Montag, 20. Juni 2016

1974 – Nixon scheitert an Watergate, die Ölkrise und Wirbelstürme in den USA – Robert Wyatt bis Waylon Jennings

In den USA muß Präsident Nixon nun endlich wegen der Watergate-Affäre zurücktreten, Aufgrund des Jom Kippur Krieges in Israel erhöhen die arabischen Öl-Staaten weiterhin ihre Preise und boykottieren die Öl-Lieferungen und so kommt es insbesondere in diesem Jahr zu einer Verstärkung der weltweiten Ölkrise. Im ehemals portugisischen Angola bricht nach der sog. Nelken-Revolution in Portugal ein Bürgerkrieg aus, der bis 2002 dauern soll. In den USA kommt es im mittleren Westen zum „Super Outbreak“, der längsten bislang bekannten Abfolge von Wirbelstürmen. In China sterben bei einem Erdbeben 20.000 Menschen. Der Krieg in Kambodscha zwischen den Roten Khmer und den US - treuen Regierungstruppen geht unvermindert weiter, die USA ziehen sich derweil langsam zurück, bombardieren das Land jedoch munter weiter. Ryan Adams kommt in diesem Jahr zur Welt, Nick Drake begeht Selbstmord und „Mama“ Cass Elliott stirbt. 1974 ist ein vergessenes, oder besser, ein vernachlässigtes Jahr „in Rock“. Die Punk-Revolution ist noch nicht wirklich erkennbar, Glam scheint sich totzulaufen, der alte „progressive“ Rock liegt in den letzten Zuckungen (dabei kommen allerdings ein paar ganz beachtliche Alben zustande, siehe Genesis und King Crimson) aber an den „Randbereichen“ der Rockmusik tut sich einiges. Singuläre Meisterwerke wie Robert Wyatts Rock Bottom, das Debüt der Residents oder John Cale's Fear und Nico's The End weisen in Richtungen, die zuvor kaum ausgeleuchtet waren. Gram Parsons letzte LP erscheint und etabliert in kommenden Jahren seine Version von Country/Rock. klassischere Countrymusik kommt von der anderen Seite via Outlaw-Country, Westcoast- und Folkrock (Richard & Linda Thompson) warten mit definitiven Platten auf und Kraut aus Deutschland sprießt noch immer prächtig. Es gibt viele Alben, die der krönende Abschluss ihrer Bewegung zu sein scheinen. Wie gesagt, wenn man mal genau hinschaut hat auch das Jahr 1974 eine Menge zu bieten – natürlich auch Musik, die ich hier nicht weiter erwähnen will, obwohl ABBA ja nicht wirklich schlecht sind – der Eurovisions-Gewinner „Waterloo“ war damals mein Hit und in Agnetha war ich verliebt. Aber John Denver oder Bachmann-Turner Overdrive fand ich immer überflüssig, und Cat Stevens wurde langsam unerträglich.

 

Robert Wyatt

Rock Bottom

(Virgin, 1974)


Robert Wyatt war einer der Protagonisten der Anfang der Siebziger so kreativen sog. Canterbury Art Rock Scene. Er hatte einen hervorragenden Ruf als äußerst fexibler, virtuoser und ideenreicher Drummer, Sänger und Komponist – einer Karriere zumindest in den Randbereichen der progressiven Jazz/Rockmusik stand nichts im Wege. Das zweite Solo-Album Rock Bottom war noch in Planung, als Wyatt bei einer Party aus dem Fenster eines dritten Stockwerkes stürzte. Er überlebte – aber der Sturz fesselte ihn für den Rest seines Lebens an den Rollstuhl – und statt die Karriere abrupt zu beenden, sagte Wyatt später, dieser Schicksalsschlag habe ihn musikalisch erwachsen werden lassen. Die quälende Zeit der Rekonvaleszenz ist den langen Melodiebögen und der Atmosphäre der Songs deutlich anzuhören. Wyatt musste sich auf Keyboards beschränken, und sein Spiel und seine Texte spöttelten sanft der verlorenen Karriere hinterher. Schon zu Zeiten seiner vormaligen Bands (Soft Machine und Matching Mole) hatte er einen Sinn für's Absurde gehabt – nun verlegte er Trauer und Absurdität in eine zarte Traumwelt. Er holte sich Freunde aus der Canterbury Szene ins Studio: Fred Frith und Mike Oldfield, sowie Bassist Hugh Hopper von Soft Machine begleiten ihn, Pink Floyd Drummer Nick Mason produziert - und ans Studio und den Rollstuhl gebunden erfand er sich musikalisch neu. Die Melancholie, die den Klassiker "Sea Song" trägt, überdeckt nicht die exquisite Melodie; sie besänftigt nur ein Bedauern das sonst übermächtig werden könnte, und wenn Wyatt mit seiner an Curtis Mayfield gemahnenden Stimme die Liebe zu seiner zukünftigen Frau besingt, schlägt er dazu eine Handtrommel, als wäre sie sein Herzschlag. Man könnte vielleicht das Solo-Album des Ex Talk Talk Kopfes Mark Hollis als Vergleich benennen, aber letztlich widersetzt sich die Musik auf Rock Bottom jeder Beschreibung. am besten gibt wohl das von seiner späteren Frau gezeichnete Cover in seinen hingehauchten Grautönen die Atmosphäre der Songs wieder.

