Mittwoch, 3. Oktober 2018

1969 – Nick Drake bis Jimmy Campbell - Traurige Barden werden Singer/Songwriter

Die hier unten versammelten Musiker und Alben mögen stilistisch sehr unterschiedliche Grundlagen haben – und ich will auch keine Ähnlichkeiten herbeifantasieren - aber eines fällt auf im Jahr 1969: Viele Songwriter haben den politischen Protest gegen eine desillusionierte Haltung zum politischem Tagesgeschehen und gegen die private Innenschau eingetauscht. Noch ist es nicht die pure Introspektion, noch kreisen sie nicht allein um sich selbst, noch sehen sie auch mal nach Aussen, aber da ist entweder melancholische Ruhe eingekehrt (Drake, Buckley) oder tiefschwarze Ironie an die Stelle von Idealen getreten (Walker, Van Zandt) – oder die Musiker sind - wie Skip Spence – selber zu Ruinen des Traumgebäudes „Love and Peace“ geworden. So mag die musikalische Sprache bei allen hier versammelten Alben und Musikern unterschiedlich sein – die Singer/Songwriter aus England mögen sich auf den britischen Folk beziehen, auf das europäische „Kunstlied“ oder den Chanson, die Amerikaner auf Country, Folk, Hillbilly und Blues, aber sie alle haben auch die elektrifizierte (Rock)-Musik ihrer Zeit gehört und als Teil ihrer eigenen Geschichte in ihre Musik integriert. Und sie alle haben textlich die besagten thematischen Gemeinsamkeiten – und es sind insbesondere diese Aussagen/Texte, die sich im Vergleich zu denen der „Singer/Songwriter“vor '67/'68 stark verändert haben. Texte, die bei allen hier versammelten Musikern verdammt wichtig sind, sind nun oft allgemeiner und allgemein-gültiger geworden. Dies war damals eine neue Art von Musik – hier etabliert sich der bis heute im Grunde unveränderte „Singer/Songwriter“.

Nick Drake


Five Leaves Left

(Island, 1969)

Von heute aus gesehen hatte Nick Drake doch eigentlich alles, was einen erfolgreichen Musiker ausmachen sollte: Er hatte eine wunderbare Stimme, war ein versierter Gitarrist, hatte großartige Songs und er hatte für sein Debüt Five Leaves Left (Der Titel bezieht sich auf die letzten 5 Blättchen für Zigaretten) mit Joe Boyd einen namhaften Produzenten und die Besten der Besten der britischen Folk Szene als Begleitung (Richard Thompson von Fairport Convention an der Gitarre und Danny Thompson von Pentangel am Bass). Aber - der junge Mann war viel zu perfektionistisch um Live auftreten zu können, dazu noch äußerst introvertiert– so sehr, daß er bei den wenigen Konzerten mitunter minutenlang stumm dasaß und seine Gitarre stimmte. Seine Studioalben allerdings zeigen, wie gut er war, und was für ein Talent die Welt verlor, als er sich 1974 umbrachte. Schon dieses Debüt besticht durch die melodisch reichen Songs, und es ist durchaus optimistisch im Ton, und durch die dezenten Streicher und Bläser-Arrangements des Schulfreundes Robert Kirby klingen die Songs noch delikater. Die Lyrics sind zwar melancholisch, aber man kann wirklich nicht – wie es so gerne versucht wird – suizidale Gedanken hineinlesen. Dazu ist seine Stimme und Intonierung nicht etwa düster, nein, ich habe eher einen ruhigen, vielleicht etwas verregneten Samstag Nachmittag in England vor den Augen, wenn ich diesen Klang höre. Jeder hat auf diesem (wie auf den beiden folgenden Alben) so seine Favoriten, meine wären „River Man“ und „Cello Song“ - aber das Album ist als Ganzes perfekt – und diese Atmosphäre in die Sonne Kaliforniens versetzt führt mich zu.....

