Freitag, 22. November 2019

1980 – The Sound bis Psychedelic Furs – Musik nach Punk = Post Punk im United Kingdom

Und schon wieder: Ein Genre, eine Schublade, eine Bezeichnung für Musik einer bestimmten Zeit, die Bands mit im Grunde völlig unterschiedlichen Ideen unter einen Hut stopfen. Die Fakten: Nach der „Explosion“ des Punk, nachdem sich junge Musiker von der vorherigen - etablierten – Generation von Musikern emanzipiert hatten, indem sie die Rockmusik wieder auf ihre einfachsten Elemente reduziert hatten, kamen nun wieder Elemente hinzu, die Alles wieder etwas komplexer machten. Die Musiker des Post Punk sind nicht mehr von Blues und Beat beeinflusst, sie bauen nicht auf Folk oder Country auf, sie holen sich ihre Einflüsse aus anderen Ecken – aus Dub, Elektronischer Musik a la Kraftwerk, aus Funk und Krautrock, Art Rock und Experimentalmusik. Vom Punk nehmen sie die Freiheit, ohne allzuviel Zierrat und Virtuosität arbeiten zu müssen, aber im Unterschied zum Punk wollen sie nicht nur abreißen, sie wollen etwas Neues bauen. Mag sein, dass der Anbruch des neuen Jahrzehnts dazu Anlass bot, aber es kamen auch etliche weitere Faktoren dazu, die die Musik frischer klingen ließen, als zuvor. Die Gesellschaft hatte sich verändert, war - mit der Wahl Thatcher's in England - kälter geworden, Illusionen über ihre Veränderbarkeit waren dahin, zugleich war auch das Zusammengehörigkeitsgefühl der jungen Generation der zu dieser Zeit 15-20 jährigen ein Anderes – jetzt waren junge Leute auf sich gestellt und konnten nicht mehr annehmen, in eine bunte und friedvolle Zukunft zu starten. So klingen dann die Bands dieser neuen Generation entweder wütender, zynischer oder verzweifelter als ihre Vorgänger. Selbstverständlich kann man das Jahr 1980 nicht konkret als Zeitpunkt festlegen, an dem Post-Punk begann, die ersten Bands die solche Musik machten sind da schon Veteranen ( Talking Heads,Pere Ubu in den USA, Wire, The Fall, PIL im UK), und deren Vorbilder wiederum (Bowie, Iggy Pop, Kraftwerk etc) haben Wurzeln in den frühen Siebzigern. Aber 1980 haben etliche Bands, die man mit „Post-Punk“ verbindet, ihre Album-Premiere. Und dieser Sound des Post-Punk hat weit mehr als Punk die Musik der kommenden Jahrzehnte geprägt..... Was auch daran liegt, dass er so heterogen ist, dass man nur mit viel Großzügigkeit – oder weil es einfach praktisch ist - von einem Genre sprechen kann. Gemeinsam ist zumindest den meisten Bands ein starker, oft pulsierender Rhythmus, mal nervös und funky, mal maschinenhaft und minimalistisch, spinnenhafte Gitarren ohne solistische Eskapaden, monotoner Gesang, der mit den Prog-Rock Sängern oder Blues-Shoutern der frühen Siebziger nichts zu tun haben will und eine kalte, enweder düster oder grell überfärbte Atmosphäre – man sieht schon, viel Spielraum für Unterschiedlichkeiten. Hier einige Beispiele aus 1980, die ich an anderer Stelle in einem zweiten Kapitel um noch weitere Alben (Soft Boys, Durutti Column etc...) ergänzen werde


WIE wichtig das Jahr 1980 für die Entwicklung des Post-Punk in England (...und in den USA) ist – oder umgekehrt – wie wichtig Post-Punk für die Musik des beginnenden Jahrzehntes ist, sehe ich allein schon daran, dass ganze vier Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ im Kapitel Post-Punk '80 ihren Platz haben könnten bzw. müssten. Aber die vier wurden dort hinreichend gewürdigt, lies bitte nach – und beschäftige dich zur Vertiefung mit den hier unten gewürdigten weiteren 12 Bands mit ihren Alben des Jahres 1980. Es lohnt sich - denn so manches Album könnte genauso gut im Hauptartikel Platz finden...


