Donnerstag, 14. November 2019

1980 – The Residents bis Lydia Lunch – Musik nach Punk = Post Punk in den USA

Ich habe mich in einem anderen Artikeln zu diesem Jahr speziell auf Post-Punk aus Großbritannien beschränkt – weil ich immer den Eindruck hatte, dass diese Musik andere Hintergründe und eine andere Haltung als Fundament hat, als Post Punk in den USA – obwohl Künstler beider Ländern sich gerade zu Beginn der Achtziger einem politischen Rechts-Ruck ausgesetzt sehen (Thatcher in Großbrtannien, Reagan in den USA...), der ihre Aussagen und ihre Haltung auf vergleichbaree Weise beeinflusst haben dürfte. Der Post-Punk in den USA war vielleicht nicht so explizit politisch, wie der in England, aber jede Kunst ist Reaktion auf gesellschaftliche Zustände – und harte Zeiten führen meist zu Veränderungen und zu interessanter Musik. Bands wie die Cleveland-Proto-Punks Pere Ubu oder die San Franciscan's Residents haben allerdings schon eine lange Geschichte, die mitunter bis tief in die Sechziger-Gegenkultur reicht – die in den USA ebenfalls einen anderen, subversiveren Stellenwert hat, als das in Europa/UK der Fall gewesen zu sein scheint. Und die New Yorker Szene um Factory/Andy Warhol, das CBGB's oder Max's Kansas City war sowieso der Punk-Szene in England um ein paar Jahre voraus und ließ mit Lydia Lunch oder der Jim Carroll Band ausgereifte Künstler auf die Welt los. All diese Musiker haben die Punk-Explosion in Europa mitbekommen, haben aber einen „künstlerischeren“ Anspruch, als die eher gesellschaftskritischen Punk und Post-Punk-Musiker aus dem UK. Dass bzw. ob die beiden Formen des Post-Punk aus Europa und den USA irgendwann zusammenfließen... müsste man untersuchen. Musik wird bald internationaler, aber bis weit in die Neunziger ist der Unterschied zwischen europäischem und amerikanischem Punk, Post-Punk, Avantgarde/Noise... und all den aus Punk gewachsenen Formen der „alternativen“ Rockmusik (um den bösen Begriff einzuführen) für mich deutlich erkennbar. Ein schönes Spiel ist es immerhin, sich die Alben in diesem Artikel immer im Wechsel mit denen des entsprechenden Artikels für Großbritannien anzuhören. Viel Spaß dabei – und dass The Feelies, Young Marble Giants  und Talking Heads hier nut kurz erwähnt werden... die findest du im Hauptartikel '80

WIE wichtig das Jahr 1980 für die Entwicklung des Post-Punk in den USA (...und in England) ist – oder umgekehrt – wie wichtig Post-Punk für die Musik des beginnenden Jahrzehntes ist, sehe ich allein schon daran, dass ganze drei Alben aus dem „Hauptartikel 1980“ im Kapitel Post-Punk '80 ihren Platz haben könnten bzw. müssten, und hier nur noch mal kurz erwähnt werden. Sie werden hinreichend in besagtem Artikel gewürdigt, lies bitte dort nach – und beschäftige dich zur Vertiefung mit den Bands hier unten bzw. mit ihren Alben des Jahres 1980. Es lohnt sich - denn so manches Album könnte genauso gut im Hauptartikel Platz finden...

Talking Heads - Remain in Light - (Sire, 1980)

Eines der besten Alben des Post-Punk – bei mir laut Ratyourmusic auf Platz drei aller Alben aller Zeiten. Die Talking Heads sind schon '75 im Umfeld des New Yorker CBGB's entstanden. Und sie waren von Beginn an Post-Punk, nie Punk. QED.


Young Marble Giants - Colossal Youth - (Rough Trade, 1980)

Berechtigte Frage: Sind die Young Marble Giants Post-Punk? Ihre Ästhetik passt in die Zeit, aber ihre Geschichte und ihr einziges Album ist ein Solitär. Aber – das sind viele Alben aus dieser aufregenden Zeit und ein Genre-Begriff wie Post-Punk trägt ja das Ungefähre schon in sich.


The Feelies - Crazy Rhythms - (Stiff, 1980)

Dass die Feelies Post-Punk genannt werden, liegt auch eher am Zeitpunkt, zu dem sie ihr Debüt veröffentlichen. Sie sind die Vorläufer von Alternative/ Independent Bands wie R.E.M. - und somit ihren Verehrern um eine Dekade voraus.



