Dienstag, 9. Mai 2017

1973 – Waylon Jennings bis Tanya Tucker - Country und seine Outlaws

Zu Beginn der Siebziger hatte sich der in Nashville als Songwriter längst etablierte Willie Nelson aus der Country Metropole abgesetzt und war nach Austin (Texas) gegangen, wo er eine rege und dankbare Szene sowie mit Atlantic ein neues Label fand, das ihn seine Musik so spielen ließ, wie er es sich vorstellte. In Nashville waren es die Produzenten und Labels aus dem Entertainment Bezirk Music Row, die den Künstlern ihr Repertoire und die Arrangements vorschrieben die sich im Laufe der Zeit immer weiter von klassischer Countrymusik Richtung kommerziellem Kitsch mit Cowboyhut und sogar elend-countryfiziertem Pop bewegt hatten. Das beinhaltete eine künstlerische Bevormundung, die sich Musiker wie Nelson, Waylon Jennings oder der leider weit unbekanntere Tompall Glaser nicht gefallen lassen wollten. Die beiden letztgenannten blieben zwar zunächst noch in Nashville, aber sie forderten und erlangten mehr Selbstbestimmung, als es den alten Nashville Mogulen gefiel. Ausserhalb von Nashville hatten sich in der selben Zeit mit Johnny Cash, Merle Haggard und ein paar anderen eine rege, weniger reglementierte Countrymusik etabliert, deren Protagonisten jemandem wie Nelson oder Jennings weit näher waren. So ist '73 eines der formativen Jahre des Outlaw Country, das Jahr in dem die unten genannten Interpreten im Grunde mit einer traditionellen Spielart der Countrymusik ein größeres und vor allem jüngeres Publikum erreichten. Country wurde allmählich trotz seines konservativen Images auch vom „Undergound“ (der damals natürlich nicht so genannt wurde) wahrgenommen – zumal Musiker wie Nelson und auch Jennings (beide mit Bartwuchs nach Imagewechsel...!) optisch eher den Klischees der Hippie Kultur entsprachen als die wandelnden Weihnachtsbäume des klassischen Nashville-Sounds dieser Zeit. Es ist eine Bewegung, die man als Reaktion auf die Hinwendung junger Ex-Hippies zum Country interpretieren kann, aber es half sicher auch umgekehrt, die „Cosmic American Music“ eines Gram Parson zu etablieren. Der Begriff „Outlaw“-Country übrigens entstand erst drei Jahre später aus der Compilation Wanted! The Outlaws, die Songs von Willie Nelson, Waylon Jennings, dessen Frau Jessi Colter und Tompall Glaser versammelte – die hier unten mit ihren wichtigen Alben vorkommen. Dass die Non-Outlaw Form der Countrymusik in weiten Teilen der konservativeren amerikanischen Gesellschaft in seiner verkitschten und popularisierten Form auch 1973 noch recht beliebt war, ist eine Seite der Geschichte auf die ich weiter unten auch noch zurück kommen will. Man sollte sich immer darüber im Klaren sein: Auch Musiker, die nicht gegen das System der Nashville -Mafia revoltierten, machten teils ganz hervorragende Alben – denen die Tendenz zur Hinwendung zum Ursprung des Country sogar anzumerken ist (siehe Dolly Parton...) – aber Musiker wie George Jones, Tom T. Hall oder Charlie Rich waren und blieben - zumindest was die Einstellung zum Business betrifft - Nashville pur.

Waylon Jennings

Lonesome, On'ry an Mean

(RCA Victor, 1973)

Waylon Jennings

Honky Tonk Heroes

(RCA Victor, 1973)

