Freitag, 2. September 2016

2001 - 9/11 und der Wandel in der Weltpolitik zum Extremismus - The White Stripes bis The Stars of the Lid


Nach einem schmutzigen Wahlkampf wird George Bush Jr. als 43.Präsident der Vereinigten Staaten und Marionette seiner Familie und der Konservativen in den USA vereidigt, in Afghanistan zerstören die Taliban zwei 1500 Jahre alte riesige Buddha-Statuen, dort und im Iran/Irak ist der gesellschaftliche und politische Druck gewaltig – die Zeichen stehen auf Krieg. Am 11.09.2001 rasen zwei von Al-Kaida Terroristen gesteuerte Düsenflugzeuge in New York in die Twin Towers und bringen diese zum Einsturz. Damit gerät das gesamte westliche Wertesystem ins wanken und 9/11 wird politisch zum bestimmenden Faktor für die kommenden Jahre. Zunächst erklären die USA den Krieg gegen den Terror und rechtfertigen damit große Einschnitte in den Freiheitsrechten aller - auch der eigenen – Bürger. Zugleich werden sie in Afghanistan, am Horn von Afrika und auf den Philippinen militärisch und geheimdienstlich tätig. Die westliche Welt ist erschüttert und Terror und Angst breiten sich weltweit aus und der Konflikt zwischen der muslimischen und der westlichen Welt nimmt an Schärfe zu.. Die (Pop)-musikalische Welt reagiert noch nicht auf 9/11, dazu ist es noch zu früh. Soul-Pop Sängerin Aaliyah stirbt im Jahr 2001, ebenso wie John Fahey, John Lee Hooker und George Harrison, die Strokes und die White Stripes setzen ein Garage-Rock Revival in Gang („The“- Bands ist das Wort der Stunde), die Aufsplitterung in viele mikroskopisch kleine Nischen nimmt Fahrt auf und es gilt was auch 2000 galt: Es gibt eine Vielzahl guter Alben, ob Elektronik, HipHop, Americana oder Metal, man kann in all diesen Genres einen Favoriten finden, bemerkenswert sind auch Alben aus dem als „Freak-Folk“ wiederbelebten Folkbereich und aus den lauteren Ecken des Post-Rock. Björk oder Radiohead - etablieren sich weiter als musikalische Vorreiter, indem sie gute Musik machen, in die Einflüsse aus der elektronischen Musik organisch einfliessen. und immer mehr Musiker scheinen immer weniger Lust zu haben, sich in Kategorien packen zu lassen. Gut so. Die Compilation mit den No 1 Hits der Beatles ist kommerziell immens erfolgreich – gibt es denn nichts Neues, das den Aufwand lohnt ? Na ja, Blink 182's Pop-Punk für Dummköpfe lohnt nicht – ebensowenig wie Crazy Town's weichgespülter Crossover-Pop, Staind's angestaubter ROCK oder der nächste Versuch Robbie Williams' sich das Frank Sinatra-Jackett anzuziehen. Immerhin gibt es gelungenen Po(p) von Kylie Minogue – wenn man denn Radio hören will.



The White Stripes

White Blood Cells


(Sympathy for the Record Industry,2001)



Die White Stripes sind zweifellos die farb-orientierteste Band der Rock Geschichte. Das durch die komplette Karriere durchgezogene Schwarz / Weiss / Rot Konzept ist genauso konsequent wie ihre Anlehnung an die alte Tante Blues. Das Überraschende war, dass sie damit – nach zwei ebenso tollen wie erfolglosen Alben – 2001 auf einmal Erfolg hatten. White Blood Cells klingt alt und neu zugleich, etwa wie ein Exile on Main Street Tour Stop im legendären Punk-Schuppen CBGB's. Es ist minimalistischer Rock mit einem Fuß in Blues Traditionen und dem anderen Fuß im New Yorker Rinnstein. Auf ihrem hiermit dritten Album ließen die Stripes den reinen Blues vom Vorgänger De Stijl hinter sich und der vor Energie und Ehrgeiz sprühende Jack White haute massive Riffs zu emotionalen Lyrics raus, beispielsweise beim Citizen Kane Zitat „The Union Forever“. Und damit gab er der Musik eine Tiefe, die man bei normalen Garagenbands nie finden würde. Songs wie „The Same Boy You've Always Known“ oder das nostalgische „We're Going to Be Friends“ wurden in kürzester Zeit zu Klassikern, und wer dachte, der Rock der Altvorderern wäre nicht mehr zeitgemäß, altmodisch gar, der wurde eines Besserern belehrt. Und auf einmal war da wieder die Hoffnung, dass sich Qualität und Geschmack durchaus auch mal durchsetzen können und dass Rock aus der Garage ein breiteres Publikum finden kann. Eine Hoffnung, die noch befeuert wurde durch.....



