Donnerstag, 2. November 2017

1977 - Der Deutsche Herbst und Elvis' Tod - Sex Pistols bis Kraftwerk

Jimmy Carter wird 39. Präsident der Vereinigten Staaten, in Deutschland sind die Links-Terroristen der Roten Armee Fraktion extrem aktiv - Arbeigeberpräsident Schleyer wird entführt und ermordet, Deutsche Bank Vorstandschef Jürgen Ponto wird ermordet, in Stammheim bringen sich inhaftierte Mitglieder der RAF um, das Passagier-Flugzeug „Landshut“ wird entführt und von der Sondereinheit der Bundeswehr GSG 9 gestürmt. All das nennt man später den „Deutschen Herbst“. Derweil finden in Spanien erstmals seit 41 Jahren demokratische Wahlen statt. Der Blockbuster„Star Wars“ kommt ins Kino, der Boxerfilm „Rocky“ mit Sylvester Stallone bekommt einen Oscar und die Disco-Schnulze „Saturday Night Fever“ wird uraufgeführt. Am 16. August stirbt mit Elvis Presley der Urknall-Erzeuger des Rock'n'Roll an einer Überdosis Pillen. Auch Marc Bolan (T.Rex) stirbt und Ronnie Van Zant und Steve Gaines von Lynyrd Skynyrd kommen bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, bei dem auch die anderen Bandmitglieder schwer verletzt werden, woraufhin die Band sich auflöst. Musikalisch ist 1977 ein ungemein interessantes Jahr. Etablierte Bands der 70er wie ELO oder Supertramp machen kommerziell recht erfolgreiche Platten, aber vor allem veröffentlichen jetzt all die großen Bands des „Punk“ - nach den epochalen Singles - ihre Debüt-Alben. Die Sex Pistols, The Clash, The Damned aus dem United Kingdom, in den USA – genauer in New York - The Ramones, Television, die Talking Heads - alles was später mal Rang und Namen hat macht nun Longplayer. David Bowie und Iggy Pop sind in Berlin und haben den richtigen Riecher für die Musik zur (kommenden) Zeit, Reggae beginnt im Gleichschritt mit Punk seinen kommerziellen Siegeszug, aber auch in anderen Genres wie Country und Folk gibt es interessante Veröffentlichungen, die jedoch von Punk noch wenig beeinflusst scheinen. Punk ist jedenfalls der frische Wind in die stagnierende Entwicklung der Rockmusik - wobei man sich erinnern sollte: Die Masse der Musikhörenden bemerken das zunächst noch nicht. Sie hängen noch an Althergebrachtem – wie zum Beispile am aufgeblähten Bombast von Meat Loaf's Bat out of Hell, das hiermit seine einzige Erwähnung finden soll, oder an den Primitivstampfern von Ram Jam, oder dem süsslichen Schmalz der ondulierten Softrocker Styx. Vergessen wir das Alles und kümmern wir uns um Wichtiges und Bleibendes wie....


Sex Pistols

Never Mind The Bollocks – Here's The Sex Pistols


(Virgin, 1977)


