Wie so oft schreibe ich über einen musikalischen Trend zu dem Zeitpunkt, an dem er sich am besten an bestimmten Alben festmachen lässt – denn mir geht es in erster Linie um die auf Tonträgern dokumentierte Musik - und nicht so sehr um das erste Mal, an dem eine bestimmte Absicht in Musik gegossen wurde. Die Riot Grrrl Bewegung gibt es schon seit Beginn der Neunziger. '91 haben sich etliche junge Künstlerinnen In Olympia im US-Bundesstaat Washington zusammengetan, um Kunst zu erschaffen, politisch aktiv zu sein, Musik zu machen - und um sich gegenseitig dabei zu unterstützen, in der klar männerdominierten Musik-Szene ihr eigenes Ding zu machen. Anlass ist insbesondere die Unzufriedenheit mit dem Machismo in der von ihnen geliebten Punk-Szene. Inspiriert von gerade stattfindenden anti-rassistischen Demo's und Ausschreitungen, wird der Begriff „Girl Riot“ in das aggressiver klingende Riot Grrrl (klingt nach Knurren...) umgewandelt. Das Kollektiv veröffentlicht Fanzines, nimmt Tapes auf und arbeitet mit dem Label Kill Rock Stars zusammen, auf dem der gesamte Geschäftskram von Frauen gemacht und organisiert wird. Die berechtigte Empörung über die Diskriminierung von Frauen im Musikbusiness ist seit Ewigkeiten virulent, aber der Einfluss des Feminismus ist im männerdominierten Geschäft immer noch (und bis heute) minimal. Von Bessie Smith über Billie Holiday, Nina Simone, Joni Mitchell, Kate Bush und Patti Smith bis zu den feministischen Punk Bands der frühen Achtziger gab es immer starke Frauen, die ihre Position zu verteidigen wussten. Aber das lief immer nach dem Prinzip - zwei Schritte voran, einer zurück. Nina Simone's Karriere war selbstbestimmter als die von Billie Holiday und Joni Mitchell war wiederum Nina Simone voraus – aber sie alle hatten Männer vor bzw. über sich. Auch Punk Bands wie die Slits oder Raincoats mussten auf Männer bei Plattenfirmen, im Mangement, als Produzenten Rücksicht nehmen – ganz zu Schweigen vom Macho-Publikum der Szene, das sie nach dem Motto Frau = Sexobjekt betrachtete. Es war einfach an der Zeit, dass eine neue Generation von Frauen den Hardcore-Punk Ethos solcher Vorbild-Bands wie Fugazi in einen feministischen Kontext setzten. Und in gewisser Weise gaben die Riot Grrrl's unfreiwillig einer Bewegung den Namen, die auch ohne dieses Etikett stattfand. Musikerinnen wie PJ Harvey, Liz Phair, L7 oder die Breeders gaben selbstbewusst femistischen Grundsätzen Ausdruck, ohne sich der Riot Grrrl Bewegung zuordnen zu wollen. Den Bands aus Olympia ging es zudem um eine deutlichere Ästhetik, um klarere Prinzipien. Heavens to Betsy, Bratmobile und Bikini Kill sind die Flaggschiffe, und sie alle haben einen deutlich erkennbaren DIY-Punk Ethos. Alles, was sie machen, kommt ohne männliche Hilfe aus, ihre Lyrics behandeln Themen wie weibliche Sexualität, Missbrauch, Sexismus, Rassismus, Machismo etc. ihre Musik ist bewusst „Punk“, voller Energie, aber ohne bemühte Virtuosität (worin sie sich von den Breeders oder PJ Harvey unterscheiden) – es ist Punk mit Überzeugung. Eine der ganz großen Bands, die aus dieser Szene erwuchs, sind die Heavens to Betsy Nachfolger Sleater-Kinney – aber die begannen ihre Karriere, nachdem Riot Grrrl von den Medien ausgelutscht worden war. Ende '93 war die Sängerin der Gits (die eigentlich nur am Rande mit den Riot Grrrl movement zu tun hatte) brutal vergewaltigt und ermordet worden. Sofort solidarisierten sich etliche Mitläufer/innen mit Riot Grrrl - und trugen diese Solidarität wie ein Banner vor sich her – was von „echten“ Riot Grrrl's als Verrat an den Idealen aufgefasst wurde. Dogmatik übernahm das Kommando, die Bands zerstritten sich und Riot Grrrl war vorbei. Viele der Protagonistinnen machen natürlich in anderen Projekten und Bands weiter und der Gedanke einer selbstbestimmten explizit weiblichen Musik setzt sich fort – auch weil sich immer noch nicht wirklich viel geändert hat.