The Strokes

Is This It


(Rough Trade, 2001)



...fünf Kinder aus privilegierten Familien, die ohne Skrupel Velvet Underground, Television und Wire ca. Pink Flag kopieren, die von der britischen Presse noch vor dem Album-Release nur aufgrund einer EP mit Lob überschüttet werden, die ihr Debut dann trotz eines wohldotierten Plattenvertrages so klingen lassen, als wäre es in der Garage aufgenommen worden: Es gab und gibt eine Unzahl von Gründen dafür, die Strokes zu hassen – oder eben auch zu lieben. Von der ersten Note von Is This It an jedoch sollte den Geschmacksaposteln klar gewesen sien, dass das Album das Zeug zum Klassiker hatte. Und bei aller Voreingenommenheit, es ist schwer, Fehler zu finden. Die Arrangements sind glasklar und auf's Notwendigste reduziert, Die Songs haben Hooks und Attitüde, The Strokes spucken klassische Proto-Punk Tunes aus als wäre das keine Kunst. Selbst das an Andy Warhol erinnernde Cover hat eine Ästhetik die in ihrer Coolness an die Cover der anderen, früheren NY Größen wie The Ramones, Blondie oder Television erinnert und es war zugleich provozierend genug war, dass es in den USA verboten wurde. Dereinst mag 2001 als das Jahr gelten, in dem The Strokes loslegten, um dann im Nirgendwo zu enden, aber wer die Bedeutung ihres Debuts für die Beginnenden 00er Jahre nicht anerkennt, ist ignorant oder einfach nur neidisch, und wer nicht die Klasse von Songs wie „Last Nite“ oder „New York City Cops“ erkennt, hat etwas eminent Wichtiges in der Rockmusik nicht verstanden.



Radiohead

Amnesiac


(EMI, 2001)


Das unter Anderem in dieser netten Form – als Büchlein + CD - veröffentlichte Album Amnesiac schwamm stilistisch sozusagen noch im Fruchtwasser des epochalen Vorgängers Kid A und ist daher vermutlich – wie ein ungewolltes zweites Kind – das vernachlässigte Album danach. Dabei gab es - bei Radiohead doch eigentlich selbstverständlich - auch auf diesem Album wieder ein paar Veränderungen. Da ist einerseits eine Rückkehr zu den kommerzielleren Seiten von OK Computer, aber auch eine Weiterentwicklung und - Erforschung neuer Soundwelten. Und wo auf Kid A manches mal das Experiment den Song überdecken wollte, traten Radiohead nun einen Schritt zurück. Vor allem insofern, als sie mit den elektronischen Sounds etwas subtiler umgingen. Da gibt es wieder fein arrangierte orchestrale Passagen im „Pyramid Song“ und bei „Morning Bell“. Das ganze Album bekommt eine trügerisch sanfte und ruhige Atmosphäre verpasst, die zwar den Songreigen zusammenhält, die aber auch immer wieder durchbrochen wird „Knives Out“ und „You and Who's Army“ sind noch am nächsten an den Songs von OK Computer und waren auch Live schon vielfach erprobt worden. „Life in a Glasshouse“ über-rascht gar mit einer taumelnden New Orleans Begräbnis Kapelle. Ja, Amne-siac mag „nur“ die Fortsetzung von Kid A sein, aber was heißt schon „nur“ bei der besten Band der Welt ?



System Of A Down

Toxicity


(American, 2001)



