Montag, 27. Juni 2016

1976 – Mao gestorben, Apple geboren und Giftunfall in Seveso – Ramones bis Upsetters

In China stirbt der Mao Zedong, der kommunistische Alleinherrscher, in den USA wird der Demokrat Jimmy Carter zum Präsidenten gewählt, und die Todesstrafe wird wieder eingeführt – sie war 1972 kurz abgeschafft worden. Die Firma Apple wird von den jungen Computerfreaks Steve Jobs und Steve Wozniak gegründet. In Argentinien wird die Präsidentin und Marionette der bis dahin regierenden Peronisten Isabel Peron vom Militär abgesetzt. Zunächst ist das Volk begeistert, aber in der Folge verschwinden tausende von Linken und Intelektuellen in Folterzellen und die Militär-Junta führt bis 1983 ein grausames Regime. Im italienischen Seveso kommt es zu einem Dioxin-Giftunfall, in dessen Folge hunderte Menschen sterben. England und Island führen einen regelrechten Krieg um Fischereirechte. Der Bluesmusiker Howlin' Wolf stirbt. Die Punk-Revolution des kommenden Jahres kündigt sich an – insbesondere in New York sorgen Bands aus dem Dunstkreis des CBGB's (Country, Bluegrass and Blues Club !) wie die Ramones oder Blondie für Aufregung. In England ist es der Pubrock (siehe Graham Parker...), der den Punk vorwegnimmt – ganz abgesehen davon, dass Bands wie die Buzzcocks und die Sex Pistols ihre ersten Singles veröffentlichen – das eigentliche Medium, in dem Punk funktioniert – und mit ihren randalösen Auftritten etliche junge Zuschauer dazu bringen, selber Bands zu gründen und Musik zu machen. Es ist ein weiteres tolles Jahr für Liebhaber des Reggae, während progressiver Rock verwelkt und Dinosaurier wie die Rolling Stones oder Led Zeppelin schwächeln. David Bowie lässt sich von Drogen und elektronischer Musik beeinflussen und ist auf dem Sprung nach Berlin. Im „Mainstream“ haben ABBA derweil ihre ersten großen Hits, ein mittelmäßiger Gitarrist namens Peter Frampton macht ein ungeheuer erfolgreiches Live-Album – und ich frage mich nur, was Millionen Menschen daran finden und musikalisch inzwischen deutlich als erzkonservativ erkennbare Bands und Musiker wie Bob Seger, Kansas, Chicago oder der dem JetSet verfallene Rod Stewart regieren die Charts genau wie die etwas interessanteren Boston und Eagles. Seltsame Zeiten.

 

Ramones

s/t


(Sire, 1976)



Hier beginnt es also mit den Ramones. Müde vom immer gleichen Radioprogramm in den USA, angewidert von schaler Disco-Musik und Langweilern wie Styx und Kansas gründeten vier Jungs in New York eine Band in der Absicht, zu den einfacheren Pop & Rock Regularien der 60er zurückzukehren. Musik zu machen, die schnell und ohne Prätention zur Sache kommt. Dee Dee Ramone war zunächst Sänger der Band, konnte aber nicht zugleich den Bass bedienen, also griff Joey, der sowieso nicht der weltbeste Drummer war, zum Mikro. Daher mußte für die nächsten Alben Manger Tommy die Sticks übernbehmen, ehe Marky (auch bekannt als Marc Bell) Richard Hell & the Voidoids verließ und sich auf den Drumstuhl setzen sollte - aber all der Drehungen des Bestzungskarussells mal unbenommen - die Musik der Ramones war von Beginn an klar definiert. Mit Johnny's Kreissägen-Gitarrensound und seinen simplen, harten Riffs ist Ramones sofort immens memorabel, so wie beim Opener „Blitzkrieg Bop“, einem Song, den vermutlich jeder irgendwann mal gehört hat. Da sind die Songs mit Lyrics ausgestattet, die Gewalt wie im Cartoon darstellt wie „Beat on the Brat“. Da ist der Tongue-in-Cheek Humor von „Now I Wanna Sniff Some Glue“ („...all the kids want something to do!“). Die Band neigt mitunter zu Monkee-artiger Albernheit – aber sie haben zumindest diesen Humor, ganz anders als viele der krampfhaft ernsthaft bis zynischen Punk Bands ihrer Generation. Sie werden romatisch bei „I Wanna Be Your Boyfriend“, brechen gar in Tränen aus bei „Listen to My Heart.“. „53rd & 3rd“ wiederum – von Dee Dee geschrieben – behandelt eine berüchtigten Schwulenstrich in New York City. Alles in Allem ist es ein variables Album, das in einer knappen halben Stunde nie zu ernst wird, nie seinen Punch verliert und viel Spaß bereitet - und vor Allem: Es ist ein Klassiker, der in den Alternative/ Indie/ Punkszenen der kommenden Jahre so gut wie jeden irgendwie beeinflusst hat. Und Ramones ist erst der Beginn einer Quadriga von essentiellen Pop-Punk Alben