Bikini Kill
Pussy Whipped
(Kill
Rock Stars, 1993)
Bikini Kill waren DIE Band der Riot Grrrl Szene in Olympia/Washington – und ihre Frontfrau/Sängerin Kathleen Hanna ist die Frau, mit der man diese Art Punk mit feministischer Botschaft identifiziert. Und bei Pussy Whipped ist es ihre Energie, sind es ihre Alarm-Sirenen Schreie, die die Musik aus der Masse ragen lässt. Grundsätzlich wird hier krachender Punk gespielt, mit Noise-Anklängen, ohne unnötige Spielereien – und die Tatsache, dass Frauen hier den abgehalfterten 77er Punks oder den 81er Hardcore Veteranen die geliebte Nostalgie vermiesten, soll zum Hass und zur Häme – und zu übelsten frauenfeindlichen Beleidigungen geführt haben. Durchaus vorstellbar, ist doch gerade der Alt-Punk gerne ein Ausbund an Intoleranz. Dabei kann man es auch so sagen: Bikini Kill holten Punk zurück zu seinen Wurzeln. Die „männliche“ Variante war immer technischer und virtuoser geworden, es ging nicht mehr darum, „Was“ gesagt wird, sondern nur noch um's „Wie“ - und das ist immer schlecht. Zumal Bikini Kill ihre feministischen Botschaften in infektiöse Songs packten: Da wird Sexismus in seiner widerlichsten Form angeprangert, es geht um Vergewaltigung und Pädophilie und Hanna verlangt schlicht, dass Frauen über ihre Sexualität – wie über ihr ganzes Leben – selber bestimmen sollen. Sie erzählt vom „Star Bellied Boy“, einem Typen, der sich als netter Indie-Boy gibt, aber die gleiche sexuelle Aggressivität an den Tag legt, wie die Leute, die er zu verachten vorgibt – und das schreit und gurgelt sie mit erfreulicher Brutalität hervor, untermalt vom Feedback-kreischen von Billy Karren's Gitarren. Und bei „Lil' Red“ klagt sie ganz konkret das eigene Geschlecht an, wenn sie singt: „You are not the victim / though you'd like to make it that way“ - und mit „Rebel Girl“ ist eine der größten 90er Punk-Hymnen dabei. Logisch, dass sie wegen der Lyrics und der bewusst DIY- gehaltenen Ästhetik der Musik Angriffsfläche bot. Aber die Kritik an Pussy Whipped basiert meistens auf Hass und Intoleranz. Das Album ist so kraftvoll, dass es für mich unangreifbar ist. Und mit einer Länge von knapp 25 Minuten extrem kurzweilig.
Bikini Kill - Rebel Girl
Bratmobile
Pottymouth
(Kill
Rock Stars, 1993)
Die andere Vorzeige-Band der Riot Grrrl's ist Bratmobile – und deren einziges Album ist für mich ganz einfach die etwas weniger spannende Angelegenheit. Ihre Herangehensweise ist vergleichbar mit der von Bikini Kill – sie spielen Punk im wahrsten Sinne des Wortes, die Gitarren dengeln schmucklos, Alles hat den Charme, der den Garage Punk aus den Sechzigern so sympathisch macht. Es gibt keine Virtuosität, wie wir sie von Fugazi oder Quicksand kennen. Auf Pottymouth geht es um die Position, die eingenommen wird. Alles ist autark, es gibt deutliche feministische Aussagen, und der Kommerz und die melodischen Finessen, die sich in den letzten Jahren in Punk eingeschlichen haben, sind nicht vorhanden. Dafür ist massenweise Glaubwürdigkeit da. Allison Wolfe deklamiert ihre Lyrics mit charmanter Unprofessionalität – und das muss auch so sein. Bratmobile sind Fans einer bestimmten Musik und sie nutzen das, was sie lieben, um ihren Protest gegen eine männerdominierte Welt rauszulassen – aber bei ihnen ist ganz einfach die Trefferquote nicht so hoch, wie bei Bikini Kill. Sie sind ganz einfach nicht so gute Songschreiber. Lyrics wie „I don’t wanna hear how many friends you have/I don’t have any anymore“ treffen nicht so tief wie die auf Pussywhipped, die Energie des Trios ist nicht so deutlich zu fühlen, wie bei Bikini Kill. Der DIY-Charme verfängt bei mir nicht so sehr, wie bei anderen Bands, ganz einfach, weil die 17 Songs in 27 Minuten zu gleichförmig vorbei ziehen.