Joy Division - Closer - (Factory, 1980)



Joy Division waren immer eine Nummer für sich. Ihr depressiver Post-Punk – 1980 auch noch durch den Suizid ihres Sängers Ian Curtis mit einer zugegebenermaßen perversen Glaubwürdigkeit ausgestattet – wurde im Laufe der Jahrzehnte zum Vorbild für Hunderte von Epigonen und ist zugleich ähnlich unnachahmlich geblieben wie der Sound von Curtis' Vorblildern The Velvet Underground.




The Cure - Seventeen Seconds - (Fiction, 1980)


Mit ihrem zweiten Album legen The Cure die Fundamente für eine über Dekaden andauernde Karriere - und für einen kompletten Stil: Gothic – den sie mit Siouxie and the Banshees (siehe weiter unten) erstmals klar formulieren.


Echo and the Bunnymen - Crocodiles - (Korova, 1980)


Dass Post-Punk und Psychedelic Music gut zusammen gehen, lässt sich an diesem Debüt-Album wunderbar beweisen. Aber Echo and the Bunnymen sind da nicht die Einzigen, ich HÄTTE auch Teardrop Explodes in den Hauptartikel setzen können. Habe ich aber nicht – vielleicht weil Echo and the Bunnymen dann auf noch mindestens drei weiteren Alben ihre Klasse bewiesen haben


The Comsat Angels - Waiting for a Miracle - (Polydor, 1980)


The Comsat Angels sind eine dieser persönlichen Vorlieben. Ihr Sound ist einzigartig, ihre Songs sind groß und ihr Debüt gehört zu den vielen anderen Klassikern des Post-Punk. Sie sind der (eigentlich unnötige...) Beweis für den Facettenreichtum des Genre's Post-Punk – so wie...


The Sound


Jeopardy

(Korova, 1980)

Der Kopf der Band The Sound (… dummer Name eigentlich...) Adrian Borland hatte schon einige Erfahrung mit seiner vormaligen Punk- Band The Outsiders gesammelt. 1979 benannten sie sich in The Sound um und veröffentlichten ihr Debüt Jeopardy. - eines dieser Alben, die trotz unzweifelhafter Qualitäten obskurer geblieben sind, als verdient – vielleicht weil es ein paar Bands gab, die ihnen durchaus ähnelten. Borlands Gesang zum Beispiel erinnert an den von Ian McCullough von Echo & the Bunnymen und neben seinem feurigen Gitarrenspiel prägte der melodische, an Joy Division erinnernde Bass den Sound der Band. Der erste Song der LP, „I Can't Escape Myself“ beginnt noch recht sparsam mit spinnenhaften Gitarren und NEU!-artigen Synthie-Sounds ehe er im Chorus mit aller Gewalt losbricht. „Heartland“ ist ein komplexes Meisterstück, eine Mischung aus XTC-Nervosität und U2-Hymne. „Hour of Need“ erinnert an Joy Division's „Passover“ mit Synthies, die dem Song eine zusätzliche Farbe verleihen. „Unwritten Law“ kommt als Mid-Tempo Song daher und zeigt wie man mit dünnen Synthie-Schlieren einen Song effektiv ausschmücken kann. Es ist wieder so ein Fall, in dem ich nicht verstehe, warum Jeopardy nicht gleichberechtigt und verehrt neben den bekannteren Platten aus dieser Phase der Rockmusik besteht The Sound haben in Bands wie Interpol definitiv Nachahmer gefunden, aber die Tatsache, dass sie stilistisch immer irgendwo zwischen - und manchmal eben zu nah an - den vorgenannten Bands saßen, mag größeren Erfolg verhindert haben. Dabei hatten sie wirklich gute Songs und einen interessanten Sound. Sie sollten bekannter sein – und ihre Alben sollten leichter erhältlich sein, als sie zur Zeit sind..


Killing Joke


s/t

(e.G., 1980)

