Freitag, 14. Oktober 2016

1999 - Clinton und Lewinsky, Putin und Tschetschenien - Flaming Lips bis The Roots

Gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten wird nun in der Lewinsky Sex-Affäre wegen Meineides ermittelt, aber letztlich wird er bei aller geheuchelten Empörung nicht aus dem Amt gejagt. Der Panamakanal wird an den Staat Panama übergeben und die amerikanischen Truppen ziehen von dort ab. An der Columbine High School in Littleton in den USA laufen zwei Schüler Amok und töten 12 Menschen und dann sich selbst – Vorreiter des Wahnsinns sozusagen. In Venezuela kommt mit Hugo Chavez ein astreiner Sozialist an die Macht, sehr zum Ärger der USA (und vieler europäischer Konzerne, denn Venezuela ist eines der erdölreichsten Länder Südamerikas). Und in Russland übernimmt Vladimir Putin den Stab von Boris Jelzin. In Europa wird der Euro als „Buchgeld“ eingeführt. Das Bargeld wird dann drei Jahre später kommen. In der ehemaligen Sowjetrepublik Tschetschenien beginnt ein grausamer Krieg, als russische Truppen dort einmarschieren. Derweil läuft der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien und Kosovo langsam aus. Die Zahl der Menschen weltweit überschreitet die 6 Milliarden-Marke ... der kommende Jahrtausendwechsel ist ein Riesenhype, aber weder geht die Welt unter, noch brechen die weltweiten Computersysteme zusammen. Die britische Soul-Sängerin Dusty Springfield und der Soul-Sänger Curtis Mayfield sterben. Musikalisch ist 1999 ähnlich wie 1998 – ein gutes Jahr für die populäre Musik, Nichts besonderes, keine revolutionären Neuheiten, dafür aber etliche tolle Alben in den jeweiligen Genres (und außerhalb). Das erste Album der Isländer Sigur Ros, die Neo-Psychedeliker Flaming Lips werden zum berechtigten Hype – Neo Psychedelik ist insgesamt ein kleiner Trend.. Die Band Opeth kommt aus dem Black Metal und macht inzwischen - wie so manche Band dieses Genres - progressiven Rock. Fiona Apples When the Pawn... ist ein weiteres Highlight, ebenso wie das Indie-Album von Dismemberment Plan, von der Ben Folds Five etc etc... Die Neunziger enden damit, dass sich Szenen und Stile immer mehr aufsplitten und somit unwichtig werden, und politische Relevanz hat Pop-Musik kaum noch. Im doofen Teil der Musikwelt ringen Boy- und Girl-Bands um den Thron der krassesten Tanzchoreografie während Disneyfigur Britney Spears ihr erstes komplettes Album veröffentlicht – mit Pop, der ganz offen schreit: KAUF MICH !!. Irgendwie weit schlimmer sind Pearl Jam Klone wie Creed oder der Erfolg des Rock-Rentners Santana mit schwülem Gitarrensoud zu Kaffeehaus-Samba im Duett mit Ricky Martin. Ich wollte es nur mal erwähnen...

The Flaming Lips

The Soft Bulletin


(Warner Bros., 1999)

Den Platz um das "wichtigste" Album des Jahres streiten sich bei mir immer mehrere Bands. Aber in diesem Jahr haben den Platz ganz oben natürlich die Flaming Lips mit ihrem ersten nicht ganz so chaotischen und dadurch sofort erfolgreichen Album seit Beginn ihrer Karriere. Zuvor hatten sie unter dem Titel Zaireeka vier CD's gleichzeitig veröffentlicht, die man am besten zugleich abspielen sollte. Tolle Idee, nur wer macht das? Für The Soft Bulletin nun gingen sie regelrecht auf ein Massenpublikum zu: Mit ihrem Produzenten und Bandmitglied David Fridman beschlossen sie eine Platte zu machen, die bewusst harmonisch, freundlich,und für ihre Verhältnisse massentauglich war – und trafen damit in Verbindung mit ihrem hier etwas unterschwelligeren aggressiven Wahnsinn den Puls der Zeit. The Soft Bulletin hat Alles, was vor der Jahrtausendwende gebraucht wurde: Prachtvolle Melodien, symphonische, schwer psychedelische Arrangements, spinnerte Texte, einen übersteuerten Sound, der aber gerade noch an der Grenze zur Hörbarkeit bleibt, das Gefühl, lachend in den Abgrund zu stürzen... Und die Lips blieben im Gegensatz zu den vorherigen, keinesfalls schlechteren Alben mit The Soft Bulletin gerade soweit im Rahmen des „Pop“, dass sie endgültig den Schritt in eine breite Indie-Community schafften. Allerdings komplett ohne ein Jota an Glaubwürdigkeit und erschreckendem Irrsinn zu verlieren. Man höre nur „A Spoonful Weighs A Ton“ oder „Waiting for Superman“ mit all den Schichten aus Sounds und Bedeutung, in all ihrer Spinnerei, und man erkennt: Radioheads OK Computer (1997) und Mercury Rev's Deserter's Song (1998) haben einen gleichwertigen Nachfolger gefunden.