1973 war „Outlaw Country“ ein noch zu erschaffender Begriff für die Renaissance einer Musik, die lange Zeit ( und bald auch wieder...) als reaktionär und uncool galt – zumindest in den Kreisen der „progressiv“ orientierten Rockmusik-Hörerschaft. Zwar verbindet man gemeinhin mit diesem Begriff die weniger kitschigen Seite des Country – Musik mit einem „texanischen“ Flair, aber Tatsache ist, dass Waylon Jennings seine beiden für den „Outlaw Country“ definitiven 73er Alben in Nashville aufnahm. Er war Mitte '72 ebenso unzufrieden mit den Knebelverträgen der Nashville-Bosse wie sein Kumpel Willie Nelson, hatte Hepatitis, vier Ehefrauen zu bezahlen und fühlte sich künstlerisch eingeengt – und nahm sich mit Neil Reshen denselben Manager wie Kollege Willie Nelson – und durch dessen Verhandlungsgeschick, durch seine Erfolge und durch entsprechendes Selbstbewusstsein gelangte er in die Position, mit der eigenen Touring Band die Songs aufnehmen zu dürfen, die ihm in den Kram passten.... was ihn unter Nasville's Oligarchen recht unbeliebt machte. Die Ergebnisse sind die Alben Lonesome On'ry and Mean und Honky Tonk Heroes – wobei Letzteres das bekanntere der beiden Alben sein mag, Ersteres ihm aber an Qualität nicht nachsteht. Die neuerlangte künstlerische Freiheit tat ihm jedenfalls gut, seine Stimme war sicher und fest, er neigte noch nicht so zum knödeln, wie in spätestens 4-5 Jahren und im Umfeld der eigenen Musiker fühlte Jennings sich offensihtlich wohl. Von den beiden Alben mag Lonesome... das weniger konsistente sein, ist die Songauswahl etwas beliebiger: Country- und Folk Outsider Steve Young war der Autor des Titelstückes, Jennings Version war wütender, er steckte all die Frustration nach Jahren der Gängelung durch sein Label hinein. Die Grenzen zwischen Rock & Roll und Country verwischten auf seiner Version von Kris Kristofferson's „Me & Bobby McGee“ und er paarte Folk und Psychedelik in Mickey Newbury's „San Francisco Mabel Joy“. Für den Nachfolger Honky Tonk Heroes entstand aus Zufall ein regelrechtes Konzept: Jennings hatte im Vorjahr Songwriter Billie Joe Shaver eingeladen, seine Arbeit jedoch inzwischen schlichtweg vergessen, bis dieser ihn buchstäblich zwang seine Songs zu hören. Nun war Jennings so beeindruckt, dass er für Honky Tonk Heroes fast ausschließlich dessen Songs aufnahm, wieder mit seiner Band sowie mit Steve Young und David Briggs sowie mit dem Kollegen Tompall Glaser an den Reglern. Und Jennings' war genau der Richtige für diese Songs über "old five and dimers, loveable losers and no-account boozers". Seine Interpretation balanciert perfekt zwischen stoischer Schicksalsergebenheit und gravitätischem Kitsch, der Sound der Band ist nicht zu blumig, er klingt zurückhaltend und glaubwürdig nach Countrymusik. Honky Tonk Heroes ist wie gesagt vielleicht das konsistentere der beiden Alben, beide sind touchstones des Outlaw Country, haben alles, was für ihn typisch ist, und bieten Country in einer reinen und glaubwürdigen Form – man muss sich nur auf diese Art Musik einlassen. Schade nur, dass Jenning nicht mehr mit Glaser aufnahm, der den Sound genau passend erdete, aber zunächst einmal war er im Höhenflug. Es folgte mit Dreaming My Dreams 1975 ein noch besseres Album - das aber zugleich schon das Ende der Outlaws einläuten würde.

Willie Nelson

Shotgun Willie

(Atlantic, 1973)