Robert Wyatt - Sea Song 


Richard & Linda Thompson

I Want To See the Bright Lights Tonight


(Island, 1974)




 

1974 ist ein Jahr der Folkmusik – in all ihren Formen: Ob Van Morrisons Verquickung von irischem Folk und Jazz, ob Gene Clarks Mix aus Psychedelik, Theater und amerikanischem Folk oder eben Richard & Linda Thompson's Folkrock britischer Prägung mit höchsten lyrischen Ansprüchen. So wird I Want To See the Bright Lights Tonight oft als Höhepunkt der reichen Diskografie Thompson's bezeichnet. Hier kam einfach alles zusammen: Das exzellente Songwriting Richard Thompsons mit seinen scharfzüngigen Lyrics, instrumentale Fertigkeiten allererster Güte – insbesondere eben sein unglaubliches Gitarrenspiel - die klare und reiche Stimme von Linda Peters, frisch mit dem Ex-Fairport Convetion Gitarristen verheiratet, deren Liebe – man mag es bei den düsteren Lyrics nicht glauben – noch frisch und inspirierend war. Und damit verbunden der offensichtliche Wille ein gemeinsames Meisterwerk zu schaffen. Linda Thompson kam auch mit seinem schwierigsten Material zurecht, vom traurigen „Has He Got a Friend for Me“ bis zum zynischen „The Little Beggar Girl“. Die Kümmernisse in „Withered and Died“, „The End of the Rainbow“ und „The Great Valerio“ erklingen ohne Selbstmitleid, stattdessen sind es Darstellungen von psychischen Nöten und physischen Härten, die man in so sensibler Form einem Mann von gerade 25 Jahren kaum zugetraut hätte. Und um das mal klar zu stellen: Dieses Album mag noch so düster sein - es ist zugleich Ausdruck einer immensen Lust an der eigenen Kreativität. Hier kommen der seinerzeit beste Songwriter und die beste Stimme des britischen Folkrock in perfektem Gleichklang auf einem Album zusammen.

Richard & Linda Thompson - The Great Valerio 

 

Van Morrison

It's Too Late To Stop Now

(Warner Bros., 1974)


Van Morrison

Veedon Fleece

(Warner Bros., 1974)


 