Bratmobile - Love Thing
Adickdid
Dismantle
(G
Rec., 1993)
Weit besser als Bratmobile's Pottymouth gefällt mir Adickdid und deren einziges Album Dismantle. Die Band um die baldige Team Dresch Gitarristin/Sängerin Kaia Wilson stammt aus dem drei Stunden von Olympia entfernten Eugene/Oregon – und spielt schnell im Umkreis der Riot Grrrl Bewegung mit - ist auf dem Sampler Stars Kill Rock dabei und tourt mit Bikini Kill und Bratmobile. Adickdid sind der Beweis dafür, dass Riot Grrrl nicht ein „Stil“ ist, sondern vor Allem eine Haltung. Hier wird Punk mit Noise, New Wave und Hardcore überzogen, die bewusste Unprofessionalität etlicher Riot Grrrl's weicht einem erkennbar durchdachten Soundkonzept, das Songwriting hat den gleichen Stellenwert wie die Lyrics – und mir ist es ein Rätsel, warum dieses Album nicht den gleichen Stellenwert hat, wie Pussywhipped oder die Alben von Team Dresch. Kaia Wilson's Stimme ist großartig, souverän, mal sanft, mal hart, ihre Songs verbinden Schönheit mit Finsternis, der Sound auf dem ganzen Album ist durchsetzt von Distortion, Bass und Gitarre sind extrem verzerrt, dazu der Wechsel zwischen melodischen Songs und lärmenden Passagen – da geht mitunter die Aufmerksamkeit für die Lyrics flöten – die sich auch weniger mit Feminismus und all seinen Facetten befassen, als bei Bratmobile oder Bikini Kill Hier geht es meist um weibliche Homosexualität – logisch, da Kaia Wilson sich mit 14 als Homosexuell ge-outed hatte und damit im konservativen Westen Aussenseiter war. Dass man dem Thema in der Musik auch ein Etikett gab, kann sich jeder denken. Also – sgen wir mal QueerCore – und vergessen das wieder, weil Dismantle schlichte Kategorien nicht verdient hat. Das Album ist schwer zu finden, K Records war streng DIY, die Band löste sich noch '93 nach diesem Album auf, aber ich finde es ist musikalisch eines der besten aus dieser „Szene“. Zum Glück begegnet man Kaia Wilson wie gesagt bei Team Dresch und den Butchies wieder. Tolle Musikerin.
Adickdid - Eye Level
Scrawl
Velvet Hammer
(Simple
Machines, 1993)
… und schon geht es weg von den Riot Grrrl's und vom Washington State. Ich habe es oben schon gesagt, Bands mit weiblichem Personal, mit entsprechender Sichtweise in den Lyrics und mit ein bisschen Punk im musikalischen Genmaterial werden in dieser Zeit automatisch dem Riot Grrrl movement zugerechnet. Und Scrawl waren eine All-Girl Band, passten, was das angeht, in den damals durchaus angesagten „Trend“. Dabei kamen Scrawl aus Columbus/Ohio, waren schon seit Mitte der Achtziger aktiv, waren mit dem Meat Puppets auf Tour gewesen und kannten Bands wie Bikini Kill oder Bratmobile höchstens aus dem Indie-Radio. Und auch ihr viertes Album Velvet Hammer hat sowohl musikalisch als auch textlich mehr gemein mit Bands wie Silkworm oder Seam als mit Bikini Kill. Der Ex Big Black Musiker und Nirvana Produzent Steve Albini hat mit seinem nacken, unmittelbaren Sound massiven Einfluss auf die Wirkung, die das Album erzeugt. Es gilt zu Recht als eines der traurigsten und desillusioniertesten der Neunziger. Sängerin Marcy Mays Stimme hat die emotionale Zurückhaltung, die die schmerzlichen Texte so wahr klingen lassen: Beim John Peel-Liebling „Your Mother Wants to Know“ ist sie Mediator zwischen Mutter und Kind wenn sie singt: “She wants you to like her so try to forget it/ And she's sorry for all the years and what happened to you when you were a kid“. Und bei „Take a Swing“ singt sie über eine zerstörte Beziehung: „Can we handle this like adults or do you wanna scream? / Do you wanna take a swing?“ um dann ironisch und explizit Gewalt heraufzubeschwören: „Show me your fist, put me in my place“. Wegen seiner Schroffheit und Unverblümtheit und wegen seiner deutlich weiblichen Sicht passt Velvet Hammer irgendwie auch in die Reihe der Riot Grrrl Alben - aber solche Etiketten sind nur Vereinfachungen für faule Musik-Journalisten und schaden mitunter mehr, als sie nutzen. Ich setzte es also aus Faulheit in diesen Kontext – not. Ich sehe hier die Gelegenheit, auf ein übersehenes und erfreulich tief gehendes Album hinzuweisen.