Nick Drake - River Man 


Alexander „Skip“ Spence


Oar

(CBS, 1969)

.. der allerdings mit noch mehr Recht gerne mit Syd Barrett verglichen wird. Alexander Spence hatte ein paar Jahre zuvor mit den so talentierten wie glücklosen Moby Grape eine Karriere vor die Wand gefahren. Mit den damals angesagten Drogen hatte er sich Paranoia und Schzophrenie zugelegt, und war dann in der Psychiatrie verschwunden. Ein halbes Jahr später tauchte er wieder auf, verlangte ein Motorrad und Studiozeit in Nashville und nahm mit kleinem Budget komplett alleine dieses Solo-Album innerhalb weniger Tage auf . Dass er die Songs kaum ausformulierte, dass sie - nach heutigen Masstäben – wahrhaftig „LoFi“ sind, verleiht ihnen nun eine seltsame Modernität. Zur damaligen Zeit war diese Nicht-Produktion keine Qualität, sondern ein Mangel, heute kenne ich etliche „erfolgreichere“ Alben, die weit weniger durchgestyled sind, und das als Credibility verkaufen. Aber – wie immer – was zählt, sind die Songs: Und da hatte Skip Spence, vielleicht gerade weil er (zumindest für kurze Zeit) einem extremen Umfeld entkommen war, anscheinend einen Berg an Inspiration und Material vorzuweisen. Schon bei Moby Grape war Spence DER Songwriter gewesen (...neben anderen, die waren ein Sammelbecken für talentierte Musiker...), er hatte u.a. deren besten Song „Omaha“ geschrieben, hier scheint sein Talent noch einmal auf wie ein dunkler Diamant, Da ist „War in Peace“, gesungen im Falsett, ein Stück das so lose und zufällig klingt wie es zugleich konzentrierte Planung bietet – Spence spielte wie gesagt alle Instrumente selber ein, und dabei alle Elemente im Rahmen zu halten erfordert ein genaues Wissen um das erwünschte Resultat. Dann ist da das über neun-minütige „Grey/ Afro“, eine verfremdete Stimme, die dubiose Lyrics über Bass und Drums rezitiert. Oar dokumentiert, wie ein kreativer Geist langsam immer tiefer in Depression und Wahnsinn versinkt – und sich damit fast freudvoll abfindet. Das Album mag finstere Seiten haben, aber Spence war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich auch glücklich über die Gelegenheit, sich äußern zu können. Selbstredend wollte '69 keiner diese Outsider-Musik hören – inzwischen hat Oar mindestens Kultstatus. Spence versank hiernach immer tiefer in Sucht und Krankheit und starb völlig verarmt im Jahr 1999 in einem Heim.

Skip Spence - War in Peace 


Leonard Cohen


Songs From a Room

(CBS, 1969)

Leonard Cohen's erste drei (eigentlich sogar vier...) Alben gehören sicher allesamt zu den Ikonen der Schlafzimmer-(Rock)musik – Songs of Love and Hate, der tief-dunkle '70er Nachfolger zu Songs From a Room , ist eines der größten Alben in der Zunft in der Singer/Songwriter – hunderte Male nachgeahmt, nie erreicht... und das '67er Debütalbum hat die bekannteren Songs. So ist dieses zweite Album Cohen's gewissermaßen eingezwängt zwischen zwei Meisterwerken – was seiner Qualität aber keinen Abbruch tut. Immerhin sind hier Songs wie „Bird on a Wire, „The Story of Isaac“ und „Tonight Will Be Fine“, die allein schon ein ganzes Album tragen können. Aber offenbar sah Cohen hier noch nicht völlig schwarz. Natürlich war er kein „Pop-Sänger“, er klang schon beim Debüt so alt wie die Zeit, und das hatte sich natürlich inzwischen nicht geändert, aber noch strahlt hier und da die Abendsonne in die Songs, wenn er beim Opener „Bird on a Wire“ etwa Bilder vom „...worm on a hook" bis zum „knight in an old-fashioned book“ entstehen lässt. Die Arrangements sind etwas sparsamer als auf dem Debüt, in fast jedem Song erklingt irgendwo im Hintergrund die Maultrommel, dafür erklingen beim wortgewaltigen „A Bunch of Lonesome Heroes“ auf einmal Acid-Gitarren. Cohen's Stil ist durch seine Reduziertheit zeitlos geblieben – auch wenn es auf Songs from a Room hier und da ein paar Hinweise auf die damals aktuellen Moden geben mag. Das Prinzip dieser Art von Musik hat sich vermutlich seit dem Mittelalter kaum geändert: Melodie trägt Text trägt Stimme - und Leonard Cohen's Pfund war neben den fantastischen Texten immer die Reduktion in seiner Musik, die anscheinend so simplen Melodien und sein murmender Bariton – und von all dem bietet Songs From a Room reichlich. Leonard Cohen ist das Vorbild sehr vieler trauriger Männer.

Leonard Cohen - A Bunch of Lonesome Heroes 


Tim Buckley


Happy/Sad

(Elektra, 1969)

Tim Buckley


Blue Afternoon

(Straight, 1969)

Happy/Sad ist Tim Buckley's schönstes Album. Es mag nicht sein visionärstes sein, es mag auch nicht sein zugänglichstes sein, es ist eigentlich ein Album des Überganges, aber es hat eine einzigartig spätsommerliche Atmosphäre, die es in der Zeit einfängt, wie ein Insekt in Bernstein. Nach dem Erfolg von Goodbye and Hello entschloss sich Buckley, seine Vorliebe für Jazz in seinen Folk-Singer/Songwriter Sound einfließen zu lassen und nahm mit kleiner akustischer Besetzung eine mutige Kollektion von gerade mal sechs teils über 10 minütigen Songs auf, die die Grenzen seines bisherigen Schaffens in allen Richtungen überschritt. Es ist für mich immer wieder erstaunlich zu bemerken, dass auf Happy/Sad weder Drums noch Percussion die außerordentlich rhythmische Musik unterstützen. Der Bass und ein prägnates Vibraphon untermalen Gitarren zwischen jazzigen Soli und weichen Chords. Die Hauptarbeit aber übernimmt natürlich Tim Buckleys fantastische Stimme. Hier begann er wirklich die Grenzen ihrer Möglichkeiten auszuloten – aber einer der wunderbaren Aspekte an Happy/Sad ist, dass er seine Stimme hier trotzdem noch den Songs unterordnete. Songs, bei denen sich zeigt, dass Buckley auch als Songwriter Hochform war. Es ist meiner Meinung nach das beste Album, um einen Einstieg in sein Werk zu finden. Kaum fünf Monate später war Buckley zu Frank Zappas Straight Label gewechselt und vollzog den Schritt hin zu seiner Vision/Version von Jazz in aller Konsequenz. Er produzierte nun selber und nahm in vier Wochen nicht nur Blue Afternoon, sondern auch – zumindest teilweise - die beiden Nachfolger Lorca und Starsailor auf. Das zunächst '69 veröffentlichte Blue Afternoon besteht dabei noch aus älterem Material, zunächst für Happy/Sad gedachten Songs wie dem optimistischen Opener „Happy Time“ oder dem weit düstereren „Chase the Blues Away“. Hier war noch Folk der Ausgangspunkt für Exkursionen in eine seltsame, eigenwillige Form von Vocal-Jazz. Der Einzige der in eine ähnliche Richtung gegangen war, war im Jahr zuvor Van Morrison mit Astral Weeks gewesen – aber dessen irirsche Wurzeln und der Blues waren dort Leitmotive . Auf Blue Afternoon ist der Folk-Einfluss prägend, noch ging Buckley nicht so weit, wie auf den folgenden beiden Alben. „River“ und „Cafe“ wären auch auf dem Vorgänger nicht fehl am Platze gewesen, sind atmosphärisch und melodisch, der letzte Song auf der LP, „The Train“ weist dann aber schon in die Richtung, in die Buckley seine Stimme dehnen sollte. 

Tim Buckley - Buzzin' Fly 

Tim Buckley - Chase the Blues Away 


Scott Walker


Scott 3

(Phillips, 1969)

Scott Walker


Scott 4

(Philips, 1969)

Scott 3, Scott Walker's letztes Top Ten Album im United Kingdom war das erste, auf dem er den überwiegenden Teil der Songs selber verfasst hatte - die drei übrigen Songs entstammen der Feder seines großen Vorbildes Jacques Brel. Man muß sich bei diesem Album mal vor Augen halten, dass Walker vor gerade mal 18 Monaten noch als Teenager Idol in den entsprechenden Magazinen abgelichtet worden war - und nun sang er auf „Big Louise“ für die Zeit ausgesprochen explizit über eine Prostituierte! Aber was Scott 3 auf musikalischem Gebiet so ungewöhnlich macht, ist die Vermischung zweier ästhetischer Systeme: Eine Orchestration die an Sinatra gemahnt stößt auf Gesang und Texte, die so tiefgründig und melancholisch sind, dass sie in diesem Zusammenhang fast surreal wirken – Ein Kontrast, den Sinatra ja bei seinem dunklen Meisterwerken Sings Only for the Lonely ebenfalls nutzte. Aber noch gibt es auf Scott 3 lichte Momente, auch wenn bei „It's Raining Today“ die Geigen im Hintergrund fast atonal flirren, meint man Hoffnung fühlen zu können. „If You Go Away“ basiert auf dem Jacques Brel Song „Ne me quitte pas“ und ist mindestens so berührend wie das Original, „Copenhagen“ läßt, wie manches an dieser Musik auch an den frühen David Bowie denken - der sich wiederum Scott Walker sicherlich angehört hat. Manchem gilt Scott 3 aufgrund seiner Kombination aus Anspruch und düsterem Pop-Appeal als Walkers bestes Album, experimenteller noch war dann das im selben Jahr veröffentlichte Album No.4. Hier sind alle Songs von Scott Walker selber geschrieben, und die dazugehörigen Lyrics sind für den Pop-Betrieb nun vollkommen ungeeignet. Es wurde logischwerweise das erste Album, das die britischen Top Ten nicht erreichen sollte. Schon der erste Track „The Seventh Seal“ behandelt den gleichnamigen Ingmar Bergman Filmklassiker, „The Old Man's Back Again“ ist dem Neo-Stalinistischen Regime gewidmet, „Hero of the War“ ist ein ironischer Tribut an einen Kriegshelden. Auf dem Backcover wurde Albert Camus mit "a man's work is nothing but this slow trek to rediscover, through the detours of art, those two or three great and simple images in whose presence his heart first opened" zitiert. Musikalisch wurden die Arrangements etwas heruntergefahren, erinnern manchmal an Filmmusik von Ennio Morricone, die Songs bleiben aber noch wundersam melodisch und wunderbar majestätisch. Walker hatte bislang noch nie so gut komponiert. Dass er sich mit dieser Musik - die ihm offenbar eine Herzensangelegenheit war – ins kommerzielle Abseits manövrierte, würde ihm in den kommenden Jahren wohl immer gleichgültiger werden. Bald kamen noch ein paar etwas halbherzigere und kommerziellere Alben, die das Anhören kaum lohnen, aber dann machte er mit den Walker Brothers auf Nite Flights (78) weiter mit Experimenten, wandte sich ganz von Pop und Kommerz ab und ist inzwischen mit Alben wie Drift oder Soused (mit der Extrem-Drone Band SunnO))) völlig ausserhalb der Populärmusik gelandet. Da, wo er wohl hin wollte... 

Scott Walker - Big Louise 

Scott Walker - The Old Man's Back Again 



Townes Van Zandt


Our Mother The Mountain

(Tomato, 1969)

Townes Van Zandt


s/t

(Tomato, 1969)

Townes Van Zandt hatte im Vorjahr sein Debüt veröffentlicht und sich Respekt unter anderen Musikern verschafft, der kommerzielle Erfolg seiner eigenen Platten jedoch blieb bescheiden. Dabei war er ein hervorragender, am Stil Lightnin' Hopkins' geschulter Gitarrist, hatte eine angenehme, wenn auch etwas brüchige Stimme. Das wirkliche Pfund, mit dem Van Zandt wuchern konnte, waren seine Songs und deren Lyrics: Nicht umsonst gilt er so manchem Berufenen (in seinem Genre) bis heute als der Shakespeare der Textdichtung – was heißen soll: Er war in der Lage in kurzen Zeilen eine komplette und komplexe Geschichte entstehen zu lassen. Er dürfte vermutlich zeitlebens von den Tantiemen seiner Songs ein befriedigendes Einkommen gehabt haben – litt aber unter Depressionen und hatte ein ausgewachsenes Alkoholproblem. Sein zweites Album Our Mother the Mountain ist nur ein weiteres von vielen hervorragenden Alben des Texaners. Hier produzierte - wie auf dem Debüt - wieder Jack Clement. Der verlieh den Songs wieder ein teils etwas zu barockes Gewand, das sie nicht unbedingt nötig gehabt hätten. Umso beeindruckender ist es daher, wie wenig die Arrangements dem Songmaterial bis heute geschadet haben. „Kathleen“ beispielsweise ist in jeder Form als großartiges Stück zu erkennen, „Tecumseh Valley“ kannte man schon vom Debüt, war hier immerhin etwas sparsamer arrangiert und ist ebenso zeitlos. Insbesondere die zweite Hälfte des Albums profitiert dann aber von einfacheren Arrangements. Auf dem im selben Jahr veröffentlichten Nachfolger Townes Van Zandt verzichtete Van Zandt dann auf die Dienste von Clement und nahm seine Songs nun endlich so sparsam wie nötig auf. Und da ihm die Aufnahmen einiger Songs auf den vorherigen Alben nicht gefallen hatten nahm er die wichtigsten davon erneut auf: „Waiting Around To Die“, „I'll Be Here In The Morning“ und der Titelsong des Debüts sind intensiver noch als auf dem Debüt For The Sake Of The Song - wenn das überhaupt möglich ist. Die Melancholie und Düsternis seiner Geschichten kam in der kargen Instrumentierung besser zur Geltung, und neben den „alten“ Tunes gab es selbstverständlich wieder wunderbares neues Material. Die Minenarbeiter-Ballade „Lungs“ ist sowohl melodisch als auch textlich perfekt, genau wie „None But the Rain“, ein Song über eine fehlgeschlagene Bezieheung - oder die hoffnungslose Ballade von „St. John the Gambler“ vom vorherigen Album... Nicht umsonst werden Van Zandt's Texte in ihrer Prägnanz und poetischen Eleganz mit den Großen der Musik – wie Dylan und dem Vorbild Hank Williams - auf eine Stufe gestellt. Und die Musik auf seinen Alben – meist eher Folk als Country, obwohl später meist von den Großen der Countrymusik gecovert – hat weit mehr Beachtung verdient, als sie bekam. Die beiden '69er Alben gehören zu Townes Van Zandts besten – aber man kann bis zum '78er Album Flyin' Shoes bei den musikalischen Hinterlassenschaften dieses Mannes nichts falsch machen.

 Townes Van Zandt - Kathleen

 Townes Van Zandt - Lungs


Mickey Bewbury


Looks Like Rain

(Mercury, 1969)

Wer Townes Van Zandt in diese Reihe stellt, muss auch dessen Kollegen Mickey Newbury hinzufügen – der 1969 nach einem für ihn unbefriedigenden Debüt sein zweites Album in die Welt setzt. Der Texaner Newbury hat – wie Van Zandt – einen hervorragenden Ruf unter Kollegen, gilt als anspruchsvoller Songwriter irgendwo zwischen Country, Folk und barockem Pop und verschafft sich ebenfalls in den kommenden Jahren mit erfolgreichen Coverversionen seiner Songs ein gewisses finanzielles Polster. Seine Songs wurden von Elvis, Jerry Lee Lewis, Kenny Rogers etc gecovert – und auch heute noch kennen ihn Musiker wie Bill Callahan (Smog...) - aber seine Solo-Alben blieben bis heute (zu) wenig bekannt. Looks Like Rain ist in vieler Hinsicht seiner Zeit voraus: Es ist ein Konzept-Album, bei dem die Songs durch Soundeffekte wie Wind, Regen Glocken etc miteinander verbunden sind. Die Musik hat mit Country soviel zu tun wie mit Pop, sitzt vollkommen zwischen den Stühlen, ist hoch-romantisch bis zum Kitsch, aber überschreitet nie die Grenze zur Geschmacklosigkeit – mal wird seine Musik (aus der Zeit zwischen '69 und '74) „Progressive Country“ genannt, mal habe ich den Begriff „Ambient Country“ gelesen – und immer sieht man die großen amerikanischen Ebenen vor sich, hört Wind und Regen, lassen die Texte ganze Geschichten entstehen, die sich auf kommenden Alben fortsetzen werden. Dazu gibt es Songs wie „She Even Woke Me Up to Say Goodbye“ oder den Titelsong des kommenden Albums „San Francisco Mabel Joy“ - Songs die ich wissentlich auf eine Stufe mit dem Besten von Scott Walker stelle (mit dem vergleiche ich Newbury gerne)... nur dass Newbury ur-amerikanisch ist. Looks Like Rain ist ein ungewöhnliches, sehr schönes, zutiefst romantisches Album zwischen den Stühlen, einerseits (seinerzeit) innovativ, andererseits aus alten Traditionen schöpfend. Und dass Waylon Jennings Newbury in seinem Klassiker “Luckenbach, Texas (Back to the Basics of Love)" auf das gleiche Podest neben Willie Nelson und Hank Williams stellte, muss man als ein berechtigten Hinweis auf Newbury's Klasse anerkennen.

Mickey Newbury - She Even Woke Me Up to Say Goodbye 


F.J.McMahon


Spirit of the Golden Juice

(Accent, 1969)

Der Folksänger Fred.J. McMahon kam ursprünglich aus Santa Barbara, hatte vor seiner Zeit bei der US-Army Musiker wie die Beatles und vor Allem den Countrymusiker Hoyt Axton als Vorbilder auserkoren, war mit Band aufgetreten - und mußte dann nach Vietnam und Thailand. Zurück von dort nahm er Spirit of the Golden Juice für das semi-legendäre Accent-Label auf. Man hört dem Album den geringen Aufwand kaum an – es gibt Bass und Drums von Musikern, die im Vergessen versunken sind, McMahon's Gitarrenspiel ist solide, seine Stimme nicht so reich wie die von Tim Hardin oder Fred Neil etwa – mit denen er mitunter verglichen wird - aber dieser sparsame und warme Sound könnte genauso gut heute entstanden sein – analoges Equipment vorausgesetzt.... Der Unterschied liegt in der Stimmung zwischen Reflektion und Melancholie – in der Haltung, die nach der Zerstörung der Illusionen der Hippie Generation so immanent geworden waren. McMahon sang über seine Erlebnisse als GI in Süd-Ost Asien - der titelgebende „golden juice“ ist der Whisky, der der Treibstoff der GI's gewesen sein soll – seine Songs irgendwo zwischen Folk, Country und Lo-Fi Psychedelik mögen wenig Aufsehen erregt haben – da kam sicher zu wenig Unterstützung vom Label, aber McMahon bot eine Art von Musik, die nicht gerade nach Aufmerksamkeit schrie - eigentlich ein bisschen wie Nick Drake in England. Er ging im Anschluss an die Aufnahmen auf eine Tour entlang der Westküste und beendete dann seine Karriere als Musiker. Dieser musikalische Schatz wurde erst nach fast 35 Jahren von den jungen Folk-Musikern des neuen Jahrtausends gehoben und auf diversen Labels wiederveröffentlicht. Songs wie „The Road Back Home“ oder das Titelstück sind eine Wiederentdeckung wert.

F.J. McMahon - Spirit of the Golden Juice 


Tommy Flanders


The Moonstone

(Verve Forecast, 1969)

Tommy Flanders war ein paar Jahre zuvor der Original-Sänger der New Yorker Band Blues Project – er sang auf deren '66er Debüt Live at the Cafe Au Go-Go, verschwand dann regelrecht in der Versenkung, machte noch eine Single – und tauchte dann 1969 etwas überraschend mit einem neuen Album wieder auf. The Moonstone war vermutlich sein letzter Versuch im Pop Business Fuß zu fassen – der Ton gemahnt an Tim Hardin, an Tim Buckley oder Fred Neil, das als Opener gewählte „Since You've Been Gone“ ist noch die übliche Singer/Songwriter-Ware der End-Sechziger, aber der Titelsong kann es durchaus mit den besten Songs der oben genannten weit bekannteren Zeitgenossen aufnehmen. Da ist das spinnenhafte Gitarrenspiel von Session-Crack Bruce Langhorne, da ist Flanders' klare und kraftvolle Stimme, da sind Begleiter wie Jerry Scheff (b) und Michael Botts (dr), die dem ganzen Album einen fließenden Sound irgendwo zwischen melancholischem Country und verträumter Hippie-Seligkeit verleihen. Auch dieses Album verkaufte sich, kaum, die Mischung aus Folk und Country war (noch) nicht populär, Flanders selber war inzwischen nur noch Wenigen bekannt und auf Tour hätte er sich die für das Album so wichtigen Begleiter nicht leisten können. So verschwand auch Flanders wieder von der Bildfläche und ward nicht mehr gesehen....und auch The Moonstone ist dankenswerterweise wiederentdeckt und –veröffentlicht – es ist das nächste Beispiel für Musik, die eigentlich zu Unrecht vom Radar verschwindet.

Tommy Flanders - The Moonstone 


Jimmy Campbell


Son of Anstasia

(Fontana, 1969)

Der Brite Jimmy Campbell hatte sich seit den Mitt-Sechzigern seine Sporen in diversen Mersey-Beat-Bands in Liverpool verdient, und hatte (wie so mancher hier beschrieben Küstler) vor Allem bei den Kollegen einen guten Ruf als Songwriter. Einer der A&R Männer bei Fontana hörte davon, ließ sich ein paar Songs vorspielen und nahm den 25-jährigen für drei Alben unter Vertrag. Campbell nahm '68 in einem Zug genug Songs für zwei Alben auf – aber er war mit dem Umstand, ohne Band im Rücken ins Studio zu gehen nicht sonderlich glücklich – ihm fehlten sowohl Selbstvertrauen als auch Erfahrung – beim Song „Tremendous Commercial Potential“ etwa trat er langsam vom Micro zurück, als er erfuhr, dass man da ein „Fade-Out“ vorhabe. Irgendwie klingt das Album dadurch so, als wäre Campbell unwillig – oder zu nervös – gewesen, seine Songs aufzunehmen – was Son of Anastasia zugleich einen ungewöhnlichen Charme verleiht. Material hatte Campbell bei weitem genug, aber anscheinend wusste keiner so Recht, wie man ihn produzieren sollte – und so spielt er dann meist eine geliehene Gitarre und ein Kazoo, imitiert mit dem Mund eine Trompete, singt mit schwankender Stimme und klingt wie ein weniger zugedröhnter Syd Barrett. Die Lyrics dazu klingen wie die Beobachtungen eines Outsiders, eines Mannes, der von einer Party berichtet, an der er nur ungern teilgenommen hat. Und all das ist nicht immer von Nachteil – die wenig ausgearbeiteten Tracks klingen wie Demo's – und damit für heutige Ohren nach den Lo-Fi Recordings eines begnadeten Songwriter (siehe das feine „Michel Angelo“) und die durcharrangierten Stücke rühren mit leicht betagtem Psychedelic-Pop-Flair – und tollem Songwriting (siehe etwa „Another Vincent Van Gogh“ - ja, Campbell hatte es mit der Malerei). Der Nachfolger würde „polierter“ werden, aber Campbell's Manager Hal Carter hatte dann vor allem damit Erfolg, Campbell's Songs zu promotete.

Jimmy Campbell - Another Vincent Van Gogh 


Diese Auswahl wieder..!!!


in der Tat könnte ich noch mal locker zehn weitere Alben hier hinzufügen und beschreiben. 1969 gibt es in der Musikindustrie einige Verantwortliche, die Männern (und natürlich auch Frauen, aber die habe ich fein säuberlich von den Männern getrennt...), die Gitarre spielen und ihre Befindlichkeiten besingen mit Vertrag und Studiozeit versehen – in der hoffnung auf einen echten Trend aufzuspringen. Aber ich habe mich auf zehn Künstler beschränkt, und werde weiter Alben dieser Art ganz einfach woanders beschreiben. Alben wie:


John Stewart – California Bloodliens


Bob Dylan – Nashville Skyline


Donovan – Barabajagal


Jim Sullivan – U.F.O.


David Ackles – Subway to the Country


Al Stewart – Love Chronicles


Neil Young – s/t


Neil Young – Everybody Knows This Is Nowhere


und so kann ich noch eine Weile weitermachen. Aber nimm das als Empfehlung zum weiterhören, und lies an anderer Stelle weiter...















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