Freitag, 1. Juli 2016

1969 - Nixon, Vietnam-Proteste und der erste Mensch auf dem Mond - Velvet Underground bis Moondog

Richard Nixon wird Präsident der Vereinigten Staaten und kann sich direkt mit dem Massenprotest der Jugend gegen den Vietnam Krieg auseinandersetzen. 500.000 Menschen protestieren zum Beispiel in Washington. In Frankreich endet die Ära de Gaulle und in Deuschland wird Willy Brand Bundeskanzler. Zwischen China und Russland kommt es zu einem ernsthaften Grenzkonflikt. Die Welt ist unruhig, die gesellschaftlichen Veränderungen durch eine neue Generation sind überall spürbar. Neil Armstrong landet mit Apollo 11 als erster Mensch auf dem Mond und Thor Heyerdahl überquert mit dem Papyrus-Boot Ra den Atlantik. Graham Coxon, Ice Cube, Jay Z und Dave Grohl werden geboren, Brian Jones von den Stones, Judy Garland und Jack Kerouac sterben, der Motorrad-Revoluzzer Streifen Easy Rider kommmt ins Kino, Monty Pythons Flying Circus senden ihre 1. Staffel im BBC. In Woodstock soll ein zweitägiges Festival mit 50.000 Zuschauern stattfinden. Das ganze artet zu einem Spektakel in Schlamm und Regen mit 500.000 Zuschauern aus. (Man schätzt, dass sogar 1 Millionen Zuschauer gekommen wären, die Verkehrswege ließen dies allerdings nicht zu) Und dieses Festival wird zum Synonym für die Hippie-Bewegung, wobei es zugleich ihren Scheidepunkt markiert und es geht als DAS großes Festival ins kollektive Bewusstsein ein. Und dann passiert es: Bei einem Free Concert der Rolling Stones am 6. Dezember in Altamont bringen die von den Rolling Stones als Ordner angeheuerten Hell's Angels einen Zuschauer um, und drei weitere sterben bei der ausbrechenden Panik. So endet die Zeit der Unschuld in der Gegenkultur der 60er. Die erfolgreichen Bands der letzten Jahre haben sich inzwischen etabliert und bringen eine ganze Reihe von Klassikern zur Veröffentlichung. Insbesondere der britische Folk-Rock und Psychedelia erleben ihre Blüte, aber all das war nach den Jahren 65-68 irgendwie zu erwarten. Das Niveau jedenfalls bleibt erstmal hoch und viele der unten vorgestellten Alben gehören in den Grundstock einer Plattensammlung. Aber natürlich gibt es auch 1969 erfolgreiche Musik, die ich verachte: Die Musik der Jackson 5 missfällt mir, und den Soundtrack zum Musical Hair mag ich auch nicht – Aber: es gibt in den Top 40 Worldwide wirklich sehr viel gute Musik. Das waren Zeiten - als Captain Beefheart und King Crimson sogar Präsenz im Radio hatten! Im heutigen Wohlfühl / Formatradio völlig undenkbar.

 

The Beatles

Abbey Road


(Apple, 1969)


 

Zwar wurde Let It Be später veröffentlicht, Abbey Road aber ist tatsächlich die letzte LP, die von den Beatles aufgenommen wurde. Und es kann neben Sgt. Peppers, Revolver und dem Weissen Album mühelos bestehen, denn es ist zweifellos eine enorm facettenreiche LP. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass die vier Beatles hier wieder teilweise nebeneinander hergearbeitet haben, was man aber weit weniger heraushört, als beim White Album - und das, obwohl alle vier Musiker sich in unterschiedliche Richtungen orientierten. Der ansonsten immer im Hintergrund stehende George Harrison ist mit zwei Songs vertreten: „Something“ und „Here Comes The Sun“ gehören zu den besten Songs auf diesem Album und zugleich zum Besten, was Harrison zeiltlebens aufnehmen würde. Die Songs von Lennon/McCartney sind teils äußerst experimetell und psychedelisch „(I Want You (She's So Heavy)“ oder „Come Together“) und auf gewisse Weise spiegeln sie die Uneinigkeit und Zerrissenheit der Band wieder. Tatsache ist auch, dass diese Songs - wie in den letzten Jahren üblich  - entweder von Lennon ODER von McCartney sind und nicht gemeinsam geschrieben worden waren. Die Produktion von George Martin war wieder fantastisch, und die Band wollte – wohl vor Allem auf betreiben von McCartney - ein letztes Mal versuchen, friedlich miteinander auszukommen. So gelang es ihnen tatsächlich ein letztes Mal ihre Uneinigkeit in Kreativität umzuwandeln. Die zweite Seite der LP mit ihrer patchworkartigen Songzusammenstellung gilt zu Recht als letzter Höhepunkt in der Karriere der Beatles. Es ist ein Abschied in Würde.


 

Velvet Underground

s/t

(MGM, 1969)


 

Und hier nun die LP, mit der man Velvet Underground auch „mögen“ kann. Lou Reed hatte Maureen Tucker und Sterling Morrison vor die Wahl gestellt: Entweder Er oder Cale mußten gehen - und schon war Cale draußen. Als Ersatz wurde Doug Yule in die Band geholt, was Reed zum Alleinherrscher machte... Als erstes gab es einen Schritt in Richtung einer Form von Pop-Musik, wie Lou Reed sie sich vorstellte. Er folgte auf Velvet Underground seinen Vorlieben für Doo-Wop, Gospel und Motown, achtete natürlich auf die literarische Qualität der Texte und benutzte als Vehikel zur Umsetzung all dessen diese doch so seltsam ungeeignet erscheinende Band. Die relative Ruhe der Songs kommt vielleicht auch daher, dass den Velvets zuvor das Equipment gestohlen worden war. Für die wenigen Fans der Band jedenfalls wird ein so zurückhaltendes Album damals überraschend gekommen sein, die Kritiker waren durchaus erfreut, aber in Verkaufszahlen drückte sich der Wandel in Richtung „Kommerzialität“ nicht aus. Und die Themen der Songs waren noch immer VU Trademark: Absurdität, Transzendenz und sogar auch mal Erlösung, VU ist die optimistischste LP der Band, und immer noch ist die Liebe zum Rock 'n'Roll in Songs wie „Beginning to see the Light“ zu hören. „The Murder Mystery“ freilich hätte in seiner Kompromisslosigkeit auch auf White Light / White Heat gepasst.

 

The Band

s/t


(Capitol, 1969))


 

Dass eine LP mit solcher Musik von vier Kanadiern und einem Jungen aus Arkansas gemacht werden konnte ist eigentlich ein bisschen überraschend - Ist das Thema doch vom Cover bis zur Songkollektion originär amerikanisch. Verhandelt wird ein mythisches Amerika - eines, nach dem sich die meisten Amerikaner nur noch sehnen konnten, das in einer glorreichen Vergangenheit verschwunden zu sein schien, und höchstens noch in Filmen oder Büchern lebte – und somit natürlich der Realität enthoben war. Der Vietnam-Krieg und die gespaltene Haltung der Nation dazu sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen machten eine eskapistische LP wie The Band vielleich einfach notwendig. Denn man muß auch bedenken – die moralische Instanz Bob Dylan war zu dieser Zeit verstummt ! So kam seine Begleitband gerade rechtzeitig mit einer gewissen Glorifizierung und Romatisierung der Vergangenheit ihrer Heimat – auch wenn diese vordergründig eher unpolitisch war, denn dieses Album ist altmodisch, ja altertümlich - und zwar von der Thematik über die Melodien bis teilweise sogar zur Instrumentierung. Und natürlich tut das Cover mit den Abbildern dieser fünf bärtigen jungen Männer ein Übriges. Mit dem vorjährigen Debüt und mit dieser Zemetierung der Idee von neuer „alter“ amerikanischer Musik erschuf The Band zu dieser Zeit tatsächlich etwas Aufregendes. Hier sind die Songs noch besser, das Zusammenspiel ist noch ausgefeilter und Tracks wie „Rag Mama Rag“, „Up on Cripple Creek“ oder das hymnische „The Night They Drove Old Dixie Down“ wurden zu zeitlosen Klassikern, die klangen als wären sie hundert Jahre alt und zugleich für genau diese Zeit geschrieben worden. Womit die Musik von The Band zur Vorlage für das Americana-Genre wurde.

 

Rolling Stones

Let It Bleed


(Decca, 1969)


 

Zum größten Teil ohne Brian Jones aufgenommen (Er ertrank wenige Monate vor der Veröffentlichung des Albums in einem Swimming-Pool) dafür auf zwei Stücken mit seinem Nachfolger Mick Taylor, ist Let it Bleed eine der ikonischen und somit auch besten Platten der Rolling Stones (Nur knapp übertroffen von Sticky Fingers und Exile on Main St.). Sie klangen hier expliziter, dämonischer und härter als auf dem ein Jahr zuvor veröffentlichten natürlich ebenfalls sehr gelungenen Beggars Banquet, hatten teils sogar die besseren Tracks versammelt, und machten mit nur wenigen halben Aussetzern eine ihrer konzisesten Platten. Da wäre „Gimme Shelter“ - ein Gitarrenriff für die Ewigkeit, mit apokalyptischen Lyrics, die zu den Vorfällen beim unseligen Altamont-Konzert in Bezug gesetzt werden könnten - obwohl das Stück vorher entstand. Da ist das von Jaggers Harp angetriebene „Midnight Rambler“, das drogenbenebelte Titelstück und natürlich das ausladende „You Can't Always Get What You Want“ mit Bläserpassagen und schwellenden Chören. Und da ist auch die fantastische die Version von Robert Johnsons „Love in Vain“, der Song, mit dem sie dem archaischen Blues ihrer frühen Vorbilder am Nächsten kamen. Da sind im Hintergrund so edle Begleiter wie Ry Cooder und Dave Mason und eine Band, die den Verlust eines ihrer kreativen Köpfe trotzig zu überwinden sucht. Let It Bleed ist würdiger Abschluß der 60er und Versprechen für die 70er zugleich. All das in der Zeit, in der die Stones trotz – oder vielleicht sogar wegen - aller Tumulte innerhalb der Band und um sie herum alles richtig machten - und wenn man hinhört, bemerkt man ganz nebenbei, dass Oasis nicht nur bei den Beatles geklaut haben.


 

Captain Beefheart & the Magic Band

Trout Mask Replica


(Liberty, 1969)


 

Die übliche Einschätzung zu diesem Album zuerst: „Es ist kein einfaches Album, und es gibt wohl kaum jemanden, der es von Anfang bis Ende in einem Zug durchgehört hat.“....damit wäre das gesagt: Und Ja - man findet bis heute kaum Musik, die so fremdartig ist wie Captain Beefhearts Trout Mask Replica. Frank Zappa als Produzent ließ seinen Freund und Konkurrenten Don Van Vliet nach diversen Auseinandersetzungen mit anderen Labels und nach dessen Drohung, die Musik ganz an den Nagel zu hängen, eine Platte ohne Kompromisse oder Vorgaben aufnehmen. Und Van Vliet nutzte seine Freiheit weidlich aus. Das musikalische Personal dafür war exzellent - mußte es auch sein, denn die Magic Band mußte auf Betreiben ihres Kopfes alle Strukturen, die man sonst in der Rockmusik kannte, außer acht lassen. All die Songs - das seltsam rythmische „Ella Guru“ mit seinem plötzlichen Kinderliedrefrain, das wie ein urtümlicher Blues beginnende „China Pig“, die mittelalterliche Apellation „Well“, der finstere „Dachau Blues“ oder der unirdischen Swing von „Ant Man Bee“ - sind verbunden durch Beefhearts Stimme und den unglaublich klaren, gläsernen Klang einer Band, die sich unter Van Vliets Führung von allen Konventionen verabschiedet hatte und ein faszinierendes Experiment wagte. Für die eigentlichen Aufnahmen brauchten die Musiker wenige Stunden, denn Van Vliet hatte zuvor in einer fast ein Jahr dauernden Klausur in einer kleinen Villa in LA alle Stücke mit ihnen eingeübt. Dabei hatte er, da er keine Notenschrift beherrschte, den versammelten Musikern ihre Parts vorgesungen und sie dann so lange proben lassen, bis die Ausführung seinen Vorstellungen entsprach, Der Effekt ist, dass hier Vieles klingt, als wäre es im Moment entstanden – was aber nur insofern stimmt, als Beefheart die Stücke selber in kürzester Zeit schrieb. Aber jeder Ton auf diesem Album ist festgelegt und geplant. Ein Umstand, den man kaum glauben mag, wenn man Trout Mask Replica erstmals hört. Das Album hatte gewaltigen Einfluß auf kommende Generationen von (Avantgarde-) Musikern, aber letztlich sollte kaum noch jemand so viel wagen - oder gar so klingen. Selbst Captain Beefheart würde nie mehr so kompromisslose Musik machen

The Stooges

s/t

(Elektra, 1969)


 

Das Debüt der Stooges ist so etwas wie der Gegenentwurf zu Peace & Love - und 1969 war es mit dieser Haltung ein kommerzielles Desaster. Einer der Talentscouts von Elektra hatte die Band mit dem charismatischen, aber auch vollkommen durchgeknallten Iggy Pop im Vorprogramm der MC5 gesehen und ihnen, beeindruckt von ihren Live-Qualitäten, gleich einen Plattenvertrag angeboten. James Osterberg, der sich ab hier Iggy Pop nannte, beschmierte sich auf der Bühne mit Erdnussbutter, Steaks und Blut, wälzte sich auf dem Boden oder sprang ins Publikum und überhöhte damit das Verhalten seines Idols Jim Morrison von den Doors ins Absurde. (Tatsächlich soll er als Morrison-Ersatz nach dessen Tod im Gespräch gewesen sein... aber das ist eine andere Geschichte) Dazu spielte die Band primitiven Garagenrock, aus dem alle Bestandteile von R&B und Beat entfernt worden waren, mit energetischen, simplen Gitarrenchords auf einem extrem reduzierten Rhythmusfundament. Passenderweise wurde mit John Cale ein Mann als Produzent engagiert, der mit Velvet Underground einen vergleichbaren Nihilismus und auch eine gewisse rohe Primitivität in die Rockmusik zurückgebracht hatte. Das einzige Problem war: Die Stooges hatten zu diesem Zeitpunkt gerade mal fünf Songs in petto und mußten somit vor den Aufnahmen schnell noch drei weitere schreiben. Die erzwungene Spontaneität, und die damit gepaarte Primitivität bildet den Zündlumpen für diesen musikalischen Molotow-Cocktail. Diese Haltung zusammen mit Songs wie „No Fun“ oder „I Wanna Be Your Dog“ sollten später zur Blaupause für Punkrock werden.

 

MC 5

Kick Out The Jams


(Elektra, 1969)


 

"Kick out the jams motherfuckers!!!" - MC 5 haben ihr Debütalbum nie übertreffen können. Und wie sollte das auch gelingen? Man kann ja auch die Energie eines Blitzes nicht zweimal in einer Flasche einsperren. Denn genau das ist Kick Out the Jams - ein Gewittersturm von einem Album, genau zur rechten Zeit am richtigen Ort live eingefangen – wobei – der historische Kontext mag interessant sein, aber die Historie spielt letztlich keine Rolle, Kick Out the Jams ist zwar in einem bestimmten Kontext entstanden, es wäre aber jederzeit und überall beeindruckend und enthält im besten Sinne zeitlose Musik. Kick Out the Jams ist mit Sicherheit eines der rohsten, lautesten Live-Alben aller Zeiten, dagegen klingen viele der härtesten und extremsten Metal-Alben zahm. Und es gibt den Sechzigern und der Musikszene Detroits - aus der auch die oben benannten Stooges kamen - ihre große  Bedeutung. Dass der Aufschrei „Motherfuckers !“ im prüden Amerika der End-Sechziger zensiert wurde und gegen ein zahmes „Brothers and Sisters !“ ausgetauscht wurde, daß The MC 5 dagegen protestierten und daher von Elektra gedroppt wurden – geschenkt. Dieses piece of art hatten sie in die Welt gesetzt, welches sich nicht mehr retuschieren und aus der Welt schaffen ließ. Die Jugend hatte gesehen, dass Rockmusik mehr kann als nur ein bisschen protestieren und dann wegdriften. Diese Musik hier ist weit konkreter. Zum Glück.

 

Dusty Springfield

Dusty In Memphis


(Atlantic, 1969)


 

Mary O'Brien's (..so Dusty Springfields Geburtsname) Karriere schien 1968 ihren Höhepunkt überschritten zu haben. Ihr Image und der aufkommende Summer of Love passten nicht zusammen, sie galt als „Girl Singer“ - zwar mit beachtlicher Stimme, aber mit einem Sound, der unmodern war. '68 jedoch unterschrieb sie beim Soul Spezialisten Atlantic, ging nach Memphis in die USA und nahm dort ihr Meisterstück auf. Das Produktionsteam aus Jerry Wexler, Arif Mardin und Tom Dowd traf eine erlesene Songauswahl mit Songs von Koryphäen wie Mann/Weill, Goffin/King oder Randy Newman - und Dusty Springfield sang das Alles auf dem selben Niveau ein, wie ihr großes Vorbild Aretha Franklin. Der Einzige der zweifelte, war Dusty selber: Sie hatte Angst vor dem Vergleich mit den Größen des Soul, die ja auch hier in Memphis aufgenommen hatten. Zu den Sessions erschien die unsichere Künstlerin grundsätzlich in vollem Ornat und sang die Stücke bei tosender Lautstärke ein – einige der letzgültigen Vocal-Tracks nahm sie nach etlichen Nervenzusammenbrüchen im Anschluss in New York ein. Die Sorge freilich war unbegründet, Dusty in Memphis ist fraglos eines der besten Soul Alben aller Zeiten und muß keinen Vergleich mit Alben etwa von Aretha Franklin oder Ann Peebles scheuen, Songs wie „Son of a Preacher Man“ oder „Just a Little Lovin'" wurden zu Recht veritable Hits, obwohl das Album selber zunächst verkaufstechnisch hinter den Erwartungen blieb. Auf lange Sicht sollte es zu ihrem erfolgreichsten Album werden. Selbst etwas schwächere Songs lassen zusammen mit den Hits einen Flow entstehen, der das Album zu mehr macht, als die Summe seiner Teile. Was gerade im Soul nicht häufig vorkommt.

 

King Crimson

In The Court of the Crimson King


(Polydor, 1969)


 

In the Court of the Crimson King muß 1969 so Manchem regelrecht das Gehirn herausgeblasen haben. Natürlich gab es gerade zum Ende der Sechziger Jahre etliche Bands, die die Grenzen dessen, was Rock'n'Roll war, weit hinausschoben, aber King Crimson beschritten einen eigenen und - auch zu dieser Zeit - extremen Weg. Nachdem ihr Vordenker Robert Fripp eine erfolglose – und extrem britische - Platte unter dem Namen Giles, Giles & Fripp veröffentlicht hatte, gründete er King Crimson, die schon vor Aufnahme des Debüt's diverse Besetzungswechsel durchmachten. Als Fripp dann seinen Schulfreund, den Bassisten und Sänger Greg Lake zum Drummer Michael Giles und Ian McDonald (Mellotron) holte, fielen die Mosaiksteinchen perfekt zusammen. Auf dem Debüt verbanden sie alles von Folk über Jazz, Klassik und insbesondere Heavy Psychedelic Rock in einem losen Konzept, in einer Chronik von Wahnsinn, düsterer Mythologie und Schicksal. McDonalds krafvolles Mellotron beherrscht die Atmosphäre, Fripp's Gitarre spielt eine Mischung aus Hendrix und Klassik und Lakes Stimme throhnt über Allem. Dieses Album hat - wie The Velvet Underground and Nico - etliche Nachahmer, aber die majestätische Kraft und Größe erreichte kaum noch jemand – auch King Crimson selber brauchten Jahre und diverse Besetzungswechsel bis ihnen mit Red (1974) ein ähnlich überzeugendes Album gelang. Es sollte sich in der Folge aber auch herausstellen, dass „Progressive Rock“ nur noch selten so imposant und überraschend werden würde wie in seiner Geburtsstunde. Insbesondere der „21st Century Schizoid Man“ ist in seiner Wucht, gepaart mit Komplexität und Psychose ein Hochpunkt, der kaum noch übertroffen wurde. Es ist eines der Stücke, an denen sich noch Generationen von Musikern abarbeiten sollten. - Und das Covermotiv hat (als Fold-Out Cover bei der LP) seine Wirkung auch bis heute nicht verloren...

 

The Can

Monster Movie


(United Artists, 1969)



 

Und nun – Avantgarde aus Deutschland... Der Bassist Holger Czukay und der Keyboarder Irmin Schmidt hatten Mitte der Sechziger musikalische Freiheit unter Karlheinz Stockhausen erlernt, Drummer Jaki Liebzeit kam vom sich inzwischen von den Vorbildern aus den USA befreienden Free Jazz, Gitarrist Michael Karoli und Sänger Malcolm Mooney waren befreundet mit den beiden Erstgenannten - und diese fünf Musiker traten im sich langsam vom Staub der Nachkriegsjahre befreienden Deutschland dazu an, eine von den anglo-amerikanischen Vorbildern emanzipierte, europäische Form der Rockmusik zu entwickeln. Gemeinsam nahmen sie zunächst '68 in Nörvenich bei Köln ein Album auf, das den Plattenfirmen aber nicht gefiel (...und 1981 als Delay 1968 veröffentlicht wurde). Aber sie gaben nicht auf, probten, experimentierten und starteten einen neuen Anlauf. Das erstaunliche ist: Mit Monster Movie wurde das im Vergleich „gewagtere“ Album veröffentlicht. Der äußerst eigenständige Mix aus Psych Rock, Freejazz, World Music und kollektiven Improvisationen jedenfalls war bis dahin unerhört. Die drei Stücke auf der ersten Seite der LP mögen für den an amerikanische Psychedelik gewöhnten Hörer vielleicht noch konventionell geklungen haben, aber der Musik ist ein federnder, monotoner Rhythmus unterlegt, der Schwindelgefühle auslöst, und Malcolm Mooney's Kindergesang bei „Mary Mary Quite Contrary“ klingt seltsam lautmalerisch und hat mit den Vocals zeitgenössischer britischer oder amerikanischer Sänger nichts mehr zu tun. Und die zweite Seite mit der über 20-minütigen Improvisation „Yoo Doo Right“ steht dann komplett ausserhalb der Grenzen der Anglo-amerikanischen Rockmusik. Das Stück ist reine Improvistion – auf hohem technischen Niveau äußerst diszipliniert ausgeführt - und dabei dennoch nah am atavistischen Schamanen-Gesang. Die einzigen Amerikaner, die dieser Idee von Musik seinerzeit nahe kamen, sind die experimentellen Köche von The Red Krayola. Das Album Monster Movie ist die Initialzündung des Kraut-Rock und die Band The Can sollte noch Generationen später Bands wie Pere Ubu, Sonic Youth und Tortoise inspirieren. Hier beginnt Deutschland sich rockmusikalisch zu emanzipieren.

 

Moondog

s/t


(Columbia, 1969)


 

Wie zu Beginn dieses Artikels gesagt: 1969 ist ein Jahr voller fantastischer Alben – Standardwerke der Rockmusik. An dieser Stelle könnten etliche bekanntere Alben stehen, die ich aber dann doch weiter unten behandeln will. Stattdessen hier Musik von einem Aussenseiter in fast allen Belangen: Die Musik auf Moondog ist nicht Jazz, hat auch nichts mit Rockmusik zu tun, es ist aber auch keine klassische Musik. Es ist - das ist buchstäblich so gemeint - Moondog-Musik. Der 1916 irgendwo in Kansas als Louis T. Hardin geborene Moondog hatte mit 16 Jahren bei einer Explosion sein Augenlicht verloren und sich fortan neben einer musikalischen Grundausbildung an diversen Schulen den größten Teil seiner musikalischen Kenntnisse selbst vermittelt. Den Moniker Moondog gab er sich in Erinnerung an einen Hund in seinem Heimatort, der dauernd den Mond angeheult hatte. In den Vierzigern war er nach New York gegangen, hatte diverse klassische Komponisten und Jazzmusiker kennengelernt und hielt sich dort ab Ende der Vierziger in seiner seltsamen Verkleidung – halb Wikinger, halb Obdachloser – an der 6th Avenue auf, um dort Gedichte, theoretische Pamphlete und seine Musik feilzubieten - oder still da zu stehen – und wurde auf diese Weise zu einer Art Sehenswürdigkeit. Die Verkleidung wählte er, weil er nicht mit einem Priester verwechselt werden wollte – vom Christentum hatte er sich früh verabschiedet und sich stattdessen der nordischen Mythologie zugewandt. Seine Musik begriff er als Verneigung vor der europäischen Klassik - er sah sich selbst als Europäer im Exil - und diese Musik wurde zu einer originellen Facette dessen, was in New York - seinem Wirkungsort und der europäischsten Stadt Amerikas - als Third Stream Jazz bezeichnet wurde. Er hatte schon 1957 ein stark Jazz-lastiges Album aufgenommen. Nun, 12 Jahre später bot ihm William Guerico von Columbia Records an, ein weiteres Album aufzunehmen. Mit etlichen von ihm selbst gebauten Instrumenten und einem 40-köpfigen klassischen Orchester wird hier der Sound der Großstadt erzeugt, in „Birds Lament“ des Saxophonisten Charlie Parker gedacht, die „Symphonique # 6“ Benny Goodman gewidmet und ein Album geschaffen, das mindestens so eigenwillig ist, wie sein Schöpfer - und das weit mehr ist als eine Kuriosität. Ein Album das den „Third Stream“ Jazz eines Miles Davis um eine weniger dem Solisten verpflichtete Facette erweitert – und das in seiner Einzigartigkeit zeitlos geblieben ist. Moondog ist – meist gekoppelt mit Moondog 2 von 1971, bis heute als CD erhältlich.




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