Laut Buddhistischem Kalender das Jahr 2514. Die US-Truppen in Fernost greifen Kambodscha an, um die Vietnamesen von ihrem Nachschub abzuschneiden. In Deutschland gründet sich die Terrorgruppe Rote Armee Fraktion und in den USA werden bei Protesten gegen den Vietnamkrieg vier Studenten von Nationalgardisten erschossen. Willy Brandt's Kniefall vor dem Soldatenmahnmal in Warschau ist von großer symbolischer Bedeutung für den Entspannungsprozess zwischen Ost und West. Beide Machtblöcke versuchen so etwas wie ein friedliches Miteinander hinzukriegen. In Vancouver wird - u.a. von Joni Mitchell - ein Benefizkonzert für eine Anti-Atomtest Kampagne namens Greenpeace gespielt. Daraus entwickelt sich im kommenden Jahr die gleichnamige Organisation. Die 70er beginnen mit der Trennung der Beatles, nachdem diese ihr letztes Album veröffentlicht haben. Mit Jimi Hendrix und Janis Joplin sterben zwei der größten Kultfiguren der Rockmusik der 60er Jahre. John Frusciante und Zack De La Rocha werden geboren, in Düsseldorf gründet sich die Band Kraftwerk. Zunächst sind es aber noch die Helden der 60er die das musikalische Geschehen bestimmen. Neil Young arbeitet nun mit Macht an seiner Solo-Karriere, britischer Folk-Rock steht immer noch in seiner Blüte, Progressiver Rock mit ellenlangen Suiten und instrumentalen Meisterleistungen hat einige Höhepunkte, aber auch Proto-Punk von den Stooges oder MC 5 entsteht und Heavy Metal-Vorläufer wie Black Sabbath und Deep Purple starten durch. Soul gewinnt ein immer grösseres und weißeres Publikum, Jazz fusioniert mit Rockmusik, etliche bald etabierte Singer/Songwriter tauchen auf der Szene auf, und The Who veröffentlichen eines der besten Live Alben der Rockgeschichte. Viele Bands sind so produktiv, dass sie zwei Alben in diesem reichhaltigen Jahr veröffentlichen. Und keine Gnade vor meinen Ohren, dafür aber großen Erfolg in den Charts dieses Jahres finden etwa die Soft Rocker Bread, die Partridge Family, die Jackson Five, oder der Soundtrack zum Film Woodstock, der immerhin ganz ok ist.....
Neil Young
After The Goldrush
(Reprise,
1970)
Nach seinem zweiten sehr erfolgreichen Solo-Ausritt Everybody Knows This Is Nowhere hatte Neil Young sich kurzzeitig nochmals mit seinen seinen alten Laurel Canyon Kumpels Crosby, Stills und Nash zusammengetan und auf Deja Vu eine Rückbesinnung von Rrrrock auf Folk und Country angedeutet. Für sein drittes Solo-Album After The Gold Rush wollte er anscheinend noch tiefer nach diesen Wurzeln graben. Zwar holte er den Gitarristen Nils Lofgren von Grin zu den Aufnahmen - einen ausgewiesenen Rocker – aber er ließ ihn meist Klavier spielen und mit „Southern Man“ gibt es auch nur einen einzigen echten Rock Song. Der war als Attacke auf reaktionäre Rednecks gedacht und angetrieben von Neil Youngs energischem Gitarrenspiel eine Reprise zur vorherigen LP. Der Rest der Aufnahmen jedoch - wie zum Beipiel „Only Love Can Break Your Heart“ - ist Country-Folk, gerne mal mit düsteren Texten, aber dabei auch voller trotzigem Optimismus. Mit den für Young so typischen simplen Melodien, die dennoch immer so einzigartig sind, mit einem wundervollen Bläsersatz beim Titelsong, mit Dramatik bei „Don't Let it Bring You Down“, das schon mal im Voraus „Old Man“ vom kommenden Harvest zitiert. Dazu coverte Young erfolgreich den Country Klassiker „Oh Lonesom Me“ von Don Gibson und legte mit dieser LP einen weiteren Markstein zu seiner durchstartenden Solo-Karriere. Es ist eine seiner Wichtigsten, wenn auch noch nicht seine beste LP in den Siebzigern.
