Freitag, 26. Oktober 2018

1979 – Talking Heads bis Slits - Musik nach Punk im UK und in den USA

OK, Punk ist 79 schon lange.... ich mag's schon gar nicht mehr sagen. Aber es gibt '79 noch hie und da ein letztes Zucken von Bands der „ersten Stunde“ - einen Auswurf, der die letzten Tropfen Rotz enthält und man kann vielleicht mit Recht Geldmacherei dahinter vermuten. Das heißt aber nicht, dass das erste Album der neuen John Lydon Projektes P.I.L. purer Kommerz ist. Aber ist diese Musik Punk? Was war Punk überhaupt? Doch eigentlich nur Musik, bei der mit einer bestimmten Haltung auf Althergebrachtes reagiert wurde. Und diese Reaktion war eine Explosion die ihre eigenen Reagenzien zerlegte. Also war Punk nur der kurze Knall dieser Explosion, und die Alben die wir hier unten sehen, sind die Produkte, die sich aus den herumfliegenden Trümmern entwickeln. Ich habe für dieses Kapitel zwölf Alben gerecht aufgeteilt in Post-Punk (das heißt jetzt so...) aus den USA und aus dem United Kingdom. In den USA war Punk anders, tiefer in einer „Kunst-Szene“ verhaftet als der proletarische und wütende „Punk“ der Pistols und der Clash aus Großbritannien. Inzwischen hat sich in NY der sog. No Wave – Disco – Polyrhythmus-Kram der Talking Heads und Contortions entwickelt, da gibt es im UK Funk-Punk von Gang of Four oder klinische Song-Skalpelle von Wire, an Progressive Rock und Bowie geschult. Da ist in Athens/Georgia der durchgedrehte Party-Spaß der B52's und auf der anderen Seite des Atlantik der feministische, von Virtuosität und Respekt befreite New Wave der Slits und Raincoats, oder der politisch/zynische Post-Punk der noch nicht institutionalisierten The Fall um Mark E. Smith. Oder der Noise-Punk von Pere Ubu und Red Crayola ... ich will hier zeigen, was für ein unglaublich breites Spektrum an Möglichkeiten sich nach Punk auftut – weil junge Leute der Ansicht waren, man müsste es dem selbstverliebten Rock-Establishment mal zeigen. Weil diese Leute das Anderssein und die Revolte, die Rock'n'Roll mal bedeutete, nun für sich und ihre Generation beanspruchten. Weil sie es schafften, das Prinzip „Weniger ist Mehr“ wieder in der populären Musik zu etablieren, weil sie sich aufgrund der Tatsache, dass sie eben NICHT Alles konnten, auf das Wesentliche konzentrierten: Auf eine Idee, ein Konzept, einen Sound, der sie abhebt von allem Alten und möglichst auch von der Konkurrenz. Es gibt in den Jahren vor und kurz nach 1980 so viel Musik, die wirklich revolutionär und NEU ist, dass ich hier nur ein Streiflicht werfen kann. Man könnte (und ich werde) noch viele andere Kapitel und Alben (be)schreiben und hinzufügen müssen...

Talking Heads


Fear Of Music

(Sire, 1979)

Die New Yorker Talking Heads existieren im Jahr 1979 schon seit vier Jahren – sind sozusagen Veteranen. Sie haben die New Yorker Version von Punk mitgestaltet, sie waren eigentlich schon immer Post-Punk, insofern als sie das Image des Punk von Beginn an konterkarierten – aber ich will hier auch keine Genre-Definitionen strapazieren – sie sind schon '79 eine der wichtigsten Bands dieser neuen Generation von Musikern, die sich nicht mehr in artifizieller Langeweile verästeln, sie sind immer noch neu und aufregend - und hier kommt das Bindeglied zwischen dem hektischen Zucken von More Songs about Buildings and Food und den hypnotischen Grooves des folgenden definitiven Meisterwerks Remain in Light. Fear of Music ist das Album, bei dem Brian Eno vom reinen Produzenten zum fünften Mitglied der Talking Heads wurde. Seine Vorstellungen eines Sounds für die Band deckten sich offenbar immer mehr mit dem, was die vier Musiker - und insbesondere David Byrne - wollten. Seine Klang-Ästhetik und seine Ideen wurden begierig aufgesogen und der kreative Austausch zwischen Band und Produzent wurde immer deutlicher erkennbar (...auch Eno profitierte natürlich von den Ideen der Talking Heads – siehe seine kommenden Solo-Alben...). Die Song-Strukturen sind nun ausgefeilter als auf den vorherigen Alben. Zwischentöne und Texturen werden immer experimenteller und wichtiger - was dem nach wie vor sehr konzentrierten Songmaterial eine weitere Dimension hinzufügt. Eine Dimension die dann auf dem folgenden Album vollständig ausgeleuchtet werden würde. Hier ist es gerade das Erforschen der Möglichkeiten, das dieses Album so exquisit und zeitlos macht. „I Zimba“ oder „Life During Wartime“ gehören mit zum Besten, was die Talking Heads je aufgenommen haben. Es sind Songs die bis heute gültig geblieben sind. Und das Cover Design von Gitarrist Jerry Harrison ist auch noch exquisit...

