Samstag, 27. August 2016

1979 - Atomunfall in Harrisburg, Khomeini im Iran und Maggie Thatcher in England - The Clash bis Lee Clayton

Die Roten Khmer werden aus Kambodscha vertrieben, im Iran kommt mit dem inzwischen aus dem französischen Exil entlassenen Ayatollah Khomeini ein religiöser Führer an die Macht, der sofort auf Konfrontationskurs zu den USA und zur dekadenten westlichen Welt geht, im Irak wird zugleich - in Opposition zum Iran - mit Saddam Hussein ein Machtpolitiker Staatschef, der (man glaubt es kaum...) von den USA tatkräftig unterstützt wird. Israel und Ägypten schließen Frieden, in England beginnt die Regierungszeit von Maggie Thatcher – der Eisernen Lady - die Alles privatisiert, was ihr irgendwie „sozial“ erscheint. Der Papst Johannes Paul II läutet in Polen das Ende des Ostblocks ein und Ende '79 beginnt der Krieg zwischen der Sowjetunion und Afghanistan - und weltweit wächst die Angst vor einem Atomkrieg, da der Kalte Krieg die atomare Aufrüstung in West und Ost vorantreibt. In den USA kommt es in dem Atomkraftwerk von Harrisburg zu einem schweren Zwischenfall, bei dem es zu einer partiellen Kernschmelze kommt - die natürlich völlig ohne Auswirkungen blieb – denn Atom-Kraftwerks-Unfälle gibt es ja nicht. Soul Sänger Donny Hathaway stirbt 1979. Es ist das Jahr, in dem man erkennt, dass aus dem kurzlebigen Phänomen Punk ganz deutlich etwas Neues und Visionäres entstanden ist. Bands und Musiker, die die DIY Attitüde des Punk verinnerlicht haben beginnen die Drei-Akkord Ästhetik des Punk zu hinterfragen und wollen mehr machen, als sich nur zu Verweigern. Sie Alle haben die Sex Pistols gehört, aber auch Velvet Underground oder die Stooges. New Wave ist Post-Punk ist eine neue Art von Musik und wird mit Hilfe von inzwischen erschwinglichen Synthesizern technoid. Joy Division, The Fall, Gang of Four sind Bands, deren Ideen weit in die kommenden Jahrzehnte reichen. Aber nicht dass die Musik vor der Punk-Explosion keine Rolle mehr spielen würde. Pink Floyd etwa sind mit ihrem Konzeptalbum The Wall die kommerziell erfolgreichste Band des Jahres - und somit im öffentlichen Bewusstsein der Gipfel der Rockmusik, aber in vielen Bereichen weht ein frischer Wind. Es gibt wunderbaren reduzierten Power-Pop (Nick Lowe, Joe Jackson, Elvis Costello) oder hervorragenden modernen Country (Lee Clayton, Terry Allen) und erstmals Synthie-Pop von Human League oder Gary Numan. Die Entwicklungen in der Pop-Musik scheinen zunächst einmal erfreulicher für das kommende Jahrzehnt, als die politischen Entwicklungen – ABER: Die Charts sind 1979 auch fest im Griff von Disco (Donna Summer, Gloria Gaynor etc) und Michael Jacksons Off the Wall kündigt schon sehr Unangenehmes an, Boney M und Village People missfallen mir auch, besetzen aber das Radio – kurz, innovative und interessante Musik findet im Radio kaum statt.

The Clash

London Calling


(Epic, 1979)

The Clash haben 1977 mit ihrem formidablen Debüt – und vor Allem mit den Singles dazu - unsere Vorstellung von Punk mindestens mitdefiniert - und schon zu dieser Zeit waren sie die musikalisch interessanteste, weil variabelste Band dieser „Szene“. Die nihilistischen Pistols hatten auf ihre Karriere gespuckt, der Begriff „Punk“ war mit ihnen in kürzester Zeit zu einer Mode – und somit zur Farce geworden und die Musik hinter diesem Begriff war in eine Sackgasse geraten - also musste ein Ausweg her: Zwar hatten The Clash in den Jahren zuvor noch über die etablierten Musiker lamentiert, aber London Calling zitiert nicht nur mit dem an Elvis' Debüt angelehnten Cover die Rock-Geschichte. Alle möglichen Einflüsse sind herauszuhören, von Rockabilly über Country (The Clash waren zuvor mit Joe Ely auf Tour gewesen) bis Reggae. Die Wut und mit ihr die Energie des Punk indes sind noch da, und Ex-Mott The Hoople Guy Stevens fing das alles wunderbar in einem seltsam dünnen, skelettierten Sound ein. „Clampdown“ oder „Hateful“ sind noch wütender Punk, „Brand New Cadillac“ dreht sich aber dann schon Richtung Rockabilly, „Jimmy Jazz“ ist tatsächlich so etwas wie Jazz und der famose Titelsong „London Calling“ und „Guns of Brixton“ sind ganz einfach kraftvolle und sehr politische Rockmusik außerhalb aller stilistischen Grenzen. Zu dieser Zeit mögen The Clash noch das Publikum der Punk-Szene gehabt haben, aber etliche Dogmatiker schrien schon laut „Verrat“ - was natürlich höchst kurzsichtig und ganz nebenbei auch noch herzlich reaktionär ist, aber in einem hatten die Dummen recht: London Calling ist ein Album, das bewusst und mit Macht aus der Punk-Doktrin ausbricht.