John Lennon/ Plastic Ono Band
s/t
Wenige LP's in der Rock-Geschichte sind so persönlich und so kompromisslos in der Offenlegung der Gefühle und Gedanken des Künstlers – und dadurch auch inhaltlich so schwierig, wie dieses Album. Dabei ist Plastic Ono Band mitnichten ungenießbar! Aber John Lennon hatte mit Yoko Ono zusammen vor den Aufnahmen eine Urschrei-Therapie bei seinem Arzt und „Guru“ Arthur Janov gemacht, und damit hatte ihn nun anscheinend das Bedürfnis überkommen, sich offen über all die Dinge zu äußern, die ihn belasteten: Als da wäre: Seine Ehe, der Tod seiner Mutter, seinen Ruhm, seine Fans, seine Idole und natürlich seine ehemalige Band. (Eine Offenlegung von Gefühlen, die - ganz nebenbei – doch sehr „70er“ ist) Und so kompromisslos und offen, wie er die Themen wählte, wählte er auch ohne jede Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf Stilistik oder Vergangenheit die musikalische Sprache, die ihm gerade dazu passend erschien: Harte Rock'n'Roller, spartanische Folksongs, sanfte Piano-Balladen, all diese Themen in Songs in denen er sich nur von seiner Frau, Klaus Voorman, Billy Preston und Ringo Starr am Schlagzeug begleiten ließ. Die Tatsache, dass Bombast-Produzent Phil Spector im Hintergrund wirkte, ist fast überhaupt nicht erkennbar. Wenige Musiker zuvor oder nachher haben in Songtiteln und -texten ihre Seele so offengelegt wie John Lennon es hier tat. Titel wie „Mother“, „Isolation“, „God“ oder „Working Class Hero“ waren Selbstentäußerung galore, aber eben auch Pop-Songs von großer Musikalität und Kraft. Es ist gerade die Diskrepanz zwischen den extrem persönlichen und schmerzhaften Themen und der Schönheit der Songs, die diese LP zu einer so einzigartigen Platte machen – einer Platte, die zwar seltsam naiv ist, die aber wegen der Klasse des Materials - gepaart mit ihrer Ehrlichkeit - zeitlos geblieben ist..... und jetzt – das Zwillingsalbum, das man weit weniger kennt, aber wegen des fast identischen Covermotives damals sicherlich des öfteren unfreiwillig gekauft haben wird. Man beachte also: Bei Yoko Ono/ Plastic Ono Band lehnt sich Lennon an den Baum, Yoko lehnt an ihn, der Baum ist besser zu sehen. Das dazu. Dass Yoko Ono der Grund für die Trennung der Beatles gewesen sein soll, ist die eine (inzwischen wenigstens ein bisschen revidierte) Meinung – die aber ihre musikalische Karriere in dieser oder jener Weise behindert haben mag. Dass diese japanische Experimental-Künstlerin sich an Lennon's Erfolg und Bekanntheit „angezeckt“ haben soll, ist die andere, noch dummere Behauptung unverbesserlicher (Beatles-) Nostalgiker. Dieses Album hat neben dem fast gleichen Cover auch fast das gleiche Personal, ABER - das Ergebnis ist typisch Ono. Zum Einen wurden die Songs teils schon vorher eingespielt, der Großteil der sechs langen Tracks aber dann bei den Sessions zu Lennon's Album fertiggestellt. Meist sind es minimalistische Improvisationen ohne Overdubs – Phil Spector spielte hier also keine Rolle, aber auch Yoko Ono befasste sich mit den Ergebnissen ihrer gemeinsamen Urschrei-Therapie und mit ihrem Leben mit Lennon. Und auch sie ist auf eine fast unangenehme Weise offen, wenn sie ewta bei „Greenfield Morning I Pushed an Empty Baby Carriage All Over the City“ zwei vorangegangene Fehlgeburten thematisiert. Aber Yoko Ono war natürlich im Gegensatz zu John Lennon nie Popmusikerin. Dieses Album hat weit mehr mit Noise, mit Kunst, mit Experiment zu tun als Lennons erstes Solowerk. Sie macht keine „Rockmusik“, sie benutzt hier nur zufällig das Instrumentarium, Ihr Gesang ist improvisiert, die Texte (oft nur ein Wort und Geräusche) sind es ebenso. Sie machte hier ein künstlerisches Statement – sicher auch als Ehefrau und gleichberechtigte Partnerin Lennon's – das vermutlich Leute wie Björk und Diamanda Galas beeinflusst bzw beeindruckt haben dürfte. Sie machte ein Album mit experimenteller Musik, das via geliehener Berühmtheit an viele Ohren kam, zunächst wohl nur wenig Anerkennung erhielt - aber auch heute noch abenteuerlich klingt.