Talking Heads - I Zimba 


Wire


154

(Harvest, 1979)

Und auch im United Kingdom gibt es Bands, die nicht nur rotzen und 'prollen als wichtigstes Mittel ihrer Rebellion gegen das Rockmusik-Establishment und die Gesellschaft betrachtet haben. Wire machen '79 auch schon ihre dritte LP, sie hatten von Beginn an eine Art Post-Punk Konzept für ihre Musik – ein Konzept, bei dem es – wie ich finde – eher um Atmosphäre, Reduktion, Konsequenz geht, und bei dem die Beherrschung der Instrumente nur Mittel zum Zweck ist. Und mit diesem Konzept sind Wire in den drei Jahren ihrer Existenz schon einen weiten und anstrengenden Weg gegangen. Nach der unerfreulichen Manifesto-Tour mit Roxy Music sind die vier Musiker nicht mehr die verschworene Gemeinschaft, die zuvor Post-Punk/Art-Punk erfunden hat. Jetzt sind sie vielmehr heillos zerstritten, voneinander entfremdet und gehen sich aus dem Weg. So arbeiteten Graham Lewis, Bruce Gilbert und Colin Newman in getrennten Schichten an den Songs zu 154 und fügen die Ergebnisse teilweise erst im letzten Schritt zusammen. Nicht dass das der Platte geschadet hätte: Es gibt literarischen New Wave in „Map Ref.41°N 93°W“, bei dem Lewis' Lyrics („a deep breath of submission had begun“) mit kraftvoller Melodie und Newmans rohem Gesang kombiniert werden. Oder das fast gothic-hafte „I Should Have Known Better“ (I haven't found a measure yet to/ calibrate my displeasure yet), das die Entfremdung und das Unwohlsein der Musiker artikuliert. Der Einfluss von Bowie und Eno, Prog- und Art-Rock wird jetzt noch deutlicher - und inzwischen ist das Publikum ihnen in dieser Entwicklung von Punk zur eigenen Version von Post-Punk gefolgt. Aber die Band war - wie gesagt - ausgelaugt und zerstritten, und so beschlossen Gilbert und Lewis zunächst unter dem Namen Dome weiterzumachen während Colin Newman sich auf Solo-Projekte konzentrierte. Mit 154 endet die erste Phase in der Karriere von Wire. Sie kamen 1985 zurück – und blieben dann bis heute eine Institution, aber nach dieser Trilogie war - nicht nur für Wire - alles anders. Unter anderem, weil sie ja hier schon Alles gesagt hatten...

Wire - I Should Have Known Better 


The B 52's


s/t

(Island, 1979)

Auch das Debüt der B 52's spielt mit der Reduziertheit des Punk, aber die Fünf aus Athens/Georgia (wo demnächst auch R.E.M. entstehen) nahmen dazu Einflüsse von 50ies Girl-Groups und trashigen Pulp-Comics in ihre Musik, ihre Texte und ihr Image auf. Dazu spielten sie reduzierte Gitarrenriffs, ließen billige Orgeln quietschen und nutzten die erstaunliche Kombination aus Fred Schneiders harscher Stimme und dem an Ronettes und Shangri-La's angelehnten Gesang Katie Pierson's und Cindy Wilson's, die mit ihren übertriebenenTurmfrisuren auch noch extrem stylisch wirkten. Die 1976 aus ein paar Studenten ohne musikalische Vorkenntnisse entstandene Band benannte sich nach der in den Südstaaten üblichen Bezeichnung für diese Turmfrisuren und präsentierte sich von Beginn an als Gesamtkunstwerk, das insbesondere in der New Yorker Art-Punk-Szene schnell Furore machte. Und sie wurden bald tatsächlich erstaunlich erfolgreich, nachdem Chris Blackwell von Island sie entdeckt hatte. Es gab immer wieder die Kritik, dass bei ihnen Image weit über Qualität stünde, aber der marine Wahnsinn von „Rock Lobster“, der Sci-Fi Trash von „Planet Claire“ - beides veritable Hits - all die wunderbaren, überdrehten Songs wie „6060-842“ oder das kochende „Lava“ waren völlig neu und eigenständig in ihrer Kombination trashiger Versatzstücke – und machten auch allein als Songs gewaltigen Eindruck. Der geschmacks-sichere John Lennon outete sich als Fan und erklärte, die B 52`s seien der Grund für die wiedergefundene Freude am Songwriting. Wie gesagt: die Band, ihr Image, dieses Debüt sowie der gleich geartete Nachfolger sind ein wunderbares Gesamtkunstwerk, vielleicht zwischendurch ein wenig aus der Zeit gefallen, aber gänzlich einzigartig....

B 52's - Planet Claire 


The Fall


Live At The Witch Trails

(Step Forward, 1979)

The Fall


Dragnet

(Step Forward, 1979)

1979 ist auch das Jahr, in dem die Briten The Fall erstmals mit einem kompletten Album (dem von mir bevorzugten Format) daherkommen. Auch sie sind schon '76 – nach dem Besuch eines Sex Pistols Konzert – in Manchester entstanden, haben dort seit Mai '77 mit Joy Division, den Buzzcocks und anderen Bands aus ihrem Umfeld diverse Konzerte gespielt – und waren von vorne herein ein völlig einzigartiges Konstrukt. The Fall SIND Mark E. Smith, der Typ, der eher schimpft als singt, ein belesener Misanthrop (der Bandname entlehnt er einem Roman von Camus), dessen musikalische Vorbilder (Beefheart, Can, Velvets) man in seiner äußerst eigenständigen Musik etwas verzerrt wiedererkennen kann, wenn man will. The Fall sind ganz schlicht NICHT die nächste Post-Punk Band (… und die sind schon unterschiedlich genug), sie sind von Beginn an "Always the same, always different" wie ihr Fan und Förderer John Peel gesagt hat – und der MUSS es wissen. Nach ein paar Verzögerungen kommt '78 eine erste großartige EP heraus (Bingo-Master's Break-Out – auf meiner CD mit dabei...), nach etlichen Lobeshymnen in Radio und Presse wird dann an einem einzigen Tag das Debür Live at the Witch Trails aufgenommen – und das Besetzungskarussell dreht sich derweil in schwinderlerregendem Tempo um Diktator Smith... Der lässt sein austauschbares Personal simple Melodien bis zum Erbrechen wiederholen, häuft drauf etwas Krach und schimpft und krakeelt und schüttet Häme über die Gesellschaft, die Industrie, die Presse, England und die ganze restliche, hässliche Welt. Live at the Witch Trails hat sofort alle Qualitäten, die man für einen Klassiker braucht. The Fall klingen hier dank Yvonne Pawlett's Keybords und dank Martin Bramah's klingelnder Byrds/Punk Gitarren mitunter (für ihre Verhältnisse fast) angenehm blumig – aber das wird natürlich durch die VU/Beefheart-Anmutung der Songs (höre „Underground Medicine“ - nur als Beispiel) sofort konterkariert. Und Smith klingt wie Smith immer klingen wird (siehe oben). Tracks wie „Frightened“, „Rebellious Jukebox“ oder „Two Steps Back“ haben tatsächlich gewisse „Hit“ Qualitäten – es sind Songs zum Mitsingen – nur, wer will sowas singen? The Fall machen Fortschritte – Live und in ihrer Reputation bei der Hipster- Presse. Sie spielen mit Gang of Four und den Stiff Little Fingers, veröffentlichen eine tolle Single („Rowche Rumble“ - über die Pharma-Industrie und ihre Umwelt-Sünden) und nehmen dann noch im selben Jahr ihr zweites Album Dragnet auf. Wieder passt Joh Peel's Ausspruch "Always the same, always different" . Mit dem an Rockabilly geschulten Gitarristen Craig Scanlon und Bassist Steve Hanley sind zwei neue Leute dabei, die es sogar etwas länger bei The Fall aushalten werden, Mark E. Smith schüttet seine Häme über Alles aus, was ihm gerade einfällt, bei „Printhead“ ist die Musikpresse dran, „Psykick Dancehall“ könnte fast eine Hitsingle sein, „Dice Man“ bezieht sich auf eine Geschichte von Underground-Dichter Luke Reinhardt und beschreibt vermutlich ganz gut Smith's Haltung zur Musik: „They Say Music Should be Fun/ Like Reading a Story of Love/ But I Wanna Read a Horror Story“ und mit „Spectre Vs Rector“ gibt es einen weiteren kommenden Klassiker der Band. Inzwischen lässt John Peel die Band erste BBC-Sessions aufnehmen und lobt und verehrt sie immer lauter - und das ist berechtigt: Wenn die höchsten Qualitäten „populärer“ Musik in Intelligenz, Eigenständigkeit, Abwechslung und unbedingtem Stilwille liegen, dann kann man schon jetzt an The Fall nicht mehr vorbei. Anhören und nochmal anhören und sich 'dran gewöhnen und man kommt nicht mehr los davon. Dass The Fall in den nächsten Jahrzehnten bei einer Diskografie mit 31 (!) Studio-Alben und unzähligen Singles und EP's kaum ihr Niveau senken, ist da hilfreich. Kann nur teuer werden...

 The Fall - Two Steps Back

 The Fall - Psykick Dancehall


The Red Crayola


Soldier-Talk

(Radar, 1979)

The Red Crayola passen jetzt ganz prima hier hin: Die Band aus Texas pflegt einen ähnlich einzigartigen Umgang mit den Regularien der Popmusik wie The Fall, ihr Kopf Mayo Thompson ist ein ähnlich eigenartiger Sänger – und er hat '79 u.a. die Stiff Little Fingers und die unten vorgestellten Raincoats produziert (...1980 auch The Fall) - er hängt zu dieser aufregenden Zeit also auch in England 'rum. The Red Crayola allerdings existieren schon seit 1966, aber ihre ersten beiden Alben von '67 und '68 waren dereinst so far out, dass man sie getrost sogar heute noch innovativ nennen kann. Thompson hat inzwischen einen neuen Drummer, und vor Allem dieser Jesse Chamberlain versucht die Band als Songwriter in (relativ...) kommerzielleres Fahrwasser zu steuern - aber da sind Thompsons Wunsch nach Experimenten und sein seltsamer Gesang vor – zumal er sich alle Musiker von Pere Ubu und Lora Logic von den X-Ray Spex an Bord holt. Soldier-Talk war als eine Art Konzept-Album über Militarismus gedacht, Thompson und Chamberlain teilten sich die Gesangsparts und ihre unterschiedlichen Auffassungen von Musik sind durchaus hörbar – mitunter als Gewinn, mal als zu starker Kontrast. Chamberlain ist ein virtuoser, jazz-informierter Drummer und seine Beiträge sind beeindruckend, das Spiel der Pere Ubu-Mannschaft ist ebenfalls auf avantgardistische Art virtuos, so dass ich bei Tracks wie dem „March No. 14“ an britische Bands wie Henry Cow oder Art Bears denken muss. Aber wenn Mayo Thompson dann beim darauf folgenden Titeltrack seine Enten-Stimme dehnt und Lora Logic das Saxophon dazu quäken lässt, bleiben alle Vergleiche auf der Strecke. Ich weiss nicht, ob Soldier-Talk Post-Punk ist - oder Avantgarde-Rock oder was – es dürfte den Unerschrockeneren unter den The Fall-Fans jedenfalls gefallen haben, wenn sie es wahrgenommen haben. Für Red Crayola-Verhältnisse ist dies teilweise ein sehr genießbares Album, insbesondere die Tracks bei denen Chamberlain erkennbar die Zügel in der Hand hat, könnten beinah als normaler Post-Punk durchgehen – Post-Punk im Zerrspiegel immerhin. Dass ich im Anschluss hier das '79er Album von Pere Ubu beschreiben werde, versteht sich. Aber zuerst kommt die UK-Band...

The Red Crayola - Soldier-Talk (full album) 


Gang Of Four


Entertainment!

(EMI, 1979)

Gang of Four (nach der chinesischen „Viererbande“ - dem linken Flügel der kommunistischen Partei - benannt...) sind ein weiteres Beispiel für die stilistische Bandbreite des sog. Post-Punk. Auch Sie entstehen im Zuge des Punk-Aufruhrs 1977, auch sie werden von DJ John Peel mit ihrer ersten Single „Damaged Goods“ in höchsten Tönen gelobt, touren gemeinsam mit The Fall – und auch sie sind zumindest zu dieser Zeit wegen ihres Sounds aus hartem Funk-Bass, Tanz-Rhythmen, parolenhaftem Sprech-Gesang und Gitarren-Splittern unverwechselbar. Ihr Debütalbum Entertainment! ist früh-vollendet – an die Klasse dieses Albums kamen sie selber nicht mehr heran, selten habe ich ein so durchgehend spannendes Album gehört, ob „Damaged Goods“ - ihre Hit-Single, ob das folgende „Return the Gift“, ob das wieder darauf folgende hektische „Guns Before Butter“, ob der Anti-Love Song „Anthrax“ - es gibt keine verschwendete Sekunde. Ich musste mich an die konzentrierte Hektik, an die Überlappung von schwarzem Funk mit messerscharfem Post-Punk erst einmal gewöhnen – aber das ist eine Qualität - kein Nachteil. Andy Gill's Gitarrenspiel ist das Gegenteil aller Gitarren-Heroen der frühen Siebziger und zugleich virtuos auf beeindruckende Weise. Hugo Burnham (dr) und Dave Allen (b) spielen ihre Funk-Rhythmen mit einer Wucht, die jeden mitreissen muss. Dazu schrei-singt Jon King scharfe und intelligente politische Lyrics, die das Establishment im UK tatsächlich in Empörung versetzte: Bald wurden sie vom allmächtigen BBC verbannt und verloren die Unterstützung der Plattenfirma – aber die Saat war gesät. Der Einfluss dieses Albums (...die nachfolgenden sind auch nicht schlecht, aber nicht so toll wie dieses!) kann nicht überschätzt werden. Von Nirvana über die Red Hot Chilli Peppers bis zu den Post-Punk Epigonen der 00er Jahre (man höre nur das Debüt der Band Hard-Fi – ein nettes Imitat) haben etliche namhafte Musiker Entertainment! In den Himmel gehoben. Es gilt als eines der definitiven Alben der Siebziger. Zu Recht.

Gang of Four - Anthrax 

Pere Ubu


New Picnic Time

(Rough Trade, 1979)

Ganz lustiges Fakt am Rande – Post-Punk in den USA ist „älter“, hat eine längere Geschichte als im UK. Pere Ubu – die in diesem Jahr allesamt Mayo Thompsons Band The Red Crayola (gegr. 1966...) unterstützen – haben schon seit 1970 ihre eigene Geschichte (als Rocket from the Tombs). Ihre ersten beiden Alben Modern Dance und Dub Housing sind zwar erst im Vorjahr erschienen (siehe der Artikel über die Szene in Cleveland... ), aber sie ziehen schon seit Mitte der Siebziger ihre Kreise über Amerika's Underground-Szenen. Aber - na ja, vielleicht vertu' ich mich hier ja auch, und Pere Ubu sind nicht Post-Punk... Immerhin - Wer The Red Crayola mochte, kann mit New Picnic Time , Pere Ubu's drittem Album, vermutlich auch viel anfangen. Wenn Mayo Thompson's Gesang befremdlich klingt, dann ist der von David Thomas komplett verrückt. Der lacht, quaakt, jammert, grölt und macht mit seiner seltsamen „Fettes Kind-Stimme“ alles, was man als „Rock“ Sänger nicht darf. Dazu spielt diese so eigenartig virtuose Band einen Mix aus konventionellen Parts und Freak-Outs, die sich überlagern, abwechseln und unvermutet auf- und wieder abtauchen. New Picnic Time gilt gemeinhin als weniger beeindruckend als die beiden (zugegebenermaßen sehr einzigartigen) Vorgänger. Ich hebe dieses Album hiermit auf die gleiche Stufe. Wirklich zugänglich mag hier Nichts sein, ob es der hysterisch-fröhliche Opener „Have Shoes Will Walk (The Fabulous Sequel)“, ob Thomas' Sirenen-Geheul am Anfang von „All the Dogs Are Barking“, ob das zwischendurch so strukturierte Chaos von „One Less Worry“... dass die Band die Aufnahmen und die folgende Tour nicht überstanden und dass Gitarrist Tom Herman die Band verließ, höre ich hier nicht heraus. Wie wir wissen, kam ja dann Mayo Thompson von Red Crayola als dessen Ersatz dazu – bzw. machte Pere Ubu für die Aufnahmen zum oben beschriebenen Soldier-Talk erst einmal zu seiner Band. Somit endet die erste Phase von Pere Ubu mit einem sehr gelungenen, wenn auch weniger hoch eingeschätzten Album. David Thomas machte etliche Solo-Alben und Pere Ubu re-inkarnieren bis heute. Mindestens die ersten drei Pere Ubu Alben gehören in den Post-Punk Kanon.

Pere Ubu - One Less Worry 

The Pop Group


Y

(Radarscope, 1979)

Die gehören wohl auch hier hin. The Pop Group stammt aus Bristol, wo sich (auch '77 – aber nicht in Bewunderung der Sex Pistols...) ein paar junge Leute zusammengetan haben, um klare, linke politische Aussagen und eine steigende Wut über die erstarkten Konservativen bis Rechten in England in Musik irgendwo zwischen Dub, Reggae, Avantgarde, Free Jazz und Funk umzuwandeln. Heraus kommt in der Tat Post-Punk – Musik, die derjenige sich gerne anhören wird, der die Gang of Four oder P.I.L. mag. Natürlich sind an den fünf jungen Leuten die Erregung des Punk und die Befreiung des Post-Punk nicht vorbei gegangen – aber ich denke, man muss unterstellen, dass in dieser Zeit kein Musiker ein Label für seine Kunst verpasst bekommen wollte, egal was er machte - es sei denn, er oder sie versprach sich Popularität und kommerzielle Vorteile davon. So etwas kann man der Pop Group gewiss nicht vorwerfen. Heute mögen sich die dubbigen Bässe, die zersplitterten Gitarren, das von Jazz und Reggae inspirierte Drumming und Mark Stewart's Deklamationen nicht mehr ganz so erschreckend anhören – aber wir haben 1979 – da ist so etwas neu, seltsam, aggressiv, und weit weg vom Mainstream. Y - Das Debüt der Pop Group nach der sensationellen, für '79 ebenso exzentrischen Single „She Is Beyond Good and Evil“ wird in dieser Zeit nur von sehr offenen und neugierigen Menschen gehört, Tracks wie „Don't Call Me Pain“ werden von Dub/Reggae Produzenten Dennis Bovell komplett durch die Echokammer gejagt und zerstückelt, der Opener „Thief of Fire“ ist noch schön rhythmisch und fast „konventionell“, aber am Schluss wird bei „Don't Sell Your Dreams“ jede gewohnte Struktur gesprengt. Und all das ist logisch: The Pop Group sind linke Agitatoren, die Musik nur als Transportmittel für Aussagen nutzen. Dass sie mit ihren Aussagen zeitlos sind, kann man allein an der einen Zeile bei „Blood Money“ erkennen, wo Mark Stewart konstatiert: "Money's a weapon of terror". Gut erkannt. 

The Pop Group - Thief of Fire 

Devo


Duty Now for the Future

(Warner Bros., 1979)

Zurück in die USA, wo die aus Ohio stammenden (siehe mein kleines Kapitel 1978 – Da gab es auch eine Szene in Cleveland – Pere Ubu und Devo ) und inzwischen in New York beheimateten Devo ihr zweites Album gemacht haben. Zur Produktion gehen sie nach Hollywood, wo sie sich - nach Brian Eno beim Debüt – mit Ken Scott erneut einen Bowie-Produzenten an Bord holen. Der ordnet sich allerdings im Gegensatz zu Eno den Vorstellungen der Musiker unter – und so ist Duty Now for the Future vermutlich nah an den Ideal-Vorstellungen der Band, aber nicht ganz so gelungen wie das konzeptuell und soundtechnisch so aufregende Q: Are We Not Men? A: We Are Devo! An den Songs liegt es nicht – die sind teilweise schon drei Jahre alt und in Konzerten erprobt, aber der Reiz des Neuen scheint ein bisschen verflogen. Devo klingen auf diesem neuen Album wie eine der aktuell so erfolgreichen Synth-Pop Bands, aber die meisten Sounds sind immer noch mit Gitarre, Bass, Drums und Keyboards erzeugt und vielfach bearbeitet. Keine Ahnung – vielleicht lässt das dieses Album etwas schwachbrüstig klingen, Q: Are We Not Men... klang auch synthetisch – und zugleich sehr energetisch. Das geht diesem Album ab. Die Songs hingegen sind teilweise ganz hervorragend: „S.I.B. (Swelling Itching Brain)“ brächte nur etwas mehr Bass, „Blockhead“ ist im Sound näher am Debüt und hat auch dessen seltsam bekloppten Reiz, „The Day My Baby Gave a Surprize“ ist herrlich eigenartig und klingt so, wie nur Devo klingen können: Als hätten ein paar durchgeknallte Wissenschaftler Popmusik im Labor zusammengemixt, ohne zu wissen, um was es dabei eigentlich geht. Duty Now for the Future klingt heute vermutlich ein bisschen zu altmodisch, ist nicht so zeitlos wie das Debüt, aber Moden kommen und gehen – und kommen wieder. 

Devo - Blockhead 

The Raincoats


s/t

(Rough Trade, 1979)

und ich hüpfe wieder ins United Kingdom... Und wieder taucht Mayo Thompson auf... Der nämlich produziert das erste Album der Londonder Kunst-Studentinnen Raincoats. Auch die haben sich '77 als Reaktion auf die Alles-ist-möglich Attitüde des Punk zusammengetan – erst auch mit ein paar Männern im Line-Up, die dann wiederum zu den Barracuda's oder P.I.L. wechselten. Seit '78 sind sie eine all-female Band, die sich in der Londoner Hausbesetzer-Szene herumtreibt und improvisierend und sich bewusst der Virtuosität verweigernd in diversen Clubs auftritt. Das Indie Label Rough Trade findet Gefallen an Haltung und Musik der Band, die inzwischen mit der Violinistin Vicky Aspinall, Ana Da Silva (g, voc), Gina Birch (b, voc) und der Drummerin Palmolive von den gleichgesinnten Slits (siehe unten) als Gast ins Studio geht. Mayo Thompson wird als Produzent seine Freude an den selbstbewussten Musikerinnen gehabt haben, diesen scheinbar so undisziplinierten Haufen der zehn Tracks einspielt, die durch die Violine, durch schlaue und exzentrische Arrangements und Ideen und insbesondere durch das Zusammenspiel der Vier, das immer kurz vor dem Auseinanderfallen zu stehen scheint, so ganz neu und anders klingt. Das Album The Raincoats passt bei allem Individualismus, zu den Alben der Slits, Gang of Four, oder Pop Group – weil hier gegen jede althergebrachte Weise Musik als Kunst geschaffen wird. Und dabei sind Songs wie „Life on the Line“, „Fairytale In The Supermarket“ und das Kinks-Cover „Lola“ so gut gelungen, dass sie bis heute funktionieren. Dass eine Frauen-Bands in der konservativen Punk-Szene eine Ausnahme war, die sich mit dem Machismo innerhalb dieser Szene herumschlagen musste, sollte immer bedacht werden. Dass The Raincoats in allen Bestandteilen ein „piece of art“ - und ein selbstbewusstes femistisches Statement - ist, dürfte inzwischen bekannt sein. Damals bewunderte immerhin Johnny Rotten die Band, inzwischen haben Riot Grrls, Kurt Cobain und all wir Musik-Nerds erkannt, dass das hier ein hervorragendes Album ist. Jetzt musst nur du das noch erkennen...

 The Raincoats - Fairytale In The Supermarket


Contortions


Buy

(ZE Rec., 1979)

James White and the Blacks


Off White

(ZE Rec., 1979)

Aus New York kommen 1979 zwei quintessenziellen No Wave Alben, die mich persönlich an so manches erinnern, was in England The Pop Group, die Raincoats oder die Slits machen: Es sind die simultan veröffentlichten Geschwister-Alben von James Siegfried aka James Chance aka James White and the Blacks (Off White) und das Album Buy von dessen Band incl. Ihm selber unter dem Moniker Contortions. Zwei Alben mit der Musik, die Brian Eno im Vorjahr auf dem ganz hervorragenden Sampler No New York (siehe 1978 - Papst Johannes Paul I &II, J.R. Ewing und Dallas - Elvis Costello bis Big Star ) kompiliert hatte. Welches der beiden Alben „besser“ ist, kann ich ganz einfach nicht sagen. Chance/White hat ein musikalisches Konzept, das auf beiden Alben greift, es gibt allein schon wegen des identischen Personals Parallelen, für Off White hatte Chance (/White... ich nenne ihn ab jetzt nur noch Chance...) einen Deal mit dem Boss von ZE Records über 10.000 Dollar gemacht. Der wollte ein „Disco“ Album von Chance – in dessen eigener Sprache. So orientiert sich Off White an den Disco-Singles, die Chance in dieser Zeit bewusst hört, und es orientiert sich an James Brown (daher auch der Name James White – klar, oder?) und natürlich an Chance's Vorlieben für Free Jazz und Punk. So passt also das Etikett Dance-Punk fast genau - und wer den Opener „Contort Yourself“ hört, erkennt was damit gemeint ist. Und dass Chance im ersten Song von Off White („Contort Yourself“) sein „anderes“ Projekt in den Titel aufnimmt wird schlüssig, sobald man sich Buy von seinen Contortions anhört. Es ist erkennbar das gleiche Personal und der gleiche Sound aus Chance's freiem Saxophon, leiernden Gitarren-Licks und seiner Jungs-Stimme – die auf Buy aber einen gerne einen zynischen Unterton bekommt. In der Tat sind die Rhythmen auf diesem Album nicht ganz so auf Tanzbarkeit getrimmt, sind die Lyrics düsterer und näher am Nihilismus mancher britscher Punk-Acts – wenn er etwa über seine Freunde sagt: „Once I figure them out, they're a waste of my time“ - und wenn er das Motto „I prefer the ridiculous to the sublime“ postuliert. Auch auf Buy gibt es einen Track titels „Contort Yourself“ - aber hier wird er zu einem primitiven Free Jazz Ausbruch mit aggressivem Geschrei von Chance. Wo Off White ein hedonistischer und durchaus munterer Versuch in Disco via Jazz und Punk ist – eine Stilübung – da hat Buy die Botschaft: „Alles Fake, überall Idioten, aber so ist es nun mal, also lasst uns feiern“ Das ist New York Nighlife '79 in einer Nussschale. Dass dabei so typische und zugleich eigen- und einzigartige „New York-Musik“ herauskommt, ist begrüssenswert.

 James White and the Blacks - Contort Yourself

Contortions - Contort Yourself

The Slits


Cut

(Island, 1979)

Zum Schluss (weil es sonst zu viel wird...) und im Zusammenhang mit den Raincoats eine weitere britische all female (Post) Punk Band – eigentlich DIE feministische all female Band der damaligen Zeit. Die Slits sind in der erblühenden musikalischen Landschaft nach Punk tatsächlich - mehr als die Raincoats - so etwas wie die Superstars dieser Non-Star-Szene. Sie fangen schon1976 mit ihrer Musik an – sind also zur Beruhigung aller Kredibilitäts-Wächter - keine Kopisten, und erschaffen selber den Trend. Da sind zunächst die bald bei den Raincoats trommelnde Palmolive (eigentlich Paloma Romero) und die Sängerin Ari Up (Ariane Forster), die sich nach ein paar Personalwechseln mit Viv Albertine (g) und Tessa Pollitt (b) zusammentun und bald mit The Clash und den Buzzcocks touren – und sich bei diesen Auftritten einen hervorragenden Ruf als Live-Event erspielen. John Peel (ja, der schon wieder..) liebt sie und nimmt mit ihnen die üblichen Peel Sessions auf (sehr lohnendes Album, erst '99 veröffentlicht), dann lassen sie ihre Drummerin zu den Raincoats abwandern. Für ihr Debüt holen sie sich mit Budgie einen Mann als Gast an die Drums und lassen den von seiner Arbeit mit der Pop Group bekannten Reggae-Spezialisten Dennis Bovell produzieren. Der zähmt sie ein bisschen (klagen die einen) bzw. gibt ihnen die Reggae/Dub-Behandlung, die Cut zu seinem so erstaunlichen Album macht (sage ich...). Ich denke, egal, wie sie produziert werden, die Herangehensweise der Slits an Musik ist wunderbar experimentell, unvoreingenommen und sehr humorvoll. Sie klingen wie kaum eine Band in ihrem Umkreis – auch nicht so wie die Raincoats - aber sie haben mit Cut ebenfalls Unmengen von Musiker(inne)n beeinflusst, sind vermutlich DIE Ur-Riot Grrrl Band und wurden letztlich nie kopiert. Sie haben eigenwillige Songs wie „Instant Hit“ oder „Shoplifting“ irgendwo zwischen rudimentärem Punk, Dub und Kunst - und mit „Typical Girls“ ist auch noch ein echter Pop-Hit incl. Motto dabei. Um die revolutionäre Wirkung dieses Albums zu verstehen, muss man sich Folgendes bewusst machen: 1979 ist eine ganze Band aus MusikerINNEN die NICHT niedlich, zahm und sexy ist ein regelrechter Affront gegen das Establishment und gegen die Sitten, - und wenn diese Band auch noch selber kreierte Musik, ein Punk-Image (an sich schon schlimm genug) und ein solches Album-Cover hinlegt, dann nehmen die meisten Zeitgenossen das als Skandal wahr. Dass die Musik hier wunderbar eigensinnig, stilvoll und unterhaltsam ist, geht damals fast unter. Immerhin ist Cut inzwischen in fast allen Aufzählungen der wichtigsten Post-Punk Alben mit dabei. Zu Recht. Einflussreich UND aufregend – sogar heute noch. Was will ich mehr.

The Slits - Typical Girls 

Ach ja...


Wie gesagt, es gäbe noch einige bis etliche Alben die hier hin passten: Residents, Ruts, Swell Maps sind genauso ohne Zweifel der „Post-Punk“ der Cure oder Stranglers – aber die kommen anderswo vor. Und P.I.L., Joy Division und This Heat – die alle drei mit ihren '79er Alben hier hin MÜSSEN – sind im Hauptartikel/Blogeintrag 1979 - Atomunfall in Harrisburg, Khomeini im Iran und Maggie Thatcher in England - The Clash bis Lee Clayton beschrieben. Also siehe ebenda.











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