Kann es zu Beginn der 80er schon den Begriff „Industrial Punk“ gegeben haben? Es ist jedenfalls eine passende Etikettierung für die Musik auf Killing Joke... aber zu dieser Zeit wurde von Punk beeinflusste Musik einfach New Wave genannt. Die 1979 in London gegründete gleichnamige Band verband auf ihrem Debüt Punk mit einem Sound, der damals keinen Namen hatte, der auf Jaz Colemans aggressivem, parolenhaften Gesang, kraftvollen, maschinenhaften Drums und dem trockenen Spiel des Bassisten Youth basiert, über das Gitarrist Geordie eher Metal-Riffs schweißte, als sie zu spielen. Dass Coleman's Lyrics dazu von Umweltzerstörung, Ausbeutung und Entfremdung handeln, dass er immer leicht psychotisch und äußerst wütend klingt, macht das Album wunderbar intensiv. Eigentlich hat dieses Debüt einen Sound, der erst Jahre später von Musikern und Produzenten wie Steve Albini oder Al Jourgenson (Ministry) etabliert wurde. Songs wie „Requiem“ oder „The Wait“ würden auf Alben kommender Generationen von Thrash Metal oder Hardcore Acts passen. Tatsächlich wurde letzterer Song von Metallica gecovert, tatsächlich nannten Bands wie die New Yorker Hardcore Institution Prong später Killing Joke ausdrücklich als Inspiration – und rekrutierten zwischenzeitlich deren Bassisten. Damit kein Missverständnis aufkommt: Killing Joke ist Post Punk, aber der breitett ja – wie oben gesagt – schnell über ein sehr weites Feld von Einflüssen und Sounds aus. Killing Joke klingen härter und metallischer als der Rest ihrer Zeitgenossen. John Peel förderte die Band wohlwollend, und sie hatten das Selbstbewusstsein, zwei ihrer besten Songs nur als Single zu veröffentlichten. Das Album Killing Joke ist ein so großes Versprechen, dass die Band es in den nächsten Jahren schwer haben sollte, das in aller Konsequenz einzulösen.


The Teardrop Explodes


Kilimanjaro

(Mercury, 1980)

Dass Julian Cope ein großer Fan des Kraut-Rock und des Psychedelic Rock ist, weiss man jetzt (wenn man ihn und sein literarisches Standardwerk über diese Musik kennt), dass er das schon 1980 war, als er mit seiner damaligen Band Teardrop Explodes bekannt wurde (...der Name allein...) kann jeder erkennen, der ihr Debüt aufmerksam anhört. Sie waren neben Echo & the Bunnymen die führende Neo-Psychedelic Band in Liverpool (sie teilen auf ihren jeweiligenen Debütalben sogar den Song „Read it in Books“), und Cope war damals schon ein zumindest erratisches Genie und der Umgang mit ihm soll schwierig genug gewesen sein. Der notorische Musik-Nerd versuchte auf Kilimanjaro seine Musik-Kollektion in ein Album zu destillieren: Da ist die Love/Doors Achse, da sind die pulsierende Krautrock Rhythmen von „Poppies in the Field“ sowie seine durchaus kreative Version Syd Barret'scher Poesie. Dazu kommt eine Energie, die an Pere Ubu denken lässt, die einen anspringt, die nur nicht ganz so urban ist wie die der Band aus Cleveland. Kilimanjaro ist Post Punk im besten Sinne, so wie vieles hier auf diesen Seiten. Seite Eins des Albums ist fast fehlerlos, der Sound mag manchmal zu poppig geraten sein – sicher nicht von Cope beabsichtigt – aber das schadet brillianten Songs wie „Sleeping Gas", "Treason", "Second Head" und dem obengenannten"The Poppies Are In The Field" (mit der bezeichnenden Textzeile „but don't ask me what that means") nicht. Die zweite Seite fällt etwas ab, aber da gibt es dann noch das Highlight „When I Dream“ - ein Song der so catchy ist, dass nicht einmal der endlose Unsinns – Refrain mit seinem „and I go op bop bop bop bop bop bop bop bop bop bop-bop-bop-bop bu-u-u-um“ stört. Witzig und bezeichnend, dass sie gerade damit die unteren Ränge der amerikanischen Billboard Charts erreichten


Siouxie & The Banshees


Kaleidoscope

(Polydor, 1980)