Van Morrison
Moondance
(Warner
Bros., 1970)
Im Triumvirat Morrisons' bester LP's ist dies ... ich würde sagen... die Nummer Drei. Astral Weeks von 1969 war Meta-Musik, eher Expression als Blues, in Musik gefaßte Poesie, während meine persönlicher Favorit Veedon Fleece aus dem Jahre 1974 dann Introspektion und geistige Rückkehr nach Irland werden sollte. Moondance ist am ehesten das, was man als Blues- oder R&B-Album bezeichnen könnte, also in gewisser Weise die “normalste“ Platte unter diesen Dreien. Aber was heißt schon normal beim Van Morrison in den Siebzigern. Er hatte keinen „Hit“ auf diesem Album, jedoch endlich eine kommerziell erfolgreiche Top 30 LP mit einigen Live-Höhepunkten für die kommenden Jahre. Zu dieser Zeit lebte Van Morrison mit seiner Frau in der Nähe von Woodstock, und eine gewisse Leichtigkeit schien in seinem Leben eingekehrt zu sein – den Eindruck jedenfalls macht die Musik hier, obwohl Morrison laut Zeugenaussagen bei den Aufnahmesessions immer noch ein grantiger Perfektionist war – die „Expanded Edition“ dieses Klassikers beinhaltet etliche fast gleichwertige Versionen der einzelnen Songs, bei denen man sich fragt, was er da wohl wieder auszusetzen gehabt haben mag. Zumal er offenbar nicht sonderlich viele Songs zur Wahl gestellt hatte. Daher ist die unvermeidliche Expanded Edition der 2010er Jahre rausgeschmissenes Geld. Das Besondere an diesem Album sind die schwebenden, gleitenden Songs, denen man Van's nervenden Hang zum Perfektionismus nicht anhört, und der dadurch entstehende Flow eines Albums, auf dem er regelrecht munter klingt. Er hatte etwas Neues gewagt, hatte seine Songs gekürzt, und etablierte sich mit diesem Album als größter weißer Soul-Musiker. Ein Song wie „Into the Mystic“ - der Höhepunkt der Platte - ist pure Magie.