The Residents


Commercial Album

(Ralph Rec., 1980)

Als erstes also: Der Beweis meiner Behauptung, dass Punk in den USA (wenn dieser Begriff überhaupt anwendbar ist) eine weit längere Geschichte hat, als Punk - und mit ihm Post-Punk - in UK/Europa. Die Residents z.B. entstanden irgendwann Ende der Sechziger in San Francisco und haben schon „historisch“ gesehen mit Punk eigentlich nichts zu tun. Sie waren und sind Avantgarde, sie sind experimentelle Parodisten – und ihr Publikum dürfte mit dem von Bands wie Velvet Underground, Television, Devo, Pere Ubu etc vergleichbar sein – die auch allesamt NICHT Punk sind, dessen Ästhetik aber stark beeinflusst haben. 1980 sind die Mitglieder der Residents noch immer inkognito, verstecken sich inzwischen hinter den berühmten Eyeball-Masken, sie haben seit '74 sieben Alben veröffentlicht, die die Pop-Kultur bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und verzerrt haben. Ihre Alben bauen immer auf Konzepten auf – und jetzt haben sie sich den amerikanischen „Commercial“ - den Werbe-Jingle vorgenommen und machen ein Album mit Vierzig Ein-minütigen Tracks. Eine Minute – das ist die durchschnittliche Länge eines Werbe-Clips im US-TV/Radio. Die Residents haben sich klar gemacht, dass Millionen Zuschauer und -Hörer diese Musik tagtäglich um die Ohren gehauen bekommen. Diese Jingles sind somit die wahre populäre Musik des TV-Zeitalters – und so bieten sie den geneigten Hörern ein komplettes Album voller ein-minütiger Jingles. Die haben nämlich Alles, was einen Pop-Song ausmacht in wohltuend komprimierter Form. Ein Refrain, ein Chorus, Fertig. Dass man dabei immer noch die Residents erkennt, ist für jeden, der sie kennt, logisch. Tatsächlich sind auf dem Commercial Album mit dem XTC-Genius Andy Partridge, mit Lene Lovich, Chris Cutler, Bill Preston von den Mothers of Invention und mit Phil „Snakefinger“ Lithman so viele Gäste dabei, dass man Angst um den Charakter der Band haben könnte. Aber die ist unbegründet. Die gespenstischen Synth's die verhallten Percussion, die mitunteretwas gruseligen Melodien sind geblieben, die Kritik, dass die Ideen nicht ausformuliert sind, ist sinnlos: Nicht ausformulieren ist hier Programm. Unter 40 Tracks sind etliche, denen ich die Erweiterung gönnen würde („Picnic Boy“, „Amber", „Die in Terror", „Loneliness"...) – aber Verkürzung ist das Konzept beim Commercial Album. Ist das Post-Punk? Hmm..


Snakefinger


Greener Postures

(Ralph Rec., 1980)

Zunächst bleibe ich im Umfeld der Residents – ihre Zugehörigkeit zum Post-Punk mag man ja in Frage gestellt werden, aber ihr eigenes Label – Ralph Records – ist eine der Speerspitzen in der Entwicklung der Musik nach Punk. Und einer der Kollaborateure der Residents ist der Brite Philip Lithman aka Snakefinger. Ex-Gitarrist der famosen Pub-Rock Band Chilli Willi and the Red Hot Peppers, ein Virtuose nicht nur auf diesem Instrument und zugleich ein Avantgardist aus vollster Überzeugung. Er hatte die Residents schon '71 in San Francisco kennen gelernt, war zwar zwischendurch wieder nach England zurück gegangen und mit den Chilli Willi's moderat erfolgreich gewesen, hatte aber nach seiner Rückkehr in die USA wieder Kontakt aufgenommen und sein erstes Solo-Album als Snakefinger (der Namen entstand aus einem Foto, das ihn beim Geige-Spielen zeigte) im Vorjahr zusammen mit den Residents aufgenommen (Chewing Hides the Sound). Greener Postures ist die Verfeinerung des Debüt's, wieder haben bei den meisten Tracks die Residents mit-komponiert, sie sind die Backing-Band, aber Lithman's Stimme und sein schlieriges Gitarren- und Geigenspiel steht hier im Vordergrund. Auch hier herrscht eine seltsam unheimlich Atmosphäre, das virtuose Geigen-Solo auf „Don't Lie“ klingt, als wäre es auf der untergegangenen Titanic aufgenommen. Immer wieder werden die Songs durch seltsame Sounds und Harmonien verbogen, und „The Man in the Dark Sedan“ ist auf der sub-marinen Titanic bestimmt ein Hit: „I'm the man in the dark sedan and I have come to take your hand, I was sent down here to be sincere, truthful and steadfast, I came to say that judgement day of man has come to pass.” Greener Postures hat mit der vordergründigen Vereinfachung durch Punk nichts zu tun – manchmal ist das hier eher progressiver Rock in Zombie-Verkleidung – aber Punk und mehr noch Post-Punk waren – zumal in den USA – nie schlicht oder primitiv. Snakefinger ging auf Tour und erlitt einen Herzinfarkt, den er zunächst überstand. '87 starb er dann viel zu früh. Seine vier Studio-Alben verweigern sich einer Kategorisierung ebenso, wie die Musik der Residents – aber der Begriff Post-Punk ist in seiner Vielfalt eine Option.