Das Debütalbum der Sex Pistols ist definitiv eine der wichtigsten Veröffentlichungen des Jahres '77 - der Siebziger - der Rockmusik insgesamt... oder ? ...denn es ist zugleich ein perfektes Beispiel für den „Ausverkauf“ von Idealen. Es gibt keine Platte, die vom Songmaterial bis zum Coverdesign so sehr für die in diesem Jahr losbrechende Vereinfachung gegen die aufgeblähten Rockismen der Siebziger steht, wie Never Mind the Bollocks.. - und die gleichzeitig so wenig mit dem Gedanken, der hinter dem Begriff „Punk“ steht, zu tun hat. Denn Never Mind.... ist in Wahrheit nicht mehr als eine billige Best Of Kopplung der bahnbrechenden Singles der Sex Pistols, und wer die Musik dieser Band erst mit der wohlfeilen LP kennenlernte, hatte alles Wichtige verpasst. Sie hatten im Jahr zuvor das gesamte Establishment, Politiker, die Queen und die Musikindustrie verprellt, alles nach dem genialen Masterplan des Impressarios Malcolm McLaren, sie sprachen allen Unterprivilegierten und Wütenden aus der Seele, inspirierten mit ihren Live-Shows und ihrer aufs notwendigste reduzierten Musik hunderte von Musikern - und machten dann mit der Veröffentlichung dieses Albums – übrigens Monate nach den Alben der anderen Protagonisten des Punk erschienen - noch mal schnell das große Geld, ehe die Band implodierte. Aber irgendwie kann es ja auch egal sein, dieses Prinzip, dass man von Anfang an dabei gewesen sein muss um „echt“ zu sein, hat schließlich auch eine große Arroganz, und wer 1976 nicht gerade der entsprechenden Generation angehörte, kommt naturgemäß zu spät - und bei aller Häme muß man anerkennen, dass in Ermanglung der Singles diese LP mit Songs wie „Holidays in the Sun, „Anarchy in the UK“, „God Save the Queen“ etc unersetzlich ist. Vielleicht also in kleinen Portionen hören, oder zur Erhöhung der Coolness irgendwie die Singles erwerben. 

Sex Pistols - Anarchy In The UK 


The Clash

s/t


(CBS, 1977 )

Streng genommen ist das Debüt von The Clash (das übrigens Monate vor Never Mind the Bollocks erschien...) ihre einzige richtige „Punk“- LP, und es ist sicher ein klassisches und zugleich eines der wichtigsten Alben des Punk. The Clash hatten die Energie, den „Leftism“, den Willen zur Revolution, den man sich heute – im Nachhinein und mit verklärtem Blick - beim Begriff Punk vorstellt, und erfüllten somit etliche Klischees. Allerdings teilten sie nicht den selbstzerstörerischen Zynismus der Pistols. Noch wichtiger – und zugleich untypisch für Punk – war, dass sie im Gegensatz zur allgemeinen Vorstellung mehr als nur drei Akkorde drauf hatten - was wiederum Basis ihrer weiteren Karriere sein sollte. Auf The Clash allerdings spielen sie vor Allem erst einmal hart, schnell, präzise, simpel und mit ungeheurer Energie. Mit einer Energie, die durch die dünne (Nicht-) Produktion und den unwillentlich reduzierten Sound nur um so deutlicher wird. Mit Sänger Joe Strummer und Gitarrist Mick Jones hatten sie gleich zwei hervorragende Songwriter die auch in dieser frühen Phase schon mit anderen Stilarten experimentierten. Da ist zum Beispiel jetzt schon Reggae (die Cover Version von Junior Murvins „Police & Thieves“), dessen Einfluss auf dem nächsten Album schon sehr viel deutlicher werden sollte aber natürlich stehen insbesondere Songs wie „Remote Control“, „White Riot“ oder „London's Burning“ mit ihrer Rohheit und Energie exemplarisch für den Punk Im Jahr 1977 – dem Jahr mithin, in dem die Bands dieser Klasse ihre Debüt-Alben auf den Markt warfen. Aber tatsächlich ist The Clash weit mehr als nur Punk – unabhängig von allen Moden höre ich auf dem Album einfach zeitlose, kraftvolle Rockmusik. 

The Clash - White Riot  

The Damned

Damned, Damned, Damned


(Stiff Rec., 1977)

Klassischer“ Punk: The Damned waren die erste Punk-Band mit einem Plattenvertrag, die erste mit einer (erfolgreichen) Single und ihr Debüt war die erste LP ihrer Art. Sie wollten nicht die Welt verändern wie The Clash und sie negierten nicht die Gesellschaft wie die Sex Pistols – sie wollten Spaß. Dass Nick Lowe sie produzierte, ist eine nette Beigabe, ihr Punk hat viel mit dem Rock'n'Roll der Stooges gemein - und mit Power Pop, der die Beatles kennt und die Stones und den Pub-Rock der letzten Jahre. Aber The Damned sind Young, Loud, and Sloppy, gehören einer jüngeren Generation an. Der Mann mit den Songs war Gitarrist Brian James und auf dem Debut gibt es PowerPop/ Punk Klassiker wie „Neat Neat Neat“, die Single „New Rose“ und „Fan Club“. Die Band spielt schnell und hart und Rat Scabies prügelt sich mit seinen Drums und Cymbals die Seele aus dem Leib - und die Art in der Dave Vanian sein „bawrnnn to keeel" rausgröhlt ist unbezahlbar. Damned Damned Damned hat die Zeit erstaunlich gut überstanden und The Damned haben auch danach noch einige erwähnenswerte Alben gemacht und damit gezeigt, dass sie mehr drauf hatten als nur einen kurzlebigen Trend zu bedienen. Bands wie Green Day oder Blink 182 haben ihnen definitiv eine Menge zu verdanken

The Damned - Born to Kill 

Wire

Pink Flag


(Harvest, 1977)

Punk war eigentlich sofort Geschichte. In New York waren die Bands aus dem CBGB's teilweise schon seit Jahren aktiv - Patti Smith hatte ihr Debut schon '75 gehabt und die Ramones hatten schon '76 alles gesagt, was ihnen einfallen sollte – in UK hatten die Pistols mit ihrem Debüt ihr ganzes Pulver verschossen und auch The Clash hatten die Songs ihres Debüts nur noch aufnehmen müssen. Eigentlich sollte es dann wohl nicht verwundern, dass es schon eine Band wie Wire gab. Eine, die Punk dekonstruierte. Ihr Debüt Pink Flag ist eine der eigenständigsten Platten des Genres – wenn man sie denn in dieses Genre packen will. Schon mit dem Kurzwellen-Signal Basslauf des Openers „Reuters“ wird einerseits die Simplizität von Punk heraufbeschworen, wenn dann aber die atonalen Gitarrenchords einsetzen und die Stimme von Sänger Colin Newman erklingt, die viel zu wenig nach Rotz und Häme für Punk klingt, wird klar, dass Pink Flag eben mehr ist als nur ein weiteres Punk Album. Man muß heute vermutlich klarstellen, dass das Klischee vom saufenden, gröhlenden Misanthropen mit Iro und Bierdose mit Punk Nichts zu tun hat. Punk mag „proletarisch“ sein, aber grundsätzlich steht er in meinen Augen für die sehr uneitle Haltung des „Jeder kann Alles was er will“ - auch ohne irgendeine formale Ausbildung. So nenne ich das Album eine Prog-Rock Suite in 35 Minuten, bestehend aus minimalistischen und eben nicht virtuosen Songschnipseln. Tatsächlich ist die Mehrzahl der Stücke unter zwei Minuten lang, Zeit für die Wiederholung eines Refrains lassen die vier Musiker nicht, jedes Stück ist in Lyrics, Instrumenten und Melodie vollkommen ökonomisch. Man könnte Pink Flag auch eine extreme, intellektuelle Variante des „Cartoon-Punk“ der Ramones bezeichnen - egal was man dazu sagt: Dieses Debüt und die beiden folgenden Alben gehören mit zum Besten, was aus dem kurzen Erblühen des Punk entstand.

WIRE - Reuters 


The Stranglerrs

Stranglers IV - Rattus Norvegicus


(EMI, 1977)



The Stranglers

No More Heroes


(EMI, 1977)

Die Stranglers werden von denjenigen, die Sparten brauchen, dem Punk zugeordnet - was aber eigentlich falsch ist: Sie waren schon seit `74 aktiv – also bevor Punk aus New York nach England importiert wurde, ihre Musik klingt häufig - wenn man genau hinhört - eher nach progressivem Rock als nach Punk. Ein schmutziger Prog-Rock zugegeben, und wahrscheinlich ist es nur ihre Haltung – der zynische Sexismus den sie zu dieser Zeit nach außen trugen und die bewusste political incorrectness - die sie in den Topf fallen ließ, in dem sie ihren Stil zusammenkochten. Natürlich hatten sie tatsächlich einen reduzierten, dünnen Sound, aber der wird getragen von einem an die Doors erinnernden Hammond-Organ , und die Songs haben eine grimmige und bedrohliche Aggressivität, die zum Bandnamen passt. Heute sind die Kategorien unwichtig geworden. 1977 aber spielten sie mit den anderen Protagonisten eines neuen Sounds bei den selben Konzerten vor dem selben Publikum, und auch wenn Songs wie der Closer des Debut-Albums „Down in the Sewer“ mit mehr als sieben Minuten Länge und diversen Tempowechseln für Punk untypisch ist, oder wenn die Band bei „Princess of the Streets“ das Tempo stark verlangsamt, oder wenn der Opener und etliche andere Stücke nicht vom simplen Grundgerüst Gitarre/Bass/ Drums getragen werden - in seiner Misoygnie und Misanthropie ist Rattus Norvegicus dann doch irgendwie Punk – was auf den Nachfolger No More Heroes noch mehr zutrifft: Hier gaben die Stranglers die zuvor noch eventuell vorhandene Zurückhaltung bezüglich geschmackloser textlicher Aussagen vollends auf. Auf „Dagenham Dave“ wird ohne großes Bedauern vom Selbstmord eines Fans berichtet, „Bring on the Nubiles“ ist offen sexistisch, auf „I Feel Like a Wog“ ätzen sie (immerhin) über Rassismus, kurz: Sie machten ihrem Namen alle Ehre – und die Empörung des Establishments war natürlich mit einkalkuliert. Die Musik dazu wurde aggressiver - und zugleich poppiger. Einige der Stücke waren schon ein paar Monate zuvor für das Debüt aufgenommen worden, hatten da aber – vielleicht eben weil sie „kommerzieller“ waren - keinen Platz gefunden. Nun zeigte die Band, dass sich Wut und Popmusik tatsächlich verbinden lassen. Die Frage, ob sie „Punk“ seien, werden sie sich sowieso nicht gestellt haben, und die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit dürfte sie eher zum Lachen gebracht haben. Dafür bekommt man mit No More Heroes eine Vorstellung von der Art Musik, die nach Punk kommen kann, die dessen Reduziertheit übernimmt aber nicht einfach nur blind und besoffen vor sich hin wütet. 

 The Stranglers - Princess of the Streets

 The Stranglers - I Feel Like a Wog

Suicide

s/t


(Red Star, 1977)

1977 – und mit diesem Jahr das Ende des Punk und der Beginn all dessen, was man Post-Punk nennen wird - mag ein passendes Jahr für das Erscheinen des Debütalbums des Duos Suicide sein, aber tatsächlich wühlte die Musik der beiden New Yorker Extremisten Alan Vega und Martin Rev den Unterdrund schon seit Beginn der Siebziger auf. Sänger Alan Vega fühlte sich inspiriert von Elvis und von den selbstzerstörerischen Shows der Stooges Ende der Sechziger, Instrumentalist Martin Rev bediente zur „Untermalung“ des Gesangs ein schrottiges Hammond Organ mit ein paar Effektgeräten sowie ein simples Rhythmusgerät – und damit bekamen die beiden ein paar Auftritte im Mercer Arts Center. Meist gingen die Shows nach ein paar Minuten in den Buh-Rufen des Publikums unter – aber Rev und Vega fanden das - siehe oben – wohl nicht störend und machten unverdrossen weiter.... mit Publikumsbeschimpfung. Bald traten sie im berühmten CBGB's neben den aufstrebenden Punk-Bands auf, das kleine Label Red Star gab ihnen einen Plattenvertrag und in vier Tagen wurden die jahrelang erprobten Tracks in NY aufgenommen. Der Produzent hatte zuvor mit diversen Reggae-Acts gearbeitet und nutzte seine Erfahrungen mit Dub und Echo dazu, Songs wie „Ghostrider“, „Frankie Teardrop“ oder „Che“ in eine bis dato unbekannte Minimal-Dub-Elektronik mit Gene Vincent Gesangsparts zu übersetzen. Suicide klang wie nichts zuvor – und klingt bis heute wie nichts danach. Bands wie Joy Division, The Jesus an Mary Chain, Ministry oder Nine Inch Nails sind sicher schwer beeinflusst, aber die Musik auf diesem Album ist letztlich unkopierbar geblieben, weil ihre Primitivität nicht gestellt ist, weil das Wissen, dass hier etwas ganz Neues und Unerhörtes entsteht aus allen Tönen zu kriechen scheint. Man stelle sich eine desillusioniertere, von den Geistern des Rock'n'Roll besessene Version der Velvet Underground mit elektronischen Sounds vor – und auch das wird Suicide nicht gerecht... Wie so viele Alben ausserhalb normaler Kategorien ist die Anzahl der namhaften Bewunderer groß (von Springsteen bis Peaches), die derjenigen, die es nie gehört haben aber noch größer. Also...

Suicide - Frankie Teardrop 


Und Was geschah sonst ?


Aber natürlich gibt es nicht nur all die feinen Alben aus der Punk-Ecke – eigentlich ist Punk im Jahr 1977 sowieso schon durch den Sell-Out der Sex Pistols mit ihrer Never Mind the Bollocks Compilation und nach der Veröffentlichung einer ganzen Reihe von LP's implodiert... denn Punk ist eigentlich eine Musik, die sich durch das 7'' Format definiert. Zu dieser Zeit gibt es noch klare Positionen unter Musikinteressierten – man hört entweder Punk - oder andere Musik wie die von Pink Floyd und Yes... oder Queen oder das Electric Light Orchestra oder Fleetwood Mac... (deren Rumours eigentlich auch hier hin gehören könnte) oder man hört sogar Meat Loaf oder Disco (Donna Summer – aber die definiert sich auch durch ihre Singles) oder Boney M undsoweiter. Und es gibt Musik am Rande aller Stile, die fatastisch ist (dafür steht hier Suicide, aber da gibt auch Throbbing Gristle z.B....). Und auch etliche schon länger etablierte Künstler entwickeln  mehr oder weniger unberührt vom aktuellen Trend ihre Musik. So gibt es 1977 neben den Longplayern des Punk auch so wunderbare Alben wie :..

Pink Floyd

Animals


(EMI, 1977)

Als Animals 1977 erschien, waren seit dem mega- erfolgreichen Vorgänger Wish You Were Here nicht einfach nur zwei Jahre vergangen: Es hatte der erwähnte Umbruch in der populären Musik stattgefunden. Punk hatte wieder daran erinnert, dass Rock'n'Roll wild, revolutionär, simpel sein konnte, und damit weit mehr Kraft transportieren, weit mehr Spaß machen konnte als vergeistigte Hippie-Musik oder komplexe Instrumental-Epen von hoch über den Massen schwebenden Superstars. Und Superstars waren die vier Musiker von Pink Floyd inzwischen, dazu auch noch solche, die aus der Hippie-Tradition stammten, deren Musik im Vergleich zum Punk weit weniger unmittelbar erschien. Aber Pink Floyd hatten ja Roger Waters – auch damals schon der ewige Zweifler, derjenige, den der Status als Superstar eher mit Unwillen und Abscheu erfüllte. Und er war der unangefochtene Kopf der Band – zumindest war er der Kopf hinter der Entscheidung ein finsteres und für Pink Floyd regelrecht spartanisches Album wie Animals zu machen. Ein Album, das sich offen an George Orwell's dystopische Fabel Animal Farm anlehnt, diese aber nicht nur einfach in musikalische Form gießt, sondern deren Elemente für eigene Gesellschaftskritik nutzt. Hier sind die „Pigs“ die heuchlerischen Moralaposteln, die „Dogs“ die Ausbeuter und die „Sheep“ die breite Masse, die unter beiden zu leiden hat. Und so einfach wie dieses System ist das musikalische Prinzip. Auch Animals hat ein melodisches Thema, das sich durch das ganze Album zieht, das nicht so sehr von Synthesizern getragen wird, als vielmehr von David Gilmour's Gitarrensounds. Die musikalische Stimmung ist düster und spartanisch – heute würde man sagen Pink Floyd klingen, als wollten sie Post-Punk spielen - es gibt drei den jeweiligen Tieren zugeordnete Stücke voller für Pink Floyd typischer Effekte und Sounds (z.B. Vocoder-Sounds mit der Gitarre) und ein kurzes akustisches Intro und Outro. Animals enthielt keine Hits, es ist ein unbequemes Album, eines das für alte Hippies erschreckend nihilistisch klingt  und es galt den Fans der Band seinerzeit als Rückschritt im Vergleich zu den Vorgängern. Das wird heute anders bewertet, Animals ist zwar düsterer als die „Hit-Alben“ der Band, aber es ist überraschend zeitlos geblieben – sogar besser geworden. Die Musiker spielten es auf der darauffolgenden Tour – und dann nie mehr, denn danach kam The Wall und dann der Zusammenbruch der Band. 

Pink Floyd - Pigs 

John Martyn

One World


(Island, 1977)

Ob John Martyn Punk mitbekommen hat ? Da bin ich mir sicher – und ich kann mir sogar vorstellen, dass er für die Rückkehr zu den Ursprüngen des Rock'n'Roll Sympathien hatte. Aber mit ihm und seiner Musik hatte das eher wenig zu tun. Er ging seinen eigenen Weg – kam vom Folk, integrierte Jazz und hatte in den Jahren vor One World daraus seine völlig eigene Stimme entwickelt. Nach Sunday's Child ('75) ging er erst einmal nicht mehr ins Studio und stoppte auch noch das Touren - er war ausgebrannt und wollte Distanz zum Musik-Business und seinen Verpflichtungen. So ging er auf Anraten seines Label-Bosses Chris Blackwell nach Jamaika, um dort frische Energie zu tanken, und ein paar dieser „Reggae-Musiker“ kennenzulernen. Dass er mit Lee „Scratch“ Perry hervorragend klar kam, ist kaum verwunderlich – seine Gitarrensounds waren schon früh durch Echo-Geräte gewandert, die tiefen Rhythmen der jamaikanischen Musik dürften ihm gefallen haben – also nahm er an diversen Sessions teil, und nahm dann im Sommer '77 in England ein neues Album in Angriff. Und auf One World sind die Dub-Einflüsse deutlich zu hören - Da ist das mit Lee Perry geschrieben „Big Muff“, und das betäubende „Small Hours“ und natürlich der Titeltrack. Aber Martyn war sich durchaus noch seiner Folk-Einflüsse bewusst. Erstaunlicherweise paarte er die auf diesem Album mit regelrecht poppigem Songwriting. Songs wie „Couldn't Love You More," "Smiling Stranger", oder "Certain Surprise“ verbinden all seine Einflüsse und die neu gefundene Freude an Soundexperimenten mit regelrechter Melodieseligkeit. Man merkt bei One World, dass Chris Blackwell voll hinter Martyn's neuen Ideen stand. Der produzierte das Album und dazu kam ein Cast von ganz famosen Begleitern – Danny Thompson und Dave Pegg aus dem Folk-Umfeld, aber auch Steve Winwood und Morris Pert und Bassist Hansford Rowe. Und aus Jamaika hatte er den Trombonisten Rico Rodriguez mitgebracht, der das elegante „Certain Surprise“ mit einem Solo verfeinerte. One World ist völlig entspannt, bietet erstaunliche und organische Sound-Experimente mit Martyn's besten Songs zusammen. Es ist für mich sein bestes Album. Und auch bei ihm gilt – das will was heißen.

John Martyn - Couldn't Love You More 

Dennis Wilson

Pacific Ocean Blue


(Caribou, 1977)

In der Story der Beach Boys ist der zweite Wilson-Bruder Dennis eine vielleicht noch tragischere Figur als Brian – der ja immerhin noch lebendig ist. Dennis war der Schöne, der Coole, der Surfer (der Einzige nebenbei...), er hatte sich an den Drum-Stuhl gesetzt, weil kein anderes Instrument mehr frei war (und wurde im Studio in der Regel von Session Cracks ersetzt) und hatte die raue, gebrochene Stimme im Vokal-Verbund . In den Siebzigern, als die Beach Boys aus den Charts verschwanden und höchstens noch als Erinnerung lebten, war er auf Droge und hatte eine dubiose Beziehung zu Charles Manson und seiner mörderischen Family. Aber er entpuppte sich in dieser Phase, in der Mastermind Brian nur noch selten pässlich war, als veritabler Komponist. Insbesondere zum späten Klassiker Sunflower trug er einige wundervolle Songs bei, aber dass er ein komplettes Solo-Album zustande bringen würde war dann doch überraschend. Mit Hilfe etlicher Musiker aus dem Umfeld der Beach Boys-Tour Band packte der ungeschulte Musiker einige seiner besten Songs auf dem ersten Solo-Album eines Beach Boys zusammen – und überraschte Alle mit der Qualität und vor Allem Atmosphäre seiner Songs. Mag sein, dass Wilson's tragische Geschichte – er ertrank 1983 mit Alkohol und Drogen im Blut - den Blick auf Pacific Ocean Blue verklärt, aber Songs wie der „River Song“, „Moonshine“ oder „Rainbows“ sind Soft-Rock mit einer Tiefe, mit einer glühenden spätsommerlichen Atmosphäre, die einzigartig ist. Pacific Ocean Blue könnte nicht von den Beach Boys sein, die Befürchtung, dass er mit seinen Songs für die Boys sein Pulver verschossen hatte, war unbegründet. Dennis Wilsons Stimme ist völlig eigen, das Album ist nicht experimentell oder gar avantgardistisch, es ist das Album eines Musikers, der nichts beweisen will – oder gar muss – der seine Stimme als Komponist gerade gefunden hat, der zumindest insofern in sich ruht, als er genau das macht, was er gerade tun will. Es ist genau so, wie man es von dem Gesicht auf dem Cover erwartet. Danach wollte er noch ein zweites Album titels Bambu machen, aber die Drogen ließen seine Karriere immer mehr absaufen. Inzwischen gibt es die Doppel CD mit Pacific Ocean Blue + den Bambu-Sessions in sommerlicher Perfektion. 

Dennis Wilson - Moonshine 

Kraftwerk

Trans-Europa Express


(Kling Klang, 1977)



Über die Musik in diesem Jahre zu reden, ohne Kraftwerk zu erwähnen, wäre ein sträfliches Versäumnis. Natürlich hatten sie mit Punk nichts zu tun: Zum Einen war Trans-Europa Express schon ihr sechstes Studioalbum, zum Anderen kamen sie aus einer ganz anderen musikalischen Ecke, war ihre Musik konzeptuell, konstruiert und zu dieser Zeit auch in höchstem Maße experimentell. Der Einfluss der Düsseldorfer allerdings auf David Bowie (siehe unten), auf New Wave (= Post-Punk), auf die Musik der kommenden Jahre bis heute, kann nicht überschätzt werden. Sie hatten mit dem 74er Album Autobahn und dann mit dem rein elektronischen Übergangsalbum Radio-Aktivität (1976) schon Alles vorbereitet, was sie auf diesem - ihrem zugänglichsten und archetypischsten Album - nun ausformulierten. Die vielleicht noch an „Krautrock“ gemahnende monotone Rhythmik, einfache Synthesizer-Melodien, die wie Werbeslogans im Ohr haften bleiben, nüchterne, manchmal verfremdete und ebenso sloganhafte Vocals, die eine futuristische Kälte vermitteln, die dennoch nie feindselig wirkt. Es ist der Sound einer Metropole, die vor technischem Leben summt. Fenster von Wolkenkratzern leuchten blau, Straßenlichter funkeln, Menschen und Maschinen leben in friedlicher Gleichförmigkeit. Noch lassen die Songs die Tanzbarkeit kommender Alben vermissen, dafür ist der „Song“ hier noch wichtiger. „Spiegelsaal“, „Schaufensterpuppen“, „Europa Endlos“ als Fortsetzung von „Autobahn“, Alles elektronische Musik, die bis heute visionär und zugleich perfekter Pop bleibt.

Kraftwerk - Eurpopa Endlos 




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