Nick Drake
Bryter Layter
(Island,
1970)
Wie alle drei von Nick Drake zu Lebzeiten aufgenommenen Alben verkaufte sich Bryter Layter zunächst so gut wie garnicht, aber wie seine beiden anderen Alben ist auch dieses inzwischen fester Bestandteil im Kanon der Klassiker des britischen Folk-Rock. Und Bryter Layter mag von machen als Drakes schwächstes Album eingeschätzt werden, aber erstens ist es MEIN Lieblingsalbum von Drake und dann: Was heißt das schon bei drei Meisterwerken. Es ist die LP, die am besten durcharrangiert ist, wieder unter der Ägide von Produzent Joe Boyd, wieder mit den fantastischen Streicherarrangements vom Schulfreund Robert Kirby, wieder mit einer Gruppe exzellenter Begleit-Musiker von Fairport Convetion und Pentangle. Es gibt im Gegensatz zum Debüt mehr Streicher, manchmal entsteht eine fast jazzige Atmosphäre, es ist ein Album, das mich in seiner Stimmung ein wenig an Van Morrison's Astral Weeks erinnert, aber Drake's Persönlichkeit ist natürlich weit introvertierter und seine Musik hermetischer. John Cale veredelt mit Piano und Celeste das wunderschöne „Northern Sky“, es gibt ein paar geschmackvoll eingestreute Instrumentals und der meiner Meinung nach beste Song ist „Hazy Jane II“ mit Richard Thompsons Gitarre. Das Album ist – um es einfach zu sagen - mit Recht ein Klassiker, der später hunderte von Musikern beeinflusst hat. Ich finde Drake's Art Songs zu schreiben bei Belle and Sebastian genauso wieder wie bei manchen Folkies der 00er Jahre. Ganz Nebenbei: Das wunderbare Cover wurde später von der japanischen Drone-Band Boris zitiert
Miles Davis
Bitches Brew
(Columbia,
1970)
Miles Davis
Miles Davis at Fillmore
(Columbia,
1970=
Bitches Brew ist das Album, mit dem Miles Davis zum Einen seine Stellung als wichtigster Musiker des Jazz wiedergewann bzw ein weiteres mal etablierte -und es ist eines das Album, durch das ihn ein ganz neues Publikum fand (... und nach dem manche Puristen sich natürlich angewidert abwandten - aber das ist dann auch besser so). Mit einer Mischung aus freiem Jazz, Rockimprovisationen und seinem eigenen, in den Jahren zuvor entwickelten Sound begründete er ein eigenes Genre, den Jazz-Rock bzw. Fusion, wobei – wenn man es genauer anhört - keine der Platten, aus den folgenden Jahren sich dort einordnet oder wie Bitches Brew klingt. Teilweise mit drei Schlagzeugern, zwei Bassisten und drei Keyboardern sowie mit dem Sopransaxofon von Wayne Shorter und der virtuosen Gitarre des jungen John McLaughlin schuf er einen symphonischen Sound, über dem sein gedämpfter Trompetenton schwebte, wie Wolken über einem Hurricane. Zusätzlich nutzten Miles und Produzent Teo Macero das Studio auf radikal neue Art: Beim Titeltrack und beim Eröffnungsstück „Pharaoh's Dance“ kamen innovative Sound- und Echo-Effekte, Tape Loops und Delays zum Einsatz, auch dass Davis die Band auf Zuruf improvisieren liess, kann man insbesondere bei ruhigeren Passagen hören, wenn er Ansagen macht, oder den Rhythmus mit Fingeschnipsen vorgibt. Die improvisierten Tracks wurden so in Teilen aufgenommen und erst am Ende zusammengesetzt. Davis wollte die sessionartige Atmosphäre von Hendrix' Electric Ladyland nachempfinden, auf ein anderes Niveau heben, und damit etwas Eigenes und Neues schaffen. Und das gelang ihm mit Bitches Brew auf sensationelle Weise. Die Doppel-LP wurde extrem erfolg- und einflußreich, und Miles Davis sollte für die kommenden Jahre einer der wichtigste Grenzgänger zwischen Jazz und Rock bleiben – mit etlichen hervorragenden Alben. Und man muss das Album als Doppel-LP haben, denn das Coverdesign des Albums von Mati Klarwein funktioniert nur in dieser Größe und es ist eines der ikonografischsten der Siebziger. Der gestaltete danach u.a. Cover für Carlos Santana... Dass die Arbeiten zu Bitches Brew sich bei den folgenden Live-Auftritten niederschlagen würden, war klar. Aus den folgenden Konzerten wurden tatsächlich fünf Live-Alben destilliert – wie bei den Aufnahmen zum Klassiker mit massivem Editing zusammengestellt (...siehe