Van Morrison ist bekannt als erratischer, auch perfektionistischer Live Performer, und auf dem Live-Doppelalbum It's Too Late to Stop Now ist er in bestechender Form. Eine superbe Songauswahl, die einen Querschnitt durch seine bisherige Karriere von den Tagen mit Them (glühende Versionen von „Gloria“ und „Here Comes the Night“) bis zum letzten Album Hard Nose the Highway („Warm Love“, “Wild Children“). Dazu die Hits seiner Solo Karriere, einschließlich „Caravan“, „Domino“ und vor allem „Into the Mystic“ (dessen letzte Textzeile dem Album den Titel gab), Morrison holt noch ein paar Blues-Standards hervor („Bring It on Home to Me“, „Ain't Nothin' You Can Do“) bevor er das Konzert mit „Cyprus Avenue“ - durchaus einem seiner besten Songs überhaupt - krönt. Diese Version eines Best Of Albums ist ein ungemein unterhaltendes und intensives Portrait eines Künstler auf der Höhe seiner Kunst, mit einer Band, die magische Momente garantiert – Van Morrison war tatsächlich einmal mit dem Personal zufrieden - und eines der besten Live Alben der Rockgeschichte konnte entstehen. Und es kam noch besser: Das im selben Jahr folgende Veedon Fleece ist das letzte der sechs Alben der kreativsten und musikalisch fruchtbarsten Phase des „besten weissen Bluessänger's“, wie er von John Lee Hooker genannt wurde – und es ist das Album, das ich persönlich als meinen absoluten Favoriten bezeichnen würde. Van Morrison hatte 1968 mit dem introspektiven Meisterwerk Astral Weeks seine wirkliche Solo-Karriere begonnen und kehrte nun auf Veedon Fleece zur Intimität dieses Albums zurück. Er war nach der stressigen Tour und der Scheidung von seiner Frau für drei Wochen nach Irland gegangen, und hatte, als er zurückkam die meisten Songs fertig – Material, dass irgendwo zwischen Soul, irischem Folk und Jazz changierte, dass schwer zu vermarkten schien, aber Van musste zu dieser Zeit nichts mehr beweisen, konnte machen was er wollte. Im Vergleich zum Live-Album ist Veedon Fleece subtil, sparsam, aber natürlich auch wieder hoch emotional – und wieder einmal in Van's Werk-Kanon nicht wirklich vergleichbar. Auch wenn die Songs nicht so kathartisch sind wie auf Astral Weeks, so gibt es doch kaum intensivere und brilliantere Songs in Van Morrisons Katalog als „Linden Arden Stole the Highlights“, „Who Was That Masked Man“ oder „You Don't Pull No Punches..." und „Cul de Sac“ Und selten zuvor hatte Van Morrison so autobiografisch geklungen wie auf diesem Album, das er dann in wenigen Tagen in seiner Garage mit ein paar ausgewählten Musikern meist in einem Take aufnahm. Vielleicht weil die Songs sich Live quasi nicht reproduzieren ließen – es sind regelrechte Momentaufnahmen - vielleicht weil er erst kurz zuvor mit Hard Nose the Highway ein weiteres hervorragendes Studioalbum und im selben Jahr das oben genannte Live Album veröffentlicht hatte, geriet Veedon Fleece in Vergessenheit. Es mag nicht sein revolutionärstes Album sein, aber es ist visionär – und es ist sein „schönstes“ Album. Besser als Astral Weeks. Und das meine ich genau so !

 Van Morrison - Into The Mystic Live

 Van Morrison - Linden Arlen Stole The Highlights

 

Neil Young

On The Beach

(Reprise, 1974)


 

Dies ist eigentlich Teil III der „Ditch“ Trilogie finsterer Alben, die Neil Young nach dem Tode seines Freundes Danny Whitten, nach Drogensumpf und Desillusionierung und nach dem kommerziellen Erfolg von Harvest aufnahm. Lange Zeit weigerte sich Young, On the Beach - neben einer handvoll anderer 70er Alben - überhaupt auf CD zu veröffentlichen (Teil I besagter Trilogie, das chaotische Live Album Time Fades Away von 1973 war lange Zeit sogar gar nicht erhältlich), mit dem möglicherweise berechtigten Argument, diese Musik auf einen binären Code zu reduzieren, werde ihr nicht gerecht. On the Beach ist nun doch noch als CD erhältlich, aber das LP-Format ist zweifellos überlegen. Aufgenommen hatte er das Album ein paar Monate nach dem erst ein Jahr später veröffentlichten Tonight's the Night, aber er musste die fatalistische Selbst-Analyse wohl noch vor dem noch finstereren Werk veröffentlichen, weil das Abmischen von Tonight... sich als zu schwer erwies, da er dieses Album quasi Live aufgenommen hatte. Der Unterschied zwischen On the Beach und dem kommerziell so erfolgreichen Vorgänger-Studioalbum Harvest war aber auch denkbar krass. Die zerschossene, desillusionierte, wütende - aber teils eben auch triumphierende - Musik auf diesem Album jedenfalls braucht zumindest die Pause, in der man die LP umdreht. Es hatte – wieder durchaus beabsichtigt – keine echte „Produktion“ stattgefunden, und genau das gibt den Songs die Unmittelbarkeit, die ihnen so gut steht. On the Beach ist ein trüber Strudel aus Steel Guitar, Dobro, Wurlitzer, Slide und Young's hohem, einsamen Wimmern. Aber die Songs sind groß, Young erinnert sich im „Ambulance Blues“ an seine „old folky days“, bevor er mit den Worten „All you critics sit alone / You're not better than me for what you've shown“ seine Kritiker verflucht, er verlacht Lynyrd Skynyrd und die Rednecks („Hold On“) und schreibt eine Hommage an das zu gleichen Teilen verhasste und geliebte Amerika. Und auf seltsame Weise entsagte er vermutlich gerade durch seinen wütenden Fatalismus letztlich der Verzweiflung.

