Donnerstag, 26. Juli 2018

1978 – Pere Ubu und Devo - Da gab es auch eine Szene in Cleveland

...Wieso Cleveland? Cleveland in Ohio war in den 30er Jahren mal eine der größten Städte der USA. Aber mit dem Beginn der Ölkrise zu Beginn der Siebziger gingen etliche große Arbeitgeber aus der Stahl- und Automobilindustrie Pleite, weil sie mit der internationalen Konkurrenz nicht mithalten konnten. Legendär war der durch Cleveland fließende Cuyahoga, dessen Oberfläche durch hemmungslose Einleitung von Abwässern so verschmutzt war, dass er 1952 und 1969 Feuer fing (den hat z.B. Randy Newman besungen...). Eine Stadt mit dieser Atmosphäre, aus der in den Siebzigern die Menschen zu Tausenden abwanderten, die sich als erste US-Stadt nach der „Großen Depression“ der 30er Jahre 1978 für zahlungsunfähig erklären lassen musste, ist wahrscheinlich die perfekte Stadt für die gespenstischen, morbiden, absurden und apokalyptischen Klänge, die Pere Ubu und Devo erzeugten. Keimzelle von Pere Ubu waren die Rockets from the Tombs, die einen an MC5 und die Stooges erinnernden kranken Rock'n'Roll spielten, deren charismatischer Sänger David Thomas dann Pere Ubu gründete während der Rest der Band als Dead Boys in der New Yorker Punk-Szene Fuß fasste. Ihre Zeitgenossen Devo (bedeutet De-Evolution = die Menschheit entwickelt sich nicht vorwärst sondern zurück) aus dem nahe liegneden Akron teilten Auftrittsorte, künstlerischen Anspruch und vor Allem den Sinn fürs Absurde und die Schönheit des Verfalls. Ich denke es ist kein Wunder, dass Musiker, die in einer solchen Umwelt aufwachsen, die sich gegenseitig kennen , auch gewisse Gemeinsamkeiten haben. Es gab also tatsächlich eine Art „Szene“ – wenn so etwas aus der Gleichzeitigkeit von Einflüssen, Ideen, und den dazugehörigen, dafür sensiblen Künstlern besteht. Jedenfalls war Cleveland ein Ort, an dem sich musikalische Eruptionen zu einer bestimmten Zeit häuften. Und das darf man gerne auch als Szene bezeichnen.

Pere Ubu


Modern Dance

(Rough Trade, 1978)

Pere Ubu


Dub Housing

(Chrysalis, 1978)

Pere Ubu sind eine der eigenständigsten Bands der Post Punk Szene und inzwischen haben sie die breite Anerkennung gefunden, die sie verdienen. 1978 klangen sie allerdings ziemlich ungewöhnlich: Einerseits waren sie eine klassische Garagen-Punk Band mit dem üblichen Sound aus Gitarre, Bass, Drums, aber zugleich kamen da noch Allan Ravenstines seltsamen Synthesizer-Effekte hinzu - und David Thomas' bizarrer, hüpfender Gesang weit ausserhalb jeder Norm. Und im Gegensatz zu anderen Bands ihrer Generation paarten sie ihre Musik schon zu Zeiten, als das noch ungewohnt war mit den Stilmitteln von Krautrock Bands wie Can und NEU! und kreierten aus dieser Kombination einen sehr eigenständigen Sound. Ein Song wie “Laughing" mit seiner wandernden Saxophoneinleitung klingt nach Free Jazz, ist aber zugleich durch die hypnotische Gitarre- & Bass Linien fest im Punk verankert. Mit pulsierendem Beat beschwören sie das Bild einer in sich zusammenbrechenden Stadt herauf, einer Stadt, die ihren Untergang in einer apokalyptischen Party feiert. Kein Wunder, wenn man weiss, dass in ihrer Heimatstadt Cleveland zu dieser Zeit vermutlich genau diese Atmosphäre herrschte (Siehe Oben). Aber obwohl Modern Dance ein Panorama von Neurosen, Paranoia und Phobien ist, wird daraus kein depressives Album: Hier wird am Rande des Abgrundes getanzt. Das nachfolgende Album (..auf Chrysalis, der Heimat von Jethro Tull und dergleichen..!) sollte dann Pere Ubus Meisterwerk werden - wobei es sich zur Zeit seines Erscheinens natürlich miserabel verkaufte. Der Albumtitel Dub Housing bezieht sich auf die gleichförmigen Wohnblocks in Cleveland, die auf dem Cover abgebildet sind, in denen einige Bandmitglieder zur Zeit der Aufnahmen leben. Pere Ubu verändern und verdrehen die Songstrukturen hier noch mehr als auf dem Debüt, David Thomas klingt entweder, als würde er in Stimmen sprechen, oder als hätte er Schluckauf, Ravestines Synthies blubbern und zischen, und die Band spielt dazu neurotische Rockmusik. Ja, es gibt Rockmusik auf Dub Housing, und „Navvy“ ist sogar fast Pop, „Ubu Dance Party“ ist hüpfender Spaß, das Titelstück dagegen ist düster, ähnelt in vielem „Laughíng“ vom Debüt-Album. Einerseites ist Dub Housing die Fortführung der Musik auf Modern Dance, zugleich wird dieses Album jedoch zum Endpunkt einer Entwicklung. Pere Ubu existierten zwar weiter, aber so konsequent ausserhalb aller Normen wie auf ihren beiden ersten Alben sollten sie nie wieder klingen - auch wenn ich ihr drittes Album sehr empfehlen werde. 

 Pere Ubu - Laughing

 Pere Ubu - Navvy


Devo


Q: Are We Not Men ? A: We Are Devo

(Warner Bros., 1978)

Die Band aus Akron/Ohio hatte sich in der Umgebung Clevelands einen Namen gemacht, war bei ihren bald folgenden Auftritten in New York sowohl David Bowie und Iggy Pop als auch Robert Fripp und Brian Eno so positiv aufgefallen, dass Letzterer beschloss, die Band auf jeden Fall zu produzieren. Eno flog sie auf eigene Kosten nach Köln, setzte sie in Conny Plank's Studio, und nahm dort ihr Debüt mit ihnen - oder besser gegen sie – auf.... denn die Band ließ sich in ihren hektischen Roboter-Punk nicht gerne hineinreden. Die meisten von Eno's Ideen blieben aussen vor – für den Gönner sicher frustrierend – so dass das Album eben nach einer Mischung aus Synth-Pop und Punk klingt – ein Sound, der Songs wie „Uncontrollable Urge”, „Jocko Homo” oder „Gut Feeling / Slap Your Mammy” ganz hervorragend steht. Dazu kommt Mark Mothersbaughs Stimme, die klingt wie David Byrne, der eine Clown verschluckt hat oder wie Jello Biafra auf Speed. Sie covern „(I Can't Get No) Satisfaction“ von den Stones, und hören sich dabei so durchgeknallt an, dass man nicht mal an Ironie denkt, sie sind politisch vollkommen unkorrekt beim Klassiker „Mongoloid“, und man kann ihnen nicht ansatzweise böse sein, weil sie die gesamte Menschheit - sich selbst eingeschlossen – für verrückt erklären. Sie parodieren Progressiven Rock genauso wie Punk und das mit Können, Witz und Selbstironie. Q: Are We Not Men ? A: We Are Devo war nie der große Erfolg beschieden, den sich die Band wünschte - sie wollten schließlich die Welt erobern, aber es ist einer der witzigsten Startpunkte für etwas oft doch so Ernstes wie Post-Punk.

Devo - Mongoloid 




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