Donnerstag, 15. September 2016

1960 - John F. Kennedy und Psycho und Lukas der Lokomotivführer - von Elvis bis Hank Mobley

In den USA gewinnt John F. Kennedy die Präsidentschaftswahlt – mit ihm als Hoffnungsträger einer jungen Generation beginnt eine etwas „demokratischere“ Phase in der Geschichte des Landes. So kommt es in diesem Jahr zum Beispiel zum ersten Protest – einem Sit-In – von schwarzen Amerikanern gegen Diskriminierung. Die Anti-Baby Pille kommt in den USA auf den Markt und ist direkt ein Renner – zum Entsetzen der konservativen Kräfte in den USA. In Afrika werden 18 (!) ehemalige Kolonien in die Unabhängigkeit entlassen. Die OPEC (Organisation Erdölproduzierender Länder) wird gegründet. Als erste Lebewesen werden die Hunde „Belka“ und „Strelka“ von den Sowjets in den Weltraum geschossen. Hitchcocks „Psycho“ kommt in die Kinos und Michael Ende's Lukas der Lokomotivführer kommt in die Buchläden. Bei einem Erdbeben in Marokko kommen bis zu 15.000 Menschen ums Leben. 1960 ist das Geburtsjahr von Michael Stipe (R.E.M.) und Paul David Hewson – auch bekannt als Bono (U2). Bei einer Tour in England stirbt Eddie Cochran und Gene Vincent wird schwer verletzt. In St. Pauli tritt eine junge Band namens The Beatles auf. Elvis Presley hat derweil seine Militärzeit beendet und kehrt in ein Amerika zurück, in dem Rock'n'Roll von „leichteren“ Musikern wie Bobby Darin und den Everly Brothers weich gespült wird. In England gibt es derweil mit Cliff Richard und Billy Fury ein paar recht selbstbewusste Kopisten. Die wirklich gute (= abenteuerliche) Musik kommt aus dem Blues und – wie schon länger – dem Bereich des Jazz. Hier geht’s immer mehr Richtung „Avantgarde“, während etliche der alten Bluemusiker nun auf Longplayern reüssieren. 1960 ist auch ein recht gutes Jahr für Country-Freunde, mit tollen Alben von Johnny Cash und George Jones. Auch schwarze Musik ausserhalb der Jazz-Grenzen wie die von Ray Charles hat einen überraschenden Crossover Erfolg und mit James Brown erscheint ein weiterer Begründer des Soul auf der Szene. Alle in Allem ist zwar einiges Los, aber wie sehr sich die Musikwelt – gemeinsam mit der Gesellschaft - in den Sechzigern verändern wird, ist noch nicht absehbar. In den Charts der damaligen Zeit prominent, mir aber aus persönlichen Geschmacksgründen zu unwichtig erscheinen: Bobby Vee, Connie Francis, Paul Anka (immer noch) und vor Allem – Lolita mit ihrem dollen Hit „Seemann, deine Heimat ist das Meer“. Als hätte es dieser Information bedurft.

Elvis Presley

Elvis Is Back


(RCA, 1960)

Ich zitiere hier das Review von W. Doebeling für den Rolling Stone – der als erstes John Lennon zitiert...: “Elvis starb nicht erst jetzt, sondern schon als er zur Army ging”, sagte John Lennon 1977. Ein flott formuliertes Verdikt, das politisch und moralisch Sinn machen mag, im Hinblick auf den musikalischen Output des King allerdings lachhaft ist - auch wenn Rock'n'Roll hiernach zumindest in den USA arg zu schwächeln begann. Der Erwartungsdruck auf Elvis bei seiner Rückkunft aus Deutschland war enorm. Die globale Fangemeinde begehrte zu wissen: war Elvis' Spirit bei Uncle Sam auf der Strecke geblieben, zusammen mit seiner Tolle? Die Antwort fiel unzweideutig aus. Elvis Is Back kickstartete die neue Dekade, war zugleich Warnung und Wiedergeburt. Von Chet Atkins penibel produziert und dennoch von ungestümer Vitalität, singt Elvis mit einer Hingabe, als wäre er nie weg gewesen. Scotty Moore spielt ökonomisch auf den Punkt, und die Songs holt Elvis sich von bewährten Kräften wie Otis Blackwell und Jerry Leiber & Mike Stoller. Ein wahrhaftig brilliantes Album, das mit „Fever“ einen jener Songs beinhaltet, die auf immer mit Elvis verbunden werden sollten und mit „Reconsider Baby“ einen der großen – eher unbekannteren Songs. Dazu komen auf den Re-Issues noch Songs wie „Are You Lonesome Tonight“, ebenfalls bei den Sessions zu Elvis Is Back entstanden. Auch wenn das Ergebnis manchen Fundamentalisten zu glattgebügelt war. Damals galt: back with a bang – zumindest bis Elvis sich dann völlig den Wünschen seines Managers fügte, und seine Karriere (musikalisch allerdings mit einigen glorreichen Ausnahmen) im Film- und Las Vegas Unterhaltungs-Business versanden ließ.