Neil Young - Ambulance Blues 

 

Steely Dan

Pretzel Logic

(MCA, 1974)


 

Nach Steely Dan's erfolgreichem Debüt Can't Buy a Thrill war der Nachfolger Countdown to Ecstasy nicht ganz so erfolgreich gewesen, und nun wollten Donald Fagen und Walter Brecker es wohl wissen. Steely Dan war zu diesem Zeitpunkt noch eine Band, die auch Live auftrat, aber die komplexe Musik auf Pretzel Logic sollte sie vor so große Probleme stellen, dass die beiden Köpfe von Steely Dan sich danach entschlossen, nur noch im Studio zu arbeiten. Und das Album ist wirklich ein hochkomplexes, dabei aber auch ausgesprochen vergnügliches - Stück Musik. Die Hitsingle „Rikki Don't Lose That Number“ zitiert einen Jazz-Klassiker von Horace Silver, um dann in einen grandiosen Pop-Song zu münden. Auch der Titelsong verwandelt sich vom Blues zu einem Song mit jazzigem Chorus, - „Any Major Dude Will Tell You, „Barrytown“, Parker's Band“ (Über Jazz-Legende Charlie Parker) – sie alle sind konzise Songs die mit kleveren Wortspielereien und starken Jazzeinflüssen in großem Pop münden. Pretzel Logic ist populäre Musik in ihrer intelligentesten und intellektuellsten Ausprägung – und die beiden Köpfe hinter Steely Dan hatten damit wohl für den Rest ihrer (anhaltenden) Karriere endgültig das Rezept gefunden, intellektuellen Jazz und Rockmusik miteinander zu verbinden. Eine Rezeptur, die sie auf einen ganz eigenen Platz in der Masse der Rock-Acts stellen sollte, die sie ab jetzt nur noch verfeinern sollten – um sich dann auf dem Erfolg ausruhen zu können. Und immerhin gelangen ihnen damit noch ein paar tolle Nachfolger.

Steely Dan - Rikki, Don't Lose That Number 

 

Ann Peebles

I Can't Stand the Rain

(Hi Records, 1974)


 