Tuxedomoon


Half Mute

(Ralph Rec., 1980)

Jetzt kommen wir dem, was man so unter Post-Punk versteht, wohl schon etwas näher. Tuxedomoon entstanden 1977 in San Francisco, als sich die beiden Musik-Studenten Blaine L. Reininger (keyb, vio) und Steven Brown (keyb, sax, etc...) zusammen taten um ihre Vision neuer Musik zu verwirklichen. Die beiden hatten definitiv Punk und seine Auswüchse (Wire, Magazin, PIL) gehört, sie nutzten elektronisches Instrumentarium aus dem Studium (...damals sonst noch teuer...) und '78 durften sie als Vorband für Devo 'ran. Ihr Sound – insbesondere ihre elektronischen Texturen – sind denen der Residents verwandt -und dass sie von denen zu Ralph Records geholt wurde, war logisch – und eröffnete ihnen die Möglichkeit, ihre Alben in Europa zu verbreiten. Da passte ihr experimenteller Minimal Wave-Sound möglicherweise tatsächlich besser hin: Ein Instrumental wie „Tritona (Musica Diablo)“ oder „Loneliness“ mit den schlichten Wiederholungen „Here comes loneliness/ Here comes the onliness/ Here comes his holiness/ Here comes loneliness/ Here comes another day/ Here comes the only way/ Here comes loneliness...“ kann ich mir ausserhalb des Kunst-Umfeldes von US-Großstädten kaum vorstellen. Half-Mute ist in der Tat sehr experimentell, Tuxedomoon können durchaus Songs schreiben, haben aber ein genauso großes Interesse an elektronischen Sound-Manipulatuionen („James Whale“) Dass Songs wie „What Use“ wiederum auf genau die Art catchy sind, die mir gefällt – dass sie tatsächlich Widerhaken, Atmosphäre und Spannung haben, ohne langweilig zu werden, hat sie mir dereinst sehr sympathisch gemacht. Half-Mute ist durch die Formulierung der beiden Seiten der Band etwas zerrissen – aber man kann auch gerade DAS lieben. Auf jeden Fall waren sie mit ihrem avantgardistischen Post-Punk auf der Höhe der Zeit.


MX-80 Sound


Out of the Tunnel

(Ralph Rec., 1980)

