Sonntag, 28. August 2016

2000 - Der Rinderwahn und Kohl's Abschied - Radiohead bis Gas

Mit George W. Bush wird wieder mal ein ausgemachter Dummkopf zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, und Ex-KGB Macho Wladimir Putin löst den Säufer Boris Jelzin als Präsident Russlands ab. Der Tschetschenienkrieg in der ehemaligen UdSSR geht weiter. Es wird ein Schnelltest für die Hirnerkrankung BSE entwickelt, und die Panik, dass viele Menschen Rinderwahn bekommen verläuft im Sande. Trotzdem muss Kohl aufhören - Ist mit ihm doch was passiert...? Der Jahrtausendwechsel hat nicht die befürchteten Auswirkungen auf die weltweiten Computersysteme, und auch in anderen Belangen ist die Apokalypse anscheinend nicht von westlicher Datierung abhängig. Im Islam etwa schreiben wir schließlich nur das Jahr 1420. In Mosambik kommt es zu großen Übeschwemmmungen, in den Alpen kommen bei einer Brandkatastrophe in der Gletscherbahn von Kaprun 155 Menschen ums Leben. In Paris stürzt eine Concorde ab und der Flugbetrieb für das legendäre Flugzeug wird daraufhin eingestellt. Im Jahr 2000 stirbt Ian Dury, Radiohead machen die Platte des Jahrzehnts (...meinen viele Menschen auch heute noch), im Hip Hop und Neo-Soul gibt es einige tolle Platten (u.a. D'Angelo und OutKast), es erscheinen wieder etliche wegweisende Alben mit elektronischer Musik, aber auch alte Helden wie Neil Young und Steely Dan sind (wieder) aktiv. Andere nicht ganz so alte Bekannte wie The Cure oder die Go-Betweens machen sehr schöne neue Alben. Musikalisch ist 2000 dennoch kein "Jahr der Revolution", wie man es bei einem so prägnanten Datum erhofft haben mag. Es gibt zwar – wie in jedem Jahr – viel gute Musik, und insbesondere im Bereich abseits der Charts bewegt es sich, aber das ganze spielt sich außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung (= ausserhalb des Format- Radios) statt.... wie immer. (Siehe Godspeed: You Black... oder Avey Tare & Panda Bear oder Microphnes) Der Sampler OHM: The Early Gurus Of Electronic Music 1948-1980 ist toll und irgendwie bezeichnend, weil er Musik enthält, die alt ist und zugleich in die Zukunft weist. Warten alle auf 2001? Währenddessen findet in den Niederungen des schlechten Geschmacks Carlos Santana seinen Platz – und zerstört damit seine Reputation. Da ist mir sogar Disney-Star Britney Spears mit ihrem Hit „Ooops ! I Did It Again“ lieber – und schlimmer noch finde ich (wie schon seit Jahren) Bon Jovi, oder den peinlichen Möchtegern Sinatra Robbie Williams, oder die Arschbombe Jennifer Lopez, deren größter Verdienst ihr Hintern ist, oder oder oder....

Radiohead

Kid A

(EMI, 2000)

Was für eine seltsame Hitplatte. Radiohead hatten sich nach dem Erfolg des musikalisch schon sehr innovativen, aber im Vergleich noch recht „poppigen“ 97er Albums OK Computer wohl entschlossen, noch weiter von allem abzurücken, was mit unseren normalen Hörgewohnheiten zu tun hatte. Das erklärte Ziel war mehr Intensität, mehr Elektronik, mehr Verfremdung und auf keinen Fall einen Wiederholung der Erfolgsplatte. Und diese Verweigerungshaltung führt dazu, daß beim ersten Hören von Kid A die Experimente manchmal die Songs zu ersticken scheinen. Der Versuch Avantgarde zu sein, klingt deutlich heraus und die Band bekam bald der Vorwurf der „gewollten“ Komplexität zu hören. Aber nach einer kurzen Eingewöhnung konnten man die Pop Sensibilität Radiohead's nicht mehr verleugnen. Da sind unter all den elektronischen Schichten dennoch wieder die für Radiohead so typischen und zugleich seltsam unerhörten Melodien in fantastischen Songs verborgen. Auf Kid A dauert es eben länger, sie zu finden, aber das Album erhält gerade dadurch seinen Reiz - und seine Langlebigkeit. Keine Note ist zuviel und kein Experiment sinnlos, Kid A läßt den Hörer vergessen, dass Menschen diese glitzernden Soundgebirge erschaffen haben. Songs wie „National Anthem, „How to Dissapear Completely“ oder „Motion Picture Soundtrack“ sind sublim, abstrakt, und gleichzeitig Pop. Das ist die größte Leistung von Kid A: Mit der Zeit verschwinden die experimentellen Sounds hinter der puren Schönheit der Musik. Ein würdiger Nachfolger - vielleicht sogar eine Steigerung - zum Vorgänger OK Computer..

Primal Scream

Xtrmntr

(Creation, 2000)

In den Neunzigern hatten Primal Scream sich ihren Ruf als Hedonisten erarbeitet, aber nun, da alle bereit waren „to Party like it's 1999“, schienen die schottischen Tech-Rocker auf einmal aufzuwachen und sich auf ein graues Jahrzehnt vorzubereiten. - Und das noch bevor 9/11 und die Blair / Bush Kriegshetze die bunten Bilder wegbombte -. Veröffentlicht im Januar 2000, traf XTRMNTR die Briten wie eine von diesen roten Pillen in The Matrix und ließ alle nach der durchzechten Neujahrsnacht in der Realität aufwachen. Da wurde die von Industrie und Militär geschaffene Illusion von Demokratie angeklagt, deren eigentliches Ziel es sei „.to exterminate the underclass“. In ihrem Aufruf zum Kampf gegen das System fuhren Primal Scream schwere Geschütze auf: Elektro Funk bei „Kill All Hippies“, Fuzz-Punk bei „Accelerator“, Militante House-workouts in „Swastika Eyes“, und auch mal elektronisch untermalten Acid Jazz bei „Blood Money“ - dass dieses Stilmischmasch funktionieren würde, war bei dieser Band klar. Natürlich ließen ihre bisherigen apolitischen Alben wie das '91er Rave-Pamphlet Screamadelica oder der 1994er Rolling Stones Rip Off Give Up But Don't Give Out vermuten, dass die Agitation hier auch nur Pose war, aber in dieser Art war es ein willkommener Weckruf und sie würden ja auch noch auf erschreckende Weise Recht behalten.

The Dandy Warhols

Thirteen Tales From Urban Bohemia

(Capitol, 2000)

Man kann, nein man muss dieses Album sicher als eines der Meisterwerke des Neo-Psychedelic-Rock bezeichnen. Nach dem erstaunlichen Debüt und dem ebenso guten Come Down erhob Thirteen Tales... den Art-Pop der Dandys auf seinen kreativen Zenith. Wer sonst traute es sich zu, Kunst-Rock wie „Godless“ übergehen zu lassen in den Raga-Rock von „Mohammed“. Oder wer paarte auf einem Album Velvet Underground- Avant-Pop („Nietzsche“) mit Country Gospel wie es mit „Country Leaver“ geschah ? Die schiere Klasse des Songwritings hält das gesamte Album zusammen, erstaunlich bei einer Band die sich alles, was ihr gefällt, vollkommen skrupellos aneignet und so eigentlich Gefahr läuft, beliebig zu klingen. Den Dandys gelang jedoch immer wieder das Kunststück, eigenständig zu klingen und zugleich eklektizistisch zu sein, auch wenn der Single Hit „Bohemian Like You“ die Stones nicht nur zitiert, sondern als astreiner Rip-Off durchgeht. Aber Songs wie die delikate Liebeskummerballade „Sleep“ oder die großartigen Pop-Songs „Solid“ und „Get Off“ zeigen eine Band voller Selbstgewissheit auf dem Weg zu noch größeren Taten. Dass sie dann irgendwann immer mehr aus der Spur - und damit in Vergessenheit - gerieten, war 2000 noch nicht abzusehen.