oben...). Und sie alle sind hörenswert: Live-Evil, In Concert: Live at Philharmonic Hall, Dark Magus, und Black Beauty: Live at the Fillmore West sind (für mich) im Grunde Erweiterungen des Materials aus den Sessions zu Bitches Brew (und In a Silent Way). Live wird im Jazz schließlich improvisiert. Ted Macero setzte das Material im Studio einfach neu zusammen. Bei den an vier Tagen aufeinander folgenden Konzerten zu ...at Fillmore waren mit Chick Corea und Keith Jarrett zwei Keyboarder an Bord, der für Bitches Brew so essentielle Gitarrist war aber nicht dabei, Steve Grossman ersetzte Wayne Shorter am Saxophon, Dave Holland und Jack DeJohnette legten mit Percussionisten Airto Moreira ein polyrhythmisches Fundament unter teils abgefahrene Improvisationen. Insbesondere Chick Corea würde nie mehr so durchdrehen, man unterstellt Davis und Kollegen bei ...At Fillmore gerne den Einfluss der Musik von Stockhausen – mag sein, dass vor Allem beim Editing der abstraktere Teil der Mitschnitte so zusammengesetzt wurde. Letztlich ist das Ergebnis eine kaum wiedererkennbare und mitunter schwer verdauliche Improvisation zum Studiomaterial jener Tage. Angenehmer“ soll Dark Magus sein - Aber so soll Jazz doch sein: herausfordernd..
The Stooges
Fun House
(Elektra,
1970)
Das Debüt der Stooges war noch von John Cale produziert worden, der zwar die Haltung der Stooges zur Rockmusik teilen mochte, ihnen aber einen etwas zu laschen Sound hatte angedeihen lassen. Bei Fun House war der ehemalige Keyboarder der Kingsmen (die mit dem Garagenklassiker „Louie Louie“) als Produzent engagiert worden, und er tat genau das Richtige: Er ließ die Stooges so weit wie möglich live im Studio spielen. Die Band stürzte in dieser Zeit immer tiefer in einen Nebel aus Sex, Drugs and Rock'n'Roll, zwischen den Aufnahmen wurden exzessive Partys gefeiert - der Intensitäte der Songs tat das freilich keinen Abbruch. Gitarrist Ron Asheton haute minimalistische Gitarrenchords heraus und fundamentierte seinen späteren Ruf als Held aller Proto-Punk-Gitarristen. Die Rhythmussektion spielte kraftvoll und primitiv, der spätere Roxy Music Saxophonist Steve Mackay, der im Nebenstudio mit seiner Band arbeitete, verströmte Noise und Iggy Pop schrie wie ein gefangenes Tier. Songs wie „TV Eye“ oder der apokalyptische „L.A. Blues“ jedenfalls sind pure Energie. Hiernach versank die Band zwar erst einmal komplett im Drogensumpf, kehrte aber drei Jahre später in veränderter Form in apokalyptischer Raserei zurück. Fun House wurde - mehr noch als die beiden anderen Alben der Stooges – Vorbild für etliche Bands der Punk-Revolte. Ohne dieses Album, das überigens logischerweise von desillusionierten Hippies vehement abgelehnt wurde, hätte es Jahre später Bands wie die Voidoids oder Black Flag etc. nicht gegeben.
MC 5
Back In The USA
(Atlantic,
1970)
Vorbilder des Punk, die Zweite:
Nach Kick Out the Jams war Back in the USA eine ziemliche Überraschung (und für Manche auch eine Enttäuschung...). Die Motor City 5 hatten auf dem Debüt die politische Agression der White Panther Bewegung mit dem Free-Form Spirit von Sun Ra und anderen Jazz Experimentalisten und mit gutem altem Detroit Thunder vereint, waren dann u.a. wegen Drogenbesitz von ihrem Label gedroppt worden und bei Atlantic gelandet. Und nun, auf ihrem Studio Debüt, wurden Lärm und Chaos komplett eingedampft. MC5 zeigten ihre „Roots“ als Garagen Band und spielte in gerade mal 28 Minuten ein paar Tunes ein, die bis auf die Knochen reduziert waren. Little Richards “Tutti Frutti“ als Opener und Chuck Berry's „Back in the USA“ als letzter Song setzten die Duftmarken. „High School“ klang wie Wilson Pickett mit härteren Gitarren. Produzent Jon Landau - genau derjenige, der später Bruce Springsteen entdecken sollte - mag ihre Abenteuerlust nicht sonderlich gefordert haben, aber er und die Band erschufen (unfreiwillig) eine Blaupause für das, was fünf Jahre später unzählige Punk-Bands weiterdachten. Rockmusik die so reduziert ist, dass man sie Proto-Punk nennt.