Und mit der nächsten Band (genau genommen der vierten auf Ralph Records...) kommen wir zu dem, was man sich klarer unter US-(Post-)Punk vorstellt. Es gibt zu dieser Zeit Bands wie die Wipers, Mission of Burma, Minutemen, Hüsker Dü, Black Flag - Bands, deren von Fuzz-Gitarren angetriebener Lärm gewiss nichts mit Radio-Rock '80 zu tun hat, deren Sarkasmus und Verweigerung ohr-freundlicher Harmonien sie so interessant macht. MX-80 Sound liefern Dergleichen schon seit Mitte der Siebziger quer zu allen Trends, ihr Sound aus leidenschaftslosen Vocals, komplexen Rhythmen, atonalen Chords und den metallischen Gitarren von Bruce Anderson war so schwer zu kategorisieren, dass ihr erstes, famoses Album Hard Attack ('77) nur in Europa veröffentlicht wurde – und auch dort etwas hilflos als Heavy Art-Metal bezeichnet wurde und sich kaum verkaufte. Anderson beschrieb sein Spiel selber folgendermaßen: "Throw John McLaughlin, Terje Rydpal, Wilko Johnson, Clarence White and James "Blood" Ulmer into a blender, along with modern classical composers Olivier Messiaen, Morton Feldman, and Krzystof Penderecki. Blend for 15 or 20 years and apply to a Stratocaster through an amp on 10." … und exakt das beschreibt die Musik auf Out of the Tunnel. Sie hat die Härte des Metal, Sänger Rich Stim klingt, als würde er Drogen-Halluzinationen auf dem Rücksitz eines Taxis vor sich hin murmeln, das durch eine dystopische Stadtlandschaft fährt. Dies ist Musik für die Furchtlosen, MX-80 Sound erinnern mich an diverse SST-Bands nach Black Flag – diejenigen, die Jazz und Noise in den Hardcore einführten – und sie sind genauso anstrengend. Aber einem Track wie „Man in a Box“ kann ich mich nicht entziehen – auch wenn ich mir danach die Ohren putzen muss.


Pere Ubu


The Art of Walking

(Rough Trade, 1980)

Dass einige dieser sog. Post-Punk Bands aus den USA eine lange Geschichte hinter sich haben – Punk und Danach in Europa (mit) geprägt haben, habe ich schon mehrfach erwähnt. Pere Ubu sind dafür das Parade-Beispiel – ihre beiden ersten Alben The Modern Dance und Dub Housing sind inzwischen allgemein als Klassiker/Kulturgut anerkannt, die beiden Nachfolger - New Picnic Time aus dem Vorjahr und The Art of Walking gelten als schwächer – weil die Band auseinander fiel und verändert wieder zuasmmen kam, weil Sänger und Bandkopf David Thomas Pere Ubu in immer irrsinnigere Performances und unzugänglichere Musik steuerte (...dass die Band bei einem Konzert in San Diego vor genau 5 Zuschauern spielte, führte zum Ausstieg ihres Gitarristen Tom Herman...), und weil sie zugleich angesichts Post-Punk nun nicht mehr ganz so revolutionär erschienen, gelten diese beiden Nachfolger vielleicht als weniger kredibel. Ich halte sie allerdings für fast genauso gelungen wie die beiden ersten Alben – und zur damaligen Zeit wurden sie von der Musik-Presse hoch gelobt. Vielleicht – ganz vielleicht – fehlt auf The Art of Walking tatsächlich ein bisschen der rote Faden. Wenn ein völlig abstrakt dahergejammerter Tracks wie „Horses“ direkt neben dem konkreten Avant-Punk von „Crush This Horn“ steht, gerät man aus dem Gleichgewicht. Wenn die zweite LP-Seite mit dem Vocal-Percussion Experiment „Go“ beginnt, und dann eine etwas alberne „Rhapsody in Pink“ folgt, mag man den Faden verlieren – aber ich halte auch das für durchdacht. Pere Ubu hatten inzwischen mit Red Crayola's Mayo Thompson einen Gitarristen dabei, der selber aus dem chaotischsten Free-Rock kam, und neben bewusster Infantilität war Chaos schon immer Ausgangspunkt der Musik von Pere Ubu. Dass David Thomas' nichts anderes transportieren kann, wird klar, sobald man sein Gequake hört. Pere Ubu sind auch auf The Art of Walking einmalig. Das galt auch, nachdem sie nun etwas bekannter geworden waren.



Pylon


Gyrate

(Armageddon, 1980)