PJ Harvey

Stories From The City, Stories From The Sea

(Island, 2000)

Es hätte PJ Harveys größter Misserfolg werden können. Sie hatte ihre Karriere doch geradezu darauf aufgebaut, die Grenzen der Dramatik auszuloten, und da kam sie auf einmal mit einem einfachen Rock-Album daher. Ein Glamour Shot auf dem Cover ? Eine geradezu „polierte“ Produktion ? Songs über Liebe ? Aber wie es sich herausstellen sollte, war eine glückliche PJ genauso fesselnd wie eine getriebene PJ, und manchmal sogar genau so beängstigend (Das lustvolle „Big Exit"oder die unverhüllte Geilheit in "This Is Love"). Und die Geschichte gab dem Album eine weiter unheilvolle Dimension. Nach 9/11 sollten Harvey's Reminiszenzen an Romantik auf den Straßen von Manhattan und Brooklyn einen unbeabsichtigt bedrohlichen Unterton bekommen: Es ist unmöglich „Can you hear them?/ The helicopters?/ We're in New York,"auf „This Mess We're In" mit Duett Partner Thom Yorke heute auf dieselbe Art zu hören wie vor dem ominösen Attentat auf die Twin Towers. Nach Stories..., kehret PJ Harvey zurück zu unverhüllter „Weirdness“; die Alben hiernach wurden wieder roher und unmittelbarer, sie war also doch nicht auf dem Weg in den Mainstream. Gottseidank.

Yo La Tengo

And Then Nothing Turned Itself Inside-Out

(Matador, 2000)

Auch Yo La Tengo werden älter und ihr von Distortion durchzogener Sound mag ruhiger geworden sein, aber And Then Nothing Turned Itself Inside-Out enthält einige der emotionalsten und besten Songs, die sie je gamacht haben. Ihr enzyklopädisches Wissen über Popmusik mag ihnen helfen, so sicher zu klingen, genauso wie ihr seit langen Jahren stabiles Line-Up. Ihr Sound ist immer irgendwie die Quintessenz aus Jahrzehnten Indie-Rock, genauso beeinflusst von The Velvet Underground wie von den Beach Boys, Sonic Youth etc.... Hier erinnert der Songtitel „Last Days of Disco“ an einen Whit Stillman Film, der Blick zurück auf die ersten Momente einer soeben beendete Beziehung wird perfekt eingefangen wenn Ira Kaplan sich erinnert „The song said 'let's be happy/ I was happy/ It never made me happy before." Jeder, der irgendeinen Song mit einer Beziehung verbindet, kennt diese Gefühle. Our Way to Fall“ beschreibt ebenfalls Momente einer Beziehung im halb gesprochenen „It seems like just a little thing/ You don't want to listen and I can't shut up“. Aber es geht nicht nur um Beziehungen, Yo La Tengo können auch immer noch stürmischen Power Pop („Cherry Chapstick“). Und zuletzt führen sie uns mit der 18-minütigen Meditation „Night Falls on Hoboken“. nach Hause (...die vermutlich vom Covermotiv - einer Fotoarbeit von Gregory Crewdson - beeinflusst ist). Von diesen 18 Minuten ist nicht eine Sekunde zu viel

Godspeed You Back Emperor !

Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas To Heaven

(Kranky, 2000)

Talk Talk haben in den 90ern die Saat ausgebracht – mit Spirit of Eden und Laughing Stock, zwei der besten Alben aller Zeiten, und in den späten 90ern hatte sich aus ihrem Ansatz eine ganze Musikrichtung entwickelt, an deren Eckpunkten zum Einen Sigur Ros's Agaetis byrjun sowie Lift Yr. Skinny Fists Like Antennas To Heaven stehen Godspeed You! Black Emperor (Das Ausrufezeichen steht mal hier mal dort, habe ich festgestellt, und auf dem Cover/ Inlay dieses Albums bekommt man den Namen der Band nirgendwo zu Gesicht...) hatten mit ihrem vorherigen Album F♯A♯∞ (1995-1997) schon sehr tief geschürft – dunklen Post-Rock gemacht, der den Swans weit mehr verpflichtet ist, als Talk Talk, aber mit LYSFLATH lehrten sie nun alle Anderen auf diesem Feld, was Dynamik heißt. Die „Songs“ (besser „Movements“) türmen sich auf, steigen und steigen um dann nicht banal mit einem Klimax zu enden, sondern eher mit etwas, das man nur Erlösung nennen kann. Die Spannung erzeugen sie mit Sprach-Samples, Radio-Ausschnitten, Prophezeiungen, einer Atmosphäre, die dystopischer nicht sein könnte, aber in ihrer Düsternis zugleich seltsam tröstlich ist. Es ist eine apokalyptische Vision unserer zusammenbrechenden kapitalistischen Gesellschaft, die sie erschaffen, ohne dabei „Lyrics“ zu verwenden, nur mit Hilfe der Sounds, die die neun Musiker erzeugen – Drums, Bass, Gitarren und Streicher und einer Katatonie aus Geräuschen. Das Album ist allen zu Unrecht Gefangenen auf dieser Welt gewidmet, eine Widmung, so gerecht wie pathetisch und naiv. Die vier Movements zu „beschreiben“ wäre zu komplex, würde Seiten verschlingen, jeder sollte das Album mindestens einmal durchhören, da es am besten (und am erschöpfendsten) in seiner Gesamtheit wirkt. Zur Zeit des Erscheinens dieses Albums wurde ihre Musik als eine Art moderner Progressiv-Rock bezeichnet, was falsch ist: Hier gibt es trotz über 80 Minuten Musik keinen unnötigen, weil prätentiösen, Ton. Einzig wem bei zu viel Sturm und Drang die Luft wegbleibt, dem könnte das Alles zu viel werden.