Was soll man über das beste Album von System of a Down sagen ? Toxicity hat alle Stärken des Debüts - und noch eine ganze Menge mehr. SOAD sind sowieso die originellste und virtuoseste Band des unseligen Nu-Metal Genres, eines Genres in das sie letztlich auch nicht wirklich passen, das für sie viel zu eng ist. Sie hatten nach ihrem Debüt drei Jahre lang exzessiv getourt, um im Anschluss mit Toxicity alle Vorgaben ihres ersten Albums zu überbieten. Sie wurden einerseits kommerzieller indem sie noch mehr Melodik in ihre halsbrecherischen Songs einfließen ließen, ja sie hatten mit dem wundervollen „Aerials“ sogar so etwas wie eine Ballade dabei, aber selbst die war so abgefahren und geschmackvoll zugleich, dass da nicht der geringste Verdacht an Ausverkauf hätte aufkommen können. Sie waren explizit politisch, mit Hinweisen auf ihre armenische Herkunft und der massiven Anklage gegen den Völkermord an ihren Vorfahren in der Türkei – aber auch das kam nie oberlehrerhaft rüber – der Spaß und das Engagement für die eigene Musik – auch an den eigenen Musiktraditionen, die man in den Harmonien ihrer Songs immer wiederfindet – bleibt immer Hauptbestandteil ihrer Musik. Und selbst die chaotischsten Stücke sind immer noch catchy, klingen wie die perfekte Symbiose aus Zappa und Slayer unter armenischer Flagge, und genau dadurch sind SOAD immer und vor allem Sie selbst geblieben...und „Chop Suey“ ist einer der beste „Metal“ Hits aller Zeiten. Toxicity ist eigenständer Metal der besten Sorte, das Einzige, was man ihnen vorwerfen kann, ist dass sie in allem fast zu perfekt sind.



Unwound

Leaves Turn Inside You


(Matador, 2001)



Das Trio Unwound aus Olympia, Washington hatte in den Jahren zuvor mit intelligentem Hardcore geglänzt, war aber unter all den Grunge Bands ihrer Zeit begraben worden. 1997 beschlossen sie in ihrer Heimatstadt ein eigenes Studio unter dem Namen Magrecone einzurichten und ihr nächstes Album selber zu produzieren. So ein Entschluss kann fatale Folgen haben, wenn die Band sich in den Möglichkeiten, die ein eigenes Studio bietet, verzettelt – und der Gedanke, dass das hier passiert war, lag eingedenk der 3-jährigen Dauer der Aufnahmen nahe. Aber Leaves Turn Inside You ist ein Beweis dafür, dass so was auch gut gehen kann. Ja. Das Album ist mit 74:38 Minuten sehr lang, und ja: Die Band hatte sich verändert, war experimentell geworden. Aber nicht zu ihrem Schaden. Die Beschreibung „If Radiohead had a baby with Sonic Youth and Slint was somewhere in the family tree“ ist so lang und albern wie passend – nicht nur bezüglich der Stilistik, sondern auch qualitativ. Leaves Turn Inside You ist der ultimative Soundtrack für einen kalten, grauen Tag, Frontmann Justin Trosper singt über gefrorene Sommertage, über Dämonen, Geister und eine Zukunft ohne Hoffnung. Aber die musikalische Ausführung ist mitnichten eintönig: Das atmosphärische „One Lick Less“ paart Hardcore mit My Bloody Valentine, “October All Over“ kommt mit Trosper’s leierndem Gesang über einem seltsam schrägen Riff in anderer Tonart daher – ein für Unwound charakteristischer Zug. Zentrales Stück ist das epische 9+ Minuten Monster „Terminus“. Da nutzten sie das eigene Studio und die unbegrenzten Zeitressourcen wirklich aus - mit einer dreiteiligen Suite bestehend aus einem ihrer typischen gitarren-getriebenen Vocal-Parts, einer Godspeed You! Black Emperor- artigen Orchester-Sektion und einem kreiselndem Gitarre/ Keyboard Instrumental. Leaves Turn Inside You ist Unwound’s Äquivalent zu Fugazi’s The Argument. Eine experimentelle Hardcore-Platte mit String Section, Mellotron und Spoken Word Passagen. Die 78 Minuten sind harter Stoff, aber es lohnt sich, das Album anzuhören – mehrmals – Es ist in vieler Hinsicht einzigartig geblieben - und einziger Konkurrent 2001 war ...



Fugazi

The Argument


(Dischord, 2001)



ein Album, das man als Abbey Road des Punkrock bezeichnen sollte. Na ja, sobald eine Band bislang unübliche Melodik in ihre Musik einfließen lässt, werden die Beatles als Vergleich herangezogen. Es war jedenfalls ein langer Weg vom Straight Edge Hardcore von Fugazi's Debüts bis hierhin. Wobei - auf The Argument ist beileibe kein Softcore oder dergleichen zu hören. Wie die meisten großen Alben verweigert sich auch dieses der Schubladisierung, und das, obwohl im selben (Inner Ear-) Studio mit denselben Leuten aufgenommen wurde, wie bei den vorherigen Alben. Fugazi's Sound verbindet nun Schönheit und Noise, sie schaffen es Musik zu machen, die melodisch und zugänglich und zugleich dicht und herausfordernd ist. Ein Kontrast, den man wunderbar bei „Full Disclosure“ präsentiert bekommt – wenn weibliche Backing Vocals den Chorus so wunderbar catchy und fast fröhlich klingen lassen, und dann der Rest des Songs in kreischendem, atonalen Gitarrenlärm versinkt. Bei „Cashout“ erinnert man sich noch an die alten Fugazi, die zwar auch schon immer ihren eigene Identität hatten, die aber manches Experiment, das hier vorkommt, noch nicht gewagt hätten. So spielt nun meist der zweite Drummer/ Percussionist Jerry Busher mit, so weden fast alle Songs mit Sounds von Piano, Cello, sogar akustischer Gitarre ergänzt. Das brilliante „Strangelight“ wird mit Piano und Cello ausgestattet, die am Ende des Songs ein Riff solange wiederholen, bis es zu einer abstrakten Form zu mutieren scheint – was noch ? Ian MacKaye's raues Geschrei wird auf diesem Album tatsächlich zu Gesang, es gibt bei jedem Song eine Kombination aus Experiment und regelrechtem Pop, The Argument ist der Schritt einer reifen Band heraus aus ihrem sicheren Bereich in neues Territorium – und die Tatsache, dass sie dabei weder an Glaubwürdigkeit noch an Kraft einbüßten, spricht für sie.



Microphones

The Glow, Pt. 2


(K, 2001)



1998 Haben Neutral Milk Hotel mit ihrem In the Aeroplane over the Sea schon einmal so etwas geschafft: Ein Album, das LoFi sein müsste, dafür aber viel zu viele Ideen und Soundschichten aufbietet, eines, das ohne Hype zum Meisterwerk wurde, eines, das sich ein Eigenbrötler ausdenkt, der anscheinend nur seine eigene Vision verfolgt, ohne sich darum zu kümmern, ob ihm jemand folgen will. The Glow, Pt 2 hört sich auch an als wäre es völlig aus Zeit und Raum gefallen, es ist ein Album, das irgendwann entstehen musste. The Microphones waren Phil Elvrum, ein Musiker aus Olympia, Washington (... wo auch Unwound herkommen...), der sich in den Jahren zuvor in der Indie Szene seiner Stadt auch als Produzent einen Namen gemacht hatte + wechselnde Begleiter. Unter diesem Namen hatte er schon zwei feine LoFi Alben gemacht, aber für The Glow , Pt. 2 packte er all seine Fähigkeiten und Ideen auf ein ca 70-minütiges Album. Es gibt keine klar voneinander getrennten Songs, die übliche Verse / Chorus Struktur ist nur Option, das Album ist unterlegt vom Rauschen des Tapes, dazu erklingen simple, übereinandergelegte akustische Gitarren, donnernde Drums, Noise - Ausbrüche, Elvrum's sanfte, glaubhafte Stimme, die mal verzerrt, mal gedoppelt wird. Kleine und große Sound-Gadgets wie Steel Drums bei „The Gleam Pt. 2“ zeigen Elvrum's Ideenreichtum, dann lärmt es wie bei einer Black Metal Kapelle über Folk-Melodien und Texte, die vom Werden und Vergehen des Menschen und der Liebe handeln. Da wird im Titelsong mit dem Suizid kokettiert, wenn Elvrum singt: „I faced death / I went in with my arms swinging / But I heard my own breath / I had to face that I'm still living“ oder beim folkigen „I Felt Your Shape“ über die zu große Nähe zum Partner philosophiert, die dann zur Trennung führte. Und all das wird immer wieder ins rechte Verhältnis zur Größe und Schönheit der Natur gesetzt. Es gibt wunderschöne Passagen, dann wieder bricht ein Gewittersturm aus Lärm los, aber alles geht organisch ineinander über, und man muss das Album in einem Stück hören, um dann erschöpft zu Boden zu sinken. Eigentlich ist eine genaue Beschreibung von The Glow, Pt. 2 unmöglich, weil das Album für einfache Worte zu komplex ist. Ganz passen schien mir folgender Vergleich - The Glow Pt 2 ist Henry David Thoreau's Walden übersetzt in Indie-Rock. Oder ich zitiere die Lyrics zu „The Moon“: "And, like the moon, my chest was full because we both knew / We're just floating in space over molten rock / And we felt safe and we discovered that our skin is soft / There's nothing left except certain death / And that was comforting at night out under the moon



Hood

Cold House


(Domino, 2001)




Hood

Home Is Where It Hurts EP


(Domino, 2001)



Der Beginn des 21. Jahrhunderts ist eine Zeit, in der etliche Alben erscheinen, die die Sounds und das Songwriting der sogenannten „alternativen“ Rockmusik mit elektronischen Sounds incl. diversen experimentellen Spielereien, Krautrock-Anwandlungen und der Verweigerung der üblichen Spielregeln der normalen Rockmusik verbinden. Es gibt noch Bands, die eindeutig „Kategorien“ angehören (was nicht schlecht oder falsch ist...), aber es gibt auch Bands wie die Briten Hood, die sich der Kategorisierung verweigern – und das ist genauso willkommen. Insbesondere dann, wenn sie dadurch ihre eigene Nische, ihre eigene Kategorie erschaffen. Dass sie damit nicht den verdienten Mega-Erfolg haben, ändert nichts an der Klasse ihres Materials. Hood hatten schon zu Beginn der Neunziger einen eigenwillig unentschiedenen Stil entwickelt, in dem experimenteller Rock auf seltsam ängstlichen Gesang und ein kluges Spiel mit Laut/Leise Dynamik traf. Im Grunde waren sie schon beim Post-Rock, ehe es den gab. Und auf Cold House integrierten sie nun LoFi Elektronik auf eine Weise in ihren Sound, wie Radiohead es nicht besser machten. In der Tat sind die Vergleiche mit den ungekrönten Königen der klugen britischen Popmusik dieser Zeit nicht unpassend, obwohl Hood melancholischer, winterlicher klingen. Es gibt auch den Vergleiche Bark Psychosis meets cLOUDDEAd (von denen zwei Mitglieder hier mittun, ebenso wie MC Dose-One von den anticon-Rappern Why?), aber alle Vergleiche dienen nur der Erklärung eines Sounds, der doch völlig eigenständig bleibt. Die Stimmung, die Sounds auf Cold House - Alles hier ist so kühl und so veränderlich sich wie eine Atemwolke im Winterwind. Songs wie der Opener „They Removed All Trace That Anything Had Ever Happened Here“ oder „Branches Bare“ haben eine melancholische Ergebenheit, die seltsam tröstlich ist. Im Untergrund fließt meist ein Drone von Celli, Keyboards, weißem Rauschen dahin, der den Songs eine pastorale Ruhe verleiht. Dazu erklingen perkussive Elektromik-Sounds, die von Drummer Stephen Royle kunstvoll unterstützt werden. Minimale Gitarren, Keyboards, ein die Rhythmen locker unterstützender Bass, und die immer etwas ängstliche Stimme von Chris Hood. Man kann es ganz einfach sagen. Es gibt keine Band die so klingt wie Hood, und Cold House ist gemeinsam mit der etwas weniger elektronisch verzierten Home is Where It Hurts EP ihre Sternstunde. Das sah wohl auch ihr Label so, das sie jetzt auch dem US-Markt vorstellten. Mit leider nur moderatem Erfolg. Um Hood kennenzulernen beginne man exakt hier und beachte dabei ihre etlichen EP's . Sehr schön finde ich ihre Corporate Identity mit unscharfen Polaroid-Schnappschüssen als Cover-Motiv, die sich durch ihre komplette Diskografie zieht.



Björk

Vespertine


(One Little Indian, 2001)



Nach dem Film „Dancer in the Dark“ - in dem sie auch die Hauptrolle gespielt hatte - und dem dazugehörigen bezaubernd / verstörenden Soundtrack Selmasongs war Björks viertes Studioalbum Vespertine natürlich von ihrer Arbeit an der Filmmusik beeinflusst – Björk und organisches künstlerisches Wachstum gehören zusammen wie die Kuh und Milch... So gibt es auf Verspertine natürlich die vom Soundtrack bekannten verfremdete Beats, Fußstapfen im Schnee, Clicks, Flüstern und Seufzen und nur noch ab und zu tauchen Reminiszenzen an den Widescreen Sound von Post und Homogenic auf. Die neuen Songs klingen im Vergleich zu den ersten Studioalben fragil - und sind doch überraschend robust, und Björk hatte wieder einmal einen abenteuerlichen Cast an Kollaborateuren zusammengerufen: UK Electronic Whizz Herbert, das kalifornische Avant-Laptop Duo Matmos und die Harfenistin Zeena Parkins waren diesmal dabei. Da vertonte sie nun Poesie von E.E.Cummings' bei „Sun in my Mouth“ gepaart mit Glitchy Electronics und einem Chor im Hintergrund und es entstanden Sounds, die eine seltsam verwaschene Atmosphäre schaffen. Aber auf Vespertine ist es vor und über allem Björks Stimme, die sich perfekt in die Atmosphäre einzupassen vermag - vielleicht weil sie – obwohl ihr Gesang immer noch Gläser zerspringen lassen konnte – sich hier etwas zurücknahm, manchmal fast gebrochen klang. Beste Songs auf dem sehr einheitlichen Album herauszuheben ist schwer. „Cocoon“ und „Undo“ wären neben dem oben genannten „Sun in My Mouth“ zu nennen, aber das Album sollte unbedingt als Ganzes gehört werden. Wieder einmal hatte die Isländerin experimentiert und dabei doch - und so völlig selbstverständlich - ihre eigene Stimme behalten. Das Album klingt teilweise so fremd, dass man es mehrmals hören muss, aber – wie bei Radiohead – irgendwann schimmert die Schönheit durch.



Stars Of The Lid

The Tired Sounds of the Stars Of The Lid


(Kranky, 2001)



Die „Stars of the Lid“ sind die Lichtpunkte, die man bei geschlossenen Augen auf der Innenseite der Augenlider zu erkennen meint.... und Stars of the Lid ist dieses Duo aus Austin, Texas, das schon seit Mitte der Neunziger mit seinem Mix aus Klassikelementen, ambienthaften Drones und elektronischen Sounds eine eigenwillige – und vor Allem eigenständige – Musik erschafft. Spätestens mit ihrem dritten Album The Ballasted Orchestra waren sie wirklich spannend geworden, die beiden Nachfolger Per Aspera Ad Astra und Avec Laudenum hatten schon erstaunliche Melodiebögen geboten, aber es sind ihre „Tired Sounds...“, bei denen die beiden vollends erblühen. „Spannend“ ist bei dieser Musik wohl ein irreführender Ausdruck, man gerät eher in eine Art Trance bei dieser Musik – wichtig bei dieser auf durchgehaltene Klänge basierenden Musik sind die strukturellen Veränderungen und – typisch für Stars of the Lid – die darunter liegenden wunderbar warmen, „fetten“ Soundschichten. Auf dieser Doppel-CD / 3-fach LP hatten sie endlich die Tiefe erreicht, die für diese Musik wichtig ist – und sie begannen nun ihre Tracks mit einer Anzahl von Strings, Bläsern, Pianochords auszubauen. Wohlgemerkt: Die zusätzlichen Elemente werden nicht etwa „aufgesetzt“ – beim „Requiem for Dying Mothers Part 1“ etwa sinken die Strings in den Drone ein, werden logischer Bestandteil des Tracks. Dadurch bleibt die Musik im Grundsatz minimalistisch, erreicht aber eine größere Tiefe. Ihre Musik pulsiert langsam und hüllt den Hörer ein. Genau das soll sie ja auch. Auf der zweiten Disc werden bei „Gasfarming“ ein paar kratzende, statische Klänge eingefügt, die die Musik schneller atmen lässt, ihr eine weitere Struktur gibt – was klug ausgedacht ist, weil schon die kleinste Veränderung der Textur wie eine Erlösung klingt. Und diese Veränderungen finden immer wieder in kleinen Dosen statt. Da basiert „Piano Aquieu“ auf einer kleinen Paino-Melodie, auf Chords, die so lange ausklingen, das man meint jede Vibration verfolgen zu müssen. Den beiden Musiker hinter Stars of the Lid ist dafür jedes Mittel recht – ein Drone, ein einzelnes oder multipel aufgeschichtete Instrumente – die beiden Musiker hatten inzwischen alle Tricks auf Lager, um eine Atmosphäre und Texturen zu erschaffen, die diese Art von Musik – die doch so trügerisch einfach „herzustellen“ scheint – doch sehr einzigartig und charakteristisch klingen zu lassen. The Tired Sounds of the Stars of the Lid ist - bis heute – eines der besten Alben seiner Art. Perfekter Minimal Drone, um dem ganzen einen Namen zu geben.


















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