Pylon entstehen im gleichen musikalischen Umfeld wie R.E.M und die B 52's – in der studentischen Szene im kleinen Athens, Georgia. Sie hatten Bands wie Suicide, Cabaret Voltaire und in Brian Eno's No New York Sampler als Inspiration gefunden, traten mit den B 52's zusammen auf, die ihnen Gigs in New York verschafften. Aber im Gegensatz zu diesen waren sie in keiner Weise bereit musikalische Zugeständnisse an die Massen oder gar an die Industrie zu machen. Der Support für die ein bisschen ähnlichen und ähnlich kompromisslosen Gang of Four mochte Sinn machen, aber dass sie bald Vorband bei einer Tour von U2 waren, sahen sie eher als unangenehme Verpflichtung denn als Chance, zu irgendeiner Form von Ruhm zu gelangen. Nicht dass sie etwas gegen Popmusik gehabt hätten. Ihr kryptischer, metronomischer Indie-Rock ist nicht unfreundlich, Songs wie „Volume“ oder „Stop It“ sind durchaus delektabel. Aber ebenso wie in der Musik der Feelies hbrodelt auch auf Gyrate eine untergründige Unruhe. Eine Nervosität, die genaueres Zuhören einfordert. Sängerin Vanessa Briscoe Hay schreit und flüstert kodierte Texte, Gitarrist Randy Brewley kratzt auf seiner Gitarre, und Bassist Michael Lachowski und Drummer Curtis Crowe arbeiten effektiv, aber sparsam an ihren Rhytmen. Bei einer solchen Musik blieb der Erfolg natürlich – und auch leider - aus, der Ruhm jedoch nicht – zumal R.E.M. Drummer Bill Berry auch später nicht müde wurde, die Band und ihre beiden Alben zu „namedroppen“ Mit dem zeitlichen Abstand mag man heute erkennen, dass Pylon tatsächlich „post“ Punk waren.....


The B52‘s


Wild Planet

(Island, 1980)

Die bei Pylon's Gyrate erwähnten B52's aus Athens sind 1980 auf seltsame Weise „etabliert“. Ihr Debüt aus dem Vorjahr gilt schon jetzt als einer der Meilensteine des Post-Punk/New Wave - dabei kann man bei ihnen doch das „New“ aus New Wave getrost streichen. Sie sind Girl-Group-Wahnwitz, „post“ (= nach) Punk. Und sie sind inzwischen New Yorker und liefern mit ihrem zweiten Album Wild Planet nicht nur optisch den Nachfolger zu einem Debüt, das von der Rock-Prominenz zu recht gelobt wurde. Wild Planet bildet zusammen mit dem selbst-betitlelten Debüt ein Gesamtkunstwerk, wieder sind die Stimmen von Katie Pierson und Cindy Wilson schriller Wahnsinn, wieder knurrt Fred Schneider harsch dazwischen, wieder erklingt die wimmernde Orgel und der reduzierte Twang von Ricky Wilson's Gitarre. Die Band hatte bei den Aufnahmen zum ersten Album bewusst einige ihrer erprobten Live-Perlen zurück gehalten – die hatten einen Plan und wollten auf dem zweiten Album auch glänzen. Man ging wieder ins Compass Point Studio auf die Bahamas, hatte aber nun mehr Geld im Rücken und somit eine ausgefeiltere Produktion. Zum Glück poliert das Songs wie „Runnin' Around“ nicht glatt. Dass die Single „Give Me Back My Man“ ein Konzert-Favorit war, der auch in den Charts erfolg hatte, war also geplant. Und wieder ist die Story um das Mädchen, dessen Freund von einem Hai gefressen wird schön absurd. Besser noch finde ich „Private Idaho“, die dritte Single vom Album. Da haben wir den manischen Drive von Tracks wie „Rock Lobster“. Wild Planet wurde genauso von der Kritik gelobt, wie das Debüt, hatte nur den kleinen Nachteil, dass es nicht mehr ganz so überraschen konnte. Aber - gibt es noch eine Band, die so klingt? Ich kenne bis heute keine...


Polyrock


s/t

(RCA, 1980)

Polyrock’s Karriere ist so stylish und zugleich hektisch wie ihre Musik. Sie klingen so eindeutig nach New York wie ihrer weit bekannteren Kollegen Talking Heads, aber sie hatten nicht Brian Eno im Rücken und vielleicht waren sie auch einfach ein bisschen zu „arty“ um sich in den Niederungen von so etwas banalem wie „Charts“ zu bewegen. Es wäre sicher interessant, wie dieses Album Mitte der 00er Jahre aufgenommen worden wäre – ich höre bei Vampire Weekend mitunter ähnliche Sounds. Polyrock's exquisites Debüt wurde immerhin von Philip Glass co-produziert, ist eine tanzende, glitzernde und schillernde Mischung aus Devo - ohne deren albernen Futurismus - und der Kühle der frühen Talking Heads. Aber das soll nur einen ersten Eindruck geben, weil dazu etliche sehr eigene Ideen und Bestandteile kommen, die Polyrock zu einem leider vergessenen Post-Punk Juwel machen. Der Rhythmus hier hat oft die inzwischen so angesagte Kraut-Motorik, die in Verbindung mit sibyllinischen Frauen-Chören auf einem Track wie „Your Dragging Feet“ unerhört klingt. Die Gitarren wiederum erinnern an die Glasscherben, die Gang of Four's Andy Gill seinerzeit hinterließ. Sie können durchaus Pop, aber der wird immer wieder konterkariert, wenn zhum Beispiel beim tanzbaren „Body Me“ auf einmal atonaler Lärm losbricht und Gitarre, Bass Drums aus der Ordnung ausbrechen. Aber wer gerade DAS spannend findet, dürfte sich freuen. Man kann die sich wiederholenden Synth-Lines und die repetitiven Gitarrenläufe als Grund für den mangelnden Erfolg vermuten, vielleicht waren es zu dieser Zeit auch einfach zu viele Bands, die so ähnlich klangen – oder sie hatten einfach nicht genug Support. Es blieb letztlich bei diesem Album und einem zweiten, weniger spannenden Nachfolger (Changing Hearts, 1982). Polyrock sollte jeder hören, der die frühe Talking Heads und den New Yorker No Wave Sound schätzt.