Sigur Ros

Ágætis byrjun


(Fat Cat, 1999)

Das andere Highlight des endenden Jahrtausends waren zweifellos die Isländer Sigur Ros (Siegesrose). Deren Art Rockmusik hat ein paar Eigenschaften, die gute Musik – wirklich gute Musik – besonders auszeichnen: Da ist schon mal die Tatsache, dass keine Band so klingen kann wie Sigur Ros. Dazu kommen mehrere Faktoren zusammen: Ihre Herkunft aus Island, die sich in der Sprache ebenso niederschlägt, wie in der Eigenständigkeit der Entwicklung – man ist in Island Ende des Jahrtausends scheinbar doch immer noch zu weit weg von den Metropolen, um sich an andere Vorbilder anzugleichen – siehe auch Björk... Dann ist da die Eigenartigkeit des Bandkopfes/ Sängers/ Visionärs Jonsi, der mit seiner unirdischen Stimme (die ich bis zum Live-Konzert tatsächlich für eine Frauenstimme hielt) niemandem gleicht, und dann ist da nicht zuletzt die verlangsamte symphonische Musik, die mit Post-Rock nur unbeholfen kategorisiert ist, die meiner Meinung nach auch das Land in all seiner Großartigkeit widerspiegelt. Undenkbar, dass solche Klänge in einer Großstadt entstünden. Man kann zu ihrer Musik Prog Rock sagen, oder auch experimentelle Elektronik benennen, letztlich ist Ágætis byrjun ganz einfach Sigur Ros. Hier sind 72 Minuten voller klanglichem Reichtum und emotional perfekt aufgebauter Musik, voller Dynamik, und völlig Eigenständig. Das U-Boot Sonar beim unfassbaren „Svefn-g-englar“, die mit dem Bogen gestrichene Gitarre, der orchestrale Schimmer von „Starálfur“, das transzendierte Sehnen in „Ný batterí“, - man wollte gar nicht wissen, dass die Band zwei Jahre zuvor schon tätig gewesen war und ein im Vergleich einfach banaleres Album gemacht hatte. Und auch wenn sie hernach noch wunderbare Alben machen sollten: Ágætis byrjun bleibt (Gott sei Dank) unerreicht.

Fiona Apple

When The Pawn...


(Epic, 1999)

Dies nun ist ein Fall von persönlicher Vorliebe, die dieses Album über andere ebenfalls hervorragende Alben des Jahres '99 - wie etwa Königsforst oder Summer Teeth oder 69 Songs erhebt. Fiona Apple – bei erscheinen ihres zweiten Albums gerade mal 22 Jahre alt - ist eine Frühvollendete, und When the Pawn... (der Titel ist – verzeihlicherweise ein bisschen prätentiös - ein komplettes Gedicht und soll hier schon aus Platzgründen nicht abgedruckt werden) ist ihr schönstes Album. Sie hatte zwei Jahre zuvor den „Musik von jungen, mehr oder weniger verstörten Frauen, die ihr Leben reflektieren“ - Boom mit ihrem Debüt Tidal gekrönt, ihre Biographie mit Psychotherapie seit dem zwölften Lebensjahr hatte vordergründig zum Trend „Musik von komplizierten Frauen“ gepasst, aber ihre Musik hatte außerhalb all dieser modischen Sperenzchen die größere Klasse, ihre Stimme war von Beginn an besser, variabler und sicherer als die der anderen jungen Musikerinnen ihrer Generation (Morrissette, Amos) und ihre Songs waren schöner und tiefgründiger, als man von einer so jungen Frau erwartet hätte. Und dann kam When the Pawn... und da war die Bestätigung, dass diese junge Frau mehr wollte und konnte als nur eine kurze Karriere im Gefolge eines Trends. Die Singles „Fast As You Can“ und „Paper Bag“ haben zu viel Tiefe, zu viel Musikalität für reines Chartsfutter, „To Your Love“ ist eher PJ Harvey als Alanis, eine verfremdeter Jazz-Blues, in dem sie fleht: „Please forgive me for my distance“ und „Limp“ beginnt mit einem delikaten Piano-Motiv bevor sie ihren Partner beschuldigt: „You wanna make me sick / You wanna lick my wounds / Don’t you, baby?“. Sie hatte in den zwei Jahren an Reife gewonnen und das in intelligente, stilsichere und sehr eigenständige Musik übertragen. Und ihre Stimme – ich liebe sie einfach. Schade - und bezeichnend - dass sie trotz kommerziellen Erfolges mit diesem Album für den Nachfolger sechs Jahre brauchte – vor Allem weil der Plattenfirma ihre Musik zu wenig charts-tauglich wurde – aber dazu mehr in 2005..

Ben Folds Five

The Unauthorized Biographie of Reinhold Messner


(550 Rec., 1999)

Und Nun: Pop. - Meiner Meinung nach (und nur die zählt hier...) eines der besten Pop-Alben aller Zeiten und somit eines der Highlights des Jahres '99. Dieser bebrillte Piano Nerd, der es lustig findet, sein Trio Ben Folds Five zu nennen, der mit Musik und Lyrics spielt, indem er die Schlafkrankheit Nakrolepsie im ersten Song des Albums besingt, der zu diesem Albumtitel kommt, weil der Drummer den Namen Reinhold Messner zu Schulzeiten für gefälschte Schulausweise benutzte, dieser Typ ist eben auch ein begnadeter Komponist für wunderbar traurige, eingängige, mitreißende Mini-Opern, für Pop für Arschlöcher. Die ersten vier Songs auf The Unauthorized Biographie of Reinhold Messner sind Pop in Perfektion - mit rasanten Orchester-Arrangements, mit dem übersteuerten Bass von Robert Sledge und den muskulösen Drums von Darren Jessee klingt die Ben Folds Five nie „nur“ nach Trio – oder wenn doch, dann wie ein Power-Trio a la The Jam – nur amerikanisch und mit Piano statt Gitarre. Und dass Ben Folds ein begnadeter Pianist ist, sollte jeder Mensch erfahren. Tragisch nur, dass die Plattenfirma es an Unterstützung mangeln ließ und die drei Musiker nach diesem Album zunächst desillusioniert das Handtuch warfen. Schön dass Ben Folds dann Solo mit wiederum zwei Mitstreitern an Bass und Drums – somit quasi unverändert - weitermachen würde, und gut dass man ...Reinhold Messner ja immer noch entdecken kann. Unmoderner ist das Album – wie alle gute Popmusik – nicht geworden und Songs wie „Army“, in dem eine komplette Musikerkarriere incl. Scheitern als muskulöser, ironischer Pop dargeboten wird, werden immer gültig bleiben.

Bonnie „Prince“ Billie

I See A Darkness


(Domino, 1999)

