Sonntag, 10. März 2019

1974 – Willie Nelson bis J.J. Cale - Outlaws, Nashville, Country-Rock, ein Genre in Facetten

Das Thema Countrymusik ist eines, das sich (in Europa) eher an eine kleine Gemeinde von Liebhabern und Nerds richtet - Country scheint ähnlich hermetisch wie Jazz, Rockabilly oder Black Metal. Der „Durchschnitts-Hörer“ kann mit dem Kitsch dieser Cowboymusik oft Nichts anfangen. Dabei hatte Country bei genauer Betrachtung von früh an massiven Einfluss auf die populäre Musik. Kein Dylan – keine Singer/Songwriter ohne Hank Williams, keine Byrds, keine CSN&Y, kein 90er Americana. Was wären Elvis, Ray Charles und Southern Soul, was wären die Grateful Dead oder die Meat Puppets ohne Country? Dennoch sind bei uns etatmäßige Mittelstürmer des Country maximal dem Namen nach bekannt. Klar – Johnny Cash – den kennt jeder - allerdings erst, seit er im Spätherbst seiner Karriere durch Hipster-Produzent Rick Rubin einer jungen Hörerschaft angedient wurde. Dass es Leute wie Waylon Jennings, Merle Haggard, George Jones, Tompall Glaser, Willie Nelson etc... gab, die in den frühen bis mittleren Siebzigern herausragende Alben gemacht haben, dass die Stones ohne Gram Parsons nie ein Meisterwerk wie Exile on Mainstreet geschafft hätten, dass Townes Van Zandt einer DER Songwriter der Siebziger war – das wissen nur diejenigen, die sich interessieren und informieren. In Europa dient Country meist nur als Vorlage für peinliche Persiflagen wie Gunter Gabriel und Truck Stop. Dass diese ur-amerikanische Musik-Gattung Mitte der Siebziger wirklich spannend wird - was so richtig nur in den USA wahrgenommen wird - das zeigt diese Fortsetzung zum Artikel 1973 - Waylon Jennings bis Tanya Tucker. Im letzten Jahr hat sich mit Gram Parsons, dem Brückenbauer zwischen Country und (Psychedelic) Rock, einer der ganz Großen ins Jenseits verabschiedet. Sein letztes Album Grievous Angel zählt für mich zu den herausragenden des Jahres '74 - genau wie der Doppelschlag des Country Outlaws Waylon Jennings mit This Time und Ramblin' Man, die somit auch im "Hauptartikel 1974"  beschrieben werden. Auch Gene Clark's Klassiker No Other ist von Country beeinflusst, könnte auch hier stehen – was wieder einmal zeigt, dass die Grenzen zwischen den „Stilarten“ auch in dieser Zeit sehr unscharf sind. Immerhin: So wie im '73er Artikel Willie Nelson und Tompall Glaser auftauchen, so steht auch der „Jewish Cowboy“ Kinky Friedman wieder ganz vorne neben dem Outlaw David Allen Coe. Aber es gibt in diesem Jahr im konservativen Nashville auch die unverwüstliche Dolly Parton neben der immer noch blutjungen Tanya Tucker und dem Riesen George Jones, der ja bekanntlich Alles singen könnte. Und dann kommen schon die Musiker/Alben, die mancher Cowboy nicht als Country ansehen würden: Mickey Newbury's romantisches Songwriting, ein fast pures Country-Album von den ausserhalb von Nashville agierenden Hit-Lieferanten Glen Campbell und Jimmy Webb - und ich empfehle in diesem Kapitel das dritte Album von J.J. Cale – das mit gleichem Recht als Singer/Songwriter Album durchgehen würde – Country ist eben weit mehr, als wir hier in Europa meinen.

Willie Nelson


Phases And Stages

(Atlantic, 1974)

Wie im Country-Kapitel '73 erwähnt – Willie Nelson gehört zu den wichtigsten Vertretern des Outlaw-Country – für mich ist er sogar DER Outlaw an sich. Das hat mit seiner musikalischen Vita, mit seiner Haltung zum Country-Music-Business, mit seiner Art Musik zu machen und mit der Tatsache, dass er bis weit ins kommende Jahrhundert Musik macht, zu tun. Seine kreativen Climax hatte er wohl in den Jahren '73 bis '76 – aber wie das bei wirklich großen Musikern oft ist – er hat vorher (62-65) und auch später z.B. mit Spirit (1996) und Teatro (1998) immer wieder stilistisch und musikalisch einzigartigen Spuren hinterlassen und hervorragende Alben gemacht. Nach der losen Songsammlung Shotgun Willie gibt es mit Phases and Stages 1974 ein kluges, auf reiche und bittere Erfahrungen beruhendes Konzept-Album über die Liebe, die Ehe und das Zerbrechen von Beidem. Seite Eins dieser LP zeigt den Prozess aus der Sicht der Frau: Den öden Alltag mit einem meist abwesenden Mann, der auch noch untreu ist, die Befreiung aus dem Trott, wachsendes Selbstbewusstsein und am Schluss mit „(How Will I Know) I'm Falling In Love Again“ eine neue Liebe. Da hat der Mann auf der zweiten LP-Seite größere Probleme: Er besäuft sich, muss durch den den „Bloody Mary Morning“, hadert auf „I Still Can't Believe You're Gone“ und dem übellaunigen “It's Not Supposed to Be That Way“ mit dem Schicksal, und beim abschliessenden „Pick Up the Tempo“ weiss man nicht, ob er sich fängt, oder jetzt komplett entgleisen wird. Diese Songs sind düster und Nelson sprach aus Erfahrung – vermutlich auch bezüglich der dunkelsten Emotionen – und er machte ein Album, das gar an Sinatra's Best-Leistung Sings Only for the Lonely heran reicht. Man muss sich bei diesem Album, das keine „Hits“ hat eines klar machen: Phases and Stages - zwischen den „klischeehafteren“ Fan-Favoriten Shotgun Willie und Red Headed Stranger eingeklemmt - ist mit seiner reflektierten Haltung zur Ehe und dem Zusammenleben von Mann und Frau Zeugnis dafür, dass es bei den Outlaws auch thematisch mal gegen etablierte Nashville-Macho-Stories gehen konnte: Phases and Stages bietet keine Western-Romantik, hier werden übliche Rollenbilder eher hinterfragt. Aber dafür brauchte man auch unter den trinkfesten und drogen-erfahrenen Outlaws Mut. Einen Mut, den die Kollegen meist nicht aufbrachten. Es gibt kein anderes, thematisch so klares Album in diesem Genre. Das mag den geringeren Erfolg von Phases and Stages erklären, aber es gehört gerade deswegen zu Nelson's Besten.


Tompall Glaser


Take the Singer with the Song

(Polydor, 1974)

Tompall Glaser


Tompall Sings the Songs of Shel Silverstein

(MGM, 1974)

Weiter mit Tompall Glaser, einem Outlaw-Country Geheimfavoriten, dessen Debüt Charlie ein Klassiker sein sollte, und dessen folgende Alben problemlos an den „forgotten Classic“ anknüpfen. Glaser hatte inzwischen in Nashville das Hillbilly Central Studio gegründet – das Studio in dem die Rebellen gegen die Nashville-Oligarchen ein und aus gingen, in dem Waylon Jennings im Jahr zuvor Honky Tonk Heroes und demnächst sein Hit-Album Dreaming My Dreams aufnehmen würde, in dem subversive Künstler wie der „jewish Cowboy“ Kinky Friedman (siehe weiter unten...) oder der Songwriter Shel Silverstein entdeckt bzw. gefördert wurden. Glaser selber war nach dem Debütalbum anscheinend zu beschäftigt, neue Songs zu schreiben und nahm für seine beiden nächsten Alben nur Fremdkompositionen auf. War auf Charlie drei mal Kinky Friedman der Komponist, so gibt es auf Take the Singer... nun zwei Songs von Shel Silverstein und zwei von Waylon Jennings' Lieblings-Songlieferanten Billy Joe Shaver. Dazu kommen Tracks von Kris Kristofferson, Don Williams und ein paar weniger namhaften Anderen. Einer davon ist Lee Emerson, dessen „Texas Law Sez“ - Opener des Albums - mehr Erfolg verdient hätte. Die Credits für diese Single gehen an eine gewisse Judy Riley – aber eigentlich wurde der Song von Lee Emerson für seine Freundin geschrieben – deren neuer Lover ihn kurz darauf erschoss. Mit „Pass Me on By“ ist ein weiteres Werk von besagtem Emerson dabei – beides Beweise für die Klasse des früh Verstorbenen, von Glaser's rauer Stimme gefühlvoll eingesungen und mit dem oben erwähnten, bewährten Personal aus dem Hillbilly Central eingespielt. Das Abum wurde im Gefolge eines recht erfolgreichen Festivals nur in England veröffentlicht. Vielleicht wäre es in Glaser's Heimat nicht so obskur geblieben – den „Erfolg“ des Vorgängers jedenfalls hätte auch das im selben Jahr veröffentlichte Tompall Sings the Songs of Shel Silverstein verdient. Bei dem handelt es sich um eines der im Country durchaus häufigen Tribut-Alben, wobei mit dem Meister des absurden Humors nicht wie üblich einem der klassischen Country Heroen Respekt gezollt wird. Silverstein war bekannt als Komponist von Johnny Cash's „A Boy Named Sue“, als Autor für den Playboy, als Kinderbuch-Autor und er hing das halbe Jahr in Hugh Hefner's Villa ab – aber etliche Wochen verbrachte er eben auch im Hillbilly Central Studio. Dort überzeugte er Glaser schließlich davon, elf seiner Songs aufzunehmen. Dazu muss man wissen, dass Silverstein – als Songwriter schon länger bekannt - ein miserabler Sänger war, und in kluger Selbsterkenntnis handelte, als er seine Songs von Glaser einsingen ließ. Dessen weltmüdes, raues Timbre passt ganz ausgezeichnet zu Silversteins zynischen Lyrics. Dies wiederum bedeutet - Tompall Sings.. ist ein Album, bei dem die Texte gelesen bzw. bewusst angehört werden müssen. Nicht, dass Silverstein keine gelungenen Melodien findet, aber die Stories hier sind noch besser und wichtiger, als ihre Ausführung. Ich empfehle „Roll On“ - die Beschreibung einer alternden Femme Fatale - in seiner Mischung aus Trauer, Achtung und Spott. Oder den Opener „Put Another Log on the Fire“, in dem das Macho-Gehabe der Outlaws ad absurdum geführt wird. Tompall Glaser's Musik war wohl ein bisschen zu wenig Radio-kompatibel, zu reflektiv – und gerade dieses Album ein bisschen zu hinterfotzig, um den großen Erfolg zu haben. Ich persönlich aber ziehe Glaser's Alben – und seine Stimme – denen von Waylon Jennings' ein bisschen vor. Wohlgemerkt: Ein bisschen...


Kinky Friedman


s/t

(ABC, 1974)

Logisch, jetzt mit dem Songwriter weiter zu machen, der Tompall Glaser auf Charlie mit drei Songs versorgt hat, den dieser weiterhin förderte, der in den erlauchten Kreisen der hier behandelten „Outlaws“ als einer der Ihren anerkannt war und dessen Vorjahres-Debüt Sold American ich im '73er Artikel auch beschrieben habe Richard S. „Kinky“ Friedman ist - wie Silverstein - jüdischer Abstammung, ein Umstand, den er immer wieder zum Thema macht, und allein das macht ihn im latent rassistischen und sogar anti-semitischen Country Umfeld zur Reizfigur (… ähnlich natürlich wie Shel Silverstein). Diesen Umstand nutzt Friedman immer wieder weidlich aus. Er nutzt Country als Vehikel, um ein Schlaglicht auf die Dummheit der Rednecks zu werfen – und das mit krassen, oft durchaus geschmacklosen Texten. Das '73er Album Sold American hatte mit „Ride 'em Jewboy“ auf satirische Weise der im Holocaust ermordeten Juden gedacht – in einer Art, die sich nur ein Jude erlauben kann. Sein zweites Album ist im Vergleich ein bisschen weniger explizit, mehr auf Songs als auf Inhalte konzentriert – wobei er sich eines Songs wie „They Ain’t Makin’ Jews Like Jesus Anymore“ - in dem er einem texanischen Rassisten eben NICHT die andere Wange hinhält - nicht enthalten kann. Aber Songs wie der Opener „Rapid City, South Dakota“, „Wild Man from Borneo“ oder der Jerry Jeff Walker Singalong „All Hell Breaks Loose“ und das seltsamerweise ganz unironische „When the Lord Closes a Door (He Opens a Little Window)“ sind neben den Texten auch gelungener, wenn auch etwas schräg liegender Country, wieder mal von einer Elite der Nashville Musik-Szene eingespielt. Hier hat nicht mehr Tompall Glaser produziert, aber dieser, Waylon und Willie singen auf zwei von Willie Nelson produzierten Tracks die Backing Vocals. Für mich ist Kinky Friedman das bessere, weil auch ohne anti-feministische Ausfälle auskommende Album. Lyrisch anders als in dieser Szene üblich, musikalisch nicht ganz so spannend wie die Alben von Tompall, Waylon oder Willie – aber musikalisch ein bisschen unter deren Niveau.



David Allan Coe


The Mysterious Rhinestone Cowboy

(Columbia, 1974)

Auch David Allan Coe ist in der Country-Musik Mitte der Siebziger eine bekannte Größe. Er ist schon seit Ende der Sechziger im Country Umfeld unterwegs, als Songwriter in diesen Kreisen etabliert, er hat für George Jones, Johnny Paycheck und Tanya Tucker Songs geschrieben - und er entspricht mit einer Vergangenheit in diversen Gefängnissen und mit erratischen Live-Auftritten wahrscheinlich noch mehr dem Bild des „Outlaw“, als die im Vergleich fast gesitteten Kollegen Waylon und Willie... Sein sehr gelungenes Debüt Penitentiary Blues war 1970 erschienen – und einer der Vorläufer des Outlaw-Country, das '74er Album The Mysterious Rhinestone Cowboy erschien auf einem neuen Label im Gefolge der anderen Outlaws zur rechten Zeit. Coe erfand sich hier als titelgebender „Mysterious Rhinestone Cowboy“, als harter Biker und noch härterer Ex-Knacki, als Cowboy-Punk voller dreckigem Humor, Gift und Galle, der gegen jeden austeilt, der ihn zu kritisieren wagt, der aber such sentimentale und kluge Songs und Texte zu schreiben weiss. Dass er dazu mit langer Matte, im Weihnachtsbaum-Outfit und mit Motorrad auf die Bühne kam, macht ihn zu einer Hillbilly-Version von Marc Bolan, zu einem Musiker, der Hippies, Cowboys und Biker zugleich ansprach. Coe mag kein großer Gesangs-Stilist sein, sein Songwriting mag deutlich vom Schicksals/Gefängnis-Genossen Merle Haggard beeinflusst sein, aber das schadet ...Rhinestone Cowboy nicht. Der Opener „Sad Country Song“ belehnt mit weinender Steel Guitar und Fiddle den Bakersfield-Sound genauso wie die Musik der Outlaw-Kollegen, er covert stilsicher Mickey Newbury's „The 33rd of August“, lässt sich von Produzent Ron Bledsoe sogar dessen barocken Sound anlegen, er beweist Geschmack, wenn er sich Guy Clark's „Desperado Waitin' for a Train“ zu eigen macht. Und mit „I Still Sing the Old Songs“ und „Atlanta Song“ beweist er, dass er bei diesen Größen mithalten kann. ...Rhinestone Cowboy gehört für mich zu den großen Alben dieser Phase der Country-Musik und David Allan Coe ist eine der schillerndsten Figuren der Szene. Man muss sich freilich an seine Stimme gewöhnen und Country-Musik mit all ihren Klischees, dem Kitsch und dem Pathos mögen, Coe's Alben sind extrem amerikanisch, aber sie sind tolle Beispiele für diese spezielle Art Country.


Mickey Newbury


I Came to Hear the Music

(Elektra, 1974)

Auch im hierzu passenden '73er Country-Artikel ist Mickey Newbury mit seinem wunderschönen Album Heaven Help the Child gewürdigt – als Musiker, der sich als Singer/Songwriter kräftig in der Country-Musik bedient, der sich aber auch der Stilmittel des Baroque Pop bedient – und der seine Songs gerne mit heute kitschig anmutenden atmosphärischen Sounds überzuckert. Das kann man transzendental nennen, man kann sich auch drüber lustig machen. Aber Newbury's „American Trilogy“ (die drei Alben vor diesem hier) ist ohne jede Frage ein Meisterwerk der Songwriter-Kunst. I Came to Hear the Music ist der Nachzügler nach der Trilogie – ein Album also, das sich an großen Vorbildern messen lassen musste. Und es ist beileibe nicht alles misslungen. Die Arrangements sind ein bisschen „normaler“, das Songmaterial etwas weniger konzise, Newbury sieht auf dem Covershoot wie ein Pilgervater aus, er hat entsprechend offenbar einen reilgiösen Schub bekommen. Der epische Titeltrack kommt melodisch an die Trilogy heran, ist mir nur etwas zu moralin-sauer und esoterisch. „We Only Live Once“ wiederum ist ein ergreifend kitschiger Country-Waltz, bei „Yesterday's Gone“ fällt wieder Regen im Hintergrund – und der Song ist ein weiteres „moody masterpiece“, das auf den vorherigen Alben mit Recht Platz gehabt hätte. Von gleicher Klasse ist „Organised Noise“, dagegen wirkt der Rocker „Dizzy Lizzy“ etwas irritierend. Aber vielleicht versprach Newbury sich davon etwas mehr kommerziellen Erfolg (...vergeblich...), „Love Look (At Us Now)“ hat einen opernhaften Roy Orbison-Touch während „Baby's Not Home“ wiederum klassischer Country ist. Newbury saß immer noch zwischen den Stühlen – aber das hat (für mich) eine positive Qualität. Und dass Newbury's Stimme ganz hervorragend ist, soll hier auch einmal bemerkt werden. I Came to Hear the Music ist ganz einfach fast genauso gut wie die drei Vorgänger – und die sind Klassiker.


Dolly Parton


Jolene

(RCA, 1974)

Wer Country sagt, muss auch Dolly Parton sagen: Die platinblonde Singdrossel gehört seit Beginn der Sechziger bis heute (2019) zum Establishment – und durch ihre klare Bekenntnis zu Nashville und seinen Oligarchen zu der Seite des Country-Business, das mit Subversion und Revolution so gar Nichts am Hut zu haben scheint. Und dennoch gibt es etliche Alben von Dolly (und von Dolly und ihrem Sanges-Partner Porter Wagoner) die man unmöglich ignorieren kann. Selbst ihre kreuz-konservativen Alben aus den Sechzigern reüssieren mit feinen Songs – teils selbst verfasst, teils von Koryphäen geschrieben und geschmackssicher ausgewählt – und ihr '74er Album Jolene (natürlich mit dem gleichnamigen Hit) gehört zu ihren besten und somit zu den besten Nashville-Country Alben allgemein. Dieses Album hier ist musikalisch über jeden Zweifel erhaben, textlich aber ziemlich problematisch. Die von Parton selbst verfasste Selbstverleugnungs-Hymne „Jolene“, in der die kleine Hausfrau den Vamp anfleht, ihr doch den Mann zu lassen, ist da noch harmlos – zumal so herzergreifend gesungen und so geschmackvoll insziniert, dass ich das Lied selbst nach miserablen Cover-Versionen als Original immer noch mit Freuden hören kann. Aber dass sie von dem Mann, der sie nicht mehr liebt, nicht lassen kann, dass ER in einem weiteren Song das „Highlight“ ihres Lebens ist, der sie anscheinend das Atmen gelehrt hat – das ist so devot, dass es nur konservativsten Cowboys gefallen kann. Aber (leider) - selbst diese Songs sind so hervorragend performt, man will einfach darüber hinweg hören. Zurückhaltende Percussion, akustische Gitarren, geschmackvolle Dobro und Steel, feine Melodieführung und über allem Parton's glockenklare Stimme. Dann ist da auch noch das durch Whitney Houston so berühmt gewordene Bedauern von „I Will Always Love You“ - geschrieben von Parton, weil sie sich (künstlerisch) von Porter Wagoner verabschiedete. Auch dieser Track ist gelungen – und textlich so devot, dass mir unwohl wird. Dass der Rest des Albums musikalisch auf hohem Niveau bleibt, ist auch Studio-Cracks wie Chip Young (g), Pete Drake (steel-g) oder David Briggs (p) zu verdanken. Aber eben auch der Stimme von Dolly und den Songs, die sie ausgesucht oder geschrieben hat. Ich halte mir immer vor Augen, dass sie sich in der Männerdomäne Nashville mit viel Selbstbewusstsein und enormer Präsenz durchgesetzt hat – und das verhuschte Weibchen nur als nützliches Image sah. Jolene ist ein Klassiker aus einer Musik-Szene in einer Phase des Umbruchs. Dies wissend kann ich das Album gut hören.


Tanya Tucker


Would You Lay With Me (In a Field of Stone)

(Columbia, 1974)

Frauen in Nashville's Haifischbecken – Teil II: Über Tanya Tucker und ihr zweites Album What's Your Mama's Name habe ich im '73er Country-Kapitel geschrieben – auch über die befremdliche Tendenz - insbesondere in der Country-Musik des konservativen Nashville – Songs mit sexuell aufgeladenen Inhalten von sehr jungen Teenagern singen zu lassen. So ist Tanya Tucker 1974 gerade mal 16 Jahre alt. Die Kind-Frau auf dem Cover dürfte also alte, geile Männer ziemlich glücklich gemacht haben und den Oligarchen ausreichend formbar erschienen sein. Aber in den genannten Kreisen konservativer Country-Freunde (für die ein Typ wie Willie Nelson ein linker Hippie ist), ist Moral stark verzerrt, und eine Frau – oder ein junges Mädchen – das dem MANN zu gefallen sucht, macht Alles richtig. Somit wird man auf diesem Album auch keine feministischen Inhalte finden (was im Country der 60er/70er übrigens durchaus auch vorkam – siehe Loretta Lynn oder Tammy Wynette), dafür aber bietet Would You Lay With Me (In a Field of Stone) gelungenen Country-Pop, gesungen von einer ungemein kraftvollen Stimme, produziert zum letzten Mal von George Jones' Mentor Bill Sherrill. Auch wenn Tucker bis in die Neunziger Hits haben würde – besser klangen ihre Alben nie wieder. Der Titelsong von David Allan Coe war natürlich mit seiner schamlosen sexuellen Bildhaftigkeit gewollt kontrovers, aber es gibt auch schöne Story-Songs wie „Bed of Roses“, „No Man's Land“ oder "Old Dan Tucker's Daughter“. Die kann man ohne Unwohlsein anhören, sie erinnern an die junge Dolly Parton und deren Art, Country als persönliche Erzähl-Plattform zu benutzen. Und wenn Tanya Tucker eine Sentimentalität wie „I Believe the South Is Gonna Rise Again“ singt, kann man sogar in den verqueren Patriotismus des konservativen Amerika hineinschauen, ohne direkt an den Ku Klux Clan denken zu müssen. Also Achtung – Das hier ist die Countrymusik, die wir in Deutschland nicht unbedingt verstehen.


George Jones


The Grand Tour

(Epic, 1974)

Mitte der Siebziger ist die Anzahl von Veröffentlichungen des besten Country-Sängers aller Zeiten inzwischen Legion. Er hat in den Sechzigern regelmäßig die Spitze der Country-Charts besetzt, aber seit Beginn der Siebziger lässt der Erfolg nach, während seine Ehefrau Tammy Wynette einen Hit nach dem Anderen hat. Er war '72 zu ihrem Label – Epic - gewechselt, um bessere Produktionsbedingungen und das goldene Händchen von Bill Sherrill als Unterstützung zu bekommen. Die Ergebnisse seither waren musikalisch hervorragend – A Picture of Me (Losing You), We Can Make It (beide von '72) und das letztjährige Nothing Ever Hurt Me (Half as Bad as Losing You) – sind allesamt große Kunst, aber sie enthielten keine Hits. Mit The Grand Tour und der titelgebenden Hitsingle kam die ersehnte No.1. Bill Sherrill hatte endlich die nötige Balance gefunden, seine chromglänzende Produktion und Jones' Stimme aufeinander abgestimmt. Die Beiden waren aufeinander zu gegangen, Jones hatte erklärt...: „Billy, I'm country, I'm traditional, I know you're wanting to cross over with me like you have with Tammy, Charlie Rich and those people, but I'm hardcore and I can't help it. That's what I feel, and I can't do a good job for the label, you or anybody else if I don't feel it myself.“ und Sherrill gab Jones soviel Tradition, wie der brauchte. Das Ergebnis - „The Grand Tour“ - gilt als eine der besten Vocal-Performances in der Countrymusik, und auf dem Album gibt es keine Ausfälle. Die ebenfalls erfolgreiche Johnny Paycheck Nummer „Once You've Had the Best“ kam in den Charts auf No 3, das mit Noch-Ehefrau Tammy Wynette geschriebene „Our Private Life“ klagt die Klatschpresse an, die pausenlos die Trennung des Traumpaares der Countrymusik herbei beschwor (zu Recht, wie sich ein Jahr später zeigen würde) und Jones mag bei den Aufnahmen noch so betrunken und unter Drogen gewesen sein, seiner Klasse schadete das nie. The Grand Tour ist ein Meisterwerk der etwas cleaneren Art von Nashvill-Sound – die eben durch Jones' „traditional approach“, seine großartige Stimme und seinen glaubhaften Vortrag - und eben auch durch das Hinzufügen klassischer Country Elemente wie Steel und Dobro zeitlose Qualität bekommen hat. Es ist eines der besten Country Alben ausserhalb der Outlaw-Szene. Andrew Mueller vom Uncut-Magazin verglich es ob seiner emotionalen Direktheit nicht zu Unrecht mit Sinatra's In the Wee Small Hours. Also - Sei auf 'was gefasst...


Glen Campbell


Reunion: The Songs of Jimmy Webb

(Capitol, 1974)

zum Abschluss dieses Exkurses verlasse ich Nashville und gehe erst einmal an die Westküste – nach Hollywood – wo '74 ein Album entsteht, das die Grenzen zwischen Countrymusik und dem, was in dieser Zeit etliche US-Singer/ Songwriter machen, lustvoll in beide Richtungen überschreitet. Glen Campbell hatte seit der Mitte der Sechziger etliche Hits gehabt – gerne aus der Feder von Jimmy Webb – und war so etwas wie ein Star. Mit beachtlichen Fähigkeiten als Gitarrist (er war Mitglied der „Wrecking Crew“ – der Gruppe von Studiomusikern, die von Sinatra bis zu den Beach Boys überall mitgespielt hat) und mit einer angenehmen Stimme hatte er das Feld des Country Pop beackert und mit den Interpretationen von Jimmy Webb-Songs wie „Whichita Linemen“; By the Time I Get to Phoenix“ (beide auf der CD-Version von Reunion... enthalten) oder „Galveston“ Geschmack bewiesen, Erfolg gehabt UND durchaus Anspruch erfüllt. So war ein komplettes Album mit dem Verfasser der genannten Hits eine Idee, die neben Erfolg auch noch Qualität versprach. Nicht dass Webb Campbell's Hits in den Vorjahren produziert oder arrangiert hätte, aber seine Songs und Campbell's Stimme passen einfach wunderbar zusammen – wie man an diesem Album sieht. Nicht alle Songs hier sind von Webb geschrieben – mit Susan Webb's „About the Ocean“ und Lowell George's „Roll Um Easy“ (hier als „Roll Me Easy“) sind zwei klug gewählte Fremdkompositionen dabei, mit Webb's „The Moon's a Harsh Mistress“ ist einer seiner besten Songs dabei, andere Tracks auf Reunion: The Songs of Jimmy Webb mögen weniger bekannt sein, aber sie zeigen zwei Meister auf der Höhe ihrer jeweiligen Kunst. Die Musik ist in der Tat so stark von Country beeinflusst, dass sie hier hin passt – obwohl die Beteiligten (u.a. mit Hal Blaine (dr) oder Dean Parks (g) Cracks der o.g. Wrecking Crew) mit Nashville kaum zu tun haben. Reunion... wirkt mit seinem Flow auf mich wie eine Country-Version von Pet Sounds von den Beach Boys. Das Album erreichte in den Country-Charts nur Platz 18, für mich ist es allerdings Campbells mit Abstand bestes – weil durchgehend gelungenes – Album. Und Jimmy Webb – dessen famoses Land's End ebenfalls '74 erschien – steht mit seinen Solo-Alben weiter außerhalb der Grenzen des Country-Genre's und wird von mir anderswo mit der verdienten Aufmerksamkeit bedacht.


J.J. Cale


Okie

(Shelter, 1974)

Dem Prinzip folgend, dass jemand, der Willie Nelson mag, auch J.J. Cale mögen könnte, will ich dessen drittes Album auch in den hier herrschenden Country - Zusammenhang stellen. Cale's Musik ist ein Hybrid aus Blues, Country, Folk, Jazz, verlangsamtem Rockabilly und Hängmatten-Coolness, ich könnte ihn ohne weiteres im Zusammenhang mit den zeitgleich agierenden Singer/Songwritern bringen – aber auch dort wäre er ein Solitär. '74 ist John Weldon Cale (das Kürzel „J.J.“ gab er sich tatsächlich, um nicht mit John Cale von den Velvets verwechselt zu werden...) über dreißig Jahre alt, er stammt aus Oklahoma City – daher der Name dieses Albums – und er hat vor zwei Jahren mit Naturally auf Anhieb eine komplett eigene Duftmarke gesetzt. Dass er nicht in den Outlaw-Szenen in Nashville oder Austin angekommen ist, liegt sowohl an seiner stilistischen Einzigartigkeit als auch an seiner Faulheit: Zu einer Szene zu gehören hätte vermutlich zu viel Stress bedeutet und seine Heimat verließ der Eigenbrötler nur zu Plattenaufnahmen. So ist Okie (für mich) - sowohl stilistisch als auch regional - Country Musik exakt zwischen Nashville und Austin. Und tatsächlich wurde auch dieses Album zum größten Teil in Nashville aufgenommen – mit einem wechselnden Cast aus Session Cracks allererster Kajüte. Über Allem schwebt Cale's minimalistisches Gitarrenspiel (das von Koryphäen wie Clapton, Knopfler und Neil Young hoch geschätzt wird) und sein entspannt-genuschelter „Gesang“. Auf Okie legt er mitunter im Tempo zu (was dem Album den gewissen Country-Touch verleiht) – die Zehen tappen etwas schneller - aber die sommerliche Wärme von Tracks wie „I'll Be There“, „The Old Man And Me“ und „Cajun Moon“ ist unnachahmlich, eindeutig als „J.J. Cale“ erkennbar und gerade in ihrer Reduktion auf's Wesentliche perfekt. Und auf „Starbound“ experimentiert Cale sogar ein ganz kleines bisschen mit dem Vocoder, freilich ohne je an Stilbewusstsein zu verlieren. Letztlich mag man bei Okie den meditativen Flow des Klassikers Naturally vermissen, aber es zeigt den einzigartigen Stil Cale's in einer weiteren, warm schimmernden Facette.



















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