Der etablierte Songwriter und Country Musiker Willie Nelson war Anfang '73 nicht mehr willens, sich den Knebelverträgen der Nashville Oligarchen zu unterwerfen - und wurde dafür mit der Weigerung bestraft, weitere Songs aufnehmen zu dürfen. So ging er nach Austin, Texas und ließ sich auf die dortige Hippie - und Rockmusik-Szene ein, die ihm sowohl in ihrer Haltung als auch in ihrer musikalischen Ausrichtung näher schien, und die ihn mit offenen Armen empfing. Dann holte er sich mit Neil Reshen einen Manager an seine Seite, der respektlos genug war, sich gegen die Mafia in Nashville aufzulehnen und der ihm den Kontakt zum Atlantic Label vermittelte. Die nahmen ihn als ersten Country Musiker unter Vertrag, und sichertem ihm die gewünschte künstlerische Freiheit zu. Er wurde nach New York geschickt und nahm dort mit Shotgun Willie das erste von drei aufeinander folgenden Klassikern auf. Es sind diese Alben der Jahre '73 bis '75, die ihn zur wichtigsten Figur des Outlaw Country machten – und die inzwischen zu Recht als Klassiker der Countrymusik insgesamt gelten. Freund und Kollege Waylon Jennings war mit Ehefrau Jessie Colter zu Gast, Doug Sahm und Band begleiteten ihn und er nahm in kurzer Zeit etliche Songs auf – die teils erst vier Jahre später als The Troublemaker das Licht der Welt erblicken würden. Aus den späteren Sessions entstand Shotgun Willie – ein Album, das im Gegensatz zu den folgenden Alben kein Konzeptalbum ist, das aber die beste Songauswahl hat. Der Titletrack startet mit den Memphis Horns, flottem Beat und Willie's unnachahmlichen Lyrics: „Shotgun Willie sits around in his underwear / Bitin' a bullet, pullin' out all of his hair / Shotgun Willie's got all of his family there“. Der bekannteste Song „Whiskey River“ feiert den Rausch als Gegenmittel zu emotionalem Schmerz. „Sad Song and Waltzes“, „Devil in a Sleeping Bag“ gehören zum Besten, was Nelson geschrieben hat, und er machte sich vier Fremkompositionen – zwei alte Country-Swing Tracks von Bob Wills und zwei von Leon Russell (siehe weiter unten ... übrigens) - so zu Eigen, dass sie sich perfekt in das Album einpassen. Eine Kunst, die ihm mit seiner charakteristischen Art der Gesangs-Phrasierung, seinem sparsamen und effektiven Gitarrenspiel immer leicht fallen würde.. dieses Album zeigt: Die besten Jahre des Outlaw-Country hatten begonnen.

Billy Joe Shaver

Old Five and Dimers Like Me

(Monument, 1973)

Und da passt im Anschluss natürlich: 1973 war das Jahr, in dem Billy Joe Shaver endlich auch sein erstes eigenes Album aufnehmen durfte. Seine Songs waren zuvor schon von etlichen Anderen gecovert worden, Willie Nelson hatte ihn gelobt, Waylon Jennings mit Honky Tonk Heroes ein ganzes Album um seine Songs aufgebaut (siehe oben) und Tom T. Hall hatte sein 73er Album nach dem Titelsong dieses Albums benannt (Siehe unten...). Aber Shavers eigene Versionen haben trotz der Limitierung durch seine Stimme eine Intensität, die Andere ihnen nicht geben konnten. Shavers Songs sprengten Grenzen, da sie sowohl in Country, als auch in Folk und Blues getränkt sind, „Fit to Kill and Going Out in Style" wurde eine Hymne des Outlaw Movement, „Black Rose“ läßt „Cripple Creek“ von The Band anklingen, der Honky Tonk Blues „Played the Game Too Long“ kommt mit Dixieland Horn Section daher und „Low Down Freedom“ ist der ehrlichste Song über Freiheit und ihre Kosten und Schattenseiten, den man sich denken kann. Die Eleganz und Würde, mit der Shaver auf Old Five and Dimers Like Me seine Songs präsentierte, sollte sich auf den nachfolgenden Platten fortsetzen. Den kommerziellen Erfolg seiner Gönner freilich hatte er nie, aber es ist immerhin doch tröstlich, dass der Autor all dieser famosen Songs mit den nun fliessenden Tantiemen finanziell gut gestellt war.

Tompall Glaser

Charlie

(MGM, 1973)

Und beim Begriff Outlaw Country darf er nicht fehlen - Der deutschstämmige Sänger, Songwriter und Produzent Tompall Glaser: Der hatte '73 mit den Glaser Brothers schon eine reiche Country-Karriere hinter sich. Die Brüder waren in einem kleinen Kaff in Nebraska aufgewachsen und vom durchreisenden Marty Robbins entdeckt worden, hatten Anfang der Sechziger kleinere Hits als Close Harmony Act a la Sons of the Pioneers und waren von Johnny Cash als Background-Chor engagiert worden. Aber '73 waren die Glaser Brothers auseinander gegangen und Tompall (Thomas Paul...), der talentierteste Musiker und beste Sänger der Drei, hatte in Nashville ein kleines Studio aufgemacht, das sich zum Rückzugsort für die Unangepassten entwickeln sollte. So nahm – wie oben gesagt – Waylon Jennings sein Schlüsselwerk Honky Tonk Heroes hier mit Glaser als Produzent auf. Aber Glaser selber war auch nicht untätig. Er nahm eine Reihe von Songs in sparsamen Arrangements auf – ein paar Eigengewächse, ein paar Songs von Kinky Friedman, dem Storyteller und jewish cowboy, der von ihm und seinem Bruder entdeckt und produziert worden war – und machte mit Charlie ein Album, das völlig zu Unrecht weit weniger Bekanntheit genießt, als die Alben Willie's und Waylon's. Nur der Titelsong wurde ein kleiner Hit, aber autobiografische Beobachtungen wie „An Ode to my Notorious Youth“ oder Stories wie „Bad Bad Bad Cowboy“ sind beileibe nicht bloß Füllmaterial – von Kinky Friedman's „Sold American“ und „Gideon Bible“ ganz abgesehen. Und diese feinen Songs werden vorgetragen von der whisky-rauen Stimme eines versierten Sängers, eines Mannes, der 15 Jahre als Country-Musiker hinter sich hat und mit allen Wassern gewaschen ist. Charlie ist - mindestens was den Gesang angeht – das beste der drei '73er Outlaw-Alben von Jennings, Nelson und Glaser. Der ausbleibende Erfolg mag damit zu tun haben, dass die Plattenfirma MGM die Songs einfach von Glaser herübergereicht bekam, ohne echten Vertrag oder Absprache, dass Glaser mit Produzieren und Managen mehr zu tun hatte, als mit dem Aufbau einer Karriere... er blieb im Vergleich ein Unbekannter, auch wenn er auf dem Begriff-definierenden Sampler Wanted! The Outlwas ('76) mit dabei ist. Seine drei noch folgenden Alben sind Pflicht für denjenigen, der sich für guten Country begeistern kann.

Leon Russell

Hank Wilson's Back Vol.1

(Asylum, 1973)

Leon Russell ist eher aus dem Umfeld der Rockmusik bekannt – er hatte vor '73 u.a. mit Joe Cocker, Eric Clapton, George Harrison oder Bob Dylan gearbeitet und hätte - wäre ich da dogmatisch – mit den „Outlaws“ der Nashville-Country-Szene wenig zu tun. Aber er hatte tief reichende musikalische Wurzeln im Country. Er stammte aus Oklahoma, und in seiner Jugend waren etliche Blues- und Countrymusiker durch seine Heimat gezogen. Als er sich Ende '72 ins Bradley's Barn Studio nahe Nashville begab, um unter dem Pseudonym Hank Wilson dieses famose Country-Album einzuspielen, betrat er vertrautes Terrain. Hank Wilson's Back Vol. 1 ist eine Kollektion von Klassikern des Honky Tonk, Bluegrass und Country, mit Songs wie Hank Thompson's „Six Pack to Go“, Lester Flatt's „Rollin' in My Sweet Baby's Arms“, Bill Monroe's „Uncle Pen“, dem George Jones-Heuler „The Window Up Above“ und gleich drei Songs vom Country-Giganten Hank Williams'. Und all das nahm er unter der Ägide von J.J.Cale mit der Creme de la Creme der Nashville-Musiker Garde auf. Er passte seine Stimme den Erfordernissen der Songs an, ließ die Songs mit nur minimalen Arrangement-Tricks für sich sprechen, und machte überdeutlich, dass es sich hier um eine Herzensangelegenheit handelte. Russell mag zuvor und später andere Felder beackert haben, aber mir persönlich gefällt dieses Country-Album mit am besten. Die Protagonisten des Outlaw-Country dürften das Album voller Anerkennung gehört haben, Russell gehörte – wie oben gesagt – einer anderen „Szene“ an, aber Hank Wilson's Back Vol.1 geht weit über eine reine Kopie von Countrymusik hinaus, es enthält begeistert vorgetragene Song-Klassiker des Country in purer, kraftvoller Form... und daher passt es in diese Reihe von Alben. Und dann: Ein paar Jahre später machten Russell und Willie Nelson ein gemeinsames Album und 11 Jahre später folgt ein Sequel zu diesem Album – weniger spannend, aber ebenfalls heartfelt.

Bobby Bare

..Sings Lullabyes, Legends and Lies

(RCA Victor, 1973)

Country Music Veteran Bobby Bare wollte 1973 auch was Neues wagen und ein ganzes Album mit Songs des Songwriters/Cartoonisten/Autors Shel Silverstein machen. Er hatte schon zuvor hier und da dessen Songs interpretiert - und er war mit seiner Begeisterung für diesen Songwriter und intelligenten Texter wahrlich nicht allein. Silverstein war bekannt geworden durch seine Arbeit mit Dr. Hook, er hatte für Loretta Lynn geschrieben und auch für den oben genannten Tompall Glaser und er war vor Allem durch Johnny Cash's Version seines Songs „A Boy Named Sue“ bekannt geworden. Hier gab es nun – wie es der Titel besagt – eine Kollektion von American tall tales and myths, gefiltert durch Silverstein's ganz eigenen Humor, gesungen mit Bare's warmer, freundlicher Stimme. Der Eklektizismus seiner Musik, bei der Country mit Pop, Folk und auch Rock vermischt wird macht dieses Album zu einem guten Beispiel für das, was man bald progressive Country nennen würde – und was seinerzeit so weit von Nashville entfernt war, wie von „herkömmlichem“ Singer/ Songwriter-Stoff. Da gibt es den Titeltrack als erklärende Einleitung, dann kommen Story-Songs über mythische Charaktere wie Paul Bunyan oder Marie Lavaux, lustige und alberne Geschichten wie „The Winner“, „She's My Ever Lovin' Machine“, „The Mermaid“ und den „Sure Hit Songwriter's Pen“. Arg sentimental wird Bare im Duett mit seinem Sohn Bobby Bare Jr bei “Daddy What If“ Ernsthafter singt er über den Bürgerkrieg („In the Hills of Shiloh“), oder einsame Biker („Rest Awhile“) und bedient damit natürlich alle Klischees. Das finale Highlight, das acht-minütige „Rosalie's Good Eats Café“ - erweckt Bilder von traurigen Gestalten in Late-Night-Café's, wandelt sich von todernst und herzergreifend über eine schlaue Punchline zu einer zurückgelehnten Betrachtung der Absurditäten des Lebens. Philosophie unter dem Cowboyhut sozusagen.

Mickey Newbury

Heaven Help the Child

(Elektra, 1973)

und nun entferne ich mich immer weiter von dem, was bald „Outlaw"-Country genannt werden soll. Mickey Newburys Heaven Help the Child ist sein drittes im Cinderella Sound Studio aufgenommenes Album und es war das Dritte Album mit einer Art „Country“ - Musik, die es selten zu hören gibt. Wieder hatte der Songwriter lange Songs verfasst, die ineinander flossen, wieder war sein Gesang ausgezeichnet, wieder waren die Arrangements nach heutigen Maßstäben etwas verkitscht, die instrumentalen Teile aber ganz einfach bestens arrangiert und die Musiker vom Feinsten. Newbury hatte sich in den Jahren bis hier einen hervorragenden Ruf als Songwriter erarbeitet – insbesondere durch die u.a. von Elvis gecoverte „American Trilogy“, aber seine eigenen Platten bekamen nur von Kritikern Lob. Ein Grund dürfte gewesen sein, dass seine Songs für die Radiostationen ganz einfach zu lang waren und zu schwer einzuordnen waren. Newbury scheint das nicht beeindruckt zu haben. Er machte es auf Heaven Help the Child wie der oft mit ihm verglichene Townes Van Zandt: Er spielte neue Versionen älterer Eigenkompositionen wie „Frisco Mabel Joy“ und „Sunshine“ - Songs die in dem neuen Kontext durchaus noch eine weitere Dimension bekamen. Und er hatte selbstverständlich auch tolles neues Material: Der Titelsong, in wenigen Zeilen eine amerikanische Odyssee über drei Genrationen, oder den astreinen Country-Rocker „Why You Been Gone So Long“. Heaven... mag mitunter kitschig klingen, aber Country hat immer einen Kitsch-Faktor, und die Songs hier sind erster Güte – Man kann das auch Musik von große emotionaler Tiefe nennen.