Public Image Ltd.

Metal Box / Second Edition


(Virgin, 1979)

Metal Box - oder Second Edition, wenn man das Album nicht in dem großartigem Package Design als Filmrollen-Blechdose mit vier 12'' EP's besitzt – ist mit Sicherheit das beste Album, dem John Lydon seine Stimme geliehen hat. Während die Sex Pistols als Pioniere des Punk im Grunde genommen kommerzielle Musik lediglich reduziert und in Richtung Fun House - Stooges verschoben hatten strapazierte die ehemalige Ikone des Punk nach einem extremen Debut (First Issue von '78) nun mit Public Image Ltd. die Hörgewohnheiten auf kompromissloseste Art und war damit - ein bisschen überraschend – auf einmal Speerspitze einer neuen Avantgarde . Manchem mag seinerzeit der Gedanke gekommen sein, ob das hier noch Musik genannt werden konnte. Lydon benutzte sein Organ jetzt als reine Schallquelle, singen wollte er offensichtlich immer noch nicht, die gellenden Gitarrenchords von Keith Levene werden von einem Rhythmusfundament unterstützt, das an Can oder Chic oder an Dub erinnert. Bassist Jah Wobble's Arbeit auf diesem Album als mindestens genauso wichtig zu bezeichnen, wie John Lydons Beitrag, ist fast eine Untertreibung. Seine hypnotischen Basslinien sind weit im Vordergrund, ohne sie wäre das Album einfach nur Post-Punk mit Nicht-Sänger, sein Fundament trägt den Opener „Albatross“ über seine zehn Minuten. Mit „Memories“ kommt sogar Gang of Four-artige Tanzbarkeit dazu, „Swan Lake“ wird von den silbrigen Gitarrensplittern Keith Levene's zerschreddert, „Poptones“ verbindet Can mit Punk und „Careering“ ist eine beängstigend klare politische Aussage zum Nord-Irland Konflikt – die ersten fünf Stücke allein machen das komplette Album unverzichtbar. Man muss sich als Erklärung für diese völlig andere Musik im Vergleich zu den Pistols vor Augen halten, dass Lydon schon immer Prog-Rock wie etwa die Musik von Van der Graaf / Peter Hammill favorisiert hatte - dessen Nadir's Big Chance er als Gast beim Radio DJ John Peel als eines seiner Lieblingsalben bezeichnet hatte. Und Metal Box könnte man als „Prog durch Punk gefiltert“ bezeichnen, Die Musik die Lydon mit Public Image Ltd. machte, dürfte jedenfalls die sein, die er wirklich ernst meinte. Und das ergibt ein Album das Avantgarde, Zynismus und Spaß vereint

Joy Division

Unknown Pleasures


(Factory, 1979)

