Sonntag, 5. August 2018

1958 - Weltwirtschaftskrise und der Run zum Mond – Buddy Holly bis Everly Brothers

Es kommt zur ersten Weltwirtschaftskrise nach dem 2. Weltkrieg – nur Deutschland bemerkt wenig davon, da hier das Wirtschaftswunder in vollem Gange ist. In Frankreich wird Charles De Gaulle Präsident, er hat weitgehende Vollmachten um gegen die Revolution in Algerien vorzugehen. Zwischen den Westmächten und dem Ostblock gibt es Streit um den Status von Berlin, aber es gibt auch Entspannungsbemühungen. Währenddessen beginnen die kommunistischen Rebellen in Kuba ihre letztlich erfolgreiche Offensive gegen die Diktatur. Ihr Anführer Fidel Castro wird bald einen kommunistischen Staat vor den Toren der USA etablieren – zu deren andauerndem Ärger. Währenddessen beginnt der Run auf den Mond: Die Russen starten ihre „Sputnik“ Sonden, die Amerikaner wählen ihre Kandidaten für den Mondflug aus. Und der Nordpol wird von einem U-Boot unterquert und der Südpol von gleich zwei Expeditionen erreicht (allerdings nicht zum ersten Mal). Und das erste Autotelefon geht in Betrieb – es kostet halb soviel wie das dazugehörige Auto. 1958 ist das Geburtsjahr von Kate Bush, Ice T, Prince – und Michael Jackson. In diesem Jahr gibt es in jedem Bereich der Musik der 50er etwas zu entdecken. Rock'n'Roll verliert ein bisschen an Fahrt (...weil Elvis zur Army muß ?) aber alle wichtigen Künstler machen nun sehr gute LP's – auch wenn es sich dabei meist um Compilations handelt – man bedenke: Es ist die Zeit der Singles !! Es gibt wunderbaren Vocal Jazz von Billy Holiday bis Frank Sinatra, Miles Davis pusht die Entwicklungen im Jazz, spielt Cool Jazz und Be Bop, ebenso wie sein ehemaliger Begleiter John Coltrane, dessen letztjährig aufgenommenes erstes Solo-Album nun veröffentlicht wird.. Die Everly Brothers und Rick Nelson machen Teenager-Musik mit Niveau, Johnny Cash verbindet Rock'n'Roll und Country und James Brown (behauptet zumindest großmäulig er...) erfindet den Soul. Die Musik der 50er in aller Schönheit und in voller Blüte – was nicht ausschließt, dass es kommerziell erfolgreiche Musik gibt, die ich aufgrund persönlichen Widerwillens hier nicht weiter als bis zum unteren Ende dieser Einführung erwähnen will. So sind mir Perry Como, Paul Anka, Domenico Modugno (mit dem unerbittlichen „Volare“) oder etliche Weihnachtsalben Rock'n'Roll Style nicht der Erwähnung wert.

Buddy Holly


s/t

(Coral, 1958)

Kein Wunder, dass Weezer ihren ersten Hit nach dem Erfinder des Power Pop benannten. Der junge, extrem kurzsichtige Brillenträger (die er für das Cover aus ästhetischen Gründen weglassen musste...) aus Lubbock/Texas mag nicht viele Songs hinterlassen haben, als er im folgenden Jahr mit gerade mal 22 Jahren bei einem Flugzeugabsturz umkam, aber die, die er hinterlassen hat, sind Pop in Perfektion. Sie haben ebensoviel mit dem Rock'n'Roll Elvis' und Chuck Berry's gemein, wie mit dem Country von Johnny Cash oder dem Rockabilly von Gene Vincent. Sie sind irgendwo in der Schnittmenge der Zeitgenossen - und sie sind pure Pop. Das erste Album – noch unter dem Moniker The Chirpin' Crickest veröffentlicht, weil die Plattenfirma Band und Solo-Künstler trennen wollten - mag etwas stärker sein, weil es flotter ist,und weil die Dichte an Hits größer ist, aber der Zweitling – drei Monate später dann unter dem Künstlernamen des als Charles Hardin Holley geborenen Burschen veröffentlicht - hat genug formidable Songs für die Karriere mehrerer Pop-Bands der heutigen Zeit. Buddy Holly wurde natürlich mit dem gleichen Personal aufgenommen wie das Debüt, es ist auch wieder eine Compilation der letzten Singles, und da sind immer noch haufenweise Songs, die zu Standards geworden sind. Da ist natürlich die Top Ten Single „Peggy Sue“ neben Klassikern wie „I'm Gonna Love You Too,“, „Listen to Me“, „Everyday“, „Words of Love,“ und dem rasanten „Rave On“. Der Rest mag nicht ganz so stark sein, aber Holly's Versionen von „Ready Teddy“ oder „You're So Square (Baby I Don't Care)“ sind aller Ehren Wert und unterscheiden sich allein schon wegen seines Gesangsstils genug von den Versionen seiner Zeitgenossen. Es ist, wie gesagt, das letzte Album, das noch zu Holly's Lebzeiten veröffentlicht wurde, alles was danach kam, ist posthum zusammengestellt und es zeigt, welcher Verlust der Tod Buddy Holly's letztlich bleiben sollte. Nicht umsonst ging der Tag, an dem er (mit Richie Valens und The Big Bopper) bei einem Flugzeugabsturz umkam als „The day the music died“ in die Annalen ein.