Es gibt tatsächlich eine Verbindung zwischen When the Pawn... von Fiona Apple und I See a Darnkess: von Will Oldham aka Bonnie „Prince“ Billie. Beide Musiker haben bei Johnny Cash's letzten Alben mitgewirkt. Apple duettierte auf American IV: The Man Comes Around, und Cash hat auf dem Vorgänger American III: Solitary Man das Titelstück von Oldhams '99er Albums gecovert. Ein Ritterschlag, der zweifellos verdient ist. Ende der Neunziger ist Oldham vom obskuren Schauspieler, der auch Musik mit sehr großer Schlagseite macht, zum anerkannten Großmeister der Singer/Songwriter-Zunft seiner Generation geworden. Und der endgültige Beweis für seine Größe ist dieses Album. Es hat damit natürlich etliche Eigenschaften, die es in den zu dieser Zeit entstandenen neuen „Mainstream“ schiebt – die es sozusagen zum Songs of Love and Hate für die neue Generation der Rolling Stone Leserschaft macht. Aber was soll's, viele schöne Songs und kluge Arrangements und Texte machen eben ein tolles Album aus, und auf die unbekannteren Alben dieser Art werde ich auch noch zurückkommen... (Smog, Songs: Ohia, Simon Joyner...). I See A Darkness ist dunkler Country-Folk, die Songs klingen, als wären sie hundert Jahre alt, sie sind sparsam arrangiert, Klavierakkorde, ein dunkler, tragender Bass, mit dem Besen gespielte Drums, und dazu Will Oldham's Stimme, die schwankt, wie ein dürrer Ast im Wind - bei der ich immer damit rechne, dass er gleich das Singen aufgibt. Aber genau das ist integraler Bestandteil seiner Musik – ob es Attitüde ist, spielt somit keine Rolle, denn ohne diese Art von Gesang wären Songs wie „Death to Eveyrone“ oder „A Minor Place“ vielleicht sogar ZU bedrückend. Man höre nur Johnny Cash's Version von „I See A Darkness“ - und verzweifle... Aber durch den Kontrast zwischen Stimme und Inhalt gewinnen Oldham's Songs natürlich auch an Kontur, manchmal scheint sogar ein grimmiges Lächeln durch die desperaten Lyrics. Dass sich die Themen seiner Songs nie um die eigene Person drehen, ist ebenso klug, wie der Schachzug, am Ende des Albums mit dem Lovesong „Rainig in Darling“ auch ein bisschen Licht ins Dunkel zu lassen. Ganz einfach: Hier hatte die Mainstream-Presse genauso Recht mit ihrer Begeisterung, wie etwa bei den ersten drei Alben von Leonard Cohen.

Low

Secret Name


(Kranky, 1999)

So langsam wie die Musik des Trios aus Duluth ist, so langsam und zugleich kontinuierlich haben sie sich im Verlaufe ihrer Karriere verändert. Low hatten in den letzten 5-6 Jahren ihr musikalisches Rezept immer mehr verfeinert - sparsamen Stimmen und noch sparsamerer Instrumentation, gewickelt um sich langsam drehende Songs. Nun kam der Wechsel zum Kranky-Label und die Zusammenarbeit mit dem Hardcore-Produzenten Steve Albini. Dessen klarer, sparsamer Sound passte perfekt zu ihrer Musik und ließ sie den Schritt Richtung Kammermusik wagen. So wurde nun auf diversen Tracks ein Streichquartett zur Ergänzung hinzugezogen, aber was Secret Name so besonders in der reichen Diskografie der Band macht, ist die Tatsache, dass sie erstmals (fast) durchgehend nicht nur kluge, sondern auch „schöne“ Songs im Programm hatten. Da zerreißen die Vocal-Harmonies vom Ehepaar Mimi Parker und Alan Sparhawk auf „Missouri“ einem fast das Herz, lassen an Emmylou & Gram Parsons denken, da kommt mit „Starfire“ ein Song daher, der ihre größte Annäherung an Pop genannt werden will. Da ist der Gesang von Mimi Parker beim fatalen „Two-Step“... oder dieser weiche und glühende Sound von „Weight of Water“ und „Soon“... Low hatten sich verändert – weiter entwickelt hatten sie sich schon ihre ganze Karriere - aber als neuer Faktor kam nun diese gewisse „Freundlichkeit und Wärme“ in ihren Soundkosmos, die ihren immer wieder wunderschönen Kompositionen in den folgenden Jahren so gut stehen würde. So ist Secret Name zusammen mit der EP Songs for a Dead Pilot ein geeigneter Einstieg in ihren Klangkosmos und in ihre Diskografie – und in die Welt des sog. Slow-Core

XTC

Apple Venus Vol.1


(Cooking Vinyl, 1999)

Zwischen Nonesuch, dem letzten Album der New Wave Urgesteine, und dem neuen Werk Apple Venus Vol. 1 lagen volle sieben Jahre. Ein Zeitraum, in dem viel passieren kann. XTC hatten sich nach einem regelrechten Streik gegen die Repressalien des Labels bezüglich erwünschter Verkäuflichkeit letztlich von Virgin getrennt und ein eigenes Label gegründet, Und dann verlief Bandkopf Andy Partridge sich im Süßwarenladen Studio und schichtete in seinen Songs immer neue Soundschichten über Effekt-Layer und machte aus dem geplanten Album sein persönliches Smile, Keyboarder Dave Gregory verließ die Band im Laufe der Aufnahmen und Bassist und Co-Songwriter Colin Moulding gab auch langsam auf – auf Apple Venus Vol. 1 ist er nur noch mit zwei Songs vertreten. So wurde das Album, das zunächst als Doppel-LP geplant war zu einer Art Andy Partridge Solo-Album. Und es zeigt was für ein Genie und Exzentriker der Mann ist. Viele der Songs waren schon im Anschluss an Nonesuch geschrieben worden, aber Partridge erweiterte jeden Song um immer neue Einfälle und Spielereien. Das fängt schon beim Opener „River of Orchids“ an. Da fallen Wassertropfen, ein Double-Bass setzt ein, dann erklingen Hörner, eine wunderbare Melodie ertönt, und Partridge formuliert erz-britischen Eskapismus: „I heard the dandelions roar in Piccadilly Circus, take a packet of seeds, take yourself out to play I want to see a river of orchids where we had a motorway. Push your car from the road, just like a mad dog, you’re chasing your tail in a circle“. Das Album ist melodisch so reichhaltig, wie man es von XTC gewohnt war, aber die Ausführung war nun so delikat, wie Partridge es sich immer gewünscht haben mag. „Easter Theatre“ klingt trügerisch einfach, hat psychedelische Anklänge, die an XTC's Skylarking erinnert. Colin Moulding's „Frivolous Tonight“ leugnet das Vorbild Beatles nicht im geringsten, könnte gar zu deren besten Songs zählen, ist aber ein Fremdkörper neben Partridge's Kunstwerken. Die Einflüsse beim von Mike Batt arrangierten „Greenman“ kann man kaum aufzählen: Arabische Musik, Psychedelik, Gartenbaukunst... Und am Ende startet Partridge den „Last Balloon“ in eine freundliche Zukunft: „The last balloon is leaving, the last balloon from fear. The last balloon is leaving, form that line right here. Climb aboard, climb aboard you men folk you won't need any bombs or knives. Climb aboard, climb aboard you men folk leave all that to your former lives.“ - Banal ist hier jedenfalls nichts. Der geplante zweite Teil Wasp Star (Apple Venus Vol. 2) konnte diese Klasse schwerlich erreichen, aber dieses Album ist ein aus der Zeit gefallenes Meisterstück britischer Musik.

Wilco

Summer Teeth


(Nonesuch, 1999)

Jeff Tweedy hatte die wenigsten Probleme, sich von seiner vorherigen Band Uncle Tupelo zu emanzipieren. Summer Teeth war sein drittes Album nach der Trennung vom Songwriter-Kollegen Jay Farrar, dessen Son Volt vergleichbar gute Musik machten, aber den etwas traditionelleren Ansatz haben - und es zeigt, dass und in welchem Maße Wilco Tradition nur als Ausgangspunkt betrachten. Jeff Tweedy hatte eine schmerzhafte Trennung hinter sich, die ihn zu bitteren Texten, aber zugleich zu schwelgerisch schöner Musik inspirierte. Die Aufnahmesessions wurden zwischendurch unterbrochen, weil Woody Guthrie's Witwe den britischen Polit-Barden Billy Bragg gebeten hatte, Texte ihres Mannes zu vertonen. Bragg hatte Wilco's Being There gehört und war so begeistert von der Band, dass er sie darum bat, ihn für ein Album zu begleiten - aber davon woanders mehr... Die Band ging im Anschluss wieder ins Studio und nahm ein Album auf, auf dem die Erinnerung an Country nur noch vage hindurch schimmert. Stattdessen sind da elegante Vocal Harmonies a la Beach Boys, erklingen da Bläser und Streicher, wird da der große amerikanische Breitwand-Pop zelebriert. Und im Kontrast dazu stehen düstere Geschichten über Entfremdung, Trennung, Missbrauch und Enttäuschung. Es ist ein Kontrast, der dem Album Tiefe gibt. Da sind Songs wie der Opener „I Can't Stand It“, der Song, der von der Band unwillig zur Single umgebaut wurde, der Psychedelik und R&B verbindet, da ist „Via Chicago“, das als Folk beginnt und über die Kirche in Neil Young-Noise abgleitet, da sind Mellotron- gestützte Beatles Anklänge bei „Nothingsevergonnastandinmyway (again)“, oder „ELT“ (= Every Little Thing“, das klingt, als wollte Tom Petty Grateful Dead Konkurrenz machen, oder das betäubende „My Darling“.... - es wird deutlich, was für ein famoser Songwriter Jeff Tweedy zu dieser Zeit war. Die Aufnahmen liefen allerdings nicht ganz so friedlich – das Album wurde mit den angesagten Pro-Tools immer sauberer und perfekter produziert, womit Teile der Band nicht ganz einverstanden waren und der Einsatz des Mellotrons wurde auch nicht ohne Disput hingenommen – die Richtung in die Wilco drifteten, war eindeutig Tweedy's alleiniges Ding. Trotz allem ist es ein wirklich „schönes“ und dunkles Album – das sich unverdient schlecht verkaufen sollte. Aber dann kam ja die Trennung vom Label und das sowohl noch experimentellerer als auch erfolgreichere Yankee Hotel Foxtrot...

 

Gas

Oktember EP


(Mille Plateaux, 1999)



Gas

Königsforst


(Mille Plateaux, 1999)

Gas ist eines von Vielen Projekte des vielbeschäftigten Kölner Produzenten/ Labeleigners und Musikers Wolfgang Voigt. Er hatte schon im Vorjahr mit dem Album Zauberberg den elektronischen Untergrund aufgewühlt, aber mit der im Februar 1999 veröffentlichten EP Oktember und dem einen Monat später folgenden Album Königsforst - und dann ein Jahr darauf mit dem womöglich noch um ein Haar besseren Nachfolger Pop machte er definitive Statements in Sachen Minimal Techno. Es gibt etliche progressive Produzenten (und Hörer), die den simplen Rhythmus des Techno als zu primitiv diskreditieren – Voigt aber ist einer, der diese rhythmische und strukturelle Klarheit nicht aufgibt, sondern sie für seine Zwecke verändert und nutzt – und so insbesondere als Gas - seinerzeit jedenfalls – immens innovativ war. Im Ambient auf den logisch aufeinander aufbauenden Tracks von Oktember und Königsforst bleibt der Beat stetig in seinen Grenzen, wird dann aber unter den Loops und Sounds von Synth, Hörnern, gesampelten Sounds von Klassikalben der Deutschen Grammophon erstickt – incl. Knistern der Schallplatten übrigens...-. Dieses goldene Rauschen und Summen lässt tatsächlich die zum Titel des Albums passenden Bilder von dunklen Tannen, Mondlicht über stillen Seen, dem teutonischen Urbild des Waldes entstehen. Die EP beinhaltet hierbei zwei Tracks: Die erste LP Seite mit einer verlängerten Version von Track 1 von Königsforst, Track 2 ein Spaziergang durch den nächtlichen Schwarzwald mit rhythmischen Schüben wie Nebelschwaden - fast besser als die ganze folgende LP... Die entstehende Musik verdankt Wagner weit mehr als der Club Culture, was Voigt selber auch eindeutig beabsichtigte: „ Als ich an Königsforst arbeitete, hatte ich die Vision von einem Klangkörper, der irgendwo zwischen Schöngberg und Kraftwerk steht, zwischen Horn und Bassdrum. Für mich ist Königsforst Glamrock als Wagner, Hänsel und Gretel auf Acid, eine Wanderung durchs Unterholz – in eine Disco in einem imaginativen, nebligen Wald. Im Rückblick ist das erfreulichste und überraschendste Ding an dieser Musik, dass weltweit so viele Leute das Album genau so verstanden, wie ich es verstanden wissen wollte.“ Wie oben gesagt – der Nachfolger dieser beiden Alben - Pop aus dem Jahr 2000 - ist womöglich noch besser – so etwas wie die logische Fortsetzung von Königsforst, wie Königsforst die Fortsetzung der Ideen von Zauberberg ist - welches Album besser ist ? Ich meine, man muss beide kennen und beide sind unverzichtbar. Ihre katastrophal schlechte Erhältlichkeit (bei Discogs kosten die LP's irgendwas ab 120,- € und regulär gibt es die Alben weder als CD noch als LP, weil 2004 der Vertrieb pleite gegangen ist...) ist ärgerlich und steht in keinem Verhältnis zur Bedeutung, aber inzwischen gibt es eine Box mit Allem, was Voigt bis 2000 als Gas veröffentlicht hat. Die ist dann nur auch unverschämt teuer - und im Jahr 2017 hat Voigt dann noch den Projektnamen Gas wiederbelebt und mit Narkopop ein weiteres Kapitel Minimal Techno & Klassik & teutonischer Forst geschrieben... und jetzt PS: Es gibt seine Alben inzwischen (2019) auch wieder einzeln...

The Roots

Things Fall Apart


(MCA, 1999)

Erstmal: Dieses Album gehört zu denjenigen, die man zeitlose Kunst nennen kann. Ich weiß, dass HipHop insbesondere gerne von Hörern „normaler“ Rockmusik und von Metal-Hörern aus verschiedenen Gründen abgelehnt wird. Einer davon beruht auf der Unterstellung, dass Rapper „Nichts Können müssen...“ = keine bzw. kaum instrumentale Fertigkeiten besitzen. Das ist schon vom Anfang her falsch gedacht – man muss kein Instrument beherrschen, um große Musik zu machen – siehe Punk, siehe Noise oder elektronische Musik. Aber The Roots sind HipHop und zugleich extrem versierte Musiker, Drummer und Bandkopf ?uestlove ist einer der besten seiner Zunft, die Roots sind die „Hausband“ von US Talker Jimmy Fallon – so was bedeutet Können – UND – Es Ist Egal ! Im HipHop geht’s natürlich ums Wort, und Things Fall Apart ist dann auch ein Konzeptalbum, wenn auch ein freies, das der Interpretation des Hörers bedarf, Die Rhymes von Rapper Malik B und Black Thought sind meisterhaft, kein Satz fehl am Platz, reichen von Referenzen über Coltrane bis zu Louis Stevenson und bringen Ghetto Attitude und Intellektualität in perfekte Balance. Und der musikalische Background ist – wie angedeutet – perfekt, die Instrumentalisten können Jazz und Klassik, und mitunter muß man sich klar machen, dass hier nicht schnöde irgendein Jazz-Groove gesampelt wurde, sondern alles live im Bandgefüge eingespielt wurde, was wiederum einen ziemlich coolen, zurückhaltend jazzigen Hintergrund schafft. Und natürlich trägt die Produktion, die Niemanden in den Vordergrund schiebt dazu bei – was man vielleicht als einzigen Kritikpunkt benennen könnte. Das Album fließt trügerisch ruhig dahin. Aber ihm unterliegt eine düstere Melancholie, eine stille Wut über die Ungerechtigkeiten und Schieflagen in der US-Gesellschaft – nicht umsonst wurde als Covershoot ein Photo gewählt, das zeigt, wie zwei schwarze Teenager zu Zeiten des Civil Rights Movements (Anfang der Sechziger) bei den damaligen „Riots“ von weißen Polizisten gejagt werden. Things Fall Apart ist kluger, individueller, virtuoser conscious HipHop – mit einer illustren Gästeschar (da sind D'Angelo, Erykah Badu, mit deren Gastbeitrag auf „You Got Me“ ein Charts-Hit gelang, Common, Mos Def, Ursula Rucker...). Das für dieses Album in New York versammelte Künstlerkollektiv – es nannten sich The Soulquarians – nahm im selben Zeitraum D'Angelo's Neo-Soul Geniestreich Voodoo, Erykah Badu's Mama's Gun – die weibliche Entsprechung dazu und Common's Like Water for Chocolate auf. - die alle 2000 veröffentlicht werden. Da fand eine stille Explosion der Kreativität statt. Das merkt man auch hier. Am besten alle vier Alben haben.






















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