Auch über Unknown Pleasures ist schon unglaublich viel gesagt worden: Das minimalistische Cover vom Factory Haus-Designer Peter Saville - Radiowellen einer Supernova auf schwarzem Untergrund. Die eiskalte Produktion von Martin Hanett, bei der er mehr Platz für Stille lässt als einen Sound zu erschaffen – ganz nebenbei auch entstanden aus den pekuniären Zwängen, denen ein junges Independent Label zu Beginn der Achtziger unterlag - die trostlose, aber auch kathartische Atmosphäre die Martin Hanett mit der Band und ihrem minimalistischen Sound (und ihren durchaus begrenzten Fähigkeiten...), mit den Texten und dem kalten Bariton von Ian Curtis schuf. Dies alles macht Unknown Pleasures zu einer einzigartigen Platte, deren Konsequenz und gewagten Nicht-Kommerzialität vielleicht noch am ehesten an die von Ian Curtis so verehrten Velvet Underground erinnert, die aber auch mit Punk durch die erwähnte Verweigerung jeder Virtuosität verbunden ist, und die dann nur noch ein weiteres mal mit dem nachfolgenden Album erreicht werden konnte. Man muss sich bewusst machen, dass die Musik zu dieser Zeit nicht den Erfolg versprach, den sie nach Ian Curtis' Tod bekommen sollte. 1980 waren Joy Division eine von vielen Underground - Bands, ihr späterer Status war nicht ansatzweise vorherzusehen, Die Songs auf diesem Album wurden von Wenigen gehört, höchstens ein paar nihilistische Jugendliche und aufmerksame Kritiker und Radiomacher begannen hinzuhören – kein Wunder bei dieser grauen, aber auch ach so schönen Traurigkeit: „Shadowplay“ beschreibt scheppernd den urbanen Verfall im Thatcher-Großbritannien, „She's Lost Control“ vertont mit nervösem Zucken Ian Curtis' Erfahrungen als Epileptiker, „New Dawn Fades“ ist eine Todeshymne, und Songs wie „Disorder“ oder „Interzone“ deuten darauf hin, dass Joy Division gerade wegen der Reduziertheit ihrer Mittel und Fähigkeiten eine fantastische Live Band waren. All das sollte man sich vor Augen halten, wenn man heute (durchaus beachtliche) Epigonen wie Interpol hört

This Heat

s/t


(Piano, 1979)

Experimentelle Rockmusik ist immer schwer anzuhören – denkt man doch. Ich weiss nicht, ob das wirklich so ist, ich höre gerne und viel Musik, und ab einem bestimmten Zeitpunkt wird es doch langweilig immer dieselben Harmonien, die gleichen Sounds zu hören, also sucht man nach etwas Neuem – This Heat waren zu ihrer Zeit revolutionär – und klingen bis heute zeitlos avantgardistisch mit ihrer Mischung aus Post-Punk, Industrial, Kraut, Noise und Improvisationsmusik. Die Tatsache, dass mit Anthony Moore und David Cunningham zwei Musiker aus dem Henry Cow/Slapp Happy Umfeld produzierten – Musiker, die so explizit politisch (links) wie experimentierfreudig sind, deutet die Richtung an. Aber die Virtuosität dieser Bands spielt bei This Heat keine Rolle, dafür wird mit atonaler Elektronik, mit Tape Loops und unterschwelliger Aggression eine beunruhigende Stimmung erzeugt, werden seltsame Geräusche und Vocals, die an Robert Wyatt erinnern, mit langgezogenen Songformaten zu einer Art postindustrieller akustischer Dystopie zusammengefügt. Der Proto Jungle von „24 Track Loop“ ist einer der besten Instrumental-Tracks der Siebziger, „Twilight Furniture“ und „The Fall of Saigon“ sind noch am nächsten am gewohnten Songformat, aber bei Ersterem klingt der Gesang so einsam, wie der letzte Mensch auf Erden und Letzteres nimmt mit metallischen Percussion das gesamte Industrial - Genre vorweg. Ich habe gehört/gelesen, dass This Heat hier durchaus schon bestellte Felder beackerten (Moderne Klassik - Penderecki / Stockhausen etc), aber aus Richtung Punk war das neu. Die Einstürzenden Neubauten mögen später ähnlich geklungen haben, aber This Heat sind einzigartig und haben eine finstere Schönheit in ihrer Musik, die auch zu ihrer Zeit kaum jemand wahrnehmen wollte – die sie, auch wenn sie heute dieses Album veröffentlichten, zu modernster Avantgarde machen würde – und die die Neubauten nie erreichen würden.

