zu sich selbst. Alle Songs wurden auf der Gitarre komponiert,
was wohl erklärt, wo solch einprägsamen Songs wie „Coyote“
oder „Furry Sings the Blues“ herkommen. Mitchell war zu dieser
Zeit vom Bass-Sound der bisherigen Alben gelangweilt, und sie hatte
den Weather Report Bassisten Jaco Pastorius kennengelernt, der hier
seinen bundlosen Bass als regelrechtes Lead-Instrument einsetzt. Es
sollte eine fruchtbare Koalition werden, die sie
musikalisch noch weiter in Richtung Jazz führen würde. Wobei es immer auch eine Art
Jazz bleiben würde, die eindeutig von ihrer Stimme, ihren Lyrics und
ihrer Art Songs zu schreiben geprägt sein würde. Hejira ist genau
an dieser Schwelle zwischen Folk und Jazz: Das Songwriting ist völlig Ihres, der Sound
nähert sich dem Jazz an – das mag der Grund sein, warum
dem Album nicht mehr Erfolg beschieden war. Also : Neu hören!
The
Upsetters
Super
Ape
(Island,
1976)
Für
mich eines der ganz großen Dub/ Reggae-Alben. Bob Marley mag die
erfogreichere Karriere und eine ganze Reihe wunderbarer Hits und
Alben gehabt haben, aber Lee „Scratch“ Perry ist der wirkliche Meister,
The Upsetters waren seine Band, und Super Ape ist sein komplettestes
Album – neben dem '73er Dub Monster Upsetters 14 Dub Blackboard
Jungle - genauso von ihm produziert. Aber das ist ja das Geheimnis
bei den Hunderten von Alben, auf denen dieser Exzentriker sein Hände
im Spiel hatte. Und natürlich ist das wichtigste Instrument das
legendäre Black Ark Studio in Kingston/Jamaica. Super Ape wurde, wie
das so häufig geschah – zunächst in Jamaica veröffentlicht,
ehe Richard Branson's Island Label das leicht an den "westlichen" Geschmack angepasste Album in den
USA und Europa herausbrachte – Perry hatte wegen des Erfolges des von ihm produzierten Albums
War in a Babylon von Max Romeo & The Upsetters (fast
genau so toll) einen Deal mit Island, die sich in den
letzten Jahren als Wegbereiter des Reggae in Europa und den USA
hervortaten, und die größeren finanziellen Mittel ermöglichten es
ihm nun, ein Album mit den eigenen Rhythm-Tracks plus Gesang von
diversen Kollaborateuren zu veröffentlichen. Denn genau das sind die
Alben der Upsetters – Perry's Produktions-Skills mit einer sich in
ständiger Fluktuation befindlichen Studio-Band. Er
nimmt hier beispielsweise den Rhythm Track von Max Romeo's „Chase the
Devil“, lässt Prince Jazzbo Nonsense-Verse darüber singen und
benennt den Song um in „Croaking Lizard“. Da ist der vor unterschwelliger Kraft zitternde Opener "Zions
Blood“, mit minimalistischen Vocals von Perry, der singt: „Zion's
blood is flowing through my veins / So I and I will never work in
vain...“, da ist das Titelstück am Ende des Albums, in dem Perry
dich auffordert: „This is the ape-man, trodding through creation,
are you ready to step with I man?“. Und da ist das zentrale „Dread
Lion", mit explodierenden Drums, Melodica und Flute und den Zeilen
„Dread lion / King of the jungle / King of the forest / Strong like
iron“. Das ganze Album ist in Schatten getaucht, klingt wie der
nächtliche Dschungel, es ist Perry's Aufruf an die Rastafari zur
Revolution und zur Rückkehr zum natürlichen Leben, und es erfüllt
das Versprechen „Dub it up, blacker than dread“ auf dem
Comic-haften Cover vollkommen. Ein Album, das so ganz anders ist als
Marley's Song-orientierte Platten, das Reggae in seiner rhythmisch
kraftvollsten Variante zeigt. Dub in Perfektion.
Nachdem
Brian Eno im letzten Jahr Roxy Music verlassen hatte, war er mit zwei
Solo-Alben irgendwo zwischen Art-Pop und Experiment recht erfolgreich
gewesen. Aber 1974 wurde seine Arbeit dann durch einen Autounfall
unterbrochen. Die von ihm kolportierte Geschichte lautet, dass er -
ans Bett gefesselt - beim Anhören mittelalterlicher Harfenmusik
nicht die Kraft fand, das Tape richtig zum Laufen zu bringen. Er
stellte fest, dass die im Hintergrund nur fragmentarisch hörbare
Musik seltsam beruhigend und zugleich interessant war. Er beschloss,
Musik mit diesem Charakter selber zu kreieren, Melodiefragmente mit
den Mitteln der Wiederholung und Verfremdung zu „akustischen
Möbeln“ zu machen. Dass es vorher schon Musiker gab, die ähnliche
Klangexperimente gemacht hatten, wird er gewusst haben: Schon Eric
Satie hatte den Begriff „Furniture Music“ geprägt, Etliche Bands
aus Deutschland – wie Cluster oder Tangerine Dream und deren
Ex-Mitarbeiter Klaus Schulze – machten zu dieser Zeit mit anderer
Intention ähnlich klingende experimentelle „elektronische“ Musik
(wobei da mitunter nicht einmal Synthesizer verwendet werden – die
sind '75 noch teuer und unausgereift. Manuel Göttsching etwa loopt
seine Gitarren...) und Eno würde ganz logisch bald mit den
Cluster-Musikern zusammenarbeiten und seine Bewunderung für Bands
wie Kraftwerk in den entsprechenden Kreisen verbreiten. Aber seine
ureigene Version der ambienten Musik klang immer anders, hatte immer
einen gewissen artifiziellen Pop-Ansatz, der vielleicht noch aus
seiner Zeit mit Roxy Music herrührt. Damit sollte er bald auch
etliche andere Musiker beeinflussen - einer der Ersten würde David
Bowie in seinem selbstgewählten Exil in Berlin sein... Aber die
Verbindung ist da – und wer Eno '75 mag, dürfte auch an Klaus
Schulze oder Harmonia gefallen finden. Und in diesem Zusammenhang
muss man auch die französischen Electronique-Musique Pioniere von
Pôle Records und die Musik von Heldon kennenlernen. Ob Eno sie
kannte, weiss ich nicht – damals gab es keine Streaming Dienste und
kein Internet. Aber deren Musik hätte ihn interessiert, sie liegt
nah an Krautrock und an Ambient – eine vielleicht unbewusste
Verbindung zwischen beidem.
Bian
Eno
Another
Green World
(Virgin,
1975)
Brian
Eno
Discreet
Music
(E.G.,
1975)
Mit
Another Green World entfernte Brian Eno sich endgültig vom Art
Pop/Rock Sound der zwei vorherigen Alben Here Come The Warm Jets
(1973) und Taking Tiger Mountain (By Strategy) (1974) und begann
seine Suche nach einer experimentellen, „ambienten“ und
hauptsächlich instrumentalen Musik- Er hatte die Idee, Musik zu
erschaffen, die zwar wie ein Möbel „funktioniert“, aber dabei
mehr sein sollte, als reine Hintergrundmusik. So haben nur fünf der
vierzehn Tracks auf Another Green World noch Lyrics, und selbst da
klingen Eno's Vocals unpersönlich und passen so in die Atmosphäre
des gesamten Albums. Auf manchen Tracks lässt er sich noch von
Freunden wie John Cale, Phil Collins und Robert Fripp unterstützen,
meist hat Another Green World aber den klaren, kalten Klang, den er
mit Keyboards, und Synths selber erzeugen kann. Er hatte im Studio
mit dem üblichen Instrumentarium experimentiert, verfremdete diesen
Sound dann, nutzte die sogenannten „Oblique Strategies“ um Ideen
für seine Kompositionen zu sammeln (Das sind kurz gesagt: Karten,
auf denen in kurzen Sätzen Tips und Anweisungen in kreativen
Zwickmühlen gegeben werden) und erschuf – zufällig und zugleich
organisch – eine neue Art von Musik. Das, was wir heute als
„Ambient“ kennen, was damals aber noch unbenannt war. Übrig
blieben nur noch die Skelette seiner früheren Songs und
Kompositionen - ihre pulsierenden Herzen. Diese neue Herangehensweise
eröffnete eine komplett neue Welt für Eno (und ganz nebenbei in den
kommenden Jahren für ganze Generationen von Adepten – Bowie,
Talking Heads, IDM, Techno etc pp...) so dass er noch im selben Jahr
zwei weiter Alben veröffentlichte: Zum einen das Solo-Album Discreet
Music, eines, auf dem er den Gedanken der „Furniture Music“ -bzw.
Ambient Music viel weiter und konsequenter ausführt, als auf
Another Green World. Hier setzte er das Konzept radikal um, beim
Titelstück, das sich über eine ganze LP-Seite erstreckt (jaja, die
angenehmen 20 Minuten...) werden die Klänge des Synthesizers auf
Tape aufgenommen, wiederholt und übereinander geschichtet, wodurch
sich überlagernde Loops entstehen, Auf der zweiten Seite der LP
spielt Gavin Bryars Cockpit Ensemble Variationen des Pachelbel
Kanons, wobei sie ihre Themen nach Anweisungen verändern.
Interessant, aber dieser Teil verblasst hinter dem Titelstück, das
mit Recht eines der ersten Ambient Stücke genannt werden kann. Ob er
seine Ideen einzig aufgrund des geschliderten Hörerlebnisses nach
dem Autounfall hatte, oder ob er sich hier auch von deutschen
Elektronik-Bands wie Tangerine Dream beeinflussen ließ – die von
einer anderen Seite kommend zu ähnlichen Ergebnissen gekommen waren
– und das 5 Jahre vorher – ist eine akademische Frage. Eno's
Musik ist tatsächlich eher Klangskulptur als „kosmisches
Rauschen“, sie ist funktionaler und zugleich näher am Pop als die
der deutschen Kollegen. Er sollte bald Musikern wie David Bowie
sowohl seine Ideen, als auch die Ideen socher Kraut-Rock-Bands wie
Cluster nahebringen. Ein perfektes Beispiel für gegenseitige
Befruchtung...
Fripp
& Eno
Evening
Star
(Polydor,
1975)
....
und Eno kam mit seinem Konzept auch zu einem weiteren geschätzten
Kollegen, Der King Crimson Kopf Robert Fripp hatte schon auf No
Pussyfooting (1973) mit ihm zusammengearbeitet, Als Eno nun die
Aufnahmen zu Discreet Music begann, hatte er zunächst Fripp's
Gitarren als improvisierte Begleitung zu seinen Loops und Tapes im
Kopf gehabt. Ein Teil des dann mit Fripp zusammen aufgenommenen
Albums Evening Star beruht tatsächlich auf diesen Loops, die er für
Discreet Music aufnahm, „Wind on Wind“ sollte eigentlich zunächst
auf Eno's Album, aber Fripp's Gitarrensounds scheinen so dominant
gewesen zu sein, dass der Gedanke nahelag, ein eigenes Album mit
Fripp als Hauptfigur aufzunehmen. So sind die Stücke auf der ersten
Seite geloopte und verfremdete Gitarrenspuren von Fripp, und das
ganze Album klingt wahlweise so, wie man sich Ambientmusik von dessen
Band King Crimson vorstellt - oder eben wie King Crimson mit Brian
Eno als Kopf. Und das über die komplette zweite Seite der LP gehende
gigantische „An Index of Metal“ dröhnt dann finster über 28
Minuten dahin, ohne eine einzige Sekunde langweilig werden. Hier
entsteht eine Art „Dark Ambient“, der Aufmerksamkeit nicht
einfordert, sondern so fasziniert, dass nichts anderes übrig bleibt,
als zu lauschen.
Gavin
Bryars
The
Sinking of the Titanic
(E'G,
1975)
Bei
der "Erfindung" von Ambient auf dem Album Discreet Music hatte Brain
Eno mit dem der Komponisten und Musiker Gavin Bryars
zusammengearbeitet – der wiederum dann auf dem selben Label sein
schon 1969 verfasstes Werk The Sinking of the Titanic einspielen und
veröffentlichen durfte. Bryars hatte zuerst Philosophie und dann
Musik studiert, war also – passend zu Eno – ein Musiker mit
intellektuellem Hintergrund, hatte mit Grenzgängern wie dem
Free-Jazzer Derek Bailey und Tony Oxley gespielt und die freie
Improvisation für sich entdeckt. Nach den Stationen John Cage und
Morton Feldman hatte er dieses Stück Musik komponiert, bei dem die
Beteiligten Klangquellen verwenden sollten, die sie „mit dem
Untergang der Titanic verbinden“. Hört sich anstrengend an, ist
aber tatsächlich wunderbar maritime, durchaus bedrohliche und vor
Allem intensive Musik, die verstehen lässt, warum Eno sich so gut
mit Bryars verstand – und warum er dieses Album dann auch
produzierte. Das Ergebnis ist keine Hintergrund-Musik, sie beruht auf
Wiederholungen, ist minimalistisch, und das Thema mag nicht besonders
positiv sein, aber es ist beeindruckend. Der zweite Track - „Jesus
Blood Never Failed Me Yet“ basiert auf dem Gesang eines New Yorker
Obdachlosen, über dessen Worte improvisiert wird – man sieht es -
schwerer Stoff, aber ist es nicht immer genau das, was sich lohnt
anzuhören ?
Und
nun nach Deutschland Anno '75...
…Warum
? Hier findet Brian Eno – der titelgebende Protagonist dieses
Kapitels – geistesverwandte Kollegen, die ihm bei der Erforschung
der Musik, die man heute Ambient nennt, zur Seite stehen...
Harmonia
Deluxe
(Brain,
1975)
Diverse
Bands aus Deutschland wandelten wie gesagt auf einem ähnlichen Pfad
wie Eno: Tangerine Dream mögen vordergründig näher an Eno's Alben
sein – über deren Alben werde ich hier auch noch sprechen - aber
es war die Krautrock „Supergroup“ Harmonia – bestehend aus den
beiden Cluster Musikern Moebius und Roedelius sowie dem Neu!
Gitarristen Michael Rother, die sich sehr bald mit Eno vereinen
würden – und ein Album machen würden, das dann leider erst
Jahrzehnte später veröffentlicht wurde. Eno selber wurde vermutlich
spätestens durch dieses zweite Album auf die Band aufmerksam. Deluxe
vereint besser noch als das Debüt vom Vorjahr (Musik von Harmonia)
die Musik der beiden Cluster-Musiker mit der von Neu!'s Gitarristen.
Die Texturen von Roedelius und Moebius stehen hier ganz
gleichberechtigt neben Rothers Gitarre – die wiederum ein bisschen
an Robert Fripp's Sounds erinnert. Der Rhythmus – teilweise vom
Guru Guru Schlagzeuger Mani Neumeier geschaffen, hat die
maschinenhafte Kraft, die die wichtigsten Krautrock-Alben so
faszinierend macht. Deluxe ist für diese Art von Musik überraschend
songorientiert – Rother wollte wohl den Aspekt, der ihm bei Neu !
'75 (siehe unten) so gefallen hatte, vertiefen. So klingt „Monza“
tatsächlich wie ein gelungener Outtake der Sessions zu Neu ! '75.
Die Musiker ergänzten sogar hier und da Vocals, hatten mit „Walky
Talky“ den notwendigen über 10-minütigen Jam dabei und man kann
sich sehr gut vorstellen, wie fasziniert Eno von den pulsierenden
elektronischen Rhythmen der beiden Cluster-Musiker und dem durchaus
auch an Pop orientierten Ansatz der Musik auf Deluxe war. Eine
Zusammenarbeit war logisch – und der Bezug zu den folgenden Alben
ist (nicht) zusammenfantasiert.
Neu
!
Neu
! '75
(Brain,
1975)
Ein
paar Monate vor den Aufnahmen zu Deluxe hatte Michael Rother sich
noch einmal mit seinem Intimfeind Klaus Dinger unter dem etablierten
Namen Neu! zusammengetan. Der Erfolg ihrer beider Ex-Band Kraftwerk
veranlasste sie wohl, sich noch einmal versuchsweise zusammenzuraufen
– wobei es beiden dann nur auf zwei der sechs Stücke gelingen
würde, wirklich gemeinsam zu spielen. Neu! '75 ist somit in gewisser
Weise ein Split-Album mit zwei Ambient Collagen Rother's auf der
ersten LP-Seite, zwei krachenden Proto-Punk Stücken von Dinger auf
der zweiten Seite – Tracks mit den Titeln „Hero“ und „After
Eight“, die einen kleinen Burschen namens John Lydon in London
aufhorchen ließen (...man beachte den „Gesang“). Bei den Songs
von Dinger ließ er sich von seinem Bruder Thomas und von Hans Lampe
beim „infernalischen Lärm machen“ an den Drums begleiten. Und
„Isi“ und "After Eight“ zeigen, was herauskommen kann, wenn
sich die beiden Plus und Minus- Pole dann doch irgendwie vereinen.
Auf Neu '75 ließ Rother einfach manchmal seine Gitarren und
Synthesizer von der Leine und Klaus Dinger unterstützte dessen
romantische Klangspielereien mit seinem kraftvollen „Motorik“
Beat – in schöner Erinnerung an die beiden vorherigen glorreichen
Neu! Alben. Dass beide Musiker nie mehr wirklich zusammenkommen
sollten (Sie gingen 1986 noch einmal gemeinsam ins Studio, aber da
gab es wohl nur Streit und ein paar Takes mit unvollendeten
Stücken...), mag eingedenk ihrer Mentalität logisch sein, aber
Schade ist es schon. Neu ! '75 steht den beiden vorherigen Alben in
Nichts nach...
Kraftwerk
Radio-Aktivität
(Kling
Klang, 1975)
Radio-Aktivität
gilt gemeinhin als das schwächste der fünf großen Alben der
Düsseldorfer Musik-Institution Kraftwerk zwischen 74 und 81. Was zum
Einen sicher daran liegt, dass es auf diesem Album keine „Hit-Single“
gibt, zum Anderen daran, dass es sperriger ist, als der wunderbar
blauäugige Vorgänger Autobahn. Darauf hatten die Musiker noch
voller Enthusiasmus die Freuden der Mobilität gefeiert, in die
Sterne geguckt oder einen „Morgenspaziergang“ gemacht. Aber dann
hatte sie der Schlagzeuger Wolfgang Flür verlassen und Karl Bartos
war gekommen – die Band würde in der Konstellation Hütter/
Schneider/ Bartos/ Flür bis 1987 zusammenbleiben – und nun legte
Kraftwerk sich mit Radio-Aktivität endgültig auf ein rein
elektronisches Konzept fest: Heisst - es wurden nur noch Synthesizer
und entsprechende Rhythmuserzeuger benutzt. Das Album hat somit ein
klares Konzept, dem sich die teilweise sehr kurzen Songs unterordnen
müssen. Aufgeteilt in die Themen Radioaktivität und Radio (jaja,
logisch, oder ?) erfinden Kraftwerk hier eine Art elektronische
Kammermusik, nicht mehr so melodieverliebt und poppig wie zuvor und
noch nicht so ausgefeilt und minimalistisch wie auf den drei
nachfolgenden Alben, was das Album zu einem Übergangswerk macht und
seine geringere Beliebtheit erklären mag. Songs wie das Titelstück,
„Ätherwellen“ und "Ohm Sweet Ohm“ allerdings sind schon auf dem
Niveau des Nachfolgers Trans-Europa Express. Radio-Aktivität wurde
als erstes Album auch mit englisch-sprachigem Titel und „Gesang“
veröffentlicht – ein Zugeständnis an den Markt in Großbritannien
- was bei Kraftwerk zwar dann üblich wurde, mir aber nie sinnvoll
erschien. Die deutsch-sprachige Version ist vorzuziehen.
Tangerine
Dream
Rubycon
(Ariola,
1975)
Tangerine
Dream
Ricochet
(Virgin,
1975)
Auf
die Musik Tangerine Dreams habe ich hingewiesen... Brian Eno wird sie
sicher gekannt haben, ihre Musik ist in meinen Augen „romantischer“,
oder vielleicht eher mit einer Art Science Fiction Philosophie
verbunden, die der funktionalen „Furniture Music“ Eno's
entgegensteht. Ihre beiden Alben von 1975 allerdings sind das
perfekte Beispiel für 70er-Jahre Synthesizer Musik. Die Band –
inzwischen bestehend aus Edgar Froese, Peter Baumann und Christopher
Franke - hatte im Vorjahr mit Phaedra einen regelrechten Hit in
England gelandet, ihre Sequenzer-basierten Klangflächen wurden fast
nur noch mit Synthesizern erzeugt, höchstens ab und zu erklingt noch
ein verfremdetes Piano, So gesehen ist Rubycon „nur“ eine
Wiederholung des Konzeptes des erfolgreichen Vorgängers. Sie hatten
definitiv ihren Sound gefunden. Beide Alben sind minimalistisch,
sparsam und immens stimmungsvoll, Es werden Soundscapes geschaffen,
die eine unterschwellige Spannung schaffen, Die Kunst ist, diese
Spannung hochzuhalten, und zu dieser Zeit waren Tangerine Dream
gerade darin sehr gut. Rubycon geht von Space Age Drones über das
Brummen und Zischen elektronischer Maschinen in einer unbelebten Welt
bis zu Sounds, die an singende Wale erinnern. Die beiden je eine
Seite überspannenden Stücke regen die Phantasie an, das beste, was
elektronische Musik dieser Art erreichen kann – und das
funktioniert immer noch, obwohl es Musik aus einer Zeit ist, als
Synthesizer noch analog waren, und die elektronische Musik noch in
den Kinderschuhen steckte. Im selben Jahr noch nahmen die drei
Musiker mit Ricochet ihr erstes Live-Album auf, das seltsamerweise in
gewisser Weise ein Schritt zurück zu den Anfängen war. Die beiden
Stücke – hier natürlich „Ricochet I“ und „...II“ genannt
- sind weit dynamischer als die Musik auf Phaedra und Rubycon. Edgar
Froese spielte Gitarre und Christopher Franke Drums, was die
Kompositionen in Richtung elektronischer Rockmusik verschiebt. Dabei
hatten sie das Rohmaterial zu Ricochet bei einem Konzert in England
aufgenommen und dann im Studio noch überarbeitet. Die übereinander
gelegten Rhythmen wurden dann im Studio hinzugefügt – und machen
das Album zu einer Art Vorläufer von elektronischer Dance Music und
Trance-Techno. Ricochet sollte eines der populärsten Alben der Band
werden, obwohl es die Chart-Positionen der beiden Vorgänger nicht
erreichte. Dass Tangerine Dream bald als Film Score Lieferanten
reüssierten, mag ihrer Musik nicht gut getan haben – eigentlich
versinken ihre Alben nach 1975 immer mehr in Belanglosigkeit – oder
je nach Gusto in angenehme Meditations- und New Age Träumereien. Der
Nachfolger Stratosfear jedenfalls verschob die Musik Richtung
Melodieseligkeit... und damit für mich leider auch Banalität.
Klaus
Schulze
Picture
Music
(Brain,
1975)
Klaus
Schulze
Timewind
(Brain,
1975)
… und
Ersatz werde ich aus den kommenden Jahren beim ehemaligen Tangerine
Dream-Mitglied und Schlagzeuger Klaus Schulze finden. Dessen
Discografie ist in den folgenden Jahren reich an äußerst spannender
Musik – Avantgarde, elektronische Musik der „Berlin School“,
Ambient – nenn' es wie du willst. Picture Music und Timewind sind
sein viertes, respektive fünftes Solo-Werk seit 1972 - in dieser
Zeit hat er auch noch mit Ash Ra Tempel oder (eher unfreiwillig...)
den Cosmic Jokers Krautrock und elektronische Musik in Deutschland
mindestens mit-definiert. Spätestens 1973 - mit Cyborg - hatte
Schulze seine eigene musikalische Sprache definiert und damit
erfreulich viel Erfolg gehabt. Picture
Music war wohl zunächst als Nachfolger für Cyborg gedacht, wurde
dann aber erst in diesem Jahr veröffentlicht. Vielleicht weil es
„nur“ eine Art Selbst-Vergewisserung ist, keine wirkliche
Weiterentwicklung wie das '74er Album Blackdance. Was aber wiederum –
vor Allem aus heutiger Sicht, wo diese Art von Musik sozusagen in
kosmischem Nebel verschwimmt – kaum auffällt. Picture Music bietet
zwei 20+-minütige Tracks, von denen „Mental Door“ mit „echten“
Drums und Percussion an alte Ash Ra Tempel Tage erinnert. Das ist
dann sehr organische, aber durch grelle Sounds manchmal etwas
anstrengende Musik. „Totem“ – auf der ersten LP-Seite –
zeigt, wo der Weg hin gehen würde. Das ist die spacige
Synthesizer-Musik, die bei Schulze so wunderbar natürlich klingt.
Allein für diesen Track schon lohnt das Album. Und
mit Timewind bekam man im gleichen Jahr eines der Kronjuwelen in
Schulze's Diskografie geliefert. Eigentlich sind die zehn (!) Klaus
Schulze Alben zwische 1972 und 1978 allesamt zu empfehlen –
eigentlich sind sie alle ähnlich, haben einen minimalistischen
Ansatz und spiegeln Schulze's Liebe zur klassischen Musik
(insbesondere Wagner) wider. Mit Cyborg ('73), Mirage ('77), „X“
('78) – und mit Timewind gibt es vier echte Meilensteine
„elektronischer“ Musik von ihm. Bei diesen vier Alben sind
Komposition, Sounds, Stimmung – all das, was diese Art von Musik
ausmacht - noch ein bisschen stimmiger, als sonst bei Schulze üblich.
Die Liebe zu Wagner wird auf seinem zweiten '75er Album allein schon
durch die Songtitel deutlich: „Bayreuth Return“ und „Wahnfried
1883“ lassen keine Zweifel, wo sich Schulze für dieses Album die
Inspiration geholt hat. „Bayreuth Return“ ist eine Studie in
Tempowechseln und weichen klanglichen Übergängen, die ins
meditative Nirvana führen, „Wahnfried 1883“ baut sich zu
majestätischen Klanglandschaften auf - und diese Beschreibungen
klingen alberner, als sie sein sollen. Erstaunlich ist wirklich, wie
eigenständig dieses Album ist – zwar durchaus in den Siebzigern
gefangen, aber höchstens von Bands wie The Orb etwa zwanzig Jahre
später noch einmal mit anderen Mitteln erreicht. Für mich eines der
schlausten und schönsten Synthesizer-Alben der Siebziger.
Manuel
Göttsching
Inventions
for Electric Guitar
(Kosmische
Musik, 1975)
Man
könnte Manuel Göttsching als „Kopf“ von Ash Ra Tempel
bezeichnen und sein erstes Solo-Album hat in manchen Fällen auf dem
Cover (wie hier oben zu sehen) sogar den Namen des Projektes als
Überschrift, bei dem auch Klaus Schulze zeitweise Mitglied war. Aber
Inventions for Electric Guitar ist de facto Göttsching's erstes
Solo-Album - von ihm alleine geschrieben, produziert und mit nur
einer E-Gitarre eingespielt. Und ich kann mir sehr gut vorstellen,
dass dieses Album mit seinem minimalistischen Kompositions-Konzept,
mit den gelayerten Gitarrenspuren, mit völlig verfremdeten Sounds
von Brian Eno und seinem Kollegen Robert Fripp gehört wurde - dass
es da vielleicht keine Kommunikation, aber zumindest gegenseitige
Inspiration gegeben hat. Aber natürlich ist die Musik hier
„trippiger“, weniger akademisch, sind hier
Gitarren-Improvisationen zu hören, die weit psychedelischer sind,
als Fripp's Beiträge zu Evening Star (siehe oben). Die Rhythmik ist
eindeutig Krautrock, wenn auch komplett ohne Percussion erzeugt. Da
ist der Opener „Echo Waves“ bei dem Göttsching auf einem
durchgehenden Ostinato wellenförmig improvisiert, Gitarren
übereinander schichtet um dann wieder ruhiger zu werden.
„Quasarsphere“ ist dann eine ruhige Improvisation als
Zwischenspiel, bei der der Klang der Gitarre sich nicht mehr vom
Synthesizer unterscheidet. Der letzte Track - „Ostinato“ - trägt
das Programm dann im Titel: Ein Ostinato ist eine Melodie-Figur, die
beständig wiederholt wird – und auf dieser Figur steigert
Göttsching über zwanzig Minuten beständig die Intensität bis er
kurz vor dem Ende eine kleine Unterbrechung einfügt, um dann wieder
ein in allen Farben funkelndes Solo anzuschliessen. Ein Lehrstück in
Sachen Dynamik, das vermutlich einige Post-Rock-Musiker Jahrzehnte
später beeinflusst hat. Irgendwie tatsächlich zukunftsweisend...
Und
nun nach Frankreich Anno '75...
Die
Gleichzeitigkeit mancher musikalischer Entwicklungen ist wirklich
immer wieder erstaunlich. Ob Free Jazz, Psychedelic Rock, Folkrock,
Punk oder diverse Spielarten von Metal – man kann immer wieder
beobachten, dass Musiker unterschiedlicher Herkunft (scheinbar)
voneinander unbeeinflusst auf ähnliche Ideen kommen. Ich nehme an,
dass Eno die Musik von Can, Tangerine Dream und Cluster kannte, als
er seinen „Ambient“ erfand (siehe oben), aber ich weiss nicht, ob
er und die französischen Künstler bei Pôle Records Kontakt hatten.
Deren Musik wiederum, die in verschiedenen Kombinationen von diversen
Projekten in kleinen Stückzahlen (auf ärgerlich schlecht gepressten
LP's) veröffentlicht wurde, ist der von deutschen Acts wie Ash Ra
Tempel, Cluster oder Tangerine Dream nah – wenn auch nicht so
ähnlich, dass man von Nachahmung sprechen müsste.
Heldon
Allez
Téia
(Disjuncta,
1975)
Heldon
Third
(It's Always Rock and Roll)
(Disjuncta,
1975)
Heldon
ist Mitte der Siebziger die wichtigste französische Band im Bereich progressiver
Rock/ elektronische Musik, die Beteiligten Musiker machen eine
eigenständige, europäische Musik, die man sicher mit Krautrock
vergleichen kann, die aber genauso von Musikern wie Robert Fripp und
Brian Eno beeinflusst sein dürfte. Heldon sind die Kopfgeburt von
Richard Pinhas, seines Zeichens Gitarrist, Keyboarder, Komponist und
Produzent mit abgeschlossenem Philosophie-Studium. Genialer Musiker,
der leider ausserhalb Frankreichs nicht die Aufmerksamkeit bekam, die
er verdient hätte. Allez Téia ist das zweite Album seines Projektes
Heldon, schon das letztjährige Debüt Electronique Guerilla trug das
Programm im Titel, erinnert stark an die Eno/Fripp Kollaborationen,
Allez Téia setzt das Ganze in noch verbesserter Form fort. Heldon
macht aus seiner Bewunderung für den King Crimson Chef kein
Geheimnis: der erste Track des Albums heisst „In the Wake of King
Fripp“ - aber damit verbeugt er sich unnötig tief. Der Titel mag
der Tatsache geschuldet sein, dass Fripp seinen Rückzug vom
Musik-Business angekündigt hatte (… und bald wieder da sein
würde). Es ist auf jeden Fall ein komplettes Album, auf dem Richard
Pinhas und sein Kollege Georges Grunblatt gemeinsam mit zwei weiteren
Gitarristen mit King Crimson-Sounds und Stilmitteln spielen und dabei
durchaus Fripp's Gitarrensounds (seine Frippertronics) verwenden –
aber Tracks wie „Omar Diop Blondin“ etwa klingen viel zu
eigenständig, als dass man von Nachahmung sprechen könnte. Heldon
untersuchen auf Allez Téia eine breite Palette von elektronischen
Ambient-Sounds unter Zuhilfenahme aller möglicher verfremdeter
Gitarren-Sounds. Eigentlich ist Allez Téia kein „Ambient“ Album
– aber es passt meiner Meinung nach wunderbar in diese Aufzählung
von experimentellen, „elektronischen“ Alben dieses Jahres. Heldon
sind die französische Antwort auf Can, Neu!, Cluster und Eno. Und
noch näher an Eno gerät das im gleichen Jahr veröffentlichte Album
Third (It's Only Rock and Roll) – das seinen Titel aber so was von
Lügen straft. „Mechamment Rock“ ist klar von King Crimson
beeinflusst, klingt wie ein Track von Lark's Tongue in Aspic, Aber
mit „Aurore“ und „Doctor Bloodmoney“ stehen da zwei
seitenlange Tracks auf der Doppel-LP zu Buche, die nun wirklich auch
als Ambient durchgehen könnten. Aber auch hier liegt die Betonung
auf den verfremdeten Gitarren-Sounds von Richard Pinhas und Georges
Grunblatt. Und all das gelingt so gut, dass ich Third (It's Only Rock
and Roll) eine halbe Stufe über den Vorgänger stellen würe (wenn
ich müsste). Beides sind hervorragende Alben... die ausserhalb
Frankreichs sträflich unbekannt bleiben würden. Ich empfehle sie
aber hier jedem, der sich nach spannender Musik sehnt. Auch die Alben
Interface ('77) und Stand By ('79)
Besombes
- Rizet
Pôle
(Pôle
Rec., 1975)
Der
Produzent und Musiker Philippe Besombes hatte schon Anfang der
Siebziger mit Jean-Michel Jarre gearbeitet, mit Leuten wie
Stockhausen, Morricone oder Xenakis Festivals für elektronische
Musik veranstaltet und durch den Zugang zu elektronischem
Instrumentarium dann begonnen, selber Musik produzieren (Er hatte
einen entsprechenden Händler kennengelernt...). Gemeinsam mit dem
Gitarristen und Keyboarder Jean-Louis Rizet veröffentlichte er '75
das Album Pôle – das also nach dem Label benannt ist, aber mit dem
Projekt/der Band Pôle nur am Rande zu tun hat. Pôle ist schwer zu
beschreiben, weil es ein Konglomerat verschiedener Arten
elektronische Musik darstellt. Das Cover mit den beiden ziemlich
klischeehaft gekleideten Gammlern zeigt vielleicht ein bisschen, wie
elektronische Musik hier zu verstehen ist – französische Hippies
machen elektronische Musik: Den Opener „Haute Pression“ und den
über 17-minütige Closer „Synthi Soit-il“ kann man als
„elektronischen Rock“ bezeichnen. Beide Tracks bekommen Tempo
durch „echte“ Drums, beim letzten Track denke ich unweigerlich an
Klaus Schulze. Der zweite Track auf dem Doppel-Album - „Evelyse“
- könnte mit seinen Flöten-Klängen peinlich klingen – tut das
aber nicht. Auf Pôle fehlt vielleicht der durchgehende Faden –
aber die Musik ist in all ihren Facetten innovativ und eigenständig
und eine wunderbare Ergänzung zu der ihrer deutschen Zeitgenossen.
Dass die Alben des Labels nur sehr schwer zu bekommen sind, ist
traurig, sie hätten schon längst eine vernünftige
Re-Issue-Behandlung verdient. Was natürlich auch für das folgende
Album gilt...
Pôle
Inside
the Dream
(Pôle
Rec., 1975)
Um
zur Konfusion beizutragen – das Label Pôle Records wurde vom
Produzenten und Musiker Paul Putti zusammen mit seiner Frau Evelyne
Henri gegründet, um Künstlern aus dem Bereich progressiver/
elektronischer oder meinetwegen avantgardistischer Musik ein Heim zu
bieten. Und die beiden benannten dann auch noch ihre „Band“ -
besser ihr eigenes musikalisches Projekt - nach ihrem Label. Auf dem
Album Inside the Dream spielt u.a. Jean-Louis Rizet mit, es gibt die
erste LP-Seite mit einem 24-minütigen Track progressiver Folk,
angereichert mit Synthesizer-Sounds und keine Minute zu lang – es
gibt die zweite LP-Seite voller elektronischer Zauberei, ohne
Anzeichen von „normaler“ Instrumentation. Insbesondere „Outside
the Nightmare“ ist ein Berlin-School-auf-Acid-Trip... allein von
Rizet eingespielt. Band-Begründer Putti sah dieses Album und seine
„Band“ wohl eher als Sammelbecken für Ideen (genau wie Rizet und
Besombes) – ein gewagtes Konzept zu dieser Zeit. Und das ging dann
auch schnell schief, zwei Jahre später ging das Konstrukt den Weg
alles Zeitlichens und alles wurde ans Tapioca Label verkauft, das
dann auch schnell Pleite ging. Viele Alben auf diesem Label sind
hörenswert, die beiden hier mögen als Appetizer für spannende
elektronische Musik aus Frankreich stehen. Und dann: Auf der
Cover-Rückseite steht „Ce disque est dédicacé à Heldon“ -
womit wir diesen kleinen Kreis geschlossen hätten...