Aimee Mann

Bachelor No. 2 (Or the Last Remains of the Dodo)

(Super Ego, 2000)

Nach zwei hervorragenden, aber relativ erfolglosen Solo-Alben hatte Ex-Til Tuesday Sängerin und Songwriterin Aimee Mann ihren Plattenvertrag verloren, ihr eigenes Label Super-Ego gestartet und dort mit ihrem dritten Solo-Album Bachelor No. 2 gegen alle Widerstände einen überraschenden Erfolg, Was natürlich auch daran lag, dass einige der hier versammelten Songs auf dem „Magnolia“ Soundtrack zu finden sind. Aber Hauptgrund für den Erfolg war die simple Tatsache, dass die Songs wirklich gut waren und perfekt in eine Phase passte, in der Musikerinnen wie Sheryl Crow und Alanis Morissette schwächelten und Fiona Apple verstummt schien. Und Aimee Mann wurde im Gegensatz zu den Befindlichkeits - Poetinnen nicht zu Unrecht immer wieder mit Elvis Costello verglichen (mit dem sie auf einem Song zusammenarbeitet), denn mit ihm teilte sie die Fähigkeit neben melodischer Finesse auch textliche Schärfe in ihre Songs einzubauen. Songs wie „Deathly“, „How Am I Different“ und „Ghost World“ sind wunderbar produzierter, perfekter Pop, der nicht revolutionär ist oder sein will, der aber zeitlos ist. Und wenn man dann noch Aimee Mann's Stimme hört, will man sogar irgendwie gerne mit ihr befreundet sein.

Giant Sand

Chore Of Enchantment

(Thrill Jockey, 2000)

Aus irgendeinem Grund ist Chore of Enchantment zu einem der populärsten Album in der ellenlangen Discografie von Giant Sand geworden – und das, obwohl es eines ihrer experimentellsten ist. Das kam vielleicht daher, dass sie beim feinen – und meist auch der experimentellen Musik verpflichteten - Label Thrill Jockey aus Chicago gelandet waren, was Howe Gelb dazu gebracht haben mag, das Studio nicht nur als notwendiges Übel zu betrachten, in dem man in so kurzer Zeit wie möglich aufnimmt, sondern seinen völlig eigenständigen „Wüsten-Rock“-Hybrid mit etwas mehr „auszuformulieren“ und der Musik einen warmen, einladenden Sound zu verpassen. So gibt es auf Chore of Enchantment Mellotron, Organ, Slide- und Steel Gitarre, Background-Sängerinnen zusammen mit Gelb's trockenem Lou Reed-Gesang, da ist sein ausgefranstes Songwriting, das es oft so schwer macht, den Zugang zu seiner Musik zu finden. Da sind wieder und wieder die Verweise auf die geliebte Wüste – beim sehr schönen und zugänglichen „Shiver“ etwa – das seinem kurz zuvor verstorbenen Gitarristen Rainer Ptacek gewidmet ist, da ist das fatalistische „No Reply“ gefolgt vom Chaos von „Satellite“. Gelb ist ein Meister der schönen Melancholie, und auf Chore of Enchantment hatte er definitiv eine Sternstunde. Kein Album, das „überwältigt“, dafür eines, das lange nachglüht.