Scrawl - Your Mother Wants to Know
PJ Harvey
Rid Of Me
(Island,
1993)
PJ Harvey
4-Track Demos
(Island,
1993)
Also: Alles, was ich in diesem Kapitel hinter Adickdid reviewe, ist NICHT Riot Grrrl – aber: Viele Alben, die in dieser Zeit von Frauen gemacht wurden und sich mit feministischen Positionen befassen, kann man in den Riot Grrrl-Kontext stellen. Wie gesagt – Riot Grrrl ist kein musikalischer Stil sondern eher die Haltung zu- und Umgehensweise mit- bestimmten Themen. Viele Frauen arbeiteten in der Musik dieser Zeit mit Selbstbewusstsein und Energie mit einer dem Punk nahen Sprache. Die „echten“ Riot Grrrl's aus Washington spielten DIY Punk und wollten in jeder Hinsicht autark sein. Die Britin Polly Jean Harvey machte ähnliche Musik – mit größerer Professionalität und hatte sich mit ihrem 92er Debütalbum Dry schon als sehr bewusst feministische Frau exponiert, aber sie dürfte sich genausowenig wie Scrawl als „Riot Grrrl“ betrachtet bzw bezeichnet haben. Mit den zusammengehörigen Alben Rid of Me und 4-Track Demos stellte sie sich klar in eine Reihe mit anderen Frauen, die vehement eine Veränderung überkommener Rollenschemata einfordern. Und sie hatte - genau wie die oben beschriebenen Scrawl - für das neue Album Rid of Me auch den Produzenten Steve Albini gewählt.Eine Zusammenarbeit, die auf dem Papier perfekt schien. Seine rohe Produktion ließ kaum Raum für Grautöne, der kraftvolle Sound, den er dem Trio gab, stand der Musik ganz hervorragend. Das Album gilt als Post-feministisches Manifest - dabei waren die Texte laut Harvey's Aussage nicht geschlechts-spezifisch zu verstehen – sie sagte: „...I never write with gender in mind...“. Andererseits ist ihre Sicht eindeutig weiblich, wenn sie dem Hörer den Titelsong beispielsweise regelrecht um die Ohren haut - und PollyJean Harvey's Stimme klingt beunruhigt und zugleich beunruhigend wenn sie flüstert: „Don't you wish you'd never met her?“ Ihre Lyrics waren zweifellos besser geworden, genau wie das Songwriting. „50ft Queenie“ war ihre beste Single bis dato, auch „Rub 'til It Bleeds“ ließ an Eindeutigkeit nichts vermissen, das komplette Album erforderte, dass man sich auf diese Vermischung von auralen und lyrischen Texturen einließ, und wenn man das tat, war es keine leichte Kost. PJ Harvey selber schwor, dass Nichts autobiographisch war, aber der Schmerz in den Lyrics klang, als würden da die eigenen Wunden geleckt und die Wut, die dahinter stand, konnte persönlicher nicht sein – schöpfte offenbar doch aus der eigenen Wahrnehmung von Unrecht und Missbrauch – was sie mit den gerade so angesagten „Riot Grrrl's“ in Verbindung bringt. Da Steve Albini Rid of Me seinen kompromisslosen, rohen Trademark-Sound gab, machte es für PJ Harvey wohl Sinn, sechs Monate später die Original-Demo's als autarkes Album zu veröffentlichen. (Sie hatte schon bei der britischen Version von Dry die Demo's als Bonus-Disc hinzugefügt) Die getrennte Veröffentlichung der 4-Track Demos wies darauf hin, dass PJ Harvey den Sound von Rid of Me nachträglich wohl zu hart fand und die Songs vielleicht in ihrer ursprünglichen, weniger agressiven Version bevorzugte.Letztlich ist es vor Allem für den Hörer Geschmackssache, ich glaube nicht, dass die von Albini im Bandformat aufgenommenen Versionen schlechter sind - sie sind nur anders. Auf Rid of Me spielte eine Band, und alle drei Musiker tragen zum Sound bei. Die Demos dagegen, -von PollyJean alleine eingespielt - sind von einer emotionalen Direktheit, die sich im Bandformat nicht einfangen lässt. Das ist - neben der Tatsache dass einige Songs dabei sind, die es nicht auf das Album schafften - der Vorteil der 4-Track Demos. Und so ist das Album mehr als eine bloße eine Ergänzung. Es zeigt eine weitere Facette der Künstlerin PollyJean Harvey und ist eher ein Solo-Album.
PJ Harvey - Rub 'til It Bleeds
PJ Harvey - Rub 'til It Bleeds (Demo-Version)
Liz Phair
Exile In Guyville
(Matador,
1993)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen