Dienstag, 19. Juli 2016

1986 - Tschernobyl und das Ende des Kommunismus - Talk Talk bis Slayer

1986 wird wohl immer als das Jahr der Tschernobyl-Katastrophe in Erinnerung bleiben: in der noch existierenden UdSSR – genauer in der Nord-Ukraine kommt es in einem Atomkraftwerk zu dem, was Atomenergie-Befürworter immer ausgeschlossen haben: Zu einem Super-GAU (Größter annehmbarer Unfall) bei dem einer der Reaktoren explodiert und unkontrolliert Mengen radioaktiver Stoffe in die Atmosphäre bläst. Die radioaktive Wolke verbreitet sich über große Teile Nord- und West-Europas, Spätfolgen gibt es natürlich nicht – wie auch – bei einem undenkbaren Unfall. Alles Einbildung.... Zugleich finden in der Sowjetunion massive politische Umwälzungen statt. Präsident Gorbatschow leitet das Ende der kommunistischen Herrschaft ein und will bis ins Jahr 2000 alle Kernwaffen abbauen. Leider ein frommer Wunsch – auch dank der Politiker des Westens. Die USA bombardieren Libyen, nachdem ihnen deren Terrorismus zuviel geworden ist, während sie zugleich wegen der Iran/Contra-Affäre vor dem internationalen Gerichtshof verurteil werden – bei der Gelder aus Waffenverkäufen an den Iran an rechtsgerichtete Terroristen in Nicaragua verteilt wird, die gegen die den USA unangenehme Sandinista-Regierung vorgehen. All diese Unmoral ficht die US Regierung unter dem konservativen Ex-Schauspieler Ronald Reagan nicht im geringsten an. Musikalisch ist die Mitte der Achtziger eine Wüste – allerdings eine voller Blumen. Im Thrash-Metal gibt es gleich vier Klassiker von den Größten des Genres (Metallica, Megadeth, Metal Church, Slayer) und noch ein paar mehr... Independent-Pop/Rock aus England, Australien und den USA wartet mit tollen Alben auf (The Smiths, XTC, Go-Betweens, R.E.M. etc...), es gibt feinen Synthi-Pop (Pet Shop Boys...), modernen Country und Roots-Rock (BoDeans, Dwight Yoakam...), Madonna macht ein schönes Album, genauso wie Etablierte wie Springsteen, Paul Simon, Peter Gabriel – Im HipHop gibt es mit den Beastie Boys den ersten Chart-Topper und Talk Talk beginnen sich zu verwandeln. Vergessen wir also 80er Fieslinge wie Bon Jovi, Chris DeBurgh oder Lionel Richie, dann kann man musikalisch in diesem Jahr etliches genießen.

Talk Talk

The Colour Of Spring


(EMI, 1986)


Im Rückblick ist es natürlich immer einfacher, den „Wert“ eines Albums, die „Zeitlosigkeit“ von Musik zu erkennen. Man selber wird älter, die Musik wird älter, die Wellen und Moden kommen und gehen – und die Bedeutung mancher Alben scheint mit der Zeit zu wachsen – natürlich meist im Zusammenhang mit dem Einfluss, den sie dann irgendwann auf andere Musiker haben. 1986 haben sicher die Wenigsten geglaubt, dass in 30 Jahren noch irgend jemand den „New Romantics“ von Talk Talk irgendwelche Bedeutung beimessen würde. Ja, sie hatten nach einem gut verkauften Debut auf dem Nachfolger It's My Life eine überraschende künstlerische Tiefe erreicht, waren für ihre Art von Pop regelrecht visionär, aber auf den Nachfolger The Colour of Spring hatte das nicht hingewiesen – man war es ganz einfach nicht gewohnt (und ist es auch heute nicht...), dass eine kommerziell erfolgreiche Band ihr Rezept in Richtung Anspruch oder gar Vision ausweitet. Mark Hollis – Kopf und Sänger der Band -verband sein außergewöhnliches Songwriting mit teils elektrischen, teils akustischen und sinfonischen Klängen, hatte einfache – man sage besser - reduzierte Songs in ein warmes Soundgewand gekleidet. Songs die in ihrer naiven Schönheit berühren, denen immer im passenden Moment das passende Kleid übergestreift wird. Man kommt sich vor, als blättere man durch ein Fotoalbum, das die Entwicklung einer Persönlichkeit in ihren wichtigsten Momenten von der Kindheit bis ins Alter dolumentiert. Auf jedes Bedauern folgt Akzeptanz, auf jede Bitterkeit das Erkennen eines Sinnes, jedes fallende Blatt verspricht eine Blüte. Dieses Album ist in spätsommerliche Wärme getaucht – und Talk Talk hatten sogar mit den teils überlangen Stücken noch Hits: „Life's What You Make It“ und „Living in Another World“ verbinden Pop und Anspruch wie es später höchstens noch Radiohead gelingen sollte. Ein komplettes Meisterwerk, das dann aber dennoch nicht auf die Nachfolger Spirit of Eden und Laughing Stock vorbereitet hat

XTC

Skylarking


(Virgin, 1986)

1986 muss wohl neben der radioaktiven Wolke aus Tschernobyl auch eine bunte Wolke psychedelischer Schönheit über Europa gezogen sein. Nicht nur Talk Talk verbreiteten Glück, Frieden und Anspruch, auch XTC ließen auf ihr mechanisches Monster The Big Express mit Skylarking eine psychedelische Spätsommer-Platte folgen. Als wären die Beach Boys auf einmal eine New Wave Band, oder als würden Andy Partridge und Colin Moulding – die Songwriter von XTC – ihren persönlichen Summer of Love erleben. - Was durchaus sein mag – hatten sie doch im Vorjahr als Dukes of the Stratosphere schon begonnen psychedelische Musik zu erforschen – und sind sie doch sowieso wegen Partridge's entsetzlicher Bühnenangst als reine Studioband und offensichtliche Musiknerds gewiss mit den Sounds jener Zeit vertraut. Partridge selber bezeichnete das Album später mit den Worten : “A summer’s day baked into one cake” - und das, obwohl er sich mit dem Produzenten Todd Rundgren wohl öfters gestritten haben muss. Ihm passte es überhaupt nicht, die Kontrolle über seine Songs an jemand anderen zu übergeben, aber die Plattenfirma verlangte nach dem Flop von Big Express einen Erfolg, und hoffte denselben durch einen großen Namen zu erlangen. Ob das Album ohne ihn anders geklungen hätte ? Ich bezweifle das. Die Songs sind wunderbarer, perfekter Pop, auf Augenhöhe mit English Settlement, das Konzept – das Leben am Verlauf eines (Sommer)-Tages nachzufühlen funktioniert, Schon Opener „Summers Cauldron“ mit Grillengezirpe ist herrlich psychedelisch, bei „Grass“ wird die Liebe gefeiert, bei „Big Day“ der Hochzeitstag, bei „Earn Enough for Us“ die Probleme des normalen Lebens, das Album ist urbritisch und klingt dabei trügerisch einfach und jeder Song ist eine kleine Perle. Manchem waren XTC ja immer zu nervös, hier sind sie in ruhigem Gleichgewicht – für dieses Album jedenfalls.

The Smiths

The Queen Is Dead


(Rough Trade, 1986)

The Queen Is Dead ist das Meisterstück einer der besten Bands Großbritanniens - und damit zugleich eine der besten Platten der 80er. Zuvor hatten The Smiths mit militantem Anti-Populismus auf Meat Is Murder schon Maßstäbe gesetzt, hatten eine Compilation mit ihren spektakulären Only-Single-Releases herausgebracht, wie es sie besser nicht geben kann, aber in der Band begann es zu kriseln, da Johnny Marr mit Morrisseys konsequenten/sturen Positionen (egal, ob politisch oder ernährungstechnisch) immer weniger klarkam. Auf musikalischer Ebene allerdings waren sowohl er als auch Sänger Morrissey in der Form ihres Lebens und die Spannungen mögen sogar zur Kreativität beigetragen haben. Das Titelstück dieses Albums stürmt mit rollenden Drums und bösem Text los, „Frankly, Mr. Shankly“ kommt danach als lockeres Gegenstück. Beide Songs stecken die Pole ab, die Hitsingles „Bigmouth Strikes Again“ und das überromatische „There Is a Light that Never Goes Out“ sind großartig, gehören zum Besten was die 80er zu bieten haben und Albumtracks wie „Some Girls Are Bigger Than Others“ mit seltsamem Humor, oder das misanthropische „The Boy With the Thorn In His Side“ stehen den anderen Tracks in nichts nach. Das gesamte Album ist perfekt austariert, jeder Ton sitzt an der richtigen Stelle. Endlich hatten die Smith's ihre Versprechen eingelöst... und gingen bald danach konsequent auseinander.

The Go-Betweens

Liberty Belle and the Black Diamond Express


(Beggars Banquet, 1986)

Noch immer in London. Die Australier Go-Betweens hatten zwar ihr altes Label verloren, hatten immer noch nicht den großen Erfolg gelandet, aber jetzt wollten sie es mit neuem Label und mit neuem Elan noch einmal probieren. Songwriter Robert Forster hatte sich vorgenommen „einfachere“ Songs zu schreiben, sein Freund Grant McLennan sollte mehr Einfluss bekommen und es sollte Pop-Hits geben. Aber natürlich können die Go-Betweens nicht banal werden – dazu sind sie zu intelligent. Also wenn Liberty Belle and the Black Diamond Express „poppiger“ ist, dann im positivsten Sinne – etwa so als würden die Beatles und Velvet Underground gemeinsam Musik an einem verregneten Sonntagnachmittag machen. Jeder Song hat einen eigenen Stil, laut Drummerin Lindy Morrison hätte jeder Song ein Hit werden können, ob das pastorale „Spring Rain“ - zu dem es auch ein Video gab – oder das melodisch so feine „Head Full of Steam“ - ebenfalls eine Single – die ebenfalls keinen größeren Eindruck in den Charts hinterlassen sollten, weil sie zu intelligent für das Mitt-Achtziger Radio waren. Für „The Wrong Road“ wurde ein Orchester angeheuert, und auch das konnten sie, genau wie beim spannenden „In the Core of a Flame“, die wunderbare und beständige Stilsicherheit der Go-Betweens ist wahrscheinlich Segen und Fluch ihrer Karriere zugleich, egal ob sie – wie zu Anfang ihrer Karriere – roh klangen oder „kommerzieller“ wie hier oder gar gediegen wie nach ihrer 12-jährigen Pause – immer blieben sie erkennbar, immer gab es da diese Leichtigkeit gepaart mit Melancholie und dem bisschen zu viel an Intelligenz um stumpfe Massen zu erreichen. Ist Liberty Belle.. das beste Album der Go-Betweens ? Könnte sein, aber da gibt es auch noch Before Hollywood oder The Friends of Rachel Worth. Im Moment ist es dieses Album. Aber morgen.... ?

Coil

Horse Rotorvator


(Some Bizarre, 1986)

Und noch eine Band, die völlig eigenständig geblieben ist, die Pionierarbeit leistete, die weit unterhalb des Radars der Chartshörigen etwas fabrizierte, das dann erst Jahre später in den Pop-Kanon aufgenommen werden sollte. Ex-Throbbing Gristle Peter “Sleazy“ Christopherson und deren Harcore Fan John Balance hatten schon zwei Jahre zuvor auf ihrem Debut Scatology Industrial, Dark Ambient und Gay-S/M zu seltsam dunkel schimmerndem Pop verarbeitet, die Energie und das Talent der beiden Musiker ließ es auch auf ihrem zweiten Album Horse Rotorvator zu, sehr unterschiedliche Teilnehmer und Einflüsse unter dem Schirm „Coil“ zu versammeln – und sich zu eigen machen. Es beginnt mit den pumpenden, pulsierenden Synth-Punk von „Anal Staircase“ (klar...), geht weiter mit dem schleichenden Industrial von „Slur“ - Bilder von homoerotischem Hardcore-Sex gibt es soviel wie Verweise auf Drogen und Tod, aber da ist auch glühende Schönheit - bei „Ostia (the Death of Pasolini)“ etwa oder beim verzerrten Cover von Leonard Cohen's „Who By Fire“. Da sind die Hörner und krachenden Electronics von „Penetralia“ (auch klar) und am Schluss kommen die „The First Five Minutes After Death“ mit dem Klang eines sterbenden Sternes. Dass Coil mit ihren Alben nicht nur Industrial Bands wie etwa Nine Inch Nails beeinflussten (Trent Reznor ist massiver Fan – was man seiner Musik ganz deutlich anhört), aber auch faschistoide EBM Projekte, dass sie extrem waren und nie in irgendeine Schublade passten und vor Allem, dass sie musikalisch sehr polarisieren, ist gerade die Eigenschaft, die sie so interessant macht. Coil folgten - wie die wenigen anderen Bilderstürmer in der Musik - ohne Kompromisse nur ihrer eigenen Vorstellung von Ästhetik – und Geschäft - was so weit geht, dass ihre Alben wegen Streitigkeiten mit anderen Labels oft kaum erhältlich sind - . Man kann sie nur lieben oder hassen. Ich mache beides und bin damit vielleicht sogar in ihrem Geiste unterwegs.

Arthur Russell

World of Echo


(Rough Trade, 1986)


Um in kompletter Finsternis zu navigieren, nutzen Fledermäuse (neben ein paar andere Lebewesen) die sogenannte Echo-Ortung. Sie stoßen Laute/Schallwellen aus, die von Objekten als Echo zurückgeworfen werden, so dass sie diese – ob Hindernis oder Beute – akustisch wahrnehmen und ihnen ausweichen - oder sie so fangen können. Sie leben in einer „World of Echo“. Und auch das gleichnamige Album von Arthur Russell kann man sich gut in einem lichtlosen, scheinbar leeren Raum vorstellen, in dem der Künstler mit Hilfe seiner Stimme und deren Erweiterung, dem verfremdeten Klang seines Cello's (das doch so nah an der menschlichen Stimme erklingt) nach Orientierung sucht, die Wände, die Möbel, die anderen Bewohner zu erkennen versucht. Man höre nur das zweite Stück „Soon-to-Be Innocent Fun / Let's See“, bei dem Russell Alliterationen murmelt und dazu das mit allen möglichen Methoden verfremdete und erweiterte Cello sanfte Laute ausstoßen lässt, man höre nur das dreiteilige „Tower of Meaning - Rabbit's Ears – Home“, sanft, narkotisch, die Stimme in vollem Einklang mit kaum angestrichenen Saiten, dazu seltsam dahingeschluderte Zeilen wie „I'm watching out of my ear“, die Stimme auch nur noch Instrument. Da sind die unglaublichen Laute, die Russell seinem Cello entlockt, er verfremdet es zur völligen Unkenntlichkeit, lässt es dröhnen oder zwitschern, da sind gedämpfte Percussion, da ist Russell's Gesang, meist lautmalerisch, selten mit verständlicher Botschaft, da ist ein Künstler, der zu dieser Zeit wohl völlig unabhängig von allen kommerziellen Erwägungen Klang und Raum mit seinen Mitteln erforschen wollte. Ein Glück, dass dabei ein Album von solch fremder Schönheit herauskam – und auch seinem beachtlichen Talent, seiner im Nachhinein an Anthony Hegarty gemahnenden Stimme und seinem melodischen Einfallsreichtum geschuldet. Pech, dass solche Musik wohl auch heute noch dem oberflächlich Nebenbeihörenden als zu fremd und zu avantgardistisch erscheinen wird. Dass Russell Zeit seines Lebens kaum ein Projekt je beenden sollte, dass er sich in New York irgendwo im Spannungsfeld zwischen Disco, Avantgarde und Minimalismus bewegte und somit außerhalb der Norm, macht World of Echo noch kostbarer. Es sollte sein einziges zu Lebzeiten komplett fertiggestelltes Album bleiben. Russell selber wurde kurz nach Fertigstellung des Albums mit AIDS diagnostizierte und verschwand bald buchstäblich hinter seiner Musik. Er starb 1992.

R.E.M.

Life's Rich Pageant


(IRS, 1986)