D'Angelo

Voodoo

(EMI, 2000)

Fünf Jahre Zeit ließ sich Neo-Soul Innovator D'Angelo nach seinem prächtigen Debut Brown Sugar. Eigentlich eine Zeitspanne, die im kurzlebigen Musik-Business viel zu lange ist. Aber zuerst war er der Ansicht dass er Zeit brauche, dann gab es Probleme mit dem Management und dann kam dazu wohl der Druck, das Niveau des Debut's zumindest nicht zu unterschreiten. So liest sich das Personal auf Voodoo dann auch wie ein Who's Who des anspruchs-vollen HipHop/ R&B: DJ Premiere, Questlove, J Dilla, Method Man und Redman machen mit, aber bestimmend ist trotz aller Prominenz D'Angelo's Stimme und seine Songs. Alles klingt locker, manches hat regelrechten Session Charakter (was Übelwollende dem Album noch am Ehesten vorwerfen könnten). Roy Hargrove hilft an der Trompete aus und Charlie Hunter zupft hier und da an den Saiten, die Musik ist so reduziert wie eine Corbusier-Liege, aber D'Angelos Stimme gibt Allem genug Tiefe, und seine Absicht, Vorbildern wie Marvin Gaye oder Isaac Hayes Tribut zu zollen, gelang hier vortrefflich. Dies war das erste wirklich konsequente Album, bei dem das Beste aus 70ies Soul, HipHop und R&B zu einer schimmernden Legierung verschmolz. Leider erschien nach Voodoo zunächst einmal fast 14 Jahre lang kein neues Album mehr, Voodoo ist und bleibt ein Meilenstein des Neo-Soul, es steht allein neben seinem weiblichen Pendant Mama's Gun von Erykah Badu aus dem gleichen Jahr. 

Gas

Pop

(Mille Plateaux, 2000)

Wenn der Kölner Wolfgang Voigt mit den drei Vorgängeralben Gas, Zauberberg und Königsforst die Vorarbeit geleistet hat, dann ist Pop wohl der End - und Höhepunkt dieses Projektes – einer programmatischen Art Musik zu machen. Pop ist ein Ambient Album, aufgebaut scheinbar aus tausenden von Micro-Samples aus Natur und klassischer Musik. Beide Quellen sind hörbar, aber beide lassen etwas ganz Eigenes und Neues entstehen. Fließendes Wasser, Vogelgesang, der Klang von Violinen und Celli, all das scheint in mikroskopische Schnipsel zerteilt – und dann zu transzendentalen Rauschen wieder zusammengesetzt. Es entstehen Loops, die eine angenehme Wärme ausstrahlen, denen man ein ewiges Andauern wünscht. Bei den vorherigen Alben hatte Voigt noch einen Bass-Puls unter den nebligen Klang gelegt, nun bleibt der Puls meist aus, übrig bleibt eine Textur aus Klang, die unterlegt ist mit diesen seltsam organisch wirkenden elektronischen Störgeräuschen – Geräuschen, die der Natur nur zu entspringen scheinen. Die Loops deuten immer wieder nachfolgende Veränderungen an, die dann aber doch nicht kommen, die den Hörer in einer ständigen Erwartungshaltung verharren lassen – was unangenehmer klingt, als es tatsächlich ist. William Basinski's Disintegration Loops dokumentierten auf ähnlich spannende Weise den Zerfall von Klang, auf Pop bewegen sich die Loops im Kreis, ohne je langweilig zu werden. Beiden Ansätzen gemein ist die Erzeugung einer unterbewusste Spannung und eine Bildhaftigkeit, die scheinbar halb-erinnerte Szenerien hervorholt, die dann doch wieder verschwinden – die aber ein Wohlgefühl hinterlassen. Meinetwegen kann man diese Art von Musik als „New Age-y“ diskreditieren, aber dann wird man wohl Ambient ab Brian Eno's Music for Airports als uninteressant betrachten. Pop ist schon vom Aufbau her so klug gemacht, dass Langeweile nicht aufkommt: Beim vierten – natürlich titellosen Track taucht die Bass-Drum auf, um die Strukturlosigkeit zu unterbrechen, und um dann im fünften Track völlig zu verschwinden und Platz zu machen für einen wundervoll weichen sonischen Teppich, der sich im sechsten Track in eine schwere, erstmals auch unheimliche Decke verwandelt. Der letzte Track dann schockiert regelrecht mit Drumbeat und zischendem Becken. Pop ist Ambient mit Stil, Geschmack und Charakter. Nach Pop beendete Voigt das Projekt Gas und kümmerte sich erst einmal um den Aufbau seines verdienstreichen Kompakt Labels. Die Alben von Gas wurden irgendwann als 4-CD Box Nah und Fern reissued, wer wirklich guten Ambient hören will, braucht mindestens Pop.












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