Tom T. Hall

The Rhymer and Other Five and Dimers

(Mercury, 1973)

Und nun zu den als weniger revolutionär geltenden Künstlern aus der Country Metropole: Da ist in diesem Jahr zum Beispiel Tom T. Hall. Der gilt nicht umsonst als einer der besten Songwriter des Country - er hatte immer eine gute Story zu bieten – Geschichten aus dem Leben der einfachen Leute – einfach und klug und oft ein bisschen im Geiste von Woody Guthrie erzählt, und er hatte nie Angst, Grenzen zu überschreiten. Robert Christgau nannte seine Songs im besten Falle Documentaries in Rhyme. Und dann machte er ein Album, das The Rhymer and Other Five and Dimers hieß, das somit nach dem Song von Billie Joe Shaver benannt war (Siehe weiter oben – 1973 war definitiv dessen Jahr), nach einem Song also, der ebenso erzählerisch ist wie die Eigenkompositionen von Hall. Er hatte auf seinem Album Storie-Songs wie das herzergreifende „I Flew Over Our House Last Night“, oder die Geschichte von seinem jüngeren Bruder, der im Winter '49 für Medizin und Kaffee in die Stadt geschickt wird. Da sind mit „Ravishing Ruby“ und „Spokane Motel Blues“, das seine Tourerlebnisse behandelt, zwei Hits aus den Country-Charts dabei und zwei Mal duettiert er aufs feinste mit der Ikone des jazzigen Country-Pop Patti Page. Und dass die musikalische Umsetzung dem hohen Standard der Nashville–Elite genügt versteht sich in diesem Falle von selber. Es war eben 1973 nicht alles schlecht, was mit dem Segen der Oligarchen aus der Country Metropole kam. So wie...

Dolly Parton

My Tennessee Mountain Home

(RCA, 1973)

Es ist das Thema, das Dolly Parton ihr Leben lang in verschiedensten Songs behandelte: Ihre arme, aber glückliche Kindheit in Tennessee. My Tennessee Mountain Home allerdings ist ein ganzes Konzeptalbum, das sich einzig mit diesem Thema befasst. Es beginnt etwas kitschig damit, dass sie den Brief vorliest, den sie ihren Eltern schrieb, nachdem sie nach Nashville gegangen war um in der Music Row zu reüssieren. Musikalisch war es den bisherigen Alben ähnlich, aber textlich war sie, da dieses Album so etwas wie eine Autobiographie darstellt, inspiriert und engagiert. Sie hätte gewiß auch noch einige ihrer früheren autobiographischen Songs dazupacken können – tatsächlich ist „In The Good Old Days (When Times Were Bad)“ einer davon – aber das restliche Material war neu, und von hoher Qualität, gekonnt begleitet von der Studio-Elite Nashvilles (u.a. Pete Drake an der Steel Gitarre) mit dem exzellenten Background-Gesang der Nashville Edition und natürlich mit Dolly's kristallklarer Stimme. Dem Album war nicht der kommerzielle Erfolg beschieden war, den es verdient hätte – vielleicht war es dem konservativen Country-Publikum zu rootsy, und ein weniger konservatives Publikum gab es für Musikerinnen wie Dolly Parton 1973 noch nicht. Es gilt auch nicht als ihr Bestes, aber es ist in meinen Ohren nah an dem Klassiker Coat of Many Colors von '71 dran. Der Titelsong wurde zum Theme-Song für den „Dollywood“-Freizeitpark und Maria Muldaur singt ihn auf ihrem Debutalbum. Und das Cover des Albums zeigt natürlich das Haus, in dem Dolly aufwuchs.

George Jones

Nothing Ever Hurt Me (Half As Bad As Losing You)

(Epic, 1973)

George Jones hat eine solche Unzahl von Alben aufgenommen, dass es mich mitunter regelrecht überrascht, wie viele davon bei genauem nachhören auch noch wirklich gut sind. Nothing Ever Hurt Me (Half As Bad As Losing You) war sein zweites Album für Epic in Zusammenarbeit mit Bill Sherrill, und dessen kommerzielle Herangehensweise und sein Erfindungsreichtum hinterließ Spuren. Sherrill hatte Jones nämlich nach einer kurzen Phase der Uneinigkeit zum Balladensänger gemacht, die harten Kanten des Honky Tonk abgeschliffen und neue Facetten aus seinem Gesang herausgearbeitet – was durchaus zu Jones' Vorteil war. Gleichzeitig allerdings wurden Jones' Alkoholprobleme immer größer – und ein Song wie „Wine (You Used Me Long Enough)“ von ihm zusammen mit Ehefrau Tammy Wynette geschrieben war durchaus von tragischer Aktualität. Zusätzlich verkam die Ehe der Beiden immer mehr zur Soap Opera, und doch ist es erstaunlich, wie wenig man Jones' sagenhafter Stimme all die Turbulenzen anmerkte. Letztlich ist das Album mit dem flotten Titelcut, mit Tom T. Hall's „Never Having You“, mit Lefty Frizzell's „Mom and Dad Waltz“ oder mit der Hitsingle „What's Your Mama's Name?“, die Sherrill im Jahr zuvor schon mit der 14-jährigen Tanya Tucker zum Hit gemacht hatte, mit fließenden Steel Gitarren und Jones großartigem Gesang durchaus eines seiner vielen Guten aus den beginnenden Siebzigern. Er war nun einmal einer der besten Sänger in der Country-Musik, und Nothing Ever Hurt Me (Half As Bad As Losing You) ist nur ein weiterer Beweis

Charlie Rich

Behind Closed Doors

(Epic, 1973)

Und noch einmal Billy Sherrill. Charlie Rich hatte schon auf seinen vorherigen Alben den Schritt Richtung Country-Pop gemacht, mit Behind Closed Doors produzierte Sherrill nun ein schwer orchstriertes, vollkommen auf den Pop-Markt ausgerichtetes Album, das sich kaum noch Country nennen konnte. Es spricht für Rich, dass er nicht in den Schichten aus Geigen und der gewaltigen Produktion ertrinkt, dass seine Stimme auf eine gewisse Art sogar gewinnt. Hier bekam sein Eklektizismus Klasse, das Album ist auf seine Art perfekt und es zählt nicht umsonst zu den Klassikern der amerikanischen Musik - zu den Alben, die wie Sinatra's oder Elvis' Klassiker - immer wieder neu aufgelegt werden. Und es machte somit auch den „Silver Fox“ endgültig zum Superstar. Große Songs, auch neben den Hits ("Behind Closed Doors," "The Most Beautiful Girl," "I Take It On Home") sind ein Grund, Arrangements die den schmalen Grat zwischen Schmalz und Pop schaffen ein weiterer. Behind Closed Doors wurde zur Schablone für Countrypolitan und zugleich zum Feindbild für Puristen. Aber eigentlich ist es ganz einfach nur ein großartiges Album mit Country-Pop... Und toller Backenbart übrigens...

Tanya Tucker

What's Your Mama's Name

(Columbia, 1973)

In der Country Musik gibt es eine seltsame und mir ziemlich fragwürdig erscheinende Art aus Kindern Stars zu machen. Ein andauernder Trend, der hier in Europa nicht unbedingt bekannt ist – zumal diese Kinderstars Songs interpretieren, die thematisch ob ihrer sexuellen Konnotationen auf jeden Fall eher zu erwachsenen Frauen passen würden. Als Tanya Tucker zum Beispiel auf „Horseshoe Bend“ über den Verlust ihrer Unschuld sang, war sie gerade mal 15 Jahre alt. Allerdings gibt es auf What's Your Mama's Name – ganz nebenbei schon Tanya Tuckers zweitem Album - auch Material, das wohl als eine Art Ausgleich dienen sollte. Songs wie „California Cotton Fields“ oder der „Teddy Bear Song“ sollten wohl so etwas wie eine zweifelhafte Balance schaffen. Wichtiger aber, und einer der Gründe, warum man ihre Musik hören kann und auch sollte – ist die Tatsache, dass Tucker bei all ihrer Jugend schon eine herausragende Sängerin war, dass Billy Sherrill, der einflussreiche Country Producer, hier noch recht nah am traditionellen Country produzierte und ihre Stimme klugerweise gänzlich unverstellt ließ, dass sie mit „Blood Red and Goin' Down“ - eine blutige Story darüber, dass ihr Vater seine Frau erschießt, als er von ihrer Untreue erfährt – einen weitere Hit hatte, der ebenfalls ziemlich toll war. Dazu kamen wieder einmal die großartigen Musiker Nashvilles und ein durchgehend großes Album, das schon den ersten Schritt Richtung Pop macht, aber noch Country genug ist um auch Puristen nicht zu verschrecken.


























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