Es gibt genug Fundamentalisten, die sagen, R.E.M. wären nach ihrer Unterschrift unter den dubiosen Major-Vertrag unglaubwürdig, langweilig und ganz banal schlecht geworden. Was natürlich kompletter Unsinn ist. Aber – sie haben sich verändert, als sie ganz einfach mehr Geld und mehr Zeit in die Studioarbeit stecken konnten, was aber wiederum nicht bedeutet, dass die relativ bescheideneren Budgets für ihre Alben beim I.R.S. Label ihrer Musik auch nur einen Gran an Qualität vorenthalten hätten. Einer von fünf Beweisen ist ihr vorletztes „echtes“ Independent-Album Life's Rich Pageant. Sie hatten nach dem „schwierigen“ dritten Album beschlossen, etwas poppiger zu werden, Michael Stipe entschied sich dazu, deutlicher zu singen – nicht mehr zu murmeln, auch wenn seine Lyrics immer noch kryptisch waren, Bassist, Drummer und Gitarrist waren inzwischen eingespielt, und letztlich erfordert ihre Musik - sowohl vor, als auch nach dem Majordeal - ganz banal keine aufwendige Produktion – und somit keine übermäßigen Kosten. Das mögen die Musiker ja anders sehen, aber wichtig ist der Sound und die Songs, und R.E.M. hatten einen Lauf. Ob Songs wie „Begin the Begin“, „Flowers of Guatemala“ oder „Cuyahoga“ und „Fall on Me“ mit größerem Budget besser geklungen hätten, bezweifele ich. Das Akkordeon bei „I Believe“ bräuchte nicht teurer sein, dass die Gitarren auf Life's Rich Pageant manchmal fast nach Hardrock klingen, dass das Album für R.E.M. flott und laut ist, ist der Entwicklung der Band geschuldet, und keinen pekuniären Zwängen. Ganz einfach: Es ist eines ihrer besten Alben, dass sie bald mehr Geld mit ihrer Musik verdienen sollten, ist angesichts dieses Meisterwerkes verdient, und sie hätten sich unabhängig davon auf jeden Fall weiterentwickelt. Jetzt schon galt – R.E.M. waren eine große Band..

The Feelies

The Good Earth


(Rough Trade, 1986)

und hier - eine der Bands, die R.E.M. sehr stark beeinflusst haben, die deren Erfolg aber nicht teilten und somit den Moralwächtern des reinen Idependent Gedanken besser gefallen dürfte. Die Feelies waren sechs Jahre nach ihrem immens einflussreichen, aber kommerziell vollkommen erfolglosen Debüt mit verändertem Line-Up – u.a. auf betreiben von Fans wie Peter Buck von R.E.M. - wieder im Studio. Nicht dass sie in der Zwischenzeit faul gewesen wären, alle Bandmitglieder hatten ihre Sideprojects, die Musik zum Film Smithereens und Bands wie Yung Wu oder The Trypes - man muss ja auch von irgendetwas leben. Nun ließen sie mit Buck als Co-Produzenten auf dem neuen Album The Good Earth die vertrackten Rhytmen des Debüts bewusst etwas weniger nervös klingen, wollten es diesmal „akustischer“ und „ländlicher“ haben. Was heißt, dass die Television-artigen Gitarrenduelle des Debüt's verschwunden sind, Bill Million spielt dafür meist die akustische Rhythmus-Gitarre, Glen Mercer die verschlungenen E-Gitarren Soli – ein veränderter Sound, der dazu führt, dass sie etwas „erwachsener“ klangen. Damit unterliefen sie zwar die Erwartungshaltung mancher Fans, aber was hatten sie schon zu verlieren: Die paar Leute, die ihr Debüt kannten, würden das schon mitmachen und reich werden konnte man mit dieser Musik doch sowieso nicht – und das trotz solcher Schönheit, wie zum Beispiel „Slipping (Into Something)“ und „The Last Round Up“. Tatsächlich könnte man die Musik als Mischung aus Nick Drake und Velvet Underground ganz richtig beschreiben – oder eben als eigenständige und gleichwertige Variante von R.E.M. 

 

David & David

Boomtown


(A&M, 1986)