Janet Susan Ballion aka Siouxie und ihre Banshees waren im Vorjahr mit Robert Smith als Aushilfs-Gitarrist auf Tour gewesen, und - wer weiss – vermutlich haben die Beiden da einige Gemeinsamkeiten entdeckt – und beschlossen, eine dunkel getönte Ästhetik des Morbiden als Grundlage für ihre weiteren musikalischen Projekte zu entwickeln. Smith und Siouxie sind Individualisten in höchstem Maße, dass ihre Musik sich deutlich unterscheidet, ist klar, aber es ist interessant zu sehen, dass sowohl Seventeen Seconds von The Cure als auch Kaleidoscope von Siouxie und ihren neu formierten Banshees im vergleich zu den vorherigen Alben der Bands ein echter Stil-Wechsel sind. Über Seventeen Seconds lies bitte an anderer Stelle, Kaleidoscope ist ein weiterer Meilenstein des Post-Punk – und ebenfalls eine Defintion von Gothic. Im Gegensatz zu Seventeen Seconds farbiger, getragen von Siouxie's kühler, eleganter Stimme, von einer Band, der man nicht anmerkt, dass sie sich gerade neu finden musste, mit Songs, die für mich näher an „Pop“ sind, die tatsächlich Ohrwurm-Qualität haben (was The Cure natürlich auch hatten). Die Reduziertheit des Sounds mit den klar definierten Grund-Elemente aus Siouxies Stimme, Budgie's schlicht-effektiven Drums, dem melodischen Bass von Steven Severin und den Gitarren-Splittern von John McGeoch – der gerade Magazine verlassen hatte und der mit seiner ökonomischen Spielweise den New Wave-Gitarren-Sound regelrecht erfand, ist einerseits fast klischeehaft, andererseits wegen der zeitlosen Songs doch so besonders. Tracks wie „Happy Hous“, „Hybrid“, „Christine“ oder „Red Light“ sind zeitloser Pop, würden in fast jedem Gewand gut aussehen, sind aber eben im Gothic-Style perfekt. Man kann Siouxie and the Banshees tatsächlich nicht so leicht beschreiben – Eine Frau als Band-Kopf war seinerzeit noch ungewöhnlicher als heutzutage, aber dieser Frau wurde damals mit jedem denkbaren Recht eine Anerkennung gezollt, wie sie eine Künstlerin wie PJ Harvey zehn Jahre später bekommen würde. Und Kaleidoscope ist nur eines von mehreren tollen Alben.


Bauhaus


In the Flat Field

(Beggars Banquet, 1980)

Wer Gothic sagt, sagt auch Bauhaus – und obwohl Bauhaus-Sänger Peter Murphy darüber arg in Zorn geraten wäre, gilt das mindestens für die ersten Jahre in der Karriere der Band aus Northampton, die im Vorjahr mit den neun Minuten der Single „Bela Lugosi's Dead“.... na ja – zumindest eine der besten Singles des Post-Punk veröffentlicht hatte, und die jetzt ihr Debüt-Album In the Flat Field nachlieferte. Es stimmt ja – sie haben das Beste von Bowie, den Velvets, Iggy Pop und Joy Division genommen, und dem noch einen Twist in Richtung samtener Morbidität gegeben. Das Alles wird mit der in dieser Zeit angesagten Reduktion im Sound und in den Mitteln erzeugt. Es hat den Geist des Punk in sich, weil auch hier Virtuosität keine Rolle spielt, Der Song und die Atmosphäre der Musik dafür umso wichtiger ist. Und was Dramatik angeht, machte Bauhaus so gut wie keiner etwas vor. Man höre nur die hysterischen Gitarren, das bedrohlich monotone Gerumpel von Bass und Drums und Murphy's unheilschwangeren Bariton beim Titeltrack. Bauhaus waren genau genommen „nur“ eine weitere Post-Punk Kapelle, die mit den bekannten Zutaten eine Suppe mit eigenem Geschmack erzeugten. Auch bei ihnen spielte die Gitarre von Daniel Ash abgehackte Licks, auch hier spielte David J einen prominenten Bass, auch hier war das Drumming von Kevin Haskins nicht selbstverliebt, sondern ein effektiver Motor. In the Flat Field wird immer als eines der ersten Gothic-Alben genannt werden, weil Bauhaus sich – wie Siouxie and the Banshees und The Cure - einer bestimmten Ästhetik bedienten. Und natürlich finde auch ich Tracks wie „A God in an Alcove“ oder „Stigmata Martyr“ nicht nur wegen ihrer Titel „gothic“. Die distanzierte Kühle, die skelettierte Musik, die seltsamen Geräusche und das Image, das Bauhaus sich seit ihrer ersten Single selber verpasst hatten, spielen zusammen – und machen In the Flat Field zu einem Solitär des Post Punk.