Black Uhuru

Showcase


(Virgin, 1979)

Black Uhuru gehören zur zweiten Generation der Reggae Musiker Jamaikas, zu denen mithin, die auf dem Erfolg von Bob Marley oder Burning Spear aufbauten. Das allein mag ja manchem Reggae-Fundamentalisten schon als Zeichen für einen Mangel an Glaubwürdigkeit genügen, aber es ändert nichts an der Klasse dieses Albums: 1979 gibt es Nichts besseres in Dub und Roots Reggae. Showcase ist das zweite Album der Band, nach dem Debüt hatte Sänger Duckie Simpson den Namen der Band behalten, mit Michael Rose einen neuen Sänger und mit Puma Jones eine charismatische Sängerin dazugeholt. Sly Dunbar und Robbie Shakespeare, Bassist und Drummer der Studioband The Revolutionaries waren Rhythmusgespann und Producer in Einem – ein Gespann, das bald zu Recht als das beste des Reggae gelten sollte. Der Titel Showcase ist in diesem Fall Programm. Es gibt sieben Tracks, die allesamt mit bis zu acht Minuten ziemlich lang sind – und das aus gutem Grund – jeder Song hat ein „normales“ Ende, und einen Anhang, in dem mit Effekten, Studiotricks und Raps über dem Rhythmus eine Dub-Version des Stückes aufgebaut wird. Alles schon interessant, aber das wichtigste sind die Grundlagen – d.h. Die Songs. Und da sind mit „Leaving to Zion“, „General Penitentiary“, „Guess Who's Coming to Dinner“ und „Shine Eye Gal“ (mit einem Rhythm Guitar Cameo von Mr. Keith Richards !) hintereinander gleich vier Klassiker versammelt – das heißt im Reggae gutes Songwriting – das wird bei dieser Betonung der Riddim's mitunter vergessen – und intelligente Lyrics. Der Gesang ist ergreifend, die Drum & Bass Grooves von Sly & Robbie sind zwerchfellerschütternd, und es ist für mich hier wie im Jazz, den ich manchmal ebenso wenig „verstehe“. Es gibt im Reggae Alben wie Showcase, die offenbar „inspiriert“ sind, deren Reiz schwer in Worte zu fassen ist, die aber vor Schönheit glühen. Die Länge der Tracks gibt dem Album etwas Meditatives, der ebenfalls hervorragende Nachfolger Sinsemilla atmet, Showcase denkt. Ein Vergleichbares Album ? Burning Spear's Marcus' Children vom Vorjahr. Wenn also Reggae aus diesem Jahr, dann dieses Album, der einzige Konkurrent ist das ganz anders geartete Forces of Victory vom Briten Linton Kwesi Johnson.... Und Vorsicht: Showcase wurden unter diversen Titeln mit verschiedenen Covern wiederveröffentlicht: Es gibt das Album als Black Uhuru, als Vital Selection und als Guess Who's Coming to Dinner. Also aufpassen beim Erwerb.

Pink Floyd

The Wall


(Harvest, 1979)

1979 mussten Pink Floyd natürlich nichts mehr beweisen – außer vielleicht, dass sie überhaupt noch etwas zu sagen hatten. Sie hatten – wenn das auch von ihren Fans nicht so wahrgenommen wurde – mit dem Vorgänger Animals ein Meisterwerk des Nihilismus geschaffen – in der Zeit mithin, in der Nihilismus ein Konzept war, das eher im Punk sein zuhause hatte, als im progressiven Rock. Nun hatte ihr kreativer Kopf Roger Waters sich ein neues Konzeptalbum ausgedacht in dem es um den Rockmusiker Pink ging, der seine Neurosen und seine Misanthropie bis in seine Kindheit zurückverfolgte und vor Allem Frauen anlastete – kurz, er machte ein Album über sich selbst.... Musikalisch wird das Doppelalbum – wie so oft bei Pink Floyd - von ein paar einprägsamen Akkordfolgen und einigen langen Songs zusammengehalten, von denen insbesondere „Comfortably Numb“, „Hey You“ und natürlich die bis heute präsente Hitsingle „Another Brick in the Wall“ bewiesen, dass Pink Floyd noch immer eine der wirklich großen Bands waren – eine, die aus Weniger mittels effektiver Produktionsarbeit Mehr zu machen vermochte – was sie wiederum im Jahr 1980 in die Riege der Dinosaurier stellte. Aber wenn man die Moden jener Zeit außer Acht lässt, muss man einsehen - Das Beeindruckende an The Wall ist das kluge Zusammenspiel von Sound und Konzept: The Wall öffnete damals zum Einen produktionstechnisch einige Türen, aber es war vor allem seine Vermarktung mit Film und (später) Theaterstück, die revolutionär war. Pink Floyd zerbrachen in der Folge an Waters' Kontrollwahn und Ego-Trip: The Wall war und ist bis heute ein Monster.

Rickie Lee Jones

s/t


(Warner Bros., 1979)

Mit Rickie Lee Jones erschien eine Musikerin auf der Szene, die klang wie die Traumpaarung aus Tom Waits (mit dem sie befreundet war) und Laura Nyro. Und - völlig klischeehaft - hatte sie dann auch tatsächlich in den Jahren vor ihrem Debüt als Kellnerin gearbeitet, in Nachtclubs gesungen und dort ihren ungewöhnlichen Stil aus einem immer etwas verwaschen klingenden Jazz Gesang und perfekter Vokalakrobatik entwickelt. Rickie Lee Jones zerdehnt bis heute Silben bis ins Unendliche, kaut auf den Worten herum und klingt nach verschnupftem Kind und Jazz-Chanteuse zugleich. Aber neben dem fantastischen Gesang sind es ein weiteres mal vor Allem die Songs, die Rickie Lee Jones zu einem der besten Alben des Jahres machen, und die den oft gezogenen Vergleich mit Joni Mitchell durchaus seine Berechtigung geben. Sie hatte schon Little Feat's Lowell George mit ihrem auch hier vertretenen „Easy Money“ beeindruckt, der den Song für sein Solo-Album benutzte, ihre Demo Aufnahmen hatten Warner Executive Lenny Waronker so beeindruckt, dass er den Produzenten Russ Titleman und eine Schar Studio-Asse zusammenrief und diese Songs zwischen Folk und Jazz aufnehmen ließ. Und er hatte recht mit seiner Begeisterung: „Chuck E's In Love“ wurde zum Hit und für einen kurzen Moment war diese so ungeeignete Person so etwas wie ein Pop-Star. Aber die wundervollen Songs tragen durch das ganze Album und der Closer „Last Chance Texaco“ ist nur ein sehnsüchtiges Highlight unter Vielen – und Rickie Lee Jones bleibt für immer an der Spitze der Frauen mit Stil..... Neben.....

Marianne Faithful

Broken English


(Island, 1979)

Für Marianne Faithful waren die 70er traumatisch gewesen. Die Ex-Muse Mick Jagger's hatte das Sorgerecht für ihr Kind verloren, einen Suizidversuch hinter sich gebracht, war heroinabhängig geworden und hatte zwei Jahre quasi auf den Straßen von Soho gelebt. Im Jahr zuvor war sie wieder in ein Studio gegangen und hatte eine schreckliche Pop-Platte aufgenommen. Dann kam die Rettung durch Punk: Sie lernte den Vibrators-Bassisten Ben Brierly, The Clash, die Sex Pistols und ihren Produzenten Barry Reynolds kennen, einen Mann, der später mit dem auf diesem Album entwickelten Sound mit Grace Jones oder Black Uhuru großen Erfolg haben sollte. Faithfull's Stimme war um eine ganze Oktave tiefer als in den Sechzigern, vom Leben und vom Alkohol gezeichnet - und für die Lyrics, die sie auf Broken English vertonte, das perfekte Instrument. Der Sound pulsierender Synthies und harscher Gitarren ist kalt, die Stories handeln von Vorstadt-Hausfrauen, die mit ihrem Leben nicht mehr zurechtkommen (... der bis heute seltsamerweise im Format-Radio gern gespielte Hit „Ballad of Lucy Jordan“) und dem Verlust aller Illusionen, ob in Liebe oder Leben. Dass das harter Stoff war – und bis heute ist – macht das Album bei allen modischen Soundspielereien so zeitlos, und die Tatsache, dass das Material neben dem Hit entdeckenswert ist, macht es noch besser. Wenige Alben sind so glaubwürdig wie dieses.

Neil Young & Crazy Horse

Rust Never Sleeps


(Reprise, 1979)




Neil Young & Crazy Horse

Live Rust


(Reprise, 1979)

Neil Young beendete die 70er mit Rust Never Sleeps - mit einem Album, das ihn als einen der wenigen etablierten Künstler zeigte, die das Jahrzehnt mit Würde überstanden hatten. Musikalisch immer noch interessant genug, ohne sich an neue Trends anzubiedern, und immer noch mit Kraft und hervorragenden Songs. Die erste Seite der LP mit akustischen Stücken wie dem surrealen „Trasher“ oder dem auf Sacheen Littlefeather gemünzten „Pocahontas“, - die für Marlon Brando den Oscar für „Der Pate“ zurückgewiesen hatte - und natürlich mit der Akustik-Variante von „My My, Hey Hey“, das durch Kurt Cobain's Zitat „Its better to burn out, than to fade away...“ in dessen Abschiedsbrief zu seinem Suizid traurige Berühmtheit erlangen sollte. Die zweite Seite dann elektrisch - mit Crazy Horse, krachend und lärmend und ganz gewiss nicht altersweise oder angepasst. Und mit „Powderfinger“- einem seiner besten Songs. Die elektrische Version von „My My, Hey Hey“ bildet dann Rahmen und Abschluss für eines der wirklich gelungenen Alben Neil Young's. Im selben Jahr veröffentlichte Neil Young den Film Live Rust mit dazugehöriger Live LP. Vielleicht tatsächlich als Abschluß der 70er gedacht, war es zugleich eine wunderbare Werkschau, und ist – wieder mit Crazy Horse aufgenommen - auch eine der großen Live LP's der Rock-Geschichte. Nach einem Akustikset stand die Band weiß gekleidet vor riesigen Verstärkertürmen und entfesselte einen wahren Lärmorkan mit Songklassikern wie „Cortez the Killer“, „Hey Hey“ und vor Allem „Like a Hurricane“. Über die Notwendigkeit von Live-Alben zu diskutieren ist in diesem Falle müßig, da Neil Youngs Live-Versionen meist roher sind, länger, anders und mitunter besser als die Studioversionen. Und Neil Young hat natürlich auch zu dieser Zeit schon genug an erprobtem Material, das er hier auch ganz hervorragend ausgewählt hatte. Wenn man Live Rust und das Studioalbum Rust Never Sleeps hört, liegt der Gedanke noch sehr fern, dass die kommenden 80er für Young (s)eine verlorene Dekade werden sollten. Auf den beiden Alben klingt er noch energetisch, sich seiner Selbst und seiner Fähigkeiten bewusst. Ein guter Abschluss also, aber was dann in den 80ern folgte, sollte eine ziemliche Enttäuschung werden...

Lee Clayton

Naked Child


(Capitol, 1979)

Lee Clayton dürfte nur denjenigen bekannt sein, die sich die Songwriting-Credits auf Outlaw-Country Alben anschauen – also nur seltsamen Nerds. Er hatte seit dem Ende der Sechziger für diverse Musiker in Nashville Songs geschrieben, und insbesondere Waylon Jennings scheint ihn sehr gemocht zu haben. Mit “Ladies Love Outlaws“ hatte der einen veritablen Hit gelandet. '73 hatte Clayton selber ein Solo-Album gemacht, das sehr lohnend anzuhören ist, das er selber allerdings nicht mochte. mit dem exzellenten Border Affair ('78) war er schon weit zufriedener gewesen und 1979 erschien mit Naked Child dann eines der schönsten unbekannten Alben zwischen Country und (Folk)-Rock. Warum Naked Child so obskur blieb ? Claytons Stimme ist gewöhnungsbedürftig – irgendwo zwischen heiserem Dylan und unsicherem Quengeln, die Songs wollen sich nicht entscheiden, ob sie Rock oder Country sind, für Country zu progressiv, für die Rockmusik der Siebziger zu nah an Country. Dabei hatte Clayton nicht nur ein Händchen für gute Songs – auch die Lyrics von Songs wie „10.000 Years/Sexual Moon“ oder „I Ride Alone“ mögen klischeehaft sein, aber die Bilder, die entstehen, sind technicolor - bunt. Dazu kommt auf diesem Album der wie entfesselt aufspielende Slide-Gitarrist Phil Donelly, die einige der Songs regelrecht in Flammen aufgehen lässt. Manchmal scheinen Produzent Neil Wilburn (u.a. Guy Clark's Old No.1) und Clayton sogar ein bisschen in Richtung trendigem New Wave geschnuppert zu haben - „If I Can Do It (So Can You)“ klingt für Country VIEL zu modern, die Romanze „I Love You“ wiederum wird nur durch Claytons seltsame Stimme vor'm Abrutschen in den Schmalztopf gerettet, „A Little Cocaine“ ist dann wiederum durch Harp und akustische Gitarren nah an Dylan und Outlaw-Country und hat wieder eine dieser wunderbar lakonisch erzählten Stories. Clayton machte hiernach nur noch ganz sporadisch Musik, Naked Child ist ein Kuriosum, aber eines mit sehr eigenem Stil und voller wunderbarer Songs, die 15 Jahre später unter dem Begriff „Americana“ vermarktet worden wären. Und - damit will ich niemanden abschrecken: U2's Bono benannte Lee Clayton als eine seiner Inspirationsquellen.

















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