Bis hier habe ich für '86 doch eher zumindest leicht „randständige“ Alben erwählt (Coil, Russell...) dass es auch Mitte der Achtziger „normale“ Rockmusik gab, die bis heute meinen Ansprüchen genügen kann, die tatsächlich zeitlos klingt, dafür ist Boomtown ,das einzige Album der beiden LA- Singer/Songwriter und Studiomusiker David Baerwald und David Ricketts schlagender Beweis. Die beiden hatten sich in einem Club kennengelernt, die Chemie stimmte, sie schrieben Songs und bekamen auf Vermittlung einer Freundin einen Vertrag – und das Wunder geschah – die erste Single „Welcome to the Boomtown“ wurde ein (moderater) Hit. Manche Tracks haben einen starken 80er Touch, der nun ein bisschen altbacken klingt, aber beide David's wussten wohl damals schon, dass zu viele Modernismen irgendwann von übel sein würden, zumal die Songs allein, mit ihren düsteren Stories über Verlierer und Verlorene, kaum eines modischen Gewandes bedurften. Das Album wirft einen Blick auf verborgene urbane Landschaften und ihre Bewohner, auf Leute wie Kevin,“who deals dope out of Denny's keeps a table in the back“. Es sind Geschichten über Verlangen und Verzweiflung und über die Dinge, die man getan hat, aber nicht hätte tun sollen. Ohne Mitleid, ohne Pathos, einfach so, wie es ist. Dazu lautmalen die Gitarren mit Rückkopplungen, dampft der Asphalt, blenden Laternen in der Nacht. Da ist „Swallowed by the Cracks“, das tatsächlich ein bisschen danach klingt, als hätte Bryan Adams mal einen nicht so aufgeblähten Song geschafft, da ist das coole und fast avantgardistisch instrumentierte „A Rock for the Forgotten“ etc pp. Boomtown ist ein geschmackvolles Album - Westcoast-Sound mit gebrochener Macho-Pose. Dass das Album bald verschwand, lag wohl auch daran, dass beide David's auseinandergingen. Allerdings halfen die beiden Sheryl Crow im „Tueday Night Music Club aus, David Rickett's arbeitete mit der verkannten Toni Childs zusammen (deren Union von 1988 mindestens kluger Pop ist) und David Baerwald machte ein paar sehr feine und stark politische Solo-Alben die dann kaum Hörer fanden. (Bedtime Stories von 1990 und Triage von 1992 seien ausdrücklich empfohlen)

Slayer

Reign In Blood


(Def American, 1986)


Ein paar Monate zuvor hatten Metallica mit Master of Puppets die Metal-Welt in Begeisterung versetzt. Das war der Metal der Zukunft, so rasant und zugleich komplex und facettenreich - wie sollte irgendjemand das toppen? Slayer waren zu dieser Zeit durchaus Konkurrenten, aber man hatte Schlimmes gehört: Sie hatten beim HipHop Label Def Jam unterschrieben, wurden somit von Columbia vertrieben, und ihr Produzent würde HipHop-Spezialist Rick Rubin sein – was sollte dabei Vernünftiges herauskommen ? Und dann kam – mit Verzögerung, weil Columbia Cover und Texte nicht akzeptieren wollten und man sich für den Vertrieb an Geffen wenden musste – dieses knapp 29-minütige Monster zum Vorschein. Slayer waren schon auf den Vorgängern Hell Awaits extrem gewesen, aber auf ein solch kontrolliertes, rasendes Hardcore/ Thrash Gewitter hatte das nicht vorbereitet. Die Texte waren zuvor comichaft brutal gewesen, nun ging es weit konkreter um Serienmörder, Religion und die Hölle auf Erden, um Seuchen und beim Opener „Angel of Death“ um den Ausschwitz-Arzt Josef Mengele. Natürlich war es Kalkül - daß Slayer in die Nähe faschistoider Kreise gerückt würden, dürften sie in Kauf genommen haben, sie rechtfertigten es – ganz schlüssig – damit, dass es sich bei dem Text lediglich um die Abbildung eines der Aspekte menschlicher Bosheit geht, denn das komplette Album handelt von solchen Abgründen und letztlich hat die Band nie rechtes Gedankengut propagiert – und Splatter-Lyrics wie die Beschreibung von zerstückelten Körpern bei „Necrophobic“ oder das satanistische Menschenopfer bei „Altar of Sacrifice“ gehören zum Metal wie Bassgewitter und Gitarrensoli. Wichtig ist Reign in Blood wegen der furiosen Art, in der Thrash revolutioniert wird. Bis auf den Openern und das abschließende „Raining Blood“ bleiben fast alle Stücke unter der 3-Minuten Marke, die beiden Gitarristen Jeff Hannemann und Kerry King wechseln sich - fein säuberlich auf dem Textblatt aufgeführt - bei den mit chirurgischer Präzision ausgeführten Gitarrensoli ab, Drummer Steve Lombardo prägt das Double-Bass-Drumming der folgenden Jahre mit seinem Spiel und das Album hat eine Härte und Intensität, die auch Slayer selber nicht mehr erreichen sollten, die aber Legionen von Metal-Fans und Musikern für die folgenden Jahre beeinflusste und Death Metal und Grindcore zwar nicht vorwegnahm, aber sicher beeinflusste. Reign in Blood ist das härteste Album dieses Jahres, eines der besten, vielleicht DAS beste Thrash-Album der Achtziger und ein Meilenstein der Rockmusik. Das nicht anzuerkennen, ist ignorant.


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