Swell Maps


In „Jane from Occupied Europe“

(Rough Trade, 1980)

...aber britische Post-Punk Bands können auch „arty“ klingen – können Kunst von ähnlicher Konsequenz und vordergründiger Unzugänglichkeit erzeugen, wie man sie bei US-Post-Punk Bands wie Tuxedomoon, Pere Ubu oder den Residents findet. Die Swell Maps waren britischer Art Punk, bezogen sich auf die Motorik von Kraut-Rock Bands wie Can oder Neu!, hatten mit Adrian Godfrey aka Nikki Sudden einen Noise-Gitarristen, der monolithische Wälle baute und mit dessen Bruder Kevin Godfrey aka Epic Soundtracks einen Pianisten und Sound-Manipulator, dessen Ideen verrückt genug waren, die Swell Maps weit ausserhalb des Mainstreams zu halten, den bald Bands wie The Cure oder U2 erobern würden. Swell Maps In „Jane from Occupied Europe“ war das zweite Album einer Band, die klang wie eine Land-Kommune, die man aus der Hippie-Zeit in die Post-Punk Ära gebeamt hatte. Ihre beiden Alben – dieses und der Vorgänger A Trip to Marinville - zeigen, wie experimentelle Musik mit UK-Post-Punk Hintergrund ist. Ein Track wie „The Helicopter Spies“ dürfte später Bands wie Sonic Youth und Pavement mit seiner Kombination aus textlichem Dadaismus, ungestimmten Gitarren und schlampigem Drumming massiv beeinflusst haben. „Cake Shop“ wiederum ist reiner Pop – allerdings in Lärm getaucht und so nachlässig behandelt, dass man ihn fast nicht erkennt. Man kann es den Swell Maps vorhalten, dass sie sich nicht einmal ansatzweise Mühe gaben, irgend jemandem zu gefallen. Aber es gibt ja auch Leute, die genau das zu schätzen wissen.


The Fall


Grotesque (After The Gramme)

(Rough Trade, 1980)

Na ja, Mark E. Smith ist tot und ich kann ihn ohne Widerspruch in diesen Zusammenhang stellen. Ich vermute, der Querkopf würde sich weigern, mit Bauhaus, The Sound oder Swell Maps in einem Atemzug genannt zu werden – aber The Fall sind tatsächlich einfach immer nur The Fall. Das galt, als sie im Vorjahr mit Live at the Witch Trails und Dragnet den britischen Post-Punk Underground erstmals aufschreckten und das würde für die kommenden 38 Jahre gelten. Ihr drittes Studio-Album (nach einem mir etwas ZU rohen Live-Album – da empfehle ich eher In a Hole von '83) zeigt dieses Projekt immer noch im Such.Modus... wobei – den hat Mark E. Smith irgendwie nie verlassen. Grotesque (After the Gramme) verbrät alle zu dieser Zeit bekannten Stilarten der Popmusik, wird von einer Band eingespielt, die all das völlig verfremdet und in den Zusammenhang mit Smith's Lyrics und seinen Schimpf-Tiraden stellen muss. Natürlich hatten The Fall Kollegen, mit denen sie auf Tour waren, die ihnen ein bisschen ähnlicher waren, aber auch auf dieser Leistungsschau hier kann ich nicht sagen, dass The Fall klingen wie..... Da wäre zum Beispiel Rockabilly bei „The Container Drivers“, der dadurch, dass Smith seinen Spott über dumme Truck Driver ergießt, jede Unschuld verliert. Die absurde Geschichte über den Hundezüchter, der seine Tiere ein bisschen ZU lieb hat, wird musikalisch von irgend etwas zwischen Punk, Noise und Kraut unterlegt – und wieder formt die Story den Song. Bei längeren Tracks wie „The NWRA“ oder „C'n'C-S Mithering“ wird Kraut-Rock benutzt und in The Fall-Musik verwandelt, und mit „A New Face in Hell“ machen The Fall fast so etwas wie netten Pop – bei dem Smith eine paranoide Detektiv-Geschichte hervor-kreischt. The Fall wurden besser und besser, ihr drittes Album Grotesque... ist ein Kaleidoskop von Möglichkeiten, die allesamt in den kommenden Jahren eingelöst werden. Ich habe es anderswo schon gesagt: Die ersten acht (ja, 8!) Studio-Alben von The Fall sind unersetzliches Kulturgut. Und unter den restlichen 30 sind auch noch etliche Perlen.


Magazine


The Correct Use Of Soap

(Virgin, 1980)

Magazine


Play.

