Sonntag, 3. November 2019

1969 - Free bis Bakerloo – British Blues auf dem Höhepunkt – Teil 2

Es ist der Menge an Klassikern des britischen Blues-Rock geschuldet, dass ich auch hier zur besserern Lesbarkeit ein zweites Kapitel verfasse. Die Alben in diesem zweiten Kapitel sind nicht schlechter, nicht besser, nicht einmal so anders, als die der 12 Acts aus Kapitel1. Ihnen allen ist ihre britsche Herkunft gemeinsam (ok, Taste sind Iren...) und der damit anscheinend verbundene respektvolle, aber wenig dogmatische Umgang mit der Musik der afro-amerikanischen Vorbilder. Blues hatte sich in UK verselbstständigt, war den Einflüssen aus Psychedelic Rock, Folk, Beat und Jazz gegenüber sehr offen. Und er hatte ein weit offeneres Publikum, als Blues in den USA. Da mag in den großen Städten der Westküste und in New York ein weisses, studentisches Publikum den US-Entsprechungen von Jeff Beck, Jimmy Page etc gelauscht haben – aber wenn sich junge weisse Musiker in den Südstaaten oder im Mittelwesten des Blues angenommen haben, dann dürften die dort etablierten Vorurteile ihnen einen heftigen Wind ins Gesicht geblasen haben. In Englang war der Blues inzwischen so stark verfremdet worden, dass er auch als Export in die USA erfolgreich war. Einige britische Bands hatten den Blues mit harten Rhythmen, großer Lautstärke und verzerrten Gitarren in Richtung Heavy Rock geschoben – und waren damit enorm erfolgreich (Led Zeppelin, Free, Groundhogs). Andere bedienten sich aus der Psychedelic oder Folk-Kiste – oder machten einfach das, was Blues in ihren Augen bedeutete, ohne sich allzu sehr um die Vorbilder zu scheren. Dass die Ergebnisse über die Jahrzehnte zu Klassikern der „Rockmusik“ wurden, sollte schon zeigen, dass da nicht alles falsch war. Die Vorliebe der Bands dieser Tage für Gitarren-Soli, ausgedehnte Improvisationen, exaltierten Gesang – für das, was zum „Klischee“ für „Rock“ geworden ist – sollte man nicht nur verzeihen. Diese jungen Leute waren sich keiner Klischees oder Peinlichkeit bewusst – das war alles neu, wurde gerade erfunden und war Zeichen einer Befreiung und eines Selbstbewusstseins, das völlig unverklemmt war. Ich persönlich kann eingedenk dieser Voraussetzungen Vieles hier weit besser geniessen – und den Reiz von Alben wie Free oder Stonedhenge nachempfinden – und sie entsprechend empfehlen und loben.

Free

Tons Of Sobs

(Island, 1969)

Free

s/t

(Island, 1969)

Alexis Korner, einer der Ur-Väter der britischen Blues-Szene, hatte im Vorjahr den Gitarristen Paul Kossoff, Drummer Simon Kirk und Sänger Paul Rodgers mit dem da gerade 16-jährigen Bassisten Andy Fraser zusammen gebracht und ihnen den Namen Free nahegelegt. Als das Quartett sein Debüt aufnahm, war noch keiner der Musiker über 20 Jahre alt – aber ihr Blues-Rock klang schon so stilsicher, eigenwillig und durchdacht, dass man erfahrene Musiker dahinter erwartet hätte. Immerhin hatten die vier ihre Songs seit ihrer Gründung im April '68 vielfach Live ausprobiert. Sie bekamen einen Vertrag bei Chris Blackwell's aufstrebendem Island-Label. ein Budget von £800 und mit Guy Stevens einen Produzenten, der auch gerade mal Mitte Zwanzig war – und der in diesem Falle klug das Prinzip „Weniger ist Mehr“ nutzte. Letztlich ließ er die Band das Live-Repertoire spielen, ohne viel hinzu zu fügen. Dass Free sich das erlauben konnten, dass Tons of Sobs sogar enorm eigenständig klingt, zeigt, dass hier eine wirklich famose Band zusammengekommen war. Rodger's Stimme klingt gewiss nicht nach gerade überwundener Pubertät, ist soulig und unverkennbar, der junge Paul Kossoff hatte eine ganz eigene Art, seine verzerrten Gitarrentöne in die Länge zu ziehen und Kirk und Fraser waren ein enorm kraftvolles Rhythmus-Gespann – so kraftvoll, dass die Entwicklung der Band in Richtung Heavy-Blues vorbestimmt war. Tons of Sobs allerdings ist noch sehr blues-lastig. Man wird Free immer mit ihrem Welthit „Allright Now“ (vom dritten Album Fire and Water ('70)) verbinden, aber ihre beiden ersten Alben sind in meinen Ohren die bessere, weil frischere, authentischere und interessantere Wahl. Tons of Sobs mag primitiv aufgenommen sein, hat aber dadurch eine Unmittelbarkeit, der die vier Jungs auf jeden Fall gewachsen sind. Schon hier klingen sie sehr „heavy“ für eine Blues-Band, und Songs wie das von Rodgers geschriebene „Walk in My Shadow“ vertragen diese Härte. Noch ist die Gitarre von Kossoff nicht so prominent, heult das Feedback nicht ganz so ausdauernd, aber man ließ ihm seinen Freiraum – und er wusste ihn zu nutzen. Auf Betreiben von Guy Stevens wurde der Live-Favorit „The Hunter“ von Booker T. & the M.G's noch auf das Album gepackt, und der zeigt genau wie der Slow-Blues „Moonshine“, dass diese jungen Leute hier einer Leidenschaft frönten – der sie im gleichen Jahr auf Free mit noch mehr Kompetenz folgten. Die Entwicklung dieser Typen in den paar Monaten war erstaunlich: Chris Blackwell übernahm den Produktions-Job, ermutigte den jungen Bassisten Fraser mit Rodgers zusammen Songs zu schreiben und definierte den Sound der Band neu. Der Bass übernahm den Part der Rhythmus-Gitarre mit, ist enorm prominent, Paul Kossoff darf nun die Zügel an der gitarre schiessen lassen, und Rodgers Stimme hatte an Autorität gewonnen. Alle Elemente sind fein voneinander getrennt und bilden ein sehr eigenständiges neues Konstrukt. Dass die Songs – acht mal Fraser/Rodgers, einmal von der ganzen Band geschrieben – jetzt über den Blues hinausgehen, dass hier eine eigene Version des aufkommenden „Hard Rock“ entstehen würde, war nach dem Debüt ja schon fast abzusehen. Dass die Vier so gut waren, hatte man nur hoffen können. Auch Free wagten erfolgreich Folk („Mourning Sad Morning“), auch Free versuchten ein Instrumental („Mouthful of Grass“, das zeigt, welch gefühlvoller Gitarrist der 19-jährige Paul Kossoff war. Aber vor Allem kraftvolle Tracks wie „Trouble on Double Time“, "Broad Daylight“ oder „Woman“ führen Free auf das Terrain, auf dem sie bald neben Led Zeppelin grasen würden. Zunächst aber hatten die beiden ersten Alben von Free noch wenig Erfolg. Der kam erst mit besagtem Hit. Das Cover von Free jedenfalls ist eine Ikone der Rockmusik. Dass die Musik dem in Nichts nachsteht, sollte man erfahren.


Joe Cocker

With A Little Help From My Friends

(A&M, 1969)

Joe Cocker

s/t

(A&M, 1969)

Joe Cocker und seine Stimme wurde von Jahrzehnten im Format-Radio, durch seine peinliche Rock-Säufer-Karriere und durch kreativen Stillstand spätestens seit den 80ern auf taurige Weise marginalisiert. Aber ich will mindestens seinem Debüt-Album Respekt zollen. Cocker definiert sich - wie Rod Stewart – über eine Stimme, die enorm wiedererkennbar ist -und die hier noch mühelos und glaubhaft Soul und Blues aus Vorlagen presst, die dafür eigentlich ganz ungeeignet scheinen, weil sie Folk und Pop – nicht Blues und Soul sind. Cocker hatte schon einige Jahre in Pubs und Clubs gesungen, sogar eine Single veröffentlicht, aber als er nun mit immerhin schon 25 Jahren mit seiner Band und der Unterstützung durch ein paar Freunde sein Debüt aufnahm, war er immer noch ein Studio-Neuling. Immerhin hatte er mit Chris Stainton vor drei Jahren die Grease Band gegründet – versierte Musiker, die zwei beachtlich Alben unter eigenem Namen veröffentlichen würden. Dazu kamen Gäste wie Steve Winwood, Albert Lee und - bei fünf von zehn Songs – Led Zeppelin's Jimmy Page. SeineReputation muss hoch gewesen sein. Das Rezept für With a Little Help from My Friends – genau wie für Joe Cocker ein paar Monate später: Ein paar Stainton/Cocker Songs und einige überraschende Cover-Versionen von den Beatles, Dylan, Cohen und anderen aktuellen Songwritern. Cocker's da noch völlig intakte Fähigkeit: Er machte aus „Just Like a Woman“ und „I Shall Be Released“ von Dylan, aus „Feelin' Allright“ von Traffic's Steve Mason - und insbesondere aus dem Titelsong von den Beatles - seelenvolle Musik, die zwar die Originale noch in sich trägt, die aber durch seine Stimme und seinen Vortrag zu SEINEN Songs wurden. Man machte es ihm leicht, indem man die ihm bekannte Jam-Session Atmosphäre schuf, er war in Hochform, noch nicht vom Alkohol gezeichnet – das Ergebnis sind zwei Alben, die zum Fundament einer kompletten Karriere wurden. Vor dem zweiten Album tourte Cocker in den USA und trat beim legendären Woodstock Festival auf, seine Art sich zu bewegen, seine seltsamen Verrenkungen und sein Luft-Gitarren-Spiel wurden legendär, das zweite Album enthielt mit dem Leon Russell-Cover „Delta Lady“ den nächsten Hit im UK, die Karriere ließ sich vielversprechend an. Dass der gelernte Installateur nun zum Establishment gehört, wurde für ihn allerdings zur Belastung. Noch '69 löste er die Grease Band auf, verweigerte die nächste gebuchte US-Tour und musste eine neue Band zusammenstellen, um den Vertrags-Verpflichtungen nach zu kommen. Das Resultat war ein wildes Live Album und eine massives Aklohol-Problem. With a Little Help from My Friends und Joe Cocker zeigen einen noch frischen und überzeuten Soul- und Blues-Sänger, wie es sie nur in dieser Zeit gab.


Taste

s/t

(Polydor, 1969)

Und wieder: Musik aus der Zeit der Gitarren-Heroen. Taste war die Band des irischen Gitarristen, Sängers und Songwriters Rory Gallagher, gegründet 1966 in Cork, seit '68 in London beheimatet – und seit ein paar Monaten eine große Nummer im Blues-Rock Universum. Sie hatten die Abschieds-Tour von Cream supported, waren mit Blind Faith in den USA und nahmen schließlich im April '69 ihr Debüt-Album auf. Man kann an diesem Album etwas interessantes feststellen: Damals war die Studio-Technik noch nicht übermächtig, Musiker wie die drei von Taste hatten eine Live-Erfahrung und Spielfreude, die in den Aufnahme-Sessions zu einer LP weit wichtiger war, als Sound-Architektur und übereinander geschichtete, manipulierte Tonspuren. Dadurch klingt ein Album wie Taste im Idealfall so unmittelbar, dass es dem Hörer fast ins Gesicht springt. Dass die Live-Qualitäten des Trio's dann auch im Studio wirkten, ist wohl den schlichten Aufnahme-Methoden geschuldet – einer Produktion, die ich mir bei manchen heutigen Alben durchaus auch wünschen würde. Dass Gallagher ein wildes Tier an der Gitarre war, dass er so hemdsärmelig spielte, wie er auch auftrat, dass er ein shr guter, an Folk und Jazz geschulter Gitarrist war, dass seine Begleiter Richard McCRacken (b) und John Wilson (dr) ein festes, aber austauschbares Fundament bildeten – geschenkt. Taste ist ein tief im irischen Folk verwurzeltes Blues-Rock-Album, die bei Songs wie der Akustik-Gitarren-Showcase „Hail“ deutlich erkennbar werden. Ein Track wie „Born on the Wrong Side of Town“ wiederum zeigt, dass Taste auch an Psychedelik geschnüffelt hatten. Sie wurden immer wieder mit Cream verglichen, was aber falsch ist – ihr Stil ist unverkennbar – sie klingen geerdet, ihre Virtuosität wird nie zum Selbstzweck, vor Allem die Folk-Wurzeln sind ein Alleinstellungs-Merkmal. Taste ist eine eigenständige Bluesrock-Vollbedienung


The Groundhogs

Blues Obituary

(Imperial, 1969)

Die Groundhogs sind zur Zeit ihres zweiten Albums schon regelrechte Veteranen. 1963 gegründet haben sie sich im Lauf der Jahre eine gewaltige Live-Reputation erspielt und John Lee Hooker (nach dessen „Groundhog Blues“ sie sich benannt haben) Little Walter, Jimmy Reed und Champion Jack Dupree auf deren UK-Touren begleitet. Sie haben 1968 mit ihrem Debüt Scratching the Surface ein noch relativ konventionelles Bluesrock-Album gemacht, aber schon da galt insbesondere Gitarrist und Sänger Tony McPhee Manchen als britische Antwort auf Jimi Hendrix – und wenn man dieses zweite Album der Band hört, kann man schnell erkennen, wo die Ähnlichkeiten liegen. Blues Obituary ist von McPhee's Stimme und seinem enorm fantasievollen, harten Gitarren-Spiel geprägt. Allerdings klingt bei ihm im Vergleich zu Hendrix immer ein proletarische Arbeiter-Ethos mit, seine Stimme ist No Fun, roh und kräftig, seine Soli sind virtuos, aber von einer unnachahmlichen Härte. Dass die Groundhogs wieder eines dieser dazumal so beliebten „Power-Trios“ sind, mag die Hendrix-Vergleiche befeuert haben. Aber Blues Obituary steht gut für sich alleine. Das ist moderner Blues – so modern, dass er sogar heute noch überraschend klingt. Und McPhee's Begleiter Pete Cruickshank (b) und Ken Pustelnik (dr) sind für den charakteristischen Sound der Groundhogs mindestens genau so entscheidend, wie ihr Gitarrist. Vor Allem Pustelnik's Drums klingen nach modernem Hard-Rock, kaum nach Blues-Band. Sie covern Howlin' Wolf's „Natchez Burning“ - und machen ihren eigenen Track daraus. Und beim abschliessenden Instrumental „Light Was the Day“ verlassen sie alle ausgetretene Blues-Pfade und werden regelrecht experimentell. Ich könnte mir vorstellen, dass Thurston Moore Sonic Youth an diesem Track Spaß gehabt haben könnten.


Juicy Lucy

s/t

(Vertigo, 1969)

Jetzt habe ich die Blues-Pfade verlassen - und begeistere mich für Juicy Lucy – eine dieser vielen Bands, die zwar ihre Wurzeln auch im Blues haben, die aber mindestens genauso sehr in den Wolken des Psychedelic-Rock schweben. Kein Wunder, waren sie doch aus der Psychedelic-Band The Misunderstood hervorgegangen, die – in den USA gegründet - '66 in London gelandet waren und ein paar feine Singles, aber nie ein komplettes Album geschafft hatten. Einer ihrer prägenden Musiker war der Neuseeländer Glenn Ross Campbell, der seine Steel-Guitar auf eine Art malträtierte, die jedem Cowboy den Hut wegfliegen ließe. Campbell suchte sich nach dem Scheitern von The Misunderstood ein paar neue Mitstreiter und benannte seine Band nach einer Prostituierten aus einem Buch von Leslie Thomas... und mit leicht abgeändertem – bluesigerem – Konzept hatte er Erfolg: Juicy Lucy coverten Bo Diddley's unzerstörbaren Klassiker „Who Do You Love“, gaben ihm eine Heavy-Rock/Steel-Guitar-Behandlung und hatten sofort einen UK Top 20 Hit und die Chance, ein Album aufzunehmen. Dass das Cover von Juicy Lucy von der mit Früchten bedeckten Varieté-Tänzerin Zelda Plum geziert wurde, mag so manchen neugierig gemacht haben. Und der hatte dann das Vergnügen, eine enorm virtuose Band zu entdecken, die weit mehr konnte, als nur den einen Hit: Ob „She's Mine/She's Yours“, der extrem rhythmische Blues mit Chris Mercer's Saxophon, ob blues-basierter Country-Rock auf „Chicago North Western“ - diese Band konnte alles spielen – hatte mit besagtem Saxophonisten, mit Neil Hubbard an der zweiten Gitarre (Der bald Joe Cocker's Band beitreten wird), dem Blues-Shouter Ray Owen und dem Ex-Van Der Graaf Generator Bassisten Keith Ellis das Personal, das dieses breites Spektrum bedienen konnte. Es nimmt allerdings auch nicht Wunder, dass Juicy Lucy quasi sofort von Personal-Problemen zerrissen wurden. Das Nachfolge-Album Lie Back and Enjoy It immerhin ist noch aller Ehren wert. Dieses Debüt aber bleibt ihr bestes Album – eines, das Blues-Rock in alle Richtunge erweitert.


TenYears After

Stonedhenge

(Deram, 1969)

Ten Years After

Ssssh.

(Deram, 1969)

Ten Years After haben sich insbesondere mit ihrem Live-Album Undead (vorgestellt im Artikel 1968 – Pink Floyd bis Family – Der UFO Club in London und seine Folgen eine große Bekanntheit erspielt. Ihr Bluesrock ist weniger psychedelisch, dafür eher von Jazz durchzogen. Sie haben schon durch den Organisten Chick Churchill einen prägnanten Sound, der aber natürlich insbesondere durch Alvin Lee's Überschall-Soli auf der (kaum verzerrten) Gitarre und durch seine quäkende Stimme geprägt ist. Nach dem Erfolg von Undead schmieden sie das heisse Eisen und nehmen mit Stonedhenge schnell ein neues Studio-Album auf, das den Live-Charakter bekommt, der ihnen so gut getan hat. Produzent Mike Vernon gelingt das nicht selbstverständliche Kunststück, ihre Improvisationsfreude im Studio enzufangen – und mit „Hear Me Calling“ - bald von den Glam-Rockern Slade gecover - gelingt ihnen sogar ein Nachfolger zum Hit „I'm Going Home“. Das Konzept zu Stonedhenge freilich ist das Gleiche, wie das von Undead: Man bekommt das übliche Drum-Solo, man bekommt die ausgedehnten Gitarren-Soli und alles wird mit Orgel und Rhythmus in Jazz-Gefilde versetzt. Dass diese Art Blues-Rock heute altbacken klingt, will ich zugeben – aber es gibt (wieder einmal) keinen, der so klingt, wie TYA Ende der Sechziger/ Anfang der Siebziger. Und sie sind zu dieser Zeit extrem erfolgreich: Im Juni '69 nehmen sie das nächste Album auf, im Juli treten sie beim Newport Jazz Festival auf – und am 17. August stehen sie in Woodstock auf der Bühne, wo Alvin Lee ein legendäres 10-minütiges Gitarren-Solo zum Hit „I'm Going Home“ abliefert. SO ist Musik in diesen Tagen. Ihr viertes Album Ssssh wird im August auf den begierigen Markt geworfen.Dass es in den USA Platz 40 der Billboard Charts erereicht, im UK sogar auf Platz 4 landet, zeigt, dass Woodstock und die daran Beteiligten auch ohne Internet und Social Media sofort zur Legende wurden. Ten Years After werden nun ein kleines bisschen „härter“, folgen darin durchaus dem Zeitgeschmack, sind aber freilich immer noch tief im Jazz verwurzelt. Sie covern Sonny Boy Williamson's „Good Morning Little Schoolgirl“, verändern den Text, passen mit „Stoned Woman“ wunderbar zur hohen Zeit der Kiffer, spielen mit „I Woke Up This Morning“ harten, puren Blues incl. Gitarren-Solo und klischee-haften Lyrics. Ssssh ist abwechslungsreicher als Stonedhenge, zeigt, dass TYA viele Facetten parat hatten. Sie wurden nun – wie viele ihrer britischen Zunft-Genossen – in den USA ein großes Ding und machten in der Folge ein paar weitere gelungene Alben. Aber man muss sich – wie bei all den hier vorgestellten Alben – in diese Zeit versetzen, um diese Musik geniessen zu können. „Modern“ ist das nicht – aber schön – und mit der jeweiligen Spielzeit von etwas mehr als 30 Minuten sind beide Alben angenehm kurzweilig

Keef Hartley

Halfbreed

(Deram, 1969)

Wie eng verflochten die Blues-Szene in England ist, dürfte dem Leser schon aufgefallen sein. Nun – Keef Hartley gehört auch auf diesen Haufen. Er hat nach Aynsley Dunbar für John Mayall gespielt, seine (Big) Band rekrutiert sich u.a. aus Musikern, die man auf den hier beschriebenen Alben wiederfindet. So spielt hier Juicy Lucy- Saxophonist Chris Mercer mit, John Mayall macht auf Halfbreed auch mit und einer der Stars der Band – Miller Anderson – wird im Laufe der Zeit in den Blues-Zirkeln herumgereicht. - wobei sein Beitrag auf diesem Album nachträglich aufgenommene Vocals sind, seine Fähigkeiten als Gitarrist würde er erst auf den folgenden Alben präsentieren dürfen. Hartley hatte Halfbreed zunächst mit dem Sänger Owen Finnegan aufgenommen, war aber mit dem Ergebnis unzufrieden und fand mit Miller Anderson einen mehr als vollwertigen Ersatz. Auf Halfbreed spielt noch ein gewisser Spit James aka Ian Cruickshank Gitarre – und der war auch nicht schlecht – eher Jazz informiert, mit Django Reinhardt als Vorbild. Das Quartett + 4 Bläser erzeugt auf diesem Album große Power, es gibt sieben durchdachte eigene Songs, die Cover-Versionen „Leavin' Trunk“ von Sleepy John Estes und „Think It Over“ von B.B. King bekommen die Jazz/Blues Behandlung, die sie selbstständig stehen lässt, der Album Closer „Think It Over - Too Much to Take“ mag das Highlight sein. Und Miller Anderson's soulige Stimme zeigt – in diesen Jahren scheint es in England hervorragende Sänger in Massen gegeben haben. Halfbreed ist eine bluesigere, sehr eigenständige Variante zu dem, was in den USA Blood Sweat & Tears und Chicago vorgelegt hatten. Info am Rande: Sie traten auch in Woodstock auf – wurden aber als einer von zwei Acts nicht dokumentiert.

PS: Das Indianer-Cover ist kein Fake - Hartley studierte tatsächlich die Kulturgeschichte der amerikanischen Ureinwohner und trug gerne mal ihre Klamotten.


Siren

s/t

(Dandelion, 1969)

da ich mir vorstelle, dass man sich diese Alben in der hier vorgestellten Reihenfolge anhört, will ich jetzt mal das Gegenprogramm zum ausgefeilten, jazz-nahenbritischen Blues empfehlen: Siren ist die Band des Musikers Kevin Coyne, eines extrem eigenwilligen, hoch-musikalischen Künstlers, der seine komplette Karriere lang auf fast selbstzerstörerische Weise die Kommerzialität gemieden hat, dessen wilde, grantige Stimme mich immer an einen weniger durchgeknallten Captain Beefheart erinnert – und dessen Songs viel mehr Beachtung verdient hätten. Die Band Siren war zunächst unter dem Namen The Clague gestartet, das Trio aus Kevin Coyne (g, voc), Dave Clague (b, g) and Nick Cudworth (p, g) hatte unter dem Namen des Bassisten zwei Singles auf John Peel's neuem Label Dandelion veröffentlicht und sich für dieses Debüt in Siren umbenannt. Siren könnte natürlich ohne weiteres in einem Kapitel über Singer/Songwriter des Jahres '69 unterkommen. Aber – das sollte inzwischen jeder begreifen – es gibt keine reine Lehre des (...du kannst jedes Genre hier eintragen...) und wenn Siren hier ihre Songs elektrifizieren, dann sind sie - zwar untypischer – Blues-Rock Made in England. Siren beginnt mit einem regelrechten Überfall – einem Folk-Blues, der besagtem Captain Beefheart ggf auch gestanden hätte. „Ze-Ze-Ze-Ze“ hat tatsächlich Hit-Qualitäten... für eine andere Welt. Auf dem Slide-Blues „Wastin' My Time“ hört Coyne sich an wie Mick Jagger, die elektrifizierte Cover-Version von B.B. King's „Rock Me Baby“ ist durch den skelettierten Sound ganz eigenständig, aber am besten -weil ganz unverwechselbar - sind Siren, wenn sie den Blues akustisch halten: "Get Right Church", das rührende "And I Wonder", "Asylum" oder "I Wonder Where" mögen meilenweit vom elektrischen Heavy-Blues von Free oder Led Zeppelin sein – aber es sind sehr berührende Songs – die sich in ihrer uneitelen Zurückhaltung weit besser gehalten haben, als die Songs berühmterer Kollegen. Coyne ging nach einem zweiten Album Solo und machte mindestens mit Marjory Razorblade ('73) einen vergessenen Klassiker des Folk.


Blodwyn Pig

Ahead Rings Out

(Island, 1969)

und nach der akustischen Erholung gefällt mir Blodwyn Pig, die Band um den Ex-Jethro Tull-Gitarristen Mick Abrahams ganz besonders. Der hatte Ian Anderson im Streit um die stilistische Ausrichtung von Jethro Tull verlassen – er wollte mehr Blues und Jazz, Anderson mehr Querflöte – und nach seinen Vorkieben klingt dann auch Ahead Rings Out. Mit Jack Lancaster holte er sich einen formidablen Jazz-Saxophomisten, Flötisten und Geiger, dazu kam mit dem Bassisten Andy Pyle und dem Drummer Ron Berg eine Rhythmus-Sektion, die so stark war, dass sie bald in allen möglichen britischen Blues Bands herumgereicht wurde. Mick Abrahams versuchte auf Ahead Rings Out Jazz und Blues auf eine weitere neue Art zu verbinden. Tracks wie das sanfte „Dear Jill“ oder „Up and Coming“ starten als Blues, werden dann aber sehr geschickt in Richtung Jazz gedreht. Gerade bei Letzterem spielt Lancaster so Flöte, wie Abrahams es sich bei Jethro Tull von Ian Anderson gewünscht haben mag. Ass diese Band bei „The Modern Alchemist“ Blues mit fast Free Jazz-artigen Passagen verbinden, zeigt, dass sie Einiges 'drauf hatten. Auch Abrahams Stimme ist eine veritable Blues-Röhre, auch er spielt die erforderlichen, mal gefühlvollen, mal leidenschaftlichen Gitarren-Soli. Es mag sein, dass Blodwyn Pig mit dem auffälligen Schweinekopf-Cover zusätzliche Aufmerksamkeit erwecken wollten – dem Album war jedenfalls seinerzeit ein ziemlicher Erfolg beschert. Platz 9 der UK-Album Charts, Erfolg in den USA, Teilnahme am Isle of Wight Festival... Allein – Abrahams beendete seine Karriere nach dem Ende des Blues-Rock Booms aus Abscheu dem Musik-Business gegenüber. Ahead Rings Out ist mit Recht eines der Kult-Alben des britischen Jazz/Rock/Blues einer Zeit, die keine stlistischen Grenzen kannte.


The Climax Chicago Blues Band

s/t

(Parlophone, 1969)

The Climax Blues Band

Plays On

(Parlophone, 1969)

Ende der Sechziger galt – wie diese Artikel hier beweisen - Blues in progressiv, jazzig oder „heavy“ wohl als Erfolgsrezept. Virtuose am Mikro, an der Gitarre oder an Saxophon, Flöte etc hatten Hochkonjunktur – und Bands wie Blodwyn Pig, die Keef Hartley Band, die Aynsley Dunbar Retaliation etc. versprachen sich einen ähnlichen Erfolg wie ihn Led Zeppelin hatte. Aus der britischen Provinz – aus Staffordshire – kam die Climax Chicago Blues Band. Gegründet hatte sie der Saxophonist und Harmonica Spieler Colin Cooper zusammen mit dem da gerade 16-jährigen Gitarristen Pete Haycock. Sie nahmen sich offensichtlich John Mayall und den ganzen Jazz-Blues Zirkus zum Vorbild und spielten Ende '68 unter eigenem Namen ein Debüt ein, das vor Allem von den Soli des jungen Pete Haycock lebte. Das typische Programm: Ein paar Cover Versionen, ein paar eigene Tracks, bei Ihnen immer in leichter, schwebender Manier, mit der etwas zu unauffälligeren Stimme Cooper's, was ihnen eine noch größere Ähnlichkeit mit John Mayall's jeweiligen Bands verlieh. Für den Nacholger Plays On wurde erst einmal das „Chicago“ aus dem Namen gestrichen, Cooper verlegte sich mehr auf's Saxofon-Spiel und beim fast acht-minütigen Opener „The Flight“ hoben sie erstmals so richtig ab. Dies war die Blues/ Progressive Jazz Vollbedienung – die heute sicher auch etwas betagt klingt, die der Band aber immerhin einen besseren Rif einbrachte. Hier spielen auch wirkliche virtuose Musiker auf, Plays On gilt zu Recht als ihr interessantestes Album der ersten Jahre. Mitte der Siebziger kamen Pop-Einflüsse dazu und die Band hatte große Erfolge in den USA. Die Blues-Alben der ersten Jahre sind für mich die bessere Wahl. Nicht so richtig aufregend, aber sehr solide.


Bakerloo

s/t

(Harvest, 1969)

Vergessene Gitarrenhelden – Letzte Station. Bakerloo ist das Vehikel für den Saitenvirtuosen Clem Clempson – auch so einer, der sich in den folgenden Jahren bei allen möglichen Progressive/Blues-Combos verdingte, seine erste Station war dieses zunächst The Bakerloo Blues Line genannte Power Trio mit dem Bassisten Terry Poole und dem Drummer Keith Baker. Die Karriere ließ sich zunächst gut an. Sie spielten als Vorband beim ersten Konzert von Led Zeppelin, sie tourten mit Earth – der Band, aus der bald Black Sabbath wurde, sie bekamen den ersehnten Vertrag bei Harvest und nahmen ihr Debüt mit Elton John Produzenten Gus Dudgeon auf. Und auch sie konnten Alles: Es gibt mit „Son of Moonshine“ 15 Minuten Heavy-Rock, wie ihn Led Zeppelin auch nicht besser konnten, sie spielen Bach's Bouree als „Driving Bachwards (,,,nicht witzig, aber eine nette, kurze Leistungsschau...), das Instrumental „Gang Bang“ zeigt ein weiteres Mal, dass nicht nur Alvin Lee flinke Finger hatte, „This Worried Feeling“ macht seinem Titel als Slow Blues auch alle Ehren... Bakerloo ist eine Art Zusammenfassung dessen, was Power Trio's in jener Zeit so machten. Dass das Album dann bald in Vergessenheit geriet, liegt vielleicht daran, dass die Band noch '69 auseinander ging – aber sicher vor Allem daran, dass diese Art von Musik spätestens Mitte der Siebziger so was von unmodern wurde, dass auch ich hier meine Probleme damit habe, die notwendige Begeisterung zu erzeugen. (Britischer – aber auch amerikanischer) Blues-Rock war zu dieser Zeit ein ganz großer Trend, die wirklich erfolgreichen Bands und Musiker dieser Art wurden zu Dinosauriern, die Punk höchstens schwer verletzt überlebten, im Radio-Mainstream der 80er jede Reputation verloren – oder in Obskurität verblichen sind. Ob auch diese Musik irgendwann aus dem Liebhaber-Nischen Dasein heraus kommt? Ich bezweifele das – aber einige der hier beschriebenen Alben sind hörenswerter, als der Hipster meint, deshalb...


Die Top Ten des britischen Blues


zum Abschluss das gerne gespielte Spiel einer Auswahl der besten zehn Alben dieses speziellen Bereiches der populären Musik. Natürlich streng subjektiv und morgen mit anderen Auserwählten. Ich will hier nur die zehn Alben zum Anhören empfehlen, die diese ganz bestimmte Sparte des britischen Blues-Rock mit den damals beliebten psychedelischen Spuren und langen Improvisationen bieten. Also lasse ich die ganze Rhythm'n' Blues Packung aussen vor: Bands wie die Rolling Stones, Pretty Things, Them, Manfred Mann etc. haben den Blues in Europa sogar früher noch publik gemacht, als diese zehn Bands hier unten – aber Gitarren-Helden und Blues-Shouter-Blues war ihre Sache eher nicht. British Blues wie ich ihn verstehe – wie er in den Kapiteln mit dem entsprechenden Titel beschrieben wird, eingedampft auf die zehn mir wichtigsten Alben:

John Mayall with Eric Clapton - Blues Breakers – (1966) – Das Vorbild vom Lehrmeister

The Jimi Hendrix Experience – Are You Experienced? (1967) – Blues form Outer Space (und eigentlich aus den USA)

Jeff Beck – Truth – (1968) – Heavy Rock 'n' Blues Urgestein – Vorbild für Led Zeppelin

Free - Tons Of Sobs – (1968) – Wie eine Rrrrock-Band im Blues startet

Chicken Shack 40 Blue Fingers, Freshly Packed and Ready to Serve - (1968)

Fleetwood Mac – Then Play On – (1969) – Blues erweitert in den Wahnwitz

Blind Faith – s/t – (1969) – Zwei Protagonisten des Brit-Blues führen den Blues in Psychedelik über

Rod Stewart – Gasoline Alley – (1970) – Folk und Rhythm'n'Blues in Perfektion

The Aynsley Dunbar Retaliation - To Mum, From Aynsley and the Boys (1970) – Brit-Blues-Rock puristisch

Savoy Brown – Raw Sienna – (1970) – Ein letztes große Aufbäumen des Brit-Blues vor Progressiv Rock











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