Donnerstag, 4. Juli 2019

1977 – The Boys bis Cheap Trick – Wie Punk zu Power-Pop wird

Die Jahre '76 und '77 gelten als die Jahre des Punk. Aber das ist natürlich eine holzschnitt-artige Vereinfachung des Musikgeschehens, die praktisch, aber sehr ungenau ist. Punk ist schon ein Überbegriff, unter dem Musiker und Bands versammelt werden, die völlig unterschiedlich sind – die mal in diese, mal in jene Richtung tendieren, die sich zumal schnell weiter entwickeln, die den Begriff und die Gedanken hinter „Punk“ möglicherweise nicht einmal teilen, die aber von der Musikpresse und der Musik-Industrie in die bald verkaufsfördernd hippe Schublade gesperrt werden. Und diese Schublade bekommt bald einzelne Fächer – von denen eines Power-Pop heisst. Der Begriff selber wurde angeblich dereinst von Pete Townshend für die Musik seiner Band The Who verwendet, man hat dann zu Beginn der Siebziger Bands, die den (damals unmodernen) Sound der Beatles neu belebten, mit dem Begriff Power-Pop etikettiert. Bands wie Badfinger, The Raspberries und vor Allem Big Star werden als erste Generation des Power-Pop bezeichnet. Als dann im „Jahre Punk“ diverse Bands dessen Wucht mit seligen Harmonien, nicht nihilistischen Texten und Bezügen zu The Who, The Kinks, Beatles etc verbanden, wurde deren Kunst einfach mit dem Etikett Power-Pop versehen. Das heisst: melodische, weniger harte Punk-Acts spielen somit Power-Pop – wobei natürlich (wie immer) die Grenzen zwischen Punk/New Wave und (Power) Pop durchlässig sind. So sind hier unten Alben von Bands vertreten, die man ohne weiteres auch in einem Kapitel über Punk Anno '77 unterbringen könnte, andere machen schon seit seligen „Prä-Punk-Zeiten“ Sachen, die sich im Zuge des Hypes mit dem Power-Pop-Etikett versehen lassen. Sleepwalker von den Kinks und Pete Townshend & Ronnie Lane's Album sind wegen des Bezuges zum Begriff Power-Pop hier untergebracht. Dave Edmunds spielt schon seit Beginn der Siebziger Rock'n'Roll – aber jetzt passt er in die Schublade. The Jam sind jugendliche Wiedergänger von The Who – sind Punk/New Wave, sind Power-Pop. Elvis Costello macht New Wave bzw Power-Pop – weil ich das jetzt mal so definiere. Will Sagen: Power Pop ist die Überschrift über Musik die nicht (mehr) Punk ist, auch kein New Wave ist, die von Mods und Beatles beeinflusste, kurze und prägnante Songs mit Punk-Härte und unterschiedlichen Beigeschmäckern können. Power Pop ist in den Jahren '77 bis '79 eine Kategorie, die für etliche Alben passt – und ich werde unter dieser Überschrift einiges auswählen, ehe Power-Pop dann in allen möglichen Stilarten aufgeht. Hier erst mal acht Acts mit zehn Alben, die – wenn man so will – Power-Pop bieten. ...Ich will.

The Boys


s/t

(NEMS, 1977)

Die britische Antwort auf die Ramones anyone ? 14 Tracks, 6 davon unter zwei Minuten, kaum einer über drei Minuten Länge, und dabei packen die Boys mehr Songideen in eine knappe halbe Stunde auf ihr Debüt, als andere Bands in ihrer ganzen Karriere haben. Es beginnt mit dem gefühlvollen „Sick on You“: „If I'm going to have a puke, you can bet your life I'll puke on you“ dichten sie, verarbeiten dabei die Beatles mit einer Prise Evelry Brothers, und versetzen deren Pop/Rock in die Punk-Ära. Natürlich wurden sie in die Punk-Ecke gestellt – ein Schicksal, welches sie mit vielen Power-Pop Bands ihrer Zeit teilen sollten - dabei hatten sie - genau wie die Kollegen von den Shoes - weit mehr mit klassischem Songwriting ihrer Vorbilder zu tun als mit No Future. Entstanden waren sie aus den Bands London SS und den Hollywood Brats, sie spielten im Roxy, nahmen an gerade mal zwei Tagen das Debüt auf, löschten dann zugunsten mehr Gitarren die Hammond Spuren aus ihrem Sound, wurden von John Peel hoch gelobt und hatten dann das unsägliche Pech, dass Elvis starb. Daraufhin konzentrierte sich ihre bescheuerte Plattenfirma nämlich auf die Produktion von Elvis-Compilations und ließen die talentierte Band verhungern. Immerhin, die Geschichte der Boys geht weiter, weil sie zunächst nicht aufgeben konnten.


The Shoes


Black Vinyl Shoes

(Black Vinyl, 1977)

Die Brüder Jeff und John Murphy und ihr Schulfreund Gary Klebe, drei Pop-begeisterte Jungs aus Zion, Illinois, beschlossen erst einmal Musik- Instrumente zu lernen um ihre eigenen Songs aufzunehmen. Sie fanden mit Skip Meyer noch einen Drummer und nahmen im Wohnzimmer die ersten Songs auf, veröffentlichten diese auf ihrem eigens gegründeten Label und erweckten die Aufmerksamkeit von PVC Records. Die unter primitivsten Bedingungen aufgenommenen Songs hatten gerade durch ihren rohern Sound eine Prägnanz, die ein Studio nie hätte schaffen können. Der Sound der Gitarren war erstaunlich fett, erinnert manchmal fast an die Wipers, aber die Songs orientierten sich ganz klar an Bands wie den Beatles und Big Star. Black Vinyl Shoes ist definitiv kein Punk, sondern das, was ich hier Power-Pop nenne - und wie man sich ihn wünscht. Die Songs sind trügerisch einfach, aber dann wieder mit erstaunlicher Melodieführung - „Fire for Awhile“ erinnert gar an die Beach Boys), diese Songs sind gerade durch ihre Einfachheit wie aus der Zeit gefallen – und somit im Grunde zeitlose (Power)-Pop Musik. Black Vinyl Shoes hat in meinen Ohren diese besondere Eigenschaft – es klingt, als hätten die Vier die Popmusik gerade erfunden – und würden voller Staunen das Ergebnis betrachten.


Elvis Costello


My Aim Is True

(Stiff Rec., 1977)

Na, der hier klingt NICHT naiv. Elvis Costello scheint von Anfang an mit voll ausgebildetem Talent – und altersweisem Zynismus – auf der Musik-Szene erschienen zu sein. Immerhin hatte er seit Beginn der Siebziger – noch in seinen „Teens“ - eine Vergangenheit in London's Pub-Rock-Szene, und dass er dem Punk/New Wave seiner Zeit zugerechnet wurde, liegt wohl auch ein bisschen an den Umständen. Anders gesagt – sein Musikalität hätte sich vermutlich in jedem Umfeld durchgesetzt. Und seine ätzende Stimme (die ich nicht wirklich mag) passt hervorragend zu Punk und Häme. Das Songwriting allerdings ist klassisch – an Rock'n'Roll und Brill Building geschult. Für das Debütalbum wurde ihm die US-Westcoast Band Clover ins Studio geholt, die sich gerade in England aufhielt. Ex-Brinsley Schwarz (und Pub-Rock) Musiker Nick Lowe produzierte schmucklos – und ließ so die Songs in klassischem Gewand strahlen. Man mag sich fragen, ob My Aim is True besser geklungen hätte, wäre schon Costello's spätere Band The Attractions mit dabei gewesen? Ich glaube nicht – Songs wie das Byrds-artige „(The Angels Wanna Wear My) Red Shoes“ vertragen den Westcoast Sound von Clover natürlich gut, der verborgene Hit des Albums, „Alison“, würde auch in „wavigerem“ Gewand nicht besser klingen. Und für die Single „Less Than Zero“ ziehen Clover sich die Country-Hosen aus. Schon sein Debüt eröffnet Costello mit einem ganz großen Song: Die 1 Minute 22 von „Welcome to the Working Week“ nehmen vieles vorweg, was noch kommen soll. Lustig, dass Costello viele der Songs auf dem Weg zu seinem Brot-Job schrieb – aus Rücksichtnahmen für Frau und Kind, er war schließlich „schon“ 23 Jahre alt. Der Mann hatte es inzwischen eilig, er nannte den ersten moderaten Erfolg von My Aim is Truean overnight success after seven years “. Immerhin. Danach ging's los. Ob das jetzt Power-Pop oder New Wave ist, kann jeder mit sich selber abmachen.


Dave Edmunds


Get It

(Swan Song, 1977)

Eigentlich war geplant, dass obiger Elvis Costello für Dave Edmunds ein paar seiner Songs zu dessen '77er Album beitragen würde – aber Dave Edmunds wollte nicht und Costello hatte eigene Pläne. Edmunds war schon weit über 30, er hatte Ende der Sechziger mit dem Blues-Rock Trio Love Sculpture zwei famose Alben - und sich als Gitarren-Virtuose einen Namen gemacht. Aber dann kam '72 das Solo-Album Rockpile, auf dem er seiner Liebe zum klassischen Rock'n'Roll frönte – und bei dieser Liebe blieb er dann. Er war befreundet mit Nick Lowe, und so holte er sich dessen Hilfe für das '77er Album Get It. Edmunds Einflüsse sind hier natürlich sofort erkennbar: Die Beatles, Everlys, Rock'n'Roll, Country - ein Gebräu das man natürlich heute, ohne die dereinst üblichen Ressentiments gegen Alles, was vor Punk geschah, getrost unter das große Zeltdach Power Pop stellen kann. Die Tatsache, dass Get It auf Led Zeppelin's Swan Song Label veröffentlicht wurde, zeigt, wie ehrenhaft deren Konzept war, es zeigt aber auch, dass die Musik hier bestimmt kein Punk o. dgl sondern klassischer Rock(n'Roll) ist. Mit Detail-Versessenheit, Kompetenz, und Lust eingespielt. Ob beim Rock'n'Roll von „Let's Talk About Us“ von „Fever“-Komponist Otis Blackwell, ob bei Hank Williams Country-Klassiker „Hey Good Lookin'“ oder bei Graham Parker's „Back to School Days“ - Alles klingt klassisch und zugleich frisch und zeitgemäß. Wer den Beweis braucht, dass Power-Pop auch Rock'n'Roll ist (und umgekehrt) der höre sich Get It an. Übrigens hört man hier, wie Lowe, Edmunds, Drummer Tery Williams und Keyboardern Bob Williams als Rockpile zur eingespielten Band werden, die nur aus rechtlichen Gründen kein Album einspielen durfte. Ein Jammer.


The Diodes


s/t

(CBS, 1977)

The Diodes und ihr selbstbetiteltes Debütalbum ist in Europa vermutlich deswegen so unbekannt, weil sie aus Toronto, Kanada stammen. Die '76 gegründete Band musste sich ihre Szene buchstäblich selber schaffen. Sie supporteten die Talking Heads in ihrer Heimatstadt, eröffneten mit ihre Manager den Crash 'n' Burn Club, gingen Anfang '77 auf Tour, spielten im CBGB's neben den Cramps und sind so etwas wie die Urväter der kanadischen Punk-Szene. Und als wäre das nicht genug der Ehre, kann man ihr Debütalbum getrost in eine Reihe mit den 70er Alben der Ramones, der Clash und der Sex Pistols stellen – mit der Ergänzung, dass hier neben „piss & vinegar“ mit einer erstaunlichen, an Garage-Rock und British Invasion geschulter Pop-Sensibilität agiert wird. Die Tatsache, dass das von Paul Simon für die US-Psych-Band The Cyrkle geschriebene „Red Rubber Ball“ das Album eröffnet, mag da Programm sein. Klar, dass auch eigene Songs wie „Child Star“ (über den Verfall von Kinder-Schauspielern nach deren erster Karriere) oder das stark nach Garage-Rock riechende „Blonde Fever“ äußerst gelungen sind. Der Vergleich mit den Ramones mag hinken – das Tempo ist im Studio gesitteter als live – aber das Talent für Schlagworte ist vergleichbar. Das Album wurde in den USA und Kanada veröffentlicht, aber in Europa kam man nur an das teure Import – so blieb der Erfolg aus. '78 gingen The Diodes mit den Ramones auf Tour, das zweite Album ließ auf sich warten, dann ließ Columbia sie wegen ausbleibendem Erfolg fallen und sie mussten sich um sich selber kümmern. Die Band machte unermüdlich weiter, spielte mit allen möglichen namhaften Kollegen (Circle Jerks, Ultravox, U2 (!)), aber mehr als Credibility und Ehre kam nicht dabei heraus. The Diodes (und den Nachfolger Released) kann man ohne jede Einschränkung empfehlen. Die Punk-Seite des Power-Pop... so wie...


The Jam


In The City

(Polydor, 1977)

The Jam

This Is the Modern World

(Polydor, 1977)

The Jam aus dem United Kingdom. Das sind 1977 drei junge Musiker, die sich eindeutig an den Vorvätern des Power Pop – an The Who und The Kinks – und an Soul und R'n'B orientieren. Von der Kleidung, dem Gehabe bis zum Songwriting sind die Vorbilder erkennbar – aber sie sind auf sehr geschmackvolle Weise in die Zeit des Punk transformiert. Sprich: Punk schimmert durch jedes Knopfloch. Tatsächlich hatte der Kopf von The Jam die Band schon 1972 gegründet, im The Who-Album My Generation. im Style der Mod's und in der Wucht solcher moderner Rhythm and Blues Bands wie Dr. Feelgood sah er einen Angelpunkt für die eigene musikalische Entwicklung, er wechselte vom Bass zu Gitarre, verschwor die Kumpels Bruce Foxton, der jetzt den Bass übernahm und den Drummer Rick Buckler zu einer kraftvollen Einheit und begann – nachdem zunächst Vorbilder aus Rock'n'Roll und Soul gecovert wurden - eigene Songs zu schreiben. Und das war ein Glücksfall: Paul Weller mag seinen Style abgeschaut haben – aber er hat von den Vorbildern alles Wichtige gelernt und er war ein wacher Kopf, der ein Ohr für großartige Melodien hat. Für Viele wäre ein Debüt wie In the City das Werk eines Frühvollendeten. Die Energie, die hier hervor birst, lässt es neben den Punk-Alben dieses Jahres bestehen, das Songwriting ist noch roh und unbehauen, wie gesagt deutlich an den Vorbildern orientiert, aber schon eigenständig genug. Das Cover des „Batman Theme“ ist am Vorbild von The Who orientiert, die Themen von Songs wie dem Titeltrack oder „Bricks and Mortar“ spiegeln ur-britisch juvenile Unzufriedenheit wider – wobei man in linken Punk-Kreisen über Weller's Verachtung für „Punk's trendy left-wingers“ nicht entzückt war. Die folgende „White Riot“ Tour mit The Clash wurde jedenfalls vorzeitig abgebrochen. Nach einer eigenen Tour ging die Band sofort wieder ins Studio – und das, obwohl Weller durch eine frische Liebe und die teilweise Verachtung seines Publikums nicht wirklich bei der Sache schien. This Is the Modern World, das zweite Album von The Jam gilt somit als ihr schwächstes – und ich würde es nicht erwähnen, wäre ich nicht der Meinung, dass es durchaus auch seine Stärken hat. Die Singles von The Jam hatten den erhofften Erfolg, die Band galt was, wurde trotz aller Differenzen dem Punk-Hype zugerechnet... und dem wurde jetzt der Saft ausgepresst. Aber Weller hatte bei allem Tumult immer ein paar gute Songs im Köcher. Sein erster Love Song „I Need You (For Someone)“ ist gelungen, der Titeltrack und „Standards“ zeigen, dass Weller als Songwriter wächst, die Cover-Version von „In the Midnight Hour“ ist kraftvoll, manche Tracks sind offenbar hastig hingeworfen, es fehlte eine Qualitätskontrolle - aber vielleicht braucht es so eine Delle, um größere Klasse zu erreichen – und der kraftvolle Sound der Band The Jam wurde hier noch einmal konzentriert. This Is the Modern World ist unter den Alben des Jahres '77 mindestens erwähnenswert – und es hat mit der Zeit gewonnen...


The Kinks


Sleepwalker

(Arista, 1977)

Da ist es in Verbindung mit den beiden '77er Alben von The Jam natürlich passend, auf das fünfzehnte Album von Paul Wellers Vorbildern The Kinks einzugehen, es zu loben und in diesen Zusammenhang zu stellen... Die Kinks gehörten in England natürlich zu den etablierten Bands – wobei die ganz große Zeit vorbei schien, die letzten Konzept-Alben eher halbgar waren. Aber Punk in England ist ein Stil, der zu den Kinks passt. Sie hatten die Plattenfirma gewechselt und ich vermute, Ray Davies war von der Wut und Wucht etlicher Bands durchaus angetan war – so dass er sich diesmal auf eine konzept-freie Songsammlung besann. Man kann sagen, dass die Kinks schon per Definition Power Pop gespielt haben, dieses Album zeigt immerhin, dass sie auch nach 13 Jahren noch Kraft und Ideen haben. Ihr Konk-Studio war aufgerüstet worden, so dass Sleepwalker einen volleren Sound hat, fast ein bisschen überproduziert klingt und als erstes Album ihrer „Areana Rock Phase“ bezeichnet wird – was mitnichten heissen soll, dass das Album schlecht wäre. Davies hatte etliche tolle Songs auf Lager, die sich nun keinem seltsamen Überbau unterwerfen mussten. Und er hatte natürlich inzwischen alle möglichen Sprachen 'drauf: „Mr. Big Man“ klingt nach Glam, Theater und Pop, der Titeltrack des Albums wurde zur Überraschung der Band ein kleiner Chart-Erfolg in den USA – trotz eines für Ray Davies erstaunlich düsteren Textes: „When everybody's fast asleep, I start to creep through the shadows of the moonlight, I walk my beat. Better close your window tight I might come in for a bite. I'm a sleepwalker, I'm a night stalker“ Dass der Song wieder eine dieser unwiderstehlichen Melodien hat, versteht sich. Ray Davies war in Form. Und mit „Juke Box Music“ gibt es einen weiteren Klassiker der Band auf dem Album. Un-peinlicher Pop von den Kinks = Power Pop.


Cheap Trick

s/t

(Epic, 1977)

Cheap Trick


In Color

(Epic, 1977)

Cheap Trick stehen wegen ihrer kommenden großen Erfolge synonym für Power Pop in seiner US-Variante. Die vier Musiker spielten schon seit '73 zusammen und hatten einen Stil entwickelt, der Beatles-Harmonie-Seligkeit mit der Power des Hard Rock a la The Who und einem vor Allem für US-Verhältnisse sehr schrägen Sinn für Humor paarte. Auf ihrem ersten Album wurden sie vom Aerosmith Produzenten Jack Douglas betreut, der ihnen einen entsprechend harten Sound verpasste. Dass Hauptsongwriter und Gitarriste Rick Nielsen einen Wall of Guitars aufbauen durfte, dürfte auch in Douglas' Sinn gewesen sein. Sänger Robin Zander nahm dem Sound mit seiner John Lennon-Stimme sicher etwas von der Härte – aber Cheap Trick ist im Vergleich mit dem, was noch kommen würde ein echtes Hard Rock Album – mit Melodien, die von den Beatles hätten kommen mögen. „Taxman, Mr. Thief“ etwa paart auf's feinste harte Gitarren mit Beatles-Harmonien, ähnlich melodisch kommt „Oh Candy“ rüber – ein Song über den Selbstmord der befreundeten Fotografin Marshall Mintz. Und der Hard Rock von „The Ballad of T.V. Violence“ behandelt den Serien-Mörder Richard Speck mit harten Gitarren und poppiger Melodie. Der Umgang der Band mit Pop, Rock, Grausamkeit und Romantik macht sie zu etwas ganz besonderem. Aber hier hört man Cheap Trick noch in ihrer Rohform – wer es etwas ausgefeilter und weniger „hart“ mag, sollte sich das zweite Album der Band anhören: In Color hat mit Tom Berman einen weiteren namhaften Hard Rock Produzenten, die Band aber betont auf diesem Album ihre leichte und romantische Seite. Hier ist das Live bald zum Metal-Kracher umgebaute „I Want You to Want Me“ - ein sonniger Pop-Track, der in dieser Form auch den Everly Brothers gestanden hätte. Der wird dann von „You're All Talk“ gefolgt, das auch auf's Debüt gepasst hätte. Aber die Fähigkeit der Band, sonnige Melodien mit Power, eigenem Stil und den Gitarrenfeuerwerken von Rick Nielsen zu einem ziemlich eigenwilligen und geschmackvollen Gebräu zu vermischen, ist auch hier schon intakt. Beide Alben sind Klassiker ihrer Zunft – und werden im kommenden Jahr nur noch von der gelungenen Kombination beider Seiten der Band auf dem dritten Album Heaven Tonight übertroffen. Dies hier sollte man als Hard-Rock-Seite von Power Pop sehen.

10 mal Power Pop durch die Dekaden

Zuletzt mein etwas beliebiges Spiel mit den „Top Ten“ des behandelten Genre's. Und gerade bei einem so wenig fassbaren Begriff wie „Power Pop“ ist es schwer, die besten 10 Alben zu benennen. Diese Auswahl würde sich sowieso schon in wenigen Stunden verändern, weil mir dann noch dieses oder jenes Album einfiele. Dann hat Power Pop großen Einfluss auf Alben, die man aber auch Punk, New Wave, Alternative, Pop, Psychedelic... whatever nennen kann. So habe ich hier nun 10 Alben benannt, ohne mehfach-Nennung einer Band und dabei einen zeitlichen Bogen über fast 30 Jahre gespannt. Sie alle haben immerhin ihr höchst melodisches Songwriting gemeinsam... ganz schön bliebig



Big Star – #1 Record (1972) – deren beide folgende Alben sind genauso gut und klassisch



Cheap Trick – Heaven Tonight (1978) – sieh oben, auch die beiden ersten Alben sind sehr gelungenen



The Jam – All Mod Cons (1978) – Oder ist das Punk oder Mod Revival?



The Cars – s/t (1978) – Die New Wave Version von Power Pop. Definitiv.



Nick Lowe – Jesus of Cool (1978) – muss man kennen, weil er der Pate des Power Pop in England ist und die gemütliche Pub-Rock Variante des Power Pop vertritt.



Game Theory – Lolita Nation (1987) – Viel zu unbekannter Paisley Power Pop...



The Posies – Frosting on the Beater (1993) – Die Grunge-Version von Power Pop.



Weezer – s/t (1994) – auch hier: Der Nachfolger Pinkerton ist vergleichbar und genauso gut.



Teenage Fanclub – Grand Prix (1995) – auch hier kann man Alles davor und danach empfehlen.



Supergrass – dto (1999) – ein Brit-Power-Pop Diamant, der ihre beiden beachtlichen vorherigen Alben übertrifft.














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