 Ramones - Now I Wanna Sniff Some Glue

David Bowie

Station To Station


(RCA, 1976)




 

David Bowie war endlich in den USA angekommen. Mit dem Vorgängeralbum Young Americans (das ich wenig interessant finde...) und der Single „Fame“ hatte er den US-Markt geknackt, er hatte im Film "The Man Who Fell to Earth“ mitgespielt, er hatte sich eine massive Kokainsucht angeschafft – und war nun anscheinend nicht mehr zufrieden mit diesen "Errungenschaften". Zumindest konnte er jetzt machen, was er wollte – so beschloss er, seiner im Film entstandenen Kunstfigur – dem „Thin White Duke“ Leben einzuhauchen – einer emotionslosen, klinisch reinen Maske, die wenig mit den Glam-Kreaturen seiner vorherigen Häutungen gemein hatte. Aber – so interessant Bowie's Verkleidungen sind - die Musik ist mir immer wichtiger gewesen, und Station to Station gehört definitiv zu seinen besseren Alben – zu denen, die man auch ohne Image lieben kann, bietet es doch, obwohl in LA entstanden, einen deutlichen Ausblick auf die kommende Berlin-Trilogie mit den Alben Low, Heroes und Lodger, ja es passt sogar besser in die Trilogie als Letzteres. Das fängt schon mit dem Synthesizer- Zug-geräuschen beim 10-minütigen Titeltrack an, der körperlosen Stimme, die das Kommen des „Thin White Duke“ verkündet, dann verwandelt sich der Song via Monster Chords und Wiederholung in ein Stück Power-Rock, bei dem er fragt „And who will connect me with love?“ und „Does my face show some kind of woe?“- Bowie ist Schauspieler – den Rocker kann er also auch geben. „TVC 15“ erinnert wieder an die Zeiten, als Bowie uns Songs wie „Suffragette City“ gab – und zu dieser Zeit hatte Bowie noch etliche andere Facetten vorzuzeigen, trotz seiner Drogensucht (die ihn dann auch bewog nach Berlin zu gehen) trotz der Tatsache, dass er diese Phase als die Schlimmste seines Lebens bezeichnen würde. Man kann beklagen, dass die leidenschaftliche Überzeugung seiner früheren Arbeit verloren ist, das Album ist gewiss nicht sein „Bestes“, aber man kann Station to Station auch - unter anderem wegen dieser Kühle - als eines der ersten New Wave Alben bezeichnen. 