Buddy Holly - I'm Gonna Love You Too 


Elvis Presley


Elvis Golden Records

(RCA, Rel. 1958)

Wie üblich (und schon etliche Male erwähnt) war es in den 50ern unüblich autarke LP's zu veröffentlichen. Das gewählte Format war die 7'' oder die 10'', die dann gegebenenfalls als „Album“ zur Doppel 10'' gemacht wurde. So hatte auch RCA etliche von Elvis' Singles nicht auf Alben versammelt – die kurze 7''/ 45er war das Format, das von jungen Leuten gekauft wurden – alleine schon weil sie natürlich auch billiger waren als eine LP. So waren es diese Singles, die seine Popularität begründeten, denn sie bekamen in den Radio Stationen auch das erforderliche Airplay. (Und diese einzelnen Songs sind es ganz nebenbei bis heute, die man mit Elvis verbindet). Die '58 zusammengestellte Original Vinly LP Elvis Golden Records enthält vierzehn Tracks, von denen neun die Single Charts getoppt hatten. Man sagt, dies sei das erste Greatest Hits Album (was natürlich nicht stimmt...) aber immerhin ist es das erste, das nach Resteverwertung aussieht. Das Cover jedenfalls ist so geschmacklos, dass es schon wieder gut ist, aber man muß immer wieder darauf hinweisen, dass die meisten LP's von Presleys Zeitgenossen ebenfalls Compilations waren – sie wurden nur nicht ausdrücklich als Greatest Hits Package tituliert. Was den Inhalt angeht, ist Elvis Golden Records allerdings phänomenal. Man kann waherscheinlich sagen, die Geschichte des Rock'n'Roll - oder sogar die Geschichte der Musik Amerika's - wäre ohne Singles wie „Hound Dog“, „All Shook Up“, „Heartbreak Hotel“, „Jailhouse Rock“, „Too Much“, „Don’t Be Cruel“, „(Let Me Be Your) Teddy Bear“, „Love Me Tender“ und „I Want You, I Need You, I Love You“ möglicherweise garnicht geschrieben worden... Zumindest wäre sie beträchtlich ärmer. Elvis Golden Records mag kein „reguläres“ Album sein – Elvis war inzwischen bei der Army und hatte bis 1960 keine Gelegenheit Singles aufzunehmen - aber es ist wegen der Dichte an essentiellen Tracks vielleicht sogar die beste Wahl um seine Musik kennenzulernen.

Elvis Presley - All Shook up 


Wanda Jackson


s/t

(Capitol, 1958)

Es gibt in diesem Jahr, in dem dem Rock'n'Roll allmählich die Puste auszugehen scheint, mit Wanda Jackson's Debütalbum eine seltene Erscheinung – ein Album mir echtem Rockabilly - von einer Frau. Rockabilly war eine Domäne der Männer, nicht nur in den paar Jahren seit '55. Es gab höchstens noch Brenda Lee und Connie Francis, aber deren Musik war ungefährlich, weibliche, sexuelle Ein- oder Zweideutigkeiten wie bei Elvis – und damit dessen Wucht – fehlten im Rockabilly-Kosmos. Aber da war Wanda Jackson, die mit Aussehen, Stimme, Persönlichkeit und Songs bewies, dass auch Mädchen gefährlich sein konnten. Sie hatte zunächst mit modernisiertem Country, High Octane-Stimme und bloßen Schultern das Publikum im konservativen Nashville verstört, war mit Elvis getourt, hatte mit ihm Platten gehört und ihre persönliche Art von Rockabilly, Country und Rock'n'Roll herausgebildet. In den Jahren von '55 bis '58 hatte sie einige kleinere Hits gehabt, meist Versionen von Country-Klassikern - und auf ihrem Debüt gibt es auch davon genug und sie macht das mit ihrer jugendlichen Stimme großartig - aber insbesondere ihre Versionen von „Whole Lotta Shakin', ihr „Money Honey“ und das ikonische „Let's Have a Party“ dürfte Eltern bekümmert den Kopf schütteln haben lassen und jungen Mädchen seinerzeit bewiesen haben, dass Frauen mehr als Beiwerk beim Tanz sein können. Dass diese unbändigen Ausbrüche von neuen und alten Country-Klassikern unterbrochen werden, lässt Wanda Jackson heute erfreulich abwechslungsreich klingen. Zumal ihre Country-Heuler wirklich Stil haben. Nach einem weiteren, schon etwas zahmeren Album (There's a Party Going On - 1961) wandte sie sich auch der verdammten Religion zu und machte Pop, Country und Gospel. Ihr Funktion als Ikone des weiblichen Rock'n'Roll konnte sie damit nicht mehr zerstören. Und jetzt ist sie Kult. 