Half Japanese


1/2 Gentlemen/Not Beast

(Armageddon, 1980)

Hier wird’s jetzt wieder schwierig: Ist das, was man auf dem Debüt von Half Japanese zu hören bekommt Post-Punk? Oder New Wave? Oder was...? Ist diese Musik überhaupt eine Reaktion auf irgendeine musikalische „Welle“ - oder ist 1/2 Gentlemen/Not Beast nicht viel mehr Musik von Outsidern - ihr eigener Weg sich mit Gitarre, Geschrei und Drums auszudrücken, ohne sich um die bekannten Regularien der populären Musik zu scheren? Ich denke, „Post Punk“ ist an diesem Album vor Allem die Tatsache, dass es überhaupt veröffentlicht wurde. Die Brüder Jad und David Fair haben seit '75 mit einem Drum-Kit, einem Mikro und einer nicht gestimmten Gitarre Lärm gemacht, den auf einer Single und diversen Cassetten veröffentlicht - und in der Welt, in der Punk mit seiner Verweigerung jeder Konvention und dem ausgesprochenen Verdikt, dass JEDER Musik machen kann, einen Plattenvertrag bei dem kleinen aber feinen Label Armageddon Records bekommen. Da sich seit '77 über 30 Songs angesammelt hatten, wurde ihr Debüt 1/2 Gentlemen/Not Beast sehr mutig als dreifach-LP veröffentlicht – und Wunder über Wunder – es gab Leute, die das hören und haben wollten. Half Japanese stolpern atonal und verzerrt durch eigene Songs und ein paar fast unkenntliche Cover-Versionen von Vorbildern wie Springsteen („10th Ave. Freeze-Out“), Dylan („Tangled up in Blue“), Lou Reed, („I Can't Stand It Any More“), Jonathan Richman („She Cracked“) oder Buddy Holly („Rave On“). Eigene Songs wie „Girls Like That“ sind genau genommen auf's einfachste reduzierte Klischees von Pop-Songs, so Lo-Fi, dass sich Sebadoh Anno '89 dagegen nach sorgfältiger Produktion anhören. Und die Beiden meinen das Ernst – sie wollen so klingen, sie verwenden – bewusst oder unbewusst - Prinzipien des Punk, um ihre egoistische Vision von Musik zu realisieren. Sie sind in gewisser Weise wie Jandek, nur dass der keine Vorbilder zitiert hat. Diese drei LP's komplett anzuhören dürfte schwierig sein – obwohl es den beiden Fair Brüdern – ab und zu mit Hilfe der Brüder John und Rick Dreyfuss an Saxophon und Drums – immer wieder gelingt, neue Versionen von Noise zu erzeugen. 1/2 Gentlemen/Not Beast ist eher individuelles Statement als Musik. Aber in Dosen genossen erzeugt es bei mir Staunen, Spaß und ein bisschen Bewunderung.