(Virgin, 1980)

Dass Magazine – die formidable Band um den Ex-Buzzcock Howard Devoto – so erfolglos war, dass ihr Gitarrist John McGeoch sie noch Mitte '80 verließ, zeigt, dass man mit Post-Punk seinerzeit offenbar doch noch nicht wirklich reich werden konnte. Es gibt zwar in den Jahren um '80 etliche Alben, die zu Klassikern des Post-Punk wurden und heute den entsprechenden Stellenwert haben – aber reich wurden die Musiker in ihren Zwanzigern damals erst einmal nicht. Dabei hätten Magazine das wahrlich verdient. Alle drei Studio-Alben von Magazine sind nah an der Perfektion. In der Trilogie von Real Life ('78) über Secondhand Daylight ('79) bis zum '80er The Correct Use of Soap findet man Alles, was Post-Punk spannend und visionär macht. Magazine waren experimentier-freudig, sie hatten großartige Musiker in ihren Reihen, sie hatten Songs, die Pop und Anspruch verbinden, sie hatten einen eigenen Stil – was nur fehlte, war der ganz große Erfolg, den Howard Devoto sich gewünscht hatte. Für ihr drittes Album wandten Magazine sich – dem Trend der Stunde folgend – noch weiter dem Sound der Synthesizer zu, sie baten Factory/Joy Division Produzenten Martin Hannett um seine Hilfe, kamen mit dem Album tatsächlich auch in die Top 30 im UK – aber das reichte Devoto nicht und McGeoch fühlte sich im Umfeld all der Synthies unerwünscht – und so begann der Anfang vom Ende von Magazine. Bedauerlich, wenn man Song-Perlen wie „Model Worker“, „Philadelphia“ oder „Song from Under the Floorboards“ hört. Devoto ist ein fast so zynischer Texter wie Mark E. Smith ("I know the meaning of life, and it hasn't helped me a bit"), er hat aber nicht dessen Art zu Schimpfen, klingt eher kühl und roboter-haft – was zur Musik passt. Seine Songs sind progressiver Punk/Power-Pop, gefiltert durch Roxy Music, und Barry Adamson's Bass und John Doyle's Drums sind so rhythmisch, dass es mir passend erscheint, dass sie hier sogar Sly & The Family Stone's „Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)“ covern. Immerhin war es mit diesem Album noch nicht vorbei. Magazine gingen auf Tour und nahmen in Melbourne am 6. September das Live-Album Play. auf. Für - den wie gesagt zu Siouxie and the Banshees gewechselten - McGeoch nahmen sie den Ex-Ultravox Gitarristen Robin Simon mit, der McGeoch hervorragend ersetzte. Dass genug Songs da waren, um ein spannendes Konzert zu liefern, ist mit drei so gelungenen Studio-Alben im Rücken wohl logisch, die Reduziertheit und Energie des Punk, gepaart mit intellektueller Kühle, einem glasklaren Sound und einer gehörigen Portion Dringlichkeit machen Play. zu mehr, als einer bloßen Best-Of Kopplung mit Applaus. Play. wird zu Recht als eines der besten Live-Alben seiner Zeit bezeichnet, auch Dave Formula's Keyboards/Synthsizer sind organisch in die alten Songs eingebaut. Ich bin davon überzeugt, dass Magazine auch in den kommenden Jahren hätten Erfolg haben können. Sie hatten nur nicht die Geduld von Zeitgenossen wie Simple Minds oder U2. ...und das ist aber auch ein bisschen egal. Es gibt mindestens drei großartige Post-Punk Alben, die ich jedem empfehle, der sie noch nicht kennt.


XTC


Black Sea

(Virgin, 1980)