Wanda Jackson - Let's Have a Party 

John Coltrane


Blue Train

(Blue Note, 1958)

John Coltrane


Soultrain

(Prestige, 1958)

Blue Train, John Coltrane's einzige LP für Blue Note, kam aufgrund mündlicher Vereinbarungen mit Label-Boss Albert Lion zustande. Coltrane machte mit diesem Album erst seine zweite LP als Solist – zu einem gewissen Teil sicher aus der Not heraus - Miles Davis hatte ihn 1957 aufgrund seiner Heroinsucht aus seiner Tour-Band geworfen, Coltrane aber wollte mehr touren. So stellte er eine eigene Band zusammen und spielte im September '57 diese Sessions für Blue Note ein - natürlich mit den besten Musikern des Labels: Eine dreifach besetzte Hornsektion mit dem Trompeter Lee Morgan, Trombonist Kurtis Fuller und Coltrane selbst am Saxophon, Kenny Drew am Piano und Miles Davis' Rhythmussektion mit Bassist Paul Chambers und Drummer „Philly“ Joe Jones. Alles beileibe keine reinen Mitläufer und alles Musiker, die ihn später immer wieder in wechselnden Konstellationen begleiten sollten. Noch war Coltrane musikalisch nicht so „revolutionär“, wie sie werden würde, noch ist es der „reine“ Hard Bop, der hier gespielt wird – egal, meiner Meinung nach, denn Innovation im Jazz ist oft nur für Musiktheoretiker interessant (und wirklich zu erkennen) und Blue Train ist unabhängig von allen technischen Feinheiten ein großartiges Album voller Inspiration und Energie. So wurden der Titeltrack oder das energiegeladene „Moments Notice“ mit dem Trombone-Solo von Fuller, sowie das großartige „Locomotion“ zu Standards des Hard Bop – und dieses Album mit seinem geschmackvollen Cover-Design zum ersten Klassiker in Coltrane's Solo-Diskografie. Da ist insbesondere das enge Zusammenspiel der drei Bläser auf Blue Train, welches die LP mit Recht zum Highlight macht – und zu dem Album, das er selber als das Beste aus der Phase vor Giant Steps (1960) bezeichnen sollte. Aber da sind davor noch einige andere Sessions – unter anderem wieder in der Band von Miles Davis, der ihn Anfang '58 wieder zurück holte – und das Album Soultrane, das Coltrane bei einem Recording Date im Februar '58 mit Miles' Band – nur eben ohne Davis – aufnahm. Bei dieser Dichte an Dates (drei Tage zuvor hatten sie Milestones aufgenommen und in ein paar Wochen kommen die Sessions zu Kind of Blue!) und bei all den Konzerten wäre ein bisschen Müdigkeit verzeihlich gewesen, aber Nichts da! - Für Soultrane scheint Coltrane sich auf's Songwriting konzentriert zu haben, ist dabei durch die kleine Quartett-Besetzung gewissermaßen dazu gezwungen, die Formulierungen und Ausschmückungen zu übernehmen. Er beginnt auf diesem Album mit der Ausarbeitung seiner „Sheets of Sound“ Dieser Begriff, der für seine komplexen, sehr schnellen Soli steht, die von tiefsten Tönen in höchste Register fliegen, wird erstmals in den Liner Notes zu Soultrane vom Downbeat Magazine - Kritiker Ira Gitler verwendet. Was Coltrane auszeichnet, ist aber nicht so sehr die stupende Technik, sondern seine Fähigkeit, Stimmungen auszudrücken, er kann romantische Schlaflieder genausogut wie vor Adrenalin strotzende Grooves, und er meistert all das genauso mühelos, wie die Tempowechsel und Melodie-Verzweigungen seiner Soli. Soultrane mag nicht so revolutionär sein, wie Giant Steps, My Favorite Things, Ascension oder A Love Supreme – aber Coltrane machte ab hier bis zu seinem Tod kein einziges „schlechtes“ Album mehr. 

 John Coltrane - Locomotion

 John Coltrane - You Say You Care


Mile Davis


L'Ascenseur Pour L'Echaffaud

(Fontana. 1958)

Miles Davis Quintet


Relaxin' With The Miles Davis Quintet

(Prestige, Rec. 1956, Rel. 1958)

Miles Davis


Milestones

(CBS, 1958)

Ach – diese Veröffentlichungspolitik im Jazz... Aber ich habe mich nun mal darauf festgelegt, Alben nach ihrem Erscheinen in der Welt der Musik-Hörer hintereinander zu stellen und zu beschreiben. Somit ist das erste Miles Davis-Album '58, das die Ohren der Fans erreicht, ein Soundtrack, der Ende '57 in Frankreich aufgenommen wurde, das zweite Album eine Session Davis' mit seinem Quintet von 1956 und das letzte, im September '58 veröffentlichte Album dasjenige, welches ich in dem Coltrane-Review hier zuvor erwähnte. Für den französischen to be-Film Noir Klassiker Ascenseur pour l'échafaud (Deutsch: Fahrstuhl zum Schafott) hatte der Assistent des Regisseurs Louis Malle Miles Davis und seinen Chef zusammengebracht. Davis' schaute sich die Rohfassung des Films an und erklärte sich bereit, den Soundtrack einzuspielen. Dafür holte er sich kurz vor dem Jahreswechsel ein paar ziemlich unvorbereitete französische Jazzmusiker ins Studio, legte denen ein paar Melodieskizzen vor, ließ Filmausschnitte auf der Leinwand und ließ die Bänder laufen. Das hat bei Davis immer wieder funktioniert, die Musiker sind ohne Zweifel gut genug, die Skizzenhaftigkeit der Musik passt zum düsteren Film, der (erzwungene) Minimalismus macht sie regelrecht zeitlos, Davis' Trompete schwebt in den kurzen Tracks wie ein Geist über den Rhythmen und Klavier-Akkorden – und erschafft Stimmungen, wie man es nur von ihm kennt. Ascenseur pour l'échafaud kam mit dem Film im Januar '58 zunächst als 10'' heraus und wurde zu Recht zu einem weiteren Highlight in Davis' vielseitiger Diskografie – die schon zwei Monate später um die Session titels Relaxin' With The Miles Davis Quintet ergänzt wurde. Das Quintet bestand bei diesen Sessions aus Red Garland, Paul Chambers, Philly Joe Jones, John Coltrane und Davis – und diese Namen kennen wir ja jetzt schon – die bürgen für Qualität. Das Prestige-Label hatte Davis bis Ende '56 unter Vertrag gehabt, er hatte hier etliche Sessions aufgenommen und die wurden in den Jahren sozusagen thematisch geordnet veröffentlicht. Hier hieß es also nicht Steamin'..., Cookin'... oder Workin'... (alles Titel anderer Sessions), sonder Relaxin' With The Miles Davis Quintet - und so klingt die Musik fröhlich, ausgeruht, warm, mitunter sogar romantisch – und wenn man bedenkt, das hier zwei Titanen des Jazz miteinander spielen auch ein bisschen zu konventionell, um wirklich völlig zu beeindrucken. Immerhin - auf Sonny Rollins' „Oleo“ hebt Coltrane in die Stratosphäre ab und „If I Were a Bell“ ist zu schön um wahr zu sein. Ich will nichts diskreditieren. Relaxin'... ist nicht revolutionär, aber besser als Vieles, was man aus jener Zeit kennt. Ein entspanntes Album – dem mit Milestones ein Album folgt, das aktuell aufgenommen worden war, das auch nicht bei Allen Fachleuten (wer auch immer das ist) als eines von Davis' „Hauptwerken“ gilt, das aber zeigt, wie er sich weiter entwickelte. Mit Cannonball Adderley hatte er einen neuen Alt-Saxophonisten neben den nun wieder cleanen Coltrane gestellt, sein Quintet war mit ihm zum Sextett angewachsen, mit dem tollen Bassisten Chambers, mit Philly Joe Jones an den Drums und mit Red Garland am Klavier. Und die ganze Belegschaft lässt er im rasanten Opener „Dr. Jekyll“ ihr Können zeigen. Der nächste Track „Sid's Ahead“ mag etwas zu lang sein, wird ein bisschen zum Selbstzweck, aber der von Davis geschriebeneTiteltrack zeigt den Schritt Richtung Kind of Blue und hat einen dieser unfassbaren Coltrane-“Sheets of Sound“ Ausbrüche. Und Thelonius Monk's „Straight, No Chaser“ ist so gut, als wäre Monk selber dabei gewesen. Hier solieren Adderley und Coltrane so wunderbar zusammen – Coltrane lyrisch, Adderley regelrecht guttural – dass man sich eine weitere Zusammenarbeit der beiden nur wünschen kann (… und kekommen wird – auf Kind of Blue...) Davis mag mit Milestones nicht die Sphären von Kind of Blue, Sketches of Spain oder In A Silent Way erreichen – aber sein stilistisches Spektrum wird im Laufe der Jahre sehr weit reichen (wie oben schon gesagt) und er ist spätetens ab jetzt bis weit in die Siebziger einer der ganz großen Innovatoren. Hier also ein Meisterwerk des Hard Bop von ihm.

Miles Davis - Ascenseur pour l'échafaud 

 Miles Davis - Oleo

 Miles Davis - Straight, No Chaser


Cannonball Adderley


Somethin' Else

(Blue Note, 1958)

Klassisches Cover von Blue Note Designer Reid Miles – klassisches Album. Mit Cannonball Adderley's siebtem Solo-Album, einegspielt kurz vor seinem Beitritt in Miles Davis erlauchten Kreis, bleibe ich beim Thema Hard Bop. Miles Davis war in diesen Jahren bekanntlich hyper-kreativ, und Cannonball nutzte wohl die Gelegenheit, sich Davis' Dienste als Sideman für das eigene Album zu sichern, nachdem der ihn gehört hatte und zu sich holen wollte. Davis half mit Inspiration (so sehr, dass man das Album mitunter als verstecktes Miles Davis-Album bezeichnet) und mit dem Titeltrack und einigen wunderbaren Trompeten-Tönen. Julian – aka Cannonball – Adderley soll aber auch ein Sympathieträger gewesen sein. Der Beiname Cannonball ging angeblich auf einen Versprecher eines Mitschülers zurück. Der wollte den an Diabetes erkrankten Adderley eigentlich wegen seines dauernden Hungers „Cannibal“ nennen – daraus wurde dann Cannonball. Aber weiter zum Album: Adderley hatte schon lange Erfahrung als Solist und Songwriter. Er hatte mit seinem Bruder Nat schon diverse Alben eingespielt, bei Blue Note bekam er freie Hand und mit seinem Kollegen Davis jemanden dazu, der Somethin' Else zu etwas ganz besonderem macht. Die Kombination von Adderley's voluminösem und durchdringenden Alt-Sound und Davis schwebenden Trompetentönen, die Ruhe in den Kompositionen, die unterschwellige Spannung, dazu Hank Jones' lyrisches Klavier... hier wird alles richtig gemacht und - wieder einmal – die Spannung und Freude ist bei jedem Ton hörbar, aber das ist ein Faktor, der schwer zu beschreiben ist, den man letztlich nur glauben und hören kann. Besonders schön ist der von Davis ausgewählte Opener „Autumn Leaves“, der sehr coole Titeltrack – wie gesagt von Miles Davis geschrieben, die Art wie sich Davis und Adderley hier am Ende gegenseitig umspielen. Die an Charlie Parker erinnernden Saxophon-Soli auf "Dancing in the Dark“. Das komplette Album ist von den hier genannten das Unverzichtbarste. Der Prolog zu Kind of Blue.

Cannonball Adderley - Autumn Leaves 

Billie Holiday


Songs For Distingué Lovers

(Verve, Rec. 01-57, Rel. 1958)

Billie Holiday


Lady In Satin

(Columbia, 1958

Die Frage, ob Songs For Distingué Lovers nun wirklich 1958 veröffentlicht wurde, oder ob es schon im Vorjahr zu haben war, kann ich nicht beantworten – ist mir aber auch ein bisschen egal. Aufgenommen wurde dieses Album Anfang '57, organisiert von Norman Granz, dem Mann, der Anfang der Fünfziger Billie Holiday aus der Versenkung, den Drogen und Depressionen heraus auf die Bühne holte, ihr half, gegen Auftrittsverbote wegen Drogenbesitz anzuspielen, und ihr zumindest musikalisch einen späten Frühling bescherte. Gesundheitlich ging es mit ihr bergab, aber ihre Stimme – inzwischen gebrochen und gezeichnet – wurde wieder gehört – und trotz oder wegen ihrer Narben und Wunden immer mehr bewundert. Das mag was von Voyeurismus haben, aber Tatsache ist – Billie Holiday klingt immer glaubhaft. Sie kingt, als würden die Inhalte und Texte sie etwas angehen, als hätte sie schon all das Glück und Unglück, das sie besingt auch schon erlebt. Songs For Distingué Lovers wurde mit kleiner Jazz-Besetzung aufgenommen. Holiday traf auf Musiker, die sie schon in den Vierzigern begleitet hatte, Trompeter Harry Edison und Saxophonist Ben Webster bekamen Raum zum Improvisieren, und auch wenn die Virtuosität ihres Gesangs verloren war, bei Standards wie „Foggy Day“ oder „Day In, Day Out“ ist das egal – sie gab ihr Bestes. Man sollte sich die cleaneren Versionen von Ella Fitzgerald zum Vergleich anhören – und entscheiden was besser ist. Das Album hatte 1958 nur sechs Tracks, wurde im Laufe der Zeit um etliche Aufnahmen ergänzt – und es ist (für mich) fast das beste Vocal Jazz-Album des Jahres – wenn da nicht noch Billie Holidays Orchester-Album wäre und Sinatra's Sings Only for the Lonely (siehe unten). Denn dann nahm Billie Holiday ihr legendäres Album Lady in Satin auf... Sie war mit der Arbeit mit kleinen Jazz-Combo's nicht mehr zufrieden, wollte mal mit Orchester arbeiten und wechselte im Oktober '57 Label und Management. Ihr hatte insbesondere Frank Sinatra's In the Wee Small Hours sehr gefallen und sie verlangte nach einem „cushion under her voice“... Zunächst wollte sie mit Nelson Riddle arbeiten, Sinatra's Arrangeur bei diesem Album, aber dann entschied sie sich für den etwas süßlicheren Ray Ellis – nicht die beste Entscheidung, meinen Viele (auch ich). Lady in Satin teilt mit In the Wee Small Hours nicht nur Stimmung und Konzept, Holiday interpretiert auch gleich drei von dessen Songs: „I'll Be Around“, „I Get Along Without You Very Well“, und „Glad To Be Unhappy“ lassen sich so natürlich wunderbar vergleichen – und auf seine Art gewinnt immer Sinatra den Wettbewerb – wobei man bedenken sollte – Sinatra war '55 auf der Höhe seiner Sangeskunst und Ausdrucksfähigkeit, ironischerweise unter anderem stark beeinflusst von Holiday's so emtionalen und technisch brillianten Aufnahmen aus den 30/40ern. Holiday aber war 1957 gezeichnet, die Stimme durch Drogen- und Alkoholmissbrauch kaputt. Aber in gewisser Weise macht das wieder den Unterschied: Sie hat all die Emotionen bei der Hand und all die Schmerzen selbst erlitte, und wenn die Stimme immer wieder wegbricht, macht gerade das den Gesangsvortrag so glaubwürdig und überzeugend. Es ist ganz schlicht eine Geschmacksfrage. Unstrittg aber ist, dass Ray Ellis nicht Nelson Riddle's Klasse hat. Viele Arrangements sind zu dick aufgetragen, der Kontrast ist manches mal zu stark und erstickt Holiday's inzwischen so fragiles Gleichgewicht. Dass ihr Vortrag dem Hörer bei Songs wie „I Get Along Without You Very Well“ oder bei „I'm A Fool to Want You“ (ebenfalls von Sinatra – auf dessen Where Are You definitiv gesungen...) bei aller Unsicherheit regelrecht die Kehle zuschnürt, zeigt wie gut sie selbst in diesem Zustand noch war. Wie gesagt: Manchem sind gerade diese Aufnahmen die Besten. Mit Lady in Satin hatte sie immerhin so viel Erfolg, dass sie ein weiteres Album mit Ray Ellis aufnahm. Sie überlebte die Veröffentlichung von Lady in Satin gerade mal um ein paar Monate, ehe sie im Juli '59 an Leber-Zirrhose starb. 

 Billie Holiday - Day In Day Out

 Billie Holiday - I'm a Fool to Want You



Frank Sinatra


Come Fly With Me

(Capitol, 1958)

Frank Sinatra


Sings For Only The Lonely

(Capitol, 1958)