Ann Peebles hatte (– natürlich - ) schon als Kind im Gospel Chor gesungen, war in Clubs aufgetreten und hatte Ende der Sechziger ihren Job beim feinen HiRecords Label bekommen. Sie hatte etliche Hits (auch für Andere) geschrieben, und ein paar feine eigene Alben aufgenommen. Mit der Single und dem Album I Can't Stand the Rain kam dann der eine große Hit – auf den sie gerne reduziert wird. Es gibt in jener Zeit Mitte der Siebziger nicht mehr viele „politische“ Soul Alben, alle Aussagen sind gemacht, der Sound of Soul wandert Richtung Disco, und wird damit auch beliebiger. Aber es gab noch immer solche Soul Alben, bei denen Songwriting und Sänger(in) die Hauptsache spielten, bei denen das Backing so minimalistisch wie exzellent war. HiRecords war Spezialist darin, deren Chef Willie Mitchell hatte schon Al Green einen Klang auf den Leib geschneidert, der perfekt saß. Diesen extrem funky Sound – um dezente Bläser und Streicher ergänzt – unter Peebles Stimme, die irgendwo zwischen weiblichem Al Green und Aretha Franklin liegt, macht mit den entsprechenden Songs ein elegantes – ein perfektes Soul Album. Eines das klingt wie das letzte Wort, das über den Southern Soul der Jahre 64-74 gesprochen wird. Es sind Songs über die dunklen Seite der Liebe, und der ungewöhnliche Titelsong mit seinen gezupften Strings als Einleitung ist nicht das einzige Highlight. Die meisten Songs hatte Peebles mit ihrem Ehemann Don Bryant geschrieben, die Ergänzung zum Hit - „Do I Need You“, das finale und düstere „One Way Street“, aber auch Coverversionen wie den Charts-Vorgänger „I'm Gonna Tear Your Playhouse Down“ - ein Song der das Selbstbewusstsein schwarzer Frauen deutlicher propagiert, als es so mache Rapperin heutzutage zu wagen scheint. Diese Art Soul scheint 1974 allerdings nicht mehr solche Wellen geschlagen zu haben, wie es 2-3 Jahre zuvor der Fall war. I Can't Stand the Rain blieb ein moderater Erfolg, es hätte mehr Aufmerksamkeit verdient - und erhält sie inzwischen via Re-Releases. Ein extrem cooles Album.

 Ann Peebles - One Way Street

 

Kraftwerk

Autobahn

(Philips, 1974)


 

Es gibt auf den folgenden Seiten irgendwann einen tiefer gehenden Ausflug in die (Rock) – Musik aus Deutschland, die auch '74 noch einiges zu bieten hat – aber das vierte Album der Düsseldorfer Kraftwerk steht in seiner Bedeutung für die populäre Musik doch noch über den Alben von... Sagen wir mal Faust oder Tangerine Dream. Die ersten drei Alben von Kraftwerk waren schon Pionierarbeit in Richtung elektronischer Musik gewesen – mit analogen Geräten und auch mit Gitarren, aber immerhin... Auf Autobahn nun begann ihr elektronischer Puls ganz allein und auch außerhalb der Grenzen des Krautrock zu schlagen. Das 22-minütige Titelstück wurde in gekürzter Form zum Radiohit – bei Krautrock bis dahin (bis auf den Hit von Can...) undenkbar – mit sich wiederholenden Mustern von Synthesizer, Gitarren und einem klopfenden Rhythmus, der eigentlich monoton sein sollte – und mit einem Refrain der so kindlich-simpel wie eingängig ist. „Autobahn“ beginnt mit einem synthetischen Hupen und beschleunigt dann in die mobile Zukunft, die 1974 – trotz Ölkrise – noch golden erschien – zumal, wenn sie von Kraftwerk beschrieben wurde. Über das Titelstück sollte man natürlich die Stücke auf der zweiten Seite der LP nicht vergessen: „Kometenmelodie 1“ und vor Allem „- 2“ sind Versuche in ambientem Synth-Pop – zu einer Zeit, als es das noch nicht gibt, als Synthesizer und Pop kaum zusammengehören. Da klingen „Mitternacht“ und „Morgenspaziergang“ noch eher nach elektronischem Experiment – und erinnern so an das Vorgängeralbum Ralf und Florian. Aber selbst da sind Kraftwerk auf dem Weg zum Pop, aus den kosmischen Klängen in die Computerwelt – die sie ab hier selber erschaffen würden.

Kraftwerk - Autobahn 

 Gene Clark

No Other

(Asylum, 1974)


 

Als das ehemalige Gründungsmitglied der Byrds, Gene Clark 1974 sein viertes Solo-Album herausbrachte, war er selber ziemlich begeistert – und mit seiner Begeisterung leider Allein. Und das, obwohl No Other nicht wie geplant als Doppel Album mit 13 Stücken veröffentlicht wurde, sondern nur in verkürzter Form. Clark hatte 100.000 Dollar für die Produktion ausgegeben – unerhört für einen erfolglosen Sänger, und das Album wurde ein finanzieller Flop, vergleichbar höchstens noch mit dem Spät-Western „Heaven's Gate“. Wahrscheinlich war No Other zu diesem Zeitpunkt noch zu bizarr für den amerikanischen Musikgeschmack. Da war schon das Cover, eine Collage im Vintage Hollywood Look, aus einer Schnapslaune entstanden, und dann die Musik: Psychedelischer Country-Glamrock wäre vielleicht eine Beschreibung dessen, was unter Mithilfe von einer großen Anzahl von namhaften LA Studiomusikern und einem kompletten weiblichen Chor entstand. Aufgenommen hatte Clark das Album in einem kleinen Cottage mit Meerblick in Nord-Californien, unter dem Einfluss von Zen, Meditation und der Natur. Wäre No Other zwei Jahre später erschienen, hätte es sein Publikum vielleicht auf Anhieb gefunden, denn an den Songs kann es nicht gelegen haben. Clark war hier auf der Höhe seiner sowieso schon beachtlichen Songwriterkunst. Der Titelsong, fast rockig, „Silver Raven“, geisterhaft und an eine abgerundetet Version von CSN&Y erinnernd, „From a Silver Phial“, seltsamerweise mit Anti-Drogen Botschaft – gerade wo Gene Clark den Drogen immer tüchtig zugesprochen hatte – aber in seinem Refugium soll er zu dieser Zeit clean gewesen sein und nur der letzte Song gab einen Hinweis auf seine vorherigen Alben, die er zusammen mit Doug Dillard geschrieben hatte. Inzwischen gibt es das Re-issue des Meisterstückes als Komplettpaket wie von Clark geplant. Es ist ein Album, das Platten wie Fleetwood Mac's Rumour vorwegnimmt – und sie dabei gleich mal übertrifft.

Gene Clark - Silver Raven 

 

Gram Parsons

Grievous Angel

(A&M, 1974)


Aus der gleichen Ecke wie Gene Clark kam Gram Parsons. Er hatte sich zuvor mit den Byrds um die Verbindung von Pop, Psychedelischem Rock und Country verdient gemacht, hatte die Stones beeinflusst – und zerschellte gerade am Rock'n'Roll Lifestyle. Bei den Aufnahmen zu seinem zweiten Solo-Album Grievous Angel war der Millionärssohn schon vom Drogenmissbrauch gezeichnet, er hatte bei den Stones Keith Richards kennengelernt, und an dessen Lebensstil fatalerweise teilzuhaben versuchte, aber er hatte nun einmal leider nicht dessen Konstitution... Grievous Angel allerdings ist ein künstlerischer Triumph, eine der Platten, die den Country-Rock begründeten. Das war zum einen gewiss den Mitstreitern geschuldet: James Burton, Byrone Berline, Glen Hardin, exzellente Musiker, die sonst Elvis in Vegas begleiteten und die hier ein perfektes Backing boten, Dazu kommt dann – sozusagen als Widerpart zu Parsons' brüchiger Stimme - der wunderbare Gesang der jungen Emmylou Harris. Das allein macht diese Platte schon zu einem Ereignis. Und dann hatte Gram Parsons trotz seiner Probleme auch noch die richtigen Songs: „$ 1000 Wedding“, „Brass Buttons“, „In My Hour of Darkness“ sind Songwriter-Kunst auf höchstem Niveau und waren in ihrer Melange aus Rock und Country ihrer Zeit weit voraus. Er zeigte sich auf diesem Album als Songwriter, der es locker auch mit Country-Koryphäen wie Jennings oder Nelson aufnehmen konnte, aber es sollte ihm Nichts nutzen. Parsons erlebte die Veröffentlichung des Albums nicht mehr. Er starb schon Ende 1973 an Drogenmissbrauch, und sein „Begräbnis“ wurde zu einer absurden Farce incl. Diebstahl des Leichnams. Auf seiner Musik jedoch baute sich eine ganze Musikrichtung auf.

 Gram Parsons - In My Hour of Darkness


Waylon Jennings

This Time

(RCA, 1974)

Waylon Jennings

Ramblin' Man

(RCA, 1974)

die wiederum natürlich genauso starke Wurzeln in Waylon Jennings Gebiet hat...This Time erschien kurz nachdem „Outlaw-Country“ seinen Höhepunkt mit dessen exzellentem Honky Tonk Heroes hatte. Dass dieses Album nicht so hoch geschätzt wird wie sein Vorgänger, ist ungerechtfertigt - liegt vielleicht auch daran, dass der Veröffentlichungsrhythmus von Jennings in dieser Zeit rasant war - aber es könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass es im Vergleich zum Vorgänger ein sehr ruhiges Album ist, welches auch noch stark an Phases and Stages vom Konkurrenten und Kollegen Willie Nelson angelehnt ist: Nicht weniger als vier der zehn Songs stammen vom Konzeptwerk Nelson's - natürlich großartiges Material, und in den Versionen von Jennings denen seines Kumpels durchaus ebenbürtig, aber für manche Country Liebhaber klang das Alles vielleicht zu sehr nach Recycling. Und dann sind besagte vier Songs auch noch von weiteren Fremd-Kompositionen umgeben. Die No.1 Single „This Time“ stammt von Jennings selber und ist so laid back wie das ganze Album, JJ Cale's „Louisiana Woman“ hält das langsame Tempo weiter, Billy Joe Shaver's „Slow Rollin' Low“ macht seinem Titel alle Ehre und das komplette Album ist – insbesondere für Jennings – äußerst zurückhaltend – und somit nicht das, womit die Fans gerechnet hatten... was es andererseits zu einer wohltuenden Ausnahme in Jennings' Discografie macht. Und dann hatte Jennings im selben Jahr auch noch ein weiteres Album in Petto – jetzt wieder eine flottere Angelegenheit, ein Album, das seine Position an der Speerspitze der „Outlaw Country“ Bewegung zementieren sollte. Heute mag es nicht sonderlich revolutionär wirken, aber Jennings (und Andere wie Willie Nelson, Johhny Cash, Kris Kristoffersen etc.. siehe z.B. 1973 - Gram Parsons über The Seldom Scene bis zu Jerry Lee Lewis und 1973 – Waylon Jennings bis Tanya Tucker ) setzten sich seinerzeit mit ihrer Art von Country-Musik, die sich an diverse „Hippie“ Ideale einer jungen Generation richtete, mit ihrem deutlichen Verzicht auf den üblichen Kitsch, die Streicher und die „heile Cowboy-Welt“ Lyrics - regelrechten Anfeindungen aus der konservativen Country-Hörerschaft aus (was aber mitnichten bedeutet, dass alte Hippies jemals wirklich mit den ihrer Meinung nach immer noch reaktionären „Outlaws“ sympathisiert hätten...). Jedenfalls war ihre Differenzierung eine bewusste Entscheidung - manchmal auch gegen die Widerstände der eigenen Plattenfirmen. Dass Jennings auf Ramblin' Man gekonnt die Allman Brothers coverte, mag da als Zeichen stehen – wobei diese als Südstaatler auch eine recht eigene Art von Hippies waren. Dass Jennings sich auf dem Cover ziemlich fertig ablichten lässt, dass er das Outlaw-Image in der hier weit eklektizistischeren Songauswahl hochleben lässt, dass sogar die ruhigeren Songs dieses Outlaw-Ding feiern, macht das Album zu einem der Fundamente dieser neuen Art von Country. Da gibt es den flotten Opener und das von Steel-Gitarren glühende „Rainy Day Women“, da gibt es mit „Cloudy Days“ eine kurze Rückkehr zum Vorgänger, da covert er auch noch den großartigen – und zu dieser Zeit noch völlig unbekannten - Lee Clayton mit „Memories of You and I“, da lässt er es bei „Oklahoma Sunshine“ ziemlich romantisch werden und bei „Amanda“ Herzen schmelzen. In der Tat klingt auch diese Musik heute mitunter sehr klischeehaft, aber Musiker wie Sturgill Simpson lassen diesen Sound gerade wieder aufleben. Dies sind Alben, die nach TechniColor klingen, nach traurigen Cowboys mit echtem Staub an den Stiefeln. Vielleicht tatsächlich kitschig – aber dennoch weit weniger kitschig als wirklich reaktionärer Nashville-Country-Stoff.

 Waylon Jennings - This Time

 Waylon Jennings - Memories of You and I







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