David bowie - TVC15 

 

The Modern Lovers

s/t


(Beserkley, Rel. 1976)




Jonathan Richman &

The Modern Lovers


(Beserkley, 1976)


 

So geht das oft genug bei Bands, die irgendwann später einflussreich genannt werden: Jeder kennt ihre Platten, jeder behauptet von Anfang an Fan gewesen zu sein, aber irgendwie hat keiner ihre Platten gekauft. Keiner war da, als zum Beispiel Jonathan Richman, Jerry Harrison (- der spätere Gitarrist der Talking Heads), Ernie Brooks und David Robinson im Herbst 1971 in der Gegend um Boston umherzogen und ihre impertinent simplen Songs spielten. Richman war einer der wenigen echten Velvet Underground Fans (d.i. - tatsächlich von 67 an...), er ging sogar soweit, nach New York zu reisen und auf dem Sofa ihres Managers zu nächtigte, um die bewunderten Musiker kennenzulernen. 1972 produzierte John Cale dann wirklich ein Demo für seine Band Modern Lovers, die Silvester '72 mit Suicide, Wayne County und den New York Dolls im Mercer Arts Center den Urkeim des New Yorker Art-Punk setzten. Nachdem sein anderes Idol, der Country-Erneuerer Gram Parsons (ja, den kannte er auch, der war sein Freund...) starb, nach diversen Streitereien mit den anderen Bandmitgliedern und nachdem er mit den Aufnahmen zum Debut einfach nicht zufrieden war,brach Richman die Aufnahmen ab, löste die Band auf und wurde ein andere Mensch. Seine alten Songs „Roadrunner“ und Pablo Picasso“ wollte er nicht mehr so aggressiv spielen und das Album, das dann erst 1976 - also drei Jahre später gegen seinen Willen - erschien, war eigentlich nur eine Sammlung von Demos - die ganze Generationen von Indie Musikern prägen sollte. Richman selber gründete eine andere, neue Inkarnation seiner Modern Lovers mit denen nun seine aktuelle Musik spielte. Der Unterschied ? Der Sound ist nun näher am Bubblegum-Pop, das zweite Album klingt „softer“: War The Modern Lovers Proto Punk-Rock, so ist Jonathen Richman & the Modern Lovers Proto Pop-Punk. Richman spielt nun häufiger akustische Gitarre, die Themen der Songs sind nach wie vor absurd und kindisch, beide Alben klingen auf sympathische Weise naiv und „unprofessionell“ - was ja schon eine Kunst für sich ist. Der Einfluss von Velvet Underground? Jonathan Richman liebt wie Lou Reed Doo Wop und frühen Rock'n'Roll, auch er kann simple Melodien – siehe das berühmte „Roadrunner“ oder „Pablo Picasso“ vom ersten Album, siehe „Hi Dear“ oder „Here Come the Martian Martians“ vom zweiten Album. Aber wo Velvet Underground urban, illusionslos und gefährlich sind, da sind die Modern Lovers ländlich, blauäugig und nett. Und man nimmt Richman seine Freundlichkeit, seine Seltsamkeit und sein Verliebtsein in die Mädchen und das Leben völlig ab. Beide Alben haben einen eigenartigen Charme, das erste ist düsterer, soweit man das bei Jonathan Richman sagen kann, klingt getriebener und drogeninduziert, das zweite ist absurder und zugleich „cleaner“. Beide sind eine Klasse für sich, beide sind klassisch.

The Modern Lovers - Pablo Picasso 

 Jonathan Richman & The Modern Lovers - Here Come The Martian Martians

 

Cluster

Sowieso


(Sky, 1976)



Krautrock“ - vor Allem mit der Betonung auf „Rock“ - mag sich ja nach Mitte der Siebziger totlaufen, aber Cluster haben nie Rock gemacht, waren immer Ausserhalb – irgendwo da, wo sie sich dann mit dem Ambient-Erfinder Brian Eno getroffen haben – um mit ihm gemeinsam als Harmonia oder in anderen Konstellationen Musik zu erfinden. Das vierte Album der beiden Musiker Moebius und Roedelius kam ohne den Briten aus, die beiden deutschen Avantgardisten nahmen Sowieso an nur zwei Tagen in ihrem Studio im ländlichen Forst auf, aber der Einfluss Eno's auf ihre Musik ist deutlich genug herauszuhören. Man könnte Sowieso als ihre Version von Eno's Another Green World bezeichnen – wobei – um der Gerechtigkeit genüge zu tun - der Einfluss von Cluster auf Eno ist umgekehrt mindestens genauso groß gewesen... was Eno immer auch bestätigte. Sowieso ist ruhiger als der exzellente Vorgänger Zuckerzeit, Cluster arbeiten mit Drones, manchmal mit den bekannten pulsierenden Rhythmen, bleiben mitunter völlig ohne Rhythmus, der Opener und Titeltrack führt den Hörer sozusagen am frühen Morgen in den Wald, und das letzte Stück - „In Ewigkeit“ - führt in der späten Nacht wieder heraus. Naturassoziationen, die geplant und gewollt sind. Moebius und Roedelius Aufenthalt im kleinen Forst im Weserbergland wird (nicht nur da) seine Spuren hinterlassen haben. Dies ist ambiente Elektronik mit den Mitteln der Mitt-Siebziger im Einklang mit der Natur. Nur bitte nicht mit simpler Entspannungsmusik für Wellness-Oasen verwechseln. Dazu passiert zu viel im echten Wald. Die vier Cluster-Alben gehören zum Besten, was Deutschland musikalisch hervorgebracht hat 

Cluster - In Ewigkeit 

Stevie Wonder

Songs In The Key Of Life


(Motown, 1976



 

Wie sehr eine spätere, kommerziell erfolgreiche Karriere im Pop Business die Wahrnehmung auf einen Musiker doch verzerren kann. Heute kennt man Stevie Wonder als den blinden Klavierspieler mit den bunten Rasta-Löckchen und der hohen Stimme, der mit McCartney „Ebony & Ivory“ intonierte, der schmalzte „I Just Called to Say I Love You“ - aber in den frühen und mittleren Siebzigern war er DER Soul-Musiker – innovativ, inspiriert und politisch – und er konnte Alles: Pop, R&B, Soul, Jazz. Die drei (!!) formidablen Vorgängeralben hatten auf Songs in the Key of Life vorbereitet, hatten ihn an der Spitze des modernen Soul – vielleicht sogar knapp vor Marvin Gaye positioniert (dessen Stimme ich persönlich lieber mag). Songs in the Key of Life war nun Zurschaustellung all seiner Fähigkeiten – sein Hauptwerk – was man seinerzeit natürlich noch nicht wusste. Eine dreifach LP, mühelos gefüllt mit Hits, Spielereien, Experimenten, quer durch alle Gattungen, ohne beliebig zu werden, immer zusammengehalten von Wonder's Stimme, seinem Keyboard- und Harmonika-Spiel. Ein Album, das zeigt, wie R&B/Soul in den kommenden Jahren sein könnte – wenn er gelingt (aber etwas vergleichbares gelang dann kaum noch... und der Eklektizismus ist es auch, den man dem Album vorwerfen kann, wenn man will...) Da sind die Drei-Minuten Stücke: „Isn't She Lovely, bei dem Wonder die pure Existenz seiner 3-jährigen Tochter feiert, mit einem phänomenalen Harmonika-Solo, da ist „Sir Duke“, auf dem er seine musikalischen Vorbilder - u.a. den titelgebenden "Duke" Ellington - abfeiert und zu ihnen auf dieselbe Stufe steigt, da ist der superbe Funk vom klar politisch positionierten „Black Man“, da ist „Another Star" mit Killer Soli und einem hypercatchy "na na na ...." Refrain, oder - wenn du willst: Da ist die Jazz-Rock Fusion von „Contusion“ und das beste Stück des Albums (für mich – ebenfalls eine der Radio-Singles) - „As“ mit Wonders kraftvollem Gesang, mit einem Fight zwischen rasanten Drums, akustischen Gitarre und Herbie Hancocks Keyboards. Über das ganze Album mit allen Facetten immer der Bass von Nathan West, flink, kraftvoll, völlig rhythmisch. Ganz einfach – Songs in the Key of Live ist ein korrekter Titel, denn es ist Stevie Wonders bestes Album und eines DER Soul-Alben der Siebziger. 

Stevie Wonder - As 

 

Tom Waitts

Small Change


(Asylum, 1976)



 

Erstmal: Als dieses, Tom Waits drittes Studioalbum erschien, war der gerade mal 27 Jahre alt – und dann hört man diese raue, verbrauchte, alte Stimme, dann hört man diese Songs, die ein desillusionierter Mitt-Fünfziger zu intonieren scheint ? Jedenfalls hatte Waits zu dieser Zeit ein massives Alkohol-Problem, fühlte sich auch künstlerisch Missverstanden und konnte mit aufkommendem Punk genausoweing anfangen wie mit der etablierten Rock-Szene. Er saß zwischen den Stühlen, und fühlte sich dort noch nicht einmal wirklich wohl. Bei einem Europabesuch hatte er immerhin einen kräftigen Kreativitätsschub und schrieb innnerhalb weniger Tage die elf Songs von Small Change, seinem kommerziellen Durchbruch. Das Setting ist jazzig, klingt nach verrrauchter Bar zwischen 2.00 und 5.00 Uhr morgens, er hatte Musiker um sich, die ihm gefielen, ging immer mehr in seiner Rolle als 50er Beatnik auf, legte sich nun auf diesen verrauchten Louis Armstrong-Gesangsstil fest – und hatte vor Allem die Songs und Stories, die das Album so überzeugend machen. Mir persönlich gefällt aus dieser Phase seiner Karriere das Debut Closing Time von 1972 besser, aber hier gibt es immerhin den „Tom Taubert's Blues – der 1:1 die inoffizielle australischen Nationalhymne „Waltzing Mathilda“ zitiert, hier sind Pianoballaden wie „I Wish I Was in New Orleans (In the Ninth Ward)“ incl. Streicherbegleitung, oder das berühmte „The Piano has Been Drinking“ nur mit Piano und Gesang. Die Atmosphäre von Bars und All-Night Diners zu erzeugen – und mit Songs wie dem wunderbar betitelten „Bad Liver and a Broken Heart“ zu untermalen, die dann auch noch wirklich tiefgründig, klug und so schön sind, ist eine Kunst, die Tom Waits über die kommenden Jahre verfeinern und verändern würde – bis er zur Ikone wurde. Small Change mag nicht Tom Waits bestes Album sein – aber das gilt nur, weil er noch bessere machen sollte. 

Tom Waits - Bad Liver And A Broken Heart 

 

Flamin' Groovies

Shake Some Action


(Sire, 1976)



 

Eines der besten 60ies Alben, das aber aus den 70ern stammt: Ganze fünf Jahre liegen zwischen dem epochalen, aber leider obskur gebliebenen Teenage Head und der Rückkehr der Flamin' Groovies mit Shake Some Action. Sie hatten ihren Plattenvertrag bei Buddah verloren, Sänger Roy Loney hatte die Band verlassen und Cyril Jordan die uneingeschränkte Herrschaft übergeben, sie hatten eine (relativ erfolgreiche) Zeit in Europa gehabt und insbesondere in England eine Menge Fans mit ihren energetischen Live-Auftritten gewonnen. Das Ergebnis dieser Zeit war ein deutlich vom britischen 60ies-Rock beeinflusster Sound – nicht mehr so zügellos wie auf den Vorgängern Teenage Head und Flamingo, nicht mehr so sehr von Rockabilly und Blues beeinflusst, sondern vielmehr dem Fieber der „British Invasion“ und der Mod-Szene verpflichtet. Nicht von ungefähr war es nun auch Dave Edmunds, der sie produzierte. Und natürlich konnten sie noch immer Songs schreiben, die sich mit den besten ihrer Zeit messen konnten – die sie mit dem Titelsong „Shake Some Action“ auch überflügelten. Das war der Sound der Beatles und der Stones ca. 66 – mit der erforderlichen Prise Punk. Natürlich gab es auch wieder einige wohlgesetzte Coverversionen – Chuck Berry's „St. Louis Blues“ etwa – durch die britische Brille gesehen und zum eigenen Song gemacht, eigene brilliante Interpretationen der Musik aus den glorreichen Tagen des britischen Rock wie "Please Please Girl," "I Can't Hide," and "Let the Boy Rock and Roll“. Es ist Musik, die mit dem Rock der Prä-Hippie Ära in England genausoviel zu tun hat, wie mit den immer stärker werdenden Bands des aufkommenden Punk. Nicht umsonst gingen sie dann in Great Britain mit den Ramones auf Tour. Die Tatsache, dass sie ein weiteres Mal nicht den verdienten Popularitätsschub bekamen ist so bedauerlich wie unverdient. 

Flamin' Groovies - Please Please Girl 

 

Dr. Feelgood

Stupidity


(United Artist, 1976)




 

Aus nachvollziebaren Gründen werden Dr. Feelgood gerne in die Punk-Ecke geschoben, ist die Musik des Punk doch eigentlich nichts anderes als Rock'n'Roll mit modernen Mitteln und einer bestimmten Haltung: Gitarre, Bass, Drums und Gesang, etwas schneller, etwas agressiver als man es seinerzeit gewohnt war, aber letztlich Musik auf dem willkommenen Rückweg zur Simplizität. Dass der Kopf hinter Dr. Feelgood – Gitarrist Wiko Johnson – ein riesiger Verehrer der Urväter des Rock'n'Roll war, wird schon beim ersten Ton ihres Live Albums Stupidity klar. Chuck Berry's „Talking About You“, als Titelsong „Stupidity“ vom Soul-Giganten Solomon Burke, eine Version von Muddy Waters „I'm A Man“, „I'm A Hog for You, Baby“ vom Elvis-Songwriterduo Leiber/Stoller, dazu Eigengewächse wie „All Through the City“, die sich vor diesen Originalen nicht verstecken müssen, die eben Das sind: Zeitgemäße Variantionen von urwüchsigem Rock'n'Roll/ Rhythm'n' Blues, die Gitarre spielt keinen unnötigen Ton, der Rhythmus ist hart und straight – und dann ist da die no fun Stimme von Lee Brilleaux, die alles so sehr in Richtung Arbeiterviertel schiebt. Ohne ihn wären Dr. Feelgood nur eine von vielen Bands geblieben, er bellt und beißt und kann dem irren Tempo von Gitarrist Wilko Johnson mühelos folgen. Stupidity wurde quasi ohne Overdubs aufgenommen, so authentisch wie möglich – was funktionierte, weil Dr. Feelgood eine furiose Live Band waren, die man ganz einfach so schwitzend und lärmend wie auf diesem Album erleben musste. Eines der besten Live Alben zwischen Punk und rohem Rhythm'n'Blues – und eines, das zu Recht Erfolg hatte. 

Dr Feelgood - Stupidity 

Joni Mitchell

Hejira


(Asylum, 1976)




 

Hejira ist eine Abwandlung des arabischen Begriffes „hijra“ - die Reise – insbesondere die Reise Mohammed's von Mekka nach Medina. Und tatsächlich hatte Joni Mitchell die Songs für ihren Nachfolger von The Hissing of the Summer Lawns auf mehreren Reisen geschrieben. So war sie mit ihrem Ex-Freund unterwegs gewesen, hatte den Rückweg quer durch Amerika dann alleine angetreten, hatte Zeit über ihre Beziehung zu ihrem Freund und zu anderen Bekannten zu reflektieren. Dementsprechend sind die Bilder von Strassen, Reisen, von Alleinsein, Heimweh und der Suche nach Liebe prägend, und Mitchell hat selten bessere Texte gemacht. So schreibt sie im wunderbaren „Amelia“ über die Flugpionierin Amelia Earheart :I was driving across the burning desert / When I spotted six jet planes / Leaving six, white vapour trails / Across the bleak terrain / They were the hexagram of the heavens / They were the strings of my guitar... / Oh Amelia, was it just a false alarm?" Hejira ist ein zutiefst persönliches Album, aber es ist trotzdem keine pure Selbstreflektion, wie sie in den Siebzigern von etlichen Langweilern betrieben wuirde. Mitchell hatte immer auch eine gewisse kühle Distanz zu sich selbst. Alle Songs wurden auf der Gitarre komponiert, was wohl erklärt, wo solch einprägsamen Songs wie „Coyote“ oder „Furry Sings the Blues“ herkommen. Mitchell war zu dieser Zeit vom Bass-Sound der bisherigen Alben gelangweilt, und sie hatte den Weather Report Bassisten Jaco Pastorius kennengelernt, der hier seinen bundlosen Bass als regelrechtes Lead-Instrument einsetzt. Es sollte eine fruchtbare Koalition werden, die sie musikalisch noch weiter in Richtung Jazz führen würde. Wobei es immer auch eine Art Jazz bleiben würde, die eindeutig von ihrer Stimme, ihren Lyrics und ihrer Art Songs zu schreiben geprägt sein würde. Hejira ist genau an dieser Schwelle zwischen Folk und Jazz: Das Songwriting ist völlig Ihres, der Sound nähert sich dem Jazz an – das mag der Grund sein, warum dem Album nicht mehr Erfolg beschieden war. Also : Neu hören! 

Joni Mitchell - Coyote 

 

The Upsetters

Super Ape


(Island, 1976)



 

Für mich eines der ganz großen Dub/ Reggae-Alben. Bob Marley mag die erfogreichere Karriere und eine ganze Reihe wunderbarer Hits und Alben gehabt haben, aber Lee „Scratch“ Perry ist der wirkliche Meister, The Upsetters waren seine Band, und Super Ape ist sein komplettestes Album – neben dem '73er Dub Monster Upsetters 14 Dub Blackboard Jungle - genauso von ihm produziert. Aber das ist ja das Geheimnis bei den Hunderten von Alben, auf denen dieser Exzentriker sein Hände im Spiel hatte. Und natürlich ist das wichtigste Instrument das legendäre Black Ark Studio in Kingston/Jamaica. Super Ape wurde, wie das so häufig geschah – zunächst in Jamaica veröffentlicht, ehe Richard Branson's Island Label das leicht an den "westlichen" Geschmack angepasste Album in den USA und Europa herausbrachte – Perry hatte wegen des Erfolges des von ihm produzierten Albums War in a Babylon von Max Romeo & The Upsetters (fast genau so toll) einen Deal mit Island, die sich in den letzten Jahren als Wegbereiter des Reggae in Europa und den USA hervortaten, und die größeren finanziellen Mittel ermöglichten es ihm nun, ein Album mit den eigenen Rhythm-Tracks plus Gesang von diversen Kollaborateuren zu veröffentlichen. Denn genau das sind die Alben der Upsetters – Perry's Produktions-Skills mit einer sich in ständiger Fluktuation befindlichen Studio-Band. Er nimmt hier beispielsweise den Rhythm Track von Max Romeo's „Chase the Devil“, lässt Prince Jazzbo Nonsense-Verse darüber singen und benennt den Song um in „Croaking Lizard“. Da ist der vor unterschwelliger Kraft zitternde Opener "Zions Blood“, mit minimalistischen Vocals von Perry, der singt: „Zion's blood is flowing through my veins / So I and I will never work in vain...“, da ist das Titelstück am Ende des Albums, in dem Perry dich auffordert: „This is the ape-man, trodding through creation, are you ready to step with I man?“. Und da ist das zentrale „Dread Lion", mit explodierenden Drums, Melodica und Flute und den Zeilen „Dread lion / King of the jungle / King of the forest / Strong like iron“. Das ganze Album ist in Schatten getaucht, klingt wie der nächtliche Dschungel, es ist Perry's Aufruf an die Rastafari zur Revolution und zur Rückkehr zum natürlichen Leben, und es erfüllt das Versprechen „Dub it up, blacker than dread“ auf dem Comic-haften Cover vollkommen. Ein Album, das so ganz anders ist als Marley's Song-orientierte Platten, das Reggae in seiner rhythmisch kraftvollsten Variante zeigt. Dub in Perfektion.

The Upsetters - Dread Lions 









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