Eddie Cochran

12 of His Biggest Hits


(Liberty, 1960)

Während Elvis' Auszeit bei der Army war der Rock'n'Roll in den USA ins Hintertreffen geraten, und die anderen Protagonisten waren entweder gestorben (Buddy Holly, Richie Valens), oder hatten ein neues, begeisterteres Püblikum in Britannien gefunden. Aber auch dort sollte das Schiksal zuschlagen: Eddie Cochran war auf der gemeinsamen England-Tour mit Gene Vincent im Frühjahr dieses Jahres bei einem Autounfall umgekommen. Was für ein Verlust das für die Musik war, wurde allerdings erst später bewußt wahrgenommen. Tatsache ist, dass die Wertschätzung für Cochrane's Musik immer noch weit hinter ihrer Bedeutung liegt. Zu Lebzeiten hatte er es nur auf ein paar – allerdings recht erfolgreiche – Singles gebracht. Songs, die später einen gewaltigen Bekanntheitsgrad erreichten, und die posthum auf diversen Compiltions immer wieder aufs Neue versammelt wurden. Songs wie „Summertime Blues“ oder „C'mon Everybody“, wurden später von The Who, Blue Cheer und Anderen immer wieder gecovert. Die wenige Monate nach seinem Tod zusammengestellte Compilation 12 of His Biggest Hits zeigt einen Musiker, der als Komponist seiner eigenen Songs glänzte, einen hervorragenden Gitarristen und Sänger, der die damalige Studiotechnik – er arbeitete hier schon mit Overdubs - kreativ nutzte. Ein fantastischer Musiker, der mit gerade mal 21 Jahren viel zu früh gestorben war

Cliff Richard

Me & My Shadows


(Columbia, 1960)

Und noch einmal zitiere ich W. Doebeling... Wie gerade gesagt: In England war mit einer gewissen Verspätung auch die Seuche namens Rock'n'Roll ausgebrochen, und ein paar junge Musiker hatten auf mehr oder weniger authentische Weise begonnen, ihren Vorbildern aus den USA nachzueifern. Erster – und am erfolgreichsten damit - war damals (das mag heute unglaublich erscheinen...) ein gewisser Cliff Richard mit seiner Band, den Drifters. Ursprünglich ein juveniles Abziehbild des rock‘n‘rollenden Elvis bis hin zu Koteletten und frenetischem Hüftwackeln, pendelte der in den Jahren 1960 bis 1963 beständig zwischen seinem Teenie-Boy Credo der Fifties und jenem harmlosen Teen-Idol-Appeal, der sich später so mühelos in fades, fadenscheiniges Family-Entertainment verwandeln sollte. Zu Beginn des neuen Jahrzehnts ließ man ihn noch einmal ganz nach eigenem Gusto agieren, nur begleitet von seiner gerade in The Shadows umgetauften Backing Band (Die US-Drifters hatten sich beschwert), und frei von Norrie Paramors oft syrupartigen Streicher-Arrangements. Fünf Jahre später würde Richards beginnen zu frömmeln, acht Jahre später macht er sich beim Eurovision Song Contest zum Affen, 36 Jahre später wurde er von der Queen geadelt, aber 1960 hat er die besten Songs und die beste Band diesseits des Atlantik. Und die perfekte Stimme für Popmusik, denn nichts anderes ist Me And My Shadows: furioser, knalliger, protobritischer Twang-Pop, der lediglich vom weiter unten reviewten Billy Fury noch getoppt werden sollte... ein Album mit einem überragenden Cliff Richard, der aner hiernach - wie gesagt - keinerlei Bedeutung mehr hatte.

Roy Orbison

Lonely And Blue


(Monument , 1960)

Roy Orbison begann seine Karrierev zusammen mit Elvis Presley, Johnny Cash, Jerry Lee Lewis und Carl Perkins bei Sun, hatte dort ein paar kleinere Hits und wechselte dann - ähnlich wie Elvis – zunächst zu RCA, wo er allerdings nur eine einzige Single veröffentlichte. Dann aber kam er zum Monument-Label - und betonierte dort seinen Stil, sein Image und damit seinen Erfolg. Er kam eigentlich auch aus der Country/Rockabilly Tradition, aber als er bei Monument ankam, drehte er seinen Stil Richtung Pop – wobei es immer seine einzigartige Stimme bleiben würde, die ihn von seinen Zeitgenossen – ja von allen anderen Musikern unterscheiden sollte. Klar, kraftvoll, und mit einer überraschenden Range, war sie für bombastischen Pop wie gemacht, hätte bei schnödem Rock'n'Roll vielleicht sogar fehl am Platze gewirkt – und konnte Tragik und Tiefe so gut transportieren, dass es irgendwie immer logisch erschien, dass sein Leben voller Kalamitäten verlaufen sollte. 1960 freilich waren diese noch nicht abzusehen. Lonely and Blue war sein erstes komplettes Album, beinhaltet die übliche Zusammenstellung von Hits und Coverversionen der angesagten Songs der Saison – mal mehr, mal weniger gelungen. Orbison ist ein Singles-Künstler – ganz klar – aber die LP's aus dieser Zeit haben einen eigenen Charme – auch und gerade wegen der „schlechteren“ Songs – und hier sind natürlich auch Perlen wie sein erster großer Hit, „Only the Lonely“, eine frühere, weniger erfolgreiche, aber nicht minder berührende Single titels „I'm Hurtin'“ und Songs wie „Blue Angel“, Blue Avenue“ und „Cry“.... da ist in den Titeln ja schon alles gesagt. Tragik, Dramatik, dazu Orbisons Outfit in schwarz, mit schwarzer Sonnenbrille und schwarzem Haar – es gibt dezentere Images, aber es gibt auch schlechtere – und in den USA war Heino unbekannt. Lonely and Blue und die beiden nachfolgenden Alben gehören in den Kanon der Popmusik, aber wer sich dafür nicht interessiert, kann sich ja an einer der unendlich vielen Singles-Compilations delektieren.

Muddy Waters

Sings Big Bill Broonzy


(Chess, 1960)



Muddy Waters

Muddy Waters At Newport


(Chess, 1960)

Mit dem Aufkommen des Longplayers begann für die alten Bluesmusiker Ende der Fünfziger eine neue Zeit. Muddy Waters hatte in den End-Vierzigern und Fünfzigern mit seinem rohen, elektrifizierten Chicago Blues etliche Single-Hits gehabt, hatte 1957 mit seinem ersten Longplayer – einer Compilation dieser Hits (Später auch als Sail On veröffentlicht) - das LP-Format für sich entdeckt und dankte nun auf seinem ersten regulären Album seinem Mentor Big Bill Broonzy dafür, dass der ihn in die Blues-Szene Chicagos eingeführt hatte. Der 1958 verstorbene Broonzy war einer der Überlebenden der ersten Generation von Blues Musikern gewesen - er war - 1893 geboren - Zeitgenosse von Robert Johnson und Son House – und seine Songs aus dem Ende der 20er bis in die 30er Jahre waren tief im Country Blues verwurzelt – akustisch eingespielt und eher sanft klingend. Muddy Waters hat Broonzy gewiss respektiert, aber er drückte den Songs auf ... Sings Big Bill Broonzy nichtsdestotrotz seinen stilistischen Stempel auf und machte sie sich damit zu eigen. Zwar spielt er hier und da akustische Gitarre, aber der Sound ist dennoch elektrisch, urban – eben seine Art von Chicago Blues. Etwas, das den meisten Stücken durchaus auch gut zu Gesicht steht. Zu der Schnelligkeit und dem urbanen Sound trägt neben Waters' virilem Gesang vor Allem die virtuose Harp von James Cotton bei. Man höre nur „Moppers Blues“ oder den eigentlich vom weissen Banjo Virtuosen Bill Monroe geschriebenen „Lonesome Road Blues“. Songs, denen das moderne Gewand hervorragend steht, die eben weil sie gute Songs sind – zeitlos bleiben. Weitere Highlights solltest du selber herausfinden, ich empfehle etwa „Southbound Train“, „When I Get to Thinking“ und das flotte „Hey, Hey“. Im selben Jahr noch wurde Waters zum Newport Jazz Festival eingeladen und nutzte mit der Aufnahme der Live-LP Muddy Waters at Newport die Gelegenheit, ein junges, weißes Publikum auf seine Musik aufmerksam zu machen. Der Blues galt Ende der Fünfziger in der schwarzen Community als altmodische Musik, was so manchen Veteranen in den letzten Jahren dazu gebracht hatte, im fernen Europa sein Glück zu suchen. Auch Muddy Waters hatte in Europa vor einem jungen Publikum gespielt – hier in Newport konnte er nun auch vor jungen weissen Amerikanern spielen – und er nutzte seine Chance. Am Vortag war es beim Auftritt Ray Charles' zu Tumulten gekommen, die Polizei hätte den Rest des Festivals beinahe abgebrochen, aber der Veranstalter berief sich auf die Absicht, der Welt den Blues zu präsentieren, und Waters ließ es zum Abschluss des Festivals noch mal so richtig Krachen. Die Band um Waters, mit seinem Halbbruder Otis Spann am Bar-Piano und mit einem hochmotivierten James Cotton an der Harmonika spielt sich durchHits wie „I Got My Brand on You“, „I've Got My Mojo Workin“ oder „(I'm Your) Hoochie Cootchie Man“ und gerät vor Begeisterung fast außer sich. Waters spielt kaum Gitarre, ist dafür aber als Sänger immens präsent und machte mit ...at Newport wohl eines der wichtigsten Alben, die den Blues ins neue Jahrzehnt überführten.

John Coltrane

Giant Steps


(Atlantic, Rec. 1959, Rel. 1960)

Im Mai 1959 aufgenommen und erst im Januar '60 der staunenden Musikwelt präsentiert, enthält Giant Steps einige der großartigsten Aufnahmen des genialen Saxophonisten, bevor der sich bald komplett den freien und spirituellen Seiten des Jazz zuwandte . An Tranes Seite sorgte Hard-Bop erprobtes Personal wie Bassist Paul Chambers und Schlagzeuger Jimmy Cobb mal für einen Blues-gefärbten Grundton - oder, je nach Temperament des erstmals exklusiv von Coltrane komponierten Materials - für sanften Swing, der lyrische Soli erlaubt. So auf dem bezaubernden „Naima“, der balladesken Ode an 'Tranes Ehefrau, die nicht nur atmosphärisch mit „Freddie Freeloader“ verwandt zu sein scheint, den man von Miles Davis 59er Meister-werk Kind Of Blue kennt. Kein Wunder, denn das Quartett, hier mit dem jungen Wynton Kelly am Klavier, spielte bei beiden Sessions. Ein geradezu beängstigendes Tempo legt hingegen der Titeltrack vor, während Trane improvisatorische Skalen erprobt, wild entschlossen wie selten. Hier ist eine der Wasserscheiden zwischen traditionellem Jazz, und dem Jazz, der im Free Jazz münden sollte. Coltrane machte mit Giant Steps das Solo zum zentralen Element seiner Musik und erschuf erstmals seine „Sheets of Sound“ (Klangfächen). Aber all die Theorien von Entwicklungen vom Be Bop über den Hard Bop zum Free Jazz und weiter sollten beim Hören solcher Stücke wie dem seiner Stieftochter gewidmeten „Syeeda's Song Flute“ keine Rolle spielen. Die Qualität in Coltranes Musik liegt hier – wie so oft in den kommenden Jahren – in der offensichtlichen Inspiration, mit der er musizierte. Das hier mag Jazz sein, aber es ist vor Allem Musik, die voller Begeisterung versucht, Grenzen zu überschreiten. Das ist für mich ihr Reiz.

Charles Mingus

Blues & Roots


(Atlantic, Rel. 1960)

Wie Charlie Mingus es in den Liner Notes beschreibt: Atlantic Boss Ahmet Ertegun hatte ihm ein paar Jahre zuvor vorgeschlagen, mal ein ganzes Album mit Bluesmusik aufzunehmen. Und dann hatten ihm Kritiker auch noch vorgeworfen, sein Musik „swinge“ nicht, sei zu intellektuell. Dieses „ZU“ war natürlich Quatsch, seinerzeit waren Kritiker allerdings insbesondere im Jazz-Bereich äußerst konservativ und Mingus war nun mal das Gegenteil davon. Aber der Exzentriker war wohl milder Stimmung, und beschloss tatsächlich, die Wurzeln seiner Musik zu untersuchen. Er holte sich ein großes Ensemble zusammen, namhaften Leuten wie Jackie McLean und Brooker Ervin, mit vier Saxophonen, zwei Posaunen, Klavier, Bass und Schlagzeug um ein Album mit dem programmatischen Titel Blues & Roots aufzunehmen. Natürlich ist auch auf seinem „traditionellen“ Album seine moderne Auffassung von Jazz erkennbar: Die Musik ist komplex, die Unisono-Passagen kontrolliert, aber – das ist eben auch typisch für Mingus – jeder bekommt seinen Freiraum. Die Aufnahmesessions sollen Berichten zufolge chaotisch gewesen sein - was vermutlich sogar gewollt gewesen ist, sogar zum Programm gehört haben wird. Schon beim ersten Song, dem „Wednesday Night Prayer Meeting“ ließ er Gospel anklingen, wobei die Blasinstrumente die Gesangssoli übernahmen und die Musiker sich mit Zwischenrufen und Klatschen antreiben. Der „Cryin Blues“ klingt so wie er heißt, „Moanin'“ setzt ein klassisches Grundgerüst unter beseelte Soli, „My Jelly Roll Soul“ trägt einen der alten Jazzmusiker im Namen. Das Ganze wird mit erfreulichem Spaß und voller Inspiration gespielt. Der Titel Blues & Roots mag nach Althergebrachtem klingen, aber der Name Charlie Mingus steht nicht umsonst und somit auch hier für Spannung. Es ist Mingus' souligstes Album und ein wirklich gutes. 

 

Miles Davis

Sketches Of Spain


(CBS, 1960)



 

Miles Davis hatte schon zweimal mit Arrangeur Gil Evans + Orchester zusammengearbeitet – erfolgreich, sowohl kommerziell als auch künstlerisch (Auf Miles Ahead und Porgy & Bess), nun nahm er sich mit Evans zusammen der spanischen Volksmusik an – er war wohl bei den Aufnahmen zum Stück „Flamenco Sketches“ von Kind of Blue auf den Geschmack gekommen. Dass Miles Davis ein Jahrhundertmusiker ist, dessen besonderer Ton auch hier durch Alles hindurch schimmert, darf nicht von der Leistung Gil Evans' ablenken. Sketches of Spain ist recht eigentlich ein Evans-Album mit besonderer Betonung auf das Spiel des Trompeters Davis'. Da ist natürlich das über 16-minütige wunderschöne „Concierto de Aranjuez“ bei dem Orchester und die Begleitmusiker (u.a. Paul Chambers am Bass) Schicht für Schicht auf Joaquín Rodrigo's Komposition mit diesen so typischen hispanischen Melodie-Motiven aufbauen und über dem Miles Davis Trompete zu schweben scheint. Er hält die Musik zusammen und gibt ihr seinen charakteristischen Ton. Improvisation ist hier allerdings nicht das Ziel. Das klassische Stück, das Davis zuvor bei einem Freund gehört hatte, wird nur sehr dezent in den Jazz überführt. Da sind drei Kompositionen von Gil Evans, das völlig spanische „The Pan Piper“ sowie das Song-Duo „Saeta“ mit einem ziemlich tollen Trompeten-Solo Davis' und „Solea“, gekonnte Fingerübungen in Stimmung und Arrangement und natürlich auch das Ballett-Stück „Will o' the Wisp“ von Manuel De Falla. Miles Davis war zu dieser Zeit einfach auf der Höhe seines Könnens, egal was er machte, es gelang ihm - und es fand auch sein Publikum – Sketches of Spain ist ein völlig anderes Album als das so erfolgreiche Kind of Blue – Und auf die Aussage etlicher abgehalfterter Jazz-Professoren, dass Sketches of Spain für sie doch gar kein Jazz ist, kann man trefflich mit Davis' eigenem Kommentar antworten: „Es ist Musik, und ich mag es...“

Ornette Coleman

Change of the Century


(Atlantic, Rec. 1959, Rel. 1960)

Ornette Coleman hatte auf jeden Fall ein Händchen für selbstbewusste Albumtitel: The Shape of Jazz to Come, Something Else !!!, oder eben Change of the Century: Coleman wusste, dass das, was er hier machte wirklich neu war und den Jazz der kommenden Jahre (mit)formen würde. Leider würde er die Musik aus der Zeit zwischen 58 und 62 wohl nie übertreffen – auch wenn er später manchmal an sie heranreichte – der innovative Impetus bei seiner Erfindung des Free Jazz ist mitreißend, und die hier aufgenommene Session für Atlantic (...die übrigens schon im Vorjahr stattgefunden hatte) halten das sehr gut fest. Im Gegensatz zu den anderen Protagonisten des Jazz dieser Zeit bestand Coleman auch auf einen guten Song: So hat diese Album mit „Rambiln'“ und „Bird Food“ Tunes, die regelrecht Hitpotential haben. Er wechselt sich mit dem Trompeter Don Cherry bei den Soli ab, Charlie Haden und Billy Higgins wandern rhythmisch auf der vorgelegten Straße, während Saxophon und Pocket Trompete die Wege manchmal tatsächlich Richtung Free Jazz verlassen, und all dem ist eine überraschende Fröhlichkeit unterlegt. Coleman war eigentlich nie der Typ „ernsthafter, düsterer“ Künstler, er hatte Spaß beim Spielen und Spaß am Wagnis. Grundlagen für die Erfindung des Free Jazz...

Hank Mobley

Soul Station


(Blue Note, 1960)

Uns nun zur etwas weniger "abenteuerlustigen" Fraktion: Hank Mobley ist einer der unbesungenen Helden des Bop, also des Stils, der zur Hoch- Zeit des Jazz (Ende der 50er Anfang der 60er) die Grundlage für die weiteren Entwicklungen – und etliche fantastische Platten – bildete. Ein Kritiker nannte ihn ganz treffend mal den „Middle-weight-Champion of the tenor saxophone“. Mobley klang nie so „lush“ wie etwa der ebenfalls technisch enorm versierte Stan Getz, war aber auch nicht so abenteuerlustig, klang nie so aggressiv und intensiv wie Coltrane oder gar Coleman – Aber er spielte in deren Klasse. So sind es die beiden in diesem Jahr aufgenommenen Alben Soul Station und das dann erst 1961 veröffentlichte Roll Call, die ihn auf seiner Höhe als Solo-Artisten sahen. Er hatte mit seinem ehemaligen Messengers-Boss Art Blakey (dr) und seinen zukünftigen Kollegen bei Miles Davis – (Wynton Kelly (p) und Paul Chambers (b) kongeniales Personal bei den Sessions dabei, spielte auf Irving Berlin's „Tomorrow“ noch etwas zurückhaltend und „Fünfziger“-mäßig, aber bei den folgenden Titeln – vier Eigenkompositionen von Mobley - spielen die Musiker immer eleganter umeinander. Soul Station ist somit sozusagen das Ideal-Album des Hard Bop, selten hört man so ein elegantes und melodisch reiches Saxophon, selten kommunizieren die Begleitmusiker so mühelos miteinander. Als Sideman bei Miles Davis war er für die lyrischeren Töne zuständig, und das kann man verstehen, wenn man dieses Album hört. Das zweite Stück „This I Dig of You“ ist rasant und immens abwechslungsreich und „Split Feelin's“ weist schon in Richtung Post-Bop. Mobley mag wie gesagt kein Innovator sein – der Grund für seinen vergleichsweise geringen Bekanntheitsgrad – aber er war einer der besten Saxophonisten dieser Zeit, und Soul Station jedenfalls ist sein Meisterstück und eines der schönsten Alben auf dem Blue Note Label.












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