Samstag, 11. März 2017

1988 – Carcass und Napalm Death - Grindcore auf dem Höhepunkt

In diesem Jahr bricht in meinen Augen die Welle der schmutzigen Variante des Death-Metal: Dieses Jahr wird Grindcore zu Ende dekliniert. Was in diesem Falle heisst – selbst die Musiker der Jazz-Szene, die bald den Grindcore als Spielfeld entdecken, haben mit den Carcass- und Napalm Death-Alben schon alle blutigen Einzelteile ihrer Leidenschaft auf einem Tablett präsentiert bekommen – was aber auch heisst, dass es nach '88 durchaus noch einige tolle Grindcore-Bands und -Alben geben wird. Hier werde ich nun die 7 besten Alben aufzählen, die es meiner Meinung nach gibt. Dabei weise ich auf folgendes hin: Grindcore ist beeinflusst von Punk, Hardcore, Death Metal und Free Jazz - also tauchen hier Alben auf, die jeweils die eine oder andere Seite betonen. Ich würde jemandem, der den Grindcore kennenlernen will, folgende Alben empfehlen:

Napalm Death – Scum (1987)

Napalm Death – From Enslavement to Obliteration (1988)

Terrorrizer - World Downfall (1989)

Carcass – Symphonies of Sickness (1989)

Naked City – Torture Garden (1990)

Discordance Axis – The Inalienable Dreamless (2000)

Nails – You Will Never Be One of Us (2016)

und es fehlen womöglich: Naked City – Grand Guignol (1992) – ein zweites Beispiel für Jazz-Grindcore, Assück – Anticapital (1992) – politisch so eindeutig Links wie Napalm Death, aber mehr im Punk verwurzelt, Cattle Decapitation – The Antrophocene Extinction (2015) – wenn ich mal „modernen“, von Death Metal stark beeinflussten Grindcore hören will...aber ich könnte auch Alben von Repulsion, den Mitbegründern des Genre's benennen, oder von späteren Meistern wie Pig Destroyer, Anaal Nathrak oder Rotten Sound. Da kommt man drauf, wenn man tiefer in die Materie einsteigt.

Carcass

Reek Of Putrefaction

(Earache, 1988)

Es gibt ein paar Alben, die ein komplettes Genre definieren, und Reek of Purtrefaction ist ein Solches. Carcass veränderten mit ihrem Debütalbum die Vorstellung von extremer Musik ebenso wie die Darstellung einer Band via Cover und Lyrics. In beider Hinsicht boten sie ein Komplettpaket, das bis heute zwar etliche Male kopiert, an Geschmacklosigkeit jedoch nicht übertroffen wurde. Tatsächlich klangen Carcass so wie das Cover (das natürlich sofort indiziert wurde) aussieht. Die ausgesprochen versierten Musiker schufen einen dumpfen Grindcoresound mit mehrfach übereinander geschichtetem Gegurgel und (selbstverständlich im Textblatt mitgelieferten) Texten aus den blutigsten, eitrigsten Detailbeschreibungen der Pathologie unter dumpf rasendem Gepolter von Drums, Bass und Gitarre. Dass die „Soli“ der Musiker in den Texten vermerkt wurden, gab dem Witz die letzte Pointe. Sie nutzten die Erkenntnisse, die Napalm Death errungen hatten, um Grindcore in eine blutverschmierte Ecke zu schieben. All das mag wahlweise kindisch oder krank sein, auf jeden Fall wurde es zu einem oft wiederholten Konzept. Carcass wurden mit der Zeit „ernsthafter“ - das heißt der Sound wurde klarer und die Texte boshafter – und der Nachfolger Symphonies of Sickness vom folgenden Jahr ist um ein paar Milliliter Eiter ausgefeilter – dennoch: Reek of Purtrefaction bezeichne ich als Klassiker seines Genres. Wer das nicht anerkennt, findet vermutlich eine ganze Musikgattung geschmacklos – Eine Gattung, die so geschmacklos oder geschmackvoll ist wie Zombie-Filme. Carcass machten übrigens - ähnlich wie Napalm Death - mit ihrem zweiten Album im kommenden Jahr das bessere Splatter-Grindcore Album - deshalb steht dieses hier nicht ganz oben auf der Liste der Prioritäten... 

Napalm Death

From Enslavement To Obliteration

(Earache, 1988)

Napalm Death's oben genanntes Debütalbum Scum mag ja das Epitom des Grindcore sein, aber es ist naturgemäß ein zerrissenes Album - weil mit zwei Besetzungen und zwei Produzenten eingespielt. Es ist ihr zweites Album, das sie dann in ihrer ganzen Herrlichkeit zeigt. Mit den diversen Bestzungswechseln, die inzwischen nur noch Drummer Mick Harris als Ur-Mitglied hatte übrig bleiben lassen, war die Hardcore-Punk Seite ihres Sounds um gewisse Death Metal Einflüsse erweitert und nun spielten sie den Grindcore, der sich dann nicht nur für sie (in einem gewissen Maß) durchsetzen würde. Das bdeutet: Scum ist revolutionär, From Enslavement to Obliteration ist in allen Belangen beeindruckender und interessanter. Die „crusty“ Punk- und Hardcore–Seite wird auf diesem Album ergänzt um Death Metal-Brutalität und -Heavyness, cleaneren Sound und einen ganz eigenen Wahnwitz. Ein Grund ist, dass nun bessere Produktionsbedingungen herrschten, da das Label Earache nun als Label für Extrem-Metal Anerkennung und Verkaufszahlen bekam (Scum war im Vorjahr auf Platz 8 der Indie Charts gelandet...). Auf diesem Album übertönen Mick Harris' Drums nicht den Fuzz-Bass von Shane Embury und die finsteren Growls und hysterischen Kreischorgien von Lee Dorrian, die Musiker hatten einzeln und als Band an Erfahrung gewonnen und das Songmaterial war auch ausgereifter, nicht mehr nur extrem – und die Band hatte das Material vorher geprobt...! 27 Songs in 34 Minuten, die Songlängen variierend von 20 Sekunden bis zu üppigen 3:13 Minuten beim kriechend langsamen Opener „Evolved As One“, ein völlig abgedrehtes GITARRENSOLO beim 40-sekündigen „Uncertainty Blurs the Vision“, das folgende „Cock Rock Alienation“ regelrecht strukturiert – aber dann auch immer wieder Tracks, die dahinrasen wie Lawinen, Bass und Gitarre sind kaum auseinander zu halten, Fuzz-getränkt wie sie sind, Lee Dorrians Vocals mögen unverständlich sein, er legte aber großen Wert auf seine anti-kapitalistischen Lyrics – und es war klar, was er da „kreischte“. From Enslavement... ist nicht einmal wirklich extremer Metal, es ist eigentlich nur extrem. Zum Entsetzen aller Fans gepflegter Rockmusik lobte Radio DJ Guru John Peel die Band zum wiederholten Male, und das Album schoss auf Platz 1 der UK Indie-Charts. Nach diesem Album sollten Lee Dorrian und Gitarrist Bill Steer die Band verlassen und mit ihnen ging anscheinend der Hardcore-Geist und Napalm Death wurden zu einer weit Death Metal-lastigeren Band, die auch ihre Verdienste hatte, aber so einzigartig wie hier würden sie nie wieder klingen.








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