Jetzt auf Frank Sinatra einzugehen, ist nach den hier voran stehenden Worten über Lady in Satin natürlich Pflicht. Aber wäre Billie Holiday's Album nicht '58 erschienen, so hätte ich aus der Sparte „Vocal Jazz“ auf jeden Fall Sinatra's Sings Only for the Lonely als das größte Album seiner Art und diesen Jahres bezeichnet... und so würde ich genauso wie bei Billie Holiday's Songs for Distingué Lovers das im Januar '58 erschienene Come Fly With Me von Sinatra beschreiben. Sinatra war (immer noch) auf der Höhe seiner Kunst. Eine gewisse Routine in der Abfolge der Alben hatte sich eingeschliffen – Sinatra wechselte jetzt immer wieder zwischen tiefblauen, melancholischen Konzeptalben und seinen geliebten, fingerschnippend-swingenden Big Band Song-Kollektionen. Come Fly With Me ist ein Konzeptalbum voller munterer Songs rund um die Welt, erstmals in Zusammenarbeit mit Billy May arrangiert – mal mit Big Band Bläsern, mal mit vollem Orchester, und natürlich mit gekonnten Gesangsparts von Frankie-Boy. Den Titelsong ließ er sich von Sammy Cahn und Jimmy Van Heusen auf den Leib (und auf's Konzept) schreiben, das leicht melancholische „Around the World“ hätte vielleicht besser ans Ende der Reise gepasst – aber das ist eine. Kleinigkeit, die vor der famosen Songauswahl verblasst. Seine Stimme passt nach Paris („April in Paris“) wie nach London („London By Night“), New York (...natürlich... „Autumn in New York“) und Brasilien (das großartige „Brazil“). Der Mann ist der personifizierte stilvolle 50er-Jahre Gentleman und das knatsch-bunte Reiseprospekt-Cover ist unpassend billig. Mit Billy May würde er noch Alben mit den Aufforderungen mit ihm zu swingen und zu tanzen folgen lassen, aber zunächst ging er – nun wieder mit Nelson Riddle – ins Studio, um ein weiteres Konzept-Album voller dunkler Torch-Songs aufzunehmen. Frank Sinatra Sings For Only the Lonely ist das bessere, weil zeitlosere, tiefgründigere und anspruchsvollere Album der beiden '58er Alben Sinatra's. Seine Ehe mit Film-Star Ava Gardner war am Ende, Nelson Riddle's Frau und Tochter waren gestorben – die beiden hatten Grund zur Trauer und konnten (das hört sich jetzt gemeiner an, als es sein soll) aus tiefsten emotionalen Tiefen schöpfen. Tatsächlich ist ...Sings for Only the Lonely das nihilistischste von Sinatra's „traurigen“ Alben. Es wäre, wenn man die samtene Orchestrierung wegnähme, schwer zu ertragen und in seiner Düsternis fast erschreckend. Und auch dieses instrumentale Backing ist mitunter ganz schön unheimlich. Man höre nur die einsame Trompete bei „What's New“ oder die geisterhaften Strings von „It's a Lonesome Old Town“. Und dabei wollte Sinatra zunächst garnicht mit Riddle arbeiten, hatte den vom Trauer-Vorgänger Where Are you? erprobten Gordon Kenkins zunächst anstellen wollen. Die Zusammenarbeit mit dem ebenso schlecht gestimmten Riddle macht ...Sings for Only the Lonely wohl zu dem, was es ist – einem kargen Meisterwerk, das exakt neben den Klassiker In the Wee Small Hours passt, ihn in der Tiefe der Trauer noch übertrifft. Am besten beide Alben hören... Es mag bezeichnend sein, dass Sinatra selber es als sein bestes Album bezeichnet hat. Und das liegt nicht nur daran, dass das Rat Pack-Mitglied hier in vielen Songs seine Depressionen in Alkohol ertränkt – siehe „Only The Lonely“, das Album als Mikrokosmos - „Angel Eyes“ oder „One For My Baby“. Sinatra in tiefbalu – der Farbe, die ihm am besten steht. Das erschreckende Covermotiv brachte Nicholas Volpe übrigens den Grammy... schön, dass sowas auch anerkannt wurde.

 Frank Sinatra - Come Fly With Me

 Frank Sinatra - Only the Lonely

Don Gibson


Oh Lonesome Me

(RCA, 1958)

Die Reihenfolge der vorgestellten Alben ist wohl überlegt. Don Gibson's Debüt-Album Oh Lonesome Me ist eine Erleichterung nach Sinatra's finsterstem Album. Und es hat genauso viel Niveau – nur auf anderen Ebenen. Man würde Don Gibson heute wohl als Singer/Songwriter bezeichnen – er selber sah sich wohl auch in der Tradition von Hank Williams, hatte sich jahrelang als Solo- und Band-Musiker bei Radiostationen seine Meriten verdient, war als Songwriter immer besser geworden und hatte Mitte der Fünfziger mit Sweet Dreams einen ersten Klassiker und Hit geschrieben. '57 hatte er einen Vertrag bei RCA unterschrieben - und dort würde er in Nashville mit dem Gitarren-Virtuosen Chet Atkins als Produzent und mit Elvis' Background-Sängern von den Jordanaires nun eigene Alben aufnehmen. Mit dieser Musik, dem Crossover aus Country und beschwingtem Rock'n'Roll und mit seinen melancholischen Lyrics bediente er sowohl die Country- als auch die Pop-Charts. Für heutige Ohren mag die Musik seicht klingen, aber 1958 gab es noch keine revolutionären Outlaws und die Songauswahl aus einigen gelungenen Coverversiuonen und eigenen Tracks ist fehlerlos. Der Sound ist zu diese Zeit neu, wird sich in den kommenden Jahren als Nashville Sound in den Charts festsetzen und die Stadt als Metropole der Countrymusik weiter etablieren. Der Titeltrack von Oh Lonesome Me wird zum viel-gecoverten Klassiker – von Ray Charles über Neil Young bis M. Ward ist er ein Standard in Country und Rock. Der Schmachtfetzen „I Can't Stop Lovin' You“ wird ebenfalls zum Standard, die Coverversionen von „Blues in My Heart“ und „Heartbreak Avenue“ sind genauso gelungen wie reine Album-Tracks aus der eigenen Feder – wie „Too Soon to Know“ oder „If You Don't Know It“. Tatsächlich: ein echtes Singer/Songwriter Album – das Gibson in solcher Konsistenz und Klasse nie mehr übertreffen wird. 

 Don Gibson - Too Soon To Know


Everly Brothers


Songs Our Daddy Taught Us

(Cadence, 1958)

Die Everly Brothers sind jünger - und in ihrem Bezug auf ihre Traditionen - älter als Don Gibson. Phil und Don sind 1958 zwar erst 19 bzw 21 Jahre alt, aber sie sind schon auf einem frühen Gipfel ihres Ruhms angelangt. Sie haben vor der Veröffentlichung von Songs Our Daddy Taught Us mit „Bye Bye Love“ oder „Wake Up, Little Susie“ und „All I Have to Do Is Dream“ Elvis Konkurrenz gemacht, sind in ihrer Generation eher als „Rock'n'Roll-Act“ denn als Country-Musiker bekannt und hatten im Vorjahr ein sehr hübsches Debüt-Album veröffentlicht. Aber ihr formidabler Harmonie Gesang hat seine Wurzeln bei (älteren) Close-Harmony-Acts wie den Louvin Brothers oder den Stanley Brothers.Ihr zweites Album ist genau das, was der Titel sagt. Ihr Vater Ike Everly hatte Klein-Don und Klein-Phil dereinst das alte Country- und Gospel-Material beigebracht – das er selber mit seiner Frau im Radio aufgeführt hatte – und ihnen anhand uralter Songs diesen wunderbaren Harmoniegesang antrainiert. Nach den schnellen Erfolgen mit flotterem, Rock'n'Roll-affinem Material mit dem zweiten Album ein paar alte Traditionals wie die Mörderballade „Down in the Willow Garden“, den Uralt-Folksong „Barbara Allen“ (aus dem 17. Jahrhundert) oder den Louvin Brothers Hit „Roving Gambler“ (aus den Zwanzigern) zu veröffentlichen ist mindestens mutig. Aber ein guter Song bleibt ein guter Song – die Interpretation ist nicht modern, sondern zeitlos, die Stimmen der Brüder klingen so jung, wie sie eben sind, das Tenmpo mag meist nicht so flott sein, wie bei „Bye Bye Love“ - aber das Tempo der „jungen“ Musik hatte sich in den letzten Monaten allgemein verlangsamt, der erste Rock'n'Roll Ansturm schien abgeebbt – da passte dieses ruhigere Album vielleicht auch ganz gut zum Zeitgeist. Dass diese Songs fantastisch sind, die Harmonies bestechend, die musikalische Umsetzung durch ihre Sparsamkeit (meist nur Akustik-Gitarren) wahrhaftig zeitlos ist, ist unbestreitbar. Dass sie mit einem solchen Konzept ihrer Zeit weit voraus waren, mögen sie nicht gewusst haben, aber die Musik hier ist hörbar „heartfelt“. Das Album enthält keine Hits und es landete auch nicht in den Charts – aber Songs Our Daddy Taught Us wurde zu einem Dauerbrenner, einem der Alben, die immer wieder neu veröffentlicht wurden – einem Klassiker, der problemlos neben den diversen Singles-Compiations besteht..(die – mal ganz nebenbei – auch den meisten ihrer späteren Alben nicht gerecht werden...).

Everly Brothers - Roving Gambler 










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