The Velvet Underground
Loaded
(Cotillon,
1970)
Und nach den Vorbildern des Punk kommen wir zu den Vorbildern des Post-Punk: Velvet Underground waren 1970 nur noch ein Gerippe, aber die Musik auf Loaded,, ihrem vierten Album, ist immer noch visionär und überraschend. Einziger Schwachpunkt sind die Vocals von Doug Yule. Lou Reed verließ die Band, bevor die Sessions beendet waren, und Yule mußte ein paar übrig gebliebene Lyrics einsingen. Anscheinend war Reed so vom Musik-Business angewidert, dass er einfach keine Lust mehr hatte, die Songs komplett fertig zu stellen, vielleicht hatte er auch den mangelnden Erfolg „seiner“ Band satt, zumal dem zuvor aufgenommenem Material die Veröffentlichung verweigert worden war (…das kam erst '85 als VU ans Tageslicht) - aus welchem Grund auch immer – das Fehlen seiner weltmüden Stimme bei großen Songs wie „Who Loves the Sun“ und „New Age“ ist bedauerlich, gegen ihn klingt Yule's little-boy-lost-Stimme schwach - aber jammern ist sinnlos, und man kann es auch so sehen, dass gerade diese weniger individuelle Stimme den Songs einen neuen Reiz verleiht. Zumal Loaded immerhin solch allmächtige Hymnen wie „Sweet Jane“, „Rock and Roll“, „Head Held High“ und besonders „Oh! Sweet Nuthin'“ hat. Die Ausführung dieser Songs mag konventioneller sein als auf den vorherigen Alben (Mo Tucker's schlichtes Pulsieren vermisse ich besonders), aber die Subversivität von Velvet Underground läßt sich auch unter dem Deckmantel der Konvention nicht verbergen. Man bedenke: Der Niedergang der Ideale der Sixties hing wie eine Wolke über der Gesellschaft, und Velvet Underground machten ihr fröhlichstes Album: Rosa Wolken aus dem Untergrund eben. Wenn das nicht subversiv ist...
Nico
Desertshore
(Reprise,
1970)
Auf dem 69'er Album The Marble Index hatte die ehemalige Velvet Underground Chanteuse Nico schon einen recht kargen Musikstil „etabliert“ – und dann kam ihr nächstes Album Desertshore - und klang noch seltsamer und leerer. Allein Nico's Gesang war befremdlich – dunkel, bewusst emotionslos, abgehackt – und durch den unverstellten deutschen Akzent klang alles, was sie sang noch fremder - aber genau das ist das Geheimnis ihrer Musik. Ihr Produzent und Ex-Velvet Underground Kreativ-Kopf und John Cale jedenfalls wußte, wie Nico's Musik zu arrangieren war. Es gibt deutsche Texte auf diesem Album: „Mütterlein“ hat dunklen Begräbnischarakter - ein anderer gespenstischer Song ist „Afraid“ mit den zum Ex-Model passenden Textzeilen „you are beautiful and you are alone“. Tatsache ist: Jeder der Songs hier vermag alleine zu bestehen, hier ist nichts radiotauglich oder „catchy“, aber das soll und kann auch nicht zu Nico passen. Finstere Texte und eine morbide Atmosphäre fordern den Hörer, die sparsame Instrumentierung betont die Kargheit des Materials. Desertshore nahm so einerseits vieles vorweg, blieb zugleich jedoch vor Allem aufgrund des singulärenStils und Charakters der Person Nico einzigartig.