The Jim Carroll Band


Catholic Boy

(Atco, 1980)

und weil ich mir - wie öfters erwähnt – vorstelle, dass man sich die Alben hier hintereinander anhört, kommt hier mit dem Debüt der Jim Carroll Band eine sehr coole Form von Erholung vom Lo-Fi Noise von Half Japanese. Jim Carroll war Ende der Siebziger eine fast archetypische Kult-Figur des New Yorker Underground. Er hatte mit Patti Smith und Robert Mapplethorpe zusammen gewohnt, war in Andy Warhol's Factory ein und aus gegangen, war ein schriftstellernder Junkie und hatte seine Jugend 1978 in einem erfolgreichen Buch literarisch verarbeitet. The Basketball Diaries beschreiben den jungen Jim Ende der Sechziger als erfolgreichen College-Basketballer mit beginnender Heroin-Sucht, der sich prostituiert um an das Geld für seine Drogen zu kommen, der den Selbstmord eines Freundes und das Leben auf den nächtlichen Straßen New York's mitmacht. Das Buch wurde 1995 tatsächlich mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle verfilmt, 1980 hatte Carroll sich allerdings nach LA abgesetzt, um seiner Sucht zu entkommen – und wurde von Patti Smith ermutigt, Musik zu machen. Sie dürfte ihm den Kontakt zu ihrem Ex-Freund, dem Blue Öyster Cult Keyboarder Allan Lanier verschafft haben, er selber versammelte ein paar weitere Musiker um sich. Schrieb kluge Texte, die sich auf besagte Basketball Diaries bezogen, und hatte tatsächlich Songs, die sich nach New York und Patti Smith – allerdings ohne deren Leidenschaft – anhören. Allein sein „People Who Died“ ist has halbe Album wert, die 7 ½ Minuten von „City Drops Into the Night“ mögen etwas zu lang und zu sehr Radio-Rock sein, aber der Opener „Wicked Gravity“ oder „Crow“sind von einer lakonischen Coolness, die mich tatsächlich an Television und Richard Hell's Voidoids denken lässt. Das Album lebt natürlich von seinen Texten, man sollte bestenfalls das Buch dazu lesen, aber Carroll war als New Wave-Sänger und Songwriter nicht schlecht. Die Zeit war allerdings auch genau richtig hierfür. Alles was musikalisch danach von ihm kam, verblasste hinter dieser Vorlage. Ach - das Cover ist übrigens von Annie Leibowitz fotografiert.


Lydia Lunch


Queen of Siam

(ZE, 1980)

Dass New York (noch vor der Westküste) das Epizentrum des Post-Punk in den USA ist, versteht sich. Sub-Kultur in den USA geht nicht ohne New York. Und die Sängerin/Autorin und Schauspielerin Lydia Anne Koch aka Lydia Lunch war - wie Jim Carroll – integraler Bestandteil der New Yorker Kunst-Szene um das CBGB's. Sie hatte mit Teenage Jesus and the Jerks auf der epochalen, von Brian Eno zusammengestellten Compilation No New York (Siehe Hauptartikel 1978...) geholfen New Yorker No Wave zu definieren, sie hatte James Chance auf seinen Alben geholfen, nun machte sie sich auf, mit ein paar New Yorker Kollegen und dem Billy VerPlanck Orchestra ein Album irgendwo zwischen No Wave, Avantgarde, Big Band und Gothic zu machen. Sie coverte – dem gewünschten Image entsprechend – den Uralt-Klassiker „Gloomy Sunday“ und das wunderschöne „Spooky“, ließ bei „Jady Scarface“ die Big Band von der Leine – die tatsächlich mit atonalen Ausbrüchen ins New Yorker Kunst-Umfeld eingepasst wurde, sie ließ den Hörer bei „Atomic Bongos“ im No Wave Modus erschauern, ihre kindliche Stimme ist in diesem Umfeld unheimlicher als jeder NY-Gangster, ihr Queen of Siam ist eine eigentlich undenkbare Verbindung von Big Band und Noise, sie dürfte Sonic Youth's Kim Gordon ebenso beeinflusst haben, wie etliche Gothic-Künstlerinnen – aber ihr No Wave Background und Begleiter wie Gitarrist Robert Quine (...man höre nur „Knives in the Drain“) hebt sie über Leute wie Siouxie Sioux hinaus. Es gibt schlicht kaum etwas vergleichbares – ob Queen of Siam damit Jedem gefällt, muss man nicht diskutieren. Neugierige Hörer sollten sich das einfach mal anhören, ein sehr ungwöhnlicher Aspekt der US-Avantgarde – wie Alles hier nur deswegen „Post-Punk“, weil es in dieser besonderen Zeit entstanden ist – und zu keiner anderen Zeit entstehen konnte... Der Nachfolger 13.13 (von 1982) kommt ohne Big Band dem New Wave tatsächlich näher – und ist genauso gut.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen