Mittwoch, 14. Februar 2018

1963 - "I Have a Dream..." und Kennedy wird ermordet - Bob Dylan bis Roy Orbison

'63 ist das Jahr, in dem der US Präsident John F. Kennedy ermordet wird, somit eines, in dem sich die Hoffnungen vieler junger und/oder schwarzer Amerikaner auf eine bessere Welt zerschlagen. Er hatte fünf Monate zuvor Berlin besucht, und er stand nicht nur in Deutschland für eine hoffnungsvolle Zukunft. Kennedy's Mörder Lee Harvey Oswald wird noch im selben Jahr vor laufenden Kameras ermordet – was zu etlichen Verschwörungstheorien führen wird. Der schwarze Bürgerrechtler Martin Luther King hält drei Monate zuvor seine „I Have a Dream...“ Rede. Währenddessen sind die Proteste gegen die Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung im konservativen Amerika und insbesondere in Alabama heftig und blutig und werden auch insbesondere dort von einer großen weissen Mehrheit unterstützt. Gleichzeitig befinden sich die USA und die UdSSR im Wettlauf um die Eroberung des Weltalls, der Amerikaner John Glenn ist der zweite Mensch im Weltall – nach Juri Gagarin aus der UdSSR. Es werden Verträge zum Verbot von Atomtests in der Atmosphäre, Unterwasser und im - siehe da ! - Weltall unterzeichnet. In Japan läuft der erste Anime – Astro Boy - im Fernsehen, Die Vögel von Alfred Hitchcock kommt ins Kino. Die Country-Sängerin Patsy Cline stirbt, ebenso die Französische Chanson-Sängerin Edith Piaf. Es ist das Geburtsjahr von Jarvis Cocker und Johnny Marr (The Smiths). 1963 ist das Jahr in dem die Beatles ihre ersten LP's veröffentlichen und eine ganz neue Art der Teenager-Verrücktheit auslösen. Junge Mädchen kreischen und fallen in Ohnmacht, wenn sie ihre Idole sehen und man nennt das Beatlemania. Bob Dylan veröffentlicht sein erstes wirklich autarkes Album, Sam Cooke landet in den Südstaaten der USA im Gefängnis und schreibt das prophetische - und wunderschöne - „A Change Is Gonna Come“. Ansonsten ist es ein weiteres gutes Jahr für Jazzliebhaber, das Blue Note und das Impulse! Label bereichern weiterhin die Musik. Im Trend ist der instrumentale Surf-Sound, den die Beach Boys mit perfektem Satzgesang anreichern. Country, Motown, Folk, in all diesen Stilrichtungen kann man wieder gute Musik finden – in Fortentwicklung zum Stoff aus dem Vorjahr. Eine musikalische wie politisch/ gesellschaftliche Revolution kündigt sich an, aber noch hat sie nicht begonnen.

Bob Dylan


The Freewheelin' Bob Dylan

(CBS, 1963)

Das Cover des zweiten Dylan Albums ist ja schon mal genauso zur Ikone geworden, wie das Cover des zweiten Beatles Albums (siehe unten). Aber wenn das Alles wäre, wäre The Freewheelin' Bob Dylan letztlich doch in Vergessenheit geraten. Dieses Album ist auch der „echte“ Beginn von Dylan's Karriere und damit auch einer der Startpunkte der „Rockmusik“ an sich. Natürlich war das Debüt-Album vom Vorjahr unterhaltsam gewesen, aber The Freewheelin' .... ist in Hinsicht Songwriting, Texte und Attitüde ein Quantensprung. Dylan war jung, cool (siehe Cover) und er hatte formidable und vor Allem eigene Songs, die sich zu Klassikern entwickeln sollten: Da sind „Blowin' In The Wind“, das brilliante „Masters Of War“, „A Hard Rain's A-Gonna Fall“, „I Shall Be Free“, da sind die Lyrics, die eben nichts mehr mit den alten – für viele veralteten – Themen der Folk-Weisen aus den 30/40ern zu tun hatten, sondern nun eben auf mehr oder weniger verschlüsselte Weise die Lebenssituation der jungen Generation wortgewaltig kommentieren. Da sind „Talking World War III Blues“ und „Girl from the North Country“ und das sprichwörtlich gewordene „Don't Think Twice, It's Alright“ und die wunderbare Coverversion von „Corrina, Corrina“ die das Album zu einer Art „Best of“ machen. Noch ist das Album – von John Hammond sauber und knackig produziert – rein akustisch. Nur Dylan mit Harp, Gitarre oder Piano, was es heutzutage überraschend modern klingen lässt, noch hat er den Sound nicht so sehr revolutioniert, dass ihm die fundamentalistische Fraktion der Folkies etwas hätte vorwerfen können, aber er wurde wahrscheinlich schon misstrauisch beäugt. Für mich ist es kurz hinter meinem persönlichen Favoriten Another Side of... das beste Album der „nicht elektrifizierten“ frühen Jahre seiner Karriere. 

Bob Dylan - Don't Think Twice It's All Right 


The Beatles


Please, Please Me

(Parlophone, 1963)

The Beatles


With The Beatles

(Parlophone, 1963)

Schon im Vorjahr hatten die Beatles recht erfolgreich ihre Debüt-Single „Love Me Do“ veröffentlicht - und als nächstes hatten sie im Januar '63 mit „Please Please Me“ den Spitzenplatz der Charts nur knapp verpasst. Natürlich sind - wie zu dieser Zeit üblich – die Single A- und B-Seiten auf ihrem ersten Album vertreten, noch galt die LP als Format für Komplettisten und andere seltsame Leute, aber Please Please Me ist durchaus mehr als die übliche reine Ansammlung von Hits mit zusätzlichem Füllmaterial: In nur 25 Stunden aufgenommen und abgemischt sind die 14 Tracks mit Bedacht ausgewählt und angeordnet. Die Musik ist eine organische Verbindung aus Rock'n'Roll und Mersey Beat, es gibt Cavern-Club Rock („I Saw Her Standing There“) und leichtgewichtigen Beat („Misery“), Sechs Coverversionen stehen acht Lennon/McCartney Songs gegenüber, Bacharach wird mit „Baby It's You“ gecovert, „Twist and Shout“ ist ein kraftvoller Rhythm'n'Blues Reißer, und es ist die insbesondere Tatsache, dass die eigenen Hits mithalten können, die schon darauf hinweist, dass hier Großes folgen könnte. Und in der Tat war dann (wie bei Dylan) das zweite Album - im November '63 veröffentlicht (übrigens genau am Tage von Kennedy's Ermordung) - ein Quantensprung im Schaffen der Beatles. Sie hatten Selbstbewusstsein mit drei Spitzenplätzen in den britischen Charts getankt, ihr Songwriting wurde immer besser und die Interpretationen der Cover-Songs immer kraftvoller. Auch hier hat schon das LP-Cover ikonische Qualität, aber die Musik macht With the Beatles zum (fast) makellosen Meisterwerk. Schon die ersten drei Stücke sind beeindruckend: „It Won't Be Long“, „All I've Got to Do“ und das unwiderstehlich swingende „All My Loving“ stellen den Vorgänger noch in den Schatten. Harrison schreibt mit dem schnellen Rocker „Don't Bother Me“ seinen ersten Song für die Beatles, das Marvelettes-Remake „Please Mister Postman“ fügt sich in die mitreißende Songabfolge ein, erstmals singt Ringo Starr auf „I Wanna Be Your Man“ - das dann den Stones überlassen wird und Chuck Berry's „Roll Over Beethoven“ und Barry Gordy's „Money“ erinnern noch einmal an die Zeit in den Rock'n'Roll Clubs. Aber wirklich revolutionär war - es wurden keine Singles veröffentlicht! Das Album sollte als Ganzes wirken - und das Experiment gelang. Bald sah nicht nur England, sondern die ganze Welt sich einem neuen Phänomen gegenüber: der Beatlemania ! 

 The Beatles - Please Please Me

 The Beatles - All My Loving



Mingus


The Black Saint and the Sinner Lady

(Impulse!, 1963)

Laut rateyourmusic ist es für mich persönlich das beste Album aller Zeiten! Aber natürlich habe ich nicht immer Lust auf wahnsinnigen, komplexen, alle möglichen Stilecken tangierende Third Stream Avantgarde-Jazz (Zu diesem Begriff mehr in meinem Artikel über Jazz 1963...). Aber The Black Saint and the Sinner Lady ist bei aller Komplexität auch äußerst unterhaltsam. Ende des Jahres 1962 wurde Impulse!, das neue Label von Bob Thiele, zur musikalischen Heimat für Charles Mingus. Und der Bassist lieferte gleich mit der ersten Veröffentlichung ein Meisterwerk ab – wobei er weniger sein Instrument (den Bass) als vielmehr seine kompositorischen Fähigkeiten in den Vordergrund rückte. Dem reinen Schönklang seines Vorbildes Duke Ellington fügte er eine grosse rhythmische Vielfalt hinzu, und dazu kamen deutlich formulierte politische Positionen: 1963 waren Befreiung und Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung in der amerikanischen Gesellschaft noch keineswegs vollzogene Realität – aber sie waren dank Kennedy und King Thema. So erklären sich die Untertitel der Suite: Rückbesinnung auf das afrikanische Erbe und Kampf für die Rechte der Schwarzen auf allen Ebenen der politischen und kulturellen Gesellschaft – die Vision des „Freedom Day“. Solistisch steht in dieser Ensembleleistung von 11 Musikern – wenn überhaupt – nur ab und zu das Altsaxophonist Charlie Mariano im Mittelpunkt - es sind vor Allem die bunten Klangfarben und die rasanten Tempowechsel, die jede der 39 Minuten zum Hörvergnügen werden lassen. Mingus forderte von den Hörern, der Musik nicht einfach nur zuzuhören, sondern auch dazu zu tanzen - womit nicht etwa Ballett gemeint ist – die Musik ist als Vorlage für die Nutzung der eigenen körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten gedacht. Und The Black Saint And the Sinner Lady erzählt auch von Mingus' persönlichen Auseinandersetzung mit den beiden Polen seiner Kunst: Der Unberechenbarkeit und der formalen Gestaltung. Mit seinen ständige Finten und Hakenschlägen, den überraschenden Brüchen und abrupten Stilwechseln erweckt Mingus den Eindruck des Collagehaften. Und tatsächlich fanden die vielen Fragmente der Aufnahme-Sessions ihre letztendliche Form erst am Schneidetisch des Produzenten Bob Thiele. Die Musik erhielt dadurch eine Dichte, die Mingus zuvor noch nicht erreicht hatte. Sie reflektiert einerseits all die Inspirationsquellen, die er mal als Zitat, dann wieder als Stil-Pastiche einfließen lässt. Blues und Gospel, den Sound Ellingtons, mexikanische Mariachi-Musik, europäische Klassik - andererseits aber sind all diese Elemente nur Fragmente seiner eigenen Sprache. Durch diese Zerrissenheit ist man mitunter an die Sprache des Deliriums erinnert: Ein Faktor, dessen sich Mingus wohl bewusst war. Ganz so als wolle er sich auch über sich selbst lustig machen, bat er seinen Psychiater Dr. Edmund Pollock, den Text für's Back-Cover zu schreiben. Ganz nebenbei: Bei den Sessions wurde auch das folgende, eigentlich genauso gute Album Mingus Mingus Mingus Mingus Mingus aufgenommen. - Review H. Lachner arte/ PK

 Mingus ― Solo Dancer


Duke Ellington ,Charlie Mingus & Max Roach


Money Jungle

(Blue Note, rec. 1962, rel. 1963)

Im September 1962 begegneten sich drei der größten Styler, die der Jazz hervorgebracht hatte: der 63-jährige Duke Ellington, der zu dieser Zeit schon mit Vorliebe vor Königen und Maharadschas auftrat, traf auf die gut 20 Jahre jüngeren, wütenden und explizit politischen Max Roach und Charlie Mingus. Bei dem Treffen entstand eine stürmische, skizzenhafte und Jam-Sessionartige Platte – was unter anderem daran lag, dass die Sitzungen relativ kurzfristig anberaumt worden waren – auf der sich die offenen kollektiven Formen der 60er Jahre bruchlos in die Tradition von City Blues, Stride Piano, Swing und Jungle fügten. Sinn der Sessions war für Ellington ja auch explizit gewesen, zu zeigen, dass er „Integrationsfigur zwischen den Welten“ sein konnte. Eine Absicht, die er in dieser Zeit auch mit anderen Musikern verfolgte (siehe sein Album mit dem ihm weit fremderen John Coltrane bzw. mit Coleman Hawkins) Hier arbeiteten weniger drei Solisten miteinander, als eine emanzipierte Rhythmusgruppe mit einem Pianisten und Komponisten: Ellintons elegantes, aber technisch limitiertes Klavier engt dabei weder Roach's intellektuelles Schlagzeug ein, noch den rabiaten, blues-durchtränkten Bass von Mingus. Dieser war zwar nominell nicht der Chef im Ring, aber sein Spiel und seine Ideen stahlen den anderen beiden definitiv die Show. Dass Money Jungle trotzdem eine der großen Jazz-Platten der 60er werden sollte, ist dann doch erstaunlich: Der schwierige und mitunter cholerische Einzelgänger Mingus zerstritt sich während der Aufnahmen mit dem politisch mindestens so engagierten Roach und konnte nur durch Ellingtons Schmeicheleien dazu gebracht werden, weiterzuspielen. Das Ergebnis: Jazz zwischen Avantgarde und Tradition.

Duke Ellington - Money Jungle

 The Thelonius Monk Quartett


Monk's Dream

(Columbia, 1963)

Monk’s Dream war zwar kein künstlerischer Wendepunkt in der Karriere des 1963 schon über 45-jährigen Jazz Pioniers, aber in der Wahrnehmung des Jazz-Publikum war das erste Album für Columbia der Durchbruch. Endlich bekam er die verdiente Anerkennung – künstlerisch wie finanziell - was durchaus ein zweischneidiges Schwert sein kann. Dass er hier - bis auf „Bright Mississippi“- nur ältere Eigenkompositionen und drei Standards spielte, mag auf Druck der Plattenfirma geschehen sein, allerdings war das Zusammenspiel mit seinem Quartett inzwischen so harmonisch, dass es an Telepathie zu grenzen scheint - was vielleicht mit dazu führte, dass die Wahrnehmung seiner Musik nun auch ausserhalb von Kennerkreisen stattfand. Der einzige neue Song mußte sich neben den teils über zehn Jahre alten Titeln aus eigener Feder nicht verstecken – war ob seiner Thematik sogar aktueller, die drei Standards – vor allem „Just a Gigolo“ - werden durch Monk's virtuoses und rhythmisch vertracktes Klavierspiel in den eigenen Kosmos überführt, Monk ist als Pianist völlig eigenständig, mit seinem harten Anschlag und den komischen Ausbrüchen immer als er selber zu erkennen und es mag ja sein, dass er ab diesem Zeitpunkt nicht mehr revolutionär war – den BeBop hatte er schon 20 Jahre zuvor (mit)erfunden und seine besten Kompositionen hatte er schon geschrieben, ehe er 30 Jahre alt war – aber dafür machte er seine komplexe Musik nun einem wachen und jungen Publikum begreiflich. Wer Monk als Revolutionär hören will, muss sich die Blue Note Alben Genius of Modern Music I & II beschaffen. Die sind mehr als zehn Jahre zuvor entstanden – aber das mindert die Qualität der Alben aus den Sechzigern nicht im Geringsten – und es macht Monk's Dream zu einem der besten Alben des Jahres '63. 

 Thelonius Monk -Just a Gigolo

John Fahey


Vol- II: Death Chants, Breakdowns & Military Waltzes

(Takoma, 1963)

Death Chants, Breakdowns and Military Waltzes ist John Fahey's zweites Album, veröffentlicht vermutlich Ende '63/Anfang '64 auf seinem eigenen Takoma Label – zunächst nur in ganz geringer Stückzahl und mit schlichtem, weissen Cover. Die LP's ließ er seinerzeit bei einem lokalen Record-Dealer verkaufen, das genaue Datum der „Veröffentlichung“ kann man nicht so genau eruieren, aber Details über Cover und Veröffentlichungs-Daten sind doch nur was für Nerds, wichtig ist meiner Meinung nach die Musik – und da hört man auf diesem Album John Fahey in voller Blüte. Er hatte gerade den ersten Teil seines Philosophie- und Religions-Studiums in Washington abgeschlossen, er hatte den Bluemusiker Bukka White wiederentdeckt – und ihn ein eigenes Album aufnehmen lassen – und er hatte in den Jahren '62 und '63 die Songs zu Death Chants... aufgenommen, vier Jahre nach seinem ersten Album. Zu dieser Zeit war seine rein instrumentale, nicht unbedingt „virtuose“, aber dafür ungeheuer expressive Interpretation von altem Blues, vermischt mit Einflüssen aus Klassik, indischem Raga und Folk-Picking so einzigartig und fremd, dass „Erfolg“ im kommerziellen Sinne damit wohl undenkbar schien. Erst die ein paar Jahre später aufkommende Hippie-Bewegung (...die Fahey immer verachtete...) würde dem Album auch einen gewissen Verkaufserfolg ermöglichen. Von heute aus gesehen ist Death Chants... freilich DAS Referenzwerk für American Primitivism - den Stil, den Fahey buchstäblich erfand. Hier haben wir die Open Tunings der Gitarre, die es ihm erlaubte so ungeheuer kraftvoll zu spielen, hier ist der Kompositionsstil komplett ausgereift, in all seiner Exzentrik, mit der organischen Verbindung aus Blues und klassischer Musik des 20. Jahrhunderts. Da gibt es dissonantes Strumming im Flötenduett eines Tracks, der schön erzählerisch „The Downfall of the Adelphi Rolling Grist Mill“ betitelt ist, da beginnt „Stomping Tonight on the Pennsylvania/Alabama Border“ als verbogener Blues, der innerhalb knapp sieben Minuten mit steigendem Arpeggio in freie Klassik mutiert, um dann zurück in den Blues zu laufen und dann in Dissonanz und zuletzt in eine verträumte Dur-Melodie zu münden. Und all das mag sich theoretisch lesen – es IST theoretisch durchdacht, aber Fahey's Musik hat gerade auf diesem Album auch immer eine unerklärlich mystische Seite, die kaum ein anderer Gitarrist – egal ob Solo oder mit Begleitern – je zu erreichen vermochte. Fahey's Musik ist so schön wie unerklärlich und es gibt '63 Nichts, was vergleichbar ist. Als Post scriptum die Anmerkung: Die CD-Version beinhaltet auch später neu aufgenommene Versionen der Songs – die mindestens genauso gut sind. 

John Fahey - Stomping Tonight on the Pennsylvania-Alabama Border 


James Brown


Live At The Apollo

(King, 1963)

Die hinter diesem Album stehende Geschichte soll hier auch erzählt werden: James Brown wollte unbedingt einen seiner legendären Live-Auftritte konservieren und als Album herausbringen, King Records Label Chef Syd Nathan war weder vom Format noch von der Soundqualität zu überzeugen und verweigerte Finanzierung und Veröffentlichung – so dass Brown die Aufnahmen selber bezahlte und mit Verlassen des Labels drohte. So kam Live at the Apollo mit ein paar Monaten Verzögerung im Januar '63 in die Plattenläden. Zuvor hatte James Brown ein paar beachtliche Hits gelandet – aber auch er schien auf das 7'' Format abonniert – wie es bekanntermaßen seinerzeit insbesondere bei Musik ausserhalb von Jazz und Klassik üblich war. So spielen Brown und seine Famous Flames bei ihrem Live-Set alle Hits, die sie bis zu diesem Zeitpunkt zur Macht im R&B/ Soul gemacht haben: Den '56er Hit „Please, Please, Please“, „Try Me“ von '58, „I’ll Go Crazy“ und „Think“ von '60, „I Don't Mind“ von '61 und „Night Train“ von '62. Dazu ein paar unbekanntere Singles – aber all diese Tracks werden gespielt, als wär's das letzte Mal... „Think“ und „Night Train“ werden schneller gespielt, die Band klingt live dynamischer als im Studio, wenn die Singles dich zum Tanzen gezwungen haben, dann fordert dieser Proto-Funk noch mehr Tempo von dir. Und diese Überhöhung durch die rasante und ungeheuer tighte Band ins fast Surreale gilt nicht nur für die schnellen Tracks – bei Balladen wie „I Don’t Mind“ und „Try Me“ wird dafür die Betonung auf die Vocal Performance gelegt – und das Ergebnis ist genaus beeindruckend. Wenn James Brown sich bei den Singles schon als leidenschaftlicher Soul-Sänger gezeigt hat, dann sind seine Schreie hier fast grotesk überzogen. Das wird nirgendwo so deutlich, wie bei der normalerweise drei-minütigen Single „Lost Someone“. Hier hört und sieht man den verlorenen Protagonisten regelrecht auf dem Boden knien, wie er mit aller Kraft die ihm geblieben ist um die Heimkehr der Geliebten fleht. James Brown wusste, wo seine wirkliche Stärke lag – als Hit-Lieferant war er gut, aber nicht außergewöhnlich, aber live gab es niemanden, der ihm und seiner bis zum Blut gedrillten Band das Wasser reichen konnte. Und das galt für eine sehr lange Zeit. Brown hatte Recht. Live at the Apollo erreichte die Charts-Spitze und blieb 66 Wochen in den Charts und wurde über eine Million mal verkauft. Es war zum bis dato meist verkaufte Album eines „schwarzen“ Künstlers und machte James Brown zur Legende und zum Vorbild für eine junge selbstbewusste Generation von Afro-Amerikanern. 

James Brown - Think  


Sam Cooke


Night Beat

(RCA, 1963)

Ein richtig befriedigendes Studio-Album des ersten wirklich großen amerikanischen Soul-Sängers ausfindig zu machen ist nicht ganz einfach. Vor '63 wurden die Alben als nachträgliche Zweitverwertung für die Singles mißbraucht und die ergänzenden, schwächeren Songs in Streichersirup getaucht. Aber ab '63 kann man seine Studio-Alben geniessen. Sam Cooke's Live Alben At the Copa und das posthum erschienene Live at the Harlem Square Club mögen mitreissender sein – aber in diesem Jahr hatte Cooke anscheinend den Wert des Albums als Medium erkannt und schon mit dem Vorgänger Mr. Soul eine gelungene Songkollektion veröffentlicht. Für Night Beat ging er im Februar '63 mit reduzierter Mannschaft drei Nächte lang ins Studio. Als Begleiter hatte er u.a. den Jazz-Gitarristen Barney Kessel, den gerade 16-jährigen Billy Preston an der Hammond und den Studio-Drummer Hal Blaine dabei, und sein Freund und Kollege, der Gitarrist René Hall steuerte Rhythm Guitar und dezente Streicher-Arrangements bei – aber der Star war ganz unzweifelhaft die Samt- und Seide Stimme Sam Cooke's. Night Beat mag nicht ganz so somnambul sein wie sein Vorbild – Frank Sinatra's In the Wee Small Hours - da ist zu viel Blues in Cooke's Musik und nicht so viel nackte Depression, aber auch dieses Album hat den fatalistisch/traurigen Grundton. Vor allem die erste Seite der LP mit dem Opener „Nobody Knows the Trouble That I've Seen“ und dem nachfolgenden „Lost and Lookin'“ ist dem acht Jahre älteren Vocal Jazz-Klassiker gleichwertig. Und keiner singt so smooth, so sicher und mit solch subtiler Kraft wie Sam Cooke - sogar Otis Redding kam an dessen Eleganz nicht heran (was Reddings' Qualitäten nicht mindern soll...). Weitere Highlights auf diesem Nacht-Album sind fraglos „Mean Old World“, „Please Don't Drive Me Away“, und „Trouble Blues“. Es gibt mit „Shake Rattle and Roll“ einen etwas unpassenden Schluss, aber dennoch: Dieses Album funktioniert als Ganzes. Wer Sam Cooke nur durch seine Civil Rights Hymne „A Change is Gonna Come“ kennt, sollte dieses und das folgende Album anhören (Ain't That Good News von '64 – dort ist besagter Song enthalten, den er '63 schrieb weil er von weissen Rassisten ins Gefängnis geworfen worden war...). Hier ist im Albumformat Soul in Vollendung zu hören. 

Sam Cooke - Nobody knows the trouble the i've seen 

Ray Price


Night Life

(Columbia, 1963)

1963 erscheint mit der Compilation The Patsy Cline Story drei Monate nach Cline's tödlichem Flugzeugabsturz das definitive Nashville-Album – eines, das hier durchaus auch reviewt werde könnte. Aber ich fand es passend mit Ray Price's wunderbarem Album Night Life so etwas wie die „country“ Antwort auf Sam Cooke's Night Beat zum Vergleich zu beschreiben. Der da schon weit über 30-jährige Nashville-Veteran und Hank Williams-Buddy Ray Price nahm Night Life tatsächlich zur gleichen Zeit – auch im Februar '63 – und mit ähnlichem „Konzept“ auf wie Sam Cooke sein Night Beat. Begleiten ließ er sich von seiner bewährten Band, den Cherokee Cowboys – die seinerzeit aus Willie Nelson (ja, DEM Willie Nelson), Johnny Paycheck (Ebenfalls ein gestandener Country-Songwriter to be), Buddy Emmons an der Steel und Elvis' Pianist Floyd Cramer bestand – für instrumentale Qualität war somit mehr als gesorgt. Das Songmateriel war gediegen und dem Thema entsprechend dunkelblau getönt, Nelson's „Night Life“ zeigte schon das Talent des jungen Outlaws, Charlie Rich's „Sittin' and Thinkin'“ oder Hank Cochran's „If She Could See Me Now“ treffen genau das Thema – und auch hier ist es vor Allem die Stimme, die das Album zu mehr macht, als einem normalen Country-Album. Price sang aus eigenem Erleben vom Leben „on the road“, von One Night Stands, schalem Bier und Bedauern. Er gibt tatsächlich, glaubhaft und mit großer Stimme die Country-Version der Wee Small Hours. Night Life steht genau an der Grenze zwischen Honky Tonk und Kitsch, überschreitet die aber nie, und auch wenn die Streicher manchmal ganz erbärmlich schluchzen, so klingen sie immer angenehm fern – nicht zu nah am Ohr. Ray Price hatte in den Jahren zuvor Honky Tonk (mit)definiert – ab diesem Album gab er den Nashville-Crooner - oft mit zu viel Schmalz für unsere heutigen Hörgewohnheiten - aber dieses Album zeigt, was für ein großer Stilist er war – und es zeigt, was Hank Williams dereinst an ihm fand. 

Ray Price - Sittin' and Thinkin' 


Roy Orbison


In Dreams

(Monument, 1963)

Die frühen Sechziger werden oft als dunkles Zeitalter der Popmusik angesehen – die Pioniere des Rock'n'Roll waren tot oder künstlerisch in Bedeutungslosigkeit versunken und erst als '64/65 Beatles, Dylan, Stones etc.. ihre Karrieren auch ausserhalb ihrer Heimat in Schwung brachten und die Beatlemania weltweit Jugendliche in Hysterie geraten ließ, bekam Pop wieder eine größere Bedeutung und wurde wieder zu mehr als bloßer gesellschafts-konformer Unterhaltungsmusik – und natürlich tut man mit dieser Einschätzung Musikern wie den Everly Brothers, Rick Nelson oder eben Roy Orbison ein schändliches Unrecht an. Es GAB vor '64 große und auch später einflussreiche Popmusik – und das durchaus nicht nur im Singleformat, sondern auch als Album – und einer, der hintereinander drei ganz hervorragende LP's veröffentlichte, war Roy Orbison. Bei ihm sind es sicher die Singles, die alles überstrahlen, das war schon beim Debütalbum Sings Lonely and Blue (siehe auch im Hauptartikel für '60) und beim Nachfolger Crying ('62) der Fall. Aber auch sein drittes komplettes Album hat seine Meriten. In Dreams hat gegenüber dem Vorgänger die noch etwas stärkeren Albumtracks, es gibt einige regelrecht majestätische Momente, geschaffen von einer Stimme, die in Bestform war, eingebettet in opulente Arrangements und eine sehr professionelle Produktion. Der Titeltrack – später noch einmal durch seine Verwendung im Film Blue Velvet bekannt geworden - ist textlich und melodisch einer von Orbison's besten, aber auch „Shahdaroba“ besticht mit gelungenem Arrangement, da ist das geniale „Blue Bayou“, da sind die stimmlichen Höchstleistungen von „(They Call You) Gigolette“ und „Beautiful Dreamer“ und das Everlys' Cover „All I Have to Do Is Dream“ - alles perfekter symphonischer Pop. Da ist es verzeihlich – zumal bei einer Spieldauer von 30 Minuten - dass es auch ein paar weniger beeindruckende Tracks gibt. Hätte man aus dem Besten von Crying und In Dreams ein einziges Album gemacht – man hätte DAS Pop-Album für die erste Hälfte dieser Dekade zusammenbekommen. Orbison ging in diesem Jahr mit den Beatles auf Tour und vergaß im Flugzeug die Brille (siehe LP-Cover), die er wegen seiner starken Weitsichtigkeit tragen musste. Daher ging er aus der Not mit Sonnenbrille auf die Bühne – und blieb dabei. So war das Bild geprägt, das man bis heute von ihm hat. Mit dem Aufkommen der Beatles, Stones etc schien seine große Zeit allerdings abgelaufen – obwohl er zwei Jahre später mit The Orbison Way ein weiteres beachtliches Album machte, das aber im Strudel der damaligen Ereignisse und Veröffentlichungen hoffnungslos untergehen würde. Erst Ende der Achtziger hatte er nach etlichen Schicksalsschlägen ein echtes Comeback. In Dreams bleibt in seiner Zeit gefangen wie ein Insekt in Bernstein.

Roy Orbison - In Dreams 






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