Ich weiss nicht genau, ab wann XTC keine bervöse New Wave Band mehr waren, sondern eine Band in einer so eigenen Kategorie, dass es mir schwer fällt, einen beschreibenden Begriff dafür zu finden. Post-Punk? Na gut, die zeitliche Einordnung passt, aber allerspätestens 1979 mit dem Album Drums and Wires verließ XTC jede Punk-Anwandlung. Und mit dem Nachfolger Black Sea wandten Andy Partridge und sein Kollege Colin Moulding sich in Richtung Kunst-Lied, das höchstens in seiner Nervosität an Zeitgenossen wie Magazine, in den psychedelischen Anmutungen vielleicht an Teardrop Explodes denken ließ. Aber wenn ich alle Schubladen vergesse, ist Black Sea einfach nur ein abwechslungsreiches Album voller dermaßen ausgefeilter Songs, dass es anstrengend ist, in dieses Kaleidoskop zu blicken. Acht Songs vom hyper-aktiven Genie Partridge, drei vom zurückhaltenden Genie Moulding – kein einziger Ausfall. Direkt ins Ohr geht der Opener „Respectable Street“ - Kinks und Beatles in die Achtziger geholt, „Mouldings' „Generals and Majors“ wiederum ist ein regelrechter Ohrwurm in ober-schlau „Living Through Another Cuba“ - eigentlich viel zu komplex um im Ohr zu bleiben - schafft es aber trotzdem. „Burning With Optimism's Flames“, mit diesen seltsam versch(r)obenen Rhythmen und wieder einer bezaubernden Melodie, und als Abschluss des Albums mit „Travels in Nihilon“ tatsächlich so etwas wie ein absurd-düsteres Prog/New Wave Epos... Und das in einer Zeit, in der die „New Wave“ gerade erst losrollt. Ganz lustig, dass auch hier der Produzent Steve Lillywhite ist, der bei den Psychedelic Furs auf deren Debüt (siehe hier unten) weit weniger detailliert zur Sache geht – weil er es nicht muss, würde ich sagen.


The Psychedelic Furs


s/t

(CBS, 1980)

Was die Sex Pistols '76 und '77 alles ausgelöst haben (sollen) … Die Butler-Brüder Simon, Tim und Richard waren bei einem der ersten Konzerte der damals noch ungesignten Pistols gemeinsam mit The Clash und den gerade entstandenen Siouxie and the Banshees gewesen – und beschlossen nach diesem Erlebnis, ebenfalls Musik zu machen. Vorbilder kamen aus dem Elternhaus: Dylan, Woody Guthrie, Edith Piaf, dazu lernte Richard in der Kunstschule die Velvets, Bowie und Roxy Music kennen, und die Tatsache, dass anscheinend jeder Musik mit Haltung machen konnte, war so befreiend, dass sich schnell eine Band für Konzerte zusammenfand. Lärm, Energie, Begeisterung, bald eine Single, die John Peel gefiel – und der Plattenvertrag war da. Das Debüt der so bezeichnend „Nach-Punk“ benannten Band ist ein Konglomerat der Einflüsse der genanntenVorbilder und zugleich wieder ein Zeichen dafür, WIE sehr Punk und das, was sich daraus entwickelte die populäre Musik erneuert hat. Von der Band selber wurde die Musik als „Beautiful Chaos“ bezeichnet, in der Tat hört man, dass Sänger Richard Butler Dylan genau so wie Johnny Rotten liebte – aber seine raue Stimme hat einen so eigenen Charakter, dass man sich wünschte, sie würde nicht so oft im Mix verschwinden. Das Saxophon von Duncan Kilburn mag auch aus Verehrung für Roxy Music dabei sein, aber es trötet beileibe nicht so artifiziell wie bei den Vorbildern. The Psychedelic Furs versinkt manchmal tatsächlich in einem chaotischen Brei, der Opener „India“ mag da ein fast ZU gutes Beispiel sein – es beginnt mit leisen, zurückhaltenden Gitarren-Chords, die den Hörer veranlassen, den Lautstärkeregler hoch zu drehen, ehe Bass, Drums und Gesang in harter Post-Punk-Manier loslegen. Mit „Sister Europe“ hatten die Furs einen atmosphärischen Hit, der Richard Butler's Stimme mal so richtig strahlen lässt. Dem Punk-Ethos entsprechend wurden die meisten Songs in einem Take eingesungen, der junge Steve Lillywhite (der bald als Produzent von U2 berühmt werden würde) hatte Butler hier geraten, mal nicht so los zu brüllen wie auf den anderen Tracks des Albums. Das rasante „Pulse“ wiederum zeigt die Punk-Wurzeln der Band – aber sie waren schon auf diesem Debüt mehr als reine Epigonen. Ich stelle beim Schreiben dieses Artikels immer wieder fest, dass diese junge Post-Punk Generation ihre Musik-nach-Punk nicht nur in Opposition zu etablierten Bands der frühen Siebziger gemacht hat, sondern mitunter auch bereiwillig bestimmte Stilmittel aus prgressivem Rock, Psychedelic oder Kraut-Rock übernahm – aber dass das jetzt En Vogue war, sieht man ja auch an Bands wie P.I.L.... Nur überkommene (Rock-)Schemata und die Zur-Schau-Stellung von Virtuosität wurden bewusst vermieden. Ein Rezept zur Verjüngung, das bis heute funktioniert.













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