John Cale
Vintage Violence
(Columbia,
1970)
Vielleicht gerade weil es kein ambitioniertes und experimetelles Album ist, ist Vintage Violence – John Cales' Debüt nach seinem Ausscheiden bei Velvet Underground - ein zumindest ungewöhnliches Album. Ein Pop-Album von einem Künstler, dessen Radikalität in den kommenden Jahren zu seinem Markenzeichen werden sollte, war auch 1970 nicht das, was man erwartet hatte. Auf einmal bot der Radikale radiofreundliche Arrangements, die Songs schienen schnell und mühelos geschrieben worden zu sein, erinnerten manche an 60er Pop-Acts wie die Hollies oder die Beach Boys und an den Americana-Sound von The Band. Aber ganz verwunderlich war zumindest dieser Sound nicht - wurde Cale doch von Garland Jeffreys Grinder's Switch begleitet, einer Band, deren Haupteinfluss eben Dylan's Begleit-Band war. Cales Akzent und Gesang lässt natürlich immer noch Alles etwas „Anders“ klingen, aber Vintage Violence war – trotz oder auch wegen seines Titels -ein eindeutiger und durchaus sympathischer Versuch, kommerziell erfolgreich zu werden. Songs wie „Gideon's Bible“, das mit seiner sonnendurchfluteten Melodie auch auf Paris 1919 gepasst hätte, die Ballade „Amsterdam“ oder „Big White Cloud“ sind in Cale's Kanon eigentlich gut aufgehoben. Aber Mr. Cale distanzierte sich später von diesem Album – ihm war es wohl tatsächlich zu wenig radikal – was man letztlich auch durchaus nachvollziehen kann.
Curtis Mayfield
Curtis
(Curtom,
1970)
Hier nun das Album, das als perfektes Beispiel für den Paradigmenwechsel im Soul steht – eingesungen von einem Sänger, dessen Stimme sich in ihrer Ausdrucks-Stärke mit der Van Morrison's durchaus messen kann. Curtis Mayfield hatte den Autoren-Soul Jahre zuvor begründet, als er für sich und seine Band – Die Impressions – schon vor seinem Solo Debüt die Songs selber schrieb und ab 1968 bei der eigenen Plattenfirma Curtom veröffentlichte – Songs die eben nicht mehr nur die altbekannten „Mann liebt Frau-Thematik“ auf diese oder jene Weise abhandelten, sondern sich explizit mit den Rechten und Pflichten seiner schwarzen Brüder und Schwestern befassten. Als der Vorsänger der Bürgerrechtsbewegung einmal auf seine Verdienste zurückblickte, rührte ihn der Gedanke an die 60er zu Tränen: „...weil wir Soulmusiker die Welt veränderten und Grenzen überwanden. Dabei gewesen zu sein ist mehr als man verlangen kann.“ Dass er neben dem durchaus berechtigten Stolz auf seine gesellschaftliche Leistung mit Curtis auch einen musikalischen Meilenstein lieferte, an dem sich etliche Nachfolger orientieren sollten, ließ er bei dieser Aussage bescheiden aussen vor. Auf diesem Album verließ er endgültig die reine Lehre des Soul und Pop und weitete seine stilistische Bandbreite mit Psychedelic und Funk aus – und blieb dabei so kommerziell wie nötig. Dass er mit seinem souligen Falsett ein großartiger Sänger war, macht nur einen Teil der Klkasse von Curtis aus. Hauptargument für die Aussage, dass es das Sgt. Pepper ... des Soul ist, sind Songs wie „Move on Up“ - mit perkussivem Feuerwerk, melodische brilliant und politisch eindeutig, oder die Hitsingle „(Don't Worry) If There's a Hell Below We're All Going to Go“, oder „We the People Who Are Darker Than Blue“ mit Harfen und Orchester.... Man muß dieses Album hören, um die Geschichte des Soul nach den Sechzigern zu verstehen.
Amon Düül II